A cruel twist of fate von robin-chan ================================================================================ Do you call that a joke? ------------------------ ★ „Way I see it, we got two options.” Die vierte Stunde ★ Fuck! Warum mussten sie diese beschissene Musik anmachen! Bis dahin lief die Tour reibungslos ab, aber nein, sie gaben sich dem Moment hin. Diesen Ausgang, den hatte sich Ellie nie gewünscht. Sie wollten doch verschwinden, sich zusammen durchschlagen, einfach miteinander sein. Gemeinsam gegen den Rest der Welt. Aufgelöst streifte Ellie durch den Raum. Kaum hatten sie aus den dürftigen Optionen gewählt, hatten sie nach einem Unterschlupf gesucht und diesen in einem verlassenen, teils einsturzgefährdeten Bürogebäudes gefunden. Das Kaufhaus, das ihnen zum Verhängnis geworden war, lag zwar in der Nähe, aber hier waren sie sicher. Sie befanden sich in einem großzügigen Büro, das höher lag und nicht gerade leicht erreichbar war und dieses sollte für die kommenden – ihren letzten – Stunden als Ruheort dienen. Die Spuren der Zeit, der Plünderung waren ersichtlich, aber wen kümmerte der Zustand? Hier hatten sie Platz, waren weitgehend abgeschottet und es bot einen bemerkenswerten Ausblick. Wenigstens konnten sie die Straße im Auge behalten und würden etwaige Eindringlinge früher erkennen, aber ungewollte Besucher erwartete Ellie kaum. Hier gab es nichts, bloß zwei Mädchen, die auf den Ausbruch des Virus warteten. Und sollte tatsächlich jemand sich hierher verirren, dann ersparte er ihnen womöglich das Leben als Runner. Fest biss sich Ellie auf die Zunge. Solche Gedanken brauchte sie nicht. Ihre Nerven lagen auch so schon blank. Eine wahre Zerreißprobe und es war bloß noch eine Frage der Zeit, bis sie diese verlor und der Faden riss. Lieber sollte sie an die kommenden Stunden denken, die letzte Chance auf Zweisamkeit, Gespräche, aber wie? Sie war nicht Riley. „Riley…“, murmelte sie, blieb stehen und spähte vorsichtig aus dem Fenster. Vorerst war Ellie alleine, vollkommen ihren Ängsten ausgesetzt, denn Riley suchte nach Essbarem. Lächerlich. Schon bald verfielen sie dem Virus und ihre Freundin wollte ihren Hunger stillen. Redete ihr ein, bevor sie zu Monstern wurden, sollte sie die Gelegenheit nutzen und sich ein letztes Mal den Bauch vollschlagen. Der Gedanken an eine Henkersmahlzeit führte kaum zur Besserung ihrer Laune. Ellie empfand keine Freude daran und ihr Magen rebellierte vehement. Bestimmt würde sie keinen Bissen hinunter bekommen. Gut eine Stunde war sie mittlerweile alleine und die Gefühle erdrückten sie. Zehn Minuten ohne Riley und schon brach das gesamte Ausmaß ihrer Leichtsinnigkeit über Ellie herein. Schmerzhaft hatte sich ihr Innerstes zusammengezogen und einen Würgereiz ausgelöst. Riley an ihrer Seite, die versuchte das Beste aus der Lage zu machen, die sie mit allen Mitteln versuchte aufzumuntern, brach die Fassade. Die anfängliche Wut, die sie direkt nach dem Wissen des Bisses hatte, war vollkommen verflogen. Übrig blieb pure Verzweiflung. Nie hatte Ellie gedacht, obwohl die Gefahr stets im Nacken saß, auf diese Weise zu verenden. Gebissen und infiziert aufgrund eines sowieso schon riskanten Ausfluges. Fest drückte Ellie die Faust gegen die Stirn. Das Versprechen, das sie auffällig die Militärschule abschloss, hatte sie gebrochen. Dieses Leben konnte sie endgültig abschreiben. Militärschule… eine Ausbildung, die sie nie in Erwägung gezogen hatte, die für sie, hinter dem Rücken, entschieden worden war. Aus dem Nichts heraus hatten Männer sie mitgenommen. Den Grund dahinter, den hatte sie nie verstanden und so zeigte sie deutlich ihre Lustlosigkeit, suchte nach Ärger in jeglicher Form und wenn sie dafür nachts umherzog. Insgeheim wollte Ellie einen Ausweg aus dem dortigen Alltag. Viel lieber ein Abenteuer erleben und der Nervenkitzel, den sie auf diesem Wege fand, den nahm sie an. Im Nachhinein ein dummes Verhalten. Schon damals hätte sie durchaus sterben können, aber stets kam sie glimpflich davon. So lernte sie Riley kennen und durch sie Marlene, die Anführerin der Fireflies. Ein Stein kam ins Rollen und die neuen Erkenntnisse, wussten sie zu schockieren, aber halfen Ellie ihre Denkweise schlagartig zu ändern. Ohne Flausen und aufmüpfiges Verhalten, wollte Ellie die Schule absolvieren und bis zum Abschluss hätte das Leben so einfach sein können. Brav gehorchen, lernen und das Wichtigste: Zeit mit Riley verbringen. Ein geregelter Alltag, in einer anormalen Welt. Kindliches Wunschdenken. Die aufgebaute Freundschaft zerbrach von einer Sekunde zur nächsten. Aus dem Nichts heraus standen sie da, stritten lautstark und warfen sich Gemeinheiten an den Kopf. Ein Zerwürfnis, das Ellie nie ersehnt hatte, trat ein und Riley… Riley verschwand. Keine Nachricht, kein Hinweis, nichts. Die ersten Tage verstrichen und Ellie glaubte, sie suchte den Abstand, brauchte Ruhe und sobald die Wut verflogen war, würde sie zurückkehren. Aus den Tagen wurde eine Woche und Ellie hegte Zweifel. Solange war Riley nie fortgewesen und so verspürte sie Sorge. War Riley verletzt oder gar geschnappt worden? Angst kam und verflog mit den Wochen. Nach einem Monat fand Ellie bloß eine Erklärung: Riley musste tot sein. Ein schmerzhafter Gedanke, aber den Umstand konnte sie noch irgendwie akzeptieren. Der Tod war in dieser Welt ein ständiger Begleiter und Gründe gab es reichlich. War es nun durch einen Soldatentrupp oder einfachen Banditen oder durch einen Infizierten. Und gerade als sich Ellie damit abgefunden hatte, wohl nie eine konkrete Antwort zu erhalten, kehrte Riley zurück. Aus dem Nichts heraus stand Riley da und lachte ihr entgegen als hätte es den Streit nie gegeben. Ellie? Ellie wusste nicht, was sie in jenem Augenblick empfand. Erst nach und nach hatte sich eine gewisse Erleichterung durchgesetzt. Riley lebte! Diese Erkenntnis stand über allem und so war es kein Wunder gewesen, dass Ellie ihr Bauchgefühl, ihr Pflichtbewusstsein ignorierte und Rileys Vorschlag nachging. Sie folgte ihr, ohne Wissen wohin sie der Ausflug führte. Wie in alten Zeiten. Als wäre nie etwas gewesen. Zusammen wanderten sie durch das Kaufhaus. Wechselten zwischen kindlichem Getue und ernsthaften Unterhaltungen. Ellie suchte nach Gründen und sie hatte Zeit gebraucht bis Riley ihr Antworten gab und dann… Unbewusst strich Ellie ihre Lippen entlang. Sie hatte Riley geküsst. Einfach so. Ein Impuls, dem sie nachgab ohne einen Gedanken an Konsequenzen. Über Gefühle dieser Art hatte Ellie sowieso nie nachgedacht, aber vielleicht war das die Erklärung für ihr Handeln. Der Grund, warum sie trotz all der Risiken mitging und den Ausflug, so oft sie es auch aussprach, nie abbrach. Wäre die Zeit doch stehen geblieben oder hätte der Moment länger angedauert. Wie leichtsinnig das war, aber obwohl ihnen diese Leichtsinnigkeit das Leben kostete, kam Ellie nicht Drumherum und musste sich eingestehen, dass das die schönste Zeit war, die sie bis dahin erleben durfte. Ein paar Stunden fern der Realität. So sehr Ellie das Kommende auch mitnahm, sie wusste, in den Tiefen ihres Herzens, dieses Risiko wäre sie jederzeit wieder eingegangen und daran musste Ellie denken und festhalten. Das Schicksal zwang sie in die Knie, aber war Ellie nicht alleine. Sie hatte Riley an ihrer Seite und das reichte. Tief atmend sank Ellie zu Boden, zog die Knie an und wartete. Wartete auf Rileys Rückkehr, denn dann, das wusste sie, würde sich besser fühlen. ★ “One, we take easy way out. It’s quick and painless. I’m not a fan of option one.” Die fünfzehnte Stunde ★ Herzhaftes Lachen durchströmte den Raum. Die Taschenlampen dienten als Lichtquellen und, wie sollte es anders sein, ebenso für Unterhaltung. Sie versuchten sich in Schattenfiguren und wirre Geschichten entstanden. Gemeinsam fanden sie Mittel und Wege die Zeit, die ihnen blieb, so angenehm wie möglich zu gestalten. Nachdem Riley zurückgekehrt war, hatte Ellie große Augen gemacht. Vollgepackt mit Lebensmitteln grinste Riley, hielt die Ausbeute triumphierend hoch. Das flaue Gefühl im Magen verblasste, der Hunger kam tatsächlich und Ellie hatte gegessen, viel gesessen, so viel wie schon lange nicht mehr. Woher das Essen kam, hatte Riley nur schemenhaft beschrieben. Meinte, sie hatte bei den Fireflies aufgepasst und Tricks gelernt. Ellie vermutete sie hatte Lebensmittelmarken mitgehen lassen und für den passenden Moment gehortet. Sogar beschlich sie die Vermutung, dass Riley bereits länger das Hirngespinst hatte, sie irgendwann aufzusuchen und mit ihr aus der Stadt zu verschwinden. Warum hatten sie das nicht gleich getan? Irgendein anderes Kaufhaus aufgesucht? War der Schaden angerichtet, dachte man gerne an die Alternativen. Zu spät, aber sie hatten sich und niemand stand dem unerwünschten Ende alleine gegenüber. Ihre Bäuche waren gefüllt, hie und da schlich sich die Müdigkeit ein. Irgendwie merkwürdig. Obwohl der Virus langsam aber sicher ihren Körper befiel, fühlte sie bislang keine Veränderung. Als ob sie einen normalen Streifzug machte. „Ellie…“ Die Lichtstrahlen konzentrierten sich auf einen Punkt. Von einer Sekunde zur nächsten hatte Ellie aufgehört, das Lachen wich dem Schweigen. Riley hatte schnell verstanden und das junge Mädchen, das dicht neben ihr saß, sodass sich ihre Körper berührten und sich gegenseitig Wärme spendeten, genauer unter die Lupe genommen. Fragend wartete Riley ab, doch blieb Ellie in Gedanken, ignorierte ihre Stimme. Ihre Taschenlampe erstarb, wurde unachtsam auf den Boden gelegt. Vorsichtig schlang Riley die Arme um den Körper der anderen, lehnte die Stirn an Ellies Schläfe. Erst diese Geste machte den Unterschied aus und riss Ellie aus ihrem Tagtraum. Riley spürte das kurze Zucken, behielt die Umarmung jedoch bei. „Ich habe unser Wiedersehen verbockt“, murmelte Riley gepackt von Schuldgefühlen. Vielleicht, so schmerzhaft der Gedanke auch war, hätte sie auf Marlene hören sollen. Ellie war auf einem guten Weg, aber brachte sie das nicht übers Herz. Wochen ohne Ellie … das passte nicht. Dagegen kam selbst die Erfüllung ihres Wunsches, endlich ein Mitglied der Fireflies zu sein, nicht an. Ellie gehörte zu ihrem Leben und bevor sie diese gänzlich auf unbestimmte Zeit aus den Augen verlor, hatte sie den Schritt wagen müssen. Gemeinsam hätten sie die Stadt verlassen, sich irgendwie durchgeschlagen und dann machten sie diesen Anfängerfehler. Geblendet vom Wiedersehen, den Albernheiten und … eilig schluckte Riley. Hatte sie je gerechnet geküsst zu werden? Nein. War es angesichts der Lage gar frevelhaft? Ja. Aber verdammt! Die kurze, scheue Berührung ihrer Lippen, wie hatte sich das angefühlt! Schmetterlinge tanzten ausgiebig in ihrem Bauch, das Herz klopfte vor Freude. Das war mehr als sie es sich je erträumt hatte. „Wir beide haben versagt“, murmelte Ellie nach einer Weile, sank gegen den Körper der anderen, verlor jegliche Anspannung. Wann wurde sie das letzte Mal gehalten? Ellie überlegte, aber die Antwort blieb aus. Vermutlich nie, nie auf solch eine Weise. „Wir zahlen den Preis für unser unverfrorenes Handeln.” „Abgesehen vom Biss … ich hätt ‘s wieder getan.“ Erneut quer durch die Stadt, ständig die Panik im Nacken erwischt zu werden. Sofort. Ging es darum, dann empfand Riley keine Reue. „Ellie?”, wisperte Riley, hielte inne, wartete auf ein Signal. Durfte sie den Wunsch äußern? Ein schwaches Nicken folgte und tief atmete Riley durch. Wie es Ellie erging, konnte sie kaum erahnen, aber ihr Körper fühlte sich anders an. Als bekam sie den Kampf, den der Virus verursachte, langsam aber sicher mit. Oder täuschte sie sich? „Verliere ich vor dir meinen Verstand …“ „Halt den Mund! Wir haben ein Abkommen!”, unterbrach Ellie sofort. Tief in ihrem Innersten hegte Ellie einen Verdacht und der sollte unausgesprochen bleiben. Wenigstens noch für eine Weile. „Komm, wir haben noch nicht jeden Witz gelesen“, wies Ellie auf ein neues Thema hin und griff bereits nach ihrem Rucksack. „Okay”, entgegnete Riley nach einer Pause, gab nach. Schweigend saß sie also da, beobachtete Ellie, die das Buch herausholte, auf jene Seite blätterte, an der sie im Kaufhaus aufgehört hatten und Riley versuchte wirklich zuzuhören, auf die Witze einzugehen, aber der Versuch misslang. Vielmehr behielt sie Ellie im Auge, folgte ihren Bewegungen und blieb schließlich an ihrem Gesicht hängen, das durch die Taschenlampe spärlich beleuchtet wurde. Riley kannte jeden erdenklichen Gesichtszug, wusste wie sich ihre Augen in Situationen veränderten. Nichts jedoch mochte sie so sehr wie Ellies Lächeln, dieses Strahlen und wieder klopften Schuldgefühle an. Wäre sie früher gekommen oder hätte sie einen anderen Ort ausgewählt, dann wäre alles anders verlaufen. Sie hätten mehr Zeit gehabt und das wollte Riley so sehr. Zeit mit Ellie verbringen. Keine Stunden, einfach mehr und das hatte Riley gehörig verbockt. Immer und immer wieder drehten sich ihre Gedanken im Kreis, dagegen war sie machtlos. „Riley“, ermahnte Ellie grinsend und fuchtelte mit dem Buch vor deren Augen. Schnell hatte sie realisiert, das die andere ihr kein Gehör schenkte und irgendwie, da fand sie es… süß? Nie würde sie dieses Wort in den Mund nehmen. Das passte nicht zu ihr, aber zu dem Bild, das sich ihr bot. „Ich schätze, das hätte ich mir ersparen können“, setzte sie nach und schüttelte sacht den Kopf. Nicht lange, denn Ellies Grinsen erstarb. Der verträumte Ausdruck auf Rileys Gesicht verschwand, wich den Tränen die lautlos ihre Wege nahmen. Dennoch versuchte Riley ihr Lächeln aufrecht zu halten und bevor Ellie etwas unternehmen konnte, hatte sich Riley bereits nach vorne gelehnt. Hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn und schloss Ellie neuerlich in eine Umarmung. Minutenlang sprachen sie nicht miteinander, hielten sich in den Armen und Riley fragte sich, ob es das war. Dieses Gefühl. Liebe. Bei den Fireflies hatte sie Zeit gehabt und viel mit denen gesprochen, die die Zeit vor der Infektion miterlebten. Sie sprachen von einer Zeit, die Riley nicht kannte, nie erlebt hatte. Wie Ellie gehörte sie jener Generation an, die in diese grausame Welt geboren wurde. Von Kindesbein an lernten sie andere Gesetze, Gegebenheiten und oft hatte sie gesagt bekommen, wie tödlich Gefühle waren. Zusammenarbeit ja, aber am Ende musste man sich oder dem höheren Ziel am Nächsten stehen, nicht einer Einzelperson. Das hatte sie gelernt und dann hörte sie die Geschichten von früheren Tagen. Alltagsgeschichten oder Erzählungen von den Liebsten, die sie irgendwann im Laufe der Jahre verloren haben. Eine vollkommen unbekannte Welt. Einer der Männer hatte von seiner Frau gesprochen, die kurz nach der Quarantäne infiziert wurde. Wie sie sich als Jugendliche kennenlernten und er alles tat, sich gar zum Affen machten, nur um ihre Aufmerksamkeit zu erlangen. Sie fand das durchaus albern, aber die Eindrücke, die sie dadurch erhielt, waren hängen geblieben und waren vielleicht ein Auslöser für ihr waghalsiges Vorhaben gewesen. Riley verstand es jetzt besser. Unüberlegt stürzte man sich ins Abenteuer, aber sie hatte ihr Ziel erreicht und doch, warum durfte sie das Gewonnene nicht auskosten? „In einer anderen Zeit…“, murmelte sie gegen Ellies Hals und griente, „mit gewöhnlichen Schulen, einem anderen Alltag… hätten wir uns da je gefunden… wir hätten glücklich sein können.“ ★ “Two, we fight. There are a million ways we could’ve died today. And a million ways we could die before tomorrow.” Die zwanzigste Stunde ★ Ruckartig schlug Riley die Augen auf. Haare und Kleidung klebten an ihrem erhitzten Körper. Die Folge eines Schweißausbruches, der noch innerhalb des Schlafes eingetreten war. Nach Luft schnappend tastete sie suchend umher, fand Ellies Körper, der eingerollt auf der Seite lag. Sie schlief, sacht hob und senkte sich ihr Brustkorb. Ein Glück! Sekunden behielt Riley die Position bei, horchte den ruhigen Atemzügen ehe Riley das Gefühl bekam, als schneide ihr jemand die Luftzufuhr ab. Hastig zog sie ihre Hand zurück und biss auf ihre Unterlippe. Kein Laut durfte durchdringen und Ellie wecken. Es schmerzte, ihr Herz raste und Riley konnte nichts dagegen tun. Hatte ihr Countdown abrupt geendet? Abgehakt atmete sie, versuchte wenigstens das unter Kontrolle zu bekommen. Tränen brachen durch, verschleierten ihre Wahrnehmung, die sowieso gleich null war. Denn noch herrschte Nacht und es war dunkel. Keine Lichtquelle am Firmament. Alles war verdunkelt, wie jenes Loch an dessen Abgrund Riley stand. Nein, das war nicht das Ende. Noch nicht! Vielleicht, redete sie sich ein, lediglich eine Panikattacke. Ausgelöst durch die Situation oder gar dem Traum, der sie aufwachen ließ. Unangenehm kribbelten ihre Hände und auf Knien rutschte sie entlang, tastete erneut vorsichtig. Lieber kein Risiko eingehen. Wenn sie sich irrte und der Virus ausbrach, dann musste sie hier raus! Den Anblick wollte sie Ellie ersparen und wie sie das Mädchen kannte, würde sie grundlos kaum kehrt machen und verschwinden. Ellie durfte nichts geschehen, nicht ihretwegen! Handelte es sich tatsächlich um einen Anflug von Panik, dann konnte Riley noch immer zurückkommen. Ihr Herz machte einen Sprung als sie den Rucksack ergriff. Rasch riss sie ihn sich um die Schulter und schlich, so gut es ihr möglich war, zur Türe. War es so weit, dann zählte jede Sekunde. Einen Spaltbreit stand die Tür offen und doch zögerte Riley. Verdammt, musste sie erneut wortlos verschwinden? Verstand Ellie ihre Intention? Vergiss das! Ihr erster Gedanke. Zweifel waren deplatziert, gefährdeten bloß Ellies Leben. Die Realität hatte keinen Platz für rührselige Abschiede. Entweder ging sie durch diese Tür oder aber sie blieb und schädigte Ellie. Bevor sie fertig gedacht hatte, stand Riley bereits im Flur und kramte in ihrem Rucksack. Die Taschenlampe half. Rasch fand sie einen Stift. Als Papier diente ein alter, zerschlissener Comic, den sie auf Streifzügen fand. Eigentlich ein Geschenk für Ellie, wusste sie um die Vorlieben des Mädchens, aber darauf hatte sie vergessen. Such nicht, hieß die Nachricht. Für mehr blieb keine Zeit und so drehte sie den Schlüssel, verschloss die Türe. Verschloss den Raum, in dem sich Ellie befand – der Grund warum sie überhaupt dieses Zimmer wählten, niemand konnte ihn unbemerkt betreten – und schob ihn, zusammen mit dem Comic durch den Spalt hindurch. Rissen alle Stricke, so war Ellie im Notfall vorgewarnt. ★ „But we fight for every second we get to spend with each other.” Die vierundzwanzigste Stunde ★ „Das kannst du nicht…“, krächzte Ellie. Fest hielt sie den Comic und das abgegriffene Papier raschelte. Ihre Hände, wie der restliche Körper, zitterten unaufhörlich. Wie konnte die Infizierung so rasch voran schreiten? Sie fühlte nichts dergleichen. Der Comic landete auf dem Boden und Ellie löste den bedürftigen Verband. Unverändert, nichts an ihrer Wunde deutete darauf hin, dass die Infizierung sich verschlimmerte. Gut, unappetitlich sah der Biss schon aus, aber nicht besorgniserregend. Jedenfalls nicht in Anbetracht der Umstände. Sie wusste, dass Körper verschieden reagierten, aber das konnte doch nicht so unterschiedlich verlaufen. Weit waren sie ja gekommen, manchen hatten bereits nach wenigen Stunden verloren. Egal. Das war sowieso nicht der springende Punkt. Vielmehr kämpfte Ellie mit der Tatsache, dass Riley erneut ohne Abschied verschwunden war, sie alleine zurückließ. Ganz gleich wie naiv die Annahme war, sie würden zusammen bleiben und aufs Ende warten, das konnte nur ein schlechter Scherz sein. Riley hätte sie aufwecken können, ganz einfach und da kam Ellie ein Gedanke. Hätte sie es verstanden und wäre auf Abstand gegangen? „Fuck“, stöhnte Ellie. Nein, vermutlich nicht und Riley kannte sie besser als jeder andere. Wann Riley verschwand, konnte sie kaum einschätzen. Auf jeden Fall, so glaubte sie, hatte Riley schon einen guten Vorsprung. Vorsprung… dachte Ellie ernsthaft daran, dass Riley, wenn sie sang und klanglos abhaute, tatsächlich noch Stunden durch die Gegend marschierte? Vergebene Hoffnung, die Realität ist kein Wunschkonzert. Nachdenklich sah sie sich um. Was nun? Hier bleiben und abwarten? Wofür, alleine in diesem Zimmer verrecken, das stand nicht gerade hoch oben auf ihrer Liste. Ellie brauchte erst einmal einen klaren Kopf. Sollte sie raus gehen, dann konnte sie auf Riley treffen und… Gänsehaut überkam sie und sofort schüttelte Ellie den Kopf. Nicht daran denken. Ellie war nicht dumm, hatte bisher eine gute Ausbildung genossen. Sollte sie weiterziehen, dann musste sie schlau vorgehen, so wie geübt. Oder sie blieb und ließ all die angestauten Gefühle raus. Wartete auf ihr eigenes Ende und fertig. Während sie die Optionen abwog, hatte sie nach ihrem Rucksack gegriffen, überprüfte, wie üblich, den Inhalt. Instinktiv suchte sie nach ihrem Klappmesser und staunte als ihr ein anderer Gegenstand ins Auge stach. „Wann…?“, wisperte sie und schluckte. Riley hatte Ellie die Pistole überlassen. Wie angewöhnt zog sie das Magazin heraus, drei Schuss übrig. Genug für den Ernstfall. Was hatte Ellie zu verlieren? Nichts. Nicht denken, nicht fühlen. Einfach handeln. Tief atmete Ellie durch, ermahnte sich zur Konzentration. Schließlich schulterte sie den Rucksack, die Pistole behielt sie in der Hand, zum Einsatz bereit. I've spent enough time alone ---------------------------- ★ „But we fight for every second we get to spend with each other. Whether its two minutes … or two days …” Die fünfundzwanzigste Stunde ★ „Scheiße, Riley!“, schrie Ellie schrill und stolperte rücklings. Der Schock fraß sich in ihren Knochen fest und nach Luft japsend, legte sie die Hand an ihre Brust und spürte das wilde Pochen des Herzens. Die Gestalt, die sich ihr offenbarte, war kein Produkt ihrer Fantasie, des kleinen Hoffnungsschimmers, den sie bei sich trug. Nein. Dort stand Riley und nicht, wie in ihrer schlimmsten Vorstellung ausgemalt, als verwandelter Runner! Klare Augen stierten, strahlten fasziniert, aber nicht ihretwegen. Das Objekt, das die Aufmerksamkeit erhielt, lag in ihrer gefährlich zitternden Hand, wartend und zum Einsatz bereit. Fest umklammernd hielt sie die Pistole, der Zeigefinger bedrohlich am Abzug. Die gesamte Zeit über behielt ihr Arm dieselbe Position. Ausgestreckt auf das Ziel gerichtet und da dämmert es Ellie: Vor Schreck hätte sie fast geschossen. Fast. Es wäre eine intuitive Reaktion gewesen. Immerhin, nachdem Ellie aufgebrochen war und in den oberen Etagen bloß gähnende Leere vorfand, hatte sie durchaus mit dem Gedanken gespielt, der einzige Gast in diesem Gebäude zu sein. Zwar achtete Ellie auf ihre Umgebung und lauschte ob sich in direkter Nähe jemand befand, aber nach und nach kreisten ihre Gedanken um eine mögliche Route. Wo sollte sie entlang gehen? Wo wollte sie überhaupt hin? Das war ihr gleich. Vielmehr suchte Ellie nach einer Möglichkeit, die ihr die Wartezeit angenehmer gestaltete. Ohne Gesellschaft langweilte sie der Unterschlupf, machte sie schon bald, das wusste sie, verrückt. Zu verlockend war die Stille und bot förmlich an, sich zu verlieren. An das Vergangene zu denken, sich gänzlich dem Bevorstehenden hinzugeben, das wollte sie nicht, nicht vollkommen alleine. Hatte sie ja gesehen, was es ihr brachte. Nichts! Und so war es nicht verwunderlich, dass das Betreten des Erdgeschosses und das unerwartete Auftauchen eines Besuchers, der sich ausgerechnet als Riley entpuppen musste, sie vollkommen aus der Bahn warf. Eine bemerkenswert vertraute Situation. Wieder stand sie Riley gegenüber, nachdem sie zuerst spurlos verschwunden war und aus einer Laune heraus erneut in ihr Leben trat, aber was geschah dieses Mal? Bestimmt würden sie kein Kaufhaus aufsuchen. Bestimmt folgte kein albernes Spielchen auf das andere. Vermutlich gab es keinen Kuss, der alles sagte, das Ellie nie aussprechen konnte. Hier gab es keine Musikanlage, die Infizierte anlockte und somit rannten sie wohl kaum um ihr Leben. Dieses Wiedersehen hatte einen vollkommen anderen, neuen Beigeschmack. „Ich empfehle dir abzudrücken.“ Pausenlos behielt Riley die Pistole im Auge, aber schlich sich ein geknicktes Lächeln auf ihre Lippen. War er gekommen? Der Moment, in dem sie dem ersten Gedanken folgten? Ja, sie hatte sich geirrt und sie hätte durchaus Bescheid geben und weitere Stunden mit Ellie verbringen können, aber entschloss sie sich dagegen. Jedenfalls in einem gewissem Maß. Ihre Intuition hatte nicht gelogen. Solange der Virus seine Wirkung nicht entfaltete, würde Ellie weiterziehen und irgendwann hier vorbei kommen. Darauf hatte Riley gewartet, so frevelhaft das Verhalten auch war. Sie kicherte. Nicht fand sie die Gesamtsituation amüsant, vielmehr ihre eigenen und verworrenen Gedanken, Gefühle. Ellie stand da, in unmittelbarer Nähe und hatte die Chance sie von ihrem Leid zu erlösen. Das Mädchen, das sie nicht enttäuschen wollte und es doch tat. Stunden hatte Riley Zeit gehabt und ein Teil akzeptierte den Umstand des näher kommenden Endes. Fassungslosigkeit spiegelte sich im Gesicht des Mädchens wider und Riley lächelte. Bevor sie eine Antwort erhielt, schmiss Riley ihren Rucksack zu Boden, verminderte den Abstand und streckte einladend die Arme aus. „Mach, Ellie. Beende den Wahnsinn.“ Warum länger warten und nicht die einfachste Option wählen? Ein Schuss und aus. Ausgerechnet Riley wollte diesen Weg, obwohl sie anfangs erpicht dagegen war. Leichtfüßig hatte sie den letzten Abstand überbrückt und der Lauf drückte gegen ihre Brust. Drückte Ellie ab, traf die Kugel direkt das Herz. Eine hastige Bewegung reichte. Riley schwor ihrem Vorhaben gänzlich ab und es tat ihr leid, dass sie Ellie diese Bürde auferlegte, aber wie konnte sie dieser Versuchung widerstehen, die sich ihr auf süßliche Weise darbot? „Fick dich!“, brach Ellie ihr Schweigen. Sie hatte sich den Schwachsinn lange genug angehört. Langsam sank sie den Arm und sicherte die Pistole. Anscheinend hatte Riley auf andere Weise bereits den Verstand verloren und diesem Wunsch, dem kam sie bestimmt nicht nach. Vielleicht hatte Ellie einen Moment mit dem Gedanken gespielt, aber umsetzen? Sacht schüttelte sie den Kopf. „Wir haben einen Tag durchgehalten und jetzt kommst du mit der Tour? Ich hoffe du hast eine Erklärung parat!“ Was dachte sich Riley? Erst verschwinden und dann den Tod einfordern? Ellie glaubte wahrlich sich verhört zu haben. Das war Wahnsinn! Riley seufzte hörbar auf, vergrub die Hände in den Hosentaschen und wich dem durchdringenden Blick, den ihr Ellie schenkte, partout aus. Verwerflich war der Wunsch allemal, aber welche Optionen blieben? „Okay, du bist wütend. Ist in Ordnung“, murmelte Riley und dachte nach, denn anscheinend konnte Ellie ihre Intention doch nicht so gut nachvollziehen, wie erhofft. „Shit, du hast aufgepasst!“ „Nachts bin ich aufgewacht“, startete Riley ihren Erklärungsversuch und ignorierte den Kommentar gekonnt, „und ich dachte, es ist aus. Da kam die Angst und ich habe mich rausgeschlichen. Um dich zu schützen, habe ich versucht eine größere Distanz zwischen uns zu bringen.“ Im Nachhinein hatte sie natürlich kläglich versagt, aber lag ein anderer Grund dahinter. Nachdem sie das Zimmer verließ, erging es Riley miserabel. Sie kam gerade so ins untere Stockwerk und dort harrte sie über eine Stunde aus. Erst dann beruhigte sie sich allmählich. Der Virus brach nicht durch, aber ein Zurück war einfach nicht möglich. Jede Stunde die verstrich, machte Riley wahnsinnig und sie suchte Ablenkung. Eine Weile wanderte sie die Straße entlang, klapperte die umliegenden Gebäude ab. Locker hätte sie endgültig aus Ellies Leben verschwinden können und doch zog es sie zurück. Ob ihr Umdenken an der Verzweiflung, nicht zu wissen wohin sie gehen sollte oder an der Sehnsucht lag, ein letztes Mal Ellie zu sehen, konnte Riley kaum sagen. Vielleicht eine Kombination aus beidem. Wieder saß sie bloß da, hing ihren Gedanken nach und wartete. Wartete auf das Unvermeidliche, das einfach nicht eintrat. „Der Virus hat mich durchdrehen lassen… ich hatte eine beschissene Panikattacke. Mir ist klar, dass ich dich enttäuscht und dir Sorgen bereitet habe, aber Ellie? Ich fühle mich nicht schuldig. Nicht deswegen. Ich habe mich richtig entschieden, weißt du warum? Wäre ich geblieben und wäre der Virus ausgebrochen…“, brach Riley schließlich ab und schluckte schwer. Sie erschauderte bei dem Gedanken an das Mögliche. „Ich möchte nicht diejenige sein, die dir am Ende wehtut.“ Das war der große Haken, den die zweite Option aufwies. Eine würde vermutlich vor der anderen verlieren. „Wir haben eine Abmachung getroffen“, brachte Ellie gepresst hervor. Eine andere Antwort fand sie nicht. Riley runzelte die Stirn, sah zu ihr. „Ja und die ist ehrlich gesagt, vollkommen bescheuert.“ Wollte Ellie nicht verstehen, dass das naives Wunschdenken war? Da lag keine Romantik dahinter. Schon bald war es vorbei und was dann? Eine zerfleischt die andere? Wollte Ellie diesen Ausgang? „Wir haben eine Abmachung!“, wiederholte Ellie verbissen und grob schubste sie Riley. „Glaubst du, dass das alles besser macht?!“, Wut, die sie versucht hatte zu unterdrücken, kroch hoch und übernahm die Kontrolle. Die Intention dahinter war ihr egal. Das war keine Erklärung, die Ellie einfach so akzeptierte. Immerhin wussten sie von Anfang an worauf die gewählte Option hinaus laufen würde. „Du bist verschwunden. Wieder! Alleine dahin vegetieren… da hätten wir uns gleich trennen können!“ Ellie hörte nicht auf, immer wieder stieß sie Riley, die nichts dagegen unternahm. „Ellie…“ „Du hast aufgegeben!“ Ein verdächtiges Glitzern war in den Augen des Mädchens erkennbar. Warum ließ Riley sie im Stich, nach allem das war? Erneut ließ man sie zurück. Ihr ganzes Leben lang schon blieb sie irgendwann alleine. Alleine sein… Ellie hasste dieses Gefühl und insgeheim hatte sie gehofft, wenigstens am Ende nicht der Einsamkeit zu verfallen. „Denk nach, Ellie! Wie kann ich bei dir bleiben, wenn ich weiß, ich verliere mich! Was erwartest du? Soll ich schweigen und dich angreifen? So romantisch der Gedanken sich anhörte… das ist er nicht! Ich will dich vor mir beschützen!“ „Warum bist du dann hier?“ Ellie wollte schreien, aber versagte ihre Stimme. Da sprach Riley vom Beschützen und war doch zurück. Wo lag der Sinn dahinter? Traurig lächelte Riley, strich sanft die Tränen fort, die mittlerweile den Weg über die Wangen fanden. „Weil ich meinem Herzen gefolgt bin“, war die einfachste und schnellste Antwort, die der Wahrheit entsprach. „Diese Welt ist abscheulich, emotionslos. Unserer Generation, wie den darauffolgenden, ist die Kindheit genommen worden. Von Kindesbein an müssen wir uns erwachsen verhalten. Wir lernen das Töten anderer. Zehnjährige sind bessere Jäger und Mörder als sie sein sollten. Schau uns an, Ellie. Wir wandeln zwischen kindlichem Getue… tiefsinnigen Gesprächen… dem nackten Überleben. Hätte ich mich an das Gelernte gehalten, an das von mir Erwartete… ich hätte dich nie aufgesucht. Nie. Mein Fehler und der kostet unser beider Leben.“ Riley ließ los, ließ den Kopf sinken und schnaubte verächtlich. „Fuck, Ellie! Wir sind jung, beide in einem Alter, in dem wir erst recht Fehler machen sollten! Geleitet von Gefühlen, von blödsinnigen Ideen. Ich bin fünfzehn, aber ich fühle mich alt und diese eine Mal, wenn ich schon draufgehe, wollte ich meinen Gefühlen nachgehen. Unser aller eingeprügeltes Pflichtgefühl links liegen lassen.“ Je länger sie mit Menschen sprach, die die Welt vorher kannten, desto größer wurde das Verlangen danach. Gestillt würde es nicht werden, aber wenigstens ein bisschen davon, das wollte sie. „Sieh her“, setzte Riley fort, riss sich den Verband ab, „ich kann mitansehen wie die Infektion sich ausbreitet. Die Wunde wird von Stunde zu Stunde schlimmer und ich fühle, wie es mir schlechter geht. Das ist die Realität, die abgefuckte Ohrfeige die diese Welt bereithält, wenn du emotional wirst.“ Der Biss stach Ellie förmlich ins Auge und sie dachte an ihren eigenen. Ihre Wunde sah so anders aus. „Mime du die Erwachsene und geh!“ Ellie biss sich auf die Unterlippe, zögerte nur einen klitzekleinen Moment, ehe sie die Arme um Riley schlang und sich eng an deren Körper drückte. Den Sinn hinter alledem, den konnten sie lange suchen. Vielleicht existierte er gar nicht und selbst wenn, warum brauchten sie ihn? Die Zeit schlug gegen sie und dass diese Welt beschissen war, fuck, das wusste Ellie schon lange, aber egal welchen Ausgang sie nahmen, alleine wollte und konnte Ellie den Schritt nicht bestreiten. Das Leben schuldigte ihr einiges und das forderte Ellie ein. „Du weißt, dass ich das nicht kann.” ★ „We don’t give that up. I don’t want to give that up.” Die siebenundzwanzigste Stunde ★ Riley stöhnte. Das Gesicht hatte sie in den Handflächen verborgen. Warum hörte es nicht auf? Eine geschlagene Stunde schon, dröhnte ihr der Schädel und statt einer Besserung, verschlimmerte sich der Schmerz. Als ob das alleine nicht ausreichte, verkrampfte sich ihr Körper zunehmend. Ein wahrhaft schlechtes Omen. Wie vorhergesehen blieb Riley. Sie hatte keine Kraft gefunden um Ellie vom Gegenteil zu überzeugen, denn diese blieb standhaft und wäre ihr sowieso gefolgt. Irgendwie waren sie eben doch noch… Kinder? Teenager? Was auch immer. Riley hatte längst aufgehört und verschwendete keine Gedanken. Sie waren zusammen und fertig. Viel Zeit blieb ihr nicht mehr, das spürte Riley, mit jeder Faser. Gern hätte sie, trotz der ganzen Diskussionen, die Pistole genommen, aber die hatte ja Ellie. Eine törichte Entscheidung. „Riley“, nahm sie verschwommen wahr, „ich hab Wasser gefunden.“ Vorsichtig hob Riley den Kopf, lehnte diesen gegen die Mauer. Ellie lächelte, hockte vor ihr und hielt eine Flasche in die Höhe. Schweigend musterte sie ihre Freundin, zog nachdenklich die Brauen zusammen. Warum? Eine Frage, die sie nicht mehr verdrängen konnte. Wenn sie Ellie so sah, dann hatte Riley das Gefühl, dass nur sie gebissen wurde. Sie erkannte keine Veränderung. Das Mädchen, das ihr die Welt bedeutete, schien gesund. Nach und nach schlich sich eine wage Vermutung ein, die genauso töricht war. Nur weil der Virus ihr schneller den Gar ausmachte, hieß es nicht, dass er gegen Ellie machtlos war. Bloß einer dieser lächerlichen Hoffnungsschimmer, der ihr dennoch gleichzeitig Panik bescherte. Schließlich nahm sie die Wasserflasche. Anstatt zu trinken, drehte sie diese lediglich in den Händen. Deutlich vernahm sie das laute Rufen des Abgrundes. Noch stand sie am Rand, aber sie hielt sich gerade so noch, mit zittrigen Beinen. Schon bald, das war offensichtlich, würde sie ausrutschen und in der Schwärze verschwinden. Ohne Ellie. Ohne dem Wissen an ihr altes Ich. „Riley…“ Eine Hand legte sich auf ihre Wange. Eine zarte und wärmende Berührung. Müde schmiegte sie sich an die Handfläche, schloss die Augen. Schwach zuckten ihre Mundwinkel. „Vielleicht…“, nuschelte Riley. Verdammt, diese wage Vermutung war verlockend, „vielleicht meint es das Schicksal gut mit dir.“ Ellie verstand nicht und so runzelte sie die Stirn. Leicht öffneten sich Rileys Augen, doch sahen sie sie nicht an. „Ich hab langsam das Gefühl…“ Riley suchte nach den passenden Worten. Die Leute sprachen oder träumten vielmehr von diesem Szenario. Allein die Fireflies suchten akribisch nach einem Heilmittel. Bislang gab es keine Ergebnisse. Nie hatte Riley von solch einem Fall gehört. Durfte sie die Vermutung aussprechen oder war ihre Einschätzung aufgrund von Gefühlen verfälscht? „Entweder hast du ein verdammt gutes und kämpferisches Immunsystem oder… du bildest die Ausnahme, die die Regel bestätigt.“ „Du solltest dich lieber hinlegen.“ „Ellie, ich glaube, du bist immun.“ Riley lachte leise während Ellie irritiert blinzelte. Immun? Automatisch glitt ihr Blick auf ihren Unterarm. Die Wunde wies weiterhin keine Veränderung auf, wirkte tatsächlich wie ein normaler Biss, aber immun? Nie und nimmer. Ellie seufzte und lehnte ihre Stirn an Rileys. „Du fantasierst“, murmelte sie, „und hast wohl Fieber.“ „Wer fantasiert hier? Mir ist arschkalt, das ist kein Fieber“, gluckste Riley grinsend. Ellie schnaubte, schüttelte sacht den Kopf und ließ sich neben die anderen sinken. Einladend hob sie den Arm und wartete bis Riley dem nachging und sich regelrecht an sie kuschelte. Tief atmete Riley durch, bettete den Kopf an Ellies Schulter und schloss die Augen. Die von ihrem Körper ausgehende Wärme tat gut und war beruhigend. „Du bist es.“ „Halt die Klappe.“ Ellie wollte nichts davon hören. Wie konnten sie darüber sprechen, wenn sich Riley Zustand sichtlich verschlimmerte? Jeder Körper reagierte eben anders. Das war ein Fakt. Bald schon kam sie an die Reihe und ihr erging es gleich. „Du wirst mich töten und weiterleben…“ Ruckartig weiteten sich Ellies Augen und ihr Griff festigte sich. „Nerv mich länger und ich dreh dir deswegen den Hals um.“ Ellies Kommentar bot ihr eine ordentliche Vorlage, aber bevor sie diese verstimmte, hielt Riley lieber den Mund. Eine Diskussion wollte sie wahrlich nicht riskieren. „Okay… habe ich dir je von meiner größten Angst erzählt?“ Nicht gerade eine angenehmere Thematik, aber Riley hatte keine Lust stundenlang über Träume zu quasseln. Dafür war ihr die verbleibende Zeit viel zu kostbar. Warum also nicht ein paar Sachen von der Seele reden, die womöglich ausgesprochen gehörten? „Nie“, gab Ellie nach einer kurzen Bedenkzeit zu verstehen. Selten sprachen die Leute darüber. Manches musste nicht ausgesprochen werden und viele hegten sowieso dieselben Ängste. Ellie selbst hatte bisher kaum Einblicke gewährt. „Grundlos sterben“, sprach Riley unverblümt und wieder grinste sie. Der Tod an sich, der war nie das eigentliche Problem gewesen. In dieser Welt galt er als ständiger Begleiter und wartete auf jede noch so kleine Gelegenheit. Seit jeher fragte sie sich jedoch, wie er sie holte. „Ich wollte nie aufgrund einer dümmlichen Lappalie sterben.“ Argwöhnisch verzog sie ihr Gesicht. „Bei den Fireflies hätte es passieren können. Ich hab mich umgehört… da sterben sie und nicht durch Kämpfe mit dem Militär oder Plünderern. Nein… durch Infizierte. Meist kommt nur die Hälfte der losgeschickten Gruppe zurück. Genauso gut hätte ich auf dem Weg zum zugeteilten Stützpunkt sterben können.“ Wie schnell solch ein Fehler unterlief, hatten sie beide am eigenen Leib gespürt und durch den Virus verenden gehörte weiterhin nicht zu ihren Wunschszenarien, aber ihre Angst hatte sich nicht bewahrheitet. „Ich hab auf mein Herz gehört und dich aufgesucht. Ist ein guter Grund, oder?“ „Technisch gesehen, stirbst du nicht. Du lebst als Irre weiter“, versuchte Ellie sich lustig anzuhören, aber bebte ihre Unterlippe. Allmählich glaubte sie, nicht der Virus brachte den Wahnsinn sondern die eigene Psyche, die nach und nach durch das nervenaufreibende Warten ineinander brach. Riley schlug die Augen auf und hob den Kopf an, der sofort mitteilte wie wenig Freude er durch die Bewegung empfand. Langsam ging es ihr erbärmlich und Ellie sah ihr den miserablen Zustand mit Sicherheit an, aber warum sollte sie sich stärker darstellen als sie derzeit war? Selbst dafür fehlte ihr jegliche Kraft. „Scheiß drauf. Der Mensch, der ich bin… der stirbt. Was interessiert mich mein Körper? Außerdem… stirbt Riley, schickst du die gehirnlose Hülle…“ „Riley!“, unterbrach Ellie, spürte den neuerlichen Tränendrang, aber musste sie lachen als Riley sich mit ihrem Finger erschoss und theatralische Grimassen zog. „Du bist unmöglich und leidest definitiv an Stimmungsschwankungen.“ „Ich sage ja, mein Gehirn ist bald Matsch.“ I'm only human -------------- ★ „My vote? Let’s just wait it out. Die neunundzwanzigste Stunde ★ „Behalt mich in Erinnerung, bitte.“ Stille hatte sich ausgebreitet. Die gesamte Zeit verharrten sie in derselben Position; Arme eng umeinander geschlungen und Rileys Kopf lag neuerlich an Ellies Schulter. Beide fanden keine passenden Worte und anfangs wirkte das Schweigen wie sonst, angenehm und entspannend. Die nächste Nähe reichte, aber nach und nach veränderten sich die Gemüter. Ruhe lud ein und irgendwann schlichen sich wieder Sorgen und Gedanken ein, die die beiden lieber für sich behielten, die bloß ihnen alleine gehörten. Ellie lehnte den Kopf zurück, starrte zur Decke hoch. Ob Riley schlief? Länger hatte sie keine wirkliche Bewegung mehr registriert. War es schlimm, dass sie der Umstand erleichterte? Das Schweigen mochte Ellie irgendwie. Einerseits folgte kein Schönreden der Situation und auf der anderen Seite musste sie kein Gespräch über Folgen führen. Lieber hing sie ihren eigenen Gedanken nach, die sie sowieso auf Trab hielten. Mittlerweile beobachtete sie ihren Arm vermehrt. Die Bisswunde tat weh, aber in einem Maße, wie es jede Wunde tat. Ihr Körper fühlte sich dementsprechend normal, so wie immer. Da war es kaum verwunderlich, warum Ellie abermals an Rileys Worte dachte. Das hieß nicht, dass sich Ellie eine etwaige Immunität zusprach. Bestimmt nicht, doch suchte sie dennoch nach einem Grund, warum bislang nichts geschah. Merkwürdig, wenn sie an ihre Freundin dachte, der die Infizierung ins Gesicht stand. Obwohl es, aus Erfahrung sprechend, unrealistisch war, dem Virus standzuhalten, ließ sich Ellie auf einen Gedankengang ein. Einen klitzekleinen, den sie dem Hoffnungsschimmer verdankte, denn Ellie würde lügen, würde sie sagen, sie wollte insgeheim nicht doch weiterleben. Genau der Punkt, der ihr unangenehm aufstieß. Seitdem sie den Biss gesehen hatte, versuchte sie das kommende Schicksal anzunehmen, zu akzeptieren und mit dem bisherigen Dasein abzuschließen. Umso schlimmer empfand sie daher die Tatsache, sollte das kindliche Wunschdenken zur Realität werden. Immerhin, in ihren Armen lag Riley und wie viel Zeit ihr blieb, das war fraglich. Egal, wie es ausging, Ellie fühlte sich für ihr Befinden schuldig und genauso betrogen. Sie schloss mit ihrem Leben ab. Wie konnte ihr das Schicksal erneut einen Strich durch die Rechnung machen. Riley war das Wichtigste in ihrem Leben und ausgerechnet sie wurde ihr schon bald genommen. Das musste ein Irrtum sein. Bestimmt brauchte der Virus, aus welchem Grund auch immer, länger. Ihr Immunsystem leistete eben eine gute Arbeit. Krank war sie in der Vergangenheit nie gewesen, jedenfalls fand Ellie keine Erinnerung und daher nahm sie ihr Immunsystem als Erklärung. Entweder sie beide oder niemand, den Weg hatten sie sich ausgesucht! Alles andere war inakzeptabel und nicht mit ihrem Gewissen vereinbar. Riley erging es miserabel, aber war sie stets munter. Absichtlich hielt sie sich ruhig, denn wusste sie nicht recht, was sie tun oder sagen sollte. Ihre Laune passte sich dementsprechend an und hatte einen Tiefpunkt erreicht. Ellies Körper half nicht mehr, sie spürte keine Wärme und die Position behielt sie lediglich bei um ihre Ruhe zu haben. Sie wollte nicht reden oder brauchte einen fragenden Ausdruck, sie wollte einfach nur… diese erlösende Stille. Rileys Laune hatte wahrhaft einen Punkt erreicht, an dem sie nie zuvor stand. Lag vielleicht an der Warterei oder eben an den Gedanken, die sie sich machte. All die Gefühle der letzten Stunden waren wie verflogen, was blieb, war bloß eine einzige Regung: Neid. Über einen Tag hielt sie bereits durch und Riley wusste, dass der Countdown bald beendet war, aber sagte sie nichts. Vielmehr zerfraß sie der Neid und dieser machte sie wütend. Ellie hatte keinerlei Probleme. Ellie ging es gut. Sie selbst war diejenige gewesen, die Ellie darauf hinwies. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie gehofft, dass das so blieb und wenigstens Ellie eine zweite Chance erhielt. Mittlerweile änderte sich Rileys Sichtweise, stark sogar. Warum durfte sie dieses Glück nicht erfahren? Für Riley gab es keine andere Erklärung, für sie existierte nur eine Antwort. Ellie war diese beschissene Ausnahme, die alle bisherigen Regeln auf den Kopf stellte und sie nicht. Sie war einfach Riley, ein normales, durchschnittliches Mädchen während Ellie den Sonderstatus erhielt. Die andere Option hätte ihnen sofort den Gar ausgemacht und beide mit dem gleichen Schicksal bedient, aber nein, Riley musste die Romantikerin spielen. Dieses verliebte, naive Ding und nun blieb die Rechnung auf ihr sitzen. Das war nicht fair! ★ You know, we can be all poetic…” Die dreißigste Stunde ★ „Verpiss dich, Nervensäge!“ Dann trat das Unvermeidbare ein. Binnen kürzester Zeit machte Riley eine Veränderung durch. Sie wurde wütender, ertrug Ellie Nähe nicht länger. Unsanft stieß sie sich von dieser ab, schritt wankend umher. Ellie blieb sitzen, ihre Augen jedoch verfolgten jegliche Bewegung. Irgendetwas murmelte Riley, aber Ellie konnte die Worte nicht hören. Rastlos durchstreifte Riley den gesamten Raum. Hielt sich hie und da den Kopf. Eigentlich das Signal, auf das sie gewartet hatten. Anstatt es anzunehmen und zu verschwinden, machte Ellie den Fehler. Zwar stand sie auf, aber führten sie ihre Beine nicht zur Türe sondern vielmehr in Richtung Riley. „Ich hasse dich!“, zischte Riley sobald Ellie nah genug war und packte diese grob an den Schultern. „Was macht dich besser?!“ Wütend, das war Riley, auf jeden Fall. Als ob ein Schalter umgelegt war, der die Gedanken und Gefühle der letzten Stunden, die sie so unterdrückte, an die Oberfläche beförderte. Ein Zucken durchfuhr Ellies Körper und sie schluckte. Erwartete Riley etwa eine Antwort? Schmerzhaft nahm sie die Fingernägel in ihrer Haut wahr, den festen Druck. „Bei Fireflies musste ich mich beweisen und Marlene sieht in mir vermutlich eine weitere, zum Opfern verdammte Schachfigur, aber dich möchte sie in Sicherheit sehen“, machte sie weiter und drängte Ellie immer weiter zurück. „Für dich habe ich meinen Traum aufgegeben und bin gebissen worden! Wieder stichst du hervor!“ Wie von Sinnen schrie sie auf Ellie ein, die unwissend war, wie sie reagieren sollte oder gar durfte. Immerhin, egal wie weh es tat, Riley sprach die Wahrheit. Schließlich spürte Ellie Widerstand; sie hatte die Mauer im Rücken. „Riley… hör auf“, krächzte sie und befreite sich schließlich aus dem Griff. Was brachte das? Eine Antwort fanden sie sowieso nicht und darüber würde Ellie gewiss keine Diskussion starten. Zumal sie wusste, dass das noch weniger Sinn ergab. Die Situation erhielt einen bedrohlichen Unterton. Vielleicht sprach Riley tatsächlich ihre Gedanken aus und Ellie verstand sie, durchaus, aber vielmehr brach der Virus durch und das war viel schlimmer. „Das bist nicht du, kämpf an.“ Ellies Instinkt sagte, sie solle endlich die Beine in die Hand nehmen und genügend Abstand zwischen sie bringen. Wieder ignorierte sie ihn. Wie konnte sie darauf hören, wenn sie es sich versprochen hatten? „Ich lass dich nicht im Stich“, flüsterte sie und das hielt sie ein. Egal, was kam. Am Ende durfte sie nicht verschwinden und Riley sich selbst überlassen. „Hass mich ruhig. Ich bleibe.“ Ohne Riley hatte sie sowieso nichts und niemanden mehr auf der Welt. Selbst wenn, und wieder kam dieser hartnäckige Gedanke, sie immun war, die Leute würden nach ihrem Leben trachten, sobald die Wunde gesehen wurde. Der Virus war in ihrem Körper und der Ausbruch konnte noch erfolgen. „Riley?“, fragte sie schließlich nach, da sie seitdem keine Antwort oder gar Regung mehr erhielt. Riley stand lediglich da, das Kinn ruhte auf der Brust. Schlaff hingen die Arme an den Seiten. „Komm schon, lass den Blödsinn“, wisperte Ellie gepresst. Sie atmete schneller, hörte das Pochen ihres Herzens und starrte angsterfüllt ihre Freundin an. Für den Moment fühlte es sich an, als ob die Zeit stehen bliebe und wie lange dieser andauerte, das konnte Ellie wahrlich nicht einschätzen. Was kümmerte sie sich überhaupt darum? Das Einzige, das nun zählte war, das der Virus gewonnen hatte. Ellie erkannte es in jener Sekunde, in der Riley den Kopf hob und sie selbst im gleichen Atemzug instinktiv die Pistole zückte. ★ „… and just lose our minds together.” Die einunddreißigste Stunde ★ Ein Gerangel war entstanden. Ein zu langer Wimpernschlag hatte ausgereicht. Von einer Sekunde zur nächsten attackierte Riley ihre Freundin, brachte diese zu Fall. Dieser lächerliche Augenblick reichte aus und Ellie war in ernsthaften Schwierigkeiten. Die Pistole fiel zu Boden und mit aller Kraft versuchte sie Riley von sich zu stoßen. Noch ein Fehler und Ellie würde zerfleischt werden. Ellie hörte das Fauchen, spürte den Atem auf ihrem Gesicht, das so nah an Rileys war. Ausgerechnet diese Möglichkeit hatte sie solange versucht aus ihren Gedanken zu verbannen. Nur einmal musste Ellie nachgeben und dann würde sie auf diese Weise verenden, aber genau das wollte sie nicht. Sie wehrte sich dagegen. Ein Rohr zerschlug die Scheibe. Ein erstickter Schrei beendete den Wutausbruch; verkrampfte jeden Muskel und zwang den bebenden Körper in die Knie. Fingernägel krallten sich in den Teppich. Tränen sammelten sich in den Augenwinkeln und so sehr Ellie sich dagegen wehrte, die Augen fest zusammendrückte, flossen sie ungebändigt. „Hör auf!“, brachte Ellie gepresst hervor. Irgendwie musste sie Riley auf Abstand bringen. Rasch warf sie einen Blick zur Seite. Die Pistole lag weiterhin in nächster Nähe, sie musste bloß nach ihr greifen. Wie? Die andere war stark und vollkommen von Sinnen, getrieben von einem einzigen Instinkt: Fressen. Ellie riss die Augen auf. Das Messer. Stets trug sie es an ihrem Körper. Sie musste schnell reagieren, wenn sie das Risiko nahm. Lange hielt sie nicht mehr stand. Dafür blockierte Riley ihren Körper mit dem eigenen zu sehr. Ein letztes Mal suchte Ellie in den Augen der andere nach irgendeinem Hinweis. Doch war es, wie es kommen musste, von Riley blieb nichts übrig, bloß die leere Hülle. Entweder wagte sie den Versuch oder sie starb. Panisch linste Ellie auf die Leiche ihrer Freundin, die knapp zwei Meter neben ihr lag … da war er, der Moment der ihr den endgültigen Tiefschlag verabreichte. Ellie würgte, stützte sich nach vorne hin ab und entleerte ihren Mageninhalt. Schnell war es von statten gegangen. Ellie ließ von den Händen der anderen ab, stieß mit dem Unterarm kräftig gegen die Kehle, zückte das Klappmesser und rammte es in Rileys Schulter. Ein verzerrter Aufschrei folgte und Ellie nutzte die Gunst der Stunde, drückte das Messer tiefer und stieß mit letzter, geballter Kraft Riley von ihrem Körper. Viel war nicht vorhanden, dass sie erbrechen konnte, aber hörte der Würgereiz kaum auf. Dauerte Minuten an, in denen sie schmerzhaft verkrampfte und allmählich mischten sich die Tränen am Kinn mit ihrem Speichel. Als ihr Körper schließlich ruhiger wurde und Apathie sie einnahm, wischte sie sich druckvoll mit dem Ärmel die verräterischen Anzeichen fort. Ellie fiel zur Seite und schloss die Augen. Zittrig hievte Ellie sich auf die Beine, torkelte nach hinten und hielt die Pistole ausgestreckt Richtung Riley. Wieder lugte sie aus dem Augenwinkel zur Türe. Ein Gedanke, den sie rasch verwarf. Ellie wusste, sie hatte kaum noch Kraft übrig. Ein Warnschuss in den Oberschenkel folgte, als Riley sich erneut auf Ellie stürzen wollte. „Hau einfach ab.“ Hechelnd hoffte Ellie sie würde das tun. Verzweifeltes Wunschdenken. Entweder zielte sie richtig, wie in der Militärschule gelernt, oder aber sie nahm einen anderen Ausweg. Entweder – oder. Entweder… oder. Fuck, sie hasste das! Das bisherige Getane reichte nicht aus. Riley rappelte sich auf. Der Virus trieb den Körper immer weiter als ob der Schmerz gänzlich ausgeblendet wurde. „Ich wünschte, ich hätte dir sagen können, was ich empfinde“, flüsterte Ellie und scheiterte am Versuch eines Lächelns. Bevor Riley ihr zu nahe kommen konnte, festigte sich ihr Griff um die Pistole und dieses Mal gab es kein Zögern, kein Zittern, kein Ausweichen. Ellie drückte den Abzug und die Kugel verfehlte nicht ihr Ziel, drang durch die Stirn ein. Minuten später raffte Ellie ihren Oberkörper auf, rutschte nach hinten bis sie die Mauer im Rücken spürte. Wann setzte sich der Virus endlich durch und nahm ihr all die Erinnerungen? Wieder fiel Ellies Blick auf Riley, dieses Mal überkam sie kein Würgen, sondern lediglich ein Schauer. Wie lange sie ihre Freundin betrachtete, wusste Ellie nicht, aber irgendwann kam ihr ein rettender Gedanke, der sie von den Schuldgefühlen erlösen würde. Die Pistole lag noch an derselben Position und sie hatte die genaue Zahl der verbleibenden Munition im Kopf. Ellie durfte zwischen den Optionen wählen, niemand war mehr hier, der sie aufhalten konnte. Der einfachste Ausweg. Ein Schuss und aus, sie müsste nicht länger warten. Aufstehen war unmöglich, ihre Beine gaben nach und so überwand Ellie den Abstand kriechend. Dieses Mal, aus wahrlich nächster Nähe, riskierte sie keinen Blick auf die Leiche. Tranceartig strich Ellie den Pistolenlauf entlang. Ähnliche benutzte die Militärschule für Übungen. Immerhin mussten die Absolventen manchmal direkt an die Front und Schusstraining war überlebensnotwendig. Der Unterschied lag darin, dass sie stets unter Aufsicht standen und nie scharfe Munition erhielten, aber dennoch existierten innerhalb der Mauern gewisse Vorfälle. Offiziell galt die Stadt als abgeriegelt und der Bevölkerung wurde Sicherheit vermittelt. Keine Infizierten. Eine Lüge, die jeder durchschaute, der seinen Verstand einsetzte. Die Bedrohung war allgegenwertig und manche hielten dem nicht stand, auch unter den Schülern. Natürlich sprachen die Verantwortlichen von Unfällen, aber sie alle kannten die Wahrheit, die gern vertuscht wurde. Die Moral musste aufrecht gehalten werden. Keine Unfälle sondern Selbstmorde. Besonders unter den Schülern, die kurz vor ihrem Abschluss standen und dementsprechend für das kommende Einsatzgebiet unterrichtet wurden. Fast alle hofften auf eine Stationierung innerhalb der Stadt, wo sie für die Bekämpfung der Fireflies zuständig waren oder höchstens an den Grenzposten patrouillierten. Leider kam dieser Sprung selten direkt nach dem Abschluss. Dieses halbwegs angenehme Leben musste verdient werden und da es außerhalb immer brenzliger wurde, mussten die Absolventen nachrücken. Den Kampf mit Infizierten, insbesondere mit jenen, die ein höheres Stadium aufwiesen, war eine andere Sache. Ellie hatte bisher zwar bloß Runner gesehen, aber hatte sie von anderen gehört. Im späteren Verlauf der Ausbildung wurde man über diese in Kenntnis gesetzt, auf sie abgerichtet. Hier bleiben war das Wunschziel und wurde es nicht erfüllt, setzte manchmal Panik ein. Lieber zogen sie dann den Tod aus eigener Hand vor als durch einen Infizierten zu sterben. Bisher hatte Ellie, obwohl die Welt grausam erschien, nie Selbstmord in Erwägung gezogen und ausgerechnet nun, nachdem sich ihr Überlebensinstinkt breitgemacht und sich gegen Riley gewehrt hatte, dachte sie darüber nach. Die letzte Kugel aufbrauchen und die Sache war ausgestanden. Die erste Option, sie hätte ihr all den Kummer erspart und doch hatte sich die zweite Variante so schön angehört. Abgesehen vom Ende war sie das ja irgendwie gewesen. Ein paar Stunden hatten sie dennoch miteinander gehabt und das konnte Ellie unmöglich als schlecht darstellen. Die Hand, in der sie die entsicherte Waffe hielt, ruhte auf ihrem angezogenen Knie und Ellie starrte förmlich auf diese. Ihr Finger umfasste bereits den Abzug. Obwohl ihr der Ausweg auf einem silbernen Tablett präsentiert wurde, zögerte Ellie. Durfte sie die Option wechseln? Riley hatte die Chance gehabt als sie nachts verschwand. Hätte sie die Pistole mitgenommen, dann wäre Ellie vielleicht aufgrund des Schusses aufgewacht und dann hätte sie womöglich auf irgendeine Weise die Leiche ihrer Freundin per Zufall oder gezielter Suche gefunden. Riley nahm nicht die einfache Lösung sondern blieb bis Ende auf dem gemeinsam beschlossenem Weg. Wäre das Verrat, wenn sie nun ihre Entscheidung revidierte? Dazu kam eben der eigene Überlebenswillen. Wehrte sich jemand, der sterben wollte, so gegen eine Infizierte, die ihr nach dem Leben trachtete? Wohl kaum. „Scheiße“, murmelte Ellie. Druckvoll fuhr ihre freie Hand über ihr Gesicht, verkrallte sich in ihrem Haar. Zum aus der Haut fahren. Ellie hielt das Hin und Her nicht länger aus, drückte einfach ab und die Kugel schlug in die Wand gegenüber ein. Die Munition war endgültig aufgebraucht. Angewidert warf sie die Pistole hinterher und zog zähneknirschend die Beine eng an den Körper. Erschießen galt als keine Option mehr und so kauerte sie am Boden, unwissend was die kommenden Stunden für sie bereithielten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)