Morgenstern von totalwarANGEL ================================================================================ Kapitel 1: Teufelsweib ---------------------- 🌱 Die Glocke im Kirchturm schlug gerade zur zwölften Stunde. Unerbittlich brannte der heiße Feuerball herunter auf Gottes Erde, als habe er vergessen, dass er eigentlich ihr Lebensspender war. Sengende Hitze brutzelte den Marktplatz von BĂ€renhag. Zum Westen und zum Osten hin erlaubte die Straße den wuseligen Massen an Besuchern den Platz zu fluten. An den beiden anderen Seiten sĂ€umten die Fachwerke der HĂ€user den geschĂ€ftigen Umschlagplatz. Dunkles Holz und heller Putz standen im Kontrast zueinander. GrĂŒn angemalte LĂ€den verschlossen die meisten Fenster, damit die Hitze draußen blieb. Eine schwarz-weiß gescheckte Katze nutzte das Vordach als Catwalk, bis sie in einem der wenigen offenen Fenster verschwand. Auf dem Markt gab es kaum feste StĂ€nde. Die meisten VerkĂ€ufer schlugen ein Zelt auf und stellten ihre Waren auf Tischen zur Schau. Die wöchentlich verpachteten StandplĂ€tze waren unter den HĂ€ndlern sehr begehrt. Grund genug, selbst an einem heißen Tag im August nicht auf den Umsatz zu verzichten. Seltene Stoffe und Seide aus fernen LĂ€ndern, aber auch tĂ€gliches Allerlei, wurden feilgeboten. Die Schweinehirten trieben ihre Herden zum Schlachter. Und die Tischler, Schneider, Schmiede und alle anderen Handwerker versuchten ihre Erzeugnisse in bare MĂŒnze umzuwandeln. VollstĂ€ndig von einem braunen Kapuzenmantel verhĂŒllt, wandelte eine fremde Gestalt ĂŒber den Marktplatz. Sie stach heraus, denn sie trug ein BĂŒndel Geschmeide bei sich. Jeder ihrer Schritte klang dumpf, wie von schwerem Schuhwerk. “Seltene GewĂŒrze!”, rief es aus der einen Ecke. “Erlebt den Wohlgeschmack des Orient und Okzident mit Pfeffern aus allen Teilen der bekannten Welt!” Doch den Besucher kĂŒmmerte es nicht. “Meine Tinkturen werden Euch nachts gute Dienste leisten!”, pries ein Apotheker seine Tinktur an. “Auf den Phallus aufgetragen, macht es ihn hart wie Stahl!” Dabei kam er dem Fremden unangenehm nah. “Eine Liebesschlacht zu spĂ€ter Stunde wird fĂŒr Euch stets siegreich und fĂŒr den Beischlaf Ă€ußerst befriedigend enden.” Unerwartet wurde der aufdringliche Mann von dem verhĂ€ltnismĂ€ĂŸig kleinen Fremden am Schlafittchen gepackt und hoch gehalten, sodass seine FĂŒĂŸe den Bodenkontakt verloren. “Haltet Abstand!”, wies ihn der Fremde zurecht und setzte den Apotheker anschließend unsanft ab. Dieser verneigte sich und suchte schnellstens das Weite. “Teppiche! Wundervolle Teppiche!”, verlautete der TextilhĂ€ndler. So einen hatte der Fremde gesucht. Er gab dem HĂ€ndler das BĂŒndel und erhielt einen prallen Beutel mit MĂŒnzen. Sein Ziel war erreicht. Nun spĂŒrte er allerdings seinen Magen knurren. Die verfĂŒhrerischen DĂŒfte zeigten schließlich ihre Wirkung. Aber der TextilhĂ€ndler war nicht der richtige Ansprechpartner. Einen Teppich konnte man nicht essen. “Hungrig?”, fragte es von der Seite. “Versucht es doch dort hinten beim FischhĂ€ndler. Die Suppe ist einzigartig!” Im nĂ€chsten Moment ging der EigentĂŒmer der Stimme in der Masse unter und wart nie wieder gesehen. Der Fremde suchte den Marktstand auf, wie ihm geheißen wart. Vom RĂ€ucherfisch bis zum Brathering war alles dabei, was eine Flosse besaß. Inmitten des Standes befand sich ein großer Kessel. Aus ihm stieg ein verfĂŒhrerischer und ĂŒberhaupt nicht fischiger Duft auf. Dies musste die berĂŒchtigte Fischsuppe sein. Alsbald belegte der Fremde einen der Hocker. Gleich nebenan versuchte ein Schmied, seine Waren loszuwerden. Er war noch jung, vielleicht siebzehn Jahre alt. Angebot besaß er reichlich, aber kein Kunde zeigte Interesse. “Metallerzeugnisse aller Art!”, rief der Junge. “Egal ob Werkzeug der Schöpfung oder der Zerstörung. Bei mir bekommt ihr alles! Henrik, der Schmied, hat etwas fĂŒr jeden Geschmack!” Doch Henriks MĂŒhen waren vergebens. Niemand blieb stehen, um seine Waren anzusehen, geschweige denn zu erwerben. “Wenn das so weitergeht, kann ich meine Pacht nicht mehr bezahlen!” Der junge Schmied ballte die Hand zur Faust und schlug auf den Tisch vor sich. “Verdammt!” Seine Geldsorgen waren zu offensichtlich. Er fĂŒrchtete, so niemanden fĂŒr sich gewinnen zu können. Sein mangelnder Umsatz hing ĂŒber ihm wie eine schwarze Aura. “Ich muss mir etwas einfallen lassen.” Da kam ihm eine Idee. “Sonderangebot!”, rief er aus voller Kehle. “Zwei zum Preis von einem! Aber nur solange der Vorrat reicht.” Noch immer scherte sich keiner um ihn und seine Waren. “Niemand?!” Offenbar wĂŒrde der Vorrat die nĂ€chste Zeit nicht ausgehen... Als er schon verzweifeln wollte, nĂ€herten sich unerwartet drei MĂ€nner. Keiner von ihnen sah besonders erfreut aus, ihn zu sehen. Henrik jedoch freute sich fĂŒr sie mit. Der Anfang war gemacht und bald wĂŒrden sie ihm die Bude einrennen. Zumindest hegte Henrik diese Hoffnung. Auf einmal dĂ€mmerte ihm, dass diese MĂ€nner schon einmal bei ihm waren. Jeder von ihnen hatte etwas erstanden. Sie mussten zurĂŒckgekommen sein, weil sie von der QualitĂ€t seiner Werkzeuge und GerĂ€te ĂŒberzeugt waren. “Willkommen zurĂŒck, meine Herrschaften”, grĂŒĂŸte er die MĂ€nner. “Haben Euch meine Waren so gut gefallen, dass Ihr gleich mehr davon haben wollt?” Die finsteren Mimen der MĂ€nner erhellten sich kein bisschen, egal wie sehr sich Henrik bemĂŒhte, freundlich zu lĂ€cheln. “Sag mal, willst du mich verarschen, Bengel?”, fragte der Erste ungehalten. Er griff in eine Tasche und holte einen Hammer mit hölzernem Griff hervor. “Was ist das hier?!”, fragte er mit erhobener Stimme. “Ei-Ein Hammer?”, entgegnete Henrik. “MĂŒll!” Der Mann schĂŒttelte den Hammer hektisch umher. “MĂŒll ist das!” Als er das SchĂŒtteln einstellte, löste sich wie auf Bestellung das metallene Gewicht vom Stil, fiel herunter und schlug dumpf auf seinem Fuß auf. Der Mann verdrehte die Augen, hielt sich den Fuß und hĂŒpfte auf dem anderen herum. “Aua! Aua! Aua!” “Upps
”, kommentierte der junge Schmied. Die vermummte Gestalt nahm inzwischen die Fischsuppe zu sich, die sie kurz zuvor bestellt hatte. Die GerĂ€uschkulisse der wĂŒtenden Kunden erregte ihr Interesse. Fragend sah sie den VerkĂ€ufer gegenĂŒber an. “Was ist dort los?”, fragte ein zur HĂ€lfte immer noch von der Kapuze verborgenes Gesicht. Die unerwartet weiche Stimme gab dem VerkĂ€ufer zu denken. Bis jetzt glaubte er, einen jungen Mann vor sich zu haben. Aber lag er damit vielleicht falsch? “Nun
”, antwortete der FischverkĂ€ufer gelassen. “Gleich wird Henrik wieder windelweich geprĂŒgelt. Ist nichts besonderes! Das passiert zweimal die Woche.” “Warum denn das?” “Weil er der schlechteste Schmied der ganzen Stadt ist und jeder, der seinen Schund ersteht, ihm danach eine verpassen will. Ich hab ihm einmal eine Kelle um die Ohren gehauen. Sie ist nach dem ersten Treffer auseinander gefallen. Einfach keine QualitĂ€t!” Der Gast sah hinĂŒber zu Henrik, welcher sich weiterhin mĂŒhte, die Aufgebrachtheit der unzufriedenen Kunden wegzulĂ€cheln. “So ein Versager...” Inzwischen hatte der erste aufgebrachte Kunde aufgehört, auf einem Bein zu hĂŒpfen, als die Wellen des Schmerzes ausgestanden waren. Allerdings schien er noch immer nicht so gut zu Fuß zu sein. Das Stehen war ihm noch immer eine Pein. “Und was ist mit mir?”, skandierte der zweite aufgebrachte Mann. “Mir hast du einen Kessel verkauft.” “Seid Ihr damit nicht zufrieden?”, erkundigte sich Henrik vorsichtig. “Der Kessel hatte sogleich ein Loch als er das erste Mal befĂŒllt wurde!” “Das kann man bestimmt flicken...”, beschwichtigte Henrik. Urplötzlich wurde Henrik vom dritten Mann gepackt. Er zog Henrik ĂŒber den Tisch und rĂŒttelte ihn, als hielte er ihn fĂŒr einen Obstbaum und wolle reife FrĂŒchte aus der Krone schĂŒtteln. “Und natĂŒrlich sollen wir dafĂŒr zahlen, dass du deinen eigenen Pfusch ausbĂŒgelst”, schnaubte der Mann. “I-Ich muss auch von etwas leben!”, entgegnete Henrik eingeschĂŒchtert. “Wenn ich mit dir fertig bin, lebst du gar nicht mehr!” Gerade als der Mann mit geballter Faust ausholte, um den jungen Schmied, den er noch immer am Hemdkragen hielt, eine kostenlose Zahnkorrektur zu verpassen, wurde er von dem GerĂ€usch eines zu Boden fallenden SĂ€ckchens voller MĂŒnzen gestoppt. “Hey!”, rief ihm jemand zu. “Wenn es Gold ist, das Ihr wollt, nehmt den Sack und verschwindet!” Es war der Fremde, der die ganze Zeit unscheinbar nebenan gegessen und zugesehen hatte. “Was mischt Ihr Euch da ein?”, fragte der Mann. “Lasst uns ihn vermöbeln, sonst dreht er Euch auch noch seinen Schund an!” “Nehmt das Gold und verschwindet! Ich werde das kein drittes Mal sagen!” “Ihr solltet den Mund nicht so voll nehmen! Ihr klingt, als sei Euch noch kein einziges Haar am Sack gesprossen, BĂŒrschchen! Wenn Erwachsene sprechen, haben Kinder Sendepause!” Der Mann ließ von Henrik ab und stĂŒrmte stattdessen auf den Fremden zu. Die Hand war noch immer zur Faust geballt und bereit zuzuschlagen. “Ich habe Euch gewarnt!” Der Fremde packte die Hand des Angreifers. Der wĂŒtende Kunde spĂŒrte, wie der Griff um seine Hand immer fester und fester wurde. Die anderen beiden konnten fast fĂŒhlen, wie ihm die Hand gebrochen wurde, als es laut knackte und ihm die Beine weich wurden. Auf den Knien hockend jammerte er, wĂ€hrend sein GegenĂŒber noch immer nicht von seiner Hand abgelassen hatte. Henriks Mund stand sperrangelweit offen. “Werden du und deine Freunde den Jungen in Ruhe lassen?”, fragte der Fremde. Der Mann nickte hektisch mit dem Kopf, wĂ€hrend ihm die TrĂ€nen wie SturzbĂ€che ĂŒber die Wangen strömten. Der Fremde ließ seine Hand wieder los. Daraufhin rutschte der Mann Ă€ngstlich auf allen Vieren rĂŒckwĂ€rts zurĂŒck zu seinen Freunden, ohne dabei seinen Peiniger aus den Augen zu lassen. Die anderen halfen ihm auf und gemeinsam ergriffen sie die Flucht. WĂ€hrenddessen hob der KuttentrĂ€ger das SĂ€ckchen mit den MĂŒnzen wieder auf. “Ihr habt eure EntschĂ€digung vergessen!”, rief er den MĂ€nnern hinterher. Aber sie waren zu sehr mit ihrer Flucht beschĂ€ftigt und hörten es nicht. “Dann eben nicht!” Daraufhin steckte er den Beutel in seinen Mantel. Henrik war noch immer Ă€ngstlich, als der Fremde unter der Kutte auf ihn zukam. Er fĂŒrchtete, als nĂ€chstes die Knochen gebrochen zu bekommen. SchĂŒtzend nahm er seine Arme hoch und drehte sich weg, als der Fremde nĂ€her kam. “Du brauchst keine Angst zu haben”, sagte der Fremde. Er entledigte sich der Kapuze. Erstaunt stellte Henrik fest, der Fremde war ein MĂ€dchen. Etwa in seinem Alter. Henrik nahm die HĂ€nde herunter. Er betrachtete die Jugendliche. Ihre Augen waren so blau wie der Himmel und ihre Haare so golden wie die Gerste im Hochsommer. Unter ihrem linken Auge hatte sie einen winzigen Leberfleck. Sie war so unglaublich hĂŒbsch, so eine hatte er noch nie gesehen! Kein MĂ€dchen und keine Frau in BĂ€renhag war auch nur annĂ€hernd so schön wie sie. Sie musste eine Prinzessin sein! Er war viel zu erregt, um etwas zu sagen. “Kannst du auch sprechen?”, brummte die junge Frau genervt. Keine Antwort. “Henrik, richtig?”, ergriff sie schlussendlich die Initiative. “Du solltest aufhören die Leute um ihr Geld zu bringen. Ist ungesund. Und ich kann nicht immer da sein, um dich zu retten!” “D-Danke!”, stotterte der junge Schmied. “Ab-ber a-außer schmieden liegt mir nichts.” “Scheinbar nicht einmal das...”, murmelte sie. “Du willst also Schmied sein?” “Ei-ein Lehrling”, gestand Henrik ein. “Nur ist mein Meister gestorben, bevor er mir sein Handwerk richtig beibringen konnte.” “Ach so ist das also.... Hast du keine Eltern, die sich um dich kĂŒmmern könnten?” “Die sind froh, das sie mich l-los sind.” Die junge Frau seufzte. “Hast du es schon im Gildenhaus versucht?”, fragte sie daraufhin. “In FĂ€llen wie diesen ist es nach Gildensatzung deren Pflicht, einen neuen Meister zu suchen.” “Ihr wisst wirklich viel, gnĂ€dige Frau.” “Man sollte seine Rechte kennen! Hast du nun oder nicht?” “Ja. Da-has habe ich auch versucht. Kein anderer Schmiedemeister w-wollte mich aufnehmen. Angeblich weil ich zwei li-linke HĂ€nde habe.” “Wie kommen die nur auf solch eine absurde Idee...”, kommentierte sie. Danach hielt sie kurz inne. “Hmm
 Ich werde dir helfen!” Sie ging zu Henriks Marktstand und ergriff einen großen Schmiedehammer. Sie prĂŒfte die QualitĂ€t des Werkzeugs. Er schien halbwegs vernĂŒnftig gearbeitet zu sein. Dann tat sie so, als wĂŒrde sie mit zur Kralle geformten linken Hand eine Energie in das Werkzeug ĂŒbertragen. “Abra Kadabra!”, sagte sie. “Hier. Nimm diesen Hammer zum schmieden.” “Wieso gerade diesen?”, fragte Henrik verwundert. “Weil ich ihn soeben verzaubert habe, du Vollpfosten!”, antwortete die Fremde. Hoffentlich fĂ€llt der nicht auseinander, wie der letzte, setzte sie in Gedanken fort. “Sowas k-könnt Ihr bewirken? Seid Ihr eine Hexe?” “Hab ich Pickel und eine Hakennase?! Ich bin nur eine Reisende, die von Ort zu Ort zieht und Gutes tut, wo Gutes getan werden muss.” “Dann seid Ihr eine Fee!” “Ich bin das genaue Gegenteil! Und du solltest dich von mir fernhalten, Junge!” Sie reichte Henrik den Hammer. Als der nicht reagierte, wurde sie ungeduldig. “Hier! Jetzt nimm das verdammte Teil schon, bevor mir der Arm abfault!” Henrik ergriff endlich den Schmiedehammer. “D-Danke!” “Und lass dir ein RĂŒckrad wachsen!” Das MĂ€dchen setzte die Kapuze auf und ging. “Hey! Wie lautet Euer Name?”, rief Henrik der Fremden hinterher. Doch sie antwortete nicht. Je weiter sie ging, desto mehr tauchte sie in das rege Treiben des Marktes ein, bis sie in GĂ€nze verschwunden war. 🌱 Eine finstere Gasse wirkte wenig einladend und dennoch zog es die Fremde hinein. Zwischen MĂŒll und Exkrementen hatten es sich die Ratten bequem gemacht. “Verdammt!”, beklagte sich das MĂ€dchen, als ihr Stiefel mit lautem Platschen in einer unerwartet tiefen PfĂŒtze versank. Die unappetitlich riechende FlĂŒssigkeit ergoss sich ĂŒber ihr Gewand. FĂŒr gewöhnlich wĂŒrde sie diesen Schmutz meiden, doch sie spĂŒrte, dass sie verfolgt wurde. Auf offener Straße könnte sie nichts gegen ihre Verfolger unternehmen, weshalb sie beabsichtigte, sie fernab neugieriger Augen zu stellen. Vier MĂ€nner mit verborgen getragenen Waffen tappten bereitwillig in ihre Falle. Grinsend folgten sie ihr. Inmitten der Gasse blieb sie plötzlich stehen und wandte sich ihren Verfolgern zu. “Wieso werde ich verfolgt?”, fragte sie sie. Die MĂ€nner zogen ihre Waffen. Zwei hatten ein Kurzschwert, einer einen KnĂŒppel und der letzte eine Axt. “Du stellst zu viele Fragen, Weib!”, antwortete der ihr nĂ€chststehende. Dann kamen sie ihr langsam bedrohlich nĂ€her. Siegessicher, denn sie war doch nur eine schwache Frau. Was sollte sie gegen vier bewaffnete MĂ€nner ausrichten? Aus der Gasse drangen kurz KampfgerĂ€usche und Schreie des Entsetzens. Dann wurde es still. Totenstill. Die Glocke schlug soeben Drei. Der heiße Feuerball hatte sich ein ganzes StĂŒck ĂŒber den Himmel geschoben. In der Schmiede “Zum glĂŒhenden Hammer” wurde trotz der Temperaturen hart gearbeitet. Henrik nahm sich die Worte der wunderschönen Unbekannten zu Herzen und wollte den verzauberten Hammer austesten. Er hatte zuvor schon einige Dinge hergestellt und war drauf und dran, ein neues WerkstĂŒck zu beginnen. Zuallererst verlangte es dem Rohling, erhitzt zu werden. Das Material musste weiß glĂŒhen. Henrik wusste, nur extrem heiß kann Stahl gefaltet werden. Je öfter der Stahl gefaltet wird, desto besser können Schlacke und Unreinheiten herausgearbeitet werden. Das steigert die QualitĂ€t des Produktes. Vor allem bei dem, was ihm vorschwebte, war die QualitĂ€t des Stahls von essenzieller Bedeutung. Henrik stand vor dem Kohlebecken und trat auf das Pedal zu seiner Rechten. Der Blasebalg, welcher durch das Pedal angetrieben wurde, fachte die Glut stets neu an. Dadurch blieb die benötigte Hitze erhalten. Endlich war der Rohling heiß genug! Henrik hielt ihn mit einer Zange in der linken Hand. Sie war zusĂ€tzlich durch einen dicken Handschuh vor der sengenden Hitze des glĂŒhenden Stahls geschĂŒtzt. Er wechselte zum Amboss und nahm seinen neuen Hammer aus der ArbeitsschĂŒrze. Mit fixiertem Blick schlug er immer wieder auf den Rohling ein. Als er breit und dĂŒnn geworden war, schlug er ihn ĂŒber der Kante krumm, bis sich die beiden HĂ€lften trafen. Den Prozess des Faltens wiederholte er mehrere Male. Der Stahl bĂŒĂŸte schnell sein GlĂŒhen ein und musste wieder erhitzt werden. Als der Rohling abermals weiß glĂŒhte, konnte Henrik weiter arbeiten. Der Schweiß floss dem jungen Schmied in Strömen, sodass er ihn sich mit dem RĂŒcken seiner Schlaghand aus dem Gesicht wischen musste. Als das WerkstĂŒck unter seinen SchlĂ€gen endlich Gestalt angenommen hatte, kĂŒhlte er es im Wasserbecken. Es zischte laut und Dampf stieg auf. Anschließend verlieh Henrik seinem WerkstĂŒck den letzten Schliff. Eine Klinge hatte er geschaffen. Zum SchĂ€rfen setzte er sich in den Schleifsteinstuhl. Diese Apparatur ermöglichte das gleichmĂ€ĂŸige Schleifen von Klingen. Auch dieses GerĂ€t wurde durch Muskelkraft angetrieben. Man könnte ihn sich als eine Art Fahrrad vorstellen. Der Stein rieb sich am Stahl und Funken sprĂŒhten. Henrik presste die Seite der Klinge im spitzen Winkel gegen die raue OberflĂ€che, um eine rasiermesserscharfe Kante zu erhalten. Alles, was nun noch getan werden musste, war die Klinge mit einem anstĂ€ndigen Griff zu versehen. Nach getaner Arbeit nahm Henrik das Schwert in die Hand und trat aus seiner Schmiede heraus. Er schlug einige Male mit dem KriegsgerĂ€t in der Luft herum, bevor er es mit ausgestreckten Arm gen Himmel hob, wie ein Held, welcher soeben den Sieg ĂŒber einen garstigen Drachen errungen hatte. “Ich habe es geschafft!”, rief er so laut er konnte. “I-Ich habe ein Schwert geschmiedet!" Plötzlich riss einer der Anwohner die FensterlĂ€den auf. “Halt die Klappe! Andere Leute versuchen hier zu schlafen!” Dann schlug er die LĂ€den wieder zu. “E-Entschuldigung!”, rief Henrik. Er betrachtete erneut sein Werk. Drehte und wendete das Schwert. Beobachtete, wie die Nachmittagssonne vom Stahl reflektiert wurde. Ich habe ein Schwert geschmiedet, wiederholte er sich in Gedanken. Henrik brachte die Waffe zurĂŒck in die Schmiede. Er wollte sich unbedingt noch einmal bei seiner guten Fee erkenntlich zeigen. Aber dazu musste er sie zuerst finden. Im Randbezirk der Stadt, nicht weit von der Mauer, befand sich ein Badehaus. Es duftete schon von weitem nach Seife und Badeölen. Ein liebliches Summen ertönte, sobald man sich nĂ€herte. Es kam von der Baderin. Im Innenraum des GebĂ€udes standen drei Badezuber in einer Reihe zwischen den SĂ€ulen. Um diese Zeit waren fĂŒr gewöhnlich kaum Kunden zugegen. Noch war Arbeitszeit. Deshalb wurde nur der mittlere Zuber genutzt. “Wie ist das Wasser, Herrin?”, fragte die Baderin, wĂ€hrend sie ihrer Kundin mit einer ĂŒbergroßen BĂŒrste den RĂŒcken schrubbte. “Hach!”, hauchte diese. “Herrrrlich!” Sehr viel mehr als ein lustvolles Stöhnen, entwich nicht mehr aus ihrem Mund. Sie stemmte sich mit beiden Armen gegen den Druck, der auf ihren RĂŒcken ausgeĂŒbt wurde. Ihr Oberkörper war vollkommen im Schaum versunken. Ihre nassen Haare hingen ihr ins Gesicht. Beide Augen waren geschlossen. “Das ist wunderbar!” WĂ€hrend ihre Kundin weiter hauchte und jauchste, wie auf dem Höhepunkt der Lust, begann die Baderin erneut lieblich zu Summen. Unterdessen suchte Henrik noch immer nach der Fremden. Überall fragte er nach einem hĂŒbschen MĂ€dchen mit fast schulterlangem goldblonden Haaren und himmelblauen Augen. Doch keiner hatte sie gesehen. Dann erinnerte sich Henrik, dass sie die ganze Zeit unter ihrer Kutte verschwunden war. Deshalb beschloss er fortan nur nach einer Person in einer braunen Kutte zu fragen. Die Baderin summte noch immer. Doch schrubbte sie ihrer Kundschaft nicht mehr den RĂŒcken. Stattdessen wusch sie vor dem Badehaus einen braunen Mantel, damit ihre Kundin nicht zurĂŒck in dreckige Kleidung schlĂŒpfen musste. Ein besonders hartnĂ€ckiger Fleck aus Schlamm und Exkrementen wollte einfach nicht rausgehen. WĂ€sche Waschen gehörte eigentlich nicht zum Leistungsangebot, aber sie wurde gut dafĂŒr bezahlt. Die gnĂ€dige Dame lag mit der Kante des Zubers im Nacken im heißen Wasser und ließ es sich noch immer gut gehen. Beide Arme waren ĂŒber den Rand des Beckens gelegt. Der Schaum begann sich zu verflĂŒchtigen und teilweise die Sicht auf ihre Reize freizugeben. “Wie lange habe ich schon nicht mehr baden können”, sprach sie vor sich hin. “Wenn man das Notwendige mit dem Angenehmen verbindet...” Die Baderin wurde jĂ€h aus ihrer Ruhe gerissen, als sich ein junger Mann vor ihr aufbaute. Er trug eine SchmiedeschĂŒrze und sah abgekĂ€mpft aus. Die Baderin schloss daraus, dass er ein Lehrling war, dessen Meister ihm heute einen Bonus ausgezahlt hatte. Jetzt war er hier, um sich waschen zu lassen. Dann rĂŒmpfte sie die Nase. Er hatte es schwer nötig. Der Junge roch meilenweit gegen den Wind nach Schweiß. Mit einem Bad war es nicht getan! “Willkommen!”, grĂŒĂŸte sie den jungen Mann. “Ha-Hallo!”, antwortete er. “Wenn du hier baden willst, bist du leider falsch. Das Herrenbadehaus ist eins weiter!” “Eigentlich bin ich auf der Suche nach jemanden.” “Wirklich? Und du meinst du findest hier, wonach du suchst?” “Ich suche jemanden, der eine braune Kutte trĂ€gt.” Er sah auf das KleidungsstĂŒck in den HĂ€nden der Frau. “Ja, so jemand ist hier!” Ohne zu zögern, stĂŒrmte Henrik durch die offene TĂŒr, hinein in das Badehaus. Erschrocken ließ die Baderin den nassen Mantel zurĂŒck in den hölzernen Eimer fallen. “Hey! Stehengeblieben! Das ist ein Damenbadehaus, du kleiner Lustmolch!” Doch die TĂŒr fiel hinter Henrik ins Schloss und die Baderin war ausgesperrt. Sie pochte an die TĂŒr und forderte, dass er sofort herauskommen solle. In dem Moment, in dem Henrik eintrat, erhob sich die Kundin aus dem Badezuber. Sie stand ihm abgewandt im Dreiviertelprofil und war so vollkommen in Trance von dem wohltuenden Bad, dass sie weder Henrik noch das Klopfen der Baderin bemerkte. Henrik wurde ganz anders zumute, als sich die splitterfasernackte Schönheit zu ihm drehte. Der Schaum haftete noch immer an ihrem makellosen Körper. An ihren Beinen, an den HĂŒften, am RĂŒcken, ihrem GesĂ€ĂŸ und an ihren ĂŒppigen BrĂŒsten. Gelobt sei der AllmĂ€chtige, dachte er. Ich habe noch nie zuvor eine nackte Frau gesehen! Dabei konnte er dem Schaum geschuldet fast gar nichts erkennen. Diese Frau war seine gute Fee! Das wunderhĂŒbsche MĂ€dchen von heute Mittag. Er hatte sie endlich gefunden! Als ihr wiederum bewusst wurde, dass sie nicht allein war, fĂ€rbte sich ihr Gesicht mit jeder Sekunde, die sie Henrik im EvakostĂŒm gegenĂŒberstand, immer roter. Noch bevor der Schaum von ihrem Körper rutschen und ihre intimen Stellen enthĂŒllen konnte, versenkte sie sich wieder im Badezuber und begann zu kreischen. “Verzieh’ dich!”, brĂŒllte sie ungehalten. “Mach dass du Land gewinnst, du Perversling!” Neben dem Badezuber stand ein kleiner Tisch mit einigen Flaschen Badeöl. Die junge Frau griff nach einer Flasche und warf sie nach Henrik. Er konnte noch rechtzeitig den Kopf zur Seite nehmen, sodass die Flasche neben ihm zersplitterte. Derweil hĂ€mmerte die Baderin noch immer an der TĂŒr. “E-Entschuldigung!”, sagte er und fuchtelte dabei aufgeregt mit den HĂ€nden. “E-Es tut mir leid! Ich bin bestimmt kein Perverser!” “Aber du dringst ungefragt in die PrivatsphĂ€re einer Lady ein! Du musst ein Perverser sein!” Sie verlieh ihrer Empörung mit einer weiteren Flasche Ausdruck. Der junge Schmied konnte abermals auszuweichen. “Ich versichere, dass ich keinerlei unsittliche Absichten hege!” Aber er konnte sie nicht beschwichtigen. Seine gute Fee ergriff die dritte Flasche und warf auch sie nach ihm. Diesmal traf sie ihn direkt an den Kopf. Henrik wurde es schwarz vor Augen. Er konnte nur noch die Zimmerdecke sehen, als er zu Boden ging. “Aufwachen!”, tönte eine Stimme in Henriks Kopf. Sie war dumpf, als wĂ€re er in Watte gepackt worden. Er öffnete die Augen einen Spalt. Wie lange war er wohl weggetreten? “Aufwachen!”, tönte die Stimme erneut. Henrik öffnete die Augen nun vollstĂ€ndig und sah das Gesicht der Baderin vor sich. “Was ist passiert?”, fragte er benommen. “Du hast bekommen, was du verdient hast, du kleiner Perverser!”, antwortete die Baderin. “Du lĂ€gst unlĂ€ngst in Ketten, hĂ€tte die Herrin nicht Gnade vor Recht ergehen lassen.” “Mir tut der Kopf weh!” “Geschieht dir recht, du Lustmolch!” Danach seufzte sie. “Geht es, oder soll ich den Medikus rufen? Die gnĂ€dige Dame hat auch dafĂŒr MĂŒnzen dagelassen. Und fĂŒr die Flaschen Badeöl, mit denen sie sich gegen dich verteidigen musste...” “N-Nein, mir geht es gut. Und ich b-bin kein P-Per-Verser!” Henrik stand auf. “Was wolltest du eigentlich von ihr?” “Dieses MĂ€dchen ist die, die ich gesucht habe.” “Das sagt ihr Kerle doch andauernd...” “Sie hat mir einen Hammer geschenkt. Vorher konnte ich nicht mal einen Nagel auf den Kopf treffen. Und heute Nachmittag hab ich damit sogar ein Schwert geschmiedet! Alles nur dank dieses magischen Hammers.” “Magischer Hammer?”, fragte die Baderin unglĂ€ubig. “So etwas gibt es doch gar nicht! Du redest wirres Zeugs. Ich sollte doch den Medikus rufen.” “Ich muss mich bei ihr bedanken! Bitte sagt mir, wo sie hingegangen ist.” Die Baderin ĂŒberlegte erst, ob sie ihm wirklich antworten sollte. “Die gnĂ€dige Dame ist noch nicht lange weg. Sie wollte erst warten, bis du wieder erwacht bist, ist aber gerade eben doch zum Stadttor aufgebrochen. Vielleicht holst du sie noch ein.” “Habt Dank, gute Frau!” Henrik stand auf, aber viel zu schnell, denn ihm wurde etwas schwindlig. Doch dann ging es wieder. Ohne noch einen Moment zu zögern, rannte er aus dem Badehaus, die Straße entlang zum Stadttor. Als er ankam, sah er gerade noch, wie eine Gestalt im Kapuzenmantel durch das Tor ging und verschwand. Jetzt musste er schnell sein. Er rannte dem Tor entgegen, in der Hoffnung, seine gute Fee noch einzuholen. 🌱 Die BĂ€ume und StrĂ€ucher hatten ihr GrĂŒn noch nicht eingebĂŒĂŸt, dank der tief ins Erdreich reichenden Wurzeln. SĂ€mtliches Gras war jedoch verdorrt. Und keines der Wasserlöcher wurde von der erbarmungslosen Sommersonne verschont. Neben dem schlammigen Überbleibsel eines Teiches lagen die halb verwesten Überreste eines Rehes. Zwei KrĂ€hen labten sich daran und pikten die besten StĂŒcke heraus, als sie sich plötzlich aufgeschreckt in die LĂŒfte erhoben. Graue Schatten hetzten durch den Wald. Es waren grimmige Wölfe auf der Suche nach Nahrung. Die KrĂ€hen kreisten hoch in der Luft ĂŒber ihrem Festmahl und beobachteten, wie sich die Raubtiere in einer kleinen Lichtung um einen umgefallenen, mit Moos behangenen Baumstamm versammelten. Das grĂ¶ĂŸte Tier unter ihnen sprang auf ihn. Es war durch eine Narbe im Gesicht gezeichnet. WĂ€hrend der Wolf zu heulen begann, demonstrierten die anderen Tiere ihre UnterwĂŒrfigkeit. Der Alpha schaute ĂŒber sein Rudel. Dann sah er beinahe sorgenvoll zu dem nicht weit entfernten vertrockneten Teich. Auf die ĂŒberreste des Pflanzenfressers. Wenn das Rudel nicht bald etwas zu fressen zwischen die ZĂ€hne bekĂ€me, wĂ€ren sie die nĂ€chsten, die die MĂ€gen der KrĂ€hen fĂŒllen wĂŒrden. Als Henrik das Tor durchquerte, behinderte die untergehende Sonne seine Sicht. Er hielt schĂŒtzend die Hand vor die Augen. So sah er die Silhouette der Fremden immer mehr mit dem Abendrot verschmelzen, als sie die Straße entlang dem Horizont entgegen ging. Henrik wollte seinen Weg fortsetzen, aber der TorwĂ€chter stoppte ihn. Er senkte den Stiel seiner Waffe und verwehrte Henrik die Passage. “Wo willst du um diese Zeit noch hin?”, fragte der Wachmann. “Das MĂ€dchen eben habt Ihr auch gehen lassen.” “Die kommt nicht aus der Stadt.” “Ich muss sie einholen!”, antwortete der junge Schmied. “Du weißt schon, dass bald Sperrstunde ist? Dann wird niemand mehr hereingelassen. Du wirst im freien Schlafen mĂŒssen. So sind die Regeln.” “J-Ja, das ist mir klar! E-Es ist aber wichtig. Ich muss sie wiedersehen!” Dem Wachmann dĂ€mmerte es langsam. Zumindest glaubte er das. “Ach die Kleine ist wohl dein MĂ€dchen, Junge.” Er seufzte. “Na schön, geh!” “Habt Dank, BĂŒttel!” “Ja ja, schon gut.” Er nahm die Stange von Henriks Brust und klopfte ihm auf die Schulter. “Eine Fernbeziehung muss hart sein. Lasst euch nicht den romantischen Sternenhimmel zu Kopf steigen! Ein Kind bedeutet viel Verantwortung, mein Junge!” Henrik war ein klein wenig peinlich berĂŒhrt. Als der Wachmann ihn endlich gehen ließ, war die Fremde schon gar nicht mehr auszumachen. Er nahm die Beine in die Hand und rannte in die Richtung, in der er sie zuletzt gesehen hatte. Als sie endlich wieder in Sichtweite kam, folgte er ihr in sicherem Abstand. An einer unscheinbaren Kreuzung blieb seine gute Fee kurz stehen. Links und Rechts gingen Trampelpfade von der Straße ab. Der rechte Weg fĂŒhrte auf ein weites Feld und verlor sich in ihm. Der linke Weg fĂŒhrte durch dichten Wald. Die Fremde entschied sich fĂŒr den linken Weg, verließ die Straße und verschwand im Dickicht. Es war eine AbkĂŒrzung zur BrĂŒcke ĂŒber den Fluss, die jedoch von den meisten gemieden wurde. Wo will sie nur hin?, ĂŒberlegte Henrik. Er folgte ihr in den dunklen Wald. Seine Neugier verlangte danach, gestillt zu werden. Auf leisen Sohlen - oder was er fĂŒr leise erachtete - schlich Henrik hinter der Fremden her. Der Himmel verdunkelte allmĂ€hlich. Henrik spĂŒrte sein Herz klopfen, wie es sonst sein Schmiedehammer auf einen Amboss tat. Er war schon nicht der mutigste, doch der Gedanke an ihre Schönheit ließ ihn schĂŒchterner werden, als er es ohnehin schon war. Vielleicht wĂŒrde er ihr fĂŒr ewig und drei Tage nachlaufen, ohne sich zu trauen, mit ihr zu sprechen. Sie hatte schon lĂ€ngst bemerkt, dass ihr jemand folgte. Kein Wunder, so laut wie der stapfte. Doch eine echte Bedrohung erforderte ihre Aufmerksamkeit. Etwas befand sich mit ihnen in diesem Wald. Und es war so gefĂ€hrlich, wie es hungrig war! Gerade als Henrik seinen Mut zusammengenommen hatte, um etwas zu sagen, blieb die Fremde stehen. Aus einem Reflex heraus verbarg er sich schnell hinter dem nĂ€chsten verfĂŒgbaren Versteckt, wie ein schĂ€ndlicher Strauchdieb. Einem kleinen Vorsprung, welcher von den Wurzeln eines Baumes durchdrungen war. Sie hatte ihn auf keinen Fall gesehen, da war er sich sicher. Vorsichtig streckte er seinen Hals, um ĂŒber den Vorsprung zu blicken. Die Fremde hatte sich noch nicht vom Fleck bewegt. Vorsichtig tasteten ihre Augen die BĂŒsche um sie herum ab. Henrik fragte sich erst, warum sie angehalten hatte, bis es auch ihm auffiel. Einige böse Augenpaare starrten zwischen den BlĂ€ttern hervor, fast als ob sie leuchteten. Nicht etwa die Augen von Menschen. Nein, es waren jene des Isegrim, welcher den Wald unsicher machte. Die BĂŒsche raschelten und knurrende, hungrige, abgemagerte graue Kreaturen zeigten sich ihrer Beute. Sie hatten die Fremde umzingelt und kamen zĂ€hnefletschend auf sie zu. Plötzlich vernahm Henrik auch ein Knurren hinter sich. Er drehte sich um. TatsĂ€chlich lauerte einige Meter hinter ihm ein ausgehungertes UngetĂŒm, bereit ihn mit Haut und Haaren zu verschlingen. Von den ZĂ€hnen des Tieres tropfte schon voller Vorfreude auf sein frisches Fleisch der Speichel herab. Das linke Auge des Tieres zierte eine alte Narbe, die es sich wohl im Kampf mit einem Artgenossen zugezogen hatte. Dieses Tier war ohne Zweifel der Alpha des Rudels, welcher sich im Hintergrund gehalten hatte. Ohne weiter nachzudenken, sprang der junge Schmied auf. Er wollte nicht im Magen irgend eines flohverseuchten Viehs enden. Er rannte schreiend zu der Fremden hin. “Zu Hilfe!”, rief er. “Zu Hilfe!” Der Wolf ließ sich nicht beirren und rannte ihm nach. Kurz bevor er ihn umwerfen konnte, erreichte Henrik die Fremde und der Wolf stoppte abrupt. Die Frau sah den Jungen mit ausdruckslosen Augen an. “Zeigst du nun endlich dein Gesicht, du Spanner!”, spottete sie ĂŒber ihn. “I-Ich bin kein S-Spanner!”, widersprach er. “Dann bist du ein Voyeur!” “W-Was? Nein! Das ist doch noch schlimmer!” “Mphf
” “Wo kommen diese Biester her?”, wollte Henrik wissen. “Der Winter war hart”, erklĂ€rte die Fremde. “Der FrĂŒhling kurz. Der Sommer trocken. Die Wölfe finden nichts zu fressen und vergreifen sich in ihrer Not an hilflosen Wanderern.” Die Bestien setzten ihr Knurren fort, trauten sich jedoch noch immer nicht, ĂŒber Henrik und die Fremde herzufallen, obwohl sie ihnen ausgeliefert schienen. “Und warum greifen sie uns nicht an?” “Weil sie Angst vor mir haben!” “E-Echt jetzt?!” Der Schmiedegeselle staunte nicht schlecht. “Und wie kommen wir hier jetzt wieder raus?” “Ich springe hoch in die Wipfel und sehe zu, wie sie dich fressen.” “WAS?!”, empörte sich Henrik. “Du hast mich nackt gesehen. Das ist die gerechte Strafe.” “D-Das ist nicht d-dein Ernst! A-Außerdem war da ĂŒ-ĂŒberall Schaum!” Die Fremde sah sich die wĂŒtenden Bestien noch einmal an. “Kannst du kĂ€mpfen?”, fragte sie den jungen Schmied daraufhin. “KĂ€-KĂ€mpfen?!” “Ich habe keine Lust auf dich aufzupassen. Das machst du gefĂ€lligst selbst!” Die Unbekannte ließen die DrohgebĂ€rden der Bestien völlig kalt. Sie griff mit der rechten Hand an ihre Kutte, als ob sie sie jeden Moment vom Leib reißen wolle. Und das tat sie auch. Schwungvoll entledigte sie sich ihr. WĂ€hrend das KleidungsstĂŒck im hohen Bogen durch die Luft glitt, bestaunte Henrik, was unter ihm zum Vorschein kam. Die Fremde trug einen stĂ€hlernen Brustpanzer und einen Wappenrock. Der linke Arm war durch Achselzeugs samt Armschiene ebenfalls durch Metall geschĂŒtzt, der rechte lag jedoch frei. Sie trug zudem schwere Stiefel mit hohen massiven AbsĂ€tzen. Und sie hatte ein Schwert bei sich. Als die Kutte auf dem Boden landete, wurde sie von den ausgehungerten Wölfen hinter den beiden sofort in Fetzen gerissen. Die Fremde zog ihr Schwert. “Das ist meine Waffe. Sie hat mir gute Dienste geleistet” Sie hielt es an der Klinge und bot es ihm, den Griff voraus, dar. “Nimm sie! Zur Verteidigung!” “O-Okay! Aber was i-ist mit dir?” Mit zitternder Hand ergriff er die Waffe. Er umklammerte den Griff mit beiden HĂ€nden und wĂŒnschte sich in diesem Moment, dass er sein eigenes Schwert mitgenommen hĂ€tte. Denn dieses war verdammt schwer, obwohl es nach der Form zu urteilen eine Einhandwaffe war. Die Fremde betrachtete die zitternde Haltung des Jungen. “Wie hĂ€ltst du das Ding den?”, tadelte sie ihn fĂŒr seine Unbeholfenheit. “T-Tut mir leid! A-Aber das ist mein erstes Mal!” “Ich zeige dir, wie man ein Schwert hĂ€lt. Schau her!” Die Fremde streckte ihren ungeschĂŒtzten Arm zur Seite aus. “Koche in meinen Venen! Bloodbane!”, sprach sie, als wolle sie etwas beschwören. Und tatsĂ€chlich fĂ€rbten sich ihre Venen und die Haut des rechten Armes öffnete sich an einigen Stellen. Die Gesichtsmuskeln der Frau zuckten ein kleinwenig. Aus den Wunden trat, zusammen mit ein wenig Dampf, eine merkwĂŒrdige schwarze FlĂŒssigkeit hervor. Sie kroch ihren Arm entlang zu ihrer Hand. Die FlĂŒssigkeit nahm die Gestalt einer Klinge an und die Fremde umklammerte den Griff, als die Masse sich verfestigte. Dann brachte sie sich in Fechtstellung. “So hĂ€lt man ein Schwert!” “W-Was zu-zum T-Teu-fel...”, stotterte Henrik erschrocken. Die Frau sah ihn mit rubinrot funkelnden Augen an. Henrik wurde sofort klar, was sie ihm sagen wollte. Er solle endlich die Klappe halten und sich um sich selbst kĂŒmmern. Die Tiere schienen jetzt noch mehr eingeschĂŒchtert zu sein als zuvor. Sie fĂŒhlten das Böse in ihr wohnen. Aber bei einem der Wölfe war der Hunger stĂ€rker als die Vorsicht. Er wagte den ersten Schritt und setzte zum Angriff an. Die Fremde hatte wahrlich die Reflexe einer Katze. Blitzschnell, ohne einmal den Boden zu berĂŒhren, sprang sie auf den Wolf zu. Das Tier hatte nicht die geringste Chance zu reagieren. Nach einem Streich ihrer pechschwarzen Klinge gingen Kopf und Körper des Wolfes fortan getrennte Wege. Dies veranlasste einen Großteil der restlichen Tiere, alle auf einmal auf ihre Beute loszugehen. Sie wollten ihren gefallenen Kameraden rĂ€chen! Ein paar von ihnen versuchten stattdessen den jungen Schmied zu erwischen. Doch der fuchtelte so wild und unberechenbar mit der Waffe umher, dass die ausgehungerten Kreaturen keine Chance sahen, an ihn heranzukommen. Das GlĂŒck schien mit den Unbedarften zu sein. Aber das Gewicht der Waffe forderte seinen Tribut. Wie lange konnte er das durchhalten? Die Fremde nahm sich einen Wolf nach dem anderen vor, bis sie begriff, welcher von ihnen der Alpha war. Nun konzentrierte sie sich auf dieses Tier und wich den anderen nur noch aus. Aber der Alpha war ein anderes Kaliber als seine Artgenossen. Er ließ sich nicht dazu verleiten, blind in die Klinge zu springen. Es gelang ihm, sie auszuspielen und mit einem Biss in die Wade zu Fall zu bringen. Sofort ließen die ĂŒbrigen Tiere von Henrik ab und stĂŒrzten sich alle auf einmal auf die vermeintlich wehrlose Beute. Henrik nutzte die Gelegenheit und brachte sich hinter einem Baumstamm in Sicherheit. Aus seinem Versteck heraus beobachtete er, völlig verĂ€ngstigt und mit schlotternden Knien, wie die Ereignisse aus dem Ruder liefen. Doch nicht zu Ungunsten der Fremden, wie er zuerst vermutet hatte. Einer Eruption gleich, wurden die Tiere weggeschleudert. Nur der Alpha nicht. Das blonde MĂ€dchen umklammerte mit der linken Hand den Hals des Wolfes und wĂŒrgte ihm die Luft ab, bis er sich nicht mehr rĂŒhrte. “Drecksvieh!” Dann warf sie ihn achtlos, wie Unrat, in die Richtung seines Rudels. Die Tiere hatten sich inzwischen wieder aufgerafft und knurrten noch immer. Als der Kadaver ihres AnfĂŒhrers den Boden berĂŒhrte, verloren sie jedoch ihren Mut. Sie zogen sich zurĂŒck, mit dem Schweif zwischen den Beinen eingeklemmt. “Macht, dass ihr wegkommt!”, befahl die Fremde. Als ob sie es verstanden hatten, ergriffen sie jaulend die Flucht. Die Fremde spĂŒrte, dass die Gefahr vorĂŒber war, und ihre Waffe verschwand. Die durch die Bisse erlittenen Wunden an ihrem Arm und ihrem Bein heilten, ohne eine Spur zu hinterlassen. Nachdem der schmerzhafte Prozess der RĂŒckverwandlung abgeschlossen war, kehrten auch ihre Augen zu ihrem ursprĂŒnglichen Blau zurĂŒck. Danach wandte sie sich Henrik zu. Doch er war nirgends aufzufinden. Er hatte noch immer ihr Schwert. Auch wenn es fĂŒr sie mehr Requisite als richtige Waffe war, hing sie sehr an ihr. Mit dieser Waffe wurde ihr einst die Kunst des Kampfes gelehrt. Es war ein ErinnerungsstĂŒck, auf das sie keinesfalls verzichten wollte. Also musste sie wohl oder ĂŒbel nach dem feigen Schmied suchen, wenn sie es wiederhaben wollte. Derweil hatte Henrik alles kreidebleich aus seinem Versteck heraus beobachtet. Noch nie zuvor sah er, wie jemand aus seinem eigenen Körper eine Waffe hervorbringen konnte. Diese beĂ€ngstigende Schönheit konnte kein Mensch sein! Und keineswegs war sie die gute Fee, fĂŒr die er sie gehalten hatte! Viel mehr ein Teufelsweib! Er wollte nicht darauf warten, dass der Kampf gegen die Bestien endete und flĂŒchtete. Nun rannte er, das Schwert, welches er von der Fremden erhalten hatte, noch immer fest umklammert. WĂ€hrend seiner Flucht sah er andauernd ĂŒber seine Schulter, was ihm zum VerhĂ€ngnis wurde. Sein Fuß verhakte sich in einer Wurzel und er stĂŒrzte. Das Schwert entglitt seiner Hand und schlug neben ihm auf dem Boden auf. Henrik spĂŒrte das feuchte Moos, als er mit dem Gesicht voran eine Bruchlandung hinlegte. Die NĂ€sse auf seiner Haut, der leicht modrige Geruch in seiner Nase und der faulige Geschmack in seinem Mund. Nach einem kurzen Moment der Desorientierung, stand er langsam wieder auf. Dabei spuckte er MoosstĂŒcke aus. Plötzlich spĂŒrte er einen Blick im Nacken und schwere Schritte nĂ€her kommen. Er wollte sich nicht umdrehen, denn er wusste genau, dass das Teufelsweib hinter ihm war. “D-Du bist direkt hinter mir, r-richtig?”, fragte er rein rhetorisch. Die KrĂ€hen hatten das Schauspiel aus sicherer Entfernung beobachtet. Nun, da die Gefahr vorĂŒber war, konnten sie wieder landen. Und sie fanden einen reich gedeckten Tisch vor. Die Raubtiere waren nun selbst zur Beute eines viel gefĂ€hrlicheren Ungeheuers geworden. Nun waren sie tot und wĂŒrden den Aasfressern als Nahrung dienen. In einer Spirale segelten die schwarzen Vögel herab, um sich an den Überresten des Kampfes zu laben. Nach und nach wurden weitere KrĂ€hen angelockt, bis der Waldboden mit schwarzen Vögeln ĂŒbersĂ€t war. 🌱 Der Mond war aufgegangen. Er schwamm in einem Meer aus funkelnden Sternen. Aus einer Lichtung im Wald stieg eine schmale RauchsĂ€ule kerzengerade in den Himmel auf. Das Licht der Flammen flackerte und warf verschiedenste Schatten an die BĂ€ume und StrĂ€ucher. Am Feuer hockte Henrik und garte zwei Hasen am Spieß, welche er zuvor mit selbstgebauten Hasenfallen erlegt hatte. Etwas abgelegen von der Feuerstelle, lehnte die Fremde an einem Baum und wartete darauf, dass das Fleisch durchgebraten wĂ€re. Henrik drehte und wendete die Hasen. Dabei bestaunte er die zarte, feminine Erscheinung des blonden MĂ€dchens. Plötzlich begann sie zu schnarchen wie ein Waldarbeiter. Aus ihrer Nase hing eine Rotzblase, welche mit jedem Atemzug anschwoll und abklang. Die Überraschung stand dem jungen Schmied ins Gesicht geschrieben. Mein Gott, dachte er. Die sĂ€gt noch den Wald um! Der Duft des geschmorten Fleisches kroch der Fremden in die Nase. Sie grunzte dreimal und mit einem Plop zerplatze die Rotzblase. Sie war sofort hellwach. “Das riecht aber lecker!”, sagte sie. Henrik schmunzelte. ”I-Immerhin kann ich Ha-Hasenfallen bauen und Fleisch anbraten.” Er streute etwas Salz aus dem kleinen Beutel an seinem GĂŒrtel ĂŒber das Fleisch. So wĂŒrde es besonders schmackhaft werden. Dann stand er auf und ging zu der Fremden hin. Er reichte ihr einen Hasen am Spieß. Den anderen behielt er in der Hand. “Hier, probiere mal!” Die ausgehungerte Schönheit nahm den Spieß und nagte den Hasen nahezu in Sekunden bis auf die Knochen ab. Sie drehte ihn dabei, wie man es mit einem gebratenen Maiskolben tĂ€te. Danach warf sie die Überreste hinter sich in den Wald. “Mehr!”, forderte sie unverfroren. Sie griff nach dem Hasen in Henriks anderer Hand und verschlang auch diesen. “Hey!”, beschwerte sich der Braunhaarige. “Das war meiner!” Er konnte nur staunen, wie schnell sie alles verputzt hatte. Auch die Überreste des zweiten Hasens fanden ihre letzte RuhestĂ€tte im Wald hinter ihr. Sie klopfte sich mit beiden HĂ€nden zufrieden auf den Bauch und lĂ€chelte. “Das war lecker”, sagte sie. “Danke fĂŒr’s Essen.” Ein ausgewachsenes BĂ€ucherchen verließ ihren zarten Mund und schreckte einige schlafende Vögel auf. Sie ließ sich langsam am Stamm des Baumes in eine liegende Position herabgleiten. “S-Schön wenn es dir schmeckt!” Dann hielt er einen Moment inne. “D-Du hast mir noch immer nicht deinen Namen verraten.” Die Frau setzte sich wieder auf. “Nebula.” “Wie bitte?” “Nebula. Das ist mein Name, Trottel!” Das kam Henrik zwar seltsam vor, aber er widersprach nicht. “E-Ein ausgefallener Name.” Nebula senkte den Kopf. “Es wĂ€re nur fair, dir wenigstens zu erzĂ€hlen, mit was du es zu tun hast.” Gebannt hing Henrik an ihren Lippen. “Du als Schmied weißt sicher, das die Waffe zur Gewalt verleitet.” Nebula sah den Burschen an und verstand nicht, wie er so gelassen ihren Worten folgte, nach dem, was er zuvor mit angesehen hatte. Er hatte sogar fĂŒr sie gekocht. “Wenn jemand eine Waffe hat, dann neigt er dazu, seine Probleme mit ihr statt mit dem Verstand zu lösen”, fuhr sie fort. “Man fĂŒhlt sich stark, wenn man eine Waffe in der Hand hĂ€lt, um anderen mit ihr den eigenen Willen aufzuzwingen. Man sagt, der Teufel habe die Waffen erfunden. Und bei einigen scheint es zu stimmen. Was du vorhin gesehen hast, war eine Teufelswaffe.” “Teufelswaffe?”, wiederholte Henrik. “Einst wurden aus den sechshundertsechsundsechzig TrĂ€nen eines gefallenen Engels Waffen geschmiedet. Diese Waffen sind erfĂŒllt mit dem Hass und der Trauer des Engels, dass sein Schöpfer ihn nicht mehr liebte. Wer eine dieser Waffen in die Finger bekommt, tut schon bald sein Schlechtestes.” Sie ĂŒberlegte, wie sie den Rest in Worte fassen konnte. “Die Menschen bauten sich bald eigene. Zwar ohne TeufelskrĂ€fte, aber zum Töten hat es gereicht. Bald schon verviel die Menschheit der Barbarei. So zumindest hat man es mir als Kind erzĂ€hlt. Ich hĂ€tte nie gedacht, dass es nicht nur ein bescheuertes MĂ€rchen ist.” Henrik hörte ihr noch immer gebannt zu. Nebula seufzte. Dieser Junge ist seltsam, dachte sie. “Was du gesehen hast, war nur ein kleiner Teil. Jede Teufelswaffe ist anders. Manche grillen dich, andere machen aus dir einen Eiszapfen. Einige können auch Gutes bewirken. Auch Bloodbane ist besonders. Es kann sich andere Teufelswaffen einverleiben. Diese... Dinger sind zu meinem Blut geworden. Ich kann sie niemals ablegen.” “Und du willst sie eines Tages ablegen?” “NatĂŒrlich, du Spinner! Ich will, dass dieser Irrsinn ein Ende findet! Jeden Tag fordern sie weitere Opfer! Denkst du, mir macht das Spaß?!” Eine TrĂ€ne zitterte in ihrem Auge. “K-Keineswegs!”, wies Henrik mit wild fuchtelnden Armen von sich. “Eines Tages wird Bloodbane alle anderen Teufelswaffen in sich aufgenommen haben. Dann ist meine Mission erfĂŒllt! Und dann werde ich sie alle zerstören!”, fuhr sie fort. Das kann bei so vielen aber lange dauern, dachte Henrik. “Aber bis dahin ist noch viel zu tun!”, ergĂ€nzte Nebula. “Wie hast du diese Macht ĂŒberhaupt bekommen?”, fragte Henrik neugierig. “Das ist privat!” “Aber...” “Privat!” Henrik sah Nebula mit Dackelblick an. Seine treutraurigen Augen ließ ihre Wangen erröten und sie konnte es nicht mehr bei sich halten. “Jemand wollte meinen Tod setzte einen AttentĂ€ter auf mich an. Der AttentĂ€ter hat mich in der Nacht vor meiner Hochzeit erdolcht. Mit Bloodbane. Woher er es hatte, weiß ich nicht. Anstelle mich zu töten, machte es stattdessen ein Monster aus mir.” “Was ist eigentlich aus Eurem Angetrauten geworden?” “Der denkt, ich sei in seinen Armen gestorben.” Henriks Gesicht drĂŒckte tiefe BestĂŒrzung aus. “D-Das ist... grausam!” “Was blieb mir anderes ĂŒbrig? HĂ€tte ich ihm sagen sollen ‘Liebster, ich bin von den Toten auferstanden’?” “J-Ja. N-Nein.” “Ich hatte lange mit Zorn und Mordlust zu kĂ€mpfen. Immerhin ist seither eine böse Macht ein Teil von mir. Ich konnte das nur mit Hilfe einer guten Freundin kontrollieren. Es ist trotzdem gefĂ€hrlich! Deshalb gehe ich nicht gern unter Menschen.” “A-Aber du kamst in meine Stadt. Du warst sogar Baden!” “Ich wollte Nachforschungen anstellen. Wenn ich heute Mittag nicht urplötzlich hungrig geworden wĂ€re, hĂ€tten wir uns wohl niemals kennen gelernt. Du hattest so erbĂ€rmlich aus der WĂ€sche geguckt, ich konnte das nicht mehr mit ansehen!” “Darum a-auch der magische Hammer?”, wollte Henrik wissen. “Der Fisch war lecker. Da war ich guter Dinge!” Sie senkte ihre Stimme. ”Wegen dem ‘magische Hammer’...”, murmelte sie. “Eigentlich hat der Hammer gar-” “DafĂŒr will ich mich bei dir bedanken, Nebula!”, unterbrach Henrik ohne auf das Ende des Satzes zu warten. “Ohne dieses Wunderwerk könnte ich gar nichts!” “Ach, glaub doch, was du willst!” Der Junge war glĂŒcklich. Wenn es ihm half, seine Unsicherheit zu ĂŒberwinden und sein Talent zu entdecken, was war falsch daran, ihn mit der LĂŒge leben zu lassen? “Henrik”, sprach sie aus einem Impuls heraus. “Allein durch die Lande zu ziehen, ist sehr einsam. Eine Waffe muss man richtig warten, sonst wird sie schartig. Das Zwischenmenschliche verhĂ€lt sich gewiss genauso. Es w-will gewartet werden.” “HĂ€?” “Idiot! Ich suche noch einen Schmied.” War es möglich, dass die langen Reisen Nebula einsam gemacht hatten? Sie spielte sich aufgeregt an den Haaren herum und wurde urplötzlich rot. Ihr viel es unglaublich schwer, ihre Bitte an den Schmiedelehrling ĂŒber die Lippen zu bringen. ”W-WĂŒrdest du mich also auf meinen Reisen vielleicht b-begleiten?”, stotterte sie mit erhobener Stimme. “I-Ich gebe dir auch Gewinnanteile.” “Nichts lieber als das!”, antwortete er, ohne zu zögern. Nebula war verwundert ĂŒber seine schnelle Reaktion. Und auch schockiert ĂŒber seine NaivitĂ€t. Wie konnte er nach all dem einfach so mit ihr gehen? “D-Du kannst doch nicht blindlings mit mir gehen! Ich bin gefĂ€hrlich!” “Wohl wahr. Dir will man nicht in einer dunklen Gassen begegnen, wenn du wĂŒtend bist.” Bei dem Gedanken an den Überfallversuch auf sie in einer widerlich verschmutzten Gasse in BĂ€renhag entwich ihr ein verschmitztes LĂ€cheln. “Oder am Besten ĂŒberhaupt nicht begegnen. Aber du bist ein guter Mensch, wenn du dem Bösen widerstehen kannst. Ich vertraue dir mehr als irgendwem sonst. Das sagt mir mein Bauch.” Besagter Bauch begann zu knurren. “Ja, das höre ich...” Der nĂ€chste Tag. Geduldig wartete Nebula in der NĂ€he der Stadt. Henrik wollte nur nochmal schnell zurĂŒck und ein paar Dinge regeln. Er musste sich von seinen Eltern verabschieden. Er musste einen KĂ€ufer fĂŒr seine Schmiede finden. Und er musste die Waren zu Gold machen. Auch wenn das meiste nur als Altmetall taugte. Vielleicht nutzte er die Gelegenheit aber auch dazu, sich zu besinnen, dass er bereitwillig mit einem Teufelsweib auf Reisen gehen wollte. Zeit genug, seine Entscheidung zu ĂŒberdenken und nicht wiederzukommen. Aber sie hatte ihm versprochen, bis zum Abend zu warten. Und genau das gedachte sie zu tun. Die Sonne hing bereits tief am Firmament und fĂ€rbte sich schon rot. Viel Zeit hast du nicht mehr, dachte sie. Sie ließ das Stadttor nicht aus den Augen. Aber niemand kam. Erleichtert setzte sie sich in Bewegung. Aber ein bisschen betrĂŒbt war sie dennoch. So lange reiste sie schon allein umher. Nun hĂ€tte sie endlich jemanden zum reden gehabt. Jemand, der ihr Gesellschaft leisten könnte. Aber vielleicht war es so auch besser. Ganz in Gedanken versunken, hörte sie fast nicht, dass jemand ihren Namen rief. “Nebula!” Dann endlich registrierte sie es. Es war Henrik. Winkend rannte er auf sie zu, mit einem Reisebeutel und einem zusammengerollten Zelt ĂŒber dem RĂŒcken. Und dem Schwert, das er Tags zuvor mit seinem “Zauberhammer” geschmiedet hatte, am GĂŒrtel. In seiner Hand hielt er außerdem eine braune Kutte, welche wohl fĂŒr sie bestimmt war. Sie konnte sich ein LĂ€cheln nicht verkneifen, als er sie endlich erreichte. Nebulas einsame Reise war zu Ende. Und Henriks Reise hatte eben erst angefangen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)