Morgenstern von totalwarANGEL ================================================================================ Kapitel 6: Rendezvous im Mondschein ----------------------------------- 🌱 Die drei roten Augen des schwarzen Vogels stachen aus dem Dunkel der Nacht hervor. Er segelte durch die Finsternis und steuerte einen Baum mitten im Wald an. Die EmpfĂ€ngerin hockte auf einem dicken Ast des mĂ€chtigen GewĂ€chses und streckte dem Vogel eine schmale Hand mit langen Fingern, gehĂŒllt in einen schwarzen Handschuh, entgegen. Er landete auf ihr und wurde alsbald von einer zweiten sanft gestreichelt. Ein Windstoß wehte durch das GeĂ€st. Die Haare der Frau auf dem Ast wurden zum Spielball der heftigen Briese. Die Frau untersuchte den Vogel. Am Kropf des sonderbaren Tieres befand sich ein Halsband mit einem kleinen zylinderförmigen GefĂ€ĂŸ. Sie öffnete den Verschluss und entnahm einen winzigen Brief. Die Schrift konnte sie dank ihren scharfen Augen mĂŒhelos entziffern. Er enthielt einen Auftrag und die benötigten Informationen, um ihn zu erfĂŒllen. Kaum war die Nachricht gelesen, verbrannte sie zu Asche. Aus einer Tasche holte die Frau ihrerseits ein winziges Pergament und einen Griffel hervor, um ihre Antwort zu verfassen. Matriarchin, ich habe verstanden. Der Auftrag wird zur vollsten Zufriedenheit des Klienten erledigt werden. Ich werde keine Spuren hinterlassen. Sie beendete ihren Brief mit einem Schwur auf die Mutter der Zwietracht - wen auch immer sie damit meinen mochte - und steckte das SchriftstĂŒck dem Vogel zu. Dann hob sie ihren Arm. Die Kreatur krĂ€chzte zweimal, schwang sich in die LĂŒfte und flog dem Mondschein entgegen. Die Unbekannte machte sich ihrerseits auf den Weg. Frank war schon frĂŒh in den Morgendunst hinausgegangen, da er seiner Liebsten einen Strauß Bergblumen steigen wollte. Er fand so gleich, was sie begehrte: Blau war der Adelheid die liebste Farbe. Doch weiter oben gab es noch mehr von ihnen. Ein Stein löste sich. Hektisch versuchte Frank noch halt zu finden, doch er rutschte ab. Als der Schmerz nach ließ, der auf die Landung gefolgt war, und er sich sicher war nicht tot zu sein, rappelte sich der tapfere Bursche auf. Ein paar Blessuren und SchĂŒrfwunden brachte ihm das Klettern ein, doch ernsthaft verletzt schien er nicht zu sein. “Ze fix, i hob ma den Oasch gebrochn!”, stieß er lauthals fluchend aus und befĂŒhlte dabei seinen Allerwertesten. Dann kehrte er den Berg entnervt den RĂŒcken. Auf dem Heimweg wollte er Zeit sparen und nahm eine AbkĂŒrzung durch eine Schlucht. Er war nur ein StĂŒck gegangen, als er eine Blutspur auf dem Boden entdeckte. “Mei God, wo kimmd des Blut ha?!”, sprach er, um sich selbst Mut zu machen, weiter zu gehen. Die Spur fĂŒhrte ihn um eine Ecke. Dort saß ein MĂ€dchen in einer Tracht. Sie lehnte an der Felswand. Frank kannte sie. “Himme, Oasch und Zwirn, Des is ned wahr!”, tat er seinem Entsetzen Kund. Es war die Adelheid. Ihr Trachtenkleid blutĂŒberströmt und in fetzen Gerissen, der linke Arm zertrĂŒmmert und zerkratzt und ihr Brustkorb aufgebrochen. Vom bösen Wolf, da war Frank sich sicher. Schnell wollte er zurĂŒck in die Stadt und den JĂ€gern Bescheid geben. Doch dann hallte das Geheul der hungrigen Bestie durch die Schlucht. Frank nahm die Beine in die Hand und rannte um sein Leben. Er spĂŒrte die ErschĂŒtterung des sich nĂ€hernden Unheils. Der Versuch schneller zu sein, war vergebens. Ein mannsgroßer, grauer, pelziger Schatten warf sich auf ihn und zerbiss seinen Nacken. Nebula, Henrik und Annemarie erreichten Faringart. Es war gut eine Woche her, dass sie Schleierfirst den RĂŒcken gekehrt hatten. Stadt der JĂ€ger nannte man den Ort, den sie just erreichten. Dies wurde jedem klar, der nur die Augen aufsperrte und sich umsah. Wo links die WaidmĂ€nner ihre TrophĂ€en feilboten, gerbten rechts die Ledermacher die HĂ€ute der erlegten Tiere. “Woah, das ist ja voll beeindruckend hier!”, staunte Annemarie, als sie sich umsah. “Faringart versorgt halb Morgenstern mit Jagdbeute aller Art”, erklĂ€rte Nebula, stets bemĂŒht, nicht zu weit unter ihrer Kutte hinauszuschauen. “Uff!”, stöhnte Henrik unter der Last seines GepĂ€cks. “Schön, wenn es euch beiden hier so gut gefĂ€llt”, sagte er anschließend. Die Beule auf seinem RĂŒcken, welche von dem riesigen Sack geformt wurde, war noch grĂ¶ĂŸer als je zuvor. “Willst du mir damit etwas sagen?”, fauchte ihn die Blondine vorwurfsvoll an. “Das Z-Zeug ist ganz sch-schön schwer!” “Höre auf zu klagen! Oder willst du einer Lady zumuten, schwer zu schleppen?” “Du bist v-viel stĂ€rker als ich.” “Na und?!” Henrik konnte sich seiner masochistischen Vorliebe fĂŒr ihre sadistische Ader nicht erwehren. Er war ihr hoffnungslos verfallen. Aber er traute sich nicht, sie auf seine GefĂŒhle anzusprechen. Was sollte diese starke und schöne Frau, diese Augenweide von einer Amazone, mit ihm anfangen, der er sich nur zu verstecken weiß, wenn es brenzlig wird. Nein, sie wĂŒrde seine GefĂŒhle niemals erwidern! Nebula sah sich verlegen zu ihrem Begleiter um. Nachdem er selbstlos in ihren Albtraum gekommen und sie vor sich selbst gerettet hatte, Ă€nderte es ihr Bild von ihm. Sie dachte viel zu oft an ihn. Und das gefiel ihr nicht! Darum ließ sie ihn wieder schwer tragen. Das geschah im ganz Recht, so unverfroren in ihren Kopf einzudringen und ihn nicht mehr zu verlassen. Auf einmal wurde es wuselig auf dem Markt. “Da böse Woif hod den Frank und de Adelheid gefressn!”, rief eine dicke Frau. “Oh na, des is jo schrecklich!”, antwortete ein dĂŒnner Mann. Nebula horchte auf. Annemarie zerrte am Arm der Söldnerin. “Warum reden die alle so komisch?”, fragte sie unverfroren. “Ich versteh’ kein Wort.” “Diese Leute sind ein bisschen eigen”, antwortete Nebula. “Gute JĂ€ger, aber eigen.” Henrik schnaufte und stöhnte weiter unter seiner Last. “Sagt, guter Herr”, sprach die Blondine zu einem der aufgeregten Stadtbewohner, “was hat sich zugetragen?” “Hobt Ihr 's ned gehört? Da Frank und de Adelheid wurdn vom Woif gefressn!”, antwortete der Mann. “Den Teil habe ich verstanden!”, zischte sie genervt. “Was hat es mit dem Wolf auf sich?” “Seid Ihr ned vo do? 's dreibt si a besonders garstiga Isegrim herum. Ea frisst ois, wurscht ob Mensch oda Viech. Und besonders gern frisst ea de Herzn.” Annemarie klammerte sich an Nebula. “Ich hab Angst”, sagte sie. “Wenn am Viech endlich oana des Fell ĂŒba de Oahn ziang wĂŒrde, kanntn mia nochds wieda ruhig schlafa!”, fuhr der Mann fort. “Ich kann nicht mehr!”, Ă€chzte Henrik und setzte sein GepĂ€ck mit lautem Scheppern ab. Nebula funkelte ihn an, als wĂ€re ein Wort von ihm schon zu viel. Doch sie sorgte sich wohl mehr um ihr Hab und Gut, welches so unsanft den Boden gekĂŒsst hatte. “D-Du hast dich doch sch-schon mal mit einem Rudel Wölfe angelegt”, fuhr Henrik fort. "Das stellt fĂŒr dich doch kein Problem dar, o-oder?" UnglĂ€ubig beĂ€ugte der Einheimische die ein Meter achtundfĂŒnfzig große Fremde. “Du bisd Jagerin, Madl?” Das konnte er sich einfach nicht vorstellen. “Nicht ganz”, Widersprach sie und öffnete ihre Kutte weit genug, um das Schwert an ihrem Bund freizulegen. “Ich bin eine Söldnerin.” “Dann gehst du am Besdn moi zum Fiast, Madl!” Georg, der FĂŒrst vom Finsterwald, stand auf dem Podest wie der Hahn auf dem Mist und krĂ€hte seine Parolen. Seine grauen Haare wehten im Wind. Um ihn herum versammelte sich das Waidmannsgefolge der Umgebung und lauschte seiner flammenden Rede. Anders als das einfache Volk, verfiel er keinem eigentĂŒmlichen Dialekt. “Wollt ihr weiter zusehen, wie Isegrim eure Buben und MĂ€dl ermordet? Wie das Mistvieh uns alle bedroht?” Dann zeigte er in die Menschenmenge. “Du, mein Freund! Was ist, wenn der Wolf dein Weib frisst?” Er zeigte auf jemand anderen. “Und du mit deinen sieben Schwestern. Willst du sie nicht beschĂŒtzen?” Zufrieden lauschte er dem Jubel der JĂ€ger. “Am Gerbe i des Leda!”, skandierte Einer “Des Vieh werd mei neia Bettvoalega!”, prahlte ein Zweiter. Georg lĂ€chelte von einem Ohr zum anderen, als er die aufgeheizte Meute erblickte, in der ein jeder versuchte, sein GegenĂŒber verbal zu ĂŒbertreffen. Nur zwei ließen sich nicht von der Stimmung anstecken. Der eine war der vor zwei Jahren zugezogene JĂ€ger Clay. Ein Mann, der nur selten sprach und niemals zur Wichtigtuerei verleiten ließ. Aber die zweite, ziemlich kleine Person unter der Kutte kam ihm fremd vor. Er konnte ihr Gesicht nicht erkennen. “Ihr”, sprach er sie an. “Wieso seid Ihr so schweigsam?” “Ich ziehe es vor zu leisten, statt zu prahlen!”, rief die unbekannte Person aus der Menge. “Ihr seid nicht auf den Mund gefallen. Wollt Ihr mir nicht Euer Gesicht zeigen?” Die Kutte fiel und enthĂŒllte Nebulas goldblonden Haare. Alle JĂ€ger staunten, da sie einen Mann erwartet hatten. Bis auf Clay, welcher weiter schwieg. Als ob es ihn nicht mehr ĂŒberraschte. “Gebt mir einen Kreuzbogen und ich beweise Euch, dass aus meinem Mund mehr als nur heiße Luft kommt.” Georgs Mundwinkel schnellten vor Entsetzen zu Tale. UnglĂ€ubig schĂŒttelte Clay mit dem Kopf. Daraufhin sprach keiner mehr mit Nebula. Die Versammlung löste sich auf, als Georg zur Jagd ins Horn stieß. “Hier, fangt!”, rief es auf einmal hinter Nebula. Blitzschnell wandte sie sich der Stimme zu und konnte gerade noch die Armbrust fangen, die der schweigsame JĂ€ger ihr zuwarf. Als einziger war er geblieben. “Ihr sagtet, man solle Euch einen Kreuzbogen geben”, erklĂ€rte sich Clay. “Ich habe ein Pferd, doch ich kann nicht gleichzeitig reiten und schießen. Wenn Ihr wirklich so gut schießen könnt, MĂ€dchen, dann wĂŒrde ich Eure Hilfe gern in Anspruch nehmen.” “Nennt mich nicht ‘MĂ€dchen’!” “Wieso? Seid Ihr etwa doch ein Kerl?” Brummend stellte Nebula ihren Unmut zur Schau. “Wie heißt Ihr denn?” “Nebula.” “Freut mich. Mein Name ist Clay.” Er reichte der Blondine die Hand. Nebula erwiderte die Geste. Egal ob Wolf, BĂ€r oder Berglöwe. Die Raubtiere des Finsterwald fielen den Bögen der WaidmĂ€nner zum Opfer. Nebula und Clay durften gegenĂŒber den anderen nicht nachstehen. Ein Grauwolf flitzte durch den Herbstwald. Nebula saß hinter Clay auf dem Schimmel und spannte den geliehenen Kreuzbogen. Dadurch hatte sie keine Hand mehr frei und musste sich mit den Schenkeln und Waden am Körper des Pferdes wie eine Zange festklammern, um nicht herunterzufallen. Im vollen Galopp jagten sie den Grauwolf. Nebula beugte sich an der imposanten Erscheinung von Mann vor ihr vorbei und nahm das Raubtier mit gespannter Armbrust ins Visier. Sie betĂ€tigte den Abzug. Ein Klicken und das Projektil wurde vom ruckartig entspannenden Strick nach vorn katapultiert. Der Wolf wusste nicht, wie ihm geschah, als sich das Geschoss in seinen Nacken bohrte, ihm das RĂŒckenmark durchtrennte und augenblicklich tötete. Das Tier wurde aus der Bahn geworfen, ĂŒberschlug sich und kam dann zur Ruhe. Clay und Nebula saßen ab und ernteten die FrĂŒchte ihrer Arbeit. “Euer Umgang mit dem Kreuzbogen ist wahrlich meisterlich”, staunte der JĂ€ger, als er den perfekt durchstoßenen Nacken des Raubtieres in Augenschein nahm. “Keiner dieser aufgeblasenen Möchtegerne wĂ€re dazu fĂ€hig.” “Ich verspreche nie etwas, das ich nicht halten kann”, versicherte Nebula. “Solcher Menschen gibt es leider viel zu wenige.” Dann unterbrach Clay die Konversation. Stattdessen zĂŒckte er sein HĂ€utungsmesser und befreite den Wolfskörper vom Pelz. Sie hatten das erste Tier erlegt und wĂŒrden hier nicht aufhören. Gegen Abend trafen sich die JĂ€ger, um ihre Beute zur Schau zu stellen. Die MĂ€nner lobten sich gegenseitig. “Und, wia vui hobt Ihr gschossn?” “Zwoa. Und Ihr?” “I ealegte gleich via!” Georg freute sich ĂŒber die erfolgreiche Jagd. Zwar konnte niemand mit Sicherheit sagen, dass die Bestie unter den erschlagenen Raubtieren war, doch um die Pöbel zu beschwichtigen, reichte es allemal. Plötzlich wurde es laut. Georg schaute in die Menge und erspĂ€hte die vorlaute Blonde, wie sie ein BĂŒndel mit mindestens zehn Fellen ĂŒber ihrer Schulter trug und vor Stolz schwellender Brust auf dem Platz aufmarschierte, wie ein ĂŒberdekorierter General bei einer MilitĂ€rparade. Auf mehrmalige Nachfrage bezeugte Clay, dass sie alle Tiere selbst geschossen hatte. Ihm ließ sie nur die eine Beute, deren Fell er trug. Zu spĂ€ter Stund feierte ganz Faringart das große JĂ€gerfest. Es gab Weißwurst, Sauerkraut, Knödel und Bier. Annemarie schlief schon, aber Henrik feierte mit. Er saß neben einem hĂŒbschen MĂ€dchen mit langen blonden Haaren. Die Tochter des Försters. Er hatte sie zuvor noch nie gesehen, aber er fand, dass sie ein nettes LĂ€cheln hatte. Sie war bestimmt mindestens drei Jahre Ă€lter als er, doch das störte ihn wenig. “Wie hoasst du?”, fragte das MĂ€dchen. “Mei Name is Henrike.” “D-Das ist ja lustig”, antwortete er. “Ich bin Henrik.” “Des mua a Wink des Schicksals sei. Mia soidn heiradn.” Panik stieg in dem Schmied auf, wie einst die Hitze in seiner Werkstatt. “W-W-Was?” “Beruhig di, i necke di doch grod." Sie hob ihren Bierkrug an und sah fordernd zu Henrik, bis er es ihr gleich tat. “Du bisd a siassa Buab. Zum Wohl!” Sie stießen an und schĂ€kern fast das ganze Fest miteinander. Durch den Zauber des Gerstensaft kamen sie sich immer nĂ€her. Irgendwann stahlen sie sich davon. Nebula spĂŒrte, dass sie vor Clay wirklich geglĂ€nzt hatte. Doch er beeindruckte sie auch. Er konnte genauso saufen wie sie. “Wieso trinkt Ihr nicht?”, fragte Clay, als er bemerkte, dass Nebula noch immer am ersten Krug Bier festhielt. “Schmeckt es nicht?” “Es ist so gehaltlos”, antwortete sie. “Und sie haben hier nur DĂŒnnbier.” “Mit der Zeit gewöhnt man sich selbst an das.” Es blieb ihr nicht verborgen, dass der Mann immer wieder zum Himmel aufsah. “Wieso schaut Ihr andauernd rauf?” “Seht Ihr den Mond?”, fragte er leicht angeheitert. “Bald schon wird Vollmond sein. Dann zeigen sich die wahren Monster.” Er legte eine Kunstpause ein. “Haben Ihr und Eure Begleiter vor, lĂ€nger zu bleiben, Nebula?” “Wir sind nur auf der Durchreise. Morgen oder ĂŒbermorgen wollen wir weiterziehen.” “So bald schon? Dann erlaubt mir wenigstens noch einmal mit Euch auf die Jagd zu gehen. Diesen Monat darf ich noch ein paar Tiere erlegen.” Das Jagdrecht lag bei den Adligen. Doch FĂŒrst Georg verlieh jedem JĂ€ger die Erlaubnis eine festgelegte Zahl an Tieren pro Monat zu erlegen. Sie verabredeten sich fĂŒr den kommenden Tag zur Rotwildjagd. 🌱 Henrike schlug im fremden Bett die Augen auf. Ihr Arm ertastete die andere Seite des Bettes. Sie erfĂŒhlte eine Person neben sich. Erschrocken stellte sie fest, dass es der Junge war, mit dem sie auf dem Fest getrunken hatte. “I war doch ned etwa umtriebig mid am?”, sprach der Schock aus ihr. Henrik schlief zufrieden, tief und fest wie ein Stein. “Moment moi, i droge no mei Kleidl”, fiel ihr auf. Dann kam die Erinnerung zurĂŒck. Sie hatten weiter getrunken und der Junge stahl einen Kuss. Dann entfernten sie sich vom Fest, als sie das BedĂŒrfnis nach Zweisamkeit verspĂŒrten. Doch weiter als bis zum Bett, hatten sie es nicht geschafft. Henrik war volltrunken wie ein Sack hinein gefallen und sofort eingeschlafen. Erleichtert setzte sie sich auf und sah noch einmal auf den jungen Mann. “Du bisd a siassa Buab”, flĂŒsterte sie und streichelte seine Wange. Sie stand auf und zog ihre Schuhe wieder an. Vorsichtig steckte sie ihren Kopf aus der TĂŒr. Am Morgen aus dem Zimmer eines Jungen zu schleichen, könnte ihren Ruf schĂ€digen, tĂ€te es jemand beobachten. Als sie sich sicher war, dass sie niemand sah, schlich sie sich aus dem Gasthof und machte sich auf den Weg nach Hause. Wenig spĂ€ter kam Henrik zu sich und verfiel bei dem Gedanken, was sich letzte Nacht seiner Meinung nach zutrug, in Panik. Unter SchweißausbrĂŒchen schritt er wenig spĂ€ter im Zimmer auf und ab. Nebula trieb die Frage um, wie ein einfacher JĂ€ger zu einem stolzen Schimmel gekommen war. Auch aus diesem Grund stimmte sie zu, noch einmal mit ihm zu jagen. Aber sie wollte auch in Erfahrung bringen, ob er vielleicht mehr wusste, als er zugab. Gejagt wurde entweder am Morgen oder am Abend, wenn das Licht der DĂ€mmerung schwach war und dem JĂ€ger die Tarnung erleichterte. Darum musste Nebula noch im Schutz der Dunkelheit aufbrechen, um Clays abgelegene HĂŒtte rechtzeitig zu erreichen. Der imposante Mann stand bereits vor seiner JagdhĂŒtte und raufte seinen Bart. Das GebĂ€ude hatte eine TĂŒr, zwei Fenster an der Front und ein kaum wahrnehmbares drittes im Fundament an der Giebelseite. Zudem erspĂ€hte sie den Stall des Schimmels und einen kleinen Holzverschlag nicht weit entfernt. “Guten Morgen”, grĂŒĂŸte Nebula. “Was schaut Ihr so skeptisch?” “Ihr tragt keine Fernwaffe”, antwortete Clay. “Wie wollt ihr Rotwild schießen?” Nebula hatte mental ausgeblendet, das sie Gastraphetes unmöglich vor seinen Augen entblĂ¶ĂŸen könnte, und daher nicht an Ersatz gedacht. Clay verschwand kurz in der JagdhĂŒtte und kam mit der Armbrust vom Vortag und einem Köcher wieder heraus. “Hier, Ihr könnt die hier haben. Ich bevorzuge sowieso den Bogen.” Benno, der Förster, war gerade dabei Holzscheite zu schlagen, als er seine Tochter heimkehren sah. Sofort unterbrach der korpulente Mann sein tun. Mit finsterer Mine, empfing er das MĂ€dchen. “Griaß God, Pappa”, begrĂŒĂŸte Henrike ihren Vater fröhlich. “Wo bisd du gwen, Henrike?”, löcherte er sie vorwurfsvoll. “Hosd du di mid Burschn herumgetriebn?!” “Na, wos redest du do fia oan Schmarrn? I war zua lang auf am Fest. 's war zua dunkl um heim zua gengan. HĂ€ttest aa keman soin.” “Schmarrn. Fia sowas hob i koa Zeid.” Bennos Blick viel auf den gigantischen Haufen Holz, den er noch schlagen musste. “De vadammdn Knechte san beim Bam schlogn zua floassig! Wenn du ma heifd wuist, kannst du ma und den Jungs scheene WoasswĂŒrschd brĂŒhn.” “Du denkst oiwei grod os Essn!” Eingeschnappt stiefelte das blonde MĂ€dchen hinein ins Försterhaus, um einen Kessel fĂŒr die WeißwĂŒrste anzusetzen. Der Schimmel zog einen Karren mit dem erlegten Wild hinter sich her. Nebula und Clay liefen nebenher. Sie trug die Armbrust am Riem ĂŒber der Schulter und er fĂŒhrte das Pferd am Zaumzeug. Die Jagd war fĂŒr sie gut gelaufen. Sie transportierten mehrere Kadaver zurĂŒck zur JagdhĂŒtte. “Eine Frage treibt mich um”, sprach Nebula, als sie glaubte, es sei der richtige Zeitpunkt dafĂŒr gekommen. “Wie kommt ein einfacher JĂ€ger zu einem Pferd?” “Ich habe es gewonnen”, behauptete Clay. “Jemand meinte, er könnte besser schießen als ich. Tja, nun gehört sein Pferd mir.” Langsam kam die HĂŒtte in Sichtweite. “Ihr sagtet auf dem Fest, das bei Vollmond die waren Bestien erscheinen. Was habt Ihr damit gemeint?” “Nehmt das GeschwĂ€tz eines Betrunkenen nicht fĂŒr voll!” Nebula spĂŒrte, dass er verbal einen Graben zog. Doch so leicht wĂŒrde sie ihn nicht vom Haken lassen. “Was verheimlicht Ihr?” “Das soll nicht Eure Sorge sein, MĂ€dchen!” Sie erreichten Clays HĂŒtte. Der JĂ€ger löste den AnhĂ€nger vom Geschirr des Pferdes und fĂŒhrte das Tier in seinen Stall. Er begann die Kadaver zu entladen und in seinen Arbeitsschuppen zu transportieren. “Entweder helft Ihr, oder Ihr geht!”, tadelte er. “Ich hasse Leute, die nur im Weg stehen!” Nebula half den Karren zu entladen. Vielleicht wĂŒrde es Clays Zunge lösen. Die Zeit verging wie im Fluge. “Nun solltet Ihr aber wirklich gehen!”, empfahl Clay mit Nachdruck. “Das Ausweiden der Beute ist nichts fĂŒr schwache Nerven.” “Ich halte das schon aus.” “Geht!!” Er wirkte gereizt und zugleich gehetzt. Als ob ihm die Uhr im Nacken saß. Offensichtlich, dass dieser Mann etwas verheimlichte. Doch freiwillig wĂŒrde er es nicht preisgeben. Sie entschied sich, seiner Forderung zu beugen. Vorerst. Sie gab ihm die geborgte Armbrust zurĂŒck, hĂŒllte sich in ihrer Montur ein und machte sich auf den RĂŒckweg nach Faringart. Henrik war noch immer total aufgelöst und ging auf und ab. “I-Ich bin noch nicht bereit fĂŒr s-so eine Verant-w-wortung!”, murmelte er vor sich hin. Annemarie trat in sein Zimmer ein und musste gleich bei dem Anblick lachen. “Wenn du so weiter machst”, sagte das MĂ€dchen, “dann grĂ€bst du dich in den Boden ein.” Wie aus einer Trance gerissen, sah er Annemarie schockiert an. “Was ist denn los?” “I-Ich bin noch viel zu jung fĂŒr ein Kind!” “HĂ€?” “T-Tschuldigung. Was ist denn, Annemarie?” “Nebula sucht dich.” “Oh, dann will ich sie nicht warten lassen.” Gemeinsam gingen sie zum Stadttor. Nebula fiel sofort auf, dass Henrik seine vom Schweiß benetzten HĂ€nde rieb, schnell atmete und ihr nicht in die Augen sehen konnte. “Noch Restalkohol im Blut?”, fragte sie. “Er redet nur wirres Zeug”, kommentierte Annemarie. “Er hat gesagt, er bekommt ein Kind. Das geht doch gar nicht. Die bringt doch der Klapperstorch!” “Was?” Die Blondine verzog den Mund zum spöttischen grinsen. “D-Du erinnerst d-dich an das MĂ€-MĂ€dchen vom F-Fest?”, fragte Henrik, sein Stottern schlimmer als ĂŒblich. “Wir ha-ha-haben
” Lautstarkes Lachen platzte aus Nebula heraus. Sie konnte es einfach nicht mehr bei sich halten. Ihr wurden die Knie weich. “W-Was ist da s-so lustig?!”, fragte Henrik ungehalten. “Was? Du
” Sie konnte kaum sprechen. “... willst mit ihr
” Ihr GelĂ€chter wurde immer lauter und sie musste sich den Bauch halten. “Ha ha ha!” “W-Was ist, wenn sie jetzt e-ein Kind er-erwartet?” “Dann war es unbefleckte EmpfĂ€ngnis.” “D-Du glaubst nicht, d-das ich m-mi-mit einer F-Frau
?” Nebula hatte sich gerade erst beruhigt, doch ihr Lachflash kehrte zurĂŒck. “Niemals!” “Sch-schönen Dank! D-Danke, dass du meine S-Sorgen so ernst nimmst!” Plötzlich tauchte ein braunes Pferd am Ende der Straße auf. Es kam aus Richtung des Waldes und es schien, als ob niemand auf ihm reiten wĂŒrde. Als es nĂ€her kam, wurden Rufe des Entsetzens laut. Über den RĂŒcken des Tieres lag ein blutĂŒberströmter Waldarbeiter. Ihm fehlte eine Hand und tiefe Kratzer zierten seinen ganzen Körper. Henrik packte Annemarie und hielt ihr die Augen zu. "Hey!", beklagte sich die Kleine. Sofort eilte Nebula zu dem Verletzten hin. “Bitte
 Hilfe!”, sprach er vollkommen entkrĂ€ftet. “Was ist Euch zugestoßen?”, fragte die Blondine. “De Foastwirtschoft... Ogriff... Monsta...” Bevor der Mann noch mehr zu sagen vermochte, verließen ihn seine KrĂ€fte und er verlor das Bewusstsein. Ein paar Schaulustige hatten einen Medikus herbeigerufen. Man zog den Verletzten vom Pferd und der Arzt untersuchte ihn. Doch der stellte schnell Fest, das sein Patient ein Fall fĂŒr den Bestatter war. “Was fĂŒr eine Forstwirtschaft?”, fragte Nebula ohne speziellen Adressat. “Dort lebt Henrike!”, alarmierte der Schmied. “Heißt so der Klapperstorch?”, fragte Annemarie, der Henrik noch immer die Sicht nahm. “Schnell, wir mĂŒssen dorthin!”, flehte Henrik. “Annemarie!”, befahl Nebula. “Du gehst in den Gasthof und wartest dort auf uns. Und du gehst mit niemanden mit!” Dann schnappte sich die Söldnerin ihren Begleiter und wuchtete ihn gegen seinen Willen auf das Pferd des Toten. Anschließend bestieg sie es ebenfalls. “Weißt du wo die Försterei ist?” Als Henrik nickte, trieb sie das Pferd an und galoppierten in Windeseile aus der Stadt. Annemarie blieb allein zurĂŒck und sah ihnen besorgt nach. Wenigstens könnte sie sich auf ihrem Zimmer mit den MĂ€rchen ablenken, welche ihr jedes mal Freude bereiteten, wenn sie sie las. Der Schimmel stand in seinem Stall und kaute genĂŒsslich auf Heu herum. Im Arbeitsschuppen wurde noch immer Tagewerk verrichtet. Die schmutzige Arbeit, die Jagdbeute auszuweiden und zu zerkleinern, war sehr anstrengend und krĂ€ftezehrend. FĂŒr Clay jedoch sein tĂ€glich Brot. Mit jedem Hieb des Beils fĂŒhlte er seinen Hunger wachsen. Zuvor musste das Fleisch noch gepökelt werden, um es haltbar zu machen. Also rieb er es mit zermahlenen Steinsalz ein und fĂŒllte es anschließend in die bereitgestellten FĂ€sser. Bald wĂŒrde er den Großteil in die Stadt bringen, um ihn weiter zu verkaufen. Ein wenig behielt er fĂŒr sich selbst. Diese StĂŒcke waren besonders blutig, so wie er es am liebsten mochte. Wenn er in das Fleisch biss, konnte er fast noch das Herz des Tieres schlagen fĂŒhlen. FĂŒrs Erste war er fertig. Er wusch sich die HĂ€nde in einer Wasserschale und ging dann zurĂŒck zur JagdhĂŒtte. In einer Mischung aus Wehmut und Respekt sah er zum Himmel auf, wo der Mond schon sichtbar war. Diese Nacht wĂŒrde eine Vollmondnacht werden. Er sah noch einen Moment hin und wandte sich dann um und verschwand in der HĂŒtte. Der braune Hengst trug seine Passagiere zur Forstwirtschaft. Der Wind blies ihnen ins Gesicht und wehte Nebula die Kapuze vom Haupt. Henrik umklammerte ihren Bauch, um wĂ€hrend ihres gemeinsamen wilden Ritts nicht vom Pferd zu fallen. Er fĂŒhlte ihren Atem, wĂ€hrend er an ihrem Wappenrock halt suchte. Als sie ihr Ziel erreichten, bot sich ein Bild der VerwĂŒstung. Der leblose Körper eines Waldarbeiters hing ĂŒber einen Stapel BaumstĂ€mme. Blutspuren und blutige Fetzen, zum Teil aus Stoff zum Teil aus einst Lebendigem, lagen auf dem spĂ€rlich mit Gras bewachsenen Boden verstreut. Nebula zog die ZĂŒgel an und signalisierte dem Pferd zu traben. Je nĂ€her sie dem Haus des Försters kamen, desto mehr seiner Knechte fanden sie. Einer lehnte an der Hauswand. Ein weiterer war rĂŒcklings nahezu um einen Baum gewickelt. Eine große Kraft hatte ihn gegen den Stamm geschleudert. Alle wiesen ein Loch im Brustkorb auf. Nebula mutmaßte, dass man spĂ€ter kein Herz finden wĂŒrde. Und letztlich stolperten sie ĂŒber das, was sie fĂŒr die Überreste des Försters hielten. Nebula stoppte das Pferd und stieg ab. Henrik wollte es ihr gleich zu tun, verhakte sich im SteigbĂŒgel, verlor das Gleichgewicht, drehte Pirouetten wie eine Ballerina, versuchte durch hektisches Luftrudern mit den Armen in festen Stand zu gelangen, scheiterte klĂ€glich und schlug, Gesicht voraus, auf einer Grasnarbe auf. Nebula hörte ihn fallen und sah nach ihm. “Echt jetzt?!”, entrĂŒstete sie sich. Henrik hob den Kopf und sprach: “Tschuldigung.” “Lass stecken und steh auf!” Der Tollpatsch stĂŒtzte sich ab und erhob sich. Nebula untersuchte derweil die Szenerie nach Spuren ab. Ihr fiel ein gigantischer Pfotenabdruck in einer schlammigen PfĂŒtze auf. Es sah aus wie die Spur eines Wolfes oder Hundes, doch viel grĂ¶ĂŸer. War ihr Urheber gleichzeitig der Grund fĂŒr das Massaker? “Henrike!”, rief Henrik urplötzlich und begann, das Kreuz der Quere ĂŒber den Claim zu flitzen. Dann fror er unvermittelt bei einem Schuppen in seiner Bewegung ein. Nebula konnte nicht sehen, was ihn derart entsetzte, also ging sie zu ihm. “Henrike”, rief der Schmied erneut und verschwand in dem Schuppen. Als Nebula um die Ecke gebogen kam, sah sie den Grund fĂŒr sein Verhalten. Er hielt das MĂ€dchen vom Fest in seinen Armen. Sie lehnte an der Wand und saß in einer Lache ihres eigenen Blutes, welches aus dem ausgefransten, zerfetzten Stumpf ihres rechten Oberschenkels floss. Vom Rest ihres Beines gab es keine Spur. “Du musst wach bleiben!”, sprach er ihr zu, legte sie in seine Arme und rĂŒttelte an ihr. Sie hob noch einmal ihren Kopf. Ausdruckslose Augen suchten Blickkontakt. “Na schau, da Siasse Buab”, wisperte Henrike in gebrochenen Worten. Sie streckte ihre Hand aus und berĂŒhrte Henriks Wange. Der Junge beugte sich zu ihr herunter, da er dachte, sie wolle ihm etwas sagen, bekam aber stattdessen den gestohlenen Kuss erwidert. “Do hosd du ihn wieda”, sagte sie. Dann starrten ihre Augen ins Leere und ihre Hand fiel kraftlos von Henriks Wange herunter. Vorsichtig legte er den Körper des MĂ€dchens ab. Mit weit aufgerissenen, von TrĂ€nen geschwollenen Augen sah er Nebula an. “S-Sie ist t-t-tot!”, stotterte er. “Das tut mir Leid”, bekundete seine ReisegefĂ€hrtin ihr MitgefĂŒhl. Henrik sah an sich herunter und ihm wurde bewusst, dass er ĂŒberall mit dem Blut der Försterstochter besudelt war. “D-D-Da ist so viel Blut!”, stieß er voll des Horrors aus. “Ihr Blut...” dann ĂŒberkam es ihn und er musste sich zur Seite beugen und ĂŒbergeben. Nebula wollte ihm irgendwie helfen, doch er ließ es nicht zu und stieß sie von sich. Dann rannte er davon und wurde erst viele Meter weiter wieder langsamer. Nebula wusste, dass er allein sein und seinen Schmerz herausschreien wollte. Dennoch wollte sie aufpassen, dass der Grund fĂŒr dieses Massaker nicht auf die Idee kam, sie mit seinem Besuch zu beehren, wenn sie nicht damit rechneten. 🌱 Als die Toten begraben waren, kehrten Nebula und Henrik in die Stadt zurĂŒck. Der Junge musste jetzt allein sein und zog sich in sein Gemach im Gasthof zurĂŒck. Nebula wollte ihm seine Ruhe lassen. Der Tod hinterließ erbarmungslos seine Spuren. Er konnte das Leben eines Menschen nachhaltig verĂ€ndern. Und noch viele wĂŒrden Ă€hnliche Erfahrungen machen mĂŒssen, wenn keiner kommen und dem Treiben der Bestie Einhalt gebieten wĂŒrde. Das Monster könnte ĂŒberall sein. Wie sollte sie es finden? Sie benötigte Hilfe! Und die konnte ihr nur noch der FĂŒrst gewĂ€hren. Einzig er oder sein Sohn durften eine weitere Treibjagd anordnen. Aus diesem Grund bat sie um eine Audienz. Man ließ sie lange warten. Zu lange! Als sie drauf und dran war, die Geduld zu verlieren, öffnete sich endlich die Pforte. Sie trat vor den FĂŒrstenthron in dem Jonathan, der Sohn des FĂŒrsten, saß, und vollzog einen damenhaften Knicks, um dem Erbprinzen ihre Ehrerbietung zu beweisen. “Was kann ich fĂŒr Euch tun?”, fragte er. “Ist Euer Vater zu sprechen, Eure Lordschaft?”, fragte sie respektvoll. “Wie ich sehe, vermag es Euer vorlauter Mund auch freundliche Worte zu finden.” Er mĂŒsste auf ihr Verhalten bei der Treibjagd anspielen. Er lehnte sich zur rechten Seite und stĂŒtzte das Gewicht seines Oberkörpers auf den Ellenbogen. “Mein Vater ist zur Zeit unpĂ€sslich. Doch es sei Euch gestattet, mir an seiner statt Eurer Anliegen vorzutragen.” “Habt Ihr schon vom Angriff auf die Forstwirtschaft gehört, Hoheit?” “Berichte dieses
 Ereignisses erreichten bereits mein Ohr. Es ist gar abscheulich, wie die Bestie wĂŒtete.” “Ich fand einen Pfotenabdruck. Er war riesig groß. Kein Wolf wĂŒrde solch Spuren hinterlassen. Bitte, ruft eine weitere Treibjagd aus, bevor die Kreatur wieder tötet.” “Riesige AbdrĂŒcke? Habt Ihr ĂŒber den Durst geschĂ€pselt, Weib?” “Ihr glaubt mir nicht?” “NatĂŒrlich nicht! Solch ein Humbug passt auf keine Kuhhaut! Geht, und bindet einem der JĂ€ger diesen BĂ€ren auf. BĂ€renpfoten sind doch grĂ¶ĂŸer als die eines Wolfs.” “Ich bitte Euch.” “Papperlapapp!” Jonathan lehnte sich von der einen Seite zur anderen und deutete mit der Hand an, dass Nebula den Thronsaal verlassen soll. “Und nun, schleicht Euch!” “Das ist unverantwortlich!”, klagte die Söldnerin. Doch der Erbprinz schenkte ihr keine weitere Beachtung. WĂ€chter kamen und machten Anstalten, sie mit Gewalt zu entfernen, wenn es denn sein mĂŒsse. “Ist ja schon gut!”, sagte Nebula und verließ den FĂŒrstensitz. Noch auf dem gepflasterten Weg im Garten des Anwesens stieg die Wut in ihr auf und ihre Augen wechselten kurz die Farbe. “Na schön!”, schnaubte sie. “Wenn Ihr mir nicht helfen wollt, findet sich ein anderer.” Keiner der JĂ€ger wollte sie begleiten und das geltende Jagdrecht fĂŒr sie missachten. Nur die Herrscher dĂŒrften zur Jagd blasen oder JĂ€gern den Abschuss gestatten. TĂŒr an TĂŒr wurde zugeschlagen, als sie ihr Anliegen vortrug. Wohl auch, weil sie ihr das große Mundwerk vor und den Erfolg bei der Treibjagd ĂŒbel nahmen. “Feige Hunde!”, fluchte sie. Jetzt blieb ihr nur noch eine Alternative: Der schweigsame JĂ€ger und seine Geheimnisse. Seine Hilfe hoffte sie nicht in Anspruch nehmen zu mĂŒssen. Er war ihr suspekt. Aber wenn er ihr nicht half, dann wusste sie auch nicht weiter. Zwar war sie ein wenig bewandert in der Jagdkunst, doch einem echten Waidmann konnte sie dennoch nicht das Wasser reichen. Sie hoffte, Clay könnte die Spuren besser deuten. Als sie endlich das Haus des einsamen JĂ€gers erreichte, war die Nacht bereits hereingebrochen. Der Mond stand vollstĂ€ndig am Himmel und erhellte die Finsternis. Man konnte außergewöhnlich gut sehen. In der HĂŒtte brannte kein Licht. Alles wirkte verlassen. Der Schimmel war unruhig in seinem Stall und zerrte an dem Strick, mit dem er angebunden war. Etwas verstörte ihn. Tiere spĂŒrten die Gefahr stets vor dem Menschen. Nebula trat an das Tier heran und streichelte es. “Was hast du denn?”, fragte sie, als ob es antworten könnte. “Ruhig.” Aber das Pferd beruhigte sich nicht. Im Gegenteil. Es stellte sich auf die Hinterhufe und trat nach ihr. Seine Instinkte sagten dem Tier, das es die Flucht ergreifen soll. Sie konnte noch rechtzeitig ausweichen und entschied, dass es zu gefĂ€hrlich war, dem Tier zu nahe zu kommen. Stattdessen ging sie zur JagdhĂŒtte und machte sich an der TĂŒr zu schaffen. Sie stellte fest, dass sie nicht abgeschlossen war. Im Inneren herrschte Totenstille. Sie sah eine Öllampe im einfallenden Mondlicht und entzĂŒndete sie. Ihr Schein bestĂ€tigte, das niemand anwesend war. Nebula sah sich weiter in der HĂŒtte um. Hinten in einer Ecke, ziemlich verborgen, fand sie ein merkwĂŒrdiges Brett, halb mit Stroh bedeckt. Sie entfernte das vertrocknete Material und das Brett entpuppte sich als FalltĂŒr in einen Keller mit WĂ€nden aus massivem Stein. Sie stellte die Lampe ab und sprang in das dunkle Loch. Hinab ins Ungewisse. “Was tut ihr hier?!”, fragte eine erboste Stimme. Nebula sah in die Richtung, aus der sie kam. Von einem Fenster direkt unter der Decke fiel das Mondlicht ein und brachte die schwarzen Haare des JĂ€gers zum GlĂ€nzen. Clay saß halb nackt auf dem Boden, seine Handgelenke und Knöchel in viel zu große Schellen gehĂŒllt. Die Fesseln waren mit dicken Ketten an der Wand befestigt. Nebula starrte den JĂ€ger an. “Lebt Ihr gerade einen Fetisch aus?”, fragte sie trocken. “Raus!”, war die einzige Antwort, die sie erhielt. “Nein! Erst sagt Ihr mir, was hier gespielt wird!” “Ich hab gesagt, Ihr-” Er stoppte mitten im Satz, als eine Welle des Schmerzes durch seinen Körper fuhr. Er begann sich zu winden und seine Haut lief rot an vor Anstrengung. “Was ist mit Euch?!” “RAUS!!”, wiederholte der JĂ€ger fordernd, so laut es seine schmerzentstellte Stimme zuließ. Seine Muskeln schwollen an und aus der Haut wuchsen schwarze Haare. Unter Qualen verformten sich Kopf und HĂ€nde. Eine Schnauze bildete sich, Krallen wuchsen und die Behaarung verdichtete sich. Bis aus Clay ein Wesen wurde, das mehr Tier als Mensch war. Die Kreatur fletschte mit den ZĂ€hnen. Speichel tropfte in SturzbĂ€chen. Die Schellen an den Gelenken saßen inzwischen fest wie angegossen, nachdem das Volumen seiner Glieder zugenommen hatte. Die Bestie rĂŒttelte an ihren Ketten. Staub löste sich an den Haken, mit denen sie in die Wand getrieben waren. Nebula ging einen Schritt zurĂŒck. Unterdessen zerrte Clay mit immer mehr Gewalt an seinen Fesseln. Die PrĂ€senz des Vollmondes raubte ihm den Verstand. Der Hunger eines Raubtieres plagte ihn. Seine Augen glĂŒhten vor Wahnsinn. Er roch nur noch das frische Fleisch seiner Beute. Das zarte, aromatische und frische Fleisch der Frau, die ihm gerade gegenĂŒberstand. Nach und nach lösten sich die Bolzen der Halterungen. Bis er die Freiheit erlangte und ihn nichts mehr daran hinderte, auf seine Beute los zu stĂŒrmen und seine ZĂ€hne in sie zu schlagen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)