Herzenswille von Saph_ira ================================================================================ Kapitel 17: Gebrandtmarkt ------------------------- „Diesen Erfolgt habt ihr nicht dem Einfluss Bernards, sondern meinem Einfluss zu verdanken. Es war die Macht des Volkes.“ Oscar zog ihre Mundwinkel sogar leicht nach oben, als die zwölf Soldaten vor ihr Halt machten. Man hat sie zu den abendlichen Stunden freigelassen und all die Menschen, die hinter Oscar sich versammelt hatten, bejubelten sie vor Freude.   „Wisst Ihr was, Kommandant? Allmählich fange ich an zu verstehen, worauf es im Leben wirklich ankommt.“ Alain reichte Oscar die Hand und diese ergriff sie unweigerlich. Hoch im Sattel schaute sie auf ihn herab und dachte beklommen daran, wie lange wohl diese Freude andauern würde...   Die orangene Sonne verschwand immer mehr hinter dem Horizont, der blaue Himmel ging in nahtloses Violett über und die Menschen zerstreuten sich friedlich - sie hatten ja ihr Ziel erreicht und die zwölf Soldaten waren frei.   „Kommandant!“ Ein Pferd galoppierte wie aus dem Nichts auf die freigelassenen Männer zu und hielt direkt vor Oscar an. Diese bekam ein mulmiges Gefühl. „Was ist, Oberst Dagous?“   „Kommandant.“ Oberst Dagous schnaufte pausenlos, so ähnlich wie das Tier unter ihm – die Kunde war also von äußerster Bedeutung. „Ich habe gerade einen Befehl Ihrer Majestät erhalten.“   „Der Königin?“ Also war der Moment gekommen, den sie befürchtet hatte. Oscar zeigte nicht, ob sie davon überrascht war. An André dagegen konnte man die wachsende Besorgnis vom Gesicht ablesen. Er dirigierte seinen Braunen dicht an Oscars Schimmel, ohne ihre Aufmerksamkeit auf sich zu richten.   „Ja.“, hörte er Oberst Dagous sagen und bemerkte, wie sich Oscars Finger fester um die Zügel schlossen, bis die Knöchel weiß hervortraten – sie selbst jedoch blieb ausdruckslos. „Was wünschen Ihre Majestät?“, wollte sie wissen und bekam vom Oberst Dagous die Antwort, die sie eigentlich schon geahnt hatte: „Ihr sollt Euch unverzüglich ins Schloss von Versailles begeben.“   „Was hat das zu bedeuten?“, mischte sich Alain grimmig ein. Er hatte diese Szene genau beobachtet und das gefiel ihm ganz und gar nicht. Hatte man etwa die Freilassung widerrufen?   „Das hat nichts mit euch zu tun.“, versicherte ihm Oscar, als hätte sie seine missmutigen Gedanken gelesen. „Ihr seid nun frei und solltet eure Freilassung feiern. Um alles andere kümmere ich mich selbst.“ Sie stieß ihrem Schimmel in die Flanken und ohne ihn anzusehen ritt sie mit André im Schlepptau davon. Oscar trieb ihren vierbeinigen Gefährten nicht allzu schnell, um ihren Bauch zu entlasten und dem Ungeborenen nicht zu schaden. Erst am Vorhof von Versailles zügelte sie ihr Pferd und nahm tiefe Atemzüge um sich auf das Kommende vorzubereiten. „Du bleibst hier und wartest auf mich“, sagte sie zu ihrem Geliebten unvermittelt, während sie aus dem Sattel stieg und bevor sie in das Schlossgewölbe hineinging.   „Tut mir leid, Oscar, aber ich komme mit.“ Wie konnte sie nur in Erwägung ziehen, dort allein hinzugehen?! Nein! Er würde sie nie mehr alleine lassen! Er würde ihr überall hin folgen!   „Mir wird schon nichts passieren.“ Oscar sah in seinem besorgten Blick auch diese Entschlossenheit, die sie gestern bei ihm zum ersten Mal entdeckt hatte, als ihr Vater sie eigenhändig bestrafen wollte. Dennoch brauchte sie ihn hier mehr als an ihrer Seite im Audienzsaal. „Und wenn, dann halte die Pferde zum Ausritt bereit.“ Besser gesagt, zur Flucht bereit und das verstand André sehr wohl. In ihm stieg bei der Sache ein ungutes Gefühl, aber trotzdem ließ er Oscar alleine gehen und hielt Wache. Jedoch nicht lange. Er hörte feste Schritte hinter seinem Rücken und sah sich um: Graf de Girodel kam mit ein paar Soldaten auf ihn zu und zog seine Klinge blank. „Verteidige dich!“, forderte er ihn heraus.   „Aber wieso?“ André verstand das nicht. Was hatte das zu bedeuten?! Oder hieß das etwa, dass Girodel von etwas Wind bekam, von was er lieber nichts wissen sollte?   Victor de Girodel sah André so wütend und hasserfüllt an, wie dieser ihn noch nie erlebt hatte. „Du hast die Ehre von Lady Oscar beschmutzt und dafür sollst du sterben! Aber da ich ein Ehrenmann bin, fordere ich dich hiermit zu einem Duell heraus!“             Oscar, nichts von der misslichen Lage ihres Geliebten ahnend, betrat kerzengerade den Audienzsaal. „Eure Majestäten.“ Huldvoll beugte sie das Knie vor dem Königspaar. „Ihr habt nach mir rufen lassen?“   „Erhebt Euch.“, befahl der König, was Oscar dankend befolgte. Wegen ihres heranwachsenden Bauches war ihr die Kniebeugen unangenehm. Flüchtig warf sie einen Blick in die Runde und außer ihren Vater entdeckte sie ein paar hochrangige Generäle und ihre Mutter nicht weit vom Thron des Königspaares. Was ging hier vor? Diese fragenden und beinahe fassungslosen Gesichtsausdrücke der Anwesenden verursachten in ihr ein Unbehagen.   „Euren Umstand sieht man Euch kaum an.“, hörte sie Marie Antoinette flüstern und sie schaute ruckartig zu ihr. Deshalb also war sie hierher bestellt! Sie hatte es ja geahnt, dass es nicht lange geheim bleiben würde – nicht nach dem gestrigen Zwischenfall mit ihrem Vater! „Ich verstehe nicht...“ Oscar verstand sie sehr wohl, sie wollte nur die Situation in die Länge ziehen, um die richtige Wortwahl zu finden und sich darauf vorzubereiten, was nun auf sie zukommen mochte.   „Ich fasse es nicht!“, knurrte Reynier, der direkt am Thron seiner Majestät stand. „Du versuchst ihr auch noch die Stirn zu bieten?“   Ludwig hob seine Hand. „Überlasst das uns, General.“, und wandte sich wieder Oscar zu. „Bekennt Ihr Euren Umstand, Lady Oscar?“   „Ja, Eure Majestät.“ Was hatte sie schon zu verlieren? Gut dass André draußen geblieben war und bei den Pferden auf sie wartete...   Marie Antoinette schlug sich entsetzt die Hand vor dem Mund. „Wie konntet Ihr nur? Wisst Ihr denn nicht, welche Konsequenzen das für Euch haben wird?“   Oscar legte langsam eine Hand sich auf den Bauch. „Das ist mir durchaus bewusst, Majestät, aber ich habe das aus Liebe zu einem Mann getan und ich bereue nichts.“   Marie Antoinette weitete die Augen, bei den anderen Anwesenden zogen sich die Augenbrauen missfällig zusammen. „Ihr liebt einen Bürgerlichen?“ Das war unbegreiflich! Wozu hatte man sie dann wie einen Mann erzogen, wenn sie sich von den schwachen und unsinnigen Frauengefühlen leiten ließ?! „Was für eine Schande...“, murmelte dabei jemand von den Generälen und wurde sofort in die Schranken gewiesen. „Gebt Ruhe!“, befahl der König und wartete, bis die Stille im Saal einkehrte. „Lady Oscar...“, begann er wieder an den ehemaligen Kommandanten des königlichen Garderegiments zu sprechen. „Da Ihr immer treu uns gedient habt und meiner Gemahlin, der Königin, mehr als ein Mal in schweren Situationen geholfen und sie unterstützt habt, bin ich geneigt, Euch den Titel, den Rang und den Posten als Befehlshaber zu lassen. Dafür aber solltet Ihr bekennen, dass Ihr unfreiwillig Eures Umstandes habhaft geworden seid und werdet dann von der Schuld freigesprochen.“   „Wie bitte?“ Oscar glaubte sich verhört zu haben. Ihr wurde speiübel – nicht von ihrer Schwangerschaft, sondern von der Abscheulichkeit, die man hier über ihren Kopf hinweg beschlossen hatte. „Und was wird aus dem Mann?“, brachte sie durch zusammengebissene Zähne hervor, um ihre aufsteigende Wut noch zu zügeln. „Und aus dem Kind?“   „Da André Grandier bürgerlicher Herkunft ist und sich an Euch vergangen hat, wird er exkommuniziert. Ihr werdet Graf de Girodel heiraten und wenn das Kind da ist, wird es in ein Kloster gebracht und für tot erklärt. Somit werdet Ihr und Euer Ruf unbeschadet bleiben.“, erläuterte der König und da hielt es Oscar nicht mehr aus. „Nein! Das lasse ich nicht zu!“, rief sie aufgebracht und ihre Stimme hallte in dem glanzvollen Audienzsaal. „Ich liebe ihn und werde mich niemals zu einer solch abscheulichen Lüge bekennen!“   „Oscar...“ Emilie hatte es schon damals, nach dem Kutschenüberfall, geahnt, dass ihre Tochter dabei war, ihren Herz an André zu verlieren... Anscheinend hatten die beiden doch zu einander gefunden und ihr Liebesglück verlebt – die leicht sichtbare Bauchwölbung von Oscar war ein eindeutiger Beweis dafür. Emilie blutete das Herz, wie alle Anwesenden auf ihr Kind erbarmungslos einstürzten, sie zu manipulieren und über sie zu bestimmen versuchten. Und trotz alle dem war sie gleichzeitig stolz auf ihre Tochter, weil diese für ihre Rechte kämpfte und nicht aufgab. Im Stillen gab sie ihr, André und dem noch ungeborenen Kind ihren Segen und vertraute auf Oscar, dass sie den richtigen Weg finden würde...   „Willst du etwa, dass wegen diesem halbblinden Nichtsnutz dein Ruf ruiniert wird?“, platzte es aus dem General und brachte mit seinem barschen Ton Emilie aus ihren Gedanken in die Gegenwart zurück. Auch er konnte nicht mehr an sich halten! Dieses törichte, unverschämte Kind! „Wir bemühen uns hier, deinen guten Namen zu retten und das willst du nicht?“   Was für ein Verrat! Es war ein Fehler hierher zu kommen! Jedoch war sie hier und würde ihren Mann stehen! Sie würde nicht klein beigeben, sie würde das verteidigen, was ihr lieb und teuer war! „Nein, Vater, ich stehe zu meinen Taten und werde lieber gebrandmarkt, als mich von André zu trennen, jemand anderes zu heiraten und mein Kind ins Kloster zu geben!“   „Überlegt es Euch gut, Lady Oscar...“, meinte Marie Antoinette schreckensbleich. „Ihr könnt alles verlieren!“   „Das ist mir egal...“, knurrte Oscar eisig und gab allen mit ihrem Auftritt zu verstehen, dass sie auf diese entwürdigenden Forderungen niemals eingehen würde! „...ich habe mir alles gut überlegt.“   Ein Soldat stürmte unaufgefordert in Audienzsaal. „Euer Majestät! Der Kommandant des königlichen Garderegiments hat den halbblinden Gardisten von Lady Oscar herausgefordert und duelliert sich mit ihm direkt vor den Toren!“   „André?“ Was würde noch kommen?! Das konnte doch alles nicht wahr sein! Oscar stürmte sofort aus dem Saal und dann nach draußen. Girodel setzte André heftig zu und obwohl André sich wacker hielt, würde es nicht lange dauern, bis er verlieren würde. Und dann geschah es: Girodel schlug ihm den Degen aus der Hand und setzte seine Klinge ihm an den Hals. „Und jetzt stirb!“, fauchte er verächtlich und statt zuzustoßen, hielt er überrascht inne. „Nur über meine Leiche!“ Jemand hielt ihm den Lauf der Pistole an den Kopf. Girodel kannte diese Stimme nur zu gut. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb ließ er seine Waffe fallen und drehte sich langsam um. „Aber Lady Oscar...“   Diese behielt ihn scharf im Auge, aber sprach zu ihrem Geliebten. „Ist alles in Ordnung mit dir, André?“   „Mir fehlt nichts...“   „Gut. Dann nimm die Pferde und steig schon in den Sattel. Wenn dich jemand aufhält, dann drücke ich ab, ich schwöre es!“ Oscar wartete, bis André aufsaß und ihren Schimmel zu ihr führte. Ohne die Waffe loszulassen stieg sie in den Sattel. „Ich habe Euch schon mal gesagt, dass es zwischen uns keine Verbindung geben wird und ich stehe zu meinem Wort! Also lebt wohl, Graf.“ Oscar warf noch einen kurzen Blick auf die großen Fenster des Audienzsaales, von wo sie gerade geflohen war und ritt dann schleunigst fort. Sie schaute nicht mehr zurück, sie hatte ihre Eltern und die anderen am Fenster gesehen und hatte damit von ihnen allen Abschied für immer genommen. Sie war nun eine einfache Frau und es lag eine ungewisse Zukunft vor ihr. Aber das würde sie schon schaffen, zusammen mit ihrem André... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)