Das andere Leben von Saph_ira (Oder ein alternatives Ende zu "Ein zweites Leben") ================================================================================ Kapitel 1: Frieden ------------------ Es war geschafft, ihr zweites Leben war erfüllt. Ihre Kinder waren schon längst erwachsen, verheiratet und führten ihr eigenes Leben. Oscar hatte gemeinsam mit ihrem Mann ein beträchtlich hohes Alter erreicht und vielleicht war es das, warum sie manchmal anfing über ihr gemeinsames Leben nachzudenken. Sie spürte, dass auch dieses Leben bald zu ende sein würde und das bedauerte sie nicht einmal. In ihrem Haus in Arras waren sie glücklich. Aber nicht nur Glück und Freude hatten sie erlebt – so wie in diesem, so auch im früheren Leben waren Trauer, Schmerz und Verlust von Bedeutung gewesen. Über die Ära hinweg, hatten sie nach Liebe in der Welt gesucht – hinter ihnen her blieb meistens nur Staub... Nur die Glaube wärmte sie in der schwersten Stunde und rettete sie erneut die Liebe... Die Liebe und der Tod, das Gute und das Böse... Was heilig, was sündhaft, war ihnen zum verstehen bestimmt, aber auswählen durften sie nur das eine... Der Morgen graute und die ersten Sonnenstrahlen breiteten sich träge im Schlafgemach aus. Es war langsam Zeit zum Aufstehen, aber Oscar wollte nicht. Sie wälzte sich auf die andere Seite und betrachtete ihren Mann. Andre schlief noch tief und fest. Er war schon immer ein Langschläfer, im Gegensatz zu ihr und daran hat sich nie etwas geändert. Oscar hob ihre faltige Hand und strich ihm eine graue Strähne vom Gesicht, das früher so makellos war und nun die Falten des langen Lebens aufwies. Dennoch die Liebe würde niemals zwischen ihnen altern. Ja, sie beide hatten schon vieles erlebt, aber sie standen immer Seite an Seite und verließen sich blindlings aufeinander. Sie waren immer unterwegs, der Tod war ihnen stets dicht auf den Fersen... Am Abgrund der Tage trieben sie ihre Pferde und flogen zu ihrer Liebe... Auf der Suche nach Liebe, flogen sie durch den Staub des Jahrhunderts - im Flug brennend und vergessend über den Schmerz... Aus der kalten Dunkelheit waren sie auferstanden, um erneut auf ihre Liebe zu treffen... Andre stahl sich ein Lächeln auf den Lippen, aber er erwachte nicht. Ganz bestimmt hatte er in seinem Unterbewusstsein ihre hauchfeine Berührung gespürt und träumte nun von ihr oder von ihrer gemeinsamen Zeit als glückliches Ehepaar. Oscar entfernte ihre Hand von seiner Wange und rückte näher an ihn heran. Andre murmelte etwas Unverständliches im Schlaf und legte beherzt seinen Arm um ihren noch immer schlanken Körper. Sein Lächeln wurde breiter, aber Oscar sah das nicht mehr. Sie spürte, wie seine Finger durch ihren silberblondes Haar einmal durchfuhren und dann auf ihrem Rückgrat still lagen. Sein Kinn ruhte auf ihrem Scheitel und sie lauschte seinem gleichmäßigen Atem. Dadurch verfiel Oscar erneut in die Erinnerung an ihr früheres Leben – und das Sterben, das Leid und ihre Fehler... - - - Sie war tot, sie war gestorben – durchbohrt von unzähligen Kugeln... „Adieu“ war das Letzte was sie in die Welt der Lebenden hinterlassen hatte... Die Dunkelheit umfing sie und dann sah sie ihn. Er stand mit Rücken zu ihr. „Andre! Andre!“, rief sie beinahe panisch und rannte zu ihm. Andre drehte sich um und lächelte sie an – sein typisches, freundliches Lächeln, das sie seit seinem Tod gestern für immer verloren geglaubt hatte... Seine Lippen formten ihren Namen: „Oscar...“ Oder bildete sie sich das nur ein? Egal! Nun war sie auch tot und lief zu ihm. Wie gut sich das anfühlte, wieder bei ihm zu sein! Sie achtete nicht auf ihre blutgetränkte Uniform und merkwürdigerweise verspürte sie keinen Schmerz von den unzähligen Kugeln, die in ihrem Leib steckten... Plötzlich löste er sich in der Luft auf und sie sah ihn nicht mehr. „Andre, nein! Verlass mich nicht! Lass mich nicht allein!“, schrie sie verzweifelt und beschleunigte ihre Schritte. Aber Andre war fort – der Mann, an dessen Seite sie das Leben einer Frau führen wollte. Nicht eines Mannes oder Soldaten, zu dem sie erzogen worden, als sie noch gelebt hatte. Als sie noch beide gelebt hatten! Warum musste sie nur so stur sein und ihre Liebe zu Andre erst so spät bemerken? Sie waren doch zusammen aufgewachsen, er war doch immer an ihrer Seite und dennoch hatte sie nichts von seiner Liebe zu ihr gemerkt! Oscar verlangsamte ihre Schritte. Es brächte nichts weiter zu rennen, denn in dieser grenzenlosen Dunkelheit sah man nicht einmal eigene Hand vor den Augen. Sie fiel auf ihre Knie – erschöpft, von ihren Schuldgefühlen gepeinigt und verbittert. Es würde nichts mehr ihren Andre zurückbringen – nicht einmal hier in der Zwischenwelt... Ein heftiger Stoß von einer unsichtbaren Kraft beförderte sie zu Boden. Sie kippte zur Seite und blieb reglos liegen, ohne sich zu wehren. Wozu denn auch? Oscar schloss ihre Augen und fiel in noch düstere Ohnmacht, als es um sie schon bereits herrschte... Sie wusste nicht, wie lange sie da lag, aber als sie ihre Augen aufschlug, starrte sie ihrem eigenem Betthimmel empor. Dass es ihr Bett, ihr Zimmer und ihr Zuhause war, brauchte sie nicht lange zu überlegen. Aber was war das? Ihr Körper war ihr zu klein - der Körper einer fünfjährigen und im Nachhinein begriff sie, dass sie eine Gefangene ihres eigenen Ichs war. War sie etwa wiedergeboren? Aber warum? Oder hatte das Schicksal ihr eine zweite Chance gegeben, um ihren Fehler zu korrigieren? Wenn ja, dann könnte vielleicht alles besser werden... Zuversichtlich und lange Jahre fristete Oscar ihr Dasein in Form einer Stimme. Sie bescherte ihren wiedergeborenen Körper mit hellseherischen Träumen aus ihrem früheren Leben, ab dem Zeitpunkt, ab dem ihr zweites Ich das vierzehnte Lebensjahr gezählt hatte. Und irgendwann geschahen wunderliche Dinge: Sie begegnete ihren genauso verstorbenen Andre in der Zwischenwelt. Allerdings war ihnen nicht viel Zeit vergönnt und sie wurden voneinander gerissen. Dies wiederholte sich mehrere Male... Sie sammelte die Treffen, die Tage, wie auf einen Faden – das war zu lange... Sie versuche zu vergessen, aber jeder neuer Versuch stach wie einer Nadel... Sie stellte alle Träume auf die Plätze - stärkte Nerven, glaubte Tag für Tag weniger und wünschte, dass alles vom Feuer brennen sollte... Ihre Gedanken waren nur bei ihm.... Dabei murmelte Oscar immer wieder die gleichen Worte, wie eine Losung: „Ich steige zu ihm in den Himmel, ich falle hinter ihm her in Abgrund – verzeih, Stolz, ich hinter ihm dem Einen, ich zu ihm dem Einen. Ich hätte ein Punkt gesetzt, aber es ist wieder ein Komma – das ist ernst. Zerreiße aus Sehnsucht in Stücke, aber die Scherben – alles unnütz Tag für Tag, brenne alles mit Feuer... Nur die Gedanken sind um ihn und um ihn, um ihn und um ihn...." - - - So war es, so hatte sie sich gefühlt, bis zu jenem Moment, als sie sich mit ihrem zweiten Ich vereinte – und das Gleiche geschah auch mit Andre. Oscar schloss ihre Augen – nur für kurz und dann würde sie aufstehen... „Oscar, Liebes, schläfst du noch?“ Andre war aufgewacht und seine warme Stimme bewegte sie dazu, ihre Augen wieder zu öffnen und aus ihren Erinnerungen in die Wirklichkeit zurückzukehren. „Nein, mein Geliebter, ich bin schon seit eine Weile wach...“, murmelte sie in sein Hemd. Sie hob ihren Kopf und sah in sein gealtertes Gesicht – und er in ihres. „Mich wundert es, dass du um diese Zeit nicht wie gewöhnlich schon auf den Beinen bist“, neckte Andre sie lächelnd und strich ihr silbergraues Haar von beiden Seiten hinters Ohr. „Wozu?“ Oscar zuckte beiläufig mit ihren Schultern und lächelte selbst. „Wir haben schon unsere Eile hinter uns. Jetzt können die anderen sich für uns beeilen und wir machen einen gemütlichen Tag.“ „Ach, Liebste...“ Andre zog sachte ihren Gesicht zu sich und schenkte seiner Oscar einen zarten Kuss. Ja, wozu war die Eile, wo sie doch schon fast an das Ende ihres Lebensweges angelangt waren? Die Sonne stieg höher, begrüßte den neuen Tag und das Leben erwachte. Heute würde es so sein wie Gestern. Heute würden sie genauso glücklich sein und das Leben genießen können – so, wie die unzähligen Tage zuvor... Denn das war ihr Geschenk. Ein Geschenk von dem erfüllten Leben, das ihnen vom Schicksal gegönnt war und das sie zum zweiten Mal gemeinsam durchschreiten durften. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)