1944 von Rockstar (Großstadtträume) ================================================================================ Kapitel 1: Vor dem Sturm ------------------------ Es war kein Geheimnis, dass Steve so seine Probleme mit dem „Weglaufen“ hatte. Oder der „strategischen Flucht nach hinten“ wie Bucky es gerne schmeichelhaft betitelte. Es war auch kein Geheimnis, dass Steve, obwohl vollkommen außer Puste lief er nur zum Bäcker um Brötchen zu holen, dass größte Herz in ganz Brooklyn besaß und es auch kein Geheimnis, dass diese Charaktereigenschaft unter all der düsteren Kriegsstimmung etwas seltenes war. Steve sagte immer, es wäre eine Ehre für sein Vaterland zu kämpfen, aber er sagte nie, dass es eine Ehre wär, auch dafür zu sterben. Für Steve war der Krieg etwas beinah romantisches, ehe Verklärung von Heldenmut und damit absolut amerikanisch, denn hey – wenn die Welt einen Helden braucht, dann doch bitte einen, der mit einer sternengeschmückten Flagge herum lief und den bösen Jungs zeigte, wo der Hammer hang. Und es war auch kein Geheimnis, dass das Problem mit der „strategischen Flucht nach hinten“ immer größer wurde – und dieses Mal die Form eines wunderbar babyblauen Veilchens hatte, dass sich um Steves linkes Auge Wand. Bucky verzog leicht das Gesicht, als er seinem besten Freund ein kaltes Steak auf das geschwollene Auge klatschte. „Du bist selbst schuld.“ gab er streng von sich, als Steve leise aufstöhnte und er beobachten konnte, wie die dürren Schultern sich leicht abwehrend empor zogen. Steve war zu dünn. Immer noch. 3 rohe Eier zum Frühstück hin oder her. Bucky hatte den leisen Verdacht, dass Steve selbst dann noch ein Blatt im Winden bleiben würde, ass er jeden Morgen einen ganzen Stier zum Frühstück. Doch das sagte er lieber nicht, denn man funkelte ihn einmal mehr ziemlich erbost an. „Ich bin nicht weglaufen – das soll meine Schuld sein? Ein schöner Freund bist du.“ Die Antwort war typisch Steve. Stolz, ein bisschen motzig, aber vor allen auch irgendwie niedergeschlagen. Er verlor nicht gern. Auch wenn eine Verletzung des Auges bei weiten nicht so schwer wog wie die Verletzung des Stolzes. Und der schien heute noch angeknackster als sonst. „Ich bin sogar dein bester Freund und der permanente Retter deines kleinen Hinterns! Wenn ich nicht eingegriffen hätte, wärst du jetzt Apfelmus.“ Er wollte gar nicht so belehrend klingen, aber irgendetwas an Steve brachte ihn immer wieder dazu, diesen Ton anzuschlagen. Vorwurfsvoll sah man ihn an – als ob ER ihm das blaue Auge verpasst hatte. Verletzter Stolz. Eindeutig. Ein echter Mann schafft seine Kämpfe alleine und braucht keine Hilfe. Dumm nur, dass ein „echter Mann“ eben nicht nur 1,65m groß war und lieber den ganzen Tag zeichnete, als sich in irgendwelchen Boxbuden herum zu drücken wie der Rest von Brooklyn. „Ich hätte ihn besiegt. Ich weiß es genau. Irgendwann knall ich ihm den Mülldeckel an den Kopf, wenn er nochmal so über meine Mutter redet.“ Störrisch beharrte man auf sein Recht und Bucky atmete leise aus. Aber gut, das war eben Steve. Steve kannte das Wort „aufgeben“ nicht, auch wenn es ihm irgendwann einmal den Hals brechen würde. Ein echter Mann eben. Blabla. Was nützte es einem, ein „echter Mann“ zu sein, wenn man immer wieder mit der Nase im Dreck lag? Doch scheinbar war es Steve eine Art Grundbedürfnis, sich immer wieder zu beweisen. Oder es zumindest zu versuchen. Denn wer im Kino bei gewalttätigen Szenen das Gesicht verzog oder seine Finger knetete, sich an einem Schluck Bier verschluckte und nicht einmal den Einkauf nach Hause tragen konnte ohne sich die Lunge aus dem Hals zu keuchen, bei dem war sich Bucky irgendwie sehr sicher, dass Steve eigentlich ein Stofftier und ein heißer Kakao in die Hand gedrückte gehörte. Wenn der kleine Scheisser nur nicht immer so niedergeschlagen dabei aussehen würde… „Na klar, Kurzer. Du machst das schon. Aber nicht heute, okay? Jetzt hälst du schön das Steak gerade und machst mal Pause. Kein Held sollte ewig trainieren, sonst hat er doch gar keine Kraft mehr für einen richtigen Kampf übrig.“ Dabei fand Bucky nicht einmal, dass Steve irgendwie trainieren sollte. Sicherlich, rein körperlich war er den meisten jungen Männern haushoch unterlegen, aber dafür lagen seine Stärken wo anders. Er hatte ein gutes Herz. Er war mitfühlend, er war freundlich, er war ein begabter Zeichner und er hatte Charme. Das waren zumindest die Qualitäten, die Bucky an ihm schätze und er musste es wissen, schließlich waren sie seit Kindertagen Freunde und er hatte schon so ziemlich jeden Spleen von Steve mitgemacht, sogar dessen Versuch, den Führerschein fürs Motorrad zu machen. Es hatte 2 Wochen, haufenweise spendierte Hamburger und ein paar Bekanntschaften kopfüber mit dem Klo aufgrund von zu viel Bier gebraucht, bis Steve darüber hinweg gekommen war, dass die meisten Fahrschulen ihn für ein Motorrad zu schmächtig hielten. Ein blaues, sehr helles Auge starrte ihn unter zerzausten blonden Strähnen missgünstig an, dann lies Steve sich wieder mit der Schulter gegen die Brüstung des Balkons sinken. In diesem Sommer waren die Nächte in Brooklyn besonders warm. Von überall drang Stimmengewirr an Buckys Ohren, weil die Leute noch in ihren Gärten oder auf den Balkon saßen. Meistens klangen die Stimmen fröhlich und zuversichtlich, als gäbe es gar keinen Krieg, gar keinen Tod, denn es zu fürchten galt, gar nichts von all diesen schrecklichen Dingen, die sich nur manchmal als blutroter Streifen am Horizont abzuzeichnen schienen. Immer, wenn Bucky diesen Himmel sah fragte er sich, ob die Menschheit so viel voneinander trennte, oder ob es nur am Ende nur die eigene Arroganz war die verhinderte, dass man erkannte das man sich einen einzigen Himmel teilte und unter diesem alle gleich waren. Alle waren gleich. „Du machst es schon wieder.“ Der Kommentar war leise, aber immer noch missgünstig und Bucky ertappte sich dabei, wie er kurz zusammen fuhr und dann erst den Blick nach rechts wendete. Steve sah ihn an, wieder mit diesem zutiefst beleidigten Gesichtsausdruck, der ihn immer wieder an einen kleinen, verärgerten Kampfterrier erinnerte. Sein Mundwinkel zuckte, ohne dass er etwas dagegen tun konnte und Steve sah prompt noch beleidigter drein als vorher. „Was mach ich denn?“ „Mich belehren und dann ignorieren, um dieses coole James Barnes mit dem „Ich starr nachdenklich in den Himmel“ Sache zu machen. Jedes. Verdammte. Mal.“ Ja, ein kleiner, verärgerte Kampfterrier, der gerne bellte, aber nur ungern biss. Steve hatte im Grunde nichts übrig für Gewalt. Das war auch eine der Tatsachen, die er immer wieder versuchte ihm vor Augen zu halten, doch Steve bestand eisern darauf, dass er für’s kämpfen geboren war, konnte er doch mehr einstecken als alle anderen. Aber das er es am Ende war, der nachdenklich und schweigend über seinen Skizzenblock saß und zeichnete, dass erzählte er niemanden. „Ach ja? Ich kenn da so ‘n kleinen Scheisser, der beherrscht die Sache mit dem nachdenklich sein auch ziemlich gut. Eigentlich sogar viel besser als ich. Und er hat meistens eine blaue Lippe, weil er an seinem Stift nuckelt wie ein Baby an seinem Schnuller.“ Ein kräftiger Stoß in seine Rippen war Steves Antwort und Bucky musste lachen. Steve sah schon wieder beleidigt drein, aber für einen Moment funkelten seine Augen leicht. Er mochte das. Steve, lebendig, mit funkelnden Augen, mit irgendeiner fixen Idee zur Verbesserung der Welt, niedergeschlagen und motzig, wenn er wieder einen Rückschlag erhielt, aber er stand auf. Er stand immer wieder auf, als könne er es sich selbst nicht verzeihen, würde er einmal sich selbst betrügen und einfach liegen bleiben. Sicher. Man konnte in einer Prügelei einfach still halten und es über sich ergehen lassen – oder man konnte zurück schlagen, auch wenn man nicht traf, zurück pöbeln, auch wenn man danach ein blaues Auge hatte, aufstehen und für das Eintreten wofür man stand, auch wenn die Welt gegen einen zu sein schien. Denn das war Steve, dass war dieser kleine, ärgerliche Kampfterrier mit dem Gewicht eines jungen Birkenzweigs und Bucky fand, dass das ganz wunderbare Eigenschaften waren, die es zu bewahren beinah noch ein bisschen mehr galt, als das eigene Vaterland. Doch das sagte er ihm nicht. Stattdessen schmunzelte er sich in hinein, zündete sich eine Zigarette an und saß für einen Moment der blauen Rauchfahne nach, die sich langsam in Richtung des blutroten Abendhimmels schlängelte. Ein Himmel, eine Welt. Vielleicht war er auch eher ein heimlicher Romantiker, als ein echter Soldat. „Du machst es schon wieder! Dieses Mal mit einer Zigarette!“ Der Kommentar klang, als schiebe man die Unterlippe schmollend nach vorne und als er dieses Mal zur Seite sah, war da kein ärgerliches Gesicht, sondern die funkelnden, blauen Augen seines besten Freundes, die ihm leicht zuzwinkerten, ehe eine schmale Hand nach der brennenden Zigarette zwischen seinen Lippen griff. Die Fingerkuppen waren plattgedrückt, die Glieder lang. Schöne Hände. Aber keine, die eine Waffe führen sollten. Niemals. „Seit wann rauchst du?“ „Seit jetzt.“ „…soll ich dein Asthma Spray holen oder lieber gleich den Notarzt?“ „Manchmal hasse ich dich, Bucky.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)