Wege des Schicksals von Saph_ira (Oder eine kleine Zusatzstory zu "Schicksalswege") ================================================================================ Kapitel 6: Der General ---------------------- Philippe war über alle Maßen erschrocken, als sein Patenonkel die bewusstlose Emilie zurück ins Haus brachte. Es schmerzte ihn sehr, dass ihr die Flucht misslungen war, aber er ließ sich nichts davon anmerken.   „Ich werde sie anketten!“, blaffte Girodel, als ihm seine Wachmänner berichteten, was vorgefallen war und nachdem ihm die vom Ruß geschwärzte Fensterseite im Zimmer nicht entging. Er erteilte noch einige Befehle an seine Männern, bevor er Emilie in ein anderes Zimmer brachte und sie dort einsperrte.       Die ganze Nacht konnte Philippe kein Auge zutun. Die einzigen, die Emilie von hier retten konnten, waren ihre Eltern, aber er kannte sie nicht einmal. Bis ihm ihr Großvater einfiel. Noch am nächsten Tag brach er zu ihm auf. General de Jarjayes bewohnte ein Haus nicht weit entfernt von dem Girodels, denn das große Anwesen existierte schon lange nicht mehr – es wurde noch in der Revolutionszeit dem Boden gleich gemacht... Philippe ritt durch das Eisentor und begegnete einem schlaksigen Stallbusrschen, der zwei Pferde an den Zügeln hielt und auf jemanden wartete. Das bedeutete, dass der General Besuch hatte und dieser vorhatte nicht lange zu bleiben. Philippe nickte dem Burschen zum Gruße, stieg aus dem Sattel und gab ihm die Zügel seines Pferdes. „Ich beabsichtige auch nicht lange zu bleiben.“ Eine Münze wechselte den Besitzer und der Stallbusrsche nahm sie dankbar an – so lohnte es sich hier besser zu warten und die drei Pferde zu hüten.   Ein Empfangsdiener kam Philippe auch schon entgegen und geleitete ihn in den Salon des Generals. „Wer sind die Gäste?“, fragte Philippe unterwegs.   „Es ist ein unerwarteten Besuch, der für ihn nichts bedeutet.“, bekam er zu Antwort und überlegte, wer das sein könnte. Das verwunderte ihn und machte ihn neugierig, denn der General bekam kaum Besuche – bis auf Graf de Girodel, aber dieser befand sich gerade bei sich Zuhause und schmiedete grausige Pläne...   „Ich gehe nicht, bevor ich nicht weiß, wo meine Tochter ist!“, rief eine hohe Stimme, kaum das Philippe den Salon erreichte und ihm wurde sogleich flau im Magen.   Der Empfangsdiener meldete dem General sein Besuch und Philippe erspähte einen blonden Mann über dessen Schulter. Philippe stockte der Atem - der Mann sah Emilie zum verwechseln ähnlich, bis auf das Alter! Und da war noch ein anderer Mann, der etwas Abseits stand und es nicht wagte, sich einzumischen.   „Er darf reinkommen!“, sagte General und wandte sich wieder dem blonden Mann zu. „Wie du siehst, habe ich zu tun! Also störe mich nicht und verschwinde lieber!“   „Wie ich schon sagte, Vater...“   „Ich bin nicht dein Vater, du bist tot und wo deine Göre von Tochter sich auhält, weiß ich nicht! Wenn du schon versagt hast, dann kann ich nichts dafür!“, schnaubte der General außer sich und dann plötzlich fasste er sich verkrampft an die linke Brust.   „Was ist mit Euch?!“ Philippe eilte unverzüglich zu ihm, um ihn zu stützen.   „Danke, mein Junge...“ Reynier wartete wenige Atemzüge ab, bis es ihm besser ging.   „Ihr solltet Euch hinsetzen...“, empfahl ihm Philippe, aber Reynier lehnte ab: „Nein, es geht schon... Ich bin zwar alt, aber noch stabil genug...“ Er warf einen eisigen Blick in Richtung seiner erschrockenen Tochter. Der braunhaariger Mann neben ihr flüsterte zu: „Oscar, lass uns gehen und nach unseren Emilie woanders suchen...“   „Nein, André!“ Die Angesprochene fixierte nur den General, der sich mit Hilfe von Philippe bereits aufgerichtet hatte. Oscar milderte zwar ihren Ton, aber nicht die Härte und Beharrlichkeit in ihrer Stimme: „Er hat sie gesehen und sie wollte zu ihm, also muss er es wissen, wo sie sein könnte!“   Philippe schluckte hart. Vor ihm standen Emilies Eltern und er konnte kein Wort von sich geben! Was war denn dabei so schwierig? Warum schwieg er? Er sammelte seine ganze Mut zusammen. „Verzeiht mir die Einmischung... aber darf ich auch sprechen?“   Oscar und André horchten auf. Der General beachtete sie nicht, als wären sie nicht da. „Sprich dich aus, mein Junge, was führt dich zu mir?“   „Mein Patenonkel will heiraten und das schon morgen...“, brachen die Worte wie ein Schwall aus ihm hervor und Reynier lachte ungläubig auf. „Im Ernst? Das musst du mir natürlich genauer erzählen! Aber warte noch einen kurzen Augenblick!“ Er warf einen auffordernden Blick auf zwei Störenfriede.   „Gut, wir gehen!“, meinte Oscar. „Aber wir kommen später wieder!“   Reynier würdigte sie keines Blickes mehr und als sich die Tür hinter ihnen zu ging, atmete er erleichtert auf. „Jetzt erzähle weiter, mein Junge.“   „War das etwa...“, setzte Philippe an, aber Reynier wehrte ab. „Es war niemand, über den du dir deinen Kopf zerbrechen solltest! Sprich dich weiter aus. Also will Girodel wieder heiraten? So plötzlich?“   „Ja, General...“ Philippe legte seine Worte schnell zurecht, bevor er sprach: „Ich darf das Euch zwar nicht verraten, aber ich tue es ihr zu liebe...“   „Du sprichst in Rätseln!“ Reynier wurde auf einmal ungeduldiger: „Was ist passiert?! Wer ist seine Braut?“   „Emilie... Euer Enkelin...“ Philippe hatte zwar die Gelegenheit versäumt, auch ihre Eltern darüber in Kenntnis zu setzen, aber der General war ja auch noch da! „Er hat gestern in Paris nach ihr gesucht und ist fündig geworden... Sie hat schon versucht zu fliehen, aber sie ist gescheitert und jetzt hat er sie angekettet...“   „Wie bitte?“ Reynier wusste nicht, was er davon halten sollte. Hätte er doch das Mädchen gestern auf dem Markt nicht angesprochen!   „Ich bin hierher gekommen, Euch um Hilfe zu bitten... nicht für mich, sondern für sie...“   Reynier ging zum Tisch, schenkte sich ein Glas Wein aus der Karaffe und trank ein Schluck, ohne Philippe anzusehen. „Warum sollte ich das tun?“   „Weil... weil... weil ich sie liebe... vom ersten Augenblick an...“   „Und deswegen kommst du zu mir?“ Reynier nahm noch einen Schluck vom Wein – es schmeckte süß und lief ihm angenehm die Kehle hinab. „Ich muss dich leider enttäuschen, ich kann für sie nichts tun...“, sagte er zum Anschluss und hörte, wie der junger Mann hinter seinem Rücken erschrocken die Luft einzog. „Aber sie ist doch...“   „Nein!“ Reynier drehte sich schlagartig um und sein Ton wurde immer schroffer. „Ich will nichts mehr darüber hören! Und jetzt geh!“   Philippe verließ enttäuscht das Haus und Reynier stand noch lange am Fenster seines Salons. Heute war ein schlechter Tag für ihn! Konnten denn alle ihn nicht einfach in Ruhe lassen? Die Begegnung mit dem Mädchen Emilie von gestern war schon schlimm genug und heute tauchte auch noch seine totgeglaubte Tochter auf! Was sollte das werden?! Sie hätte lieber sich diese Mühe ersparen können und ihn erst gar nicht behelligen sollen! Denn sie war gestorben und keine Macht der Welt würde ihm jemals das Kind zurück bringen, das er geliebt und mit Stolz wie einen Knaben erzogen hatte...   Oscar... Warum musste sie nur auf die Seite des Volkes wechseln und mit diesem abtrünnigen Soldaten aus niederen Herkunft durchbrennen?   Er hätte doch darauf bestehen sollen, dass sie Girodel heiratete! So hätte sie keine Schande über die Familie de Jarjayes gebracht und seine Frau wäre dann nicht aus Kummer um ihr verlorenes Kind gestorben...   Emilie... Reyniers Herz zog sich schmerzlich zusammen, als er an den Tod seiner Frau dachte. Sie war in seinen Armen gestorben, nach dem das Volk im Oktober 1789 Versailles gestürmt hatte...   Reynier schloss die Augen und atmete tief durch – er wollte nicht mehr daran denken und sich das alles in Erinnerung rufen. In all den Jahren hatte er versucht zu vergessen und mit der Zeit hatte es auch geklappt – bis gestern!   Emilie... Oscars Kind... und seine Enkeltochter...   Was konnte schon das Mädchen dafür, wenn ihre Eltern so töricht waren und sie mit nach Paris brachten?   Das hatten sie nun davon – das Kind war fort und niemand wusste, wo es war. Moment! Reynier schlug seine Augen auf. Hatte nicht Philippe gerade etwas von ihr, seinem Patenonkel und dessen Heiratspläne erzählt? Was war denn in Girodel überhaupt gefahren?! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)