Kuroko und ich von Puraido ================================================================================ Prolog: Prolog --------------   Akabane Karma   Mit den Händen in den Hosentaschen vergraben, war ich auf dem Nachhause-Weg. Es war Anfang Mai und die Zwischenprüfungen standen an. Nicht, dass ich mich groß darum kümmern würde.          Ich erreichte mein Haus, wohl eher das Haus meiner Eltern, aber da die eh nur selten da waren, war es wohl egal. Wo sie wohl diesmal wieder steckten? Wieder in Indien? Seufzend lief ich die Einfahrt hinauf zur Haustür, nebenbei kramte ich in meiner Hosentasche nach dem Schlüssel, war mir eigentlich so was von egal, wo sie waren …          Nachdem ich aufgeschlossen hatte trat ich ein und durchquerte den Flur, lief in Richtung Wohnzimmer. Meine Tasche hatte ich an der Tür abgestellt, genau wie meine Schuhe. Meine Hände hatte ich wieder in den Hosentaschen vergraben. „Guten Tag“, kam es von einem fremden Mädchen auf meiner Couch. – „Hm? Guten Tag“, erwiderte ich, während ich meinen Weg zur Küche fortsetzte.          Erst als ich das Wohnzimmer schon durchquert hatte, stutzte ich. Moment, wieso war ein fremdes Mädchen in meinem Wohnzimmer? So schnell es ging machte ich kehrt und lief zurück. Tatsächlich dort saß ein Mädchen auf meiner Couch.          „…“          Ich starrte sie an. Sie starrte mich an. „Was machst du in meinem Wohnzimmer?“, wollte ich schließlich noch immer perplex wissen.          „…“ Das Mädchen schwieg kurz, ihren Blick hatte sie gesenkt. Als sie ihn wieder hob, sah sie mich direkt an. Ihre Augen waren blau. „Hat dir dein Vater nicht gesagt, dass ich komme?“          „?“          Mein Vater? Was hatte der denn mit dem Mädchen zu tun? „Er hat es dir wohl nicht gesagt.“          Das Mädchen stand auf. Dabei bemerkte ich, dass ihre schwarzen Haare ziemlich lang waren. Sie gingen ihr bis zum unteren Rücken und sie hatte sie oben schon etwas zusammen gebunden. Ihr Blick war noch immer eher … gelangweilt.          „Was hat mir mein Vater nicht gesagt? Los, raus mit der Sprache“, langsam legte sich die Verwirrtheit und sie wich Ärger.          Das Mädchen schnaubte. „Das ich komme natürlich. Ich bin Kamijou Kuroko. Und deine zukünftige Schwester.“          „………… Häh?“          Zugegeben, das war jetzt nicht die geistreichste Erwiderung, aber ich war offiziell überfordert. „Du verarschst mich doch!“          „Wieso sollte ich?“          Ihr Ton war ruhig, wieder so gelangweilt. Aus irgendeinem Grund nervte mich das tierisch. Am liebsten hätte ich sie an ihren dürren Armen gepackt und sie in Richtung Tür gezerrt, nur um sie dann in hohem Bogen raus zu schmeißen.          „Ich werde am Wochenende deine Stiefschwester werden. Du kannst deinen Vater fragen, er ist im Haus. Er führt meine Mutter gerade herum.“ Kuroko verschränkte die Arme vor der Brust.          „… Vater!“, schrie ich auf. Die wollte mich doch nur verarschen? Das war ein schlechter Scherz, halb hoffte ich, dass gleich jemand mit einer versteckten Kamera hervorspringen würde. Aber es kam keiner. Dafür kam nach einigen Augenblicken tatsächlich mein Vater zum Vorschein. Zusammen mit einer fremden Frau, schien wohl die Mutter von diesem Mädchen zu sein.          „Was schreist du denn so, Karma?“, wollte er wissen.          „Was hat die hier zu suchen?“, ich deutete auf Kuroko, die noch immer gelangweilt in der Gegend rum stand.          „Oh, ihr habt euch schon kennen gelernt. Sie wird in kürze deine Stiefschwester werden. Also vertragt euch.“          So langsam glaubte ich echt, dass die mich hier nur Ärgern wollten. „Wieso wird sie meine Stiefschwester? Und wer ist das?“, ich deutete auf die Frau.          „Ja, richtig. Ihr kennt euch ja noch gar nicht. Das ist Kamijou Rika. Wir werden am Wochenende heiraten, deshalb sind wir hierher gekommen.“          …          …          …          „Heiraten? Hallo-ho? Du bist schon verheiratet? Was ist mit Mom?“, fassungslos schüttelte ich den Kopf.          Mein Vater seufzte. „Also hat sie dich doch nicht angerufen. Karma, deine Mutter und ich sind bereits seit einem halben Jahr geschieden. Das hat sie dir noch nicht gesagt?“          Es fühlte sich ganz gewaltig so an, als würde mein Kopf explodieren. „Seid ihr eigentlich bescheuert? Ihr trennt euch und haltet es nicht mal für nötig, mir das mitzuteilen?“, fuhr ich ihn aufgebracht an. „Und ich erfahre das erst, als du schon eine neue Frau mit nach Hause bringst? Ist ja ganz super!“ Ich hatte nie ein sonderlich gutes oder enges Verhältnis mit meinen Eltern gehabt, aber das war selbst mir ein wenig zu heftig.          „Deine Mutter hatte eigentlich gemeint, dass sie dich darüber informiert, aber anscheinend schafft sie nicht einmal das“, mein Vater schien es zu bedauern, dass meine Mutter wohl zu unfähig war, ihrem eigenen Sohn mit zu teilen, dass sie sich von ihrem Mann getrennt hatte. Verärgert schnaubte ich.          „Das ist das einzige, was dir dazu einfällt?“, knurrte ich.          „Nun ja, es ist jetzt nun einmal wie es ist. Die Hochzeit ist schon geplant, wir heiraten am Samstag. Wenn du Zeit hast, kannst du Kuroko vorher ja schon mal die Umgebung und den Weg zur Schule zeigen. Ich werde noch einmal mit dem Direktor reden, damit sie in deine Klasse kommt. Welche war das noch gleich?“          „…“ Das war jetzt nicht sein ernst. Er hatte nicht einmal mitgekriegt, dass ich mittlerweile in der E-Klasse war? „Einen Scheiß werde ich. Die da wird niemals meine Schwester sein“, knurrte ich. Danach wandte ich mich ab und verließ so schnell es ging das Haus. Das konnte ich mir nicht länger antun.          Was bildete sich mein Vater eigentlich ein? Und was dachte sich meine Mutter? Noch immer irritiert und ziemlich wütend kramte ich in meiner Hosentasche nach meinem Mobiltelefon. Ich wählte die Nummer meiner Mutter und rief sie an.          …          Nach sechsmaligem Klingeln ging sie schließlich dran. „Ja?“, kam es von ihr.          „Mutter! Wieso erfahre ich gerade eben, dass du dich von Dad getrennt hast?“, fuhr ich sie an.          „Hm … Oh Karma, du bist das. Nun … also, ich wollte dich ja eigentlich anrufen, aber es … kam mir was dazwischen“, stammelte sie.          Hatte ich mich gerade verhört? Ich musste mich wohl verhört haben! „Dir kam … ‚etwas dazwischen‘? Ein halbes Jahr lang??? So lange sollt ihr nämlich schon geschieden sein.“          Ich musste mich anstrengen um das Zittern meiner Stimme zu unterdrücken. Ich war so wütend und mit jedem Satz meiner Mutter wurde ich noch wütender.          „… Ist echt schon ein halbes Jahr vergangen? Das kam mir gar nicht so lang vor“, murmelte sie vor sich hin. „Ist er wieder in Japan?“          „Ja, verdammt, er ist zuhause, zusammen mit seiner neuen Frau und deren verdammter Tochter“, knurrte ich.          „Oh, hat er die also doch genommen, ist bestimmt diese Kamijou-Tussi“, meine Mutter schnaubte verächtlich.          „Was soll das heißen? Du kennst sie?“          „Kennen ist zu viel gesagt … Allerdings ist sie der Grund für unsere Trennung“, sie klang nicht mal wirklich wütend, einfach nur desinteressiert. Ich hingegen wurde noch wütender.          „Und wo bist du jetzt?“          „…“          „Jetzt antworte schon verdammt!“ Noch schlimmer konnte es ja nicht werden.          „Ich bin gerade auf Hawaii …“          … Hawaii? Was machte sie denn da? „Sag mir nicht, dass du auch schon wen Neues gefunden hast“, knurrte ich sie an. Meine Eltern wollten mich wohl komplett verarschen. Witzig fand ich das echt nicht.          „Uhm … doch schon … Aber er ist wirklich ein ganz toller Mann, wenn dein Vater und diese Kamijou- … Frau … weg sind und wir aus Hawaii zurück sind, werde ich ihn dir mal vorstellen!“          „Nein, aber nein Danke, ich verzichte“, schnell beendete ich das Gespräch. Das konnte ich mir wirklich nicht länger antun. Was dachten sich meine Eltern dabei? Es schien ja fast so, als hätten sie mich komplett vergessen gehabt und als wäre es ihnen erst dann wieder eingefallen, als sie sich mit mir unterhalten mussten.          Wütend und frustriert stieß ich die Luft aus. Ich kickte einen Stein fort. Dieser traf allerdings einen großen, ziemlich aggressiv aussehenden Typen.          „Hey“, sprach er mich daraufhin an. „Du kleiner Scheißer, was denkst du dir dabei, mich mit Steinen abzuwerfen?“ Er kam jetzt langsam auf mich zu.          Ein Grinsen breitete sich auf meinem Gesicht aus. Das war genau die Art von Ablenkung, die ich jetzt brauchte. Hier konnte ich meiner Wut wohl freien Lauf lassen …       Es war schon dunkel, als ich zurückkam. Man sah deutlich die Spuren der Prügelei, die ich ersten angefangen hatte. Die Kumpel des einen Typen waren auch noch dazu gekommen, es war ein sieben zu eins, aber das hatte mich nicht wirklich interessiert, gewonnen hab ich trotzdem und abreagiert hatte ich mich ebenfalls.          Ruhiger als noch vor einigen Stunden, schloss ich die Tür auf, auch wenn ich wusste, dass mein Vater und die beiden anderen noch im Haus waren. Es passte mir gar nicht, ihnen begegnen zu müssen, aber ändern konnte ich es nicht. Ich hätte vielleicht zu Nagisa-kun gehen können, aber das wollte ich auch nicht.          Ich streifte meine Schuhe ab und lief in Richtung Wohnzimmer. Ich würde erst einmal meine Verletzungen versorgen müssen. Noch immer saß dort diese Kuroko, diesmal hatte sie ein Buch in der Hand. Ich warf ihr einen verächtlichen Blick zu.          Desinteressiert sah sie auf, sie schien nicht mal über meinen Zustand schockiert zu sein und wenn, dann zeigte sie es nicht. „Du hast dich geprügelt.“ Das war keine Frage, sondern eine Feststellung. Aha, sie war schon mal fähig, so etwas zu erkennen und nicht gleich auszurasten wie es wohl viele andere tun würden.          „Woran hast du denn das erkannt?“, fragte ich sarkastisch.          Sie hatte eine Augenbraue erhoben und musterte mich mit gelangweiltem Blick. „So wie du zugerichtet bist …“ sie schnaubte. „Dass ich ausgerechnet so jemanden als Bruder bekomme, das kann ja noch was werden“, sie wandte sich kopfschüttelnd wieder ihrem Buch zu.          Hatte ich mich gerade verhört? Das meinte sie doch wohl nicht ernst?! „Was hast du gerade gesagt?“          „Spreche ich so undeutlich?“, sie sah wieder auf. „Ich finde es bedauerlich, dass so jemand wie du mein Bruder wird. Jemand der sich ständig prügelt und nichts als ärger macht, das fehlte mir gerade noch“, ich konnte die Verachtung regelrecht aus ihrer Stimme heraushören.          Wütend biss ich meine Zähne zusammen. Was fiel der blöden Kuh eigentlich ein? „Du hast eine ganz schön große Klappe weißt du das, huh?“          „Wahrscheinlich ist meine nicht ansatzweise so groß wie deine“, antwortete sie, danach legte sie ihr Buch weg und erhob sich. Sie ging an mir vorbei und in Richtung Küche. Meine Hände ballten sich zu Fäusten, als ich ihr hinterher starrte.          Einige Minuten später kam sie mit dem Verbandskasten zurück. Sie stellte ihn auf den Tisch und sah mich wieder an. „Setz dich“, meinte sie, während sie den Verbandskasten öffnete und einen Tupfer rausholte. Sie tränkte ihn in Desinfektionsmittel.          „Einen Scheiß werde ich. Ich kann mich selber verarzten“, knurrte ich sie an. Das schien sie aber nicht im Mindesten abzuschrecken. Sie trat vor mich und sah zu mir auf. Sie war ein ganzes Stück kleiner als ich, sogar noch kleiner als Nagisa-kun.          „Dann mach auch“, sie drückte mir den Tupfer in die Hand und wandte sich dann letztendlich ab. Sie setzte sich wieder auf die Couch und griff nach ihrem Buch. Vor mich hin knurrend setzte ich mich ihr gegenüber auf die Couch und begann erst einmal meine Knöchel zu verarzten, diese waren von den Schlägen ziemlich aufgeschürft und blutig.          Während des ganzen Prozedere konnte ich immer wieder ihren Blick auf mir spüren. Wütend blickte ich sie an. „Was schaust du mich die ganze Zeit an?“          „…“, sie antwortete zuerst nicht, sie hatte den Kopf leicht schräg gelegt. „Ich überlege nur gerade, wie ich dich nennen soll. Jetzt, da wir ja bald Geschwister sind“, murmelte sie.          Ich zischte. „Was beschäftigst du dich mich so einem Schwachsinn? Lass das, ich werde dich ganz bestimmt nicht als meine Schwester ansehen!“          „Ich glaube, ich werde einfach Karma sagen, ‚kleiner Bruder‘ wird mir auf die Dauer sicher zu nervig werden“, sie ignorierte mich vollkommen … aber Moment mal was?!          „‚Kleiner Bruder‘?“, hakte ich nach. „Wie kommst du darauf?“, die konnte unmöglich älter sein als ich.          „Dein Vater meinte ganz am Anfang zu mir, nachdem ich ihm sagte wie alt ich bin, dass er einen Sohn im gleichen Alter hätte. Wir redeten darüber und er meinte irgendwann, dass du im Dezember Geburtstag hättest. Ich hatte im April Geburtstag und da wir im gleichen Jahr geboren sind … bin ich älter. Und das macht dich zu meinem ‚jüngeren Bruder‘. ‚Kleiner‘ bist du ja leider nicht“, sie seufzte.          Na, das war ja ganz super. Ich knurrte auf. Obwohl ich nicht mal wusste, warum mich die Tatsache, dass sie älter war als ich, so aufregte. Wobei, mich regte alles an diesem Mädchen auf. Sie sollte verschwinden. „Du wirst nie meine Schwester sein und ich nie dein Bruder, klar?! Vielleicht heiraten unsere Eltern ja doch nicht, ich werde mir schon was einfallen lassen“, brummte ich vor mich hin.          „Viel Erfolg dabei“, murmelte sie und wandte sich erneut ihrem Buch zu.          Meine Mundwinkel verzogen sich nach unten. „Das scheint dich nicht sonderlich zu kümmern“, merkte ich an.          Sie hob ihren Blick leicht. „Tut es auch nicht. Was mich angeht, wäre ich viel lieber bei meinem leiblichen Vater geblieben, aber das darf ich ja nicht. Die Hochzeit unserer Eltern ist mir zudem so was von egal. Wenn du sie verhindern willst, nur zu. Ich bin nicht erpicht darauf, bald meinen Nachnamen ändern zu müssen“, erzählte sie.          Kuroko stand plötzlich auf und kam auf mich zu. Sie nahm einen neuen Tupfer und tränkte ihn in Desinfektionsmittel, danach griff sie nach meinem Kinn und hob es an, sie begann damit, die Verletzung an meiner Schläfe abzutupfen. „Was machst du da?“          „Merkst du das nicht? Im Gesicht kannst du dich ohne Spiegel wohl schlecht selbst verarzten“, sie stieß die Luft aus. „Und ich hab gedacht, ich wäre manchmal schwer von Begriff.“          Grummelnd ließ ich das Ganze über mich ergehen. Klar, ich hätte ins Badezimmer gehen und mich selbst verarzten können, aber dazu war ich jetzt zu faul. Es dauerte nicht so lange, da hatte sie mich fertig verarztet, sie sammelte die verbrauchten Sachen ein und ging damit, samt Verbandskasten in die Küche zurück. Ich blieb auf der Couch sitzen.          „Wie ist deine Klasse so?“, fragte sie mich aus heiterem Himmel, als sie aus der Küche zurück kam          „Uhh …“ Wir sind eine Killer-Klasse, mit dem Ziel unseren Lehrer zu töten. Konnte man das so sagen? Wir hatten Geheimhaltungspflicht, aber würde sie nicht auch in die 3-E gehen? „Ganz in Ordnung, aber ein wenig speziell … wirst du ja nächste Woche selbst sehen“, antwortete ich schließlich.          „Hm“, stieß sie aus, danach schlug sie erneut ihr Buch auf. Es schien mir, als hätte sie überhaupt kein Interesse daran gehabt, irgendetwas über die Klasse zu erfahren. Was fragte sie dann eigentlich?          „Was liest du da?“          „‚Pet Sematary‘ von Stephen King“, antwortete sie. Sie hob das Buch kurz an.          „Du liest auf Englisch?“          „Hm-m, ich versuche die Bücher immer in ihrer Originalsprache zu lesen. Die japanische Übersetzung hab ich schon durch.“          „Magst du so Horror-Romane?“          „Hm-m.“          Ich gab ein Seufzen von mir. Das konnte ja was werden.          Wir saßen uns noch ziemlich lange Zeit still gegenüber. Es war irgendwie eine seltsame Stille. Ich fühlte mich unbehaglich. Kuroko schien es nicht wahr zu nehmen. Ich betrachtete sie genauer und versuchte mir vorzustellen, das so jemand meine Schwester sein konnte … Es gelang mir beim besten Willen nicht.          „Denk am besten nicht zu viel darüber nach“, meinte sie plötzlich.          „?“          „Über die Geschwister-Sache. Wie du schon sagtest, wir werden niemals wie Bruder und Schwester sein. Also mach dir darüber keine Gedanken“, sie sah nicht einmal von ihrem Buch auf.          Verächtlich schnaubend antwortete ich. „Wie kommst du darauf, dass ich mir darüber den Kopf zerbreche?“          „Es kam mir so rüber“, antwortete sie. Wieder so desinteressiert.          „Da muss ich dich enttäuschen, ich hab viel zu viel anderes – und vor allem wichtigeres – Zeugs im Kopf. Über so etwas mache ich mir keine Gedanken.“          „Dann ist ja gut.“          Meine Mundwinkel verzogen sich nach unten und ich hob eine Augenbraue an. „Sag mal, wo schläfst du eigentlich? Mein Zimmer muss ich nicht teilen oder?“          „Dein Vater sagte, es gäbe hier ein Gästezimmer. Und selbst wenn würde ich lieber auf der Couch schlafen, als mit dir in einem Zimmer“, entgegnete sie monoton.          „Dann ist ja gut“, ich sah auf die Uhr, die ihm Wohnzimmer hang. Es war schon elf, war also spät genug, um ins Bett zugehen. Also erhob ich mich und machte mich auf den Weg in mein Zimmer. Kuroko saß immer noch da, noch immer Stephen King lesend.       Die Hochzeit fand statt.          Es war mir nicht möglich gewesen, sie zu verhindern. Ich hatte Zwischenprüfung und war nach der Schule noch mit Attentats-Training beschäftigt gewesen. Den anderen hatte ich davon natürlich noch nichts gesagt, sie würden es ja nächsten Montag sowieso erfahren.          Die Hochzeit war gerade vorbei, es war ätzend gewesen. Kuroko war nun offiziell meine Stiefschwester. Was für ein Graus! Akabane Kuroko hieß sie jetzt. Sie hatten die Formalitäten vor der Hochzeit schon geklärt.          „War das lahm“, murmelte sie. Sie stand dort, mit einem schwarzen Kleid, es sah ziemlich düster aus, eher so, als ob sie auf einer Beerdigung wäre, anstatt auf einer Hochzeit. Meine Stimmung war so düster wie ihr Kleid.          Sie öffnete ihren Zopf, ihre Mutter hatte von ihr verlangt, dass sie sie zusammenband.          Was sollte ich sagen, der Ton ihrer Mutter – meiner neuen Stiefmutter – war so bestimmend gewesen, dass selbst ich lieber das Weite gesucht hätte. Was hatte sich mein Vater da nur für eine Furie ausgesucht?          Ihre Haare fielen ihr wie ein schwarzer Fluss über den Rücken. Sie trug an den Zeigefingern zwei einfache, silberne Edelstahlringe, den Ring an ihrem linken Finger drehte sie gedankenverloren.          Wir standen auf der Terrasse unseres Hauses, sie hatte sich an das Geländer gelehnt, mit den Armen stützte sie sich darauf ab und sah in den Garten hinaus.          „Ich werde sie verfluchen müssen“, murmelte sie aus heiterem Himmel.          „Verfluchen?“          „Ja.“          „Was meinst du damit?“          „Na, Vater und Mutter natürlich. Für all das hier“, sie seufzte.          „… Ja – ist klar, mach das mal“, was zur Hölle meinte die mit verfluchen? Sie war schon verdammt seltsam.          Da tauchte plötzlich meine neue Stiefmutter – nun Akabane Rika – auf. „Na, amüsiert ihr euch schön?“, sie lächelte, allerdings verdüsterte sich ihr Blick schnell, sie betrachtete Kurokos offene Haare.          „Kind, was hast du mit den Haaren gemacht? Es hat doch so lange gebraucht, dir diese Frisur zu machen“, sie griff harsch in Kurokos Haare. Diese drehte lediglich den Kopf.          „Ich mag keine Zöpfe, das weißt du, Mutter.“          Ihre Antwort war kühl und abweisend. Sie wirkte definitiv nicht so, als würde sie ihrer Mutter sonderlich nahe stehen. Der Blick sprach auch mehr als tausend Bände.          Akabane Rikas Griff wurde nun merklich fester. Sie zog an den Haaren ihrer Tochter. Kuroko schien das nicht im Mindesten zu Interessieren. Sie warf ihrer Mutter nur weiterhin einen kalten Blick zu.          Mein Vater trat nun auch heraus. „Schatz, machst du dich dann fertig für die Abreise?“          Abreise?          Ich warf meinem Vater einen verwunderten Blick zu. Er sah zu mir, die Stirn gerunzelt. „Na, die Flitterwochen“, fügte er hinzu.          Ah, okay, schon klar. Gerade mal eine Woche zu Hause und dann gleich wieder abreisen. Was auch sonst.          Rika – ich weigerte mich, sie ‚Mutter‘ zu nennen, sie war nicht meine Mutter und das würde sie auch niemals werden, Kuroko hingegen hatte angefangen, meinen Vater ebenfalls ‚Vater‘ zu nennen – lockerte ihren Griff, sie lächelte wieder. „Ich werde mich fertig machen.“ Daraufhin verschwand sie wieder, mein Vater gleich mit.          „Ich werde sie verfluchen“, murmelte Kuroko wieder. Ihr Blick war wieder auf den Garten gerichtet.       Die Abreise ging schnell von statten, mein Vater und seine neue Frau verschwendeten kein Wort zu viel an uns. Sie waren fort ehe Kuroko oder ich auch nur ein Wort hätten sagen können. Noch immer kam ich mir wie in einer Freakshow vor. Noch immer hoffte ich, gleich würde irgendjemand mit einer versteckten Kamera hervorspringen.          Aber es kam keiner.          Es würde wohl auch keiner kommen.          Wir waren nun also alleine in dem großen Haus. Zu zweit alleine.          Kuroko hatte sich daran gemacht, aufzuräumen. Die Party-Gäste waren alle schon fort und es lag wohl nun an uns, den ganzen Mist hier wieder aufzuräumen.          Eher widerwillig gesellte ich mich zu ihr, ich sammelte das ganze Geschirr ein und stellte es in der Küche in die Spülmaschine. „Warum dürfen wir das eigentlich machen?“          „Kinder sind billige Arbeitskräfte, deshalb“, kam die prompte Antwort.          „Hm, stimmt, ich vergas“, schnaubte ich.          Wir räumten noch einige Zeit weiter schweigend zusammen auf. Irgendwann war alles fertig und ich ließ mich erschöpft auf die Couch fallen, den bescheuerten Anzug hatte ich immer noch an – genauso wie Kuroko ihr Kleid.          Sie ließ sich mir gegenüber auf die Couch sinken. Einige Zeit starrte sie mich an. „Ist seltsam irgendwie“, meinte sie schließlich.          „Seltsam ist die Untertreibung des Jahrhunderts“, brummte ich. „Allerdings bin ich es von meinen Eltern gewohnt gewesen, dass sie immer irgendwo anders waren. Von daher …“          „Ich verstehe den Sinn dahinter nicht. Sie hätte mich auch genauso gut bei meinem Vater lassen können“, sie verschränkte ihre Finger in ihrem Schoß.          Ich zuckte mit den Schultern. „Rein theoretisch.“ Kurz stockte ich. „Warum haben sich deine Eltern scheiden lassen? War das schon vorher oder erst, seitdem mein Vater und deine Mutter was miteinander haben?“          „Nein, das ist schon länger her. Meine Eltern sind seit sechs Jahren geschieden. Mein Vater konnte die Eskapaden meiner Mutter nicht mehr ertragen und beantragte die Scheidung. Obwohl ich denen damals sagte, dass ich lieber bei ihm bleiben wollte, bekam meine Mutter das alleinige Sorgerecht“, sie stieß die Luft aus. „Und jetzt bin ich hier …“          „…“          „Jedenfalls bin ich froh, dass meine Mutter weg ist. Sie ist … herrisch, das mag ich nicht.“          „Die Sache mit den Haaren?“          „Nicht nur das“, kurz schwieg sie. „In ihren Augen bin ich ein Teufelsbraten, der nie das macht, was sie will“, sie schnaubte. „Dass sie es mit ihrer Art nur noch Schlimmer macht, merkt sie allerdings nicht.“          Kuroko stand auf und ging an mir vorbei. „Ich muss aus dem Kleid raus, das bringt mich noch um“, seufzte sie und verschwand.          Auch ich stand auf und lief in mein Zimmer, auch ich entledigte mich meines Anzugs. Ich war mal gespannt, ob mein Vater noch immer mit Rika verheiratet war, wenn er wieder kam.          Ich ließ mich auf mein Bett fallen. Was für eine Woche … Was wohl die anderen aus der 3-E sagen würden, wenn sie erfuhren, dass ich jetzt eine Schwester hatte?   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)