Morgenstern von totalwarANGEL ================================================================================ Kapitel 2: Verraten ------------------- 🌱 Ein paar Wochen zuvor Die Sonne brannte vom Himmel und ließ die Luft ĂŒber der staubtrockenen Matschstraße flimmern. Man sah ihr an, wie lange es bereits nicht mehr geregnet hatte. Die Spuren eines Fahrwerks stachen deutlich heraus. Als der Schlamm noch feucht war, musste ein Karren mit schwerer Ladung hier entlanggekommen sein und seine RĂ€der verewigt haben. Als die Temperaturen stiegen, wurden die Spuren gebacken wie Ton in einem Ofen. Nebula verfolgte gerade kein bestimmtes Ziel. Ihre Kutte bot ihr Schutz vor den Sonnenstrahlen, aber nicht vor der Hitze. Sie wollte sehen, wohin ihr Weg sie fĂŒhrte. Zuvor hatte sie einen Auftrag fĂŒr einen Adligen in GĂŒldenburg erfĂŒllt. Der Mann wollte ein wertvolles Schwert in seinem Besitz wissen. Angeblich besĂ€ĂŸe es magische FĂ€higkeiten - zumindest behaupteten das die GerĂŒchte. Die blonde Söldnerin musste den Geschichten nachgehen. Es könnte sich immerhin um eine Teufelswaffe handeln. Als sie die Waffe endlich in ihren Besitz gebracht hatte, musste sie zu ihrer ErnĂŒchterung feststellen, dass es sich um ein stinknormales langweiliges Schwert handelte, dessen Griff zwar reichlich verziert war, sonst jedoch keinerlei Besonderheiten aufwies. Das Ding konnte der Adlige ruhig haben... Immerhin entlohnte er sie fĂŒrstlich fĂŒr ihre Dienste. Das nĂ€chste Mal musste sie dennoch vorsichtiger mit solchen GerĂŒchten sein. Die Erfahrung zeigt, an den meisten ist nichts dran. Weiter hinten auf der Straße kam etwas zum Vorschein. Mit der Hand auf dem Griff ihres Schwertes nĂ€herte sich die Söldnerin dem Objekt. Mit sinkender Entfernung erkannte sie, dass es sich um einen umgestĂŒrzten Wagen handelte. Eine Sperrstange ragte aus einem Pferdekadaver heraus. Zerschlagene und intakte Kisten lagen verstreut auf dem Boden herum. Und irgendetwas befand sich zwischen ihnen. Als Nebula erkannte, dass es sich um eine Person handelte, beschleunigte sie ihren Schritt. Es war ein Mann mittleren Alters mit dunklem Haar, welches im Schein der erbarmungslosen Sonne leicht grĂŒn schimmerte. Vorsichtig rĂŒttelte die Blondine an dem Bewusstlosen. AllmĂ€hlich kam er wieder zu sich. “Was ist geschehen?”, fragte er leicht benommen. Dann sah er den Kadaver seines Pferdes und den umgestoßenen Wagen und schreckte auf. “Meine Waren! Meine Waren!” “Immer langsam”, versuchte Nebula ihn zur Ruhe zu bewegen. Aber ihr GegenĂŒber gedachte nicht im Traum daran. DafĂŒr, dass er bis eben bewusstlos am Boden lag, war er sehr schnell wieder auf den Beinen und wuselte zwischen den Überresten seiner Ladung umher. “Es ist alles weg!”, stieß er panisch aus. “Ich bin ruiniert.” “Seid still. Berichtet mir, was sich zugetragen hat.” “Ich wurde ĂŒberfallen!” Nebula sah ihn daraufhin abschĂ€tzig an. “Ist das wahr?!” “Junger Herr, wollt Ihr mich verspotten?” Offenbar zeigte ihre Verkleidung Wirkung. Kein Wunder, da ihr halbes Gesicht von der Kapuze verdeckt wurde. “Ich brauche mehr Informationen. Was hattet Ihr geladen? Wisst Ihr, wer Euch ĂŒberfallen hat? Könnt Ihr mir sonst noch etwas berichten?” “Ich transportierte Geschmeide nach BĂ€renhag. Ich fuhr die Straße entlang und ahnte nichts böses. Plötzlich bohrt sich dieser Speer in meinen Gaul und aus allen Richtungen fallen MĂ€nner ĂŒber meinen Wagen her, wie Spatzen ĂŒber die Saat! Warum haben sie mich leben lassen? Wenn ich meine Ware nicht abliefere, bin ich bankrott. Da wĂ€re ich lieber tot!” “Ihr wisst gar nicht, wie einsam der Tod ist...” “Wie meint Ihr das?” “Unwichtig! Ihr haltet nicht viel von angeheuerten Wachen, oder?” “Tatsache, Ihr verspottet mich.” “Mit mir an Eurer Seite wĂ€re das nicht passiert!” “Das sind große Worte, Bengel. Könnt Ihr ihnen Taten folgen lassen?” “Was wollt Ihr?” “Bringt mir meine Waren wieder und ich beteilige Euch am Gewinn.” “Wie viel?” “Zehn Prozent.” “Zwanzig.” “Halsabschneider!” “Wollt Ihr Eure Waren wieder bekommen oder nicht?” “FĂŒnfzehn.” “Na gut! Abgemacht!” Nebula und der fahrende HĂ€ndler besiegelten ihre Abmachung mit einem Handschlag. “Falls Ihr Anhaltspunkte braucht: Bevor sie mich bewusstlos schlugen, sah ich einige in Richtung Westen fliehen. Vielleicht findet Ihr sie dort.” “Ich werde mich darum kĂŒmmern. Schön hier bleiben!” “Spaßvogel! Wo soll ich denn hin, ohne meine Waren?” Nebula folgte der Weisung des HĂ€ndlers und erkundete den Westen abseits der Straße. Zuerst wirkte alles unauffĂ€llig, bis zwischen BĂ€umen und StrĂ€uchern ein Höhleneingang in einer Felswand auftat. Links und rechts brannten Fackeln und es befanden sich einige Kisten und FĂ€sser auf einem kleinen Platz vor der Öffnung. Hier muss es sein, dachte Nebula und streckte den rechten Arm aus. “Brenne in meinen Venen, Bloodbane!”, befahl sie und rief ihre Waffe herbei. Allein und nur mit einem gewöhnlichen Schwert bewaffnet, wollte sie es auch nicht mit einer ganzen RĂ€uberbande aufnehmen. Ungeduldig beobachtete der HĂ€ndler den Verlauf der Sonne. Einige Zeit verstrich. Wo bleibt der Kerl, grĂŒbelte der Mann. Er wird mich doch nicht versetzt haben? Als er dann aber ein Pferd schnauben hörte und sich der GerĂ€uschquelle zuwandte, wollte er seinen Augen nicht trauen. Der Fremdling kam mit Pferd und Wagen vorgefahren und stoppte am Schauplatz des Überfalls. “Ich glaube mein Schwein pfeift!”, staunte der KrĂ€mer. “Wo habt Ihr...” “Ich fand dies, als ich die RĂ€uber auseinander nahm”, erklĂ€rte Nebula und sprang von dem Wagen ab. “Euer Geschmeide ist bereits aufgeladen. Inklusive weiterem Diebesgut.” “Ihr habt gegen die RĂ€uber gekĂ€mpft? Allein?!” “Das wolltet Ihr doch... Sie trennten sich nicht freiwillig von Eurem Zeugs...” “Was habt Ihr mit ihnen gemacht?” “Wollt Ihr Euch diesen Moment des GlĂŒcks mit schmutzigen Details trĂŒben?” “Nein. Ihr habt wohl Recht.” “Lasst es mich so ausdrĂŒcken: Sie sind dauerhaft aus dem GeschĂ€ft.” “Habt Dank, Fremder! Ihr habt mich gerettet.” “Dankt mir in MĂŒnzen.” “NatĂŒrlich, das habt Ihr Euch redlichst verdient.” Der HĂ€ndler stieg auf den AnhĂ€nger und warf Nebula ein großes zusammengerolltes Tuch Seide zu. Die Söldnerin fing den Wertgegenstand auf. “Was soll ich damit?!”, fragte sie verĂ€rgert. “Ich will Gold!” “Ich wurde ausgeraubt, schon vergessen. Ware ist das einzige von Werte, das ich Euch geben kann.” Der Mann stieg wieder aus dem Wagen aus. “Wenn Ihr es zu Gold machen wollt, könnt Ihr es in BĂ€renhag verkaufen.” Er schwang sich auf die Kutscherbank. “Verkaufen?” Der KrĂ€mer klopfte mit der Hand auf den freien Platz neben sich. “Kommt schon, Bursche. Ich nehme Euch mit.” Offenbar hatte er immer noch nicht bemerkt, dass Nebula eine Frau war. Um so besser. Das bedeutete, die Tarnung war gut genug, um sich auch vor vielen Augen zu verbergen. Vielleicht sollte sie es riskieren, in die Stadt zu gehen. “Außerdem ist es gefĂ€hrlich. Halunken sind nicht der einzige Schrecken. Es heißt, ein waschechter Raubritter treibe sein Unwesen. Mit dem werdet Ihr bestimmt auch nicht fertig. Die Leute sagen, er sei mit dem Teufel im Bunde.” “Wirklich?”, erkundigte sich die Blondine. Sie stieg auf der anderen Seite auf und setzte sich auf die freie HĂ€lfte der Kutscherbank. “Redet weiter!” 🌱 Gegenwart Gierig tranken die Pferde aus der TrĂ€nke, als der Konvoi nach langer Fahrt eine Pause einlegte. Die KaufmĂ€nner reisten den ganzen Tag unermĂŒdlich, um voranzukommen. Nun waren nicht nur die Pferde, sondern auch die meisten Menschen erschöpft. Die Abendröte des Himmels blutete langsam in die SchwĂ€rze der Nacht aus. Dunkelheit, durchbrochen von funkelnden Sternen, erschien. Bald wĂ€re es sowieso zu dunkel, um die Reise fortzusetzen. Darum entschieden die HĂ€ndler, hier zu rasten. Die Tiere legten sich auf provisorisch aufgehĂ€uftem Stroh schlafen und die Wachen entschieden, wer von ihnen welche Schicht ĂŒbernehmen wĂŒrde. Gegenseitig betrogen sie beim StĂ€bchen ziehen, um die besten Zeiten. Die mĂŒden Zivilisten betteten sich in ihren SchlafsĂ€cken zur Ruhe und waren in Gedanken schon beim nĂ€chsten Morgen. Bald schon wĂŒrde die nĂ€chtliche Stille einsetzen. Doch die krĂ€ftezehrende Reise vermochte es nicht, alle ihres ĂŒberschĂŒssigen Tatendrangs zu berauben. Freunde des Kampfes hatten lodernde Fackeln im Kreis in den Boden gerammt und so einen Ring geschaffen. Schaulustige fanden sich am Rand ein, um dem versprochenen Spektakel beizuwohnen. Seitdem die beiden neuen dem Konvoi beigetreten waren, gab es jeden Abend einen Kampf. Einer war im Kampf geschult und der andere wollte es erlernen. Die Zuschauer warteten ungeduldig. “Traut euch endlich!”, forderte einer. “Sie wird ihm wieder den Hintern versohlen!”, prophezeite ein anderer. Dann endlich erfĂŒllte sich der Wunsch der Schaulustigen und die Kontrahenten betraten bewaffnet den Ring. Es waren ein Mann und eine Frau, beide im gleichen Alter und noch sehr jung. Die Frau gehörte zu den Wachen und hatte einen ernsten Gesichtsausdruck aufgesetzt. Eigentlich war es unĂŒblich, Frauen als Wachen anzuheuern, aber nachdem sie den AnfĂŒhrer der Wachen im Handumdrehen besiegt hatte, vergaßen die Wachen schnell ihre Vorurteile. Der Mann war der Schmied. Der Ersatz fĂŒr den vorherigen, der sich in der letzten Stadt zusammen mit einer TĂ€nzerin abgesetzt hatte. Er sollte nicht das Schwert fĂŒhren, sondern es schleifen. Den Pferden die Hufe wechseln. Werkzeug reparieren. Aber die Bewunderung fĂŒr die Frau und ihre Kampffertigkeit, ließ ihn seine eigentliche Aufgabe vergessen. Und ihre verblĂŒffende Schönheit zog ihn an. Zumindest wĂ€hrend eines Kampfes konnte er ihr nah sein. Und vielleicht wĂŒrde sie ihn irgendwann mit anderen Augen sehen. Ein frommer Wunsch... “Bist du bereit fĂŒr deine Packung?”, fragte die hĂŒbsche Frau. “Bist du bereit, diesmal Staub zu schmecken?”, provozierte der junge Mann. “Mach dich nicht lĂ€cherlich, Idiot! FĂŒnfzehn Sekunden, dann liegst du flach!” Die Frau zog das Schwert an ihrem GĂŒrtel und brachte sich in Kampfstellung. Ihre Waffe wurde einhĂ€ndig gefĂŒhrt und erlaubte ihr, sich mit dem anderen Arm zu verteidigen. GeschĂŒtzt durch Achselzeug und Schienen, diente er ihr als Ersatz fĂŒr einen Schild, welcher viel zu sperrig wĂ€re und sie höchstens behinderte. Der junge Mann reagierte, indem er wiederum seine Waffe zog. Es war ebenfalls eine einhĂ€ndige Waffe, die er allerdings mit beiden HĂ€nden hielt. Seine mangelhafte Kampfhaltung blieb nicht unverborgen und wurde sofort kritisiert. “Wenn du es dir nicht merken kannst, lass es!”, tadelte die Frau. “N-Nein!”, widersprach der Mann. “Ich schaffe das!” Dann stĂŒrmten sie aufeinander zu und ihre Klingen kreuzten sich. Funken sprĂŒhten, als sich Stahl an Stahl rieb. Der Schmied strengte sich an, einen Treffer zu landen, welcher sein GegenĂŒber entwaffnen wĂŒrde. Keinesfalls kĂ€mpften sie, um sich ernsthaft zu verletzen. Aber die weibliche Wache wehrte alle seine Hiebe ab, als wĂ€re es nichts. “Konzentriere dich!”, setzte sie ihren Tadel fort. “Du bist echt hoffnungslos!” Blitzschnell beugte sie sich nach vorn und wich so dem neuesten Angriff aus. Doch das war nicht das Ziel, welches sie verfolgte. Sie schlug ihre in Metall gehĂŒllte Faust in die Magengrube ihres Gegners. Dem Schmied entglitt sein Schwert und er fiel auf die Knie, die HĂ€nde fest auf den schmerzenden Bauch gepresst. Er hustete und es war ihm, als wĂŒrde er sein Abendmahl gleich wiedersehen. "Ein Krieger besteht nicht nur aus seinem Schwert! Merke dir das gefĂ€lligst!" Das Publikum war nicht besonders begeistert von dem schnellen Sieg der WĂ€chterin. “Könnt Ihr ihn das nĂ€chste Mal etwas langsamer verhauen?”, entrĂŒstete sich einer. “Ja, wir wollen was sehen!”, meinte ein anderer. “Sucht Euch einen richtigen Gegner!”, stichelte ein Dritter. "Nicht diese Memme." EnttĂ€uscht zogen sie von dannen. Die Frau steckte ihre Waffe weg und half ihrem Gegner auf. Als er wieder stehen konnte, ergriff er sein Schwert und verstaute es ebenfalls. Gemeinsam traten sie aus dem Ring und gingen zu einem der Zelte. Eine Öllampe warf Schatten an die Innenseiten des zĂŒgigen Zeltes, als eine Windböe durch es hindurch pfiff. Die Kontrahenten von einst lagen nun nebeneinander, jeder in seinem eigenen Schlafsack. Sicherheitshalber hatten sie eine Mauer aus ihren Habseligkeiten zwischen sich aufgebaut, damit sie sich nicht aus Versehen schlaftrunken zu nahe kamen. Zwar tuschelte man bereits, in welcher Beziehung sie zueinander stehen könnten, aber das waren nichts als GerĂŒchte. Beide starrten an die Decke und beobachteten die Schatten. Sie konnten nicht schlafen. “Du warst heute nicht bei der Sache, Henrik!”, wurde der Schmied erneut getadelt. “Ich habe mich angestrengt, Nebula!”, verteidigte sich dieser. “Du bist einfach ein Lappen!”, sprach die Söldnerin. “Warum bleibst du nicht einfach ein Schmied und beschlĂ€gst Hufe?” “Ich möchte dir keine Last sein!” Nebula schwieg einen Moment. “Du bist mir keine Last!”, beschwichtigte sie ihn. “Wir haben uns dem Konvoi angeschlossen, um so an Informationen zu gelangen. Ich gehöre zur Wache und du zum Tross. Wir tĂ€ten gut daran, unsere Rollen zu spielen!” Dann schloss sie ihre Augen und das GesprĂ€ch war fĂŒr sie beendet. Henrik hingegen versank in Gedanken. Sechs Tage zuvor Völlig außer Atem hatte Henrik die Grenzen des fĂŒr ihn ErtrĂ€glichen erreicht. Der Schweiß rann ihm in Strömen. Seine Beine fĂŒhlten sich an, als ob sie im nĂ€chsten Moment nachgeben wĂŒrden. So ging das nicht weiter! Er benötigte eine Pause und stĂŒtzte sich an einem umgefallenen Baumstamm ab. “Nebula!”, rief er. “B-Bitte warte!” Die Blondine stoppte kurz ihren strammen Marsch und sah ĂŒber ihre Schulter. “Wenn du nicht Schritt halten kannst, solltest du zurĂŒckgehen”, sprach sie kalt. “Einen Klotz am Bein kann ich auch nicht gebrauchen!” Sie sah wieder nach vorn und ging einfach weiter. “W-Warte!” Henrik verstand sie nicht. Erst ĂŒberwand sie sich, ihn zu bitten, sie zu begleiten und jetzt behandelte sie ihn wie ein lĂ€stiges AnhĂ€ngsel? Abermals blieb Nebula stehen, diesmal ohne sich umzudrehen. Sie verzog ihr Gesicht und zeigte die ZĂ€hne. Ein widerwilliges Knurren verließ ihren Mund, als sie sich nun doch umwandte und zu ihrem Begleiter zurĂŒckkehrte. “Na schön, du sollst deine Pause bekommen.” Daraufhin setzte sie sich zu ihm, die Arme verschrĂ€nkt und mit ungeduldigem Gesichtsausdruck. “W-Warum ha-hast du es so eilig?”, erkundigte sich der Schmiedegeselle. “Das habe ich dir doch alles schon erklĂ€rt, du Trottel. Und ich habe keine Lust es nochmal zu tun! Wir mĂŒssen die KaufmĂ€nner erreichen.” “W-Wegen der Sache, die du untersuchen willst?” “Genau. Wir haben einen Auftrag.” “Die RĂ€uber?” Nebula machte sich offen ĂŒber Henrik lustig. “Nein, ein Rudel Exhibitionisten!" “D-Die sind wirklich sch-schwer bedeckt zu halten.” Sein feuchtfröhlicher Spruch ĂŒberraschte die Söldnerin. Er ging einfach nicht auf ihre Provokation ein und schaffte es sogar, die Situation aufzulockern. Den sollte sie behalten! Vielleicht tat sie gut daran, sich ihm ein wenig mehr zu öffnen. “Und d-du glaubst, du findest etwas?” “Ich half vor einigen Tagen einem HĂ€ndler. Er hat mir berichtet, das eine Handelsstraße durch das Nebeltal fĂŒhrt. Es gab schon oft ÜberfĂ€lle, wenn der Nebel besonders dicht ist. Dennoch wird die Straße nicht aufgegeben, da sie zu wichtig ist. HĂ€ndler heuern Wachen an und lassen sich von ihnen beschĂŒtzen.” “Und?” “Und da kommt mein Schwertarm ins Spiel. Ich werde als Wache anheuern.” “A-Aber du bist eine-” “Frau! Na und?!” Nebula ballte die rechte Hand zur Faust und stieß sie mit der flachen linken zusammen. ”Wenn sie keinen anderen Grund haben, mich abzulehnen, werde ich sie so lange verdreschen, bis sie mich bitten, sie zu beschĂŒtze!” “I-Ich gl-glaube, das ist gegen d-das Gesetz...” Plötzlich schwang sich Nebula wieder auf die Beine. “Genug geruht! Wir haben keine Zeit zu vertrödeln!” Widerwillig erhob sich Henrik. Nun ging die elende QuĂ€lerei von vorn los. “WAS wollt Ihr?!”, fragte einer der bereits angeheuerten WĂ€chter und konnte sich beim Anblick der schmĂ€chtigen kleinen Frau das Lachen bald nicht mehr verkneifen. “Die Karawane beschĂŒtzen?” AbschĂ€tzig musterte er das kurz geratene Weibsbild vor seinen Augen. “Ihr spinnt wohl!” Henrik und Nebula hatten den Konvoi tatsĂ€chlich noch abfangen können. Nun versuchte die Blondine als WĂ€chterin angeheuert zu werden. Sie standen inmitten der Wachen. Henrik spĂŒrte Blicke in seinem Nacken, die eigentlich jemand anderem galten. “Traut Ihr mir das nicht zu?”, beantwortete Nebula mit einer Gegenfrage, obwohl sie die Antwort dieses Mannes bereits kannte. Es waren die gleichen chauvinistischen Vorurteile, welche sie schon viel zu oft hören musste. “Eine Wache muss groß sein. Muss stark sein. Und vor allem eins: mĂ€nnlich!” “Glaubt Ihr, ich weiß das Schwert nicht zu fĂŒhren?” “Ihr könnt gern MEIN Schwert fĂŒhren!” Der Mann ballte die HĂ€nde zu FĂ€usten und bewegte seine Lenden in einer maximal vulgĂ€ren Geste. Sie verleitete die anderen dazu, hemmungslos loszupusten. Die Provokation zeigte Wirkung. “Ich ramme Euch unangespitzt in den Boden!” Nebula zog wĂŒtend ihr Schwert. “Aber lasse dich nicht so einfach provozieren!”, versuchte Henrik zu beschwichtigen. “Halt die Klappe! Lass das die Erwachsenen Regeln!” Hilflos sah er zu. Er empfand Mitleid. FĂŒr den Mann. Unterdessen entbrannte der Kampf zwischen Nebula und dem WĂ€chter. Allerdings war es nicht mehr als eine einseitige PrĂŒgelei. Gelangweilt blockte die Blondine die Hiebe und SchlĂ€ge, mit denen sie eingedeckt wurde. Als sie genug hatte, schlug sie ihrem Gegner einmal krĂ€ftig in die Magengrube und setzte ihn außer Gefecht. Umgehend verstummte das GelĂ€chter. Und ehe sie sich versahen, waren Henrik und Nebula angeheuert. Gegenwart Ein Poltern weckte den jungen Schmied und veranlasste ihn, seine Augen aufzuschlagen. Er sah ĂŒber die Barriere von Habseligkeiten, aber konnte Nebula nicht neben sich entdecken. Ihr Verbleib schien ein RĂ€tsel zu sein. Dann polterte es erneut. Henrik griff nach seinem Schwert und stĂŒrmte aus dem Zelt hinein in eine weiße Wand aus Morgendunst. Als sich seine Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten, entdeckte er Nebula. Sie hockte an einem kleinen Kessel, indem irgend etwas Unappetitliches vor sich hin blubberte, und rĂŒhrte unentwegt in dem GebrĂ€u herum. Noch hatte sie ihre RĂŒstung nicht angelegt - Die störte bestimmt beim Kochen. Sie sah zu ihm auf und bemerkte, dass er sein Schwert in der Hand hielt. “Was willst du denn mit dem Ding?”, fragte sie. “Willst du lieber Staub statt meiner KochkĂŒnste schmecken?” “N-Nein!”, antwortete er. Obwohl er sich sicher war, dass der Staub bestimmt besser schmecken wĂŒrde. “Du warst nicht da und ich h-habe etwas poltern gehört.” “Und da bist du gekommen, um mich zu retten?” Nebula machte ein spöttisches Gesicht. “Mein Ritter in glĂ€nzender RĂŒstung” Sie hörte auf zu rĂŒhren. “Ich denke, es ist fertig. Erlaubst du mir, uns beide vor dem Hungertod zu bewahren?” “Was gibt es denn?” “Haferschleim und Brot.” Nebula fĂŒllte mit einer Kelle Schleim in zwei SchĂŒsseln ab. Henrik verging blitzartig der Appetit. “WĂ€h! Schon wieder?” “Das ist gesund und nahrhaft!” Nebula legte eine Kunstpause ein und sah verlegen zur Seite. “A-Außerdem kann ich nichts anderes kochen.” “Ist doch nicht schlimm. DafĂŒr hast du doch jetzt mich!” Nebulas Gesicht errötete. Erregt und beschĂ€mt zugleich starrte sie ihn an. “W-Was soll das jetzt wieder heißen?!” Henrik konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. “Wieso lachst du jetzt, du Idiot?!” Der Schmied tat sein Bestes, um den Haferschleim nachtrĂ€glich noch genießbar zu machen. Doch es stellte sich als Ding der Unmöglichkeit heraus. Mit langen ZĂ€hnen wĂŒrgten beide ihr FrĂŒhstĂŒck herunter, das teilweise nach Kohle schmeckte, da Nebula der Schleim im Topf angebrannt war. “Du hast Recht!”, gestand Nebula ein. “Das ist widerlich!” Plötzlich horchte Nebula auf. Da war noch etwas anderes in der weißen Wand. “Geh! Versteck dich irgendwo!”, befahl sie ihrem Begleiter. “A-Aber?” “Na mach schon!” Henrik tat, wie ihm geheißen wurde. Neben ihrem Zelt hatte einer der HĂ€ndler seinen Planwagen abgestellt. Er kletterte hinein und suchte zwischen ein paar FĂ€ssern Schutz. Indes tauchte die gefĂ€hrliche Schönheit in die weiße Wand ein. Kaum ein GerĂ€usch drang aus dem dichten Dunst heraus. Henrik wollte zwar wissen, was sich zutrug, aber er gedachte wenigstens einmal auf Nebulas Worte zu hören. Dann, unerwartet, setzte sich der Planwagen wie von Geisterhand getrieben in Bewegung. Ein in einem abgetragenen Lederwams gekleideter, unrasierter und ungewaschener Mann mit kurz geschorenen Haaren brach zusammen, als Nebula den Knauf ihres Schwertes auf seinen Kopf schlug. “Das war der letzte von ihnen!”, verkĂŒndete sie stolz. Die anderen Wachen kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus, als die hĂŒbsche Frau die unbefleckte Klinge wegsteckte. Eine Augenweide und ein starker Krieger. QualitĂ€ten, denen man selten kombiniert in einer Person begegnete. Um Nebula herum lagen sechs bewusstlose Angreifer. Sie hatte sie alle allein erledigt, wĂ€hrend die anderen Wachen MĂŒhe im Zweikampf hatten. “Gute Arbeit”, sagte einer der WachmĂ€nner verlegen. “Wo sind die ĂŒberhaupt hergekommen?”, fragte ein weiterer. “Wahrscheinlich hielten sie sich fĂŒr klug, uns zu ĂŒberfallen, wenn niemand sie kommen sieht.” “Aber so haben sie nicht gesehen, wie gut hier alles bewacht ist", tönte stolz ein weiterer. “Ihr meint, sie haben unser blondes Biest nicht gesehen!” Langsam aber sicher ließ die Sonne den dichten Schleier weichen und man konnte endlich wieder klar sehen. Die Wachen fesselten die MĂ€nner und setzten sie in einen der Planwagen fest. Einer der HĂ€ndler verfiel urplötzlich in Hysterie, als er feststellte, dass etwas fehlte. Aufgeregt rannte er auf Nebula und die anderen Wachen zu. “Mein Wagen ist fort!”, rief er unentwegt. “All der teure Wein!” “Was meint Ihr damit, das Euer Wagen fort sei?”, erkundigte sich Nebula. Der Mann deutete auf die Stelle, wo sein Wagen gestanden hatte. Nebula stellte mit Schrecken fest, dass sie und Henrik ihr Zelt direkt daneben aufgeschlagen hatten. Sie eilte, um nach ihrem Schmied zu suchen. Doch er war nicht im Zelt. Hatte er sich im Wagen versteckt? Du Idiot, dachte sie besorgt. Machst doch sonst nie was ich sage! Dann kehrte sie zu den anderen Wachen zurĂŒck. “Ich werde den Wagen zurĂŒckholen!”, kĂŒndigte sie an. “Das könnt Ihr nicht allein wagen!”, sagte einer der MĂ€nner. “Das ist Selbstmord! Wer weiß, wie viele noch da draußen sind. Ich werde Euch lieber begleiten.” “Fein! Seid mir aber kein Klotz am Bein!” Gemeinsam folgten sie den Wagenspuren. Sie fĂŒhrten sie in einen kleinen Wald. Dort fanden sie den Karren. Er war liegen geblieben, als eines der RĂ€der in den schlammigen Resten eines Wasserloches stecken blieb. Zwei MĂ€nner versuchten es herauszuheben, um der misslichen Lage zu entkommen. Gerade als Nebula sich ihrer annehmen wollte, fĂŒhlte sie den Griff ihres Begleiters um ihren Körper und ein Messer an ihrer Kehle. Henrik kauerte noch immer im Planwagen. Bisher war er noch nicht entdeckt worden. Er hatte einen Schreck bekommen, als der Wagen plötzlich losfuhr. Doch nun steckte ein Rad fest und die RĂ€uber konnten ihre Flucht nicht mehr fortsetzen. Sie sind beschĂ€ftigt, dachte Henrik. Es wĂ€re die Gelegenheit! Doch dann hörte er eine vertraute Stimme. Vorsichtig sah er durch den Spalt in der Plane. Nebula wurde von einer der Wachen der Karawane festgehalten und mit einem Messer bedroht. Seine Hand wanderte an Stellen, wo sie nichts verloren hatte. Erst hinauf an ihre Brust und dann hinunter zwischen ihre Beine. Er presste ihre untere HĂ€lfte gegen die seine. Sie konnte seine Geilheit durch ihrer beider Kleidung deutlich fĂŒhlen. “Ihr habt meine Freunde ausgeliefert, Weib”, flĂŒsterte er ihr ins Ohr. “DafĂŒr werdet Ihr mich entschĂ€digen!” Nebula wurde von dem Mann nĂ€her an den liegengebliebenen Wagen gezwungen. “Schaut mal, Jungs!”, rief er seinen Komplizen zu. “Schaut, was ich hier habe!” Die beiden MĂ€nner stoppten ihre Arbeit am Rad. Die verrĂ€terische Wache machte sich noch einmal an Nebulas Oberweite zu schaffen. Sie fĂŒhlte seine widerlichen Griffel selbst durch ihr gepolstertes Oberteil hindurch. Er musste ihre Brust mit einem Brotteig verwechseln. “Ihr wisst, dass Ihr gleich unsĂ€glich Schmerzen leiden werdet?!”, sagte sie zornig. Sie stieß ihren Kopf gegen den der korrupten Wache und befreite sich aus seinem Griff. Dann entriss sie ihm das Messer und schlug ihn mit geballter Faust bewusstlos. Durch den Schlag gingen mehrere seiner ZĂ€hne auf eine Reise ohne Wiederkehr. Nebula warf das Messer in der Hand auf einen der anderen RĂ€uber. Die Klinge streifte dessen Wange und bohrte sich in den Baum hinter ihm. "Euch will ich vor die Wahl stellen: Werdet Ihr kĂ€mpfen oder fliehen?" Das ließen sich die beiden nicht zweimal sagen. Sie streckten die eben erst gezogenen Waffen nieder und flohen. Ihren Kameraden ließen sie zurĂŒck. Wenig spĂ€ter traute sich auch Henrik aus seinem Versteck heraus. Vorsichtig stieg er aus dem Planwagen aus. Nebula war sichtlich erleichtert, auch wenn sie es nicht offen zugab. “Idiot”, schimpfte sie. “Wenn du dich noch mal entfĂŒhren lĂ€sst, töte ich dich selbst!” “W-Was ist eigentlich passiert?”, fragte der Schmied. “Dieser Wachmann dort war wohl insgeheim ein RĂ€uber”, schloss Nebula. Dabei zeigte sie auf den Mann, der noch immer bewusstlos die imaginĂ€ren Sterne bewunderte, welche um seinen Kopf kreisten. “Wahrscheinlich hat er seinen Leuten irgendwie ein Zeichen gegeben, wenn sie angreifen sollen.” “Ist diese Gegend nicht als Nebeltal bekannt?”, fragte Henrik. “D-Das ist doch ihre ĂŒbliche F-F-Vorgehensweise, den Nebel als Tarnung fĂŒr ihre ÜberfĂ€lle nutzten.” “Das haben sie davon, meinen schönen Namen in den Schmutz zu ziehen!” Henrik entdeckte die ausgeschlagenen ZĂ€hne. “D-Du hĂ€ttest aber nicht so hart zuschlagen mĂŒssen." "Er hat mich schamlos befummelt, dieser notgeile falsche FĂŒnfziger!" Nebula ging zu dem Wagen und hob ihn mĂŒhelos aus dem Schlamm. “Das hĂ€tten wir!” “Sagenhaft!”, staunte der junge Schmied. Gemeinsam kehrten sie zum Konvoi zurĂŒck. Der VerrĂ€ter befand sich gefesselt im Planwagen. Sie berichteten, was sich zugetragen hatte. Die Wachen schienen betroffen, die Ratte in ihren Reihen nicht enttarnt zu haben. Sie legten den Mann bei seinen Komplizen in Ketten. Dann wurde die Reise fortgesetzt. Das Ziel war die Hauptstadt. Allerdings reisten Nebula und Henrik kurz danach allein weiter, da ihr Ziel in einer anderen Richtung lag. Obwohl Nebula um einiges stĂ€rker war, ließ sie Henrik das GepĂ€ck schleppen. Das Zelt, den Proviant und einiges mehr. Ein Gentleman trĂ€gt einer Lady ihre Sachen! Am Rand des Gebirges, welches das Nebeltal umschloss und mitverantwortlich fĂŒr das WetterphĂ€nomen war, welches dem Tal seinen Namen gab, lag die Stadt Schleierfirst. Doch es war noch ein weiter Weg fĂŒr Henrik, den freiberuflichen Packesel. 🌱 Aus der Ferne erkannten Nebula und Henrik die Konturen eines kleinen Dorfes. Es war eine gar mickrige Ansiedlung mit Stroh bedeckten HĂ€usern und einer lachhaft kleinen Palisade. Im Ernstfall bot sie keinerlei Schutz gegen Angreifer. Wahrscheinlich vermochte sie es gerade so, das Nutzvieh am Stiften gehen zu hindern. “Schau mal, ein Dorf!”, bemerkte der junge Schmied. “Ich wusste nicht, dass es auf dem halben Weg nach Schleierfirst eine Siedlung gibt”, grĂŒbelte Nebula. “Andererseits, so klein wie sie ist, kann man sie schon mal ĂŒbersehen.” Der Proviant des Duos neigte sich dem Ende entgegen. Das Dorf bot die perfekte Gelegenheit, die VorrĂ€te wieder aufzufĂŒllen. Sicher fĂ€nde sich auf dem Marktplatz das ein oder andere NĂŒtzliche fĂŒr die weitere Reise. Ein schmaler Pfad fĂŒhrte durch Wiesen und Felder. Er war nicht so staubig, wie es bei den Temperaturen zu vermuten wĂ€re. Als sie die Kulturen durchquerten, stellten sie fest, dass sie in ĂŒberraschend gutem Zustand waren. Nebula sah an den Rand des Feldes und erkannte mit kĂŒhlem Nass gefĂŒllte BewĂ€sserungsgrĂ€ben. Die Dorfbewohner mussten einen verlĂ€sslichen Zugang zu Frischwasser besitzen, wenn sie ihre Felder trotz der Trockenheit am Leben erhalten konnten. Entweder eine Wasserpumpe oder eine unterirdische Quelle. Vielleicht war es keine so schlechte Idee, in das Dorf fĂŒr eine Rast einzukehren. Als sie sich dem Palisadentor nĂ€herten, hörten sie laute Stimmen aus der Siedlung schallen. Einige klagten, einige drohten. “W-Was mag da vor sich gehen?”, fragte Henrik. “Wir sollten uns da nicht einmischen!”, belehrte Nebula “Vielleicht br-brauchen sie Hilfe!” “Die Streitereien von Fremden sollten dich nicht kĂŒmmern!” Nebula spĂŒrte, dass irgendetwas faul war. Dennoch gab sie ihrem Begleiter schlussendlich nach. ”Aber es gibt nur einen Weg herauszufinden, was dort vor sich geht.” “A-Also gehen wir hinein?” “Ja, aber stolpere nicht ĂŒberall herum!” Mit der Hand an der Waffe betrat Nebula das Dorf. Henrik hingegen dachte im Traum nicht daran zu kĂ€mpfen. Lieber hielt er sich hinter Nebula und hoffte, nicht gesehen zu werden. Das stellte sich angesichts ihres GrĂ¶ĂŸenunterschiedes als schwieriger heraus, als er gedacht hatte. “Bitte, gebt uns noch etwas Zeit!”, bettelte eine alte Frau. Sie musste eine wichtige Persönlichkeit in der Siedlung sein. Vielleicht die DorfĂ€lteste. Sie trug das zu dicken StrĂ€hnen verklebte lange graue Haar in einem losen Pferdeschwanz und musste ihr gesamtes Gewicht auf einen Gehstock stĂŒtzen, um nicht hinzufallen. “Halt deine Schnauze, du alte Schachtel”, brĂŒllte ein muskelbepackter, groß gewachsener Mann, der einen Dornen bewehrten Streitkolben am GĂŒrtel trug. Er versetzte dem Gehstock einen Tritt, woraufhin die alte Frau hinfiel und wehklagend auf dem RĂŒcken liegen blieb. “Der nĂ€chste Tribut fĂŒr meinen Herrn ist fĂ€llig!” “Großmutter!”, rief ein Junge besorgt und drĂ€ngte sich aus der versammelten Menge hervor. “Großmutter, geht es dir gut?” Er starrte den Mann voll des Zornes an. “Du hast meiner Großmutter wehgetan, du Dreckschwein!”, beschimpfte er ihn. Der Grobian knackte mit den Fingergelenken und anschließend mit dem Nacken. “Jetzt werd mal nicht frech, du Bengel!” Er ergriff seinen Kolben und machte sich bereit, dem Kind den SchĂ€del einzuschlagen. Doch dann spĂŒrte er Widerstand. Egal mit wie viel Kraft er seine Waffe auf das Kind hernieder gehen lassen wollte, es gelang nicht. Er musste feststellen, dass jemand seinen Arm festhielt. Er sah sich nach dem ÜbeltĂ€ter um. “Man schlĂ€gt keine Kinder!”, sprach Nebula, die ihn am Zuschlagen hinderte. Der Mann wollte nicht glauben, dass eine zarte Frau, die ihm nicht mal bis zur Brust ragte, seinen Arm mit solcher Kraft festhalten konnte, dass er ihn nicht mehr bewegen konnte. Er versuchte, sich loszureißen - vergeblich. “Lasst los, Weib!, befahl er. “Lasst los, oder bereut es!” Er steigerte seinen Krafteinsatz. Nebula spĂŒrte, wie er sich an ihr abmĂŒhte. Dennoch bewegte sich die Waffe nicht einen Millimeter. Schon irgendwie lustig
 Sie beschloss, ihm den Gefallen zu tun und ließ los. “Bitteschön!” Als sie ihre Hand öffnete, wurde der Mann durch seine eigene Zugkraft umgeworfen, als die entsprechende Gegenkraft entfiel. Die anderen MĂ€nner, die zweifelsohne zu ihm gehörten, lachten ihn aus, als sein Gesicht im Staub landete. Der Junge nutzte die Gelegenheit, um sich und seine Großmutter in Sicherheit zu bringen. “A-Aber so f-fang doch bitte keinen Streit a-an”, bat der feige Henrik, welcher um jeden Preis einen Kampf vermeiden wollte. “Er hat mich beleidigt und nicht andersherum!”, erwiderte Nebula. “Du kleine dĂ€mliche Hure!”, schnaubte der Muskelberg, als er wieder aufstand. Er sammelte seine Waffe wieder auf, welche ihm bei seinem Sturz entglitten war. Die Schmach, von diesem vorlauten WeibsstĂŒck blamiert worden zu sein, wollte er ihr vergelten. “Ich kann mich nicht erinnern, Euch das ‘Du’ angeboten zu haben.” WĂ€hrend der Bandit vor Wut schnaubte wie ein Stier, blieb Nebula ganz gelassen. Er war nichts weiter als ein Handlanger. Von ihm hatte sie nichts zu befĂŒrchten. Ihre EinschĂ€tzung schien er allerdings nicht zu teilen. “Du
” Der Mann scherte sich nicht den begonnenen Satz fortzufĂŒhren. Lieber hob er den Streitkolben und wollte auf Nebulas hĂŒbsches Gesicht mit ihm maltrĂ€tieren. Henrik duckte sich und schlug die Arme ĂŒber dem Kopf zusammen. Er wollte nicht mit ansehen, wie der arme Mann gleich von der Blondine massakriert wĂŒrde. Bevor die Waffe Nebula treffen konnte, schlug sie ihrem Angreifer die Faust ins Gesicht, sodass er abermals zu Boden ging. Diesmal mit so viel Energie, dass er sich mehrfach ĂŒberschlug und anschließend nicht mehr aufstand. Schockiert sahen die ĂŒbrigen MĂ€nner die blonde Frau an. “Keine Angst, Jungs”, versicherte sie ihnen spöttisch. “Der schlĂ€ft nur ein bisschen.” Dann erhob sie die geballte Faust auf Höhe ihres Gesichtes und setzte ein bösartiges Grinsen auf. “Jetzt nehmt ihn und macht, dass ihr Land gewinnt, bevor ich mich vergesse!” TatsĂ€chlich gehorchten ihr die Halunken. Sie hoben ihren benommenen Kameraden an. Jeweils einer stĂŒtzte einen Arm ĂŒber der eigenen Schulter. Dann verließen sie zĂŒgig das Dorf. Jedoch nicht ohne eine Drohung auszuspucken. “Das wird nicht ohne Folgen bleiben!”, sagte einer. “Greymore wird euch alle bestrafen!” Henrik konnte sehen, wie sich die Augen der Blondine bei der ErwĂ€hnung dieses Namens kurz weiteten. Daraus schloss er, dass sie ihn kannte. Aber sie schwieg. Obwohl sie nur kurz auf den Markt gehen wollten, bestanden die Dorfbewohner darauf, ein Fest zu veranstalten. Sie wollten sich bei ihren Rettern bedanken. Zwar gedachten Nebula und Henrik keinesfalls ihre Gastfreundschaft auszunutzen, aber es wĂ€re genauso unhöflich gewesen, eine solche Einladung auszuschlagen. Darum entschieden sie sich, entgegen ihres Vorhabens, die Nacht im Dorf zu verweilen. Innerhalb weniger Stunden hatten die Dorfbewohner den Marktplatz mit Girlanden verziert und Tische aufgestellt. Zwar hĂ€tten Nebula und Henrik gern geholfen, aber die Dorfbewohner ließen es nicht zu. Also ergaben sie sich dem sĂŒĂŸen Nichtstun und versuchten, nicht im Weg herum zu stehen, wĂ€hrend sich die Dorfbewohner fĂŒr sie den RĂŒcken krumm schufteten. Als es dann Abend wurde und die Dunkelheit einsetzte, wurden die Öllampen entzĂŒndet und warmes gelbes Licht hĂŒllte den Marktplatz ein. Die Tische warteten reich gedeckt mit Trank und Speise auf die EhrengĂ€ste. Kaum hatte sich Henrik an den Tisch gesetzt, wurde er von einigen MĂ€dchen aus dem Dorf umschwĂ€rmt. Er verstand nicht warum, denn er hatte nichts getan, um das zu verdienen. Im Gegenteil! Er war feige und hatte einer Frau die Drecksarbeit ĂŒberlassen, anstatt selbst etwas zu tun, wie es sich fĂŒr einen echten Mann geziemte. Mit einem LĂ€cheln versuchte er sich nichts anmerken zu lassen, doch innerlich wurde ihm ganz flau im Magen. Seine innere Stimme sagte ihm, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zuging. Er ließ seine Blicke zu Nebula schweifen, die zusammen mit ein paar MĂ€nnern saß. Sie tranken und lachten. Wenigstens hat sie ihren Spaß, dachte er. “Was ist denn mit dir?”, fragte eines der MĂ€dchen. Offenbar wurde sein falsches LĂ€cheln durchschaut. Die Dorfschönheit schlug ihre Arme um ihn und drĂ€ngte sich ihm auf. Sein Gesicht tauchte unfreiwillig in ihren tiefen Ausschnitt ein, wie ein Neugeborenes in einem Taufbecken. So sehr er sich anstrenge, war es ihm unmöglich zu entkommen. Er zappelte und versuchte, sich zu befreien. “Bin ich dir nicht hĂŒbsch genug?” “D-Doch!”, sagte er. “A-Aber ich be-bekomme keine Luft!” Seine Worte wurden von dem voluminösen Busen des MĂ€dchens gedĂ€mpft und waren kaum zu verstehen. Es gelang ihm, sich der erstickenden Umarmung der Schönheit zu entziehen. Einen tiefen Atemzug nehmend, verließ er die Tafel, um etwas durch die Gassen zu schlendern. Irgendwas stinkt hier, dachte er. Der Alkohol hatte Nebulas Gesicht ganz rot werden lassen. Sie war so betrunken wie selten zuvor. Die schmutzigen Witze der MĂ€nner machten ihr nichts aus. Eigentlich wĂŒrde ihre prĂŒde und konservative Erziehung sie davon abhalten, sich in diesen Kreisen zu bewegen. Aber sie hörte zu und lachte sogar darĂŒber. NĂŒchtern wĂŒrde sie die MĂ€nner fĂŒr solche vulgĂ€ren SprĂŒche windelweich prĂŒgeln! GlĂŒck fĂŒr sie, dass sie sternhagelvoll war. “Geht eine Nonne zum GemĂŒsehĂ€ndler und kauft eine Gurke”, polterte einer der MĂ€nner. “Sagt der HĂ€ndler, sie solle doch zwei nehmen. Dann könne sie eine davon essen.” Nebula und die MĂ€nner lachten hemmungslos. “Wie erkennt man eine gute Hausfrau?”, fragte ein zweiter. “Ganz einfach! Wenn sie nach getanem Hausputz noch die Stange poliert.” Erneut lachten alle hemmungslos und ausgiebig. “Wartet, der ist auch gut!”, kĂŒndigte Nebula an. “Warum können die HĂ€lfte aller MĂ€nner nach dem Akt nicht einschlafen? Na weil sie abhauen mĂŒssen, bevor der Gatte wiederkehrt!” Und wieder wurde lauthals gelacht. Doch das GelĂ€chter klang dumpf fĂŒr die Blondine. Die Lachen von Nebulas Saufkumpanen waren wie aus einer anderen Welt. In ihrem Kopf drehte sich alles. Vorsichtig versuchte sie aufzustehen. Der Boden schwankte wie ein Schiff bei tĂŒchtigem Seegang. “Wie stark ist Euer Trank?”, fragte sie. “Entschuldigt mich mal...” Wankend und in Schlangenlinien versuchte sie, auf beiden Beinen zu bleiben. Die MĂ€nner sahen sich ratlos an. Dieses MĂ€dchen hatte sieben KrĂŒge der Hausmarke der Dorfbrauerei in sich hineingeschĂŒttet und vermochte es immer noch zu stehen. Unfassbar! Nun zwangen sie jedoch dringende BedĂŒrfnisse, das Trinken zu unterbrechen. Nach einer Weile wollte einer der MĂ€nner nachsehen, wo Nebula blieb. Doch bevor er aufstehen konnte, kehrte sie zur Tafel zurĂŒck, nur um das Trinken fortzusetzen. Drei weitere KrĂŒge der Hausmarke fielen ihr zum Opfer. Langsam fragten sich die MĂ€nner, ob dieses MĂ€dchen ein Fass ohne Boden sei, bis es endlich genug war. Nebula fĂŒhlte sich weich im Kopf. Alles drehte sich. Viel schlimmer als sie es gewohnt war. “Pff-verdammt, wie zz-stark is-zz daz Zeusch?”, stammelte sie vor sich her. Dann kippte die ganze Welt zur Seite und Nebula fĂŒhlte etwas hartes an ihrer Wange. Es war die Tischplatte. Sie war zu besoffen, um zu merken, dass sie gerade das Bewusstsein verlor. Henrik schlenderte durch die dunklen Straßen des Dorfes. Bisher war es ihm nicht gelungen, seine Gedanken abzukĂŒhlen. Schwach leuchteten die Lichter des Festes durch die schmalen Gassen und die GerĂ€usche der Feiernden drangen kaum noch an sein Ohr. Ganz tief saugte er die kalte Nachtluft ein und atmete sie wieder aus. Er konnte sich einfach nicht helfen. All die Aufregung um die “Rettung” des Dorfes fĂŒhlte sich aufgesetzt an. Er wurde das GefĂŒhl nicht los, dass die Dorfbewohner etwas im Schilde fĂŒhrten. Dann bemerkte er ein kleines MĂ€dchen an einer Hauswand sitzen. Das Mondlicht strahlte sie an. Henrik beschloss, zu dem MĂ€dchen zu gehen. Es war vielleicht acht bis höchstens zehn Jahre alt und trug abgerissene Kleider, als ob es auf der Straße lebte. Ihr einziges Besitztum schien ein blaues Buch zu sein, das sie wie einen kostbaren Schatz an ihren Körper presste. “Was ist mit dir, Keine?”, fragte er, als das Kind nicht auf sein kommen reagierte und nur den Mond anstarrte. “Ich wusste, dass du kommst”, flĂŒsterte die Kleine. “Der Mond hat es mir verraten.” “Wie meinst du das?” “Wenn du ein paar MĂŒnzen fĂŒr mich hast, werde ich dir aus den HĂ€nden lesen”, bot sie an. Sie machte einen so Ă€rmlichen Eindruck, dass das Mitleid den braunhaarigen Jungen ĂŒberkam. Er willigte ein, sich von ihr die Zukunft deuten zu lassen und beabsichtigte, ihr im Anschluss all sein Geld zu geben. "Bitte, gibt mir deine linke Hand”, sagte sie und legte ihr Buch beiseite. Henrik reichte ihr, wie gefordert, die linke Hand. Das MĂ€dchen ergriff sie und fuhr mit dem Finger ĂŒber Henriks Handteller. “Die linke Hand kennt deine Vergangenheit und Gegenwart”, erklĂ€rte es. “Du hast schon immer eine besondere Gabe besessen. Aber du warst bis vor kurzem nicht imstande, sie zu nutzen. Du warst vom Pech verfolgt und niemand wollte dir beistehen. Dann haben sich dir neue Möglichkeiten aufgetan, als eine Frau in dein Leben trat.” Henrik war verblĂŒfft. Wie konnte dieses fremde MĂ€dchen so viel ĂŒber ihn wissen? Selbst wenn sie sie beobachtet hatte, woher wusste sie von dem Rest? “Bitte gib mir nun die rechte Hand”, sagte das Kind. Henrik reichte ihr nun auch diese. Das MĂ€dchen sah sich nun auch die rechte Hand an. “Die rechte Hand kennt den Pfad, den du gehen wirst. Oh, was ist das?” Die Augen der Kleinen weiteten sich. “So etwas habe ich noch nie gesehen!” Sie brauchte eine Weile, bis sie wieder sprach. “Du wirst deine große Gabe bald einsetzen. Der SchlĂŒssel, sie zu verstehen, liegt in der Vergangenheit.” “Das ist s-sehr interessant”, lobte Henrik. Auch wenn er nicht wusste, wie er ihre Weissagung deuten sollte. Wie er es geplant hatte, gab er ihr sein ganzes Geld. “Oh, habt dank!”, sagte das MĂ€dchen. “Aber das ist zu viel!” “Nein! Ist genau richtig! Ich bin ĂŒbrigens Henrik.” “Schön dich kennenzulernen. Mein Name ist Annemarie.” “Wieso sitzt du hier auf der Straße?” “Ich weiß es nicht.” “Hast du keine Eltern?” “Ich weiß es nicht.” “Das ist schlimm! Kannst du wirklich zu niemanden gehen?” “Nein. Bitte gehe jetzt. Unser beider Schicksal wartet nicht gern!” Henrik fĂŒhlte sich unwohl bei dem Gedanken, das MĂ€dchen allein auf der Straße sitzen zu lassen. Aber es hatte jetzt all sein Geld. Alles, was er aus dem Verkauf seiner Schmiede herausgeschlagen hatte und auch das Geld, welches er von Nebula als seinen Anteil am Gewinn erhielt, hatte den Besitzer gewechselt. Damit sollte die Kleine gut ĂŒber die Runden kommen. Mehr konnte er wirklich nicht tun. Und das war mehr, als die meisten tun wĂŒrden. Und auch mehr, als er sich leisten konnte. Innerlich gespalten, machte er sich auf, zum Fest zurĂŒckzukehren. Kurz vor dem Marktplatz fĂŒhlte er urplötzlich einen Schlag im Nacken. Er wurde sofort zu Boden geworfen und verlor das Bewusstsein. Ein Fremder ergriff Henriks Oberarbe und zerrte ihn von der Straße in die Dunkelheit. Annemarie beobachtete es aus sicherer Entfernung. Seine Zukunft war vor ihrem geistigen Auge bereits Vergangenheit. Sie griff nach ihrem Buch, das noch immer neben ihr lag, und drĂŒckte es wieder fest an sich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)