Abenddämmerung von Morgi (Inu no Taishō / Inu no Kami) ================================================================================ Kapitel 2: Birkenrinde ---------------------- Abenddämmerung - Birkenrinde - Autor: Beta: Fandom: Inu Yasha Genres: Drama, Romantik (Hetero), Alternative Timeline Triggerwarnungen: Tod, Gewalt Disclaimer: Inu Yasha ist Eigentum von Rumiko Takahashi, ich verdiene hiermit kein Geld. Die Geschichte wird durch meine Rückkehr auf Animexx erneut hochgeladen. - - - - - - - 2 Als sich der Sommer sechshundert Jahre später dem Ende zuneigte, wurden die Blätter golden und raschelten knisternd im Wind. Die Tage wichen den Nächten, noch ehe die ersten Papierschiffchen auf den Teichen tanzten und friedlich über seichte Wellen hinwegtrudelten. In jedem Jahrhundert ehrten die Dämonen der westlichen Residenz damit die Toten, doch niemand achtete auf die Karpfenmäuler, die neugierig an den zart bemalten Booten zupften. Dann verschwanden auch die Fische in die Tiefen und verspürten weder Hunger, noch Eifer. Grillen zirpten zwischen welkem Schilf und Glühwürmchen zogen ihre Kreise über den Schirmchen und Flämmchen. Seufzend entließ Isamu die Luft aus den Lungen, dann stützte er das Kinn auf die Hand und warf einen langen, geduldigen Blick auf den Flohgeist. Myouga saß wie er mit untergeschlagenen Beinen im Gras. Sein Saugrüssel zuckte bei jedem Wort, während seine Hand wie die eines Generals von links nach rechts wischte. "Konzentriert Euch auf Eure Schritte, junger Herr. Das ist das Wichtigste! Zupft nicht an den Falten des Obis, lasst Eure Hände ruhig auf den Oberschenkeln liegen und vor allem", sein Blick wurde scharf wie die Klinge eines Schwertes, "sprecht nicht wieder heimlich mit den Damen! Euer verehrter Vater, der Fürst, wird mich in kleine Häppchen schneiden, wenn er es erfährt. Und wir wissen beide-" "-dass er seine Augen und Ohren überall hat. Ja, mein Freund, das ist mir wohlbekannt. Eines hast du allerdings vergessen." "Huh?" Der Weißhaarige hob feierlich an: "Recke abweisend dein Kinn vor unseren Gästen, um weder als weich, noch als gutherzig und schon gar nicht als nachgiebig zu gelten. So etwa!" "J-junger Herr!", empörte sich der daumennagelgroße Wicht, während Isamu das Gesicht zum Nachthimmel drehte und düster knurrte. "Macht Euch nicht auch noch lustig über meine Ratschläge! Haltet Ihr das alles für ein Spiel?!" "Wie könnte ich?", erwiderte der Jüngere verschmitzt, bevor er den Blick wieder senkte. "Ohne dich, Myouga, wüsste ich kaum, was ich einmal anders machen könnte, sobald ich der Inu no Taishou geworden bin." "Oh bitte, junger Herr!", flehte der Flohgeist, während er dem auf die Beine kommenden Hundedämon mit zwei Sprüngen beikam und unter einem dritten, mächtigen Satz in dessen weichem Schulterfell landete. Rasch strich Myouga dort die weißen Härchen auseinander, doch er benötigte all seine Balance, um nicht wieder herunterzupurzeln: Warum nur musste sein Schützling es immer so eilig haben? Nie saß er still, und falls er es tat, dann nur bei den alten Dienerinnen seiner Mutter, die ihn mit nachsichtiger Strenge behandelten. Zum Haareausrupfen war das! "Ihr könnt doch keine jahrtausendealten Traditionen umwerfen!" "Ich kann", raunte Isamu amüsiert, "und ich werde." "Nein, ich verbiete es!" "Du bist mein Berater, Myouga, und ich sollte dich daran erinnern, dass dies außerhalb deiner Fähigkeiten liegt." "Ja ..." Verflixt! Das wusste er auch, aber belehren ließ er sich deshalb noch lange nicht. Einen Trumpf besaß er - und den spielte er mit einem kecken, besserwisserischen Schnauben aus: "Ohne Braut werdet Ihr kein Fürst! Auch das ist Tradition, nicht wahr?" "Eine lästige, wie ich hinzufügen möchte." "Ihr habt trotzdem keine." "Ich wünsche auch keine." "Seid doch nicht so stur!", entfuhr es Myouga, während der hochgewachsene Hundedämon gediegenen Schrittes an Magnolienbäumen, Federfarn und wildem Klee vorbeiging. In der Luft lag der Geruch von Regen, aber das Gewitter wollte der Floh sehen, das dem zukünftigen Fürsten die Flausen auswusch. "Ihr zählt erst achthundert Winter, aber wenn Ihr so weiter macht, kostet Ihr mich Nerven, als wärt Ihr wieder halb so alt und hättet erkannt, dass Euch die Geliebten Eures Vaters bereits mit gezierten Worten umschmeicheln!" "Ich habe sie nie angerührt, Myouga, trotz deiner Befürchtungen. Soll ich es heute Nacht ändern?" "Nein!", bellte der Floh entsetzt, bevor er sich über die kreidebleichen Wangen rieb und mit Augen so groß wie Sakeschälchen zu ihm sah. "Bitte, kein solcher Scherz, solange ich am Leben bin! Euer Vater würde das kaum dulden, Euch bestrafen und der Hofdame die Untreue bitter heimzahlen. Ihr wisst doch, was dem letzten Kriegsherren geschah. Sagt mir, dass Ihr das nicht vergessen habt!" Isamus heiteres Lächeln erstarb auf seinen Lippen, als wäre die Sonne hinter den Baumkronen und der Linie des Horizonts verschwunden. Es hingen keine schönen Erinnerungen daran, denn sein Vater hatte beiden jeden Knochen einzeln brechen lassen und ihr instinktiver Versuch, sich mit Youki zu schützen, war mitleidserregend gewesen. Niemand übertraf die Kräfte des Inu no Taishou, der die Schwünge seines Schwertes mit einer Genauigkeit ausführen konnte, die ein Reiskorn zehnfach spaltete. Und dann war er nicht einmal aufgewärmt. "Sei unbesorgt", versicherte er. "Ich habe kein Interesse an Vaters Damen." Kurz hob der junge Fürstensohn den Kopf, hinauf zu den Sternen, die wie ein Teppich über den weitläufigen Gärten der Residenz funkelten und glitzerten. Eine Stickerei hätte kaum schöner und betörender sein können - verrückt, nicht wahr? Dabei hatte er für die kostbaren Muster nicht einmal etwas übrig, aber die Stille der Nacht wusste er zu schätzen. "Myouga?" "Ja?" "Ich frage mich ..." "Ja?", hakte der Floh auffordernd ein. Was spukte ihm denn nun schon wieder im Kopf herum? Konnte es zur Abwechslung einmal etwas Gutes sein? Herrje. Beinahe wäre er als langjähriger Berater des Hauses der Versuchung erlegen, darüber zu seufzen und kleine Kringel und Zöpfe in das Schulterfell zu flechten. So viele Welpen hatten seinen Weg gekreuzt, aber wie der zukünftige Herr der Hunde benahm sich niemand. Die meisten in seinem Alter eilten den gefütterten Säumen der Dämoninnen hinterher, doch ihm genügte hin und wieder ein Lächeln, das gegen jede Erziehung verstieß: Sanft und ruhig, als könne er Gestein zu Sand zerbröseln lassen. Dazwischen füllte ihn das harte Schwertkampftraining aus, das er im Morgengrauen mit Feuereifer und wilden Sprüngen verfolgte, als könne er den Tag nicht erwarten, eine mächtigere Klinge zu verdienen. Seinem jungen Herrn waren inzwischen so viele, gute Schneiden zerbrochen, dass der Schmied der Residenz längst aufgehört hatte, die Stücken zu zählen. Nur für dumm brauchte er ihn, Myouga, nicht zu halten. Für die anmutigen Gesten einer Frau interessierte er sich nämlich trotzdem. Als Berater war er nur höflich genug, nicht darüber zu plaudern, mit wem sich der zukünftige Fürst vor einunddreißig Wintern näher unterhalten hatte - der Umstand ihn damals schwach werden zu sehen, genügte völlig! Wer das tat, konnte auch zur Ehe motiviert werden. Bedauerlich nur, dass er verpasst hatte, weshalb sich das Techtelmechtel einige Jahre darauf wieder entzweite. Solches Wissen war stets nützlich, um herauszufinden, welche Eigenschaften er bei einer Braut schätzen könnte: Ach, wenn er nur von selbst eine wählen würde! Die Dämonin, die ihn damals erweicht hatte, war kurz darauf in die Ehe übergetreten, und er als Berater zögerte bis heute, sie näher zu allem zu befragen. Die Zwei unterhielten sich noch immer höflich miteinander, das konnte böse ins Auge gehen. Hmpf! Wie ärgerlich! Mürrisch blies Myouga die Wangen auf, dann räusperte er sich und klang wieder seidenweich. "Ihr wolltet etwas sagen, junger Herr." "Vater lud zwei Töchter ein, um sie mir aufzudrängen?" "Drei, doch nur zwei kommen als Braut infrage", berichtigte Myouga. "Ihre Väter sind ausgesprochen mächtig und verfügen über viele Männer, die in Schlachten um Ehre und Gebiete feilschen, dass man keinen von ihnen zum Feind gebrauchen kann. Da die alten Verträge bald auslaufen, wäre es klug, wenn Ihr wenigstens eine der wohlerzogenen Damen in Betracht ziehen würdet." Der Weißhaarige hob beide Brauen, als könne er keinen absurderen Gedanken hegen. Und warum sollte Vater sich die Mühe machen, eine dritte Frau zu begrüßen, die ihm nicht nützte? Nein, besser er hielt seine Neugierde im Zaum und beschränkte sich auf das Wesentliche. "Kennst du sie persönlich?", wollte er wissen. Myouga starrte ihn vollkommen sprachlos an. Dann begannen seine Fingerspitzen zu zittern. "Unmöglich! Ich habe Euch vorhin alles berichtet, was ich über die Vorschläge unseres Fürsten zu sagen wusste! War das etwa vergebene Müh?!" "Kaum, mein Freund, doch das war nicht meine Frage. Ich möchte wissen, ob du ihnen begegnet bist. Gerüchten und den Worten eines Dienstboten kann man nur schwerlich glauben, ehe man sich nicht mit eigenen Augen von der Wahrheit überzeugt hat. Waren das nicht deine Worte?" Der Floh biss sich entrüstet auf die Lippen, bis sie schlohweiß hervortraten. Im Gegensatz zu der nachtschwarzen Umgebung, die weder ihm, noch dem Hundedämon etwas ausmachte, sah es bereits aus, als habe er eine zornige Totenmaske aufgesetzt. "Schon wieder dieser Trick!", schimpfte er. "Ihr wisst, dass ich das ganz anders gemeint habe und damals von Kriegslisten sprach. Von heiratsfähigen Dämoninnen, denen man auf den Fangzahn fühlen soll, war nie die Rede. Dennoch dreht Ihr mir alles im Munde herum!" "Ich bin untröstlich über das Missverständnis", lächelte Isamu voller Schalk. "Nun, kennst du dennoch eine der Damen?" "Natürlich." Trotzig verschränkte Myouga die vier Floharme vor der Brust, bevor er die Lippen verzog. "Ihr kennt selbst eine von ihnen, und ich hoffe um Euretwillen, dass Ihr sie dieses Mal etwas freundlicher behandelt. Ohne Eure Jugend hättet Ihr sie damals tödlich beleidigt und uns eine Fehde ins Haus geholt!" "Tatsächlich?" "Oh nein! Kommt mir nicht so!" Diese überraschte Miene, bei der sein junger Herr den Kopf zur Seite neigte, sah er oft genug. Aber dieses Mal würde er ihr nicht auf den Leim gehen! "Ihr wisst genau, wen ich meine. Die Fürstentochter des Ostens wird nur zwei Nächte zu Gast sein, ehe ihr Vater weiterzieht. Vermasselt es kein zweites Mal, auch wenn ihre Aufwartung nichts mit einer Brautschau zu tun hat!" Isamu schmälerte die Brauen, ehe er auf dem duftenden, knisternden Gras innehielt und dem Gedanken nachhing, der ihn hinterrücks gepackt und mit dem Geruch wilden Honigs erfüllt hatte. Der Osten, natürlich. "Noriko", dämmerte es ihm überrascht. "So hieß sie doch, nicht wahr?" "Ich wünschte, dass Ihr Euch an alles, was man Euch erzählt, so gut erinnern würdet wie an ihren Namen", moserte Myouga in das Schulterfell hinein. "Jeder Anfang ist schwer", lächelte er. "Und ich werde sie kein zweites Mal zu alt nennen, sei unbesorgt. Darauf gebe ich dir sogar mein Wort!" 3 "Herrin", flüsterte es neben ihr, "der nimmt den Mund ganz schön voll." Fumis Augen funkelten verschwörerisch, ehe sie ein Schlag auf die Schulter zusammenfahren ließ und sie empört den Kopf nach hinten drehte. Ihr perlweißer Kimono war nicht so aufwendig bestickt wie Yoris, aber er knisterte, als wäre er siebenmal schwerer. "Himmel! Warum bist du nur immer so garstig, sobald ich unsere zukünftige Fürstin unterhalte? Es ist doch die Wahrheit!" "Du bist schwatzhaft", schalt die Ältere. "Das ist der erste General des Inu no Taishou und es interessiert niemanden, ob er in seiner Begrüßung übertreibt. Er ist ein Mann und weiß, was er tut!" "Und deshalb schlägst du mich mit deinem Fächer?" "Du hast völlig recht, meine Liebe. Wie ungehörig von mir." Yori lächelte kühl wie das Frühlicht, das sich nahe der Torbögen in dem Tau auf den Spinnennetzen und Grasbüscheln spiegelte. "Ich werde das nächste Mal meine Klauen benutzen, ehe du uns alle ins Verlegenheit bringst." "Wie bitte?" Fumis Gesicht wurde bleich, aber zu ihrem Glück wandte sich die Amme wieder den anderen Hofdamen zu, die wie die Woge eines Meeres in Bewegung gerieten. Die Wachen der westlichen Residenz gaben soeben den Weg frei, doch von denen hielt es niemand für nötig, den üppigen Seidenstoffen mehr Beachtung zu schenken als den Männern in Waffen, die vorneweg schritten. Dem Fürsten des Ostens, der an der Spitze lief, war das nur recht. Seine grimmige Miene, die in den Mundwinkeln steif, feindselig und finster verankert schien, mündete nur in einem kühlen Schulterblick, als müsse er besonders die Frauen zur Eile antreiben. Noriko senkte instinktiv den Blick. Sie kannte ihren Platz, auch wenn sie Fumi noch immer nicht aus den Augen ließ. "Ich sollte dich für deine Feststellung rügen", flüsterte sie, "aber mir fällt kein Grund ein, dir darin zu widersprechen. Hüten wir wohl besser beide unsere Zungen." Die junge Hofdame grinste prompt, ehe sie sich über den ziependen und kribbelnden Nacken rieb und die Erscheinung ihrer jungen Herrin musterte. Noriko-sama hatte bereits vor sechshundert Jahren eine schlichte Schönheit im Kimono gezeigt, doch dieses Mal war die Spinnenseide weit prächtiger verziert. Blau und weiß erstrahlten die Stickereien, ja, schwangen sich wie lebendig geworden über den bepelzten Säumen zu Kranichen empor. Der Fürst hatte ihr ein verschwenderisches Geschenk gemacht, um ihren Stand zu betonen. Er war höchstpersönlich in den Wäldern des Ostens unterwegs gewesen, um ein ganzes Nest mit diesen abscheulichen, riesigen Spinnen auszuräuchern und den Weberinnen mit der Beute mehr Arbeit zu bescheren, als diese in einem Mondumlauf bewältigen konnten. Doch die Großzügigkeit trog: In ihm schwelte unsäglicher Zorn, denn ihm war auch der zweite, erhoffte Schwiegersohn von Pantherdämonen in Fetzen gerissen worden. Sogar Fumi wusste darum, dass es kein gutes Licht auf einen Fürsten warf, wenn er seine einzige Tochter nur an Männer übergeben wollte, die wie die Fliegen starben. Sie hatten alle seinen Ärger darüber zu spüren bekommen. "Herrin", mahnte sie ernst, "haltet den Kopf höher. Der Fürst wird es nicht gutheißen, wenn Ihr unseren Gastgebern nicht das Gefühl gebt, aufsehen zu müssen." Noriko gehorchte stumm, obwohl sich die mit Perlmutt geschmückten Haarnadeln aus Schildpatt dadurch unangenehm stechend bemerkbar machten. Die kerzengrade Haltung war ihr weder lieb, noch teuer, aber sie war kein Mensch - und kannte keine Klage. Die Zierde unterstrich ihren Rang, ihr heiratsfähiges Alter: Sie hatte Erwartungen zu erfüllen. Der Wind frischte auf, als sie umringt von ihren Hofdamen durch die Torbögen schritt und von wunderbaren Gerüchen empfangen wurde. Holzrauch und Wachs, verblühter Iris und Raureif, der mit der Morgensonne um jede rotgoldene Blattader feilschte. Die westliche Residenz hatte sich herausgeputzt, und in den Gängen und auf den Sandböden tummelten sich eifrige Diener des Hauses. Ein mehr als würdiger Empfang. Noriko wusste dank eines abgehetzten Boten, dass der Inu no Taishou im Laufe des Tages noch weitere Gäste erwartete, aber ihr Vater war niemand, der sich erst als Zweiter einzureihen pflegte. Die halbe Nacht hatte er sie und sein Gefolge zur Eile angetrieben - und sie musste sich schon sehr irren, wenn ihn der Anblick des Herrn der Hunde nicht endlich gnädiger stimmte. Ihr bescherte die Gegenwart indes ein unangenehmes Zwiebeln auf der Haut. Der Boden kochte unter dem Youki des Fürsten, je dichter sie kam. Die Luft flimmerte wie im Fieber. Der Inu no Taishou selbst schien darauf jedoch nichts zu geben. Der alte Daiyoukai stand unbeeindruckt auf der obersten Stufe der Residenz, die goldenen Augen verengt und kaum breiter als die mondsichelförmigen Zeichen auf seinen Wangen. Zu beiden Seiten lauerte je ein halbes Dutzend Berater und Generäle, einer grätiger als der andere. Kampferfahren waren sie allesamt, denn der Westen schätzte seit zwei Jahrtausenden nur Verträge, die auf Blut, Ruhm oder Gefälligkeiten gründeten. Ja, man konnte wohl von Glück sagen, dass es keine Fehde zwischen ihnen gab. Im Osten munkelte man überall, dass sie friedfertige Schreiber schon beim ersten, falschen Pinselstrich in Stücke rissen und Frauen, die kinderlos blieben, rasch verstießen. Nun, dennoch war es eine Ehre hier zu sein. Noriko sah ihrem Vater dabei zu, wie er an breitschultrigen, finsteren Wachen vorbei trat und sich weder von dem blutroten Brokatobi, noch dem Brustpanzer oder den Schwertern des Inu no Taishou schrecken ließ. Raue Worte wurden gewechselt, dann genickt. Ein Handwink des Hausherrn folgte, der die Schatten hinter ihm teilte, und Dienerinnen hasteten auf einmal wie die Spatzen zu den Papiertüren, um sie lautlos aufzuschieben. Grundgütiger, was für ein Schauspiel. Im Norden war ihr all das erspart geblieben, da gaben sie nichts auf große Gesten und Ehre. Noriko zog den Atem zwischen die Lippen, während sie den Fürsten mit ihren Blicken folgte und die Sekunden zählte, bis auch die Berater ins Innere der Residenz folgen würden. Die vielen Lagen ihres Kimonos drückten ihre Schultern nieder und sie war jung, ihre Geduld mehr als begrenzt. Erst als ein Ratgeber, der hager wie ein Habicht aussah, seinen Platz verließ, bemerkte sie etwas Interessantes. Ah. Wer hätte das gedacht? Der junge Hundedämon mit dem hochgebundenen Zopf, der nahe eines mannsdicken Holzbalkens gestanden hatte, war schwer zu verwechseln: Die blitzförmigen Streifen auf seinen Wangen verrieten ihn. Das Übrige tat sein unterdrücktes Gähnen, das er hinter einer Hand erstickte. Immerhin kaschierte er sein Verhalten erstaunlich gut. In einer fließenden Bewegung griff er zum Haarband, zog es sich zurecht und glitt so ruhig wie eine Papierlaterne im Wasser hinter den älteren Dämonen her. Offenbar hatte der Sohn des Fürsten noch immer keine Manieren gelernt. Erst nannte er sie zu alt, nun schien er gelangweilt von ihrem Vater. Wie aufmüpfig. Gut, dass sie nicht hier war, um ihm die Ehe anzutragen. Einen solchen Fang als Ehemann würde sie teuer bezahlen, denn das brachte sie nur von einem Käfig in den anderen. Überdies fiel ihr kein Grund ein, jemanden zu wählen, dessen Vater etliche Geliebte sein Eigen nannte. Auch dieses Gerücht gab es im Osten und sie glaubte nicht daran, dass jemand verrückt genug wäre, in diesem Fall eine Lüge zu verbreiten. Und sagte man nicht, der Apfel fiele nicht weit vom Stamm? Nun, da hatte sie auf einen Schlag genug Gründe beisammen, ihn für ungeeignet zu halten. Norikos Stolz rebellierte bereits, wenn sie auch nur daran dachte, bloß die zweite Wahl zu sein. Nie und nimmer würde sie das dulden: Vaters Ansichten gefielen ihr in dieser Hinsicht besser. Wer sich zwischen Dämoninnen aufteilte, lief bloß Gefahr, dabei übertölpelt zu werden. Nein, sie interessierte sich nur für eines an diesem Ort: Die Fürstin des Westens. Sie wollte sehen, wie diese sprach und die Hand zu den Lippen hob, um zu verstehen, wie eine Frau einen mächtigen Mann an sich band. Bedauerlicherweise hatte die Gefährtin des Inu no Taishou sie bei ihrem letzten Besuch nicht empfangen und auch jetzt war sie nirgendwo zu erblicken, doch das verwunderte Noriko wenig. Ehefrauen beschäftigten sich tagein, tagaus damit, für die Abendstunden hergerichtet zu sein, um dann hochrangige Gäste oder den eigenen Mann mit ihrer kokettierenden Sprache zu erfreuen. Eine Ausnahme machte man vorher nur für die eigenen Welpen - keine fremden, so wie sie es damals mit ihren siebenhundert Jahren noch gewesen war. Aber heute war sie alt genug und bereit zu heiraten. Möglicherweise weckte das etwas Interesse bei der Hausherrin, sobald ihr eine Dienerin von einem klugen Wort und guter Erziehung berichtete. Dann würde sich eines zum anderen gesellen, und sie konnte die Gelegenheit nutzen. "Herrin?", raunte Fumi neugierig. "Warum lächelt Ihr?" "Es ist nichts", versicherte Noriko außerordentlich guter Stimmung. "Ich dachte nur daran, wie angenehm es ist, an diesem Ort zu sein. Hast du den Sohn des Fürsten bemerkt?" Fumi stieß einen Laut aus, der zart wie das Zwitschern eines Singvogels klang, aber ehe sich Yori zu ihr umdrehen konnte, bedeckte sie die Lippen mit ihrem aufgeschlagenen Fächer. "Mit Verlaub, es fiel mir äußerst schwer, ihn gerade zu ignorieren. Er hat Euch die Hälfte der Zeit angesehen, während Euer Vater den Inu no Taishou begrüßte." "Er hat-" Was? Und dann gähnte er, bevor er kehrtmachte? Norikos Lippen wurden unter der offensichtlichen Beleidigung dünn, bis der Strich ihres Mundes fast völlig verschwunden schien, aber Fumi bemerkte davon entweder nichts oder verschwieg es aufgrund ihres niederen Ranges. Nun gut. Sie hatte nicht eintausenddreihundert Sommer dahingehen sehen, um sich das gefallen zu lassen. - - - - - - - - - - Oh, was heckt sie aus? Ideen? Ihr erfahrt es in Kapitel #3, "Magnolienblüte I". Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)