Herzenswille von Saph_ira ================================================================================ Kapitel 19: Kopflos ------------------- Kopflos? Verantwortungslos? Oder einfach, weil sie dazu geboren war und nichts anderes als Kämpfen und Führen kannte?   Das Leben eines Mannes, eines Offiziers war ihr von Geburt an durch ihren Vater bestimmt – es war fest und tief in ihrem Blut verankert... Das konnte man nicht wie ein Kleidungsstück ablegen und vergessen... Nicht einmal ihr Umstand und dass sie eine Frau war, konnte den Kampfesswille und den Drang nach Gerechtigkeit in ihr auslöschen... Aber war das überhaupt ein richtiger Weg, eine richtige Entscheidung?   Oscar begutachtete sich in dem Spiegel und ebenso André, der hinter ihr stand und um sie seine Arme legte. Sie hatten bereits die Uniformen angezogen, sich dafür vorbereitet, was auf sie zukommen würde und gegenseitig geschworen, aufeinander achtzugeben. Jetzt, in der tiefen Umarmung und Innigkeit sprachen sie nicht mehr. Sie genossen die letzten Minuten des früheren Morgens, bis Alain mit der Söldnertruppe eintreffen würde...   „Lady Oscar, Ihr seid schon wach?“ Sophie betrat noch leicht verschlafen deren Kammer und wurde sofort hellwach, als sie alle beide in Uniformen sah! „Was habt Ihr vor?“ Die Frage hätte sie sich eigentlich ersparen können, es lag doch auf der Hand, dass ihr Schützling wieder zu kämpfen beabsichtigte... Ihr wurde bang ums Herz, ihr Inneres begann zu zittern und noch bevor Oscar zu einer Erklärung ansetzte, ging sie auf ihren Enkel mit blanken Fäusten los. „Wie kannst du das zulassen! Und das nennst du Liebe?“ Sie schlug ihn mit einer Faust gegen die Brust, mit der anderen Hand zog sie ihm am Ohr und verpasste ihm eine Kopfnuss.   „Es ist ihr Wille, Großmutter! Und ich werde sie mit meinem Leben beschützen, ich schwöre es!“, verteidigte sich André und versuchte aus ihrem Griff zu entkommen. Das besänftigte die alte Frau jedoch nicht. „Damit kommst du mir nicht durch!“, wütete sie schnaufend und rot vor Zorn. Noch einmal donnerte ihre Faust gegen den Brustkorb ihres Enkels, das dieser etwas zurücktaumelte und ihre Faust schmerzte dabei, als hätte sie gegen etwas Hartes geschlagen.   „Es reicht, Sophie!“ Oscar schritt ein und baute sich vor ihrem einstigen Kindermädchen auf. Eine Auseinandersetzung hatte ihr gerade noch gefehlt! „Du kannst André nicht für etwas verantwortlich machen, wofür er keine Schuld trägt! Es ist ganz alleine meine Entscheidung und dass musst du auch akzeptieren!“   „Lady Oscar...“, ertönte eine Stimme im Hintergrund. Rosalie stand erschrocken und mit glasigen Augen an der Öffnung zu der Kammer. Im Gegensatz zu Sophie wusste sie, warum Lady Oscar und André in Uniformen da standen – Bernard, ihr Mann, hatte sie heute Nacht bereits über alles eingeweiht. „Lady Oscar...“, wiederholte sie und bewegte ihre Füße. Wie schon in der Zeit, als sie auf dem Anwesen de Jarjayes gelebt hatte, drückte sie sich herzzerreißend an ihre Schutzpatronin und wie damals legte Oscar tröstend um sie ihre Arme. „Es wird alles gut, Rosalie, ich verspreche es dir.“   Rosalie vermochte keine Antwort zu geben und erst recht nicht, Lady Oscar von ihrem Tun abzuhalten. Aber wenigstens konnte sie noch einmal von ihr umarmt werden und darauf vertrauen, dass wirklich alles gut werden würde... Oscar streichelte sachte Rosalies Kopf und teilte währenddessen Sophie ihr Vorhaben mit.   Sophie protestierte erneut heftig und verständnislos, um ihren Schützling aufzuhalten. „Denkt an das Kind!“, versuchte sie sie auf diese Art zur Besinnung zu bringen.   „Das tun wir.“, Oscar ließ sich von nichts mehr abbringen – die Entscheidung war gefallen und es gab keinen Weg zurück. „Und deswegen kämpfen wir – für ihn und für unsere Zukunft! Du bleibst mit Rosalie hier. Keine Sorge, wir kommen zurück.“ Sie schob die junge Frau etwas von sich und sah sie an. „Rosalie, zum Abend wird es bestimmt viele Verletzte geben. Sorge mit Sophie für Bandagen und Verpflegung. Das werden wir nach den Kämpfen gut brauchen.“   „Versprecht mir, dass Ihr heil zurückkommt.“, wisperte Sophie nachgiebig und enttäuscht zu gleich.   „Ich verspreche es dir.“ Oscar lächelte matt und strich an ihrem Bauch. „Immerhin habe ich einen guten Grund dazu. Und wenn der Krieg eines Tages vorbei ist, werden wir feiern. Wir ziehen nach Arras und werden alle glücklich sein. Nicht wahr, André?“ Ihr Blick richtete sich liebevoll auf ihren Mann hin. „Weißt du, als wir einmal auf den Weg dorthin waren, haben wir Sonnenaufgang beobachtet. Das können wir öfters machen. Und dann kannst du mir sagen, wie sehr du mich liebst und dass du mein Mann bist.“   „Ja, das werde ich.“ André zog sie von Rosalie, umarmte sie und legte ihr eine Hand auf den Bauch. „Das und viel mehr.“ Das währte allerdings nicht lange. Oscar kam nicht einmal zur Antwort, als Bernard in die Wohnung zurückkam. „Eure Männer sind eingetroffen und erwarten Eure Befehle.“   Es war soweit, der Moment war gekommen und stieß Oscar endgültig in die Rolle eines Offiziers. „Und die Barrikaden?“   „Sind so gut wie errichtet.“   „Gut.“ Oscar ging mit ihm und André in den Keller. Sie hatte sich von Rosalie und Sophie bereits verabschiedet und mehr bedurfte es nicht, sonst würde die alte Frau sie noch mehr nicht gehen lassen wollen, auf sie einreden und das vermied Oscar, in dem sie Bernard sogleich folgte. Ihre Söldnertruppe empfing sie erwartungsvoll und Oscar hob gleich ihre Stimme: „Also Männer, wir brechen auf! Wir kämpfen für die Freiheit!“   „Jawohl, für die Freiheit!“, johlten die Männer und marschierten zu ihren Pferden.   „Wir schaffen das, André.“ Nur für einen kurzen Augenblick, bevor sie selbst auf die Pferde stiegen, lehnte sie sich an ihren Mann. „Solange du bei mir bist, habe ich vor nichts Angst.“   „Ich werde nicht von deiner Seite weichen.“ André drückte seine Frau sachte an sich und vergrub sein Gesicht in ihren weichen Locken. „Wir sind für einander bestimmt. Ich liebe dich über den Tod hinaus.“   „Sag doch so etwas nicht!“ Oscar erschrak beinahe. „Wir werden überleben!“   „Ja, Oscar, meine Geliebte, das werden wir.“   „Das hört sich schon besser an.“ Oscar schmunzelte unwillkürlich. Es war so tröstend in seinen Armen und es gab ihr Kraft, dass es alles gut enden würde. Eigenartig nur, dass sie seinen Herzschlag durch seine Söldneruniform nicht hören konnte. War er etwa nicht aufgeregt? Er zählte eigentlich schon immer zu den ruhigen und geduldigen Menschen. Vielleicht lag es daran, weshalb sie seinen Herzschlag nicht hörte. „André... Ich liebe dich aus tiefsten Herzen und nur mit dir, für dich werde ich fortan mein Leben führen...“   „Jetzt redest du, als wäre das ein Abschied für immer.“, murmelte er in ihr Haar und Oscar schob sich etwas von ihm. „Entschuldige.“   „Schon gut.“ André strich ihr an der Wange und zog leicht seine Mundwinkel nach oben. „Nur noch ein Kuss, bevor wir aufbrechen...“   „Ja, eine gute Idee, zur Stärkung...“ Oscar ließ sich von dem Kuss berauschen, als wäre es ihr letzter und dann brach sie mit ihm und ihren Soldaten der königlichen Armee entgegen auf, um sie von den Tuilerien fern zu halten. Das schien zu funktionieren und sie verwickelten immer mehr die feindlichen Linien in die Kämpfe. Die königlichen Soldaten fixierten sich schlussendlich nur auf die Abtrünnigen und jagten sie durch die Stadt.   Die Kompanie von Oscar wurde immer kleiner und zum Nachmittag schrumpfte sie auf weniger als die Hälfte. Oscar rief sie zum Rückzug an, mit der Hoffnung, dass Bernard und seine Aufständischen schon die Barrikaden vollends errichtet hatten. Die königlichen Soldaten waren überall und es kostete Oscar noch mehr Kameraden, darunter auch Lassalle. Sie mussten unbedingt einen Unterschlupf finden! Dann entdeckte sie eine unbewachte Unterführung über einen Kanal und dirigierte ihr Pferd dorthin. Ihre Männer folgten ihr. Gerade rechtzeitig versteckten sie sich, als feindliche Soldaten schon vorbei preschten, auf der Suche nach ihnen.   Erschöpft, aber noch lebendig, kauerten sie in der Unterführung. „Wir müssen versuchen, die Tuilerien zu erreichen. Unsere einzige Hoffnung besteht darin, uns Bernard und seinen Aufständischen anzuschließen.“, sagte Oscar im halblauten Ton.   „Unmöglich“, ermahnte Alain. „Wie sollen wir es schaffen, dorthin zu kommen? Auf den Straßen wimmelt es nur so von den Soldaten!“ Oscar musste ihm zustimmen. Sie hatten schon genug Verluste zu beklagen und so war sie überrascht, als Alain entschlossen einsetzte: „Wir müssen einen überraschenden Ausfall wagen! Auch wenn es Opfer kostet. Ich meine, wir müssen es riskieren. Wir sitzen in der Falle.“ Er legte seinem Freund die Hand auf die Schulter. „Was denkst du, André?“   Was sollte er schon denken? Es gab ja praktisch keinen anderen Weg und solange Oscar wie mit einem Schutzschild von ihrer Kompanie umgeben war, würden sie es noch lebend schaffen können. „Ja, natürlich, du hast recht!“, stimmte er Alain deshalb zu.   „So sei es.“ Oscar stand auf und ging ihren Männern aus der Unterführung voraus. Zu spät bemerkte sie einen patrouillierten Soldaten auf der Treppe und zog schussbereit ihre Pistole. Dieser bemerkte sie auch und richtete auf sie sein Gewehr. Er schoss, sie wich der Kugel aus und feuerte ihre Pistole ab. Ihre Kugel traf den feindlichen Soldaten todsicher und er fiel auf der Stelle um.   „Oberst!“, hörte sie Alain hinter sich rufen. „Er hat André erwischt!“   Oscar drehte sich um. Bei der Unterführung standen ihre Männer – vorneweg André, und Oscar durchfuhr einen eiskalten Schauer am gesamten Körper! Mit einem Mal vergaß sie alles um sich herum, wo sie sich befand und welches Vorhaben sie eigentlich hatte. Ihr Herz schmerzte höllisch, als wäre es mit einer Gewehrkugel getroffen worden und verblutete qualvoll. Aber sie lebte und stand wie gelähmt an der Treppe – ihre Augen weit aufgerissen und ihr fassungsloser Blick auf ihren Mann gerichtet. Dabei durchfuhr sie die schlimmste Angst, die sie je gespürt hatte und machte sie unfähig bei klarem Verstand zu bleiben – sie sah und dachte nur an André. Dieser hielt sich an die linke Brust, verzog schmerzlich sein Gesicht und glitt langsam zu Boden. „Nein, bitte nicht!“ Oscar eilte schreckensbleich zu ihm, fing ihn auf und sackte mit ihm zusammen... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)