Morgenstern von totalwarANGEL ================================================================================ Kapitel 18: Verwobene Schicksale -------------------------------- 🌱 Zwei riesige Statuen rahmten den schmalen Zugang zur Bucht von Al Shahar. Sie stellten imposante WĂ€chterfiguren in schwerer orientalischer RĂŒstung dar. In ihren HĂ€nden hielten sie jeweils in der einen eine Martrad, eine Art Hellebarde, und in der anderen einen runden aufwĂ€ndig verzierten Schild. Spiegelverkehrt war der eine ein RechtshĂ€nder und der andere ein LinkshĂ€nder. Zusammen begrĂŒĂŸten sie die ankommenden Schiffe. Diese Plastiken von an die zwanzig Meter Höhe und ihre noch lĂ€ngeren Waffen zeugten von meisterlicher Handwerkskunst und großem Wissen um die Metallverarbeitung. Weiter draußen hatten bereits mehrere vorgelagerte kleine Inseln die Wellen gebrochen, sodass der Eingang von der Kraft der wilden See verschont blieb. DafĂŒr brachten unzĂ€hlige Schiffe Unruhe in das Bild. Besucher und HĂ€ndler von ĂŒberall auf dem Kontinent. Langsam fuhr die Esmeralda in den Hafen von Al Shahar ein. Schwer gebeutelt vom Sturm und von der Bestie aus den Tiefen des Meeres. Die Segel geflickt. Die Reeling teilweise zerschlagen. Überall hatten die Abenteuer ihre Spuren hinterlassen. Die schiere GrĂ¶ĂŸe der restlichen Hafenanlage beeindruckte mindestens genauso sehr wie die Kunstwerke an ihrem Zugang. Egal wohin man den Blick schweifen ließ, lagen Schiffe vor Anker. Zwischen den einheimischen Dhau, den prachtvollen Galeeren der Elfen aus Lichthofen, den vereinzelten zwergischen Dampfschiffen und den Drachenbooten aus Frys fiel die Esmeralda in keinster Weise aus dem Rahmen. Al Shahar war ein unverzichtbarer Knotenpunkt im internationalen Handel. Ein wahrer Schmelztiegel der Kulturen. Wer hier nicht irgendwie anders war, zog viel mehr Aufmerksamkeit auf sich. Langsam fuhr die Esmeralda an die ihr zugewiesene Stelle. Auch wenn die Anlage von Al Shahar riesig war und gar unĂŒberschaubar anmutete, auf die BĂŒrokratie der Beamten des Kalifats konnte man sich stets verlassen. Die Angestellten der Hafenverwaltung wussten immer genau, welches Schiff zu welchem Zeitpunkt an welcher Position sein musste. Nur der Teufel wusste, wie sie das bewerkstelligten! WĂ€hrend der Einfahrt in den Hafen, stand Nebula am Bug des Schiffes und schaute geradeaus hinein in das rege Treiben und Wuseln. Das heiße WĂŒstenklima machte ihr schon jetzt zu schaffen, wo sie nur ihre Freizeitkleidung trug. Wie schlimm wĂŒrde es erst werden, wenn sie ihren Wappenrock und die Waffen mit sich fĂŒhrte? Das wagte sie sich gar nicht erst vorzustellen! Wie praktisch wĂ€re es jetzt eine Teufelswaffe zu besitzen, welche die Luft zu gefrieren vermochte. Stattdessen konnte sie nur das Blut in ihren Venen zum Kochen bringen - was nicht einmal notwendig war bei diesen Temperaturen. Sie versuchte an etwas anderes zu denken. UnwillkĂŒrlich kam ihr das Gesicht von Henrik in den Sinn. Wie es im WĂŒrgegriff des Seeungeheuers von Sekunde zu Sekunde mehr und mehr blau anlief. Beim Gedanken daran, wie nutzlos sie sich gefĂŒhlt hatte, als ihr Körper ihr nicht mehr gehorchte, verzog sie im Ärger ĂŒber sich selbst die Mundwinkel. Sie fĂŒhrte ihre rechte Hand in einigem Abstand vor ihr Gesicht und beobachtete sie. Nichts. Kein Zittern. “W-Was machst du da?”, fragte eine vertraute Stimme. Nebula wandte sich der Quelle zu. Henrik war an sie herangetreten. Die Blondine sah den Jungen an. Anstelle der ĂŒblichen frostigen Reaktion, mit der er eigentlich gerechnet hatte, umschloss sie ihn mit ihren Armen und versuchte, ihren Kopf an seine Schulter zu lehnen. Wegen des GrĂ¶ĂŸenunterschieds nicht so leicht getan, wie gesagt. Wortlos standen sie da. Nebula drĂŒckte sich fest an Henrik. “W-Was ist denn in dich gefahren?” “Ich bin einfach froh, dass du da bist!”, antwortete Nebula. “D-D-Danke, Nebula. Das b-bedeutet mir wirklich viel.” “Tue mir einen Gefallen!” “N-NatĂŒrlich!” “Halte die Klappe und umarme mich einfach!” “O-Okay.” Henrik nahm nun auch seine Arme und schlug sie ebenfalls um den Körper der Prinzessin. So standen sie noch lange da, nachdem die Esmeralda vor Anker gegangen und der Steg zum Ausstieg bereit war. Die Kontakte ihrer Familie reichten bis in den Orient. Nebulas Vater, der König, ließ seine internationalen Beziehungen spielen und organisierte der Gruppe eine helfende Hand. Ein Mann, der sich bestens mit den Gepflogenheiten des KrĂ€merhandweks auskannte und ihnen bei der Herausforderung als WĂŒstenhĂ€ndler getarnt ĂŒber die Grenze nach Aschfeuer zu gelangen, sicher behilflich sein konnte. Diesen Mann wollten sie umgehend aufsuchen. Er residierte in einem nicht gerade klein geratenen Haus auf einem HĂŒgel, von dem aus man das geschĂ€ftige Treiben in Al Shahar bestens im Blick behalten konnte. Zwar war er nicht der Emir, aber immerhin ein einflussreicher Beamter. Dies gestattete ihm den Luxus, in einem solchen Anwesen zu leben. Im Kalifat von Yjasul kĂŒmmerte man sich stets um die Staatsbediensteten. Ein Mann im Dienste eines Emirs konnte sich eine goldene Nase verdienen, in einem Bassin voll mit MĂŒnzen schwimmen, Gelage und Orgien feiern oder sich einen Harem aus den schönsten TĂ€nzerinnen halten, solange er gut fĂŒr seinen Herren arbeitete. Denn Geld war der Gott der gewitzten WĂŒstenhĂ€ndler. Wer ausreichend reich war, konnte das Gesetz nach seinem eigenen Willen beugen - und zwar völlig legal. Mochte man seinen Nachbarn nicht, so durfte man ihm sein Heim unter dem Hinterteil wegkaufen und zum eigenen VergnĂŒgen abreißen, wenn man es denn wollte und nichts besseres mit dem Ersparten anzufangen wusste. Ebenso gewöhnungsbedĂŒrftig waren wohl die Persönlichkeitsrechte in diesem Land, wie die Neuankömmlinge schnell merken sollten. AbfĂ€llige Blicke straften Nebula. Sie dachte erst, es lĂ€ge an ihrer Reithaltung. Matt und ausgelaugt von der Hitze ließ sie alle Vier gerade sein und vom RĂŒcken Clays stolzen Schimmels herunter baumeln, der sie anstatt der eigenen Beine durch die Straßen trug. Doch das war es nicht, was die Einheimischen erzĂŒrnte. “Was haben die?”, fragte Nebula in die Runde. Sie ließ den Blick zu ihren Begleitern streifen und sah den unter viel Stoff verdeckten Kopf von Cerise. Diese hatte sich ein langes Tuch aus weißem Gewebe zu einem Kopftuch gefaltet, welches ihre Haare und alles unterhalb der Augen bedeckte. “Was tragt Ihr da?” “Wie ignorant von Euch”, tadelte die Rothaarige. “Habt Ihr Euch gar nicht mit der Kultur dieses Landes beschĂ€ftigt? Hierzulande gilt es schon als obszön, wenn eine Frau ihre Haare offen in der Öffentlichkeit zeigt. Geschweige denn, auf dem RĂŒcken eines Pferdes herum lungert. Man will es kaum glauben, aber es gibt tatsĂ€chlich Menschen, die noch verklemmter sind als Ihr, Prinzesschen.” In einem Anfall von Ärger richtete sich die blonde Prinzessin auf. “Ich bin nicht verklemmt!”, beschwerte sie sich und Zornesadern pulsierten auf ihrer Stirn. “Außerdem: Wieso soll ich meine Haare verbergen, nur weil ich eine Frau bin?” “Weil es davon zeugt, dass Ihr die BrĂ€uche anderer Völker respektiert.” Nebula ließ sich brummend zurĂŒck auf den PferderĂŒcken fallen. “Außerdem schĂŒtzt es den Kopf und Euch ereilt kein Hitzschlag.“ Nebula brummte entschiedener. “Und angepasst an die Massen, fĂ€llt das Liquidieren leichter.” Nebula zeigte Cerise einen Vogel. Außer dem omniprĂ€senten Impuls, dieser vorlauten Halbelfe den dĂŒrren Hals umzudrehen, plante sie momentan keine Morde. Sie bogen um eine Ecke und kamen auf einen großen Platz. Auf ihm standen halbnackte braungebrannte Menschen auf hölzernen Podesten, ausgestellt wie auf einem Viehmarkt. Ihre HĂ€nde waren auf dem RĂŒcken zusammengebunden und der rechte oder linke Fuß wurde von einer Kette mit klischeehafter Eisenkugel an ihrem Ende geziert. Annemarie, welche natĂŒrlich auch eine entsprechende Kopfbedeckung aus weißem Leinentuch trug, zupfte an Clays Mantel. “Hey, was sind das fĂŒr Leute?”, fragte sie den großgewachsenen BarttrĂ€ger. “Nun ja, das sind-”, versuchte dieser eine kindgerechte Umschreibung zu finden. “-Sklaven”, vollendete Cerise. “D-Das ist ja a-ab-abscheulich!”, entrĂŒstete sich Henrik. “Wieso?”, fragte Cerise provokant. “Weil d-das falsch ist!” “Hat man dich nicht auch einmal fast in die Sklaverei verkauft? Inwiefern ist das hier schlimmer als in Morgenstern? Wer den Schmutz eines anderen kritisiert, sollte zuerst den Dreck vor der eigenen TĂŒrschwelle wegkehren.” “A-Auch wieder wahr!” “Immerhin kann ein Sklave in Yjasul freigelassen werden, zu Geld kommen und eines Tages selbst Sklaven halten”, tönte eine unbekannte MĂ€nnerstimme. “Wer hier Sklave ist und wer Meister, das hĂ€ngt alles vom Geschick des Individuum ab.” Alle wandten sich dem Fremden zu. Sie erblickten einen schwarzhaarigen Mann mit dunklen Taint, welcher von zwei Wachen begleitet wurde. “Entschuldigt, ich vergaß mich vorzustellen. Mein Name ist Tarik.” Er begab sich zielstrebig zu Nebula, welche noch immer einen DurchhĂ€nger hatte. “Und Ihr mĂŒsst die Prinzessin sein.” Tarik nahm ihre Hand und kĂŒsste sie. “So ist es doch Sitte in Morgenstern?”, fragte er, um auf Nummer sicher zu gehen. “Selbst nass und verschwitzt seid Ihr noch immer eine Augenweide.” Clay wandte sich an Henrik. “Mitschreiben, Kleiner! So macht man das!” “Vielleicht solltet Ihr trotzdem in Betracht ziehen, ein Kopftuch zu tragen. So wie Ihr jetzt ausschaut, glaubt Euch niemand, eine HĂ€ndlerin aus der WĂŒste zu sein.” Daraufhin ging Tarik zurĂŒck zu seinen WĂ€chtern und wandte sich wieder an die ganze Gruppe. “Bitte folgt mir. Wir sollten die Einzelheiten ĂŒber Eure Weiterreise in meinem Anwesen besprechen.” Tarik brachte Nebula und ihre GefĂ€hrten in einer Karawane unter, welche sich auf dem Weg nach Argentoile befand, einer Stadt in Aschfeuer, die direkt am Pass zur WĂŒste von Yjasul lag. Es war alltĂ€glich, dass WĂŒstenhĂ€ndler diese Stadt besuchten und ihre Kostbarkeiten aus dem Orient feilboten. Manchmal blieben einige von ihnen fĂŒr lĂ€ngere Zeit im Land. Es wĂŒrde folglich niemand Fragen stellen, wenn ein paar der verhĂŒllten Gestalten weniger die RĂŒckreise antraten, als zuvor gekommen waren. Man wĂŒrde einfach vermuten, sie hĂ€tten lĂ€ngerfristige GeschĂ€fte in der Stadt zu tĂ€tigen. Mit diesem Trick wollten sie sich im Feindesland einschleichen und ihren Auftrag erfĂŒllen. Doch zuerst musste die WĂŒste durchquert werden. Nach einem heißen Tag verschaffte die Nacht die ersehnte AbkĂŒhlung. Ein sanfter Wind blies unter dem sternenklaren Himmel. Die KarawanenhĂ€ndler hatten an einer Oase Rast gemacht. Mitten in der WĂŒste erhob sich ein mĂ€chtiges Bergmassiv, in dessen Schutze einige aus Grundwasser gespeiste Seen Platz fanden. Sie gestatteten, jeglicher erdenklichen Fauna und Flora zu gedeihen, die man an so einem Ort erwarten wĂŒrde. Das Wasser ermöglichte das Wachstum von BĂŒschen, hohen GrĂ€sern und Palmen. Ebenso traf man hier verschiedene Pflanzen- und Fleischfresser am Boden an sowie bunte Singvögel und Primaten auf den Wipfeln der BĂ€ume. Allerdings schliefen diese Kreaturen zur spĂ€ten Stunde bereits. Noch nicht im Land der TrĂ€ume befanden sich die weiblichen Mitglieder der Gruppe. Nebula hatte tagsĂŒber so unter der Hitze gelitten, dass sie die anderen ĂŒberredete, in einem der kleineren TĂŒmpel ein erfrischendes Bad zu nehmen. Zudem empfand sie ihre eigenen AusdĂŒnstungen als höchst unangenehm. Nun saßen sie unter dem Sternenhimmel im Wasser und ließen es sich gut gehen. Ihre Kleider lagen ordentlich zusammengelegt am Rand des TĂŒmpels, welcher geformt war wie ein natĂŒrliches Badebassin. Die Stoffe und Leder warteten darauf, wieder angezogen zu werden. Doch dieser Moment lag noch in weiter Ferne. WĂ€hrend von Annemarie nicht viel mehr als der Kopf und der Hals aus dem GĂ€nsewein herausschauten, konnte man von den beiden erwachsenen Frauen mehr betrachten. WĂ€hrend Nebula sich bemĂŒhte, dass das Wasser wenigstens notdĂŒrftig ihre BrĂŒste bedeckte, scherte sich Cerise kein bisschen darum. Beide Arme auf den Rand gelegt, reckte sie ihre Reize den Sternen entgegen. Es war ja nicht so, dass sie um diese Zeit jemand sehen könnte. Und selbst wenn, wĂ€re es ihr egal. Sie war ĂŒberzeugt davon, das jeder der sie noch nicht nackt gesehen hatte, bisher nicht richtig gelebt hatte. Cerise schaute an Annemarie vorbei, welche genau zwischen ihnen saß, und beĂ€ugte die Versuche der Blonden ihren ĂŒppig bestĂŒckten Oberkörper unter der WasseroberflĂ€che zu behalten. Cerise nahm die Arme vom Rand und richtete sich auf. “Sagt, Prinzesschen, was macht Ihr da?”, fragte sie Nebula neckisch. “Wollt Ihr ihnen nicht auch etwas Luft gönnen?” “Wovon sprecht Ihr?”, wunderte sich die Blonde. “Na von Euren BrĂŒsten. Ihr seid so reich beschenkt worden und dennoch verbergt Ihr sie. Genießt Eure Jugend! Wenn Ihr erst alt seid, werdet Ihr ĂŒber sie stolpern.” Nebulas Wangen fĂ€rbten sich rot vor Scharm. “D-Das ist o-obszön!” “Ihr solltet unbedingt den Stock rausziehen!” Die Rothaarige ließ sich wieder in ihre vorherige bequeme Haltung zurĂŒck sinken. “Dann sitzt es sich viel bequemer.” “Hört auf, mich andauernd als verklemmt hinzustellen!” “Ein Pflugscharen verhakt in einer Wurzel könnte nicht so verklemmt sein.” “Ach, haltet doch Euer Maul!” Ein schelmisches Grinsen zierte Cerises Gesicht. Annemarie musste plötzlich laut lachen. “Ihr beiden seid so lustig”, meinte sie. Sie wollte ihre Heiterkeit nicht mehr einstellen. Neben dem GewĂ€sser, in dem die GefĂ€hrtinnen badeten, befand sich ein großer Stein, flankiert von hohen GrĂ€sern. Der perfekte Ort fĂŒr heimliche Zuschauer. Ein Augenpaar wurde immer grĂ¶ĂŸer, als es die Rothaarige betrachtete, welche die Freikörperkultur mit Wonne auslebte. Ein anderes Augenpaar verĂ€nderte sich hingegen nicht. Es schien diesen Anblick bereits gewohnt zu sein. “S-Sie ist wirklich a-atemberaubend”, stammelte eine unsichere Stimme vor sich hin. Sie gehörte Henrik, der noch immer unschlĂŒssig war, wieso er der Einladung des großen Mannes gefolgt war. “Finger weg!”, spaßte eine kraftvolle Stimme, nur so strotzend vor MĂ€nnlichkeit. Es war Clay, der Henrik zu dieser Aktion ĂŒberredet hatte. “Die gehört mir!” “Also ich wĂŒrde sie beide nehmen”, sprach eine dritte Stimme zwischen Henrik und Clay, welche beide dem anderen nicht zuordnen konnten. Schockiert sahen die beiden zu der Person zwischen ihnen. Sie erblickten einen blonden Jungen um die sechzehn Jahre. Seine bernsteinfarbenen Augen wirkten im Dunkel der Nacht wie ein tiefes Braun. “Wer zum Teufel bist du denn?!!”, riefen beide erschrocken aus. NatĂŒrlich blieb ihr Aufschrei nicht unbemerkt von den in aller Heimlichkeit observierten Damen. “Ist da wer?!”, rief Nebula erzĂŒrnt. “Zeigt Euch, Ihr perverser Spanner!” NatĂŒrlich folgte dieser Aufforderung niemand. WĂ€re sie nicht splitterfasernackt, Nebula wĂ€re lĂ€ngst aus dem Wasser gekommen, um diesen Widerling ins Jenseits zu befördern. “Oh, verdammt!”, fĂŒrchtete sich Henrik. “J-Jetzt sind wir des T-To-Toodes!” Er kauerte sich zusammen und legte beide HĂ€nde auf den Hinterkopf. “So f-fĂŒhlt es sich also an, w-wenn das Leben an ei-einem vorbei zieht.” Cerise machte keinerlei Anstalten, sich vor den heimlichen Beobachtern zu schĂ€men. LĂ€ssig entstieg sie im EvakostĂŒm dem Wasser und kam dem Stein mit verfĂŒhrerischen HĂŒftschwung nĂ€her, nur um kurz davor stehen zu bleiben. “Ich wĂŒrde zur Flucht raten!”, empfahl sie ruhig. “Das Blondchen dort hinten ist ein ganz klein wenig sauer.” Sie deutete mit dem Daumen ĂŒber ihre Schulter hinter sich in den kleinen Teich hinein, in dem Nebula bereits vor Wut stiebte. Plötzlich hob diese einen Arm. “Verberge in den Schatten, Shadowsheath!” Aus pulsierenden Adern trat eine FlĂŒssigkeit hervor, die Nebula in einem schwarzen Gewand verhĂŒllte. Zwar konnte sie die Teufelswaffe in der Dunkelheit nicht unsichtbar machen, doch sie erfĂŒllte dennoch ihren Zweck. Nun bedeckt, konnte sie dem Wasser entsteigen. Noch einmal streckte sie den rechten Arm in den Himmel. “Gehe hernieder, Gungnir, Speer des Himmels!” Ein pechschwarzer Blitz fuhr aus dem sternenklaren Himmel herab in ihre geöffnete Hand. Nebula umklammerte die entstandene Stangenwaffe und machte sich sogleich bereit, einen vernichtenden Angriff auf die Perverslinge niedergehen zu lassen. "Himmlische Strafe!" Gungnir ließ eine elektrische Entladung auf die hinter dem Stein versteckten schĂ€ndlichen Spanner herabregnen. “Argh!” Cerise verschrĂ€nkte die Arme. “Ich hab euch gewarnt...” 🌱 Der Fremde fĂŒhrte die Gruppe zu einer abgelegenen Höhle am Rande der Oase. Inzwischen waren alle wieder bekleidet. Allerdings, der spĂ€ten Stunde geschuldet, hatte man Annemarie lĂ€ngst ins Bett geschickt. Clay und Henrik standen die Haare noch immer vom Körper ab und einige Brandspuren zeichneten sich an ihren versengten Spitzen ab. Im Großen und Ganzen hatten sie die Attacke ganz gut ĂŒberstanden. Nebula ließ sie wohl doch nicht ihre volle Kraft spĂŒren. Dennoch fĂŒhlten sie sich beinahe wie BratwĂŒrste auf einem Elektrogrill - nur dass weder das eine noch das andere in absehbarer Zeit erfunden wĂŒrde. Sie kamen nicht so glimpflich davon, wie der Fremde. Nicht nur, dass ihm die ElektrizitĂ€t des Blitzes nichts auszumachen schien, er besaß auch noch die Dreistigkeit, sie bei einer wichtigen Angelegenheit um Hilfe zu bitten. “Sagt mal, Fremder”, sprach Clay den jungen blonden Mann an. “Wieso konntet Ihr dem Angriff von eben so gut widerstehen?” “Der Donner ist mein Element”, antwortete dieser auf die Frage. “Man kann mich nicht damit verletzen.” “I-Ihr GlĂŒcklicher”, kommentierte Henrik. Der Fremde hatte sie gebeten, einem Verletzten zu helfen. Aus diesem Grund plĂŒnderten Nebula und die anderen ihre VorrĂ€te, um Verbandsmaterial und Schmerzmittel zusammenzutragen. Eigentlich wĂŒrde sie einem verwegenen Wicht von seinem Schlag nicht ĂŒber den Weg trauen, aber Nebula fĂŒhlte echte Sorge und wahre GefĂŒhle in seinen Worten und beschloss deshalb, zu Gunsten der verwundeten Person, ĂŒber sein Verhalten hinwegzusehen - vorerst. Endlich erreichten sie den Eingang zur Höhle, welcher vom Blattwerk verborgen war. Vorsichtig traten sie ein. Auf dem kĂŒhlen roten Stein sahen sie eine schwarzhaarige Frau liegen, deren entkleideter Oberkörper von Bandagen bedeckt war. Sie war augenscheinlich bewusstlos, atmete jedoch recht gleichmĂ€ĂŸig. “Ist sie das?”, fragte Nebula. “Ja, das ist meine... Bekannte.” Der Fremde hockte sich neben der Verletzten hin und rollte ihren Körper vorsichtig auf die Vorderseite. Am RĂŒcken waren die Bandagen getrĂ€nkt in Blut. “Vor einigen Tagen fand ich diese Oase. Die Höhle wurde anscheinend frĂŒher als Rastplatz genutzt. Ich fand einige VorrĂ€te. Aber seitdem waren wir hier allein. Ich fĂŒrchtete, niemand wĂŒrde hierher kommen.” “W-Was ist m-mit der Frau geschehen?”, fragte Henrik erschrocken. “Wir wurden angegriffen. Sie hat versucht, mich zu beschĂŒtzen.” “Wer hat das getan?”, wollte Nebula wissen. “Das ist nicht weiter wichtig!” Der Fremde sah auf seine Begleiterin herab. “Ist zufĂ€llig ein Heiler unter euch?” Annemarie könnte jetzt helfen, immerhin hat sie einen Crashkurs in Heilkunde vom Hofzauberer Arngrimir erhalten. Aber sie war in diesem Moment bestimmt lĂ€ngst im Reich der TrĂ€ume angekommen. Sie ins Bett zu schicken, war wohl ein Fehler. “Sehen wir uns zuerst die Verletzungen an”, schlug Cerise vor. Vorsichtig begannen sie und Nebula die Verletzte von ihren VerbĂ€nden zu befreien. WĂ€hrend Nebula den Körper anhob, wickelte Cerise die blutigen Bandagen auf, bis die Verletzungen am RĂŒcken frei lagen. Daraufhin legte Nebula die Fremde wieder auf den Boden ab. Verwundert blickten die Helfer die kreisrunden, perfekten Wunden im Fleisch der Frau an. “Welche Waffe hat das verursacht?”, fragte Nebula. “Die WundrĂ€nder sind perfekt. Wie ausgeschnitten!”, stellte Cerise fest. “Das waren niemals Pfeile oder Bolzen!” Derweil fiel Henriks Blick auf zwei seltsame Taschen an einem GĂŒrtel, in denen merkwĂŒrdige GegenstĂ€nde steckten. Die Objekte weckten seine Neugier und er ging unbemerkt von den anderen auf sie zu, um sie sich genauer anzusehen. Vorsichtig nahm er eines von ihnen heraus und bestaunte es. Es erinnerte ihn an die Form eines Winkels. Ein Rohr ragte auf der einen Seite aus einem grĂ¶ĂŸeren StĂŒck Metall heraus, fĂŒr dessen Form er keine Beschreibung fand. Das andere Ende war mit Leder umwickelt und erinnerte ihn an den Griff eines Schwertes. Er drehte und wendete es in seinen HĂ€nden. Er schaute auch hinein in dieses merkwĂŒrdige Rohr. Wozu es wohl gut war? Seine Aufmerksamkeit wechselte zu dem Griff. Das Rohr zeigte inzwischen weg von ihm auf eine Felswand. An der Stelle, wo sich die beiden HĂ€lften des Objektes trafen, befand sich ein kleiner Hebel, den Henrik lieber nicht betĂ€tigte. Aus Versehen berĂŒhrte er allerdings einen Knopf darunter. Ruckartig wurde eine scharfe Klinge ĂŒber dem Rohr ausgefahren. Sie kam aus dem hinteren Teil und entfaltete sich aus mehreren Segmenten. Vor Schreck entglitt Henrik das Objekt und fiel auf den Boden. Dem dumpfen Auftreffen folgte ein lauter Knall. In der Wand erschien ein kreisrundes Loch. Panisch sprang Henrik in einem Satz zurĂŒck. “Wa-Wa-Was ist d-das?!”, rief er laut aus und riss komödiantisch die Arme ĂŒber den Kopf. Die anderen wurden ebenfalls aufgeschreckt von dem lauten Knall und sahen unvermittelt zu Henrik und dem zu Boden gegangenen Gegenstand. Sofort löste sich Cerise von den anderen und untersuchte die noch immer dampfende Perforation im Felsgestein. “Ein kreisrundes, sauberes Loch”, stellte sie fest. “Genau wie die Wunden in ihrem RĂŒcken.” Die anderen sahen den Fremden erwartungsvoll an. “Was sind das fĂŒr Dinger?”, wollte Nebula wissen. “Bayonetpistolen”, antwortete der Unbekannte. “Es klang wie ein Kanonendonner. Aber diese Waffen sind riesig und teuer. Man kann sie nicht einfach so in der Hand halten.” “W-Was fĂŒr eine f-fortsch-schrittliche Technik”, staunte Henrik. Die Esmeralda hatte ebenfalls ein paar Kanonen an Bord, allerdings konnten sie sie beim Angriff des Kraken nicht einsetzen, weil er zu nah am Schiff war. Aber dass man eine so kleine Kanone bauen konnte, dass sie in HĂ€nden gehalten werden konnte, klang fĂŒr ihn so utopisch, wie eine Kolonie auf dem Mars es fĂŒr uns heute tut. Nebula begann, den Fremden Ă€ußerst skeptisch anzusehen. “Wer seid Ihr, Fremder?”, fragte die Blondine. Der Angesprochene ĂŒberlegte kurz, ob er diesen Leuten weit genug vertrauen wollte. Er fĂŒrchtete, keine andere Wahl zu haben. “Mein Name ist Toshiro.” Er blickte auf die auf dem Boden liegende Verletzte. “Ihr Name ist Aki.” “K-Kann ich mir d-das mal genauer ansehen?”, fragte der inzwischen wieder zu den anderen heran getretene Henrik. Er hockte sich neben Aki und sah sich die blutigen Löcher in ihrem RĂŒcken genau an. “D-Da steckt noch immer etwas drin. Wi-Wir sollten das zerst entfernen, sonst entzĂŒndet es sich noch schlimmer.” “Das habe ich schon versucht”, erklĂ€rte Toshiro. “Ich habe die Kugeln nicht herausbekommen.” “Dann lasst mich mal ran!” Henrik hielt die rechte Hand etwa zehn Zentimeter ĂŒber Akis RĂŒcken und konzentrierte sich. Kanonenkugeln waren aus Metall, diese Kugeln waren es bestimmt ebenfalls. Rote FlĂŒssigkeit trat aus den Wunden aus. Vorsichtig hob Henrik den Arm. Aus der blutigen Substanz stiegen die kleinen verbeulten Metallkugeln auf und flogen langsam auf seine HandflĂ€che zu. Henrik umfasste die Projektile und steckte sie in eine seiner Taschen. Toshiro beobachtete die Demonstration seiner KrĂ€fte mit Verwunderung. “Lasst uns nun die Wunden sĂ€ubern”, schlug Cerise vor. Bevor sie beginnen konnte, sah Nebula die mĂ€nnlichen Anwesenden grimmig an. Diese verstanden sofort und verließen die Höhle. Den Fehler von vorhin wollten sie um keinen Preis wiederholen! Cerise öffnete die Flasche Schnaps, welche sie zum Zwecke der Desinfektion mitbrachten. Zwar waren Bakterien und Viren völlig unbekannt, dennoch wusste man, dass Alkohol die Gefahr von EntzĂŒndungen durch dreckige Wunden verminderte. Doch bevor Cerise mit dem GebrĂ€u einen Lappen trĂ€nkte, schĂŒttete sie zuerst etwas davon unter Nebulas entsetztem Blick in die eigene Kehle. Als spĂ€ter der Alkohol die Wunden berĂŒhrte und entsetzlich brannte, konnten Cerise und Nebula den Körper der Schwarzhaarigen unter Einfluss der Schmerzen erbeben fĂŒhlen und ein schwaches Stöhnen vernehmen. WĂ€hrend die Frauen Aki versorgten und den Verband wechselten, nutzten die MĂ€nner die Zeit, sich besser kennenzulernen. Man hatte sie sowieso vor die sprichwörtliche TĂŒr gesetzt. Wenig spĂ€ter durften sie wieder eintreten und Clay wurde mit der Aufgabe betraut, die Verletzte zu tragen. FĂŒrs Erste war Aki wohl stabil. Dennoch brauchte sie dringend richtige medizinische Versorgung. Und die konnte ihr nur der Arzt der Karawane bieten. Von der abgelegenen Höhle, vorbei an dem kleinen TĂŒmpel, an dem sich zuvor unermessliche menschliche Dramen abgespielt hatten, bis zum Rastplatz der Karawane war es ein ansehnlicher Fußmarsch. Die Entfernung zu den die Oase umrandenden Felsformationen war nicht gerade gering. Der Weg beanspruchte jeweils eine gute Stunde. Da ĂŒberraschte es auch nicht, dass sie nichts von den Ereignissen mitbekommen hatten, die sich unterdessen im Lager zutrugen. Als sie sich nĂ€herten, registrierten sie, dass etwas nicht stimmte. Wuselige Gestalten rannten aufgescheucht umher. Zelte waren zusammengebrochen. Kisten lagen verstreut. Fackeln umgestoßen und erloschen im Sand. Einige Körper lagen reglos im Gras. Sofort rannten Cerise, Henrik, Nebula und Toshiro dem Lager entgegen. Clay beschleunigte ebenfalls seinen Gang, versuchte jedoch, das MĂ€dchen in seinen Armen zu schonen. Dennoch musste sie Schmerz spĂŒren, denn sie öffnete kurz ihre Augen. “Oji-sama... Wo seid Ihr?”, sprach sie schwach und gebrochen. “Könnt Ihr mich hören?”, fragte Clay besorgt. Aber Aki war bereits wieder weggetreten. Clay beeilte sich. Er musste seinen Passagier unbedingt loswerden. Je lĂ€nger er sie trug und der Geruch ihres sĂŒĂŸen Blutes in seine Nase stieg, desto stĂ€rker verspĂŒrte er den Drang, seine ZĂ€hne in ihr Fleisch zu schlagen. Der Hunger der Bestie brannte in seinem Inneren. Es widerte ihn an! Er hasste sich dafĂŒr. Derweil erreichten die anderen das Lager. Nebula lief ein aufgeregter HĂ€ndler in die Arme. Als er sich einfach nicht beruhigen wollte, packte sie ihn und schlug ihm ins Gesicht. “Wer hat uns ĂŒberfallen?!”. Die anderen beĂ€ugten dies entsetzt. Erstaunlicherweise schien der Treffer den Panikanfall des Mannes zu lindern. “D-Das w-wa-waren die WĂŒstenrĂ€uber!", antwortete er aufgeregt. “Sie ha-haben uns angegriffen. U-Und da w-war ihre AnfĂŒhrerin m-mit diesem schwarzen T-Teppich. S-Sie hat a-alles umher gewirbelt!” “Teufelswaffe!”, antwortete Nebula und ließ den Mann los. “Hier sieht es ja aus”, kommentierte Cerise. “Schlimmer als unter meinem Sofa.” “D-Das ist jetzt nicht der Zeitpunkt fĂŒr Sch-Scherze!”, ermahnte Henrik. Cerise ĂŒberraschte sein ungewohnt selbstsicheres Auftreten. Henrik sah sich die Verletzten genauer an. Sie hatten Platzwunden, KnochenbrĂŒche und blutende SchĂŒrfwunden. Aber keiner von ihnen schien schwer verletzt zu sein. “Das ist gut!”, dachte er lau. “Annemarie sollte sie
 !! Annemarie?!”, rief er aus und begann, wie wild durch das Lager zu flitzen. Auch Nebula rannte los. Sie dachte jedoch zuerst an jemand anderen. “Caroline!” Ihrem Körper war hoffentlich nichts widerfahren. Der Rest hatte kaum eine andere Wahl, als beiden zu folgen, wollten sie nicht einfach nutzlos in der Gegend herumstehen. Bei ihren Zelten angekommen, entdeckte Henrik einen Zettel im Boden, durch den ein Dolch gestoßen war. Nebula hingegen zog es zum unsanft vom Wagen geworfenen Sarg von Caroline. Sein unteres Ende berĂŒhrte den Boden, der obere Teil lehnte noch immer an den Wagen. Der Deckel war abgesprungen und lag daneben. Ein Arm von Caroline hing ĂŒber den Rand des Sarges hinaus in der Luft. Cerise und Toshiro holten die anderen ein. Der blonde Fremdling sah Henrik mit dem StĂŒck Papier in seiner Hand und ergriff eine Fackel, die nicht weit von ihm im Boden lag. An ihr befand sich noch genug Brennmaterial, also benutzte er seine KrĂ€fte und erschuf einen Funken, welcher sie entzĂŒndete. Mit dem Licht war es Henrik nun möglich, den Text zu erkennen. Ein Salat aus merkwĂŒrdigen Zeichen, die er nicht deuten konnte. Was diese fremde Sprache betrifft, war er noch immer ein Analphabet. Cerise riss den Zettel aus seiner Hand. Ihr rudimentĂ€res VerstĂ€ndnis dieser Sprache musste dafĂŒr ausreichen. “Sie haben Annemarie!”, verkĂŒndete sie. “Sie schreiben außerdem, dass sie von den Teufelswaffen wissen. Haben uns wohl schon lĂ€nger beobachtet. Äußerst lobenswerte Spionagearbeit, wenn ich das anmerken darf! Ich habe sie nicht bemerkt
 Ach ja, sie verlangen die Herausgabe, sonst geht es Annemarie an den Kragen.” Henrik ließ vor Schreck die Fackel fallen. “O-Oh nein! Das...! Wir mĂŒssen sie retten!” Doch Nebula vernahm diese Worte lĂ€ngst nicht mehr, da sich plötzlich der Arm von Caroline bewegte. Vorsichtig stĂŒtzten sich zwei HĂ€nde vom Rand des Sarges ab und jemand versuchte, ihm zu entsteigen. Wackelig auf den Beinen, erhob sich eine sichtlich verwirrte Caroline. “Wo bin ich?”, fragte sie. 🌱 Alaric war inmitten der Vorbereitungen fĂŒr eine bald anstehende Reise zum wichtigsten Verteidigungswall im Norden des Kaiserreiches gefangen. In den heißen Aschlanden tickten die Uhren anders, weshalb er um diese Zeit noch arbeitete. Er wĂŒrde dem StĂŒtzpunkt am kĂ€ltesten Punkt des Imperiums einen Besuch abstatten. Ein Tapetenwechsel, welcher ihm nicht ungelegen kam. Die Einrichtung wollte auf ihre EffektivitĂ€t und ihre Effizienz bei der Verteidigung gegen die wilden Barbarenhorden aus dem eisigen Frys geprĂŒft werden. Allerdings musste er zuerst die Schlacht gegen den Papiertiger gewinnen. Alaric hatte sich sagen lassen, die BĂŒrokratie im Reich fand einzig im WĂŒstenstaat am anderen Ende des Kontinents einen wĂŒrdigen Konkurrenten. Persönlich konnte er das weder widerlegen noch bestĂ€tigen. Er hatte noch nicht das VergnĂŒgen, das Kalifat zu bereisen. Dort gab es viel zu viel Sonnenschein! Dennoch wusste Alaric, dass man es stets genau nehmen musste. Die BĂŒrokratie war wie die Steinschleuder der Ordnung, durch die der Gigant des Chaos und der WillkĂŒr erschlagen wurde. Das Ă€nderte allerdings nichts daran, dass er dringend eine Pause brauchte. Es war ihm, als haben die Worte ihr Eigenleben entwickelt und sprangen vom Blatt herunter. Sein Auge schmerzte von all dem Lesen. Alaric erhob sich von seinem Arbeitstisch und schritt in seinen GemĂ€chern umher. Tag und Nacht hatten im Herzen von Aschfeuer keinerlei Bedeutung. Rund um die Uhr schimmerte der rote Schein des Lavasees unter dem Schwarzen Palast durch die Blei gefassten Fenster und ließ die Einrichtung in einem feurigen Rot erscheinen. Ein BĂŒcherregal gefĂŒllt mit den wichtigsten Werken aus Philosophie, Wissenschaft und Poesie aller Rassen befand sich an einer Wand. Selbst Werke von menschlichen Autoren hatten ihren Weg in seinen Besitz gefunden, denn anders als seine Schwester verurteilte er niemanden wegen seiner Rasse vor. Das Licht fiel auch auf das Himmelbett, dessen schwarze SeidentĂŒcher es vollkommen schluckten. Auf dem glatten Basaltboden war ein Teppich ausgelegt, dessen kunstvoll gewebten Muster in den HĂ€nden eines Meisters seines Fachs tief in der WĂŒste entstanden sein mussten. Außerdem besaß Alric mehrere KleiderschrĂ€nke und einen Bereich mit Sichtschutz, an dem er seine Geschmeide anprobieren konnte. Wahrscheinlich wĂŒrde er aber einfach nur eine Uniform tragen, die seinen Rang zweifelsfrei allen Kund tĂ€te, die sie sĂ€hen. An der TĂŒr einer der SchrĂ€nke war ein lebensgroßer Spiegel angebracht. Ein ehrenhafter Mann musste stets darauf achten, dass seine Kleidung ordentlich saß, um nicht zur Lachnummer zu werden und Schande auf sich zu laden. Ein weiterer, kleinerer, befand sich auf einer Kommode, vor der ein Hocker stand. Alaric erinnerte sich daran, den neuen Mantel probieren zu wollen. Sein neuestes Auftragswerk an den kaiserlichen Schneider erblickte erst kĂŒrzlich das Licht der Welt und er hatte bis jetzt noch nicht das VergnĂŒgen gehabt, es einmal ĂŒberzustreifen. Da er den Papierkrieg heute gewiss nicht mehr gewinnen konnte, schien nun der rechte Moment gekommen. Er öffnete den Schrank, entnahm das KleidungsstĂŒck und probierte es an. An der SpiegeltĂŒr konnte er sich davon ĂŒberzeugen, dass es perfekt saß. Er blinzelte und bekam im nĂ€chsten Moment einen Schreck, da er eine Person hinter sich zu sehen glaubte. Sofort wandte er sich um, nur um niemanden zu entdecken. “Wer ist da?!”, rief er aus, erhielt aber keine Antwort. Verwirrt sah er sich um, bis ihm plötzlich schwarz vor Augen wurde. Wie versteinert stand Nebula da und betrachtete unglĂ€ubig die umherwandernde Caroline. So lange lag sie regungslos, seelenlos, in ihrem Sarg. Keiner vermochte ihr zu helfen. Und nun stand sie einfach so von selbst wieder auf? “Caro!”, rief sie ihr zu. Egal ob sie wachte oder trĂ€umte, die Gelegenheit, ihre Freundin in den Arm zu nehmen, ließ sie nicht ungenutzt verstreichen. FĂŒr die sonst so taffe Kriegerin gab es kein Halten mehr. Mit einer Wucht, dass sie sie fast zu Boden riss, fiel Nebula Caroline um den Hals. “Ist das wirklich wahr?” Sie konnte sie berĂŒhren. FĂŒhlen. Es musste also real sein. Dennoch wollte sie nicht begreifen, dass das tatsĂ€chlich gerade passierte. Die anderen betrachteten die Szene mit Ă€ußerster Verwunderung. Insbesondere Toshiro fragte sich, was es mit dem just dem Sarg entstiegenen MĂ€dchen auf sich hatte. Und warum sah sie fast genauso aus wie diese Nebula? “Wo bin ich hier, Emmi?”, fragte Caroline. “War ich nicht eben noch im Palast?” Sie war mindestens so verwirrt wie alle anderen. “Nein! Ich-” “Du bist jetzt hier!”, unterbrach Nebula. In ihrer Freude konnte sie ihre KrĂ€fte fast nicht im Zaum halten und presste Carolines Körper an den ihren. “Langsam! N-Nicht so stĂŒrmisch!” Zum GlĂŒck begriff Nebula, bevor Caroline blau anlief, und löste ihren unbeabsichtigten WĂŒrgegriff, der selbst eine Anakonda vor Neid platzen lassen wĂŒrde. “Da wo ich war, war ĂŒberall SchwĂ€rze.” Nebula packte Carolines Gesicht mit beiden HĂ€nden und lehnte ihre Stirn an ihre. “Das ist doch jetzt alles nicht mehr wichtig!” Sie konnte ihre TrĂ€nen nicht zurĂŒckhalten. “Genau!”, rief Cerise dazwischen. “Wer immer die Karawane ĂŒberfallen hat, hat Annemarie entfĂŒhrt. Vielleicht gedenkt Ihr etwas dagegen zu unternehmen?” Als ob es ihr erst jetzt richtig bewusst geworden wĂ€re, wandte sich Nebula an die anderen. Ein kurzes Schniefen. Ein hastiges Wegwischen der TrĂ€nen. Dann war sie sprechbereit: “Ihr habt Recht! Ihre Sicherheit hat Vorrang!” Carolines Verwirrung vermochten Worte nicht mehr zu beschreiben. Bevor er sich zusammen mit Cerise auf Spurensuche begab, trug Clay die verletzte Aki zurĂŒck zu den Zelten und legte sie in das seine. Sie hatte einen warmen Platz zum Schlafen nötiger als er. Ihre Worte von vorher erinnerten ihn an etwas. Seine Frau hatte immer behauptet, ihre Familie stamme von Inseln ab, die seit Jahr und Tag von den Karten verschwunden waren. Anders als viele ihrer Bekannten, hatte er nie daran gezweifelt, dass ihre Wurzeln tatsĂ€chlich in diesem sagenumwobenen Land lagen und ließ sich von ihr sogar die fremdartige Sprache lehren, die sie ihrerseits von ihrem Urgroßvater gelernt hatte. Oji bedeutet so viel wie Prinz. Wenn also diese fremde Frau nach einem Prinzen rief und ihr einziger Begleiter ein junger Mann war, konnte es dann sein, dass er nicht nur ein Gewöhnlicher, sonder ein Adliger war? Das sollte er ihn spĂ€ter lieber selbst fragen. Im Moment lenkten ihn die Gedanken nur ab. Gemeinsam untersuchten sie die Hinterlassenschaften der Angreifer und entdeckten bald mehrere Paar Fußspuren auf dem sandigen Boden. Vorsichtig beschlossen sie, ihnen zu folgen und fanden bald darauf tatsĂ€chlich das Lager der WĂŒstenrĂ€uber. Es waren viele an der Zahl. Bestimmt an die dreißig oder vierzig Mann. Auf jeden Fall zu viele, um einen Frontalangriff zu riskieren. Die Gefahr, dass einer von ihnen Annemarie Leid zufĂŒgen könnte, bevor sie dazu kĂ€men, sie alle zu erschlagen, war zu groß. “Das sind einige...”, flĂŒsterte Clay. “Ich weiß was Ihr sagen wollt”, bestĂ€tigte Cerise. “Es wĂ€re sehr gewagt, die Kavallerie zu rufen.” Mit ‘Kavallerie’ meinte sie offensichtlich den Rest der Truppe, allen voran Nebula, welche gewiss in kĂŒrzester Zeit durch das Lager fegen tĂ€te. “Wie wollen wir vorgehen?” “Wir werden sie beobachten. Sie wissen von Prinzesschens KrĂ€ften und ein Waffenmeister ist unter ihnen. Wenn es uns gelingt, diese Frau mit diesem Teufelsteppich auszuschalten, wird es einfacher den Rest zu erledigen.” “Teufelsteppich?” “EingĂ€ngiger Name, oder?” Cerise grinste und lobte sich selbst. “Manchmal habe ich Angst davor, wie gut ich bin. “Laut dem HĂ€ndler folgen ihr diese MĂ€nner blind.” “Gut!”, meinte Cerise. “Dann werden sie mich nicht kommen sehen.” Sie schlich auf einmal auf das Lager zu. “Wo wollt Ihr hin?”, wollte Clay wissen. “Ich will mir das Ganze aus der NĂ€he ansehen. Dort hinten wird ein kleines Zelt von jemandem bewacht. Es ist das einzige, das bewacht wird. Ich bezweifle, dass die AnfĂŒhrerin in so einem kleinen Zelt hockt. Dort werden sie Annemarie gefangen halten. Ich will versuchen, sie zu befreien. Ihr haltet indes die Stellung. Wenn ich das Zeichen gebe, oder falls etwas Unvorhergesehenes passiert, erschießt Ihr die AnfĂŒhrerin.” Clay gefiel der Gedanke nicht, auf ein Zeichen warten zu mĂŒssen, bis er einschreiten konnte. Viel lieber wollte er seiner Geliebten tatkrĂ€ftig zur Seite stehen. Wozu war er sonst ein Mann? Wenn sie aber glaubte, dass es so besser war, wollte er ihr nicht reinreden. “Alles klar. Ich habe verstanden.” Als sich Cerise schon abgewandt hatte und dabei war, mit dem Buschwerk zu verschmelzen, fĂŒgte er noch an: “Viel GlĂŒck.” Cerise drehte sich kurz um und pfiff abfĂ€llig. “Das GlĂŒck hat gar keine andere Wahl, als mir Hold zu sein.” Dann drang sie tiefer ein und verschwand aus seinem Blickfeld. Clay beschloss, sich auf die Aufgabe zu konzentrieren, die Cerise ihm aufgetragen hatte, und suchte nach der AnfĂŒhrerin dieses Haufens. Unterdessen blieb der Rest der Gruppe im Lager. Ohne Kenntnis ĂŒber den Standpunkt des RĂ€uberlagers, blieb ihnen sowieso nicht viel mehr ĂŒbrig, als auf den nĂ€chsten Tag zu warten. Henrik saß am Lagerfeuer und stocherte mit einem SchĂŒrhaken in den Hölzern und Kohlen herum. Er dachte, dass Nebula gern mit Caroline allein sein wollte. Als Toshiro in das andere Zelt ging, um bei Aki Wache zu halten, ergriff auch Henrik die Gelegenheit, sich davon zu stehlen. Auch er fragte sich, was es mit Carolines Erwachen auf sich hatte, doch ohne Anhaltspunkte, wĂŒrde er sowieso zu keinem anstĂ€ndigen Ergebnis kommen. Nebula und Caroline saßen sich im Schein einer rustikalen Laterne im Zelt gegenĂŒber und wechselten lang ersehnte Worte. “Du nennst diesen Ort Limbus?”, hakte Caroline nach. “Wie die Vorhölle?” “Es ist eine endlose schwarze Weite”, veranschaulichte Nebula. “Niemand ist da. Man ist ganz allein. Ja, es ist eine treffende Umschreibung. Es ist der Ort, an den man geht, wenn einen weder Himmel noch Hölle haben will.” “FĂŒr mich war es, als sei der Ball erst gestern gewesen. Dabei ist er bereits viele Wochen her. Du hast in dieser Zeit sogar einen Ozean ĂŒberquert.” “Man verliert jegliches GefĂŒhl fĂŒr Zeit. Ob ein Tag oder ein Jahrhundert vergeht, kann man unmöglich einschĂ€tzen. Es ist ein Moment, der sich fĂŒr eine Ewigkeit in die LĂ€nge zieht und doch nur einen Wimpernschlag andauert.” Auf einmal verlor Caroline jegliche Beherrschung und begann zu schluchzen. “Ich bin so froh, dass ich diesen Ort verlassen konnte!”, brachte sie zwischen hektischen AtemstĂ¶ĂŸen hervor. “Ich will nie wieder dort hin!” Nebula umklammerte ihre Freundin und legte ihren Kopf ĂŒber ihre Schulter, so dass Caroline nicht sehen konnte, dass ihr selbst die TrĂ€nen kamen. “Keine Angst! Ich lasse nicht zu, dass du nochmal dort hin musst!” Gefesselt und geknebelt saß Annemarie in einem abgedunkelten Raum zwischen Kisten und SĂ€cken. Sie konnte nicht schlafen, wĂ€hrend die anderen dem fremden Mann folgten. Stattdessen hĂŒtete sie das Feuer, als plötzlich die Halunken kamen und die Karawane ĂŒberfielen. Annemarie versuchte noch, ein sicheres Versteck zu finden, aber es war ihr nicht mehr gelungen. Die RĂ€uber durchwĂŒhlten alles. Nicht einmal vor dem Sarg von Caroline hatten sie Respekt. Da war es wenig verwunderlich, dass sie Annemarie auf der Suche nach verborgenen Wertsachen aus dem Fass heraus zogen, in das sie zuvor gekrochen war. Sie verschleppten sie an einen unbekannten Ort. Alles, was sie gerade noch mitbekam, war, wie sie in dieses vollgestellte muffige Zelt gesteckt wurde. Der Stoff oft gerissen und noch öfter mit Fetzen von alten KleidungsstĂŒcken geflickt. Wahrscheinlich bewahrten sie hier ihre VorrĂ€te und ihre Beute auf. Fixiert und zu keiner Bewegung fĂ€hig, sehnte sich Annemarie nach ihrem Schlafsack. Den wĂŒrde sie jedoch nicht so schnell wiedersehen, bedachte sie ihre Fesseln und die Wache, welche außen vor dem Zelt stand. Morgen sollte sie im Austausch gegen Nebulas Waffen freigelassen werden. So viel hatte sie noch aufschnappen können. Doch diesen Forderungen nachzugeben, kĂ€me Nebula nie in den Sinn. Wahrscheinlich musste Annemarie jetzt fĂŒr immer hier bleiben. Traurig senkte sie den Kopf. Plötzlich vernahm sie ein Rascheln hinter sich. Von was wurde es hervorgerufen? Eilig wandte sich das MĂ€dchen der Quelle zu. Aus einem in die Leinwand geschlitzten Spalt drang still und heimlich ein vertrautes Gesicht ein. In Hockstellung schob sich ein buschiger Pferdeschwanz, dessen Kirschrot durch das spĂ€rliche Mondlicht gerade mal erahnt werden konnte. Annemarie hĂ€tte ihre Freude gern herausgeschrien, allerdings wĂ€re dies in dieser Situation fatal gewesen. Außerdem verhinderte es der Knebel in ihrem Mund. Cerise legte einen Finger auf ihre Lippen, als sie den offiziellen Eingang des Zeltes erreichte, um das MĂ€dchen zu animieren, ihre hektischen Bewegungen einzustellen. Sorgsam schob sie den Stoff ein StĂŒck, um hindurch zu sehen. Rechts konnte sie niemanden entdecken. Auf der linken Seite stand ein muskelbepackter Grobian. Er war jedoch viel zu weit weg vom Eingang, als das Cerise in der Lage gewesen wĂ€re, ihn schnell und heimlich auszuschalten. Stattdessen musste eine List her. Ein polterndes GerĂ€usch drang aus dem Zelt an das Ohr der Wache. Sofort schrillten seine Alarmglocken und er betrat das Zelt. Zwischen dem gelagerten Diebesgut vorangegangener Karawanen saß das MĂ€dchen, welches er bewachen sollte, noch immer brav an ihrem Platz. Zugegeben, eine andere Wahl blieb ihr sowieso nicht. Er grĂŒbelte noch, was dieses GerĂ€usch ausgelöst haben könnte, als ihn eine Hand von hinten packte und ihm den Mund zuhielt, wĂ€hrend eine zweite mit scharfer Klinge bewaffnet seine Kehle auftrennte. Ein Schwall Blut spritzte durch das kleine Zelt. Auch Annemarie bekam etwas davon ab. Ein Blutstropfen verirrte sich auf ihre Wange. Vorsichtig legte Cerise den Körper ihres jĂŒngsten Opfers nieder und begab sich zu Annemarie. Mit noch blutiger Klinge trennte sie den Knebel um ihren Mund und die Fesseln an Armen und Beinen auf. Hastig atmete Annemarie ein und aus, nachdem sie von ihnen befreit war. “Lass uns von hier verschwinden!”, sprach Cerise. “Und sei ja leise!” Nach diesen mahnenden Worten schlĂŒpfen beide nacheinander durch den frisch hinzugefĂŒgten Hinterausgang und durch die BĂŒsche in die Freiheit. Auf jemanden achten, der auf die Beschreibung passte, hatte sie gesagt. Auf ihr Signal warten und dann schießen, hatte sie gesagt. Sie hatte viel gesagt. Clay konnte zwar mit seinen tierischen Sinnen die Frau deutlich riechen, aber wo genau sie sich zwischen den ungewaschenen stinkenden RĂ€ubern befand, wusste er deshalb noch lange nicht. Auch aus dem Schlagen von drei Dutzend Herzen konnte er keine hilfreichen Informationen entnehmen. Der kleine Unterschied zwischen Mann und Frau schloss dieses Organ leider nicht mit ein. Er sammelte sich. Mit wieder klarem Verstand und Ziel vor den imaginĂ€ren Augen, suchte der JĂ€ger nun nach der Beute. Und er wurde fĂŒndig. Unscheinbar, fast schon unsichtbar, gegen das wilde und protzige Gehabe ihrer DiebesgefĂ€hrten, saß eine gut gekleidete Frau an einem Lagerfeuer und pulte sich mit einem Zahnstocher die Reste des Abendmahl aus den ZahnzwischenrĂ€umen. Sie musste es sein. Clay nahm einen Pfeil aus dem Köcher und spannte seinen Bogen. In jenem Moment raschelte etwas in den BĂŒschen. Clay verschwendete keinen Gedanken daran, sein Ziel aus den Augen zu lassen, denn er hatte Annemarie und Cerise bereits an ihren unverwechselbaren EigengerĂŒchen erkannt. “Ihr habt sie gefunden?”, fragte er rhetorisch. “NatĂŒrlich”, entgegnete die Rothaarige. “Und weil ich schon dabei war, gleich noch einen der RĂ€uber erledigt.” “Klasse! Sind ja nur noch Dutzende ĂŒbrig.” “Hey, Sarkasmus ist mein Verantwortungsbereich!”, tadelte Cerise. “Ich habe die AnfĂŒhrerin ausfindig gemacht”, verkĂŒndete Clay. “Wirklich?!” Cerise ließ sich von Clay auf die Frau aufmerksam machen. “Du kannst sie jetzt gern erschießen.” Gerade als Clay den Pfeil auf die Reise schicken wollte, wurde es hektisch im Lager. Mehrere MĂ€nner wuselten umher und einer von ihnen flĂŒsterte der AnfĂŒhrerin etwas ins Ohr. Sofort war es vorbei mit ihrer Ruhe und sie spie ihre Befehle aus. Die RĂ€uber begannen damit, das Lager auf links zu drehen. “Sie haben wohl die Leiche gefunden”, stichelte Clay. “Habt sie wohl nicht gut genug versteckt. Was fĂŒr ein AnfĂ€ngerfehler!” Cerise unterdrĂŒckte ihren Ärger. “Das merke ich mir!” Noch einmal zielte Clay und ließ den Pfeil dieses Mal fliegen. Das Geschoss bahnte sich seinen Weg zu der AnfĂŒhrerin, doch wurde abgewehrt, als sie blitzschnell ihren ikonisch-orientalischen KrummsĂ€bel zog und seine Klinge zwischen ihrem Kopf und dem Projektil positionierte. Cerise stieß ein anerkennendes Pfeifen aus. “Gute Reflexe!” Ohne weiter unnötig Zeit zu vertrödeln, flohen Annemarie, Clay und Cerise zurĂŒck in ihr Lager. Sie mussten davon ausgehen, dass der Feind nun ihre Position kannte und versuchen wĂŒrde, den Gefallenen zu rĂ€chen und die Geisel wieder in seine Gewalt zu bringen. 🌱 Nachdem Clay und Cerise mit Annemarie zurĂŒckkehrten und von ihrer Begegnung mit der AnfĂŒhrerin der WĂŒstenrĂ€uber berichtet hatten, kamen sie zu dem Schluss, dass ein Vergeltungsschlag unausweichlich war. Wahrscheinlich wĂŒrde dieser erst am nĂ€chsten Tag erfolgen. Der Feind musste KrĂ€fte sammeln und seine Truppen neu gruppieren. Sie wĂŒrden höchstwahrscheinlich nicht sofort angreifen. Der Schock, dass sich jemand in ihr Lager eingeschlichen und die Geisel befreit hatte, war gewiss groß. Sicherheitshalber teilten sich Nebula und die anderen die Nachtwache ein, um nicht hinterrĂŒcks ĂŒberfallen zu werden. Nicht schon wieder.... Entgegen der BefĂŒrchtungen, blieb alles ruhig und der Morgen graute. Mit dem, was sie an Ruhe finden konnten, waren Nebula und ihre VerbĂŒndeten auf den drohenden Angriff gefasst. Neben ihr selbst waren auch Clay, Cerise, Henrik und Toshiro anwesend. Etwas abseits bei den Zelten stand Caroline. “W-Was machen wir, wenn s-sie uns einfach ĂŒberrennen?”, fragte Henrik. “Das kann durchaus sein”, meinte Cerise. “Sind nicht gerade wenig.” Ihre Worte machten dem Braunhaarigen nicht gerade Mut. “Hört doch auf, ihm Angst zu machen”, tadelte Clay. “Was kann ich dafĂŒr, wenn er so ein Hosenschisser ist?” “Taktlos, wie eh und je”, echauffierte sich Nebula. “Henrik, höre einfach nicht hin!” “I-Ist gut!” “Höre lieber auf mich!” Sie ging auf Henrik zu und legte die HandflĂ€chen auf seine Schultern. Das Bild der kleinen mutigen Frau, die zu dem wesentlich grĂ¶ĂŸeren Feigling aufsah und ihm Mut zusprach, war gewiss erquickend und labend. “FĂŒr dich habe ich eine besondere Aufgabe!”, kĂŒndigte sie an. “Erinnerst du dich an den Kraken und was du mit deinem Schwert gemacht hast? Das kannst du gleich noch mal machen! Du wirst dich mit deinen KrĂ€ften um die Waffen der RĂ€uber kĂŒmmern!” “O-Okay. Ich g-gebe mein Bestes!” Nebula ließ Henriks Schultern wieder los und wandte sich an Caroline. “Du bleibst bei Annemarie im Zelt. Das ist zu gefĂ€hrlich!” “Mach sie fertig!”, ermutigte Caroline und suchte anschließend Schutz. Toshiro streifte seine goldenen Schlagringe ĂŒber. “Die sollen nur kommen!”, prahlte er selbstsicher. “Ich verpasse ihnen eine Abreibung!” Eine kleine elektrische Entladung zuckte ĂŒber seine Waffe und ließ die Luft knacken. Wie aufs Stichwort erschienen die WĂŒstenrĂ€uber in der Ferne. Sie wurden angefĂŒhrt von der Frau in der feinen Gewandung. Sie trug eine schwarze Abaya, ein weites Oberkleid mit langen Ärmeln, das bis zu den FĂŒĂŸen reichte. Die Abaya war kunstvoll mit Mustern aus goldenen FĂ€den bestickt. Dazu trug die Frau einen dekorativen Gesichtsschleier und ein Kopftuch. Beide KleidungsstĂŒcke waren ebenfalls schwarz und golden bestickt. Ihre FĂŒĂŸe wurden von Pantoffeln vor dem Sand geschĂŒtzt, deren zulaufende Spitze sich am Ende wölbte. Sie trug außerdem ein im Orient ĂŒbliches Krummschwert an ihrem GĂŒrtel. Es ließ sich offenbar gut leben als RĂ€uberbraut. Die AnfĂŒhrerin und ihre RĂ€uberhorde blieben stehen. “Mein Name ist Jasmin”, stellte sie sich vor. “Ihr mögt zwar meine Geisel befreit haben, doch Eure Waffen werde ich auch so meiner Sammlung hinzufĂŒgen!” Mit der linken Hand beschwor sie ihre Teufelswaffe. “Erhebe dich in die sieben Winde, Astarte!”, hörte man sie von weitem rufen. Aus schwarzem Staub formte sich in mehreren Verwirbelungen eine schwarze Textilie. Sie nahm die Gestalt eines Teppichs an, der in der Luft schwebte. In einem Satz schwang sich Jasmin auf ihn. Er wirbelte Sand auf, als Jasmin mit ihm in die LĂŒfte aufstieg. Sie erhob ihren rechten Arm und rief: “Easifat Ramlia!” Ein sandiger Windstoß traf das Lager und riss Henrik von den FĂŒĂŸen. Ebenso wurden die Zelte in Mitleidenschaft gezogen. Annemarie und Caroline erblickten den Himmel, als die Plane ĂŒber ihren Köpfen davon geblasen wurde. Ebenfalls wurde das Zelt abgedeckt, in dem Aki ihre Verletzungen auskurierte. Sie war noch zu schwach zum aufstehen und blieb einfach liegen, wĂ€hrend Toshiro sie mit seinem Körper vor dem Sand bewahrte. Die Wachen der Karawane taten ihre Pflicht und stĂŒrmten auf die RĂ€uber zu. Diese taten es ihnen gleich, was zu einem mĂ€chtigen Gerangel fĂŒhrte. Allerdings waren die RĂ€uber zahlenmĂ€ĂŸig weit ĂŒberlegen und es wĂ€re nur eine Frage der Zeit, bis sie die MĂ€nner niedergerungen hĂ€tten. Toshiro nutzte die Gelegenheit, sich selbst seine Fertigkeiten zu beweisen, und schlug einen Gegner nach dem anderen. Der Rest hielt sich vornehm zurĂŒck und stĂŒrmte nicht blind drauf los. Vorsichtig rappelte sich Henrik indes wieder auf. Er wusste genau, was er zu tun hatte. Die Schwerter und Speere der Angreifer waren ihm leichte Beute. Er verlagerte seinen Körperschwerpunkt, um beim nĂ€chsten Windstoß nicht schon wieder hinzufallen. Dann streckte er seinen rechten Arm aus und konzentrierte sich auf die unmittelbare Bedrohung. Es hatte mit einem Schwert geklappt, dann wĂŒrde es auch mit mehreren funktionieren! Sowohl den Wachen, als auch den RĂ€ubern wurden ihre eisernen Waffen entrissen. Toshiros Schlagringe konnte er jedoch nicht bewegen. Sie entzogen sich seinem Zugriff. Henrik formierte seine ansehnliche Sammlung an Waffen. “W-Was soll ich jetzt machen?”, fragte er unsicher. “Idiot!”, schimpfte Nebula. “Wirf sie auf das MiststĂŒck!” “N-Nagut!” Ihm war nicht wohl bei dem Gedanken, die dutzenden messerscharfen Tötungsutensilien auf eine einzelne Frau zu werfen. Aus seiner Sicht erfĂŒllte dies den Tatbestand der Mehrfachtötung. Seine WankelmĂŒtigkeit war vielleicht auch der Grund, warum es Jasmin so einfach gelang, seinen Angriff mit einer weiteren mĂ€chtigen Windböe zu kontern. Die Waffen wurden erfasst und in alle Richtungen abgetrieben. Von ĂŒberall regneten sie herab und bohrten sich in den Sandboden. Wie durch ein Wunder traf keiner der GegenstĂ€nde einen Menschen. Diesmal vermochte Henrik die Balance zu halten. “Halte dich da raus, du Hexer!”, forderte Jasmin. Nebula gestand sich ein, dass Jasmin doch nicht so leicht beizukommen war, und rief eine Teufelswaffe herbei. “ErschĂŒtter die Grundfesten der Welt, Quake!”, befahl sie und das schwarze Riesenschwert formte sich aus dem aus ihrem Arm austretenden Blut. “Zieht Euch zurĂŒck!”, rief sie den verbleibenden WĂ€chtern zu, was diese angesichts der gewaltigen Waffe in ihren HĂ€nden auch sofort umsetzten. Toshiro tat es ihnen widerwillig gleich - viel lieber hĂ€tte er die Feinde bekĂ€mpft. Nebula war nicht sicher, wie sich die Angriffe des Schwertes auf so sandigem Boden auswirken wĂŒrden, aber sie sollte es gleich herausfinden. Als die MĂ€nner zurĂŒckgefallen waren, hob sie die Waffe an und ließ sie auf den Boden zu schnellen. “Erdrutsch!” Doch anstatt dass der Boden aufriss, wie sie es gewohnt war, entwickelte er neue Eigenschaften. Den Angreifern wurde einfach der Halt unter den FĂŒĂŸen entrissen und sie versanken halb oder gar ganz im Boden. “Nein!”, schrie die Banditenbraut aufgelöst. “Ihr Schlampe werdet mich nicht daran hindern, ihn zu befreien!” Endlich zog sie ihr Schwert und schwebte auf Nebula zu. Diese wechselte ihre Waffe aus. “Verfehle niemals dein Ziel, Gastraphetes!”, befahl sie und dieses Mal erschuf sie eine Armbrust. “Nachladen! Feuer!” Jasmin konterte, indem sie Astarte wie einen Schutzschild nach oben bog. Nebula musste den darauffolgenden Hieb ihres Schwertes mit der Armbrust abwehren, als Jasmin sie erreichte. Schwert und Schusswaffe kreuzten sich und Jasmin schwebte auf ihrem fliegenden Teppich wieder in sichere Distanz. “Ich habe mich nicht von ganz unten hochgekĂ€mpft, um gegen so eine wie Euch zu verlieren!”, tönte es von oben herab. Jasmin schwebte mehrere Meter ĂŒber Nebulas Kopf. “Ich tue alles fĂŒr meine Familie!” VerĂ€rgert sah Nebula zu ihr hinauf. “Gegen die Kraft der SandstĂŒrme kommt Ihr nicht an!” Mit einer Handbewegung erschuf Jasmin eine mĂ€chtige Luftverwirbelung, stĂ€rker als jene zuvor, und schleuderte sie auf Nebulas VerbĂŒndete. “Easifat Ramlia!” Henrik hob erneut vom Boden ab, wurde allerdings von Clay am Schlafittchen gepackt, zurĂŒck auf den Boden gezogen und so vor Schlimmerem bewahrt. Cerise machte sich klein, um dem Wind keine AngriffsflĂ€che zu bieten und Toshiro ertrug den Angriff wie ein echter Mann. Da Aki bereits auf dem Boden lag, konnte sie der Wind nicht erfassen. Annemarie und Caroline hatten nicht so viel GlĂŒck und wurden mitgerissen. Caroline prallte gegen einen Planwagen, nur um als nĂ€chstes Annemaries Aufprall abzufedern. Der Rotschopf fiel auf alle Vier, rappelte sich aber sofort wieder auf. Caroline hingegen wurde schwarz vor Augen und sie fiel regungslos in den Sand. Mit Schrecken verfolgte Nebula die Ereignisse. Die schwarze Armbrust verschwand und Nebula hatte nur noch Augen fĂŒr die viele Meter entfernt auf dem Boden liegende Caroline. “Caro! Nein!” In diesem Moment musste sie vom Schlimmsten ausgehen. Geschockt setzte sie langsam einen Fuß vor den anderen, wĂ€hrend die vom Sand verschĂŒtteten Feinde sich langsam aus ihrer Lage befreiten. “Hier spielt die Musik!”, schrie Jasmin. “MĂ€nner, schnappt sie euch!” Einige ihrer MĂ€nner, jene, welche sich inzwischen wieder ausgebuddelt hatten, folgten dem Befehl und stĂŒrmten auf die teilnahmslos wirkende Nebula zu. “Pass auf!”, rief Henrik ihr noch zu. Ein Schwall aus Blut fĂ€rbte den Sand rot. Der von unten nach oben aufgeschlitzte Körper eines RĂ€ubers plumpste zu Boden. Weiteres Blut tropfte von der Spitze eines am ausgestreckten Arm gehaltenen schwarzen Schwertes. Ohne sich ihm nur zuzuwenden, hatte Nebula den Angreifer erschlagen. Ihren VerbĂŒndeten zeigte sie den entarteten Gesichtsausdruck, noch bevor ihn Jasmin zu Gesicht bekam. “DafÜR wiRSt dU bLuTEn!”, sprach die Blondine mit dĂ€monisch verzerrter Stimme. Ihre Worte richtete sie an die noch immer ĂŒber ihr schwebende Jasmin. Nebula begann eine dunkle Aura auszusenden und sah zu der Frau auf dem fliegenden Teppich auf. “IcH WeRdE eUCH aLlE TöTEn!” Ihre VerbĂŒndeten hatten sie noch nie in diesem Zustand gesehen und waren zu geschockt, um zu reagieren. Sie fĂŒhlten eine grenzenlose Dunkelheit, welche jeden Versuch der Bewegung unterband. “Nein!”, schrie Henrik. Unterdessen schritt das Unheil auf Jasmin und die WĂŒstenrĂ€uber zu. Die vom Zorn erfĂŒllte Nebula nĂ€herte sich mit klarer Tötungsabsicht. Ein weiterer Mann griff sie an und wurde brutal von der Blondine niedergestreckt. Ein dritter folgte sogleich. Der Tod ihrer MĂ€nner brachte etwas in Jasmin ins Wanken. Bisher waren sie vom GlĂŒck beschenkt worden. Jasmin gelang es stets, ihre MĂ€nner ohne Verluste zum Ziel zu fĂŒhren. Meistens kĂ€mpften sie sowieso nur gegen geizige HĂ€ndler und ihre schlecht bezahlten Wachen. Noch nie fiel jemand unter ihrem Kommando. Doch jetzt wurden ihre MĂ€nner vor ihren Augen wie Vieh abgeschlachtet, bei dem Versuch, diesen DĂ€mon aufzuhalten. Entsetzt setzte sie zur Landung an und ließ Astarte verschwinden. Sie kniete nieder, in der Hoffnung, auf diese Weise weiteres Blutvergießen zu verhindern. Nebula beeindruckte das in ihrer Rage allerdings wenig und sie schnetzelte sich unaufhaltsam voran, bis sie vor Jasmin zum Stehen kam. Der Horror vor seinen Augen tat ihm in der Seele weh. Henrik musste das beenden! Bevor er es begriff, trugen ihn seine Beine zu Nebula. Ungeachtet seiner eigenen Sicherheit, umklammerte er sie hinterrĂŒcks so fest er konnte. “H-Hör endlich auf!”, schrie er und hoffte, sie so zur Besinnung zu bringen. “D-Das bist du nicht!” Kaum dass sie seine BerĂŒhrung spĂŒrte, verpuffte die finstere Aura um ihren Körper. Die Entartung verschwand aus ihrem Gesicht und Nebula wurde sich schlagartig bewusst, was sie getan hatte. Zutiefst schockiert darĂŒber, dematerialisierte sie ihre Waffe. Mit Abscheu starrte sie ihre zitternden HĂ€nde an. Als der Schrecken ĂŒber die eigene Boshaftigkeit verflogen war, besann sie sich Caroline und riss sich von Henrik los. VerbĂŒndete und Feinde standen gleichermaßen da, wie versteinert. Nicht einmal Cerise wollte ein geistreicher Spruch einfallen. Nebula eilte zur bewusstlosen Caroline und kniete sich neben ihr hin. Ihre Freundin fĂŒhlte sich wieder so leblos an wie einst im Palast von Ewigkeit. Sie rĂŒttelte an ihr, doch sie zeigte keine Reaktion. In ihren Augen erkannte Nebula, dass ihre Seele wieder fort war. ZurĂŒck an diesen finsteren, trostlosen Ort, an den Caroline nie wieder zurĂŒckkehren wollte. “Caro!” Schluchzend drĂŒckte Nebula ihre Freundin an sich. Warum versagte sie. wenn es darauf ankam? WĂ€hrend sie sich selbst VorwĂŒrfe machte, ergriffen ihre Begleiter und die Wachen der Karawane die Initiative und umzingelten Jasmin und den Rest ihrer Bande. Die WĂŒstenrĂ€uber wurden gefesselt und in Gewahrsam genommen. Roter Schein durchdrang die Finsternis, als Alaric wieder zu sich kam und sein Auge öffnete. Er lag auf dem pompösen Himmelbett in seinen GemĂ€chern. Die seidenen Schleier waren zur Seite gezogen und einige Personen hatten sich um ihn versammelt. Langsam schĂ€rfte sich sein verschwommener Blick und er erkannte Illithor, den Leibarzt der kaiserlichen Familie, und dessen Gehilfen. “Wo bin ich?”, fragte er den Doktor. “Hoheit, Ihr seid erwacht!”, bemerkte dieser. Vorsichtig setzte sich Alaric auf. “Was ist geschehen?” “Ein Page fand Euch bewusstlos auf dem Boden und hat Alarm geschlagen. Die Wachen ließen nach mir rufen, damit ich Euch untersuche.” “Ich war bewusstlos?” Alaric kramte in seinen Erinnerungen. Ihm war in der Tat schwarz vor Augen geworden. “Wie lange denn?” “Das wissen wir nicht genau. Mehrere Stunden.” Alaric befĂŒhlte seine Stirn mit der rechten Hand. “VerspĂŒrt Ihr Schmerzen, Hoheit?” "Nein, es geht schon.” Alaric nahm die Hand wieder herunter. “Es ist nur... als sei viel mehr Zeit verstrichen. Wahrscheinlich ist es nur meine Einbildung.” “Als Euer Leibarzt rate ich Euch, die Reise abzusagen.” Ilithior war sein Vertrauter und wusste so von den ReiseplĂ€nen des Prinzen Bescheid. “Das kommt nicht in Frage!”, behaarte Alaric stur. “Es ist meine Pflicht, als oberster Inspekteur meines Vaters die militĂ€rischen Einrichtungen des Reiches in Augenschein zu nehmen. Ein SchwĂ€cheanfall wird mich nicht von meiner Pflicht abhalten!” “Es ist Eure Gesundheit, Hoheit! Befehlen kann ich es Euch nicht.” “Eure Sorge ist zur Kenntnis genommen, Illithor. Ich weiß Eure Gewissenhaftigkeit gewiss zu schĂ€tzen. Doch ich werde mich nicht vor meiner Verantwortung drĂŒcken.” “Wie Ihr meint.” Der Leibarzt verneigte sich. Seiner Meinung nach handelte sein Klient unvernĂŒnftig - Nein, vielmehr dumm! Aber ein solches Urteil stand ihm nicht zu. Die Gehilfen rĂ€umten GerĂ€tschaften und Tinkturen zusammen und verließen gemeinsam mit ihrem Meister die GemĂ€cher des Prinzen. Alaric starrte daraufhin auf den roten Schein, der durch das Blei gefasste Fenster einfiel. In einem Flashback erschien die Silhouette einer Person vor seinem geistigen Auge. Er erinnerte sich, dass er jemanden gesehen hatte, bevor er ohnmĂ€chtig geworden war. Ein Gesicht, das er wer weiß woher kannte. Wurde er langsam verrĂŒckt? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)