Mit Liebe und Blut von abgemeldet (Wichtelgeschichte für Calafinwe) ================================================================================ Kapitel 1: Meineidiges Blut --------------------------- Am wolkenlosen Himmel kreisen Falken über die Dächer der Stadt und ihr Kreischen hallt in den leeren Gebäuden wider. Nachdenklich beobachtet Horn die Greifvögel aus sicherer Entfernung. Sie darf ihre Position nicht verraten, sonst würde sie die Falken verschrecken, was man anhand des fluchtartigen Verhaltens der Tiere schnell erkennen kann. Die blutroten Augen ruhen noch eine Weile auf den Geschöpfen der Luft, als eine lebhafte Stimme sie aus ihren Gedanken reißt. „Erde an Horn. Lord Crowley verlangt nach dir“, drängelt Chess und zupft an Horns weißem Kleid. Die Vampirin bricht den Blickkontakt zum Himmel und dreht sich zu ihrer Freundin um, die schon ungeduldig wartet. Als Erstes blinzelt Horn, dann dämmert ihr langsam, dass Crowley sie sehen will. Gleichzeitig befürchtet sie, Feinde hätten im Hinterhalt angegriffen und sie würde als Unterstützung geschickt. Für einen Moment zieht sich ihre Brust schmerzhaft zusammen. „Handelt es sich um einen feindlichen Angriff? Geht es Lord Crowley gut?“, fragt sie geschwind. Chess hebt die Augenbrauen. Gerade versteht sie Horns Verhalten nicht. Eigentlich ist diese stets konzentriert und sehr aufmerksam. Vor allem, wenn es um ihren liebsten Vampiradligen geht. „Nein. Mach dir keine Sorgen“, sagt Chess und verschränkt die Arme. „Wir sollen zur Besprechung erscheinen. Mehr nicht.“ „Verstehe“, seufzt Horn. Ihr fällt ein Stein vom Herzen. „Also wirklich Horn, wir sind viel klüger als die Menschen. Ein Überraschungsangriff ihrerseits ist unmöglich“, meint Chess zuversichtlich, niemals gegen das Nutzvieh verlieren zu können. Mit dem Anflug eines Lächelns nickt Horn als Zustimmung. Sicherlich ist sie seit dem letzten Kampf etwas verwirrt und braucht demnächst frisches Blut. Heimlich denkt sie an ein kleines Tabu unter den Vampiren. Sie brennt darauf, dass heißbegehrte Blut von Crowley zu kosten, bis die Gier schwindet. „Wie dem auch sei. Führe mich zum Treffpunkt“, kommt es eilig von Horn. „Häh? Ich dachte, Lord Crowley hat es dir bereits gesagt, als wir hier ankamen“, wundert sich Chess.   Horn stockt beim Nachdenken. Ein Nebelschleier schien durch ihre Gedanken zu ziehen und verursacht ihr leichte Kopfschmerzen, sodass sie sich an die Stirn fasst. Seit wann vergisst sie wichtige Fakten? Kurz schüttelt Horn den Kopf. Sie kann unmöglich die Anweisungen von Crowley vergessen! Bestimmt reagiert er mehr als enttäuscht, wenn er davon Wind bekommt. „Richtig. Wir müssen los“, spielt sie sie Wissende und schreitet voran. „Lord Crowley erwartet uns bereits.“ Die Hände krallt sie in den hellen Stoff ihres Kleides. Irgendwie fühlt sich ihr ganzer Körper dumpf an, ihre Beine gleichen schwerem Beton und ihr Gehirn wie Zuckerwatte. Was war mit ihr los? „Das wird auch Zeit“, trällert Chess. Ein Schmunzeln huscht über Horns Gesicht. Des Öfteren verhält sich Chess ziemlich unbeschwert, hält sich beim Essen kaum zurück, weshalb sie jedes Mal ihre Freundin tadeln muss. Einiges wird sich niemals ändern. Allerdings kehrt das ungute Gefühl in ihrem Magen zurück, als sie aus dem Schatten des Gebäudes auf ein Gelände treten. Mit Bedacht schaut sie sich um, nimmt jeden Winkel ins Visier, solange weder Freund und Feind auftauchen. „Hast du nach dem Auftrag Lust auf eine Partie Schach?“, wechselt sie das Thema. Von Chess erhält sie ein genervtes „Wirklich?“ Begeisterung sieht bei ihr ganz anders aus. „Du brauchst mehr Disziplin und keine Zunahme schlechter Manieren“, bemängelt Horn ihr freches Verhalten. Jetzt spielt Chess die beleidigte Leberwurst, indem sie die Wangen aufbläst und den Kopf nach links neigt. Darüber kann Horn nur den Kopf schütteln. Im Kampf zeigt sie großes Talent, aber bei der Disziplin erwartet sie ein langer Weg. „Du bist eindeutig verstopft“, brummt die kleine Vampirin. „Ich komme damit hervorragend klar“, kontert Horn geschickt und verkneift sich ein Lächeln, als Chess sie anfunkelt. Wie aus dem Nichts erklingt ein lautes Miauen. Ruckartig hält Horn an. Das Gleiche tut auch Chess. Auf einer rostigen Motorhaube liegt eine schwarze Katze, streckt genüsslich die Pfoten aus und genießt das Sonnenbad. In diesem Moment rückt eine Erinnerung aus den tiefen Gedanken Horns hervor. Hat sie sich nicht mit Lord Crowley über die Kampfstrategie mit Ferid unterhalten, als eine streunende Katze mit dunklen Fell an ihnen vorbei geschlichen war? „Was ist los?“, erkundigt sich Chess und folgt Horns geistesabwesendem Blick. „Eine Katze?“ „Ja. Vorhin habe ich auch eine gesehen, als ich…argh“, erklärt Horn, als ein Stechen im Kopf sie ablenkt. Angestrengt legt sie ihre Stirn in Falten. Schon wieder plagen sie Kopfschmerzen und zwingen sie fast in die Knie. Solche Beschwerden hat sie seit ihrer Verwandlung nicht gehabt. Blutmangel oder Heißhunger schließt sie aus. Ihre Beherrschung ist tadellos. „Als was? Du benimmst dich heute sehr seltsam, Horn“, äußert sich Chess. „Nichts. Ich habe nur nachgedacht“, murmelt sie. Chess hingegen lässt nicht locker. „Über was? Du kannst mir ruhig vertrauen.“ Ihr Mund formt sich zu einem Lächeln. „Das spielt keine Rolle. Wir müssen Lord Crowley finden“, setzt Horn das Ziel fest und strahlt Entschlossenheit aus. Falls die Feinde ihre Finger im Spiel haben, kann das alles nichts Gutes bedeuten, was ihr gerade widerfährt. Keineswegs zweifelt sie an die Macht des adligen Vampirs, aber die Menschen werden stärker, raffinierter und agieren mehr im Hinterhalt. Allein der Gedanke treibt Horn voran. Sie verehrt ihn. Darum darf sie nicht scheitern.   „Warte“, hält Chess sie auf. Auf einmal umklammern ihre Finger Horns Kleid. Die Blonde hält inne. Unwillkürlich läuft ein kalter Schauer über ihren Rücken. Zu hundert Prozent glaubt sie, dass es sich bei der Person neben ihr nicht um Chess handelt. Zögernd blickt sie aus dem Augenwinkel zu der anderen rüber. „Lass mich los, Chess. Du hinderst mich“, fordert die Vampirin. Ihre Stimme trägt einen ernsten Unterton. „Warum so nervös?“ „Du hast es nicht anders gewollt“, sagt Horn und ihre Hand wandert zu ihrer Lanze. „Wie unhöflich von dir“, erwidert Chess, Horn mit leeren Augen anstarrend, bis eine dunkle, schattenhafte Aura sie umhüllt. Offensichtlich war Horn in eine Falle getappt, daher drängt die Zeit. Fast erreicht sie die Lanze, doch ihre Hand zittert wenige Millimeter vor der Waffe. Keinen Muskel kann sie rühren. Sie steht fest angewurzelt in den Fängen des Feindes. „So ein Mist“, flucht sie. „Für dich gibt es kein Entkommen mehr“, garantiert die Schattengestalt und nähert sich Horn. „Jetzt habe ich dich.“ Erzürnt beißt Horn sich auf die Unterlippe. Niemals beugt sie das Knie vor einem anderen als Lord Crowley und ihr Stolz lässt dies auch nicht zu. Wenn sie sich befreit, wird der Schatten sein blaues Wunder erleben, das verspricht Horn. Bis zum letzten Bluttropfen wird sie Lord Crowley verteidigen. In eben diesem Moment wird sie von dem Feind am Arm gepackt. Ihre Augen verengen sich zu Schlitzen. „So behandelt man keine feine Dame“, entrüstet Horn sich. Im letzten Moment setzt sie ihre volle Kraft ein, indem sie mit ihrem linken Ellenbogen gegen den Schatten stößt, um sich mehr Bewegungsfreiheit zu schaffen. Zu ihrem Bedauern trifft Horn ins Leere, kann sich aber mit einem Salto entfernen. Sicher in ihrer anderen Hand hält sie die Lanze zum Kampf bereit. Den kleinen Sieg gönnt sie sich mit einem Lächeln. „Dir werden ich Manieren beibringen“, ruft sie dem Schatten entgegen. Ihr gegenüber stehend grinst der Schatten sie gehässig an. Es bereitet ihm Freude, dass das Spiel endlich beginnt. „Nicht übel für einen Vampir. Ich hatte mir weniger erhofft“, raunt der Schatten. Dazu sagt Horn nichts. Vollkommen gleichgültig betrachtet sie das Wesen. Sie bevorzugt es, Kämpfe schnell zu gewinnen. Bevor sie einen Angriff wagt, bedenkt sie, welche Schwächen der Schatten hat. Kein zweites Mal will sie auf seine List hereinfallen. Als treue Dienerin des siebten Vorahnens toleriert sie keine Niederlagen.   „Ich bin begeistert von deiner Tarnfähigkeit. Du hast Chess perfekt imitiert“, sagt Horn. „Umso sehnlicher wünsche ich mir, dich dafür zu bestrafen.“ Freudig pulsiert der Schatten wie ein Herzschlag und das Grinsen breitet sich gleich einer Mondsichel auf seinen Zügen aus. „Versuch es ruhig. Du wirst verlieren, Vampir.“ „Meinen Stolz wirst du nicht beschmutzen. Unterschätze mich nicht“, rät sie dem Feind. „Ich werde dich verschlingen.“ Sie blinzelt. Zur selben Zeit stürmt der Schatten auf sie zu. Mit bloßen Augen nicht zu sehen, erfasst Horn alles haargenau. Entsprechend reagiert sie auch. Ein Aufprall entsteht, als der Schatten eine Klinge aus sich zieht und bei Horns Lanze auf eine haltbare Abwehr stößt. Um das Kampfgeschehen dehnt sich eine Druckwelle aus. Niemand von ihnen gibt nach. Die Waffen schwanken unter dem Aufprall der ungleichen Kontrahenten. Horns begreift, dass sie den Gegner bloß nicht unterschätzen sollte. „Was bist du?“, fragt Horn. „Dein schlimmster Alptraum“, lässt der Schatten sie wissen. „Dann bin ich dein schlimmster Fehler.“ Frühzeitig schwingt Horn die Peitsche, um die Straßenlaterne zu erwischen und diese mit einem Ruck nach hinten zum Fallen zu bringen. Krachend reißt der Metallpfahl aus dem Boden. Der Schatten schaut sich um, sodass er Horn für eine Sekunde aus den Augen verliert. Diese Sekunde nutzt sie als Fluchtmöglichkeit. „Fürs Erste ziehe ich mich zurück“, beschließt die Blonde und rennt in die nächste Seitengasse. „Ich muss mir einen Plan zurechtlegen und Lord Crowley und Chess finden. So leicht kann ich den Schatten nicht bekämpfen.“ Hinter ihr ertönt der Aufprall des Metallmastes. Sie dreht sich nicht um, sondern läuft sie durch die engen Straßen, damit sie länger unentdeckt bleibt. Ihre Augen brennen wie Feuer. Verbissen grämt sie ihre Flucht, wenn die auch ihre einzige Wahl gewesen ist. Das gefällt ihr überhaupt nicht. „Wohin muss ich jetzt?“ Von neuem erduldet die Vampirin starke Kopfschmerzen. Gerne würde Horn auf das Elend verzichten, aber sie kann es nicht beeinflussen. Selbst ihre Erinnerungen zerfallen zu einem Puzzle. Jedes Teil muss sie einzeln zusammensetzen. „Die Menschen haben am Fluss ihr Lager aufgeschlagen, aber…“ Horn macht Halt. Unmittelbar erinnert sie sich daran, wie Lord Crowley sagte, dass die feindlichen Soldaten sich am Fluss aufhalten. Nachdenklich legt sie Daumen und Zeigefinger an ihr Kinn. „Vielleicht muss ich zum Fluss“, schlussfolgert sie. „Mir bleibt wohl keine andere Wahl.“ Gerüche von Verdorbenheit, Abfall und Tierausscheidungen dringen an Horns Nase. Angewidert verzieht sie das Gesicht. In der Seitenstraße liegen Mülltonnen und anderer Schutt herum. Ohne lange zu überlegen, verschwindet sie von diesem Ort. Unterwegs fällt ihr eine Sache besonders auf. Nirgends erblickt sie andere Vampire, Menschen oder apokalyptische Reiter. Kein einziger Feind ist in Sicht. Dem Frieden traut sie kein bisschen.   „Aber wie?“, grübelt sie. Nachdem sie um die Ecke in die Hauptstraße abbiegt, erkennt sie aus der Ferne eine Silhouette auf sich zu kommen. Vom Asphalt steigen Hitzewellen in die Luft auf. Dementsprechend ist die Sicht verschwommen. In ihrer Brust schleicht sich ein Gefühl ein, das zuerst einem Sack Steine gleicht, dann aber zu weißen Federn wird ob der Erleichterung den Näherkommenden zu erkennen. „Lord Crowley“, sagt Horn leise und ihre Gesichtszüge werden sanfter. Sie hat ihn gefunden. Unbewusst legt sich ihre Hand über ihr Herz, als sie zu dem adeligen Vampir hastet. Staub wirbelt auf, wann immer Horns weiße Highheels auf die trockene Ebene treten. Das Glück steht auf ihrer Seite. „Das bist du Horn. Ich habe dich überall gesucht“, erklingt Crowleys weiche Stimme. Kaum erfasst sie sein mildes Lächeln, färben sich ihre Wangen rosa und sie wird langsamer. „Verzeihen Sie, wenn ich Ihnen Umstände bereitet habe“, entschuldigt sich Horn. Bei Crowley erkennt sie keinen Groll. Er geht selbstbewusst und gelassen auf sie zu. Das braune, geflochtene Haar schwingt im Takt des Windes und vorne fällt ihm die rubinrote Mähne ins Gesicht. Er sieht für Horn zum Anbeißen aus. „Du bist wohlauf, also muss du dich für nichts entschuldigen“, sichert er ihr zu. Knapp einen Meter vor ihm bleibt sie stehen. In seiner Nähe wächst das Gefühl von Geborgenheit, auch wenn sie zunächst mit der Desorientierung und den Erinnerungslücken kämpft. Wenigstens muss sie nicht mehr alleine weiter kämpfen. „Vorerst bin ich froh, Sie zu sehen, Lord Crowley, aber wir haben nicht viel Zeit. Ein Schatten treibt sein Unwesen.“ Augenblicklich hört sich Horns Stimme nüchtern an und ihr Gesicht zeigte eine ernsthafte Mimik. Obwohl die Vampirin mit der Hilfe von Crowley sicherlich gegen den Schatten gewinnen kann, treiben die geschärften Sinne sie dazu, nicht unachtsam zu werden. Die Menschen können sich warm anziehen. „Wir sollten umkehren“, sagt Crowley. „Zum Treffpunkt?“, fragt die Vampirin. „Aber wo sind die anderen?“ „Bereiten sich auf den Kampf vor.“ „Greifen die Menschen demnächst an? Das geht schneller als erwartet.“ „Darum müssen wir uns beeilen“, veranlasst er bestimmt. „Verstanden.“ Zurzeit sind die Menschen persönlich das geringste Problem. In der Nähe schleicht sich ein Schattenwesen herum. Sie verdächtigt direkt die Menschen, eine Waffe zu entwickeln, die Vampire mehr beeinflusst als verfluchte Waffen. Es nahm ohne Aufwand die Gestalt von Chess an und sie selbst war Zeugin seiner Macht gewesen. Was, wenn mehr von ihnen existieren? „Du wirkst vertiefst“, meint Crowley neugierig. „An was denkst du?“ „Wir sollten vorsichtig sein“, erwidert die Vampirin. „Da liegst du absolut richtig.“ Schmerz durchbohrt ihre Brust. Weit reißt sie die Augen auf und der Schock übermannt sie, als sie den Angreifer vor sich kennt. Lord Crowley. Sein Blick wird ebenso kalt wie das hinterhältige Lächeln, das nun seine Züge ziert. Jetzt versteht Horn. Zorn brennt in ihr, sodass sie den Arm des Betrügers mit einer Handbewegung bricht und ihn mit einem Tritt in die Magengrube auf den Boden befördert. Scharlachrote Flüssigkeit beschmutzt ihr Kleid und breitet sich über den Stoff aus. „Mistkerl. Wie kannst du es wagen, ihn auch zu imitieren“, schnaubt sie erbost. Kälte durchfährt die Blonde bis auf die Knochen. Die Muskeln verkrampfen sich und Schwindel überkommt sie. „Nein. Nicht jetzt“, sagt Horn schwach. Blitzartig muss sie wieder Schmerzen im Kopf ertragen und auch ihre Wangen brennen, sodass Horn bei der Berührung die Wärme spürt. Hat ihr jemand Ohrfeigen verpasst? Wann? Wo? Wer? Kreuz und Quer stellen sich ihr neue Fragen. Horn ist dabei, ihre Schläfe zu massieren, als ein grelles, weißes Licht sie von vorne blendet. Sie kneift die Augen zu. Kapitel 2: Stilles Blutwasser ----------------------------- Wärme verbindet sich mit Horns Unterbewusstsein. Die schwarze Leere umhüllt nicht länger ihren Körper und tritt zur Seite, als ein Kribbeln unter der Haut sie ermuntert, zurück ins Leben zu kehren. Erinnerungsbilder von Chess, Crowley und ihr flimmern wie ein Film vor ihrem inneren Auge. Dann lauscht sie in die Stille. „Horn, wach auf. Kannst du mich hören? Horn“, schweifen die Worte durch den Schleier des Erwachens. Anfänglich nimmt Horn alles dumpf wahr. Das Gefühl von Watte breitet sich in ihrem Körper aus, hinterlässt sie in einem benommenen Zustand und will sich nicht so recht lösen. Unentwegt kämpft sie gegen die Müdigkeit an, hebt die schweren Augenlider, um ein Bild der Umgebung zu kriegen. Zuerst erblickt sie einen Lichtstrahl, ehe sie jemanden von der Stimme und vom Erscheinungsbild her erkennt. „Chess?“, haucht Horn. Über das Gesicht der Freundin huscht ein Lächeln, als diese erleichtert aufatmet. Kleine Tränen glitzern in Chess' Augenwinkeln. „Endlich bist du wach. Ich dachte schon, ich habe dich verloren.“ Horn kann nicht anders, als sie anzulächeln. War das ein Traum? Jedoch fühlte sich die Handlung real an und vor allem erinnert sie sich an jedes Detail. Nach und nach kehrt ihre Stärke zurück. Zwar fühlt sie sich noch wie zerschlagen, richtet sich aber dennoch auf, obwohl jeder Nerv ihres Körpers dagegen protestiert. „Was ist", brummt Horn und das Stechen im Kopf wiederholt sich. „Was ist passiert?“ Zwei Arme umschließen Horns Brust und Rücken. Übertrieben drückt Chess zu. Am liebsten will sie Horn niemals mehr loslassen. Seit Stunden versucht sie, ihre Freundin aus dem komaähnlichen Zustand zu befreien. Leider war es die ganze Zeit erfolglos - bis gerade eben. „Chess…du erstickst mich“, schmunzelt Horn auf verwirrt. „Tut mir echt leid. Dann jage mir doch nicht so einen großen Schrecken ein“, spricht sie zuerst undeutlich, dann vorwurfsvoll. Da rückt die Ungezogenheit ihrer Freundin erneut in den Vordergrund, doch die Sorge besteht fort, das sieht Horn ihr an. „Sieht aus, als ob es dir besser geht.“ Horns Nackenhaare stehen zu Berge. Hinter der Vampirin verzaubert eine sanftmütige Stimme ihr Gehör und zieht sie in seinen Bann. Langsam dreht sie ihren Kopf, entdeckt das Gesicht von Lord Crowley und hängt förmlich an seinem Blick. Seit wann sitzt er hinter ihr? „Ja…glaube schon“, murmelt sie. Leise kichert Chess. Die ganze Zeit wachte Lord Crowley über Horn, als diese bewusstlos war und legte sogar vorsichtig ihren Kopf auf seinen Schoß. Wenn Horn davon hören würde, könnte Chess ein Lachen nicht unterdrücken. Manchmal ist Horns Alltag ein wechselhafter Genuss. „Sei ihm dankbar. Er hat sich liebevoll um dich gekümmert“, erzählt Chess ungeniert. „Deinen Kopf hat er auf seinem Schoß sicher und warm gehalten.“   Plötzlich steigt die Hitze in Horns Gesicht und sie denkt nach, ob die Berührungen während ihrer Bewusstlosigkeit von dem Vampir stammten, der sich um sie kümmerte. Allein die Vorstellung verschlägt ihr die Sprache und am liebsten würde sie ihrer besten Freundin eine Kopfnuss verpassen. Offensichtlich bereitet es ihr Freude, sie so verlegen zu sehen. „Hast du Erinnerungen an etwas, bevor du dem Feind in die Hände fielst?“, unterbricht Crowley und sieht sie neugierig an. „Hm…warte mal.“ Vor allem anderen hebt sich nur ein Moment des letzten Kampfs gegen die Menschen ab. Jemand zielte auf Chess mit einem schwarz-grünen Blasrohr und sie stellte sich tapfer dem Angriff entgegen. Leider besaß der Pfeil die Fähigkeit, die Richtung zu ändern, doch Horn bekam den Stich an ihrem linken Oberarm noch mit, bevor sie in Ohnmacht fiel. „Wo ist der Pfeil?“, wundert sie sich, als sie nach diesem an ihrem Oberarm tastet. „Meinst du das Teil?“, zeigt Chess und hält in den Händen den Pfeil. Horn nickt und empfindet immer noch, das etwas in der Wunde verweilt und sich einnistet. Sie verzieht das Gesicht. „Schmerzt es wieder?“, erkundigt sich Crowley. „Ein bisschen. Vielleicht steckt noch Gift in mir, als es aussieht“, vermutet Horn und schaut auf die schwarze Flüssigkeit an der Pfeilspitze. Übelwollend betrachtet Chess das verfluchte Teil zwischen Daumen und Zeigefinger, das ihre Freundin verletzte und nun quält. Zu ihrem Bedauern brauchen sie den Pfeil für weitere Untersuchungen. Seine Funktion ist beinahe lebensgefährlicher als die Halluzinationsfähigkeit des Pfeifenrauchers. Also steckt sie den Pfeil in eine Tüte und verstaut diese sorgsam. Crowley berührt behutsam Horns Haut. Davon bekommt sie eine Gänsehaut und zuckt leicht unter den sanften Berührungen seiner Finger zusammen. Hals über Kopf vergisst sie die leicht schmerzende Wunde und genießt Crowleys Berührungen. „Das Gift werde ich aus dir heraussaugen“, sagt der adelige Vampir und öffnet seinen Mund. Unsicherheit zeichnet sich auf Horns Miene. Das zu tun, ganz ohne Schutzvorkehrungen, hat bestimmt gefährliche Folgen für Crowley. Stur widersetzt sie sich, von Crowley gebissen zu werden. „Lieber nicht.“ Außer Reichweite von Crowleys spitzen Zähnen steht Horn auf und erholt sich von der Wirkung des Giftes. Sie darf nicht vor den anderen gebrechlich erscheinen. Zuversichtlich steht sie auf zwei Beinen, kann klar denken und möchte mit ihren engsten Vertrauten zurück zur Villa. Ein Glas frischen Blutes mit Crowley und eine Partie Schach mit Chess ergänzen den Gedanken, für heute keine weiteren Hindernisse zu erleben. „Hm…Horn braucht bestimmt Blut, um wieder zu Kräften zu kommen“, überlegt Chess und leckt sich über die Lippen. „Klingt nach einer Feierlichkeit für uns“, bekräftigt Crowley die Idee und blickt zu Horn. „Solange erhol dich ausgiebig.“ Wohlwollend schenkt sie ihm ein Lächeln und nickt. Nichtsdestotrotz brennt ihr eine Frage auf der Seele und sie wägt ab, später Lord Crowley zu fragen. Hier ist nicht der richtige Ort. In diesem Moment unterbricht jemand ihre Gedankengänge. „Willst du Wurzeln schlagen, oder was?“, meckert Chess, als sie vor Horn steht und in ihre Wangen kneift. Nach mehrerem Blinzeln seufzt Horn innerlich und versteht ihre Freundin gut, aber dafür muss sie ihr ja nicht gleich auf taktlose Art auf die Nerven gehen. Das zahlt sie ihr beim Schach zurück. Spontan leuchten die Augen angriffslustig auf. „Schon gut, Chess“, verdeutlicht sie und entfernt die Hände der Vampirin. Davon wenig begeistert, stemmt Chess die Hände auf die Hüften und zieht den Mund zu einem schmalen Strich. „Lord Crowley. Horn wirkt noch schwindelig und neben der Spur. Sie braucht Ihre Unterstützung“, betont sie und zwinkert Horn zu. „Ich gehe schon mal voraus. Bis später.“ „Warte, Chess!“, sagt Horn empört. Mit der Ausnahme eines Kichern erwidert Chess jedoch nichts und macht sich auf den Rückweg. Verdutzt schaut die Blonde ihr hinterher und runzelt die Stirn. Hat sie sich verhört oder kehrt Chess ihr den Rücken zu? So ein unangemessenes Verhalten duldet sie keinesfalls. Im Magen spürt sie ein federartiges Gefühl, als Schritte auf sie zukommen. „Darf ich behilflich sein?“ Kurzerhand dreht sie sich um und der Anblick Crowleys betört direkt ihre Sinne. Seit ihrer ersten Begegnung kann sie den Blick nicht von ihm lassen, will an seiner Seite kämpfen und hofft, eines Tages mehr als eine loyale Dienerin für ihn zu sein. „Selbstverständlich.“ Jedes Mal klingt seine Stimme mitfühlend, ruhig und weichherzig. Kein Wort verlässt den Mund und ihre Lippen bleiben versiegelt. Lautlos nickt sie ihm zu. Niemals lehnt sie seine Hilfe ab. Wie ein Gentleman überreicht er ihr seine Hand. Gemächlich streckt sie ihren Arm aus, um ihre Hand auf seine zu legen. Auch wenn der Moment nur ein paar Sekunden dauert, fühlt es sich für Horn wie eine Ewigkeit an. Am liebsten möchte sie ewig bei ihm verweilen. „Du zitterst“, erwähnt Crowley. „Mir geht es gut“, beteuert sie und unterdrückt das Zittern. „Verstehe.“ Vorübergehend scheint der Vampir zu überlegen, hält dann ihre Hand fester und drückt sie an seine Brust. Bevor ein Satz von Horn zu Stande kommt, hebt Crowley sie hoch. Reflexartig umschlingt sie seinen Hals und lehnt sich an seinen Oberkörpern. So nah bei ihm, wirbeln alle ihre Gefühle durcheinander. Tief atmet sie seinen vertrauten Geruch ein. Fühlt sich so eine Braut in den Armen ihrer großen Liebe? Unverzüglich verdrängt sie den Gedanken. „Das ist… eigentlich nicht nötig“, flüstert sie. „Eine wunderschöne Dame in Nöten kann ich nicht alleine lassen.“ „Ich bin nicht hilflos“, plädiert sie und bemerkt erst jetzt, dass dies ein Kompliment ist. Stille kehrt ein. Beschämt senkt sie den Kopf und traut sich nicht, in seine Augen zu gucken. Grundsätzlich reagiert er nie nachtragend, doch die Sache bleibt ihr peinlich. Anders verhält sich Crowley. Das Bild von Horn verleitet ihn zu einem Schmunzeln. Zudem verachtet er ihr Selbstbewusstsein und weibliche Stärke nicht. Vielmehr baut er darauf, dass er sich auf sie verlassen kann. Vielleicht tut ihr eine Ablenkung gut? „Halt dich gut fest.“ „Wie bitte?“, fragt sie konfus. Ohne Vorwarnung springt er in die Höhe auf das nächstliegende Dach. Elegant und lautlos landet er auf der Fläche. „Hier ist es ruhig“, sagt er und sieht in die Ferne. „Oh, die Abenddämmerung bricht an.“ Horn wendet ihren Blick von Crowley zum Horizont. Könnte der Moment nur ewig andauernd, ging es ihr durch den Kopf, als es um sie in der Stadt dunkel wird. „Wie lange war ich weggetreten?“, kann sie es kaum fassen. „Jetzt bist du wieder da“, ruft er ihr ins Gedächtnis. Jahraus jahrein verankert sich in Horns Seele ihm gegenüber eine tiefe Dankbarkeit. Damals rettete er nicht nur Horns und Chess' Leben. Er verwandelte sie auch in Vampire, fragte höflich und bedrängte die jungen Frauen niemals. „Das habe ich dir zu verdanken“, zollt sie ihm Respekt. „Ich kann schlecht meinen engsten Vertrauten im Stich lassen.“ Freude übernimmt in ihr die Oberhand und verleitet die Vampirin zu einem leisen Lachen, das sich in Erleichterung wiegt. Nach dem ganzen Tumult blüht sie förmlich auf und ihre Gefühle mit ihr. Tatsächlich offenbart sie diese selten. Die Gier nach Blut und die Pflicht als Crowleys Begleiterin sind ihre wahre Natur als Vampir. Spielen Gefühle auch eine Rolle? „Wunderschön“, findet Horn und beobachtet den Sonnenuntergang. Der Himmel färbt sich scharlachrot. Am Horizont versinkt die Sonne wie ein blutroter Ball und wirft hinter den Gebäuden lange Schatten. Wolken schweben einzeln über die Stadt und tauchen sich im Schein der Sonne in sattes Rot. Gerade wirkt die Welt friedlich. „Deine Wunde tut wohl nicht mehr weh.“ Ruhigen Ganges neigt sie ihren Kopf zu Crowley. Er hat Recht. Mittlerweile rückt das Zwicken in den Hintergrund, wenn auch die Wunde nicht schon verheilt ist. Dafür werden die Menschen mit ihrem Blut bezahlen. „Nein. Du kannst mich ruhig runter lassen“, sagt Horn leise. Mit einem Nicken hilft er Horn auf die Beine und das Klacken ihrer weißen Highheels schallt durch die abendliche Stille. Es ist ihr durchaus angenehm, wieder selbstständig auf eigenen Füßen zu gehen, ohne Lord Crowley weiterhin zur Last zu fallen. „Erinnerst du dich an den einen Tag?“, trägt er wie einer Rede aus alten Zeiten vor. „Hm? Damals?“, entlockt es Horn und sie scheint darüber intensiv nachzudenken. Das erste Bild flackert wie eine Kerzenflamme auf, brennt seit dem Moment in ihrem Gedächtnis, sodass sie es niemals vergisst. Ihr läuft ein kalter Schauer über den Rücken. Der eisige Wind fegte durch die Straßen und trug kalten Regen mit sich, der vom grauen Himmel auf sie niederprasselte, als sie und Chess noch Menschen waren. Gierig zog die Kälte durch ihre Haut und hinterließ ein nagendes Gefühl. Ganz schwach erinnert sie sich an ihre Augenfarbe, strahlend wie der Himmel, aber blass und hoffnungslos. Bis der Regen aufhörte. Durch die Regenwolken drangen Sonnenstrahlen hervor. Warm und freundlich berührten sie die Herzen der jungen Frauen. Jemand hielt ihnen die Hand hin, wollte ihnen eine neue Chance geben, die für die Ewigkeit halten sollte. Es war ein Mann. Stattlich. Ehrenhaft. Stark. „Ich gebe euch eine Zukunft“, erklang die vertrauenswürdige Stimme. Horns Herz schlug ihr bis zum Hals und Chess starrte ihn mit großen Augen an. Beide sahen sich erst misstrauisch an, dann erkannten sie, nicht viele Möglichkeiten zu haben. Zuerst trat Horn vor, sah schüchtern zu Boden, traute sich aber schließlich, dem Mann in die Augen zu blicken. Sie strahlten ihre eigene Wärme aus, obwohl sie die Farbe des Blutes hatten. Jedoch war Horn davon fasziniert. „Ich…“, stammelte sie. „Warte Horn“, bat Chess und hielt ihre Hand fest. Überrascht schaute Horn zu ihr. Deutlich erkannte sie die Unsicherheit und die Bedenken ihrer besten Freundin. Irgendwie führte diese Erkenntnis Horn zu einem Zwiespalt. Durch den Druck ihrer Hände gab Chess preis, wie ernst sie es meinte. „Hab keine Angst. Vertrau mir, Chess“, lächelte Horn und traf damit eine Entscheidung. Flink greift Crowley nach seinem Langschwert, formt die Augen zu Schlitzen und statt wie zuvor glutwarm schimmern sie eiskalt. Etwas erregt seine Aufmerksamkeit. Die Umgebung taucht sich in dunkles Rubinrot und Finsternis schleicht sich an. Aus der Zweisamkeit entsteht ein Schweigen, das abrupt durch ein niederträchtiges Lachen unterbrochen wird. „Du schon wieder“, zischt Horn und Schmerzen überwältigen die Vampirin. Aus der Wunde sickert eine schwarze Flüssigkeit, rinnt über Horns helle Haut und bildet eine Gestalt, die die Blonde zu gut kennt. Starr wie Eis fühlt sich ihr Körper an. Sie kann sich kein Millimeter bewegen. Erneut schließt der Schatten seine Arme um sie, damit sie diesmal nicht entkommt. Über die Situation ist sie nicht erfreut und knirscht mit den Zähnen. „Es ist mir eine Ehre, dich als Gegner zu haben und dann umzubringen“, begrüßt Crowley den Schatten sarkastisch. Auf dem gesichtslosen Schatten bildet sich ein Grinsen. In der Luft schwebt es reglos und verschmilzt mit der dämmerigen Gegend. Lange genug hat das Schattenwesen gewartet, um den richtigen Moment zu erwischen. „Das wird ein Spaß.“ Kapitel 3: Blutrote Begierde ---------------------------- Die Welt versinkt in der Dunkelheit. Am Himmel zeigen sich die ersten Sterne und das weiß schimmernde Mondlicht spendet an diesen Abend ein Funken Licht. Gefangen, die Flügeln gestützt und von der Finsternis in Ketten gelegt – sieht Horn wie ein Engel mit Blutrausch aus. Zorn blitzt in den Augen hervor. Vor Lord Crowley als Marionette des Feindes benutzt zu werden, passt ihr nicht in den Kragen. Falls etwas noch Schmutzigeres gibt als das Vieh, dann sprengt der Schatten alle Register. „Lass mich los, sonst entreiße ich dir das dämliche Grinsen!“ Aus dem Schatten ragen Fäden raus, die sich an Horns Körper heften, einmal am Hinterkopf, an den Ellenbogen und Kniekehlen. Anschließend verliert sie die Kontrolle über ihren Körper. Sie fühlt sich widerstandslos, gewissermaßen auch erniedrigt. „Puppen beschweren sich nicht. Sie schweigen und gehorchen“, macht der Schatten klar. „Leider ist diese Schönheit schon vergeben“, lächelt Crowley, sein Gesicht bleibt jedoch hart. Innerhalb weniger Sekunden steht der adlige Vampir neben den Schatten, da Horn somit aus der Angriffsfläche ist und er die Fäden mit einem Hieb entfernen will. Solange er die Vampirin als Schutzschild benutzt, liegen seine Karten nicht so gut. Zudem bemerkt er kurz, wie Horn unter den einen Satz errötet. Ihr Kampfwille kehrt zurück. „Vampire“, faucht der Feind zurück. Crowley holt aus. Die scharfe Seite des Langschwertes schwingt auf die Fäden zu, bis der Schatten diese nach außen krümmt, um nicht abgetrennt zu werden. Fürwahr bleibt der Vampir gelassen. Beim nächsten Mal hat er mehr Erfolg. Wie aus dem Nichts rasen schwarze Pfeile aus der Kreatur und peilen Crowley an. Mit einfachen Handbewegungen zerstört er die Pfeile und das Schwert glänzt im Mondlicht silbrig. Er hat von dem Schatten mehr erwartet, stattdessen verläuft der Kampf bis jetzt leicht.   Mittendrin kämpft Horn mit eisernen Wille gegen die Kontrollmacht des Schattens, der über ihr ruht. Es ist wirkungslos und treibt sie zur Weißglut. Sie muss doch etwas dagegen unternehmen. Augenblicklich passiert ein Moment, der sie regelrecht schockiert. „Lord Crowley!“ Blut strömt über Crowleys rechten Unterarm, nach dem Horn ihn mit der Lanze zum Angriff übergeht und ihn dort unerwartet erwischt. Ab jetzt ist Horn nicht mehr die Herrin über den eigenen Körper. Die Arme fangen an, vor Wut und Sorge zu beben. „Das ist gar nichts“, übermittelt er zu Horns Erleichterung. „Du bist zäher, als du aussiehst.“ Eigentlich hat der Schatten vor, mit den Feinden kurzen Prozess zu machen. Falls die Vampire schneller und scharfsinniger sind, als angenommen, will es keine Zeit verschwenden, die wie Insekten zu zerquetschen. Gerne fädelt es dabei Intrigen ein und spielt noch eine Weile mit ihnen. In seinen Fängen kontrolliert es die Vampirin, die anscheint sich Sorgen, um den anderen Vampir macht. Vielleicht dauert das Spiel ein klein bisschen länger. Somit zieht er weiterhin die Fäden im Hintergrund. Geschwind hebt Horn ihre Lanze hoch und hetzt gegen den eigenen Willen auf Crowley zu, um gleich wieder ihn anzugreifen. Innerlich verflucht sie das Schattenwesen und der Hass juckt in ihren Fingern, es eigenhändig zu erwürgen. „Vorsicht“, warnt Horn und durchbohrt mit der Lanze ein Auto in zwei Hälften, bevor Crowley seitlich ausweicht. Der Lärm gleicht einem Blitzeinschlag auf die Erde samt Donnergrollen. Staub wirbelt und tanzt im Mondschein herum. „Das war ganz schön knapp“, sagt der Vampir und pfeift enthusiastisch. Die Bewunderung dauert nicht lange an, weil der Schatten keine Sekunde vergoldet, den Feind mit seiner Dienerin am laufenden Band anzugreifen. Kinderleicht wehrt Crowley die Angriffe ab, muss aber sicher gehen, dabei Horn nicht zu verletzen. Einmal paradiert das Zweihandschwert haarscharf an Horns Wange vorbei. Er denkt nach, wie er zuerst Horn befreit und wie folgt den Schatten loswird. Tatsächlich liebt er Herausforderungen, aber seine Vertrauten will er nicht in Gefahr bringen. „Halt still, Vampir“, schmachtet der Schatten ungeduldig. „Deine Chancen liegen bei null“, fügt Horn selbstbewusst bei und formt die Lippen zu einem Lächeln. Ihm geht es durch den Strich, von seiner Dienerin so respektlos behandelt zu werden, eher plant er im Gedanken, ihre Kräfte sich anzueignen. Bestimmt schmeckt ihr Blut köstlich und der Kampf gegen sie zeigte schon, dass sie nicht vom schlechten Blut ist. „Genau wie deine jetzt, Vampir.“ Fest beißt Horn die Kiefer zusammen. Von dem Feind aus dringt die hohe, dünne Stimme tief in ihrem Unterbewusstsein ein und ihr wird klar, wenn sie zu lange an seinen Fäden hängt, dann endet ihr Leben an Crowleys und Chess´s Seite. „Was heckst du aus?“, zischt Horn. „Zerbreche dir darüber nicht den Kopf.“ Das Grinsen erweitert sich zu einem offenen Mund. „Du wirst es jetzt spüren.“ Der Freiheit beraubt, werden Horns Augen größer, als der Schatten sich mit spitzen Zähnen ihrem Hals nähert. Sie will nicht. Mit aller Kraft reißt sie an den Fäden, wehrt sich gegen das Vorhaben des Feindes. Kein Mensch oder andere Kreatur darf außer Lord Crowley ihr Blut kosten. Damals hat sie es geschworen. Hass spiegelt sich in den Augen Horns wider. „Ich lehne undankbar ab“, erwidert sie kalt und zögert nicht lange. „Also verzieh dich.“ Anstelle von Kapitulation kämpft Horn gegen den Schatten weiter. Solange der eiserne Wille in ihr brennt, gibt sie niemals auf. „Wie kannst du es wagen, du Miststück!“, tobt der Schatten vor Rage. Bevor er Horns Hals erreicht, drückt er die Kiefern zusammen und hat einen neuen Plan, der Vampirin Leid zuzufügen. So schnell entkommt sie ihm nicht. Ein tiefes Knurren dröhnt aus dem Munde des Schattens, sodass Horn bei dem Laut ein übelgesinntes Gefühl bekommt. Unmittelbar danach nutzt Horn diese Chance, ihm eine Lektion zu erteilen, die sich gewaschen hat. „Deine eigene Schuld“, wirft sie dem Feind vor. „Niemand kommt ungeschoren davon, wenn jemand uns Vampire beleidigt.“ Ihr Blick ist scharf und gleicht einer geschliffenen Klinge. „Ich werde dir…“, regt sich er sich auf und bis auf weiteres bildet sich Horns Lächeln in seinem Gedächtnis ab. „Die Konzentration lässt bei dir nach.“ Der Einfluss ihrer zarten, silberhellen Stimme dringt wie Gift in die Wachsamkeit des Feindes ein und lenkt das Geschehen aus einem Guss in die richtige Richtung. Standhaft baut Horn ihren Kampf gegen die Kontrolle neu auf, um schließlich aus diesen widerlichen Fängen zu entkommen. Auf jeden Fall darf sie nicht nachlassen, provoziert mit Absicht den Schatten, der den Blick nur auf sie hält, nirgends woanders hin. Bald fungiert sie keineswegs mehr als Marionette. „Kleine Blutzecke.“ Ungehalten schnaubt der Schatten. Genug mit den Beleidigungen fängt er an, durch die Fäden die Lebenskraft der Vampirin zu entziehen. Um den anderen Vampir schert er sich später. Zuerst hat er das Vergnügen, sie Stück für Stück zu quälen. „Ngh…verdammt“, japst Horn, als sie spürt, wie die Kraft ihren Körper verlässt. „Entspann dich und genieße deine verdiente Behandlung“, lacht er hämisch. Es brennt wie Feuer, während die Lebensenergie durch die Fäden davon schwindet. Entgegengesetzt fühlt sich der Kontakt mit den Fäden durchdringend an, vielmehr wie Stiche aus Eis. Horn wundert sich, dass sie hohe Temperaturunterschiede wahrnimmt. Augenblick holt sie tief Luft, nach dem der Schatten das Absorbieren beschleunigt, damit die Zeit noch unerträglicher wird. Furchtlos nimmt sie das Leid im Kauf, obwohl die eine große Schmerztoleranz hat. Aus ihrer Sicht ist der Schatten sehr stark. „Vergiss es…ich werde nicht schreien.“ Unerschrockenheit strahlt sie aus. Keine 100 Jahre zwingen sie dazu, dem menschlichen Vieh das Knie zu beugen oder durch den Schatten zu einem Dämon zu werden. Solange sie Lord Crowley und ihre beste Freundin Chess hat, kämpft sie stets weiter. „Hmh. Das ist viel zu Schade“, raunt er. „Ich will deinen Todesschrei hören.“ „Eher wirst du schreien“, sagt Horn direkt. „Unmöglich. Du kleines Insekt kannst mir nicht das Wasser reichen. Wie willst du mich erledigen?“ „Mit einem sauberen Schnitt.“ In derselben Sekunde sticht die Schwertspitze von Crowley durch die Brust des Schattens, als er wie aus dem Nichts zwischen ihm und Horn auftaucht. Die schwarzen Stiefel berühren den Boden federleicht und seine Bewegungen sind flüssig. Horn wusste, dass sie etwas Zeit schinden muss, damit Crowley genügend Zeit hat, den Feind aus dem Hinterhalt anzugreifen. Als ein Team arbeiten die beiden erstklassig zusammen. Vorab realisiert der Schatten nicht, wie sehr sich das Blatt wendet. „Woher…“, versteht der Schatten nicht. „Wie hast du…?“ Anfänglich wächst das Grinsen des Feindes zu einem Grinsen. Derzeitig ragen spitze Zähne raus und graue Wolken steigen aus dem Mund. Im Brustkorb spürt er den Stich, der tiefer hineingeht. Laut schreit er auf und die Fäden werden lose. „Erschaffen von den Menschen“, erklärt der adlige Vampir. „Verfügst du auch über deren Herrschsucht und Dummheit.“ Schmerzhaft grollt der Schatten auf, als Crowley in groben Zügen das Schwert herauszieht. Blut fließt aus der Wunde und beschmutzt den Boden mit dunklen Flecken. Mit ein paar Sprüngen weicht er den Vampiren aus. „Verfluchte Vampire“, nimmt er es ihnen übel. Jedoch ignoriert Crowley ihn, indem er Horn sicher auffängt und auf Händen trägt. Vom Gewicht wiegt sie leichter als sonst, bestimmt hängt es mit den Fäden des Schattens ab. Ansonsten scheint es ihr wohl aufzugehen. „Ausgezeichnet, Lord.“ „Ich hatte auch Unterstützung. Das Lob gebührt auch dir, Horn.“ Horns Gesicht wechselt die Farbe. Komplimente aus seinem Munde zu hören, ehren sie zu tiefst. Hingegen blickt sie dann zum Schatten, der sich nicht von der Stelle rührt. Sie empfindet für diese Kreatur absolute Abscheu. „Er lebt noch.“ „Das ist eindeutig ein Problem“, stimmt Crowley ihr zu. Die Finsternis verschafft dem Schatten ein Vorteil. Ein Schritt weiter nach hinten und schon verlieren die Vampire ihn aus den Augen. Durch die Straße hallen ein unheimliches Geflüster und ein leises Fluchen. Helle Flächen meidet er, die vom Mondlicht stammen. Er sehnt sich nach Rache. Dafür nutzt er auch jede Gelegenheit. Hauptsache das Blut der Vampire fließt bis zum Ende leer aus. Für eine Waffe der Menschen ist er ziemlich nachtragend und weist nicht, wann er aufgeben muss. „Dafür werdet ihr büßen, Vampire“, schäumt der Schatten vor Wut. Davon unbeeindruckt setzt Crowley Horn ab und schärft seine Sinne. Weit kommt der Feind nicht, denn er will Rache. Zu seinem Bedauern ist der Kampf in die Langeweile gerutscht. Letztlich hat er von dem Schatten mehr erwartet, doch auf dem schwachen Niveau kann niemand ihn eine Gefahr darstellen. Am Ende treibt der Kampf ihn nicht mal zum Kampfrausch. „Überlass mir die Kreatur, Lord Crowley. Ich habe eine Rechnung mit ihm offen.“ Nach eigenem Ermessen bittet sie ihn, den Kampf zu beenden. Entschlossenheit ruht auf ihr Gesicht. „Ich überlasse dir den Vortritt“, sagt er und zwinkert ihr zu. Die Blondine nickt und schreitet voran. Danach setzt sie einen gefassten, kampfwilligen Blick auf und stolziert gewandt über den Asphalt. Als Dame kennt sie Manieren und die Waffen einer Vampirin einzusetzen. An ihr weht ein lauwarmer Wind vorbei und von Weiten rascheln die Blätter der Bäume. Es dehnt sich eine Stille aus. Fest umgreift sie ihre Lanze. „Dann komm raus und kämpfe, du Feigling.“ „Ich falle kein zweites Mal auf eure Tricks rein“, ruft er in die Dunkelheit hinein. Mit hoher Geschwindigkeit dreht sich Horn um. Auch Crowley regt sich, fliegt förmlich auf das Ziel zu, genau wie Horn. Darauf folgend spritzt Blut durch die Luft und ein raues Röcheln folgt nach dem Angriff. Durchbohrt von dem Schwert und der Lanze, steht der Schatten in der Falle. Links und rechts halten die Vampire ihn fest, damit er nicht erneut flieht. Mehrmals zuckt der Schatten zusammen und glaubt nicht, dass sein Ende naht. „Verdammt…“, spuckt er erzürnt aus. „Dein Blut riecht widerlich“, informiert Crowley ihn. Ohne ein weiteres Wort löst sich der Schatten auf. Als Schwachstelle dient der Brustkorb, weshalb der Schatten immer im Hinterhalt agiert und Horn als lebendigen Schutzschild verwendete. Zufriedenheit zeichnet sich bei Horn aus und säubert mit einem Tuch ihre Waffe. Dagegen zieht Crowley sein Schwert zurück. „Der Gestank wird eine Weile vorhanden sein“, seufzt Horn und betrachtet die Lanze. „Wir haben aber gewonnen“, merkt er an. „Wohl war. Der Sieg ist unser, aber die Ideen der Menschen werden…verrückter.“ Ein amüsanter Laut entweicht Crowleys Kehle. Einmal fährt er sich durch die Haare und schaut hoch zum Sternenhimmel. „Dann wird es nie langweilig. Menschen sind recht interessantes Nutzvieh.“ Stutzig hebt Horn die Augenbrauen hoch. Sie respektiert, bewundert und liebt ihren Lord, aber seine Vorlieben sind oft sehr ungewöhnlich. Besonders genießt er die Gesellschaft von Ferid, der andauernd Intrigen und Aktionen auf exzentrischer Weise plant. Chess und sie haben keine Sympathie für ihn. Allerdings sorgt sie sich mehr um Crowley, als um andere. Falls er wirklich von dem Mensch eine unglaubliche Neugier entwickelt, kann das seinen Tod bedeutet. Schnell verwirft sie den Gedanken weg. „Lasst uns umkehren. Chess wartet bestimmt schon auf uns“, schlägt Horn vor. „Ich erfülle dir gerne diesen Wunsch“, lächelt er und geht auf sie zu. Kurz blinzelt sie verblüfft. Irgendwie hört sich seine Stimmlage anders an. Vielleicht täuscht sie sich auch und braucht nach dem ganzen Drama eine Pause. Trotzdem ist sie stark genug, sich auf den Beinen zu halten und weiterzukämpfen. „Dankeschön“, äußert sich Horn höflich und ihre Augen fangen seinen Blick ein. „Eigentlich muss ich mich bedanken. Du hast mehrmals gegen dieses Wesen gekämpft und unseren Stolz bewahrt.“ Soeben werden Horns Augen groß und hält ihren Mund einen Spalt offen. Dem Geschmack vom edlen Blut schmeckt sie im Mund, obwohl sie das Gefühl eher woanders spürt. Crowley schenkt ihr einen Kuss auf der Wange. Hätte sie ein schlagendes Herz, dann schlägt es ihr bis zum Hals. Als er sich von ihr entfernt, steigt die Röte ihr ins Gesicht und legt die Hand auf die Wange. „Schließlich ist es mir eine Ehre, ihnen zu dienen, Lord Crowley.“ „Dann lasst uns umkehren und eine kleine Feier planen“, besteht er darauf. „Wir haben das allemal verdient.“ Stumm nickt sie. Gerade streuen ihre Gedanken woanders herum und hält den Moment des Kusses mit Ehren fest. Ihn so nah zu fühlen, gleicht einem Wunder. Sie lächelt. Als Crowley losmarschiert, folgt sie ihm. „Zudem verdanke ich auch dir mein Leben, als du über mich gewacht hast.“ „Zu einem Teil sage ich ja“, erzählt er. „An erster Stelle reagierte Chess zuerst, schrie dich dauerhaft an und verpasste dir einige Ohrfeigen.“ „Daher kamen diese Schläge also“, murmelt sie und erinnert sich gut an die Wucht. „Dass ich dich aus dem Schlaf küsse, war auch ihre Idee und hat am Ende sogar geklappt“, fügt er hinzu. „Wie bitte?“, empört sich Horn und empfindet ein Kribbeln auf ihre Lippen. Hat sie ihren ersten Kuss an Lord Crowley verloren? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)