Mit Liebe und Blut von abgemeldet (Wichtelgeschichte für Calafinwe) ================================================================================ Kapitel 1: Meineidiges Blut --------------------------- Am wolkenlosen Himmel kreisen Falken über die Dächer der Stadt und ihr Kreischen hallt in den leeren Gebäuden wider. Nachdenklich beobachtet Horn die Greifvögel aus sicherer Entfernung. Sie darf ihre Position nicht verraten, sonst würde sie die Falken verschrecken, was man anhand des fluchtartigen Verhaltens der Tiere schnell erkennen kann. Die blutroten Augen ruhen noch eine Weile auf den Geschöpfen der Luft, als eine lebhafte Stimme sie aus ihren Gedanken reißt. „Erde an Horn. Lord Crowley verlangt nach dir“, drängelt Chess und zupft an Horns weißem Kleid. Die Vampirin bricht den Blickkontakt zum Himmel und dreht sich zu ihrer Freundin um, die schon ungeduldig wartet. Als Erstes blinzelt Horn, dann dämmert ihr langsam, dass Crowley sie sehen will. Gleichzeitig befürchtet sie, Feinde hätten im Hinterhalt angegriffen und sie würde als Unterstützung geschickt. Für einen Moment zieht sich ihre Brust schmerzhaft zusammen. „Handelt es sich um einen feindlichen Angriff? Geht es Lord Crowley gut?“, fragt sie geschwind. Chess hebt die Augenbrauen. Gerade versteht sie Horns Verhalten nicht. Eigentlich ist diese stets konzentriert und sehr aufmerksam. Vor allem, wenn es um ihren liebsten Vampiradligen geht. „Nein. Mach dir keine Sorgen“, sagt Chess und verschränkt die Arme. „Wir sollen zur Besprechung erscheinen. Mehr nicht.“ „Verstehe“, seufzt Horn. Ihr fällt ein Stein vom Herzen. „Also wirklich Horn, wir sind viel klüger als die Menschen. Ein Überraschungsangriff ihrerseits ist unmöglich“, meint Chess zuversichtlich, niemals gegen das Nutzvieh verlieren zu können. Mit dem Anflug eines Lächelns nickt Horn als Zustimmung. Sicherlich ist sie seit dem letzten Kampf etwas verwirrt und braucht demnächst frisches Blut. Heimlich denkt sie an ein kleines Tabu unter den Vampiren. Sie brennt darauf, dass heißbegehrte Blut von Crowley zu kosten, bis die Gier schwindet. „Wie dem auch sei. Führe mich zum Treffpunkt“, kommt es eilig von Horn. „Häh? Ich dachte, Lord Crowley hat es dir bereits gesagt, als wir hier ankamen“, wundert sich Chess.   Horn stockt beim Nachdenken. Ein Nebelschleier schien durch ihre Gedanken zu ziehen und verursacht ihr leichte Kopfschmerzen, sodass sie sich an die Stirn fasst. Seit wann vergisst sie wichtige Fakten? Kurz schüttelt Horn den Kopf. Sie kann unmöglich die Anweisungen von Crowley vergessen! Bestimmt reagiert er mehr als enttäuscht, wenn er davon Wind bekommt. „Richtig. Wir müssen los“, spielt sie sie Wissende und schreitet voran. „Lord Crowley erwartet uns bereits.“ Die Hände krallt sie in den hellen Stoff ihres Kleides. Irgendwie fühlt sich ihr ganzer Körper dumpf an, ihre Beine gleichen schwerem Beton und ihr Gehirn wie Zuckerwatte. Was war mit ihr los? „Das wird auch Zeit“, trällert Chess. Ein Schmunzeln huscht über Horns Gesicht. Des Öfteren verhält sich Chess ziemlich unbeschwert, hält sich beim Essen kaum zurück, weshalb sie jedes Mal ihre Freundin tadeln muss. Einiges wird sich niemals ändern. Allerdings kehrt das ungute Gefühl in ihrem Magen zurück, als sie aus dem Schatten des Gebäudes auf ein Gelände treten. Mit Bedacht schaut sie sich um, nimmt jeden Winkel ins Visier, solange weder Freund und Feind auftauchen. „Hast du nach dem Auftrag Lust auf eine Partie Schach?“, wechselt sie das Thema. Von Chess erhält sie ein genervtes „Wirklich?“ Begeisterung sieht bei ihr ganz anders aus. „Du brauchst mehr Disziplin und keine Zunahme schlechter Manieren“, bemängelt Horn ihr freches Verhalten. Jetzt spielt Chess die beleidigte Leberwurst, indem sie die Wangen aufbläst und den Kopf nach links neigt. Darüber kann Horn nur den Kopf schütteln. Im Kampf zeigt sie großes Talent, aber bei der Disziplin erwartet sie ein langer Weg. „Du bist eindeutig verstopft“, brummt die kleine Vampirin. „Ich komme damit hervorragend klar“, kontert Horn geschickt und verkneift sich ein Lächeln, als Chess sie anfunkelt. Wie aus dem Nichts erklingt ein lautes Miauen. Ruckartig hält Horn an. Das Gleiche tut auch Chess. Auf einer rostigen Motorhaube liegt eine schwarze Katze, streckt genüsslich die Pfoten aus und genießt das Sonnenbad. In diesem Moment rückt eine Erinnerung aus den tiefen Gedanken Horns hervor. Hat sie sich nicht mit Lord Crowley über die Kampfstrategie mit Ferid unterhalten, als eine streunende Katze mit dunklen Fell an ihnen vorbei geschlichen war? „Was ist los?“, erkundigt sich Chess und folgt Horns geistesabwesendem Blick. „Eine Katze?“ „Ja. Vorhin habe ich auch eine gesehen, als ich…argh“, erklärt Horn, als ein Stechen im Kopf sie ablenkt. Angestrengt legt sie ihre Stirn in Falten. Schon wieder plagen sie Kopfschmerzen und zwingen sie fast in die Knie. Solche Beschwerden hat sie seit ihrer Verwandlung nicht gehabt. Blutmangel oder Heißhunger schließt sie aus. Ihre Beherrschung ist tadellos. „Als was? Du benimmst dich heute sehr seltsam, Horn“, äußert sich Chess. „Nichts. Ich habe nur nachgedacht“, murmelt sie. Chess hingegen lässt nicht locker. „Über was? Du kannst mir ruhig vertrauen.“ Ihr Mund formt sich zu einem Lächeln. „Das spielt keine Rolle. Wir müssen Lord Crowley finden“, setzt Horn das Ziel fest und strahlt Entschlossenheit aus. Falls die Feinde ihre Finger im Spiel haben, kann das alles nichts Gutes bedeuten, was ihr gerade widerfährt. Keineswegs zweifelt sie an die Macht des adligen Vampirs, aber die Menschen werden stärker, raffinierter und agieren mehr im Hinterhalt. Allein der Gedanke treibt Horn voran. Sie verehrt ihn. Darum darf sie nicht scheitern.   „Warte“, hält Chess sie auf. Auf einmal umklammern ihre Finger Horns Kleid. Die Blonde hält inne. Unwillkürlich läuft ein kalter Schauer über ihren Rücken. Zu hundert Prozent glaubt sie, dass es sich bei der Person neben ihr nicht um Chess handelt. Zögernd blickt sie aus dem Augenwinkel zu der anderen rüber. „Lass mich los, Chess. Du hinderst mich“, fordert die Vampirin. Ihre Stimme trägt einen ernsten Unterton. „Warum so nervös?“ „Du hast es nicht anders gewollt“, sagt Horn und ihre Hand wandert zu ihrer Lanze. „Wie unhöflich von dir“, erwidert Chess, Horn mit leeren Augen anstarrend, bis eine dunkle, schattenhafte Aura sie umhüllt. Offensichtlich war Horn in eine Falle getappt, daher drängt die Zeit. Fast erreicht sie die Lanze, doch ihre Hand zittert wenige Millimeter vor der Waffe. Keinen Muskel kann sie rühren. Sie steht fest angewurzelt in den Fängen des Feindes. „So ein Mist“, flucht sie. „Für dich gibt es kein Entkommen mehr“, garantiert die Schattengestalt und nähert sich Horn. „Jetzt habe ich dich.“ Erzürnt beißt Horn sich auf die Unterlippe. Niemals beugt sie das Knie vor einem anderen als Lord Crowley und ihr Stolz lässt dies auch nicht zu. Wenn sie sich befreit, wird der Schatten sein blaues Wunder erleben, das verspricht Horn. Bis zum letzten Bluttropfen wird sie Lord Crowley verteidigen. In eben diesem Moment wird sie von dem Feind am Arm gepackt. Ihre Augen verengen sich zu Schlitzen. „So behandelt man keine feine Dame“, entrüstet Horn sich. Im letzten Moment setzt sie ihre volle Kraft ein, indem sie mit ihrem linken Ellenbogen gegen den Schatten stößt, um sich mehr Bewegungsfreiheit zu schaffen. Zu ihrem Bedauern trifft Horn ins Leere, kann sich aber mit einem Salto entfernen. Sicher in ihrer anderen Hand hält sie die Lanze zum Kampf bereit. Den kleinen Sieg gönnt sie sich mit einem Lächeln. „Dir werden ich Manieren beibringen“, ruft sie dem Schatten entgegen. Ihr gegenüber stehend grinst der Schatten sie gehässig an. Es bereitet ihm Freude, dass das Spiel endlich beginnt. „Nicht übel für einen Vampir. Ich hatte mir weniger erhofft“, raunt der Schatten. Dazu sagt Horn nichts. Vollkommen gleichgültig betrachtet sie das Wesen. Sie bevorzugt es, Kämpfe schnell zu gewinnen. Bevor sie einen Angriff wagt, bedenkt sie, welche Schwächen der Schatten hat. Kein zweites Mal will sie auf seine List hereinfallen. Als treue Dienerin des siebten Vorahnens toleriert sie keine Niederlagen.   „Ich bin begeistert von deiner Tarnfähigkeit. Du hast Chess perfekt imitiert“, sagt Horn. „Umso sehnlicher wünsche ich mir, dich dafür zu bestrafen.“ Freudig pulsiert der Schatten wie ein Herzschlag und das Grinsen breitet sich gleich einer Mondsichel auf seinen Zügen aus. „Versuch es ruhig. Du wirst verlieren, Vampir.“ „Meinen Stolz wirst du nicht beschmutzen. Unterschätze mich nicht“, rät sie dem Feind. „Ich werde dich verschlingen.“ Sie blinzelt. Zur selben Zeit stürmt der Schatten auf sie zu. Mit bloßen Augen nicht zu sehen, erfasst Horn alles haargenau. Entsprechend reagiert sie auch. Ein Aufprall entsteht, als der Schatten eine Klinge aus sich zieht und bei Horns Lanze auf eine haltbare Abwehr stößt. Um das Kampfgeschehen dehnt sich eine Druckwelle aus. Niemand von ihnen gibt nach. Die Waffen schwanken unter dem Aufprall der ungleichen Kontrahenten. Horns begreift, dass sie den Gegner bloß nicht unterschätzen sollte. „Was bist du?“, fragt Horn. „Dein schlimmster Alptraum“, lässt der Schatten sie wissen. „Dann bin ich dein schlimmster Fehler.“ Frühzeitig schwingt Horn die Peitsche, um die Straßenlaterne zu erwischen und diese mit einem Ruck nach hinten zum Fallen zu bringen. Krachend reißt der Metallpfahl aus dem Boden. Der Schatten schaut sich um, sodass er Horn für eine Sekunde aus den Augen verliert. Diese Sekunde nutzt sie als Fluchtmöglichkeit. „Fürs Erste ziehe ich mich zurück“, beschließt die Blonde und rennt in die nächste Seitengasse. „Ich muss mir einen Plan zurechtlegen und Lord Crowley und Chess finden. So leicht kann ich den Schatten nicht bekämpfen.“ Hinter ihr ertönt der Aufprall des Metallmastes. Sie dreht sich nicht um, sondern läuft sie durch die engen Straßen, damit sie länger unentdeckt bleibt. Ihre Augen brennen wie Feuer. Verbissen grämt sie ihre Flucht, wenn die auch ihre einzige Wahl gewesen ist. Das gefällt ihr überhaupt nicht. „Wohin muss ich jetzt?“ Von neuem erduldet die Vampirin starke Kopfschmerzen. Gerne würde Horn auf das Elend verzichten, aber sie kann es nicht beeinflussen. Selbst ihre Erinnerungen zerfallen zu einem Puzzle. Jedes Teil muss sie einzeln zusammensetzen. „Die Menschen haben am Fluss ihr Lager aufgeschlagen, aber…“ Horn macht Halt. Unmittelbar erinnert sie sich daran, wie Lord Crowley sagte, dass die feindlichen Soldaten sich am Fluss aufhalten. Nachdenklich legt sie Daumen und Zeigefinger an ihr Kinn. „Vielleicht muss ich zum Fluss“, schlussfolgert sie. „Mir bleibt wohl keine andere Wahl.“ Gerüche von Verdorbenheit, Abfall und Tierausscheidungen dringen an Horns Nase. Angewidert verzieht sie das Gesicht. In der Seitenstraße liegen Mülltonnen und anderer Schutt herum. Ohne lange zu überlegen, verschwindet sie von diesem Ort. Unterwegs fällt ihr eine Sache besonders auf. Nirgends erblickt sie andere Vampire, Menschen oder apokalyptische Reiter. Kein einziger Feind ist in Sicht. Dem Frieden traut sie kein bisschen.   „Aber wie?“, grübelt sie. Nachdem sie um die Ecke in die Hauptstraße abbiegt, erkennt sie aus der Ferne eine Silhouette auf sich zu kommen. Vom Asphalt steigen Hitzewellen in die Luft auf. Dementsprechend ist die Sicht verschwommen. In ihrer Brust schleicht sich ein Gefühl ein, das zuerst einem Sack Steine gleicht, dann aber zu weißen Federn wird ob der Erleichterung den Näherkommenden zu erkennen. „Lord Crowley“, sagt Horn leise und ihre Gesichtszüge werden sanfter. Sie hat ihn gefunden. Unbewusst legt sich ihre Hand über ihr Herz, als sie zu dem adeligen Vampir hastet. Staub wirbelt auf, wann immer Horns weiße Highheels auf die trockene Ebene treten. Das Glück steht auf ihrer Seite. „Das bist du Horn. Ich habe dich überall gesucht“, erklingt Crowleys weiche Stimme. Kaum erfasst sie sein mildes Lächeln, färben sich ihre Wangen rosa und sie wird langsamer. „Verzeihen Sie, wenn ich Ihnen Umstände bereitet habe“, entschuldigt sich Horn. Bei Crowley erkennt sie keinen Groll. Er geht selbstbewusst und gelassen auf sie zu. Das braune, geflochtene Haar schwingt im Takt des Windes und vorne fällt ihm die rubinrote Mähne ins Gesicht. Er sieht für Horn zum Anbeißen aus. „Du bist wohlauf, also muss du dich für nichts entschuldigen“, sichert er ihr zu. Knapp einen Meter vor ihm bleibt sie stehen. In seiner Nähe wächst das Gefühl von Geborgenheit, auch wenn sie zunächst mit der Desorientierung und den Erinnerungslücken kämpft. Wenigstens muss sie nicht mehr alleine weiter kämpfen. „Vorerst bin ich froh, Sie zu sehen, Lord Crowley, aber wir haben nicht viel Zeit. Ein Schatten treibt sein Unwesen.“ Augenblicklich hört sich Horns Stimme nüchtern an und ihr Gesicht zeigte eine ernsthafte Mimik. Obwohl die Vampirin mit der Hilfe von Crowley sicherlich gegen den Schatten gewinnen kann, treiben die geschärften Sinne sie dazu, nicht unachtsam zu werden. Die Menschen können sich warm anziehen. „Wir sollten umkehren“, sagt Crowley. „Zum Treffpunkt?“, fragt die Vampirin. „Aber wo sind die anderen?“ „Bereiten sich auf den Kampf vor.“ „Greifen die Menschen demnächst an? Das geht schneller als erwartet.“ „Darum müssen wir uns beeilen“, veranlasst er bestimmt. „Verstanden.“ Zurzeit sind die Menschen persönlich das geringste Problem. In der Nähe schleicht sich ein Schattenwesen herum. Sie verdächtigt direkt die Menschen, eine Waffe zu entwickeln, die Vampire mehr beeinflusst als verfluchte Waffen. Es nahm ohne Aufwand die Gestalt von Chess an und sie selbst war Zeugin seiner Macht gewesen. Was, wenn mehr von ihnen existieren? „Du wirkst vertiefst“, meint Crowley neugierig. „An was denkst du?“ „Wir sollten vorsichtig sein“, erwidert die Vampirin. „Da liegst du absolut richtig.“ Schmerz durchbohrt ihre Brust. Weit reißt sie die Augen auf und der Schock übermannt sie, als sie den Angreifer vor sich kennt. Lord Crowley. Sein Blick wird ebenso kalt wie das hinterhältige Lächeln, das nun seine Züge ziert. Jetzt versteht Horn. Zorn brennt in ihr, sodass sie den Arm des Betrügers mit einer Handbewegung bricht und ihn mit einem Tritt in die Magengrube auf den Boden befördert. Scharlachrote Flüssigkeit beschmutzt ihr Kleid und breitet sich über den Stoff aus. „Mistkerl. Wie kannst du es wagen, ihn auch zu imitieren“, schnaubt sie erbost. Kälte durchfährt die Blonde bis auf die Knochen. Die Muskeln verkrampfen sich und Schwindel überkommt sie. „Nein. Nicht jetzt“, sagt Horn schwach. Blitzartig muss sie wieder Schmerzen im Kopf ertragen und auch ihre Wangen brennen, sodass Horn bei der Berührung die Wärme spürt. Hat ihr jemand Ohrfeigen verpasst? Wann? Wo? Wer? Kreuz und Quer stellen sich ihr neue Fragen. Horn ist dabei, ihre Schläfe zu massieren, als ein grelles, weißes Licht sie von vorne blendet. Sie kneift die Augen zu. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)