Morgenstern von totalwarANGEL ================================================================================ Kapitel 14: Mittags um Zwölf ---------------------------- 🌢   Einige Wochen zogen seit seiner Liebeserklärung ins Land. Henrik glaubte noch immer einem Hirngespinst verfallen zu sein. Es war einfach zu unwirklich. Es musste ein Traum sein. Aber er erwachte einfach nicht, wenn er sich in den eigenen Arm kniff. Folglich war es wider Erwarten doch real. Fast jeder versuchte, während die Vorbereitungen zum Übersetzen auf den Kontinent im vollem Gange waren, die eigenen Schwächen auszumerzen und die Stärken auszubauen. Clay ging hinaus in den Wald, wo er sich am wohlsten fühlte, und versuchte seine Nahkampffähigkeiten zu verbessern. Nebula trainierte von früh bis spät den Kampf mit zwei Waffen, mit dem Ziel, eines schönen Tages Cerises großes Mundwerk mit ihnen zu stopfen. Henrik ließ sich vom Hofzauberer in der Kontrolle seiner Kräfte unterweisen. Auch wenn der Ursprung seiner Macht noch immer ein Rätsel war. Und Annemarie ließ sich ebenfalls die Zauberei näher bringen. Sie wollte auch aktiv helfen, weshalb Arngrimir sie Heilkunst lehrte. Nur die rothaarige Attentäterin sah einfach keinen Anlass, die Perfektion in Menschengestalt weiter zu verbessern. Nach einem weiteren anstrengenden Tag, trafen sich die Prinzessin und der Handwerksgeselle oben auf der Dachterrasse des Palastes zum Sternegucken. Händchen haltend, saßen sie aneinander geschmiegt auf einer steinernen Bank und gaben sich dem oralen Austausch von Körperflüssigkeiten hin. Mehr als ausgiebiges Küssen war jedoch nicht drin. Henrik fürchtete auf das übelste massakriert zu werden, täte er zu weit gehen. Aber Nebula quälte ihn zu gern! Urplötzlich umschlang sie ihn und hievte sich auf seinen Schoß, bis sie mehr auf ihm lag als saß. Sie war vielleicht klein, aber nicht unbedingt leicht! Das zusätzliche Gewicht bekam Henrik sofort zu spüren. Die extra Last löste einen unangenehmen Druck in seiner Hose aus. Peinlich berührt hoffte er, dass sie es nicht bemerkte. Doch Nebula sah ihn mit großen Augen an. “Kleiner Perversling!”, schimpfte sie ihn. Allerdings war der Klang ihrer Stimme frei von der üblichen Entrüstung, welche sie früher stets an den Tag legte. Daraufhin stützte sie sich links und rechts von Henrik an der Lehne der steinernen Bank ab und setzte sich kerzengerade auf. Der Braunhaarige versuchte der verlockenden Aussicht zu trotzen, welche sich nun vor ihm auftat. Es war jedoch hoffnungslos und sein Blick fiel hinein in das tiefe Tal ihres Ausschnitts. Henrik fragte sich, ob ihr Gewicht von den Teufelswaffen in ihrem Blut ausging oder doch ihre großen Brüste daran schuld waren. Nebulas Zeigefinger fuhr unter sein Kinn und richtete sein Gesicht zu dem ihren aus. “Hier oben spielt die Musik!” Der Braunhaarige sah sich außerstande ihrem verheißungsvollen Blick zu widerstehen. Seine Arme umschlossen den Körper der Prinzessin und pressten ihn ganz fest an den seinen. Dabei rutschten Henriks Hände immer weiter herunter, bis sie das Gesäß der Blondine umfassten. Plötzlich fuhr Nebula hochrot im Gesicht auf, als habe sie etwas gestochen, und gab dabei Laute eines aufgeschreckten Huhns von sich. “Perversling!”, schimpfte sie, dieses Mal in gewohnter Tonlage. Im nächsten Moment hatte Henrik eine sitzen und ihm wurde klar, dass er jetzt zu weit gegangen war. Bald darauf tat es Nebula schon wieder leid. “Vergib mir!” Beide ließen peinlich berührt voneinander ab und beschlossen vorerst zum weniger offensiven Händchenhalten zurückzukehren.   Der Tag der Abfahrt rückte immer näher. Nebula weigerte sich, ihrem Vater lebewohl zu sagen, denn sie beabsichtigte diesmal zurückzukommen. Außerdem hasste sie Abschiede wie die Pest!  Die Gruppe musste nun aufbrechen. Das Ziel war der Hafen von Bonnamar, wo sie ein Schiff besteigen würden. Henrik bestand jedoch darauf, einen Umweg zu machen. Neben ihm begleiteten Nebula noch Annemarie, Clay und Cerise. Der Tross bestand unter anderem aus Clays Pferd und einem Karren. Das Gefährt transportierte eine Fracht, welche Nebula besonders am Herzen lag. Es war Carolines Sarg. Während sie den Kontinent erkundeten, wollte die Prinzessin nach einem Weg suchen, ihre Freundin zu retten. Sie musste sie stets bei sich wissen. Nach etwa eineinhalb Wochen Reise erreichten sie den Ort, um den Henrik gebeten hatte: Bärenhag, seine Heimat. Der dichte Wald wirkte so friedlich. Doch Clay hob die Nase in die Luft. Irgendetwas war faul im Forst! “Was habt Ihr?”, fragte Cerise, als der Jägersmann unverhofft stehen blieb. “Ich rieche Blut!”, antwortete Clay. Blut. Dieses Wort besaß die Macht auch den Rest der Gruppe zum anhalten zu bewegen. “I-Ist jemand verletzt?”, fragte Henrik besorgt. “Oje! Da müssen wir helfen!”, sprach Annemarie im gewohnt unschuldigen Gehabe. Die Aussicht das Gelernte einsetzen zu können, freute sie. “Kannst du riechen, wo es herkommt?”, erkundigte sich Nebula. “Es kommt von dort hinten.” Clay deutete auf eine Gruppe von Büschen. “Lasst uns nachsehen!”, ermutigte Nebula. Cerise zog einen Dolch, Clay spannte den Bogen und Nebula beschwor eine ihrer Teufelswaffen. Dann betraten sie die Büsche, während die anderen zurück blieben. Auf dem Boden entdeckten sie nach wenigen Schritten eine Spur aus geronnenem Blut. “Ist das Menschenblut, Clay?”, fragte Cerise. Der Waidmann bemühte seinen inneren Wolf, nahm einen tiefen Atemzug und verneinte. Sie folgten weiter der blutigen Spur. Vor ihnen tat sich eine gewaltige Lache auf, in der der Kadaver eines Braunbären lag. Sofort fiel ihnen auf, dass dem Tier etwas fehlte. “Der Bär hat keinen Kopf!”, stellte Nebula fest. Cerise sah genauer hin. “Und die Tatzen fehlen auch!” “Vermutlich waren das Wilderer”, erklärte Clay. “Ich bring sie um!”, drohte Cerise. “Unschuldige Tiere quälen.” “Davon habe ich gehört. Bärenjagd ist im Fürstentum Bärenhag verboten”, verriet Nebula. “Viele Hochwohlgeborene hängen sich gern Trophäen an die Wand, um von ihrem Jagdgeschick zu prahlen. Dabei haben sie noch nie einen Bogen in die Hand genommen.” “Die bringe ich auch um!”, erweiterte Cerise den potentiellen Opferkreis. Plötzlich spitzte Clay die Ohren. Ein verstörtes Wimmern hallte aus einem der Büsche. Als der Jäger näher kam, raschelten die Blätter und aus dem Wimmern erwuchs ein Brummen. Clay hockte sich vor den Busch und sprach dem Wesen gut zu, welches sich in ihm versteckt hielt. “Wir tun dir nichts!” Vielleicht lag es an seinen Worten oder daran, dass auch in ihm ein Tier wohnte. Jedenfalls kam die Kreatur aus dem Busch heraus und zeigte sich. Es handelte sich um einen kleinen Bären. Ein Jungtier. Vermutlich gehörte der Kadaver, den sie just fanden, seiner Mutter. Vorsichtig entfernte sich Clay, indem er rückwärts ging. Der kleine Bär trat an den Körper des Muttertieres heran und stupste ihn unentwegt mit der Nase an. “Es reicht! Ich bringe sie alle um!”, kommentierte Cerise. Der Anblick des verzweifelten Jungtieres war zu viel für die sonst so taffe Auftragsmörderin. “Was machen wir mit dem Kleinen?”, fragte Nebula. Erwartungsvoll sahen die beiden Frauen den Jäger an.   Henrik fand sich in der Gasse wieder, in der er einst gearbeitet hatte. Die anderen waren noch einmal kurz aus den Büschen hervor gekommen und hatten ihn und Annemarie schon einmal vorausgeschickt. Danach waren sie wieder in ihnen verschwunden. Was sie dort trieben, behielten sie allerdings für sich. Er hatte sich derweil um alles gekümmert. Dem Pferd suchte er in einen Stall, er fand einen sicheren Platz für den Wagen mit Carolines Sarg und Annemarie brachte er schon mal in einem Gasthaus unter. Das Mädchen war in letzter Zeit öfters allein. Das würde schon funktionieren, da war er sich sicher. Für sich und die anderen mietete er ebenfalls Zimmer. Er nutzte seins, um sein Gepäck einzuschließen, damit er nicht alles durch die Stadt schleppen musste. Nun stand er vor seiner ehemaligen Schmiede. Noch immer zierte ein Schild mit der Aufschrift ‘Zum glühende Hammer’ den Eingang. Der neue Besitzer schien den Namen nicht geändert zu haben. Henrik beobachtete die Mühen des kahlköpfigen Mannes in der braunen Schürze. Er hämmerte auf einem glühenden Eisen herum. Als er Henrik bemerkte, stellte er das Hämmern ein und blickte ihn grimmig an, als wolle er sagen “Was starrst du mich an, Bengel?!” Eingeschüchtert wendete sich der Braunhaarige ab. Als sich der Schmied nicht mehr beobachtet fühlte, setzte er seine Arbeit fort. Henrik ging weiter. Er wollte dringend jemanden besuchen.   Cerise, Clay und Nebula saßen auf Baumstümpfen an einem massiven Tisch, als der Jäger, dem sie den Vorfall gemeldet hatten, vor ihnen eine Karte ausbreitete. Im Zentrum der Zeichnung befand sich die Stadt Bärenhag, wie sie auf dem Hügel über das Land thronte. Umgeben wurde sie von Wäldern. Mehrere Stellen wurden durch rote Kreuze markiert. Annemarie würde bestimmt eine Schatzkarte vermuten, wäre sie hier, doch die Markierungen birgten mit Sicherheit keine verborgenen Reichtümer. “Hier seht Ihr die Orte, an denen ich bereits tote Bären fand”, sprach der Waidmann. “Und dahinter steckt ein einzelner Wilderer?”, erkundigte sich Clay. “Ich habe nur ein Paar Fußabdrücke gefunden.” “Aber wie kann ein Mann so viel wildern und dabei ungesehen bleiben?”, fragte Nebula. “Das kann ich Euch nicht beantworten. Bestimmt ist er mit dem Teufel im Bunde!” “Bei seinen Taten könnte man das bald glauben”, kommentierte Cerise. “Was wird mit dem kleinen Bären?”, erkundigte sich Nebula. “Ich kann Euch nicht versprechen, dass das Kleine durchkommt. In diesem Alter fressen sie zwar schon Fleisch, allerdings säugt die Bärin ihre Jungen bis zu eineinhalb Jahre. Ich kann es nur mit Fleisch füttern und beten, dass es überlebt.” “Ihr kümmert Euch um den Bären und wir uns um den Wilderer.” “Wo sollen wir mit der Suche beginnen?”, fragte Clay. “Er wird seine Beute sicher nicht auf dem Marktplatz veräußern.” “Er vielleicht nicht, aber er könnte einen Mittelsmann einsetzen”, warf Cerise ein. “Ihr seid bestimmt nicht der einzige Jäger, hab ich nicht recht?” Sie sah den Mann am anderen Ende des Tisches an. Ihr Gegenüber nickte. “Ihr meint, ein anderer Jäger könnte sich durch den Verkauf von illegalen Jagdtrophäen etwas dazuverdienen?”, überlegte Nebula. “Klar. Das funktioniert prinzipiell genauso wie Geldwäsche.” “Und wie werden wir vorgehen?”, fragte Clay. “Wir nehmen jeden unter die Lupe, der Jagdtrophäen verkauft.” “Gut”, bestätigte Nebula. “Und sobald wir aus diesem Hehler herausbekommen haben, von wem er die Waren bezogen hat, suchen wir den Wilderer und-” “- bringen ihn um!”, viel die Rothaarige ins Wort. “Übergeben ihn der Stadtwache!” Cerise wirkte daraufhin fast wie ein Kind, dem man das Spielen untersagt hatte. Die drei verabredeten sich sogleich den Markt aufzusuchen.   🌢   Eigentlich wollte er nur einmal kurz ‘Hallo’ sagen, doch er wurde sofort dazu verdonnert, sich an den Tisch zu setzen. Nun wartete Henrik auf den berühmten Eintopf seiner Mutter. Derweil hatte sich sein Vater ihm gegenüber gesetzt und versuchte ihn mit seinen strengen Blicken zu durchbohren. “Wie ist es dir ergangen, Sohn?”, fragte der Vater. “G-Gut!”, antwortete der Sohn verhalten. “Schön!” Während die männlichen Familienmitglieder karge Worte austauschten, stand die Mutter am Kessel, rührend und summend. “Warst du schon bei der Schmiede, Sohn?” “J-Ja, Vater!” Der Mann sah dies als Einstiegspunkt, eine wahre Schimpftirade auf seinen Sohn niedergehen zu lassen. “Das du es nicht mal hinbekommen hast, sie zu verkaufen, ohne das ich helfen musste, beschämt mich! Wann wird aus dir endlich ein Mann?!” Henrik sah unterlegen auf die Tischplatte. “Schau mich an, wenn ich mit dir rede!” Sofort gehorchte der Sohn. “Du hattest kürzlich Geburtstag. Mit achtzehn Jahren solltest du keine Memme mehr sein! Was habe ich nur falsch gemacht?” Geburtstag? Stimmt! Das war ihm komplett entfallen. Henriks Kopf sank. Er hatte nicht nur seinen Geburtstag vergessen, sondern es auch versäumt, ihn den anderen mitzuteilen. Kein Wunder, dass auch niemand sonst daran gedacht hatte! “Ich sagte, du sollst mich ansehen, wenn ich mit dir rede!” Die stetig vorwurfsvollere Stimme seines Vaters ließ ihn erneut aufschrecken. “Hast du auf deinen Reisen überhaupt irgend etwas erreicht, oder bist du nur zurückgekommen, um deine Füße wieder unter meinen Tisch zu stellen?!” “I-Ich habe jetzt ein M-Mädchen!”, polterte Henrik los, ohne nachzudenken. Ein lautes Platschen. Der Mutter war vor Schreck der Kochlöffel in den Kessel gefallen. Der Vater musste sich auch erst einmal sammeln. “D-Du hast ein Mädchen?”, fragte er mit so viel Unglauben in der Stimme wie einhundert Ketzer. “J-Jawohl, V-Vater!” Derweil fischte die Köchin den Löffel mit hilfe eines weiteren aus dem Kessel heraus. “Das ist löblich! Ist sie denn hübsch?” “So hübsch wie eine Prinzessin”, prahlte der Braunhaarige. “Wirklich? Willst du sie mir nicht vorstellen?” “I-Ich...” Henrik wurde in diesem Moment klar, dass Nebula dem niemals zustimmen würde. Sie wollte nie unnötiges Aufsehen erregen, wenn sie in einer Stadt war. Schließlich sollte sie niemand durch Zufall als Tochter des Königs erkennen. Sie würde sicherlich für einen Antrittsbesuch bei den Schwiegereltern in spee niemals zur Verfügung stehen. “Oder willst du mir einen Bären aufbinden?” “D-Das würde ich niemals tun, V-Vater!” “In der Tat. Dazu fehlen dir die Eier!” “S-Sie ist eine Söldnerin. S-Sie hat bestimmt k-keine Zeit.” “Was, eine Frau die kämpft? Was für ein Weib hast du dir denn da angelacht, Sohn?! Nun, vielleicht schafft sie, wo ich versagt habe, und macht einen Mann aus dir!” Henrik traute sich nicht, etwas gegen seinen Vaters zu erwidern. Plötzlich meldete sich die Mutter zu Wort, welche bisher geschwiegen und ihrem Gatten das Wort überlassen hatte. “Heute abend kommt Finja zu Besuch”, sagte sie. “Vielleicht kannst du dein Mädchen mitbringen?” “Das ist eine hervorragende Idee”, lobte der Vater. Henrik wusste, dass er nun ein Problem hatte. Wie könnte er Nebula dazu überreden? Vielleicht sollte er gar nicht kommen. Aber die Chance, seine große Schwester wiederzusehen, wollte er sich auch nicht entgehen lassen.   Kaum das sie den Markt von Bärenhag betraten, wurden Nebula und die anderen auch schon von den Krämern umworben. Die Bedeutung von persönlichen Freiraum hatten sie noch immer nicht verstanden. Nebula blickte kurz über den Marktplatz. Er war genauso überfüllt wie beim ersten Mal. Zusammen würde es bestimmt sehr lange dauern, alles abzulaufen und zu überprüfen. “Wir sollten uns trennen”, schlug sie daraufhin vor. “Alles klar”, bestätigte Clay. “Ich nehme mir die Südseite vor.” “Dann steige ich auf das Dach und verschaffe mir einen Überblick”, kündigte Cerise an und war bald darauf auch schon verschwunden. Für Nebula blieb nur noch die Nordseite übrig, also ging sie los. Nachdem sie sich eine Weile durch die Menschenmassen geschoben hatte, entdeckte sie einen Stand, an dem Felle und Trophäen verkauft wurden. Sie näherte sich und warf vorsichtig einen Blick auf die ausgestellten Waren. Sie konnte jedoch keine Körperteile von Bären ausmachen. “Kann ich Euch behilflich sein?”, fragte der Verkäufer. “Ich bin auf der Suche nach Trophäen von Raubtieren”, behauptete die unter ihrer Kutte verborgene Blondine. “Vielleicht könnt Ihr mir dabei behilflich sein.” Sie holte ihren prall gefüllten Goldbeutel hervor. “Ihr seid ein Kenner.” Der Verkäufer sah sich mehrfach um. Dann bückte er sich, nur um sich mit dem präparierten Kopf eines Bären als Hehler erkennen zu geben. “Dieses schöne Stück wurde mir heute Mittag erst geliefert. Nebula schmetterte den Sack auf die Fläche des Marktstandes, sodass das Holz nachgab. “Wollt Ihr mir auch verraten, wer Euch beliefert hat?”, fragte sie mit Nachdruck. Dem Mann ging ein Licht auf. Er ließ das Präparat fallen und versuchte zu fliehen. Nebula steckte schnell den Beutel wieder ein und nahm die Verfolgung auf. “Hiergeblieben, du Mistkerl!” Gewaltsam Leute beiseite schubsend, bahnte sich der Hehler seinen Weg zur Südseite des Marktes. Er war ausgesprochen schnell und wendig und Nebula hatte ohne Einsatz von Teufelskräften ihre Probleme, Schritt zu halten. Während der wilden Jagd viel ihre Kapuze herunter und die blonden Haare wehten im Wind. Gerade als sie glaubte ihn niemals einzuholen, entdeckte sie Clay. “Hey, Clay! Schnapp ihn dir!” Beinahe wäre ihr entfläucht “Fass!”... Der Schwarzhaarige reagierte sofort und griff den Flüchtenden an. Dieser wehrte sich jedoch, indem er von einem nahen Obststand die Schagen herunter riss und seinem Verfolger in den Weg schleuderte. Clay stolperte über die Hindernisse und riss einen der Schaulustigen mit sich. Er rappelte sich anschließend wieder auf, aber der Hehler war schon zu weit weg. Als es gerade so aussah, als ob er entkommen würde, ging er plötzlich, getroffen von einem unverhofften Schlag, zu Boden. Nebula und Clay sahen sich um. Als ihr Blick schließlich auf ein Gebäudedach viel, entdeckten sie Cerise, welche mit einem Dachziegel in der Hand posierte und frech grinste, als wolle sie sagen “Erwischt!”. Dann stieg sie vom Dach herunter. Die Drei versammelten sich um ihren Verdächtigen. “Ob der nochmal aufsteht…”, zweifelte Nebula.   Am Abend saß Henrik am reichlich gedeckten Esstisch und wartete. Es klopfte an der Tür und seine Mutter ging, um sie zu öffnen. Eine junge Frau und ein nicht mehr ganz so junger Mann traten ein. Es handelte sich um seine große Schwester Finja und ihren Gatten Aksel. Die Mutter umarmte ihre Tochter. Henrik hielt nichts mehr auf seinen vier Buchstaben und auch er umarmte Finja. Wenig später saßen sie alle zusammen am Tisch und aßen. “Wie geht es dir, Brüderchen?”, fragte die Brünette. “G-Gut!”, antwortete dieser und stopfte sich sogeil wieder den Löffel in den Mund. “Er hat jetzt ein Mädchen”, verkündete die Mutter stolz. “Wirklich?”, freute sich Finja für das kleine Geschwisterchen. “Du wirst erwachsen.” “Ich seh kein Mädchen”, zweifelte Aksel. “S-Sie ist eine vielbeschäftigte Frau”, verteidigte sich Henrik. “Natürlich ist sie das…” Während sie weiter aßen, verblieb die Stimmung gedrückt. Henrik fragte sich, was diesen Tiefpunkt verursachte, als ihm auffiel, dass seine Schwester stets ihr linkes Auge mit ihrem dichten Haar bedeckte. “Was ist mit deinem Auge?”, fragte er daraufhin geradezu. “N-Nicht!”, blockte Finja ab. “Das geht Bengel wie dich nichts an!”, fauchte Aksel dazwischen. Henrik entschied sich dazu, lieber zu schweigen. Als Finja und Aksel gingen, brachte Henrik kurz darauf eine Ausrede hervor, um ebenfalls gehen zu können. Anstatt in den Gasthof einzukehren, wie er es behauptet hatte, folgte er seiner Schwester und ihrem Gemahl. Das fiel ihm nicht besonders schwer, denn er wusste genau wo sie lebten. Als sie in ihr Haus gegangen waren, schlich er sich an das Fenster und beobachtete das Geschehen. Kaum das die Tür ins Schloss gefallen war, näherte sich Aksel seiner Frau an und bedrängte sie. “Lass das!”, forderte ihn Finja auf. Doch der Mann mit dem kalten Blick lenkte nicht ein. Er schmiss sich noch offensiver an sie heran. Finja stemmte sich mit Leibeskräften gegen ihn, doch sie war machtlos. “Nein!” Während sie sich gegen ihren Mann zur wehr setze, der nur eins von ihr wollen konnte, verrutschten ihre Haare und Henrik konnte deutlich die lilafarbene Augenhöhle erkennen. Aksel packte Finja, warf sie auf einen Tisch und begann ihr die Kleider vom Leib zu reißen. “Du bist mein Weib!”, schrie er. “Wenn ich es will, hast du die Beine breit zu machen!” Die verzweifelten Tritte seiner Frau mussten für ihn nichts weiter als lästige Mückenstiche sein. Er löste den Gürtel und öffnete seine Hose. Dann packte er ihre Unterschenkel und riss sie gewaltsam auseinander. Henrik konnte nicht mehr länger untätig dabei zusehen und eilte zur Tür. Doch von Außen konnte er sie nicht öffnen. Er rüttelte und rüttelte, während die Schreie seiner Schwester immer lauter wurden. Als er schon verzweifeln wollte, kam ihm eine der Unterrichtsstunden des Hofzauberers in den Sinn. Er ließ von dem Knauf ab, stellte sich in sicherem Abstand vor die Tür und streckte seine Hand aus. Nun befreite er sich von allen störenden Gedanken - so schwer es ihm in dieser Situation auch fiel - und konzentrierte sich nur noch auf das Hindernis zwischen ihm und seiner Schwester. Der Knauf drehte sich allmählich und endlich sprang die Tür auf. Im nächsten Moment drang Henrik in das fremde Haus ein, zerrte Aksel von seiner Schwester herunter und verpasste dem gewalttätigen Kerl eine. “N-Nimm deine dreckigen H-Hände von meiner Schwester!”, schrie er. Aksel taumelte etwas benommen von dem Schlag. Sofort wandte sich Henrik seiner Schwester zu, deren Kleider vollkommen zerrissen waren. “Was hast du getan?!”, fragte sie Henrik entsetzt. Trotzdem ihr Ehemann sie offenkundig mishandelte, nahm sie ihn noch in Schutz. “Das hier ist allein mein Problem!” “Ist es nicht!”, wies der Bruder zurück. “D-Dazu hat er nicht das Recht!” Derweil rappelte sich Aksel wieder auf. “Hab ich nicht?!”, fragte er ungehalten. “Finja ist mein Weib. Sie hat mir zu gehorchen!” Dann setzte er seinen gewohnt kalten Blick auf. “Was dich angeht, du Bengel… Du bist in mein Haus eingebrochen und hast mich geschlagen. Dafür sollte man dich in Ketten legen! Aber ich habe eine viel bessere Idee. Wir werden das wie echte Männer klären! Ich fordere dich zum Duell!” Es war durchaus üblich und gesellschaftlich akzeptiert bei gekränktem Stolz ein Duell zur Wiedergutmachung zu verlangen. Doch unter diesen Umständen war es blanker Hohn. ”Wir kämpfen morgen um zwölf auf dem Markt.”   🌢   Als der nächste Morgen anbrach, hatten Nebula und die anderen endlich die Informationen, welche sie benötigten. Der Hehler hatte gesungen wie ein Vögelchen. Sie begaben sich sofort in die Wälder, wo Clay aufgrund seines Geruchssinns einen Bären vermutete. Es dauerte nicht lange, bis er einen Kothaufen und ein paar Pfotenabdrücke fand. Diese Spuren bewiesen, dass sich tatsächlich ein solches Raubtier herumtrieb. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Aussicht auf fette Beute den Wilderer anlocken würde, und er sich an dem Bären vergehen tät, war immens. Also legten sie sich in sicherem Abstand zu Meister Petz auf die Lauer und warteten darauf, den Kriminellen zu stellen. Während Clay und Nebula auf dem Boden verblieben, zog es Cerise in die Baumwipfel. Ein Platschen ertönte, als ob jemand ins Wasser getreten wäre. Cerise sah sich um und entdeckte, dass eine schlammigen Pfütze kurz ausgehöhlt wurde, wie von einem unsichtbaren Stiefel. Clay hatte das Geräusch ebenfalls vernommen und Nebula das Signal zum Angriff gegeben. Gemeinsam umzingelten sie mit gezogenen Waffen die Stelle, an der sie die in den Schatten wandelnde Person vermuteten. Clay konnte ihn riechen und Nebula fühlte die Anwesenheit einer Teufelswaffe. Auch wenn sie beide niemanden sehen konnten, wussten sie genau, dass dort jemand war. Plötzlich spürte Nebula einen heftigen stoß und anschließend stechenden Schmerz im Bauch, der ihr die Knie weich werden ließ. Bevor es sie zu Boden zwang, entließ sie geistesgegenwärtig ihre Waffe und griff in die Luft. Tatsächlich bekam sie etwas zu fassen, wodurch sich der Angreifer während seiner feigen Flucht aus der Unsichtbarkeit heraus schälte, wie aus einem Mantel. In Nebulas rechter Hand materialisierte sich derweil ein schwarzer Umhang, welchen sie demonstrativ in die Höhe hielt, während sie mit der linken ihren Bauch bedeckte. Clay zielte mit gespannten Bogen auf den Wilderer, welcher sich, verzweifelt über den Verlust seiner Tarnkappe, mit erhobenem Messer den Weg freikämpfen wollte. Aber noch bevor Clay den Pfeil loslassen konnte, stürzte sich Cerise aus dem Geäst auf sein Ziel und schlitzte dem Wilderer die Kehle auf. Als sie sich ihres Opfers entledigte und es, eine Fontäne aus Blut hinter sich herziehend, zu Boden ging, steckte Clay den Pfeil zurück in den Köcher, sichtlich erleichtert, niemanden töten zu müssen. Beide widmeten ihre Aufmerksamkeit nun wieder der verwundeten Nebula, welche jedoch schon wieder auf beiden Beinen stand. Auf ihrer linken Hand befand sich zwar schwarzes Blut, doch die Wunde schien bereits wieder verheilt zu sein. “Was denn?”, beantwortete sie die besorgten Blicke der anderen. “Sowas bringt mich nicht um.” “Was ist das für ein Ding?”, fragte Clay. Nebula sah den merkwürdigen Stoff in ihrer Hand an. Obwohl er unverdächtig in der leichten Brise tanzte, war es keinesfalls ein einfaches Kleidungsstück. Sie ließ ihr Blut eine Resonanz mit dem Gegenstand eingehen und erkannte, das dies die Teufelswaffe war, welche sie zuvor gespürt hatte.   Ein schwarzer Urwald aus turmhohen Bäumen, deren Stämme teilweise so dick waren, dass es zehn Mann benötigen würde, sie zu umfassen, erhob sich aus der endlosen Ebene. Durch ihn streifte eine Bestie. Auf ihren vier samtigen Pranken schlich die katzenartige Kreatur durch das Dickicht und beäugte misstrauisch den kleinen See in der Mitte einer Lichtung. In ihm badete eine eine weibliche Gestalt mit langen weißen Haaren. Sie schien ganz unbeeindruckt von der Gefahr aus dem Blattwerk zu sein. Eine Tatsache, welche die Bestie sichtlich erregte. Langsam schritt die Frau aus dem See heraus und auf magische Weise bedeckte sich ihr blasser Körper mit einem roten Kleid. Verstört senkte die Bestie den Kopf und erhob unter drohendem Knurren einen Katzenbuckel. Jeden Schritt, den die Frau nach vorn tat, wich die Bestie einen zurück. “Du brauchst keine Angst zu haben, Nummer einhundertsieben”, versicherte die Frau. “Du machst dich bestimmt gut in meiner Sammlung.”   Alsbald zersetzte sich der Umhang zu einer schwarzen Masse und sickerte in ihren Körper hinein. Nachdem die Verschmelzung abgeschlossen war, kehrte Nebulas Augenfarbe zu ihrem gewohnten Blauton zurück. “Das ist Shadowsheath”, erklärte sie. “Er verleiht seinem Träger tagsüber die Fähigkeit, in die Schatten einzutauchen und unsichtbar zu werden.” “Wäre das nicht etwas für Euch, Cerise?”, fragte Clay. “Was?!”, entrüstete sich Rothaarige. “Ich habe solche billigen Hilfsmittel nicht nötig!” Vorsichtig trat Nebula an die Leiche des toten Mannes heran. “Musstet Ihr in gleich töten?”, fragte sie Cerise. “Ich halte meine Versprechen”, prallte die Rothaarige. Das sie es nur getan hatte, um Clay das Töten eines Menschen zu ersparen, durfte schließlich keiner wissen. “Und was machen wir jetzt mit dem da?” “Wir lassen ihn liegen und von den Krähen fressen.” “Das haben die nicht verdient!” “Wir sollten dem Jäger berichten, dass wir den Wilderer gestellt haben”, erinnerte Clay. Die Frauen stimmten zu und gemeinsam berichteten sie von ihrem Erfolg.   Gegen Mittag begaben sich Nebula, Clay und Cerise auf die Suche nach Henrik. Als sie zuvor zurückkehren, hatte Annemarie ihnen berichtet, dass er am Abend zuvor sagte, zum Duell herausgefordert worden zu sein. Nebula machte sich große Sorgen. Und Vorwürfe, da sie die ganze Nacht bei dem Hehler gewesen war und auf sein Erwachen gewartet hatte, anstatt Henrik diese Dummheit auszureden! Auf dem Marktplatz entdeckten sie eine große jubelnde Menschenansammlung. Gemeinsam drängten sie sich zwischen den Schaulustigen hindurch und sahen ihren Begleiter inmitten eines improvisierten Ringes. Henrik stand Aksel mit gezogenem zitterndem Schwert gegenüber. Der Gatte seiner Schwester richtete ebenfalls eine Waffe auf ihn. Diese zitterte allerdings nicht. So bedrohten sie sich nun schon eine ganze Weile, ohne das etwas passierte. Das Publikum forderte lautstark, das Zagen einzustellen, und endlich mit dem Kampf zu beginnen. Ein Duell auf Leben und Tod zwischen zwei erwachsenen Männern war zwar durchaus konform mit geltendem Recht, doch ein solch drastischer Schritt wurde selten gemacht. Drum war jeder dieser Kämpfe ein Ereignis. Es gab für gewöhnlich auch einen Schiedsrichter, welcher die Rechtmäßigkeit des Sieges bezeugen sollte. Dieses Mal wurde darauf offenbar verzichtet. “Dieser Bengel hat mich vor meiner Frau beschämt!”, beschuldigte Aksel. “E-Er schlägt meine Sch-Schwester!”, verteidigte sich Henrik. Es gehörte ebenfalls dazu, die Missetaten des Kontrahenten anzuprangern. Der Braunhaarige sah in die Menschenmenge und entdeckte zu seiner Überraschung Nebula und die anderen. Der Anblick seiner Herzensdame erfüllte ihn mit einer angenehmen Wärme und verlieh ihm das Gefühl, Bäume ausreißen zu können. “An ihr v-vergangen hat er sich!”, setzte er anschließend fort. “Ein Weib hat zu gehorchen!”, tönte Aksel. Allein für diese Aussage wäre Nebula am Liebsten selbst in den Ring gesprungen, um dem Arschloch höchstpersönlich den Hals umzudrehen. “H-Halt dein Maul!” “Dann komme endlich ran auf einen Meter und stopfe es!” Eine Einladung, der Henrik nur allzu gern nachgekommen wäre. Aber er konnte es sich nicht leisten, übermütig zu werden. Vorsichtig begann er seinen Angriff. Aksel parierte und stieß seinen Gegner zurück. Henrik behielt das Gleichgewicht und wehrte den Gegenschlag ab. Die Kontrahenten traten auseinander und umkreisten sich. “Selbst Finja schlug härter zu, als ich sie nahm!” “H-Halte endlich dein v-verkommenes Maul!” Aksel schien genau zu wissen, welche Knöpfe er drücken musste. Nun verlor Henrik doch die Fassung. Haltlos stürmte er auf den Gewalttäter zu und prügelte wütend mit seinem Schwert auf ihn ein. Aksel wehrte jedoch alle Angriffe ab und trat Henrik lachend in den Magen, woraufhin dieser sein Schwert fallen ließ und rückwärts torkelte. “Was machst du denn da, du Idiot?!”, rief Nebula enttäuscht aus der Menschenmenge. So hatte sie es ihm nicht beigebracht! Siegessicher kam Aksel näher. “Sei froh, dass ich deiner Schwester befohlen habe, zuhause zu bleiben”, stichelte er. “Ihr geflenne, wenn ich ihren nichtsnutzigen Bruder aufschlitze, will auch keiner hören!” “Der ist jetzt Mode!”, kommentierte Cerise. Diese Aussage regte Nebula zusätzlich auf. Sie konnte nicht mehr länger ruhig bleiben und wollte eingreifen, nur um von Clay daran gehindert zu werden. “Lass mich!”, befahl sie ihm. “Ich muss Henrik helfen!” “Nein!”, verweigerte Clay. “Das ist sein Kampf.” “Aber er wird ihn umbringen...” Sie wusste selbst nicht, was mit ihr los war. So krank vor Sorge hatte sie sich selten gefühlt. “Vertraue Henrik zur Abwechslung ein bisschen!” “Na gut!” Zufrieden nahm Clay den Arm herunter. Aksel hob sein Schwert, um Henrik mit ihm zu erschlagen. Nebula schloss die Augen und faltete die Hände, als wolle sie beten. Henrik sah seine Waffe und streckte die Hand nach ihr aus. Doch er konnte sie nicht erreichen. War es das jetzt für ihn? Nein, er würde nicht so einfach aufgeben! Noch einmal konzentrierte er sich, wie in der Nacht zuvor. “Zeit aufwiedersehen zu sagen!” Im letzten Moment gehorchte Henriks Klinge seinem Willen und rutschte die wenigen Zentimeter zu seiner Hand über den Boden, sodass er sie greifen und Aksel parieren konnte. Anschließend rollte er sich zur Seite und stand dabei wieder auf. “Wie hast du das gemacht?!” Aksel hatte genau gesehen, dass sich das Schwert von Geisterhand zu Henrik bewegt hatte. “Was für ein mieser Trick war das?!” In den Zuschauerrängen atmete Nebula erleichtert auf. Was hatte sie auch erwartet? Es war nicht das erste Mal, dass Henrik mit mehr Glück als Verstand dem Tod von der Schippe sprang. Sie konnte sich also getrost darauf beschränken, ihn anzufeuern. Derweil ging der Kampf zwischen den Duellanten weiter. Während ihres Gerangel wechselten sie mehrfach die Richtung, als sie die Klingen kreuzten und die Funken sprühten. Mit lautem Klirren entschied sich der Kampf, als eines der Schwerter seinem Träger im hohen Bogen entglitt und sich meterweit entfernt in den Boden eingrub. Triumphierend sah der Sieger auf den Besiegten herab. Henrik hatte gewonnen. Er bedrohte seinen wehrlosen Gegner mit ausgestreckter Waffe. “Schwörst du, meine Schwester fortan anständig zu b-behandeln?”, fragte er Aksel. Als dieser erst nicht reagierte, streckte Henrik das Schwert noch näher an dessen Hals heran. Scheinbar einsichtig, hob Aksel die Hände. “Ja, ich schwöre es!”, bestätigte er anschließend. “Aber bitte verschone mich!” “Sch-Schön! Dann betrachte dein Leben a-als verschont. Aber wenn du meiner Schwester nur ein Haar krümmst, b-bringe ich dich um!” Henriks Augen funkelten vor Selbstsicherheit, wie man es zuvor noch nie bei ihm gesehen hatte. Er steckte sein Schwert an seinen Bund und begab sich zu seinen Freunden. Hinter ihm wollte jemand die Schmach seiner Niederlage jedoch nicht ertragen. “Dieser Bengel schreibt mir vor, wie ich mit meinem Weib umzuspringen habe!”, grämte der Besiegte, und zückte ein Messer. Aksel war außer sich vor Wut. Erst beschämte dieser Nichtsnutz ihn vor seiner Frau und nun vor versammelter Anwohnerschaft. Das sollte er bereuen! Er stürmte auf Henrik zu, mit der Absicht ihn hinterrücks zu erstechen. Die unzähligen Zeugen dieser ehrlosen Tat waren ihm egal. Nebula reagierte blitzschnell. “Runter!”, befahl sie. Ohne zu hinterfragen, gehorchte Henrik und warf sich flach auf dem Boden. Nebula stürmte nach vorn, ergriff Aksels Schwert, welches nicht weit von ihr im Boden steckte, und stieß es wie einen Wurfspeer seinem Besitzer entgehen. Ehe sich dieser versah, bohrte sich auch schon die Klinge seines eigenen Schwertes in den Brustkorb und trat, begleitet von einem Blutschwall, aus seinem Rücken wieder aus. Die Wucht des Aufpralls riss Aksel sofort zu Boden. Entsetzt zuckte das Publikum zurück. Henrik blickte sich erschrocken um und konnte gerade noch mit ansehen, wie sein Gegner tot zusammenbrach. “Ehrloser Bastard!”, beschimpfte Nebula den Erschlagenen.   Dank der unzähligen Schaulustigen, welche Aksels ehrlosen Mordanschlag bezeugten, blieben Nebula die Konsequenzen ihres Eingriffs erspart. So konnte die Gruppe ihren Weg unbehelligt fortsetzen. Eine unangenehme Aufgabe blieb jedoch. Henrik musste seiner Schwester erklären, warum ihr Mann nicht mehr wiederkommen würde. Obwohl er sie stets wie Dreck behandelte, schlug und missbrauchte, wann immer ihm danach war, brach Finja dennoch in Tränen aus. Sie fiel vor ihrem Bruder auf die Knie und umklammerte ihn. Kein Wort verließ ihre Lippen. Sie weinte einfach nur. Und für eine lange Zeit tat sie nichts anderes. “Wie konntest du nur?!”, warf sie Henrik schlussendlich vor und begann kraftlos auf ihn einzuschlagen. “Wie konntest du mir das nur antun?!” Trotz allem schien sie Aksel dennoch geliebt zu haben. Henrik konnte das nicht verstehen, aber ihm wurde klar, in welche Lage er seine Schwester gebracht hatte. Auch wenn er ihn nicht getötet hatte und es auch niemals getan hätte, klebte sein Blut an seinen Händen. Nur weil er sich schon wieder retten lassen musste, fand Aksel durch Nebulas Eingreifen den Tod. Und ohne ihren Mann, der die Brötchen verdiente, würde seine Schwester bald dazu gezwungen sein, schmutzige Arrangements einzugehen, um an Geld zu kommen. Aksel leistete sich zwar ein Schwert, ein reicher Mann war er aber nie gewesen. Henrik hatte die Ehre seiner Schwester nicht verteidigt, damit sie sie jetzt auf der Straße beschmutzen musste, nur weil sie ohne Einnahmen dastand. Darum überzeugte er Nebula, Finja einen Teil der Reisekasse zu übergeben. Seine Schwester nahm es, ohne sich zu bedanken. Sie sah Henrik an, wie den Mörder ihres Ehemanns. Für sie trug er die Schuld an Aksels Tod. Er hätte diesem Duell niemals zustimmen dürfen! Das Gold, welches er seiner Schwester gab, würde es nicht ungeschehen machen, ihr aber gewiss helfen, eine Weile über die Runden zu kommen. Henrik hoffte, sie würde es eines Tages verstehen und ihm vielleicht verzeihen. Mit einem beklemmenden Druck in seiner Brust, machte sich Henrik zusammen mit den anderen auf den Weg. Von seinen Eltern verabschiedete er sich gar nicht erst. Ihm stand nicht der Sinn danach, sich auch von ihnen Vorwürfe anhören zu müssen.   Mit Pferd, Wagen und Sarg durchquerten sie das Stadttor, als sie von einem der Torwächter angehalten wurden. Wollte man sie doch noch belangen? Henrik erkannte den Mann sofort. Es war der gleiche, welcher ihn an jenem Tag schon aufgehalten hatte, als er Nebula in den Wald folgte. Der Wächter beäugte den jungen Mann. “Du!”, wunderte er sich. “Dich kenne ich doch! Sag, hast du dein Mädchen bekommen?” Henrik war überrascht, dass sich der Mann noch immer daran erinnerte. Seitdem er Bärenhag verließ, mussten unzählige andere hier vorbeigekommen sein. Plötzlich sprang die zuvor mit Annemarie auf dem Wagen sitzende Nebula herunter und riss sich die Kapuze vom Kopf. “Ja, das hat er!”, verkündete sie und trat an Henrik heran, nur um ihn vor aller Augen leidenschaftlich zu küssen. Es war ihr gerade völlig egal, vielleicht erkannt zu werden. “Und heute hat er mich stolz gemacht!”, fügte sie anschließend an. Henrik war in diesem Moment so unfassbar glücklich, dass sie öffentlich zu ihm stand, er hätte die Ereignisse von heute Mittag um ein Haar vergessen und zufrieden sterben können. Er fand keine Worte, um seine Gefühle zu beschreiben. Die Zügel haltend, bewunderte Clay noch immer sein erfolgreiches Kupplerhandwerk, während Cerise sich schon gelangweilt fragte, wann die zwei es endlich hinter sich bringen und übereinander herfallen würden. Nachdem der Wachmann sie durchgewunken hatte, konnten sie ihre Reise nach Bonnamar, zur größten Hafenstadt von Morgenstern, fortsetzen. “Übrigens”, sagte Henrik auf einmal ganz unverfroren, nachdem sie schon eine Weile unterwegs waren. “Ich hatte kürzlich Geburtstag.” Nebulas entsetzt langgezogenes “Was?!!” war kilometerweit zu hören Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)