My Story of Seasons von Jisary ================================================================================ Prolog: Der Aufbruch -------------------- „Lass mich sofort raus!“ Fynn will die Wohnung aus der Haustür verlassen, doch ihr wird der Weg versperrt. Ihr, seit einigen Minuten Ex-Freund, hat sich vor der Haustür aufgebaut und lässt sie nicht raus. Er ist sehr groß und wirkt bedrohlich. Seine stahlblauen Augen mustern sie. „Nein!“ Er schaut sie wütend, aber ruhig an. „Du hast gerade etwas sehr Dummes gesagt und ich lasse dich erst gehen, wenn du es zurückgenommen hast!“ Fynn kneift die Augen zusammen. Sie ist sehr wütend, aber auch auf der Hut. Cameron hatte ein kleines Aggressionsproblem seit einiger Zeit. Es war der Hauptgrund dafür gewesen, dass sie sich eben offiziell getrennt hatte und sie wollte ihn nicht mehr aufregen als nötig. „Merkst du eigentlich noch was? Das ist genau der Grund, warum es nicht funktioniert.“ Sie verschränkt die Arme vor der Brust. „Du hast ein Aggressionsproblem und du brauchst Hilfe.“ Cameron fängt an zu lächeln. Seine Augen glänzen Fynn entschlossen entgegen: „Vielleicht.“ Er macht einen Schritt auf sie zu. „Aber das ist nicht wichtig.“ Er macht einen weiteren Schritt auf Fynn zu. Diese wird unsicher was er vor hat und stellt sich auf ihr zurückgestelltes, rechtes Bein. Er muss einen Seitenschritt machen, um an der Couch vorbeizukommen. Das ist ihre Chance! Fynn nutzt das aus, springt um die andere Seite der Couch herum und ist mit einem schnellen Schritt an der Haustür. Sie streckt die Hand aus und umfasst den Türknauf. Die Tür öffnet sich einen kleinen Spalt und sie sieht sich schon draußen. Da greift Cameron sie am Arm, reißt sie herum und knallt die Tür mit der anderen Hand wieder zu. Er hatte sie wohl durchschaut und direkt wieder einen Schritt zurück gemacht. „Lass mich los!“, ruft sie und zappelt. Cameron drückt Fynn gegen die Tür. Seine rechte Hand umfasst ihren Hals und drückt gerade so fest, dass sie sich nicht bewegen kann, ohne dass es weh tut. Ihre Hände krallen sich an seine rechte Hand, um ihr etwas Luft zu verschaffen. Er ist so kräftig, so dass sie sich kaum bewegen kann. „Fynn, du übersiehst das Wesentliche.“ Seine linke Hand streicht ihr die rechte Wange hinunter. Verliebt und bedrohlich schaut er ihr in die Augen: „Du gehörst mir. Wir sind füreinander bestimmt und daran kann nichts und niemand etwas ändern.“ Fynn will etwas sagen, doch sie bekommt keinen Ton raus. Sie schnappt nach Luft. Sein Gesicht kommt näher. Fynn will ihren Kopf wegdrehen, doch seine rechte Hand hält ihren Kopf an Ort und Stelle. Sie fängt wieder an zu zappeln. Mit ihrer rechten Hand versucht sie ihn wegzudrücken. Cameron ist unbeeindruckt und nimmt sie mit seiner linken Hand von sich. Er nimmt auch ihre andere Hand und drückt sie über ihrem Kopf an die Tür. Mit seiner rechten Hand rutscht er etwas hoch und umfasst Teile ihres Kiefers, um ihr Gesicht so besser in Position bringen zu können. Sie zappelt weiter so gut es geht: „Du bist verrückt!“, haucht sie. Er lächelt verführerisch, aber nach wie vor auch bedrohlich: „Oh ja, vor allem nach dir.“ Sein Gesicht kommt näher. Kurz bevor sich ihre Münder treffen, klingelt es an der Tür, an der sie lehnen. Cameron stockt. Fynn kneistert und starrt ihm in die Augen: „Wenn du mich nicht sofort loslässt, dann schreie ich um Hilfe.“ Cameron fängt an mit sich zu hadern. Er beißt sich auf die Lippe. Er weiß genau, was das heißen würde. Langsam lockert sich seine Hand um Fynns Hals. Er lässt sie los und schaut zu Boden. Fynn legt ihre Hand auf den Türknauf und dreht ihn: „Ich will dich nie wieder sehen.“ Mit diesen Worten schiebt sie sich schnell aus der Tür, vorbei am Postboten, der mit einem Paket in der Hand auf Bestätigung wartet. Schnell springt sie die Treppen herunter ohne sich umzudrehen und verlässt das Haus. Ihren Eltern erzählt Fynn davon nichts. Sie möchte sie nicht unnötig aufregen. Die hatten Cameron noch nie gemocht und es würde nur in eine „Ich hab's dir ja gesagt!“ - Tirade ausarten, wenn sie es ihnen erzählen würde. Sie wussten, dass Fynn sich trennen wollte und hatten es begrüßt, hatten ihr aber ans Herz gelegt nicht zu ihm zu gehen dafür. Natürlich war es gewagt gewesen, aber nach so einer langen Zeit, wollte Fynn es ihm persönlich sagen und nicht per Nachricht. Nun hatte sie es hinter sich und sie war erleichtert. Es war eine unschöne Erfahrung gewesen, aber diese Aussetzer hatte er in letzter Zeit öfter gehabt und sich geweigert Hilfe zu suchen. Sie hatte ihn wirklich gemocht, aber damit konnte sie nicht umgehen. Am nächsten Morgen sitzt Fynn wie gewohnt in der Uni. Gelangweilt kritzelt sie auf einem Blatt Papier herum und wartet auf den Professor. Um sie herum ist es sehr laut. Die Kommilitonen erzählen sich Geschichten und beschweren sich, dass sie so früh aufstehen müssen. Fynn mag die Uni nicht besonders. Sie hatte sich nur eingeschrieben, weil ihrer Mutter so viel daran gelegen war. Sie wünschte sich für Fynn einen gut bezahlten Job und hatte sie angebettelt es wenigstens zu versuchen und Fynn war darauf eingegangen. Aber Studieren war eigentlich nicht ihr Ding. Sie würde viel lieber schon arbeiten und Erfahrungen in der Arbeitswelt sammeln. Als Fynn ihr Cartoon Huhn fertig gemalt hat, betritt der Professor den Hörsaal. Ohne große Begrüßung fängt er an etwas an die Tafel zu schreiben und sich etwas in den Bart zu murmeln, das vermutlich, wenn überhaupt, nur die erste Reihe verstehen kann. Fynn öffnet ihren Block und will mitschreiben, aber die Schrift des Professors ist mal wieder so klein, dass sie nichts lesen kann. Sie späht zu ihren Nachbarn. Die machen zumeist was anderes als sich mit dem Stoff zu beschäftigen. Fynn zuckt mit den Achseln und malt neben ihr Huhn noch eine Kuh. Der Tag ist schier endlos. Als die Vorlesungen schließlich vorbei sind, trifft sich Fynn mit ihrer Freundin Michelle in einer Tapas Bar. Michelle ist ihre beste Freundin und stets gut gelaunt. Das mochte Fynn sehr an ihr. Es ging nichts über einen Abend mit Michelle, um wieder gute Laune zu bekommen. Sie setzen sich an einen Tisch am Fenster und bestellen gemischte Tapas. Michelle schaut Fynn erwartungsvoll an: „Und?“ Fynn stützt ihren Kopf auf ihre Hand und seufzt. „Nun sag' schon! Hast du es ihm gesagt?“ Michelle platzt fast vor Neugier. „Ja, ich war bei ihm und habe Schluss gemacht. Es ist jetzt offiziell vorbei.“ Michelle kriegt ihren Mund kaum zu: „Nun lass' mich doch nicht so zappeln! Ich will Details!“ Fynn fängt an, an dem Schirmchen ihres Cocktails zu spielen: „ Na ja, er war nicht sehr begeistert.“ Michelle nimmt einen Schluck: „Na, das war ja zu erwarten. Aber wie schlimm war es?“ Fynn kräuselt die Stirn: „Ziemlich schlimm.“ Sie nimmt auch einen Schluck. „Er wollte mich bei sich einsperren, bis ich es zurücknehme.“ Michelle reißt die Augen auf: „Im Ernst? Ist ja krass.“ Sie rührt in ihrem Cocktail und ist sich nicht sicher, was sie sagen soll. „Und das war nicht mal das Schlimmste.“ Michelle schlürft weiter an ihrem Getränk und starrt Fynn gebannt an. „Als ich dann dennoch gehen wollte, hat er mich am Hals gepackt und gegen die Tür gedrückt.“ Fynn betrachtet die Erdbeere, die an ihrem Cocktailglas zur Deko steckt. „Er meinte, ich gehöre ihm.“ Michelle fällt der Strohhalm aus dem Mund: „Ist nicht wahr!“ Fynn seufzt: „Leider doch.“ „Wow. Das ist echt mies.“ „Du sagst es.“ Fynn legt den Kopf auf den Tisch und spielt weiter mit ihrem Cocktailschirmchen. „Aber das ist nicht das einzige, oder?“ Michelle spürt, dass Fynn bedrückt ist. „Du hast doch noch irgendwas?“ „Ach, nichts weiter Wichtiges. Uni war einfach wieder so langweilig. Ich habe schon jeden Morgen richtig Bauchschmerzen aufzustehen und dahin zu gehen.“ „Warum gehst du denn noch hin? Jeder weiß, dass du Uni scheiße findest. Mach' doch einfach was anderes.“ „Würd' ich ja gern.“, Fynn seufzt. „Aber meine Mutter wäre total enttäuscht, wenn ich das nicht durchziehe.“ „Ich bin mir sicher, wenn sie dich so sehen würde, würde sie das auch nicht wollen.“ Fynn hebt den Kopf: „Meinst du?“ „Klar!“ Michelle nimmt noch einen tiefen Schluck. „Du musst damit aufhören dein Leben so zu gestalten, wie du denkst, dass andere es wollen. Du bist der einzige, dem dein Leben gefallen muss.“ Sie zwinkert Fynn zu. Fynn ist nachdenklich. Michelle hatte schon Recht. „Niemandem wird es nützen, wenn du unglücklich bist, auch nicht deinen Eltern.“ „Vermutlich hast du Recht.“ Fynn nimmt auch einen tiefen Schluck. „Klaro hab' ich das!“ Der Kellner bringt die Tapas und stellt sie in die Mitte auf den Tisch. „Also dann, hau' rein!“ Fynn nickt. Sie fangen an zu essen und Fynn fängt an sich mit dem Gedanken anzufreunden ihr Leben endlich so zu gestalten, wie sie selbst es für richtig hält. Als Fynn nach Hause kommt, sitzen ihre Eltern auf der Couch und schauen Fernsehen. Sie will still in ihrem Zimmer verschwinden, als ihre Mutter sie bemerkt: „Guten Abend Kind. Sagst du uns nicht mehr „Hallo“?“ Sie muss wohl einen schweren Tag gehabt haben. „Ich bin zu Hause. Hatte einen schlechten Tag. Ich geh direkt schlafen.“ „Wieso, was war denn los?“ Ihre Mutter dreht sich um und schaut Fynn an, die in der Wohnzimmertür steht. Fynn ist eigentlich nicht gerade nach einem Gespräch mit ihren Eltern, aber sie wusste, dass sich ihre Mutter auch nicht so leicht abwimmeln lässt. Also, möglichst genauso viele Informationen rauslassen wie nötig, aber auch nicht mehr. „Ach, anstrengender Tag in der Uni... der Stoff ist sehr trocken.“ Ihre Mutter dreht sich wieder zum Fernseher: „So ist das nun mal, wenn man Erfolg haben möchte. Das Leben ist kein Ponyhof!“ Fynn kräuselt ihre Stirn: „Ich denke nicht, dass man etwas super Langweiliges machen MUSS, um Erfolg zu haben. Man kann mit fast allem Erfolg haben.“ „Aber für fast Alles bezahlt dich keiner.“ Ach, es machte nicht viel Sinn sich mit ihr über so was zu unterhalten. Für ihre Mutter war die Uni das einzige, was einen zu einem „richtigen Arbeiter“ qualifiziert. Dennoch wollte Fynn das diesmal nicht hinnehmen. Nicht heute! „Weißt du Mama, man muss nicht studieren, um gutes Geld zu verdienen. Und überhaupt: Wieso muss man überhaupt viel Geld verdienen? So lange man glücklich ist, ist das doch vollkommen egal!“ Fynns Mutter dreht sich wieder zu ihr um: „Rechnungen muss man immer bezahlen und dafür braucht man Geld. Dann noch die Lebenshaltungskosten, ein Auto usw. Das kostet Alles viel Geld.“ Fynn schüttelt energisch den Kopf: „Das kostet so viel Geld, wie man bereit ist dafür auszugeben. Man braucht nicht unbedingt ein Auto und auch nicht unbedingt eine teure Wohnung. Du bist so materialistisch.“ Ihre Mutter wird langsam sauer. „Was willst du mir erzählen Fynn? Du hast doch in deinem Leben noch nie wirklich gearbeitet und Rechnungen bezahlt. Du hast doch keine Ahnung davon, willst uns aber belehren.“ Wie immer zog sie Fynns Vater mit in die Diskussion rein, obwohl er gar nichts sagte. Wie meistens, hielt er sich bei diesen Diskussionen zurück. „Ich will dich nicht belehren, sondern dir eine neue Perspektive eröffnen, aber dafür bist du anscheinend zu verbohrt.“ Normalerweise achtete Fynn auf ihre Ausdrucksweise aber nach all den Jahren der Diskussion hatte sie einfach die Nase voll. Ihrer Mutter platzt der Kragen: „Ich muss mich von meiner 20 Jährigen Tochter wirklich nicht belehren lassen und schon gar nicht beleidigen! Wir bezahlen dich und dein Leben, also habe gefälligst etwas Respekt vor uns!“ Fynn brüllt zurück: „Ich habe euch nie darum gebeten mich auszuhalten! Ich würde ohnehin viel lieber arbeiten als dieses dumme Studium zu machen!“ Ihre Mutter ist empört: „Dieses „dumme“ Studium wird dir mal viel Geld einbringen!“ „Das weißt du doch gar nicht und außerdem brauche ich das nicht!“ „Na dann mach' doch ,was du willst. Mein Latein mit dir ist eh am Ende. Sag' doch auch mal was.“, plötzlich dreht ihre Mutter sich zum Vater, der ein ertapptes Gesicht macht. Seine Stirn legt sich in Falten: „Ich halte mich da raus.“ Das regt Fynns Mutter nur noch mehr auf: „Du weißt doch sowieso nicht, was du sonst machen sollst.“ „Doch!“, ruft Fynn ohne Nachzudenken. Allerdings hatte ihre Mutter Recht, sie hatte keinen Plan. Sie hatte sich darüber noch nie Gedanken gemacht. „Ach ja? Was denn?“, fragt ihre Mutter spöttisch. Fynn muss an ihre Zeichnungen im Heft denken. Etwas anderes fällt ihr gerade nicht ein: „Farmer!“, erwidert sie so bestimmt wie möglich. Alle halten inne. Eine gespenstische Stille entsteht. Da fängt Fynns Mutter plötzlich laut an zu lachen: „Hahahahaha. Bäuerin? DU? Wieso nicht gleich Kaiser von China?“ Sie nimmt Fynn überhaupt nicht ernst, so wie immer. Fynns Augen füllen sich mit Tränen; teils aus Wut, teils aus Trauer: „Du wirst schon sehen!“ Sie rennt auf ihr Zimmer und knallt die Tür zu. Sie schmeißt sich auf ihr Bett und drückt schmollend ihr Gesicht ins Kissen. Die Meinung ihrer Mutter, dass man von Jüngeren nichts lernen kann, brachte Fynn immer zur Weißglut. Ein ungewohnter Geruch steigt ihr in die Nase. Sie hebt den Kopf und sieht einen Blumenstrauß auf ihren Schreibtisch stehen. Sie steht auf und nähert sich ihm skeptisch. Es ist keine Karte dran, aber ihr ist klar, wer ihr den gebracht hat. Sie verzieht den Mund. Sie nimmt die Blumen und will sie in den Müllkorb schmeißen. Als sie die Blumen über den Eimer hält, hält sie inne. Ihr tut es um die schönen Blumen leid. Sie mochte Blumen und sie konnten nichts dafür, wer sie gekauft hatte. Sie seufzt und stellt sie wieder zurück. Wäre schade drum. Dennoch machen ihr die Blumen eins klar: Cameron würde sie nicht so ohne Weiteres in Ruhe lassen. Er wusste Alles über Fynn: Wo sie wohnt, wo sie studiert, wo sie gerne isst, wer ihre Freunde sind... einfach Alles. Um ihm zu entgehen, gab es nur eine Möglichkeit: Von hier weg gehen. Fynn kaut sich auf der Lippe herum und denkt angestrengt nach. Wahrscheinlich würde ihr auch Abstand von ihren Eltern gut tun. Um ihnen zu beweisen, dass sie es auch alleine ohne Probleme schafft, gab es wahrscheinlich keine Alternative. Sie setzt sich an den Schreibtisch und klappt ihren Laptop auf. Farmer, hm? Wieso eigentlich nicht? Sie liebte die Natur und Tiere. Als Kind hatte sie oft Urlaub auf Bauernhöfen gemacht und immer gerne mitgeholfen. Aber dafür braucht man bestimmt viel Geld. Man muss sich ein Grundstück kaufen, Ackerland, Maschinen usw. Das hatte sie leider nicht. Fynn surft die halbe Nacht im Internet auf der Suche nach Optionen. Da stolpert sie über eine Ausschreibung: Farmer gesucht! Sie studiert die Anzeige und sie passt perfekt. Man muss wenig investieren und kann quasi direkt anfangen. Man muss allerdings umziehen und kann direkt seinen eigenen Hof führen. Noch etwas in Rage über ihre Mutter und Anspannung wegen ihrem Ex – Freund bewirbt sie sich direkt. Sie rechnet sich keine hohe Chancen aus, aber versuchen kann man es ja mal. Die nächsten Tage verbringt Fynn hauptsächlich in der Uni. Ihre Mutter tut so, als hätte es ihren Streit nie gegeben und Fynn versucht sich auf die kommenden Prüfungen vorzubereiten. Jeden Tag surft sie im Internet und recherchiert, was genau zum Farmerleben dazugehört. Mit jeder Recherche - Session, die sie macht, wird der Gedanke an ein leben als Bäuerin attraktiver. Von ihrer Bewerbung hört sie jedoch nichts. Am Freitag Abend will Michelle mit Fynn in eine Bar gehen. Fynn ist kein großer Partymensch, aber Michelle ist es und so geht sie mit, um Michelle eine Freude zu machen. Als sie sich fertig macht, wird ihr ein bisschen mulmig. Sie hatte des öfteren in den letzten Tagen das Gefühl gehabt, dass Cameron sie beobachtet. Sie war sich allerdings nicht sicher gewesen und hatte es deswegen niemandem erzählt. Cameron hatte sich im letzten Jahr so sehr verändert. Dass sie mal Angst vor ihm haben könnte, hätte sie nie gedacht. Als sie in der Bar ankommen, ist schon gut was los. Wie immer ist Michelle in bester Feierlaune und stürzt sich sofort ins Getümmel. Fynn geht zur Bar und bestellt sich und Michelle etwas zu trinken. Wenn Michelle einmal auf der Tanzfläche war, war es erfahrungsgemäß schwierig sie da wieder runter zu kriegen und so freundet Fynn sich mit einem Barhocker an, der am Ende der Bar steht. Während Fynn an ihrem Drink nippt, beobachtet sie Michelle beim Tanzen. Sie hatte es ihr nie gesagt, aber sie bewunderte Michelle dafür so ausgelassen sein zu können. Ihr schwebten so viele Gedanken im Kopf herum, dass es ihr schwer viel sich zu entspannen. Da stellt ihr der Barmann plötzlich ein Getränk vor die Nase, das sie gar nicht bestellt hatte. Sie schaut ihn verwirrt an. Dieser nickt freundlich und sagt: „Jemand möchte ihnen einen ausgeben.“ Er zwinkert und widmet sich weiter seiner Arbeit. Fynn ist nach wie vor verwirrt und betrachtet den Drink. Es ist ein Sahne - Cocktail, so wie sie ihn am liebsten mochte. Sie gönnte sich so was jedoch nicht oft, weil er so teuer war. Angespannt schaut sich Fynn um. Sie hat Angst, dass Cameron es war, doch sie kann ihn nicht entdecken. Da trifft ihr Blick sich mit dem eines anderen, jungen Mannes, der ihr zuprostet und lächelt. Fynn ist erleichtert. Es ist nicht Cameron. Der junge Mann kommt zu ihr herüber geschlendert: „Guten Abend, schöne Frau.“ Fynn lächelt etwas zerknirscht zurück. Ihr Herz schlägt ihr noch immer bis zum Hals bei dem Gedanken auf Cameron zu treffen. „So ganz alleine hier?“ Fynn schüttelt mit dem Kopf und lächelt leicht: „Oh nein. Ich bin mit der Party Queen schlechthin hier.“ Sie zeigt auf Michelle, die eine flotte Sohle auf's Parkett legt. Der Mann lacht: „Ja, da würde ich mich auch eher hierher verziehen. Meine Begleitung sieht ähnlich aus.“ Er zeigt auf einen jungen Mann, der zusammen mit anderen, um Michelle herum versucht mit ihr zu tanzen. Fynn lacht. Das passte in der Tat sehr gut. „Vielen Dank für den Cocktail.“ Der Mann lächelt und schüttelt mit dem Kopf: „Gerne geschehen. Du sahst ein bisschen niedergeschlagen aus. Dem wollte ich entgegen wirken.“ Sie stoßen an und trinken einen Schluck. Gerade als Fynn den Schluck im Mund hat und anfängt zu entspannen, sieht sie Cameron hinter dem Mann. Er packt ihm energisch mit der Hand auf die Schulter: „Hast du mit meiner Freundin irgendwas Bestimmtes zu schaffen?“ Sein Ton ist ruhig und kühl. Seine große Erscheinung wirft einen bedrohlichen Schatten auf die beiden. „Nein, nein, Alles cool. Ich habe ihr nur ein bisschen Gesellschaft geleistet, während sie alleine war.“ Der Mann steht auf und macht eine abwehrende Geste. Fynn verschluckt sich an ihrem Getränk. Der Mann geht und Cameron setzt sich auf seinen Platz. Fynn klopft sich auf die Brust. Sie hatte gewusst, dass er nicht weit sein kann. Sie will aufstehen und gehen, doch Cameron hält sie an der Hand fest und zieht sie auf den Sitz zurück. Er rutscht nah an sie heran und legt seinen linken Arm über ihre Schultern. Seim Druck verhindert, dass sie aufstehen kann. Er dreht seinen Kopf nah an ihren, damit nur sie ihn verstehen kann. Er nimmt ihr außerdem die Sicht auf den Großteil der Bar. „Was soll das? Ich habe dir doch gesagt, dass ich dich nicht mehr sehen will.“ Seine stahlblauen Augen schauen sie an. Sie sind wie beim letzten Mal wunderschön und kühl. Fynn kriegt Gänsehaut auf den Armen. „Unser Gespräch war noch nicht vorbei.“ „Doch, war es!“ Fynn will sich lösen, doch Cameron drückt sie mit dem Arm auf den Sitz. „Ich habe dir noch was zu sagen.“ Er dreht mit seiner linken Hand ihren Kopf ein bisschen zu ihm und stützt seinen Kopf leicht auf seine rechte Hand. „Wir gehören zusammen. Das haben wir schon immer und werden wir auch immer. Ich finde es schade, dass du das für den Moment vergessen hast, aber ich bin mir sicher, dass du es bald wieder erkennst.“ Fynn läuft es kalt den Rücken herunter. Wie konnte man nur etwas Schönes in dieser Art und Weise sagen? Sein Ton war so... besessen. Es war ganz seltsam; gar nicht so wie sie es von früher in Erinnerung hatte. „Lass mich los, sonst schreie ich!“ Fynn will nur raus aus dieser Umarmung. „Keine Sorge. Ich werde es dir wieder klar machen. Du wirst bald wieder an meiner Seite sein und wir werden über diesen Vorfall lachen können.“ Er nimmt mit der rechten Hand ihre linke Wange, dreht ihren Kopf zu sich und küsst sich auf den Mund. Fynn ist wie gelähmt. Sie hofft einfach, dass es bald vorbei ist. Nach dem Kuss streichelt er ihr sanft über die Wange und schaut ihr tief in die Augen: „Du wirst schon sehen!“ Mit diesem Worten steht er auf und verlässt die Bar. Fynn ist wie erstarrt. Ihr ist kalt und sie zittert. „Fynn, Alles in Ordnung?“ Fynn starrt auf den Sitz, auf dem Cameron gerade gesessen hatte. Michelle war von der Tanzfläche herüber gekommen und stand jetzt neben ihr: „Ich habe gerade Cameron raus gehen sehen. Was ist passiert?“ Sie schaut besorgt und hat schon so eine Ahnung, was das Problem ist. Fynn schüttelt den Kopf: „Tut mir leid, Michelle, aber können wir gehen? Ich will nur weg.“ Michelle nickt: „Aber natürlich. Ich hole unsere Jacken!“ Sie springt schnell rüber zur Garderobe. Fynn steht auf. Dieser Blick von Cameron geht ihr nicht aus dem Kopf. Er war so kalt und bestimmt. Alleine bei dem Gedanken daran, läuft ihr ein kalter Schauer über den Rücken. Michelle gibt ihr die Jacke und sie bringt Fynn heim. Auf dem Weg erzählt Fynn ihr, was passiert ist. Michelle ist sprachlos. Sie sagt Fynn, dass sie sich erst mal ausruhen soll. „Alles wird wieder gut. Du wirst sehen.“ Fynn hatte diese Worte als Floskel abgehakt, doch als sie nicht schlafen kann, geht sie noch mal an ihren Laptop. Sie hat eine neue Mail. Es ist eine Antwort auf ihre Bewerbung. Sie fällt vom Glauben ab. Ihre Bewerbung wurde angenommen. In der Mail stehen alle Formalien und der weitere Ablauf drinnen. Es soll mehr oder weniger direkt losgehen, sobald sie bestätigt. Sie lässt sich zurück in ihren Stuhl fallen und starrt auf den Bildschirm. Damit hatte sie ja nun gar nicht gerechnet. Michelle hatte wirklich Recht gehabt. Einige Minuten sitzt sie regungslos auf ihrem Stuhl und starrt auf den Laptop. Das war vielleicht die wichtigste Entscheidung ihres Lebens. Sollte sie es wirklich wagen? Weg aus ihrem gewohnten Umfeld, von ihrem Studium und ihren Eltern in ein Leben, von dem sie eigentlich nichts verstand; von dem sie gar keine wirkliche Vorstellung hatte? Da kommen ihr wieder die Augen von Cameron in den Sinn und ihre Mutter, die überhaupt kein Vertrauen in ihre Tochter hatte. Fynn kneift die Augen zusammen und setzt eine entschlossene Mine auf. Sie richtet sich auf und antwortet auf die Mail mit einer Bestätigung. Vor dem Klick auf „Absenden“ hält sie noch mal kurz inne. Aber egal wie sehr sie es dreht und wendet: Alles in ihr schreit, dass es richtig ist und so schickt sie die Bestätigung schließlich ab. Sie lehnt sich zufrieden zurück. So ein positives Gefühl hatte sie schon lange nicht mehr gehabt. Sie geht ins Bett und schläft schnell ein. Die nächsten Tage vergehen wie im Flug. Sie muss einige organisatorische Dinge erledigen. Ihre Eltern sind außer sich, als sie die Information bekommen. Fynn formuliert es nicht mal wie eine Frage, sondern informiert sie lediglich über ihre Entscheidung; die Meinung ihrer Eltern kennt sie ohnehin schon. Außer Michelle und ihren Eltern erzählt sie niemandem davon. Sie meldet sich auf Facebook ab, meldet der Uni, dass sie nicht mehr kommt und packt ihre sieben Sachen. Am Vorabend ihrer Abreise ist sie dermaßen aufgeregt. Alles was sie mitnimmt sind ein paar Taschen mit Klamotten, Kuscheltieren und ihr Laptop. Sie hatte von einer gewissen Veronica eine Karte zugeschickt bekommen und eine Wegbeschreibung. Der Ort zu dem sie wollte hieß Eichbaumhausen. Sie musste eine ganze Weile mit dem Zug fahren und danach noch mit dem Bus. Es war wirklich am Arsch der Welt, aber genau dort wollte Fynn auch hin! Am nächsten Morgen, es ist fast noch in der Nacht, bringt ihr Vater sie zum Bahnhof. Von ihrer Mutter hatte sie sich vorab schon verabschiedet. Sie war noch immer eingeschnappt und wollte deswegen nicht mitkommen. Fynn wusste nicht genau warum, aber vermutlich konnte sie es nicht ertragen, dass Fynn das Ganze wirklich in die Tat umsetzte. Fynn war sich sicher, dass sie am Ende stolz sein würde. Michelle kam mit zum Bahnhof um sich zu verabschieden. Am Bahnhof angekommen, parkt ihr Vater den Wagen und geht mit ihr und Michelle zum Gleis. Fynn ist so dermaßen aufgeregt und ist froh, dass die beiden da sind. Nach ca. 20 Minuten fährt der Zug in den Bahnhof ein. Es geht los. Sie drückt ihren Vater und Michelle fest. Ihr Vater hat ein bisschen Tränen in den Augen: „Pass gut auf dich auf mein Kind. Und ruf' uns an, wenn du da bist.“ „Klar, mach ich!“ „Ich bin sicher, dass du das rockst!“ Michelle ist fast genauso aufgeregt wie Fynn, hat aber vollstes Vertrauen zu ihr. „Ich komm dich mal besuchen, wenn du dich eingelebt hast. Und solltest du irgendwann Pferde haben, bin ich eh direkt vor Ort.“ Michelle zwinkert. Sie liebte Pferde. Fynn lacht. „So, ich muss jetzt.“ Beide nicken. Ihr Vater hilft ihr noch beim Verladen der Koffer. Fynn steigt ein und sucht ihren Platz. Sie war noch nie alleine verreist oder länger von zu Hause weggeblieben; direkt ins kalte Wasser. Sie setzt sich und drückt ihre Nase am Fenster platt. Michelle und ihr Vater stehen da und fangen an zu winken, als der Zug sich langsam in Bewegung setzt. Fynn winkt auch, so lange, bis sie den Bahnhof am Horizont verschwinden sieht. Sie lässt sich in den Sitz fallen und betrachtet die Karte, die sie die ganze Zeit fest in der Hand hält. Sie hat keine Ahnung, was sie genau erwarten wird, aber eins ist Fynn klar: Die Entscheidung, die sie getroffen hat, wird sicher nicht leicht, aber sie war richtig. Jetzt konnte sie endlich ihr eigenes Leben anfangen zu leben und nicht das eines anderen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)