Morgenstern von totalwarANGEL ================================================================================ Kapitel 20: Der stĂ€hlerne Wall ------------------------------ 🌱 Die diplomatische Mission war gescheitert. Nach der vernichtenden Niederlage des Foedus Lucis beim Schaanwald wurde der Feind augenscheinlich nervös. Der Verlust einer ganzen Armee, unter bis zu diesem Tage ungeklĂ€rten UmstĂ€nden, ließ Angst in den Verantwortlichen aufsteigen. Darum wollten sie einen dauerhaften Nichtangriffspakt aushandeln und luden zu dieser Konferenz in Krinnspitz ein. Der Gesandte von Aschfeuer war Belanor, ein ehemaliger General, dessen Taten im Krieg als legendĂ€r galten. Allerdings hatte er das Töten satt gehabt und da er schon immer gut mit Worten war, entschied er sich fĂŒr das Amt des Ambassadeurs. Doch anstatt Gebiete als Preis fĂŒr eine solche Vereinbarung abzutreten, wie es Belanor eigentlich erwartet hatte, stellte Antrium stattdessen unverschĂ€mte Forderungen. Sie verlangten das Gebiet um den Schaanwald zurĂŒck, welches das Kaiserreich nach seinem Triumph annektierte, genauso wie Ruckenach, jene Provinz, deren Eroberung durch Aschfeuer die Schlacht im Schaanwald erst heraufbeschwor. Das waren einzig fruchtlose Diskussionen! Die reinste Zeitverschwendung! Es erzĂŒrnte den Diplomaten und so hielt er es keine Minute lĂ€nger am Verhandlungstisch aus. Normalerweise war es nicht seine Art, ein GesprĂ€ch abzubrechen. Wer ihn kannte, wusste das nur zu gut. Seine Silberzunge erlaubte es ihm einst, die begehrteste Jungeselin in ganz Aschfeuer zu heiraten. Aber der Mist, den die Gegenseite vorbrachte, stand ihm inzwischen bis zur Stirn und den Gestank ihrer Worte ertrug nicht mehr. Er musste unbedingt weg von diesem Ort und trat fast fluchtartig den Heimweg an. Auf der Reise zurĂŒck durch Aschfeuer durfte sich Belanor an den unterschiedlichen Landschaften erfreuen, wĂ€hrend er sich dem heißen Ödland um Vanitas und dem Elendsschlund nĂ€herte. Als nach einer Reise von mehreren Wochen endlich die dichten schwarzen Aschewolken in Sichtweite kam, wusste er, dass er zuhause war. Immerhin war er noch immer ein Schwarzelf und so schön die Natur auch war, auch ihn blendete die unerbittliche Sonne. Kunde vom Abbruch der Verhandlungen erreichte Vanitas bereits im Voraus. Die Boten ritten stets wie die Teufel und so war es nicht verwunderlich, dass Belanors Nachricht fast eine Woche vor ihm eintraf. Inzwischen wusste bereits jede wichtige Person am Kaiserhof Bescheid. Lezabel hatte nicht verstanden, warum ihr Ehemann zugesagt hatte, die Verhandlungen zu fĂŒhren. Es war von vornherein klar, dass der langjĂ€hrige Lieblingsfeind Aschfeuers sich nie und nimmer die BlĂ¶ĂŸe geben wĂŒrde, einem zeitweiligen Frieden zuzustimmen, den sie nicht als Sieg verkaufen konnten. Sie wĂŒrden sicher alles versuchen, einen Vorteil herauszuschlagen. Belanor musste den Krieg wahrlich hassen, wenn er sich wissentlich dem falschen Spiel von Antrium aussetzte. Immerhin schien er schlussendlich doch zur Vernunft gekommen zu sein. Er sollte inzwischen Vanitas erreicht haben. Lange wĂŒrde es nicht mehr dauern und er stĂŒnde auf ihrer TĂŒrschwelle. Ein Mann, der so lange unterwegs war, benötigte besondere Zuwendung. Und Lezabel war mehr als bereit, sie ihm als Willkommensgeschenk zukommen zu lassen. Zu diesem Zweck suchte sie das gewagteste Kleid ihrer Garderobe heraus und zwĂ€ngte sich hinein. Es setzte ihren eher durchschnittlich bestĂŒckten Körper ideal in Szene. Belanor wĂŒrden gewiss die Augen herausfallen. Lezabell zog den Vorhang beiseite, setzte sich auf das Bett und wartete. Sie hatte den Pagen aufgetragen, ihrem Mann bei allem Nötigen zur Seite zu stehen und ihn danach umgehend zu ihr in die GemĂ€cher zu schicken. Es dauerte nicht lang und ihr Ehemann trat durch die TĂŒr ein. Die Bediensteten hatten ihm bereits all sein ReisegepĂ€ck und den Mantel abgenommen. Lezabell schlug die Beine ĂŒbereinander und streckte ihren Oberkörper. “Du bist zurĂŒckgekehrt, Liebster!”, begrĂŒĂŸte sie ihn. “Ich habe dich schrecklich vermisst”, fuhr sie in erotischem Ton fort und ließ sich langsam rĂŒckwĂ€rts auf das Bett sinken. “Warum kommst du nicht zu mir und wir feiern deine Heimkehr gebĂŒhrend?” Sie klopfte mehrmals mit der flachen Hand auf eine freie Stelle neben sich, wie man es sonst tat, wenn man ein Haustier zu sich locken wollte. Belanor ließ sich das nicht zweimal sagen. Er öffnete sein Hemd und entkleidete sich. Seinen muskulösen Oberkörper zierte eine gewaltige Narbe. Ein Andenken aus seiner Zeit als Krieger. Sauber und ordentlich legte er das KleidungsstĂŒck auf nahem Mobiliar ab, bevor er sich zu seiner Frau auf das Bett setzte. Er gab ihr einen kurzweiligen Kuss auf ihre Schulter und streifte den TrĂ€ger ihres Kleides von ihr herunter. Als nĂ€chstes kĂŒsste er Lezabels Hals, woraufhin sie ihren Kopf nach hinten Neigte und genießend seufzte. Belanor verfuhr mit dem verbleibenden TrĂ€ger des Kleides wie mit dem ersten und der fallende Stoff entblĂ¶ĂŸte Lezabel. Er packte seine Frau und schubste sie mit wenig Widerstand ihrerseits auf das Ehebett. Dann fummelte er an seinem GĂŒrtel herum - das verdammte Teil wollte auch einfach nicht nachgeben - und entledigte sich auch dem Beinkleid, nachdem er ihn endlich geöffnet hatte. Er begab sich auf das Bettpolster zu seinem Weib. Lezabel sah ihren Mann mit hungrigen Augen an. In letzter Zeit waren die Momente der Zweisamkeit selten. Belanor arbeitete oft und viel und ließ sich selten blicken, fast als suchte er nur nach Ausreden, um ihr fern zu bleiben. Das wollte sie einfach nicht akzeptieren! Das letzte Mal, dass sie miteinander die Nacht verbrachten, war mehrere Monate her. Kurz darauf hatten sie einen schrecklichen Streit. Seither vergrub sich Belanor in seinen Aufgaben. Seine Wiederkehr nach dieser Reise sah Lezabel als die ideale Möglichkeit, das Feuer der Leidenschaft in ihrer Beziehung neu zu entfachen. Als sich Belanor auf sie legte und den unteren Teil ihres Kleides nach oben schob, umschlang sie seinen mĂ€chtigen RĂŒcken mit ihren Armen und bereitete sich darauf vor, seine Liebe zu empfangen. Doch anstatt Sinnlichkeit zu erfahren, fĂŒhlte es sich an, als habe er seine Berufung verfehlt. Lezabel kam sich bald vor wie ein Brett, das von einem Handwerker mit einem mĂ€chtigen PrĂŒgel maltrĂ€tiert wurde. Wenn er zur Jagd ausritt, zeigte er mehr Elan dabei, die Beute mit Pfeilen zu penetrieren, als seine Frau mit seiner Manneskraft zu beglĂŒcken. Bei diesem lustlosen GehĂ€mmer fĂŒhlte sie sich wie ein Sonntagsschnitzel, das gerade weichgeklopft wurde. Belanor grunzte wie ein wildgewordener Keiler und als er es endlich hinter sich gebracht hatte, rollte er sich erschöpft zur Seite ab und schlief sofort ein. Unsicher schaute Lezabel zu dem Mann an ihrer Seite. Seine lieblose PflichterfĂŒllung ließ sie verzweifeln. Sie hatte gehofft, in dem sie mit ihm eine leidenschaftliche Zeit teilte, könnten sie wieder zueinander finden. Doch alles was sie davon hatte, war dieses widerliche GefĂŒhl benutzt worden zu sein. Als Belanor sich an ihr abrackerte, musste er seinen gesamten Frust ĂŒber die Verhandlungen in sie entladen haben. In ihrer EnttĂ€uschung schlief sie ein. Belanor schlug die Augen auf. Er war sich sicher, lang genug gewartet zu haben. Er sah zu seiner Frau und urteilte, dass sie fest schlafen musste. Vorsichtig entstieg er dem Ehebett. Er wollte es nicht riskieren, sie durch die ErschĂŒtterungen hastiger Bewegungen aufzuwecken. Splitterfasernackt schlich er durch das in dem roten Licht des unter dem Schwarzen Palastes befindlichen Lavasee getauchte Schlafgemach. So leise wie möglich nahm er seine Kleidung an sich und schlĂŒpfte hinein. Danach öffnete er die TĂŒr und stahl sich heimlich davon. Seine BemĂŒhungen waren allerdings vergebens. Lezabel hatte schon immer einen leichten Schlaf gehabt. Es musste ihm entfallen sein. VerbrĂ€chte er öfters die NĂ€chte mit ihr, wĂ€re es ihm gewiss gelĂ€ufiger. Wut stieg in der Prinzessin auf. 🌱 Auf dem Übungsplatz der Kaserne schlugen die eisernen Klingen der Kadettenschwerter aneinander. Mit verschrĂ€nkten Armen und skeptischem Blick beobachtete der Ausbilder die MĂŒhen seiner SchĂŒler. Er hatte sie die letzten Monate nach bestem Wissen und Gewissen trainiert, damit sie nicht gleich in der ersten Schlacht fielen, in die sie geschickt wurden. Bei den meisten schien die Ausbildung gefruchtet zu haben, doch in jeder Familie gab es ein schwarzes Schaf. Und die Soldatenschule war nicht viel mehr als eine große Familie. Der junge Kadett, ein Elf, der ein hoffnungsloser Fall zu seien schien, hörte auf den Namen Florean und konnte sich den Hieben seines Gegners nur mit MĂŒhe und Not erwehren. Mit Bedauern buchstĂ€blich quer ĂŒber sein Gesicht geschrieben, beobachtete der Ausbilder seine jĂ€mmerliche Körperhaltung und wie unbeholfen er das Schwert fĂŒhrte. Ein Jammer, dachte er. Der wird als erstes sterben. Als ob Folrean die Gedanken seines Meisters vernommen hĂ€tte, stolperte er ĂŒber seine eigenen FĂŒĂŸe und landete mit dem Gesicht im Dreck. Sein Gegner steckte sein Schwert weg und musste sich bald darauf die Seite halten, denn der Lachkrampf brannte im Zwergfell. “Bleib du mal ruhig liegen, du Trottel”, machte er sich lustig. Florean erwiderte nichts. “Kadett!”, ermahnte der Ausbilder. “Ich dulde es nicht, wenn ein Kamerad auf meinem Übungsplatz verspottet wird!” Er sah den jungen Mann zornig an. “Und so jemand will ein Soldat sein! Du scheinst nach dem Kampftraining noch Reserven zu haben. Die kannst du bei hundert LiegestĂŒtzen abbauen! Zack, zack!” Der Kadett biss die ZĂ€hne zusammen und salutierte. “Jawohl!” Er begab sich an den Rand des Platzes und begann sofort damit, den Befehl umzusetzen. Der Ausbilder trat an Florean heran und reichte ihm die Hand zum Aufstehen. Dieser nahm sie an. “Du hast nicht das Zeug zum Soldaten!”, sagte er ihm daraufhin ungeschönt. “Du wurdest nicht eingezogen, sondern hast dich freiwillig gemeldet. Wieso tust du dir etwas an, das dir so widerstrebt?” “Mein Vater war ebenfalls Soldat, Sir!”, antwortete Florean. “Er ist im Krieg gefallen, als ich noch klein war. Ich möchte ihm Ehre erweisen.” “Indem du ihm so schnell wie möglich folgst?” “Nein, Sir!” “Ich kann es nicht verantworten, dich an die Front zu schicken. Du wirst stattdessen der neunten Kohorte des elften Bataillon zugeteilt.” “A-Aber das ist doch die-” “Versorgungseinheit, ganz richtig!” Plötzlich ertönte eine Fanfare. Umgehend standen alle stramm in einer Reihe, ihnen voran der Ausbilder. Hoher Besuch kĂŒndigte sich an. “Seine Hoheit, Prinz Alaric”, verkĂŒndete ein bereits heißer geschriehener Ausrufer. Und tatsĂ€chlich: GehĂŒllt in eine Uniform, welche mit den Orden seiner bisherigen Erfolge dekoriert war, betrat der zweite Sohn des Kaisers den Übungsplatz. “Wie kann ich Euch dienen, Hoheit?”, fragte der Ausbilder. “Meiner Delegation sind ein paar MĂ€nner abhanden gekommen”, erklĂ€rte der Prinz. “Einer ist an der Grippe erkrankt, Einer zusammen mit einem DienstmĂ€dchen desertiert und ein weiterer wegen Aschelunge dienstuntauglich. Ich möchte mich nach geeignetem Ersatz umsehen.” “Eure Hoheit, diese MĂ€nner haben eben erst ihre AbschlussprĂŒfung absolviert. Gibt es fĂŒr Euer Anliegen nicht den offiziellen Dienstweg?” “Ich suche mir meine MĂ€nner gern selbst aus.” Gesagt, getan. Kritisch beĂ€ugte Alaric einen jungen Mann nach dem anderen. Florean wurde ganz flau im Magen. Der Prinz war gekommen, um neue MĂ€nner fĂŒr seine Inspektionsdelegation zu finden. Was sollte er machen, wenn seine Hoheit tatsĂ€chlich ihn erwĂ€hlen sollte? FĂŒr die Verantwortung direkt unter dem Kommando des Prinzen zu stehen, war er definitiv nicht bereit. Alaric hatte bereits zwei junge MĂ€nner gewĂ€hlt, als er vor Florian zum stehen kam. Etwas an dem Jungen weckte sein Interesse. “Junge, wer bist du?” “Florean”, antwortete der Kadett. “Warum bist du in der Armee? Wurdest du eingezogen?” “Nein, Sir! Ich meldete mich freiwillig, Sir!” “Warum?” “Um meinem verstorbenen Vater Ehre zu erweisen, Sir!” Bis jetzt hatte Alaric noch mit sich gehadert, doch als er die Überzeugung in den Augen Floreans sah, wusste er, dass er sein dritter Mann sein sollte. “Du stehst ab sofort unter meinem Kommando!”, beschloss der Prinz. Florean rutschte unvermittelt das Herz in die Hose. Alaric wankte in Richtung seiner GemĂ€cher. In der Öffentlichkeit mochte er sich noch beherrscht haben, doch nun wurde das HĂ€mmern in seinem Kopf immer intensiver. Mit einer Hand am Gesicht, tastete er sich mit der anderen an der Wand entlang. Er musste gleich um die Ecke biegen. Ihm war klar, dass vor seinen GemĂ€chern stets Wachen postiert waren. Noch einmal riss er sich zusammen, grĂŒĂŸte die WĂ€chter und verschwand eiligst hinter der TĂŒr. Dahinter fiel seine Maske und seine Hand fand ihren Weg zurĂŒck an die Stirn. Er wusste nicht mehr, wo unten und wo oben war. Vielleicht hĂ€tte ich doch auf Illithor hören sollen, gestand er sich ein. Vorsichtig begab er sich zu der Kommode mit dem Spiegel, welche an einer Wand neben seinem BĂŒcherregal stand. Er stĂŒtzte sich ab und verschnaufte einen Moment. Dann setzte sich der Prinz auf den Hocker vor der Kommode. Er tauchte beide HĂ€nde in die Wasserschale vor dem Spiegel ein und beugte sich nach vorn, um seine Visage zu waschen. Er hoffte durch die kalte FlĂŒssigkeit die Schmerzen etwas lindern zu können. TatsĂ€chlich verschaffte ihm die Gesichtsreinigung ein wenig Linderung, obgleich er sich das vielleicht nur einbildete. Nachdem er glaubte ausreichend benetzt zu sein, setzte er sich wieder auf und fuhr sich durch die angefeuchteten Haare, nur um anschließend die HĂ€nde langsam ĂŒber sein Gesicht nach unten zu ziehen und dabei die Bindehaut seiner Augen freizulegen. Diese wirkte ausgesprochen bleich - sogar fĂŒr die VerhĂ€ltnisse eines Schwarzelfen. Er schlug die Augenlider nieder. In dem Moment, als er sie wieder öffnete, erschien eine Gestalt im Spiegel. Ein lautstarker Schrei hallte durch seinen Kopf. “Hilf mir!”, forderte ihn jemand auf. Sofort wandte er sich nach hinten um. “Wer ist da?!”, rief er. Doch er konnte niemanden entdecken. Verfalle ich dem Wahnsinn?, fragte er sich in Gedanken selbst. Sofort stĂŒrmten die beiden WĂ€chter - Lanzen voran - durch die TĂŒr hinein, um den vermeintlichen Eindringling zu stellen. “Mein Prinz, was ist vorgefallen?”, fragte der grĂ¶ĂŸere der beiden MĂ€nner, als sie niemanden entdecken konnten. Sie hatten ihren Herren von außen rufen hören, und eilten ihm zur Hilfe. “Ich dachte, ich hĂ€tte jemanden gesehen”, sprach Alaric verwirrt. “Geht es Euch gut, Hoheit?”, fragte der andere Mann. “Ja, sorgt Euch nicht!” “Aber, Durchlaucht-” “Ich sagte, mir geht es gut!”, fuhr Alaric den WĂ€chter an, als stĂŒnde er auf seinem Speiseplan, woraufhin dieser zurĂŒck zuckte. “Bitte lasst mich allein!” Er wandte sich wieder seinem Spiegelbild zu und beachtete gar nicht mehr, wie die beiden MĂ€nner seine GemĂ€cher verließen. Wer war das?, verzweifelte er. Alaric versuchte sich mit aller Gewalt zu erinnern, doch alles, was er diesem schwarzen Flecken in seiner Reminiszenz entlocken konnte, waren die goldblonden Haare der Schattengestalt. Allein der Versuch der Konzentration verstĂ€rkte seine Schmerzen. Er konnte sich kein weiteres Zeichen von SchwĂ€che erlauben! Morgen schon wĂŒrden er und seine Delegation zur Grenze nach Frys aufbrechen. In dieser kalten Region konnte jede UnzulĂ€nglichkeit den Tod bedeuten. Im Land der Barbaren starben jene mit Makel zuerst. Alaric begab sich zu seinem Bett. Er war einfach nur ĂŒberanstrengt. Das war nichts, was eine MĂŒtze voll Schlaf nicht beheben konnte. Der Prinz lief sich vollstĂ€ndig bekleidet in die Federn fallen und schloss die Augen. Kaum das man ihn in die Einheit aufgenommen hatte, bekam Florean schon die ungeliebten Aufgaben zugewiesen. Man trug ihm auf, Proviant und GepĂ€ck zu sichern und fĂŒr die Abreise vorzubereiten. Das eigene GepĂ€ck trug der wackere Soldat des Imperiums stets selbst. Dazu baute man sich aus zwei Ästen von um die fĂŒnf Zentimeter stĂ€rke ein so genanntes Tragekreuz, an dem die GegenstĂ€nde angebracht wurden. Ein solches Hilfsmittel war in der Regel halb so groß wie sein TrĂ€ger und durch die einfache und effiziente Bauweise preiswerter als ein Rucksack. Wenn es kaputt ging, so fand man im Feld fast immer geeignete Äste, um das Tragekreuz zu ersetzen. Jeder Soldat war jedoch fĂŒr sein Tragekreuz selbst verantwortlich. Florean musste sich stattdessen um die BestĂŒckung der Pferdewagen kĂŒmmern. Die Delegation des Prinzen wĂŒrde gemeinsam mit einer Versorgungseinheit die Reise zum StĂ€hlernen Wall antreten. Wenigstens musste er nicht die StĂ€lle ausmisten, wie die beiden anderen armen Teufel, die heute neben ihm aufgenommen wurden. Immerhin war er nicht allein
 Zwei Mitglieder der Versorgungseinheit waren ebenfalls hier und gingen ihm zur Hand. Sie hatten sich einander flĂŒchtig vorgestellt, so wusste er, dass er eine Mo hieß und der andere Toma genannt wurde. Mo war ein stattlich gebauter junger Mann mit kurzem Haar und vielen Muskeln. Dagegen war Toma eher klein und nicht ganz so gut in Form. Als Florean die Kisten auf dem HĂ€nger festgegurtet hatte, sah er sich zu seinen Kameraden um. Beide waren mit ihrem Wagen schon lange fertig. “Willst du noch weiter trödeln?”, kicherte Mo. “Ich dachte schon, das dauert die ganze Nacht”, spottete Toma. “Wenn ihr schon fertig wart, warum habt ihr mir nicht geholfen?”, fragte Florean erregt. “Dann wĂ€re es bestimmt schneller gegangen!” “Das war einfach zu unterhaltsam”, stichelte Toma. “Schönen Dank!” “Siehst du, wie nett wir sind?”, lachte Mo und versetzte dem jungen Elf einen freundschaftlichen Seitenhieb. “Meine Kehle ist so schrecklich trocken”, meinte er plötzlich. “Warum gehen wir nicht alle in die Taverne einen heben?” “Weil wir morgen auf Mission gehen?!”, erwiderte Florean. “Was bist du denn fĂŒr eine Spaßbremse?”, nörgelte Toma. “Uns steht ein elender Fußmarsch bevor. Wenn nicht im Suff, wie soll man das sonst ertragen?” “Du vertrĂ€gst wohl nichts?”, provozierte Mo. “Komm!”, Er packte seinen Kameraden am Arm. “Du wirst jetzt abgefĂŒllt! Keine Widerrede!” Mo begann an Florean zu zerren. “Das ist ein Befehl eines DienstĂ€lteren!” Der arme junge Mann hatte praktisch keine Chance, dem BesĂ€ufnis zu entkommen. Sie fanden sich in dem Lokal ein, von dem Mo und Toma zuvor gesprochen hatten. Aus Mangel an Trinkerfahrung stieg Florean das GebrĂ€u schnell zu Kopf. Niemand hatte ihm gesagt, dass Bier kein Wasser war! UnverschĂ€mtheit! “Ach so war das?”, fiel ihm Mo ins Wort, als Florean den beiden seine ungekĂŒrzte Lebensgeschichte nĂ€her brachte. “Du willst deinem Vater Ehre erweisen. Darum bist du dem MilitĂ€r freiwillig beigetreten! Dein alter Herr wĂ€re bestimmt stolz!” Endlich stoppte Florean die Geschichten aus der Vergangenheit. “Wieso seid ihr denn im MilitĂ€r?”, fragte er seine Saufkumpanen. “Also ich hatte keine andere Wahl”, gestand Mo. “Ich komme aus armen VerhĂ€ltnissen. Ich habe schon frĂŒh gestohlen. Irgendwann wurde ich erwischt. Als ich vor der Wahl stand, habe ich den Dienst in der Armee dem Knast vorgezogen.” “Falls du eine rĂŒhrselige Geschichte erwartest, so muss ich dich enttĂ€uschen”, eröffnete Toma. “Ich war noch nie besonders fleißig und war andauernd bei den Huren. Mein Vater wurde dem ĂŒberdrĂŒssig und hat mich rausgeworfen. Ich hatte nie etwas gelernt, also blieb nur Soldat zu werden.” “Und das Schlimmste an der Geschichte ist, du bist immer noch faul!”, Ă€rgerte Mo. “Wenigstens bin ich nicht zu dumm zum klauen!” “Ach ja?! Darf ich dich an dein Taschenmesser erinnern?” “Das ist doch schon seit Ewigk-! Du Drecksack!” “Genau, ich hab es!” “Gib es her, du aufgeblasener Gockel!” “Erst wenn du zugibst, dass ich ein guter Dieb bin!” “Gleich setzt es was!” Florean wusste nicht, ob er ihren Streit wirklich lustig fand, oder das nur die Auswirkung des ĂŒbermĂ€ĂŸigen Genuss des Hopfen-Smoothie war. Jedenfalls musste er laut lachen. Das tat gut! Er hatte bestimmt schon seit dem Tod seines geliebten Vaters nicht mehr so herzlich gelacht. Damals hatte ihn das schwer getroffen. Zwar gab es da noch seine Mutter, aber ihr fĂŒhlte er sich nie so verbunden. Er war das Parabelbeispiel eines Pappa-Jungen. Sein plötzliches lospusten beruhigte die hitzigen GemĂŒter, welche schon dazu ĂŒbergegangen waren, sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen. Die anderen beiden ließen voneinander ab und stimmten beim GelĂ€chter mit ein. Der darauffolgende Morgen brachte Florean nichts als Qualen ein. Sein Kopf schmerzte, denn sein Hirn war noch immer in Gerstensaft mariniert, wie ein HĂŒftsteak auf einem Grill. Er hatte es kaum hinbekommen, sein Tragekreuz zu bauen. Der anstrengende Fußmarsch hatte noch nicht einmal begonnen. Das Tagesziel war vor Einbruch der Nacht - selbst wenn diese inmitten der Aschlande nur schwer am Horizont wahrnehmbar war - mindestens dreißig Kilometer zu marschieren. Sein RĂŒckrad berstete jetzt schon fast unter den zwanzig Kilo seines GepĂ€cks. Aber all das Jammern brachte ihm auch nichts. Er biss die ZĂ€hne zusammen. Die MĂ€nner des Verbandes, der kleinsten militĂ€rischen Einheit, marschierten in Reihe und Glied ĂŒber die Pflasterstraßen des Kaiserreichs. Dabei gingen immer fĂŒnf nebeneinander und nutzten so die volle breite des Transportwegs fĂŒr sich aus. Die Spitze der Marschformation bildete der fĂŒnf mal zwölf große Block der schweren Infanterie, gefolgt von den Hilfstruppen und den drei Wagen voller hochwertiger AusrĂŒstung fĂŒr die Front. Dazwischen marschierten Prinz Alaric und seine LeibwĂ€chter. GemĂŒtlich in einer Kutsche zu sitzen, wĂ€hrend die Soldaten laufen mussten, kam fĂŒr ihn nicht in Frage. Er wollte keine Sonderbehandlung! Florean schaute nach vorn zu seinen neuen Bekannten. Wenigstens strafte Mo und Toma der Alkoholgenuss genauso wie ihn. Die Stunden vergingen und das Schuhwerk begann zu drĂŒcken. Es gab keine ZwischenfĂ€lle und der Verband erreichte sein Tagesziel. Nein, ĂŒberbot es sogar ein wenig. In zwölf Stunden hatten sie dreiunddreißig Kilometer zurĂŒckgelegt. Florean war sich sicher, dass seine FĂŒĂŸe bereits jetzt schon die Scheidung einreichen wollten. Und der Marsch an die Grenze wĂŒrde noch viele anstrengende Tage bedeuten. Sehr viele. Zwei Wochen spĂ€ter. Das mĂ€chtige metallene Bollwerk aus dem dunklen Zeitalter kam endlich in Sicht. Ein ewig langer Fußmarsch, unterbrochen von kurzen Schlafpausen, welche nicht einmal ansatzweise zur Regeneration genĂŒgten, kam endlich zu einem Ende. Auf seiner Reise mit dem Verband der Versorgungseinheit sah Florean den Übergang von der leblosen AschewĂŒste des Kernlandes, ĂŒber die fruchtbare Graslande der Provinzen bis hin zu den Schneebedeckten Gipfeln an der Grenze. Da thronte er nun vor ihm. Der StĂ€hlerne Wall. Auf einer LĂ€nge von etwas weniger als einem Kilometer, blockierte er den einzigen Pass durch ein ansonsten unĂŒberwindliches Gebirge. Zumindest den einzigen, welcher fĂŒr Truppenbewegungen geeignet war. Die wenigen verschlungenen Bergpfade, welche ebenfalls nach Frys fĂŒhrten, waren dafĂŒr viel zu schmal. Außerdem bedrohten Schneebretter das Leben derjenigen, welche ahnungslos durch die Winterlandschaft stiefelten. Der Wall hatte eine Höhe von fĂŒnfzig Metern und war außerdem breit genug, um mit schweren Kanonen bestĂŒckt zu werden. Die Vorfahren sollen ihn einst gebaut haben, lange vor der ersten Ära. Sein ursprĂŒnglicher Zweck ist bis zum heutigen Tage genauso rĂ€tselhaft, wie seine Konstruktionsweise. Obwohl er scheinbar nur aus schwarzem Stahl bestand, verzog sich der Wall in der EiseskĂ€lte kein StĂŒck und hielt seit Jahrtausenden allem stand, was gegen ihn zu Felde gefĂŒhrt wurde. Außerdem ließ sich der Wall augenscheinlich öffnen, was ein Spalt genau in der Mitte suggerierte, doch der Mechanismus dahinter war unbekannt. Florean bestaunte die Verteidigungsanlage und war sprachlos. Ein Schreck fuhr durch seinen Körper als Toma ihm unangekĂŒndigt mit der flachen Hand auf die Schulter klopfte. Er zuckte zusammen und zog den Nacken ein, wĂ€hrend er sich von der Mauer abwandte. Der dickliche Soldat musste lachen. “Schreckhaft bist du”, kommentierte er. “Lass das!”, meinte der Elf. “Du hast mich erschreckt!” “Selber schuld, wenn du andauernd die Mauer angaffst!” Florean betrachtete abermals das stĂ€hlerne Bollwerk. “Aber du musst zugeben, dass sie schon beeindruckend ist.” Wer direkt vor ihm stand, kam sich so klein und unbedeutend vor, wie eine Ameise. “Der Wall ist ein einziges Mysterium”, erklĂ€rte Mo. “Zwar benutzt ihn das Imperium fĂŒr seine Zwecke, aber sie wissen auch nicht, wofĂŒr er eigentlich gebaut wurde. Nur dass er viel aushĂ€lt und die Barbaren sich die ZĂ€hne an ihm ausbeißen.” “Also mehr muss ich nicht wissen”, flabste Toma. “Soldaten! Aufstellung!”, brĂŒllte der kommandierende Offizier des Verbandes. Beinahe sichtbar stellten sich die Nackenhaare der drei jungen MĂ€nner auf und sie eilten sich, dem Befehl Folge zu leisten und sich in Formation zu begeben. Alaric bezog seine vorĂŒbergehenden GemĂ€cher in der Festungsanlage, welche den Wall an einer Flanke ergĂ€nzte. Auf der anderen Seite hatte sie einen Zwilling, den wĂŒrde er auch noch inspizieren, sobald er mit dieser fertig war. Doch zuallererst wollte er ankommen. Der Raum war nach seinen WĂŒnschen gestaltet worden. Ein Bett, ein Schrank, ein Wandspiegel und ein Arbeitstisch mit Stuhl und einer Tischkerze. Eine rein funktionale, spartanische Ausstattung. Mehr brauchte er jedoch nicht, um seinen Aufgaben nachgehen zu können. Wenig begeistert schaute er indes dabei zu, wie Soldaten sein GepĂ€ck herein brachten. Eigentlich hatte er vor, sich selbst darum zu kĂŒmmern, doch der Kommandant der Festung bestand darauf, dass ein Mann seines Standes sich keinesfalls mit solchen niederen TĂ€tigkeiten befassen sollte. Wie er es hasste, hochwohlgeboren zu sein! Viel lieber wĂ€re er ein einfacher Soldat, welcher auf dem Schlachtfeld seine Ehre und LoyalitĂ€t bewies. Stattdessen war er der zweite Prinz von Aschfeuer, der Hauptverantwortliche fĂŒr die Armee und deren Zustand, der gefĂŒrchtete Soul Eater und Meister des Anima. Und seit seiner Niederlage gegen Prinzessin Emelaigne auch mit einem Bein im Totenreich - eine Tatsache, welche er dem Kaiser noch immer nicht gebeichtet hatte. Was seine Schwester in dieser Nacht mit ihm anstellte, verschaffte ihm etwas mehr Zeit auf Erden, doch wenn er seinem Instinkt glauben schenken durfte, war dies keine Lösung fĂŒr die Ewigkeit. Die Vorhölle ließ sich nicht gern verarschen und wĂŒrde jene Seele, welche seinen Platz eingenommen hatte, nicht auf Dauer akzeptieren. Die Symptome dafĂŒr zeigten sich ihm bereits. Wie lange blieb ihm wohl noch? Alaric wusste, dass ihn diese Gedanken nirgendwo hinbringen wĂŒrden. Er versuchte, sich von ihnen zu befreien, immerhin hatte er Aufgaben zu erfĂŒllen. Nachdem die Soldaten sein Zimmer verlassen hatten, trat er an eines seiner GepĂ€ckstĂŒcke heran und holte seine Unterlagen, zusammen mit einem TintenfĂ€sschen und einem Griffel, heraus. Er breitete sie auf dem Tisch aus und platzierte die Schreibwerkzeuge. Doch bevor er seinen Bericht schreiben konnte, musste er die Anlage zuerst inspizieren. Er wĂŒrde jeweils den Verantwortlichen jedes Bereiches ausquetschen und sich das Tagewerk demonstrieren lassen. Aber nicht mehr heute. Er war reif fĂŒr das Bett! 🌱 Der Wind wehte grausam den Schnee in die Gesichter und die EiseskĂ€lte in die Glieder der marschierenden Horde. Tief aus der eisigen Einöde marschierte ein grimmiges Heer von wĂŒtenden Kriegern. Gewaltige Gestalten wandelten in ihrer Mitte. Sie trugen schwere GerĂ€te und Waffen bei sich. Im Vergleich zu diesen Giganten wirkten die Menschen neben ihnen wie Spielzeuge. Sie waren geeint durch ihre von Hass erfĂŒllten Herzen. Der Zorn loderte in jedem einzelnen von ihnen. Das Verlangen, es dem ewigen Widersacher endlich heimzuzahlen, trieb die Menschen und die Kreaturen an, den unerbittlichen Schneesturm zu ĂŒberwinden und die feindlichen Festungsanlagen zu erreichen. Niemals vergaßen sie, wie sie einst vom Imperium betrogen wurden. Sie öffneten den MĂ€nnern mit den spitzen Ohren TĂŒr und Tor, ließen sie durch ihre StĂ€dte wandeln und beschenkten sie reichlich. Zum Dank nahmen sie ihnen ihre Söhne und Töchter im Tausch gegen wertlose Waren. Sie brachten ihnen das “bĂŒrgerliche” Leben nahe. Diese Politik der Zwangszivilisierung lag nun Jahrhunderte zurĂŒck, doch der Hass auf die Schwarzelfen und die ErzĂ€hlungen vom Unrecht der Vergangenheit haben in den Liedern der Barden die Zeit ĂŒberdauert. Schon oft versuchten sie, gegen das Imperium in die Schlacht zu ziehen. Stets waren sie am StĂ€hlernen Wall gescheitert. Doch dieses Mal hatte ein mĂ€chtiger und gleichermaßen weiser Kriegsherr Clans vereint und Packte mit den furchterregendsten Kreaturen des ewigen Eises geschlossen, und so ein mĂ€chtiges Heer aus dem Boden gestampft. Vielleicht das mĂ€chtigste, das je gegen das Bollwerk ausgezogen ist, hinter dem sich die feigen Elfen versteckten. Der Tag der Rache war gekommen! Die Faust des Nordens wĂŒrde mit all ihrer StĂ€rke den Feind erbarmungslos zermalmen. Und wenn ihre Mauer unzerstörbar war, hieß das nicht, dass man sie nicht ĂŒberwinden konnte. Schmerz und Leid erwarteten die ehrlosen Spitzohren. Die Kanonen reihten sich auf der Krone der Mauer aneinander. Das weiße Licht der Sonne wurde von den Rohren der schweren Waffen reflektiert. Der Wachposten beobachtete etwas in weiter Ferne. Er hatte gerade nichts besseres zu tun, also schenkte er den eisigen Winden seine Aufmerksamkeit. Ihn faszinierte das Wetter schon immer. Die Unberechenbarkeit, ebenso wie die Schönheit. Er nutzte das Fernrohr, um das Naturschauspiel noch besser beobachten zu können. Die Flocken tanzten in den mĂ€chtigen Böen und verliehen der Wolkenformation etwas Lebendiges. In den oberen Schichten der Wolken rieben sich die Eiskristalle aneinander, was eine elektrostatische Aufladung zur Folge hatte. Gelegentlich zuckten Blitze durch den Himmel. Er erspĂ€hte etwas seltsames. Etwas bewegte sich innerhalb des Sturmes. Als der SpĂ€her genauer hinsah, erkannte er die Konturen eines menschenĂ€hnlichen Wesens. Doch es war viel zu groß. Selbst mit dem Fernrohr sollte er aus dieser Entfernung nicht in der Lage seien, Menschliche gestalten so deutlich auszumachen. Sie musste riesig sein! Aber selbst wenn, wer, der noch ganz bei Trost war, marschierte freiwillig durch dieses lebensfeindliche Wetter? Er wollte unbedingt wissen, was es damit auf sich hatte und ließ es nicht mehr aus den Augen. Dann offenbarten die Schneeverwehungen weitere Details und ihm wurde klar, dass er schleunigst den Alarm ausrufen musste. Wie war er nur in diese Lage geraten? Florean saß zusammen mit zwei gruseligen Gestalten an einem Tisch, vor ihm ein Stapel Spielkarten. Zuvor waren er, Mo und Toma mit diesen MĂ€nnern aneinandergeraten. Sie hatten sich wegen einer Nichtigkeit gestritten und ein Wort fĂŒhrte zum anderen. Bevor die Situation komplett ausartete, schlug einer der MĂ€nner vor, die Streitigkeiten bei einem Kartenspiel aus der Welt zu schaffen. Florean stimmte zu, obwohl er ĂŒberhaupt keine Ahnung hatte, wie man spielt. Siegessicher grinsten die anderen Beiden. Sie hatten ausgemacht, dass wenn Florean verliert, er und seine beiden Freunde fĂŒr den Rest ihrer Stationierung die Quartiere der Soldaten aufrĂ€umen wĂŒrden. Sollte er gewinnen, wĂŒrden sie im Gegenzug alles machen, was er von ihnen verlangt. Es klang auf den ersten Blick nach einer guten Idee... Sich jetzt erst dem Ausmaß seiner NaivitĂ€t bewusst werdend, starrte Florean völlig ahnungslos auf das Kartendeck in der Mitte des Tisches. Einer der Soldaten lachte. “Na, hast du dich schon mit dem Besen vertraut gemacht?", spottete er. “Der wird bald dein bester Freund.” Der Elf zuckte zusammen. “Nicht verzagen, Toma fragen!”, ermutigte der dicke Mann seinen Freund. “Ich kenne die Regeln, keine Angst.” “Hey, das zĂ€hlt nicht!”, beschwerte sich der zweite Soldat. “Jemanden in einem Spiel ĂŒber den Tisch zu ziehen, das er noch nie gespielt hat, aber auch nicht!”, ermahnte Mo. “Von mir aus! Dann erklĂ€re es ihm. Wir gewinnen sowieso!” Toma nahm neben Florean am Tisch platz und ergriff den Kartenstapel. “Bei diesem Spiel geht es darum, möglichst viele Punkte zu sammeln”, begann er zu erklĂ€ren. “DafĂŒr musst du deine Handkarten klug ausspielen.” Er begann die einzelnen Karten sortiert nach ihrer Farbe ĂŒbereinander hinzulegen. “Man spielt mit zweiunddreißig Karten. Es gibt vier Farben: Kreuz, Pik, Herz und Karo. Die einzelnen Karten haben zudem einen Wert. Siehe da, es gibt sieben, acht, neun und zehn. Verstanden. Außerdem gibt es Bildkarten, welche alle einen höheren Wert haben. Beginnend mit dem Buben, folgt dann Dame, König und das Ass.” Er legte die Karten wieder zusammen und mischte das Deck, bevor er es wieder in der Mitte des Tisches platzierte. “Die jeweiligen Spieler bezeichnet man als Vor-, Mittel- und Hinterhand, je nachdem, in welcher Reihenfolge Karten gegeben werden. Es werden immer sechs Karten ausgegeben. Vorhand spielt dann eine beliebige Karte aus. Die anderen Spieler geben dann jeweils eine Karte in der gleichen Farbe hinzu. Der Spieler, welcher den höchsten Wert besitzt, erhĂ€lt den Stich und darf alle Karten behalten. Wer die meisten Karten in seinen Besitz bringt, hat auch die meisten Punkte.” Toma lĂ€chelte zu Florean herĂŒber. “Alles soweit verstanden?” Florean nickte zaghaft. “Gut! Wir zĂ€hlen auf dich!” “Wehe, ich muss ab morgen wegen dir mehr als mein eigenes Quartier fegen!”, drohte Mo neckisch. Mut machte das Florean ganz sicher nicht. “Ich will mal nicht so sein”, meinte einer der Gegner. “Du darfst als erstes Karten geben. Also los, fang an!” Vorsichtig begann der junge Elf abwechselnd jedem Spieler eine Karte zu geben, beginnend bei sich, bis alle sechs davon auf der Hand hielten. Er sah auf sein Blatt. Er hatte Pik Acht, Karo Zehn, Karo Neun, Herz Bube, Kreuz Dame und Kreuz König. Gar nicht mal so schlecht, dachte er. Doch er behielt sein Pokerface. “Los, spiele eine Karte, Bengel!”, forderte einer der Ă€lteren Soldaten. Zitternd bewegte sich Floreans Hand ĂŒber sein Blatt. Welche Karte sollte er wĂ€hlen? Zwar bescherte ihm das GlĂŒck hohe Karten, doch war es genauso gut möglich, dass seine Gegner ihn ĂŒberbieten wĂŒrden. Letztlich entschloss er sich, in die Vollen zu gehen und ergriff seine höchste Karte. Doch gerade als er sie ansagen wollte, leutete urplötzlich die Alarmglocke. Alaric war gerade dabei, das Munitionslager in Augenschein zu nehmen, die Ausstattung zu prĂŒfen und sich Notizen darĂŒber anzufertigen, als es auf einmal hektisch in der Festung wurde. Etwas musste vorgefallen sein! Vermutlich versuchte erneut ein Heer aus dem Norden den StĂ€hlernen Wall zu ĂŒberwinden. Ein aussichtsloses Unterfangen! In hunderten Jahren Krieg war es dem Feind aus dem ewigen Eis nicht ein einziges Mal gelungen. Allerdings bot sich Alaric nun die einmalige Chance, die Einrichtung wĂ€hrend eines realen Angriffs zu erleben. Er beschloss, die Effizienz der MĂ€nner wĂ€hrend dieses Kampfeinsatzes genau anzusehen. Wenn es nötig wĂ€re, wollte er sich dem Feind selbst annehmen. Angesichts der Kunde eines gewaltigen Heeres aus den eisigen Weiten Frys’ wurden alle verfĂŒgbaren MĂ€nner mobilisiert. Die Versorgungseinheit sollte den Nachschub an Munition und Pulver fĂŒr die großen Kanonen auf der Mauerkrone sicherstellen, wĂ€hrend die Besatzung die schweren Waffen operieren und gegen die Feinde kĂ€mpfen sollte. Die Delegation des Prinzen half ebenfalls. Zwar war es unmöglich, dass ungewaschene Barbaren dieses Wunderwerk der Vorfahren niederreißen konnten, doch man wollte ihnen auch nicht die Möglichkeit geben, es zu versuchen. Auch Florean wurde zum Dienst eingeteilt. Er sollte die Versorgungseinheit unterstĂŒtzen. Seine Aufgabe war es, zusammen mit weiteren Kameraden, die Munition dorthin zu bringen, wo sie gebraucht wurde. Sie wurde mittels FlaschenzĂŒgen die fĂŒnfzig Meter hinauf auf den Wall gehievt und dann abgeholt. Die massiven eisernen Kugeln waren so schwer, dass sie in einer Schubkarre bewegt werden mussten. WĂ€hrend den Vorbereitungen fĂŒr den Abschuss der ersten Salve hatte keiner Zeit, sich wegen des Aufgebot der Feinde zu Ă€ngstigen. Auf der anderen Seite des Walls brachte sich der Feind in Stellung. Anders als die wohl geformten Formationen des Kaiserreich, standen diese MĂ€nner in chaotisch zusammen gewĂŒrfelten Horden beisammen. In vorderster Front befanden sich die BogenschĂŒtzen. Die aus verschiedenen robusten Hölzern des Nordens gefertigten Langbögen waren in der Lage, selbst auf einer Distanz von zweihundert Metern ihr Ziel nicht nur zu treffen, sondern auch noch zu durchbohren, wenn es keine schwere RĂŒstung trug. Dahinter lauerten unzĂ€hlige Berserker auf ihre Chance, die Feinde der NordmĂ€nner mit ihren ĂŒbergroßen Äxten in kleinste StĂŒckchen zu zerhacken. Es waren wĂŒtende, kampfeslĂŒsterne MĂ€nner mit der Kraft eines BĂ€ren. Unter ihnen gab es auch einige Frauen, welche vielleicht etwas kleiner aber nicht weniger bedrohlich wirkten. Selbst die Frauen des Nordens ĂŒberragten den durchschnittliche Mann des Kernlandes um mindestens einen halben Kopf. Zwischen den beĂ€ngstigenden AxtkĂ€mpfern zogen einige Barbaren riesige, auf Schlitten angebrachte Ballisten an dicken Tauen durch den Schnee, deren Aufgabe es sein sollte, die Kanonen auf der Mauer auszuschalten. Sie waren zwar Barbaren, jedoch keinesfalls dumm, wie es das Kaiserreich propagierte. Der wahre Grund fĂŒr unfreiwillig befeuchtete imperiale Beinkleider waren keine Menschen, sondern die gigantischen Monster. Eisriesen vom Nordpol denen man nachsagte, dass sie nicht aus Fleisch, sondern aus Schnee bestĂŒnden. Einige von ihnen erreichten eine GrĂ¶ĂŸe von zwanzig Metern. Das genĂŒgte nicht den gewaltigen Wall von fĂŒnfzig Metern zu ĂŒberragen, Eindruck konnten sie dennoch schinden. Sie trugen zudem gewaltige dornenbewehrte Keulen mit sich, die sie nur allzu gern einsetzten, menschliche Behausungen zu zermalmen. Doch sie hatten mit den NordmĂ€nnern ihren Frieden gemacht, da auch sie auf Vergeltung gegen das Reich der Schwarzelfen aus waren. Sie waren vielleicht nicht so intelligent wie die Menschen, doch das Konzept eines BĂŒndnisses verstanden sie. Die Barbaren wussten ihre Schlagkraft zu schĂ€tzen. Neben ihren Keulen trugen einige Eisriesen Leitern bei sich, deren Sprossen und Stangen aus ganzen BaumstĂ€mmen gemacht waren. Mit ihnen wollten sie ĂŒberwinden, was als unĂŒberwindbar galt. Die Schwarzelfen sahen sich den Aufmarsch des Feindes nicht lĂ€nger untĂ€tig mit an. “Richtet die Kanonen aus!”, befahl der Kommandant, welcher persönlich die Mauerkrone erklommen hatte, um seine Befehle in die RĂ€nge seiner Untergebenen zu blasen. GeschĂŒtz um GeschĂŒtz wurde in Position gebracht, als die Schreier seine Order die einen Kilometer lange Mauer weiter trugen. “Feuer ohne Befehl!”, ergĂ€nzte der Kommandant und glĂŒhende Geschosse verließen die LĂ€ufe der Kanonen. Die Kugeln schlugen in dem verschneiten Boden ein und wirbelten viel Material auf. Die mutigen Krieger Frys’ stĂŒrmten ohne zu zögern durch den Beschuss. Einige Kugeln trafen ihr Ziel und rissen einige Barbaren in StĂŒcke. Andere wurden von der Druckwelle vom Zentrum des Einschlags weggeschleudert. Die Barbaren wussten allerdings, dass sie nur nah an die Mauer heran kommen mussten, und sie befĂ€nden sich im Schutz des toten Winkels. Die Gestelle der Kanonen konnten kaum weit genug ĂŒber den Rand ausgerichtet werden. Ab einer Entfernung von etwa zweihundert Metern waren die Angreifer vor den tödlichen Geschossen in Sicherheit. Allerdings nahmen sie dann die gegnerischen BogenschĂŒtzen ins Visier. Unter dem Pfeilhagel der elfischen Soldaten, richteten die Barbaren jene Ballisten auf die Kanonen aus, welche den toten Winkel unversehrt erreichten. Einer der MĂ€nner wurde von einem Pfeil genau zwischen den Augen erwischt und brach tot zusammen. Sofort nahm ein anderer Barbar seinen Platz ein. Florean war derweil damit beschĂ€ftigt, eine Schubkarre mit Munition zu bewegen. “Erschießt du einen, kommen drei neue nach!”, hörte er einen der SchĂŒtzen klagen, wĂ€hrend dieser den Bogen erneut spannte und einen Pfeil anlegte. Die Antwort des zweiten verstand Florean nicht mehr, da er einfach immer weiter ging, bis er sein Ziel erreichte. Er lieferte seine Fracht ab und wollte eben beim Ausladen helfen, als sein Blick auf Toma viel. Dieser half gerade nicht weit von ihm dabei, eine Kugel in eine Kanone zu hieven. Er konnte sie nicht allein anheben und benötigte die Hilfe eines zweiten Mannes. Genau in diesem Moment feuerte eine der Ballisten ihren tödlichen Spieß ab. Das Geschoss verfehlte die Kanone haarscharf, traf jedoch Toma genau in der Körpermitte, durchbohrte ihn und riss ihn mit sich ĂŒber die Kante der Mauer hinweg zurĂŒck ĂŒber die Grenze auf imperialen Boden. Florean konnte nicht begreifen, was er da gerade gesehen hatte. “Hey, Soldat!”, schrie ihn ein gestresster Kanonier an, als er wie versteinert an die Stelle starrte, wo zuvor noch sein Freund stand. “Höre auf zu pennen!” “Er ist tot!”, entgegnete er. “Na und? Wir sind Soldaten und als Soldat muss man mit dem Tod rechnen!” “Aber er war mein Freund!” Auf diese Aussage hin packte ihn sein GegenĂŒber und zerrte ihn ĂŒber den Rand des Walls. “Reiß dich zusammen, oder sollen die da unten uns alle abschlachten?! Willst du das?!!” Dann zog er ihn wieder zurĂŒck und ließ von ihm ab. Florean wurde schmerzlichst bewusst, dass das Leben des Einzelnen im Krieg rein gar nichts bedeutete und er funktionieren musste, wollte er eine Chance haben zu ĂŒberleben. Wenn er seine Aufgabe nicht richtig erfĂŒllte, wĂŒrden noch viel mehr den Tod finden. Er schluckte seinen Kummer herunter und nahm seine Arbeit wieder auf. Derweil ertönte ein Horn aus den hinteren Reihen der Angreifer. Ein Signal, auf das die Eisriesen nur gewartet hatten. Endlich konnten sie sich in die Schlacht stĂŒrzen. Bisher hielt sie der Feind in der Hinterhand. Ihre riesigen Beine trugen sie in Windeseile an die Mauer heran. Zu schnell fĂŒr die Kanoniere, um nachzuladen. Die Riesen legten ihre massiven Leitern an dem stĂ€hlernen Bollwerk des verhassten Feindes an und erklommen den Wall. Oben angekommen erhoben sie ihre mĂ€chtigen Schlagwaffen und prĂŒgelten grunzend in blinder Wut auf die Feinde und deren Artillerie ein, wie Kinder, die im Spiel einen Ameisenhaufen mit einem Stock maltrĂ€tierten. Verzweifelt wurden einige Kanonen gedreht und auf die Monster gerichtet. SchĂŒsse wurden eiligst abgefeuert, ohne den Winkel zu korrigieren. Eine Kanonenkugel zerschlug eine Leiter und der auf ihr stehende Riese verlor den Halt. Er klammerte sich mit einer Hand an der Mauerkrone fest und versuchte, sich die Feinde mit der Keule vom Hals zu halten. Doch die Soldaten stachen mit ihren Schwertern in seine Finger, woraufhin er losließ und hinunter stĂŒrzte. Aufgrund seines Gewichtes schĂ€digte ihn der Aufprall viel mehr, als es bei einem Menschen der Fall gewesen wĂ€re, welcher aus einer verhĂ€ltnismĂ€ĂŸig gleichen Höhe stĂŒrzte. Der Riese stand nicht wieder auf. Florean fand sich eingekesselt zwischen zwei wĂŒtenden Eisriesen wieder, welche die Kanonen mit ihren Keulen zermalmten. Dabei schlugen sie wild stets dorthin, wo sich noch etwas bewegte. Schockiert erspĂ€hte Florean Mo, welcher unter einer Kanone eingeklemmt war, deren Halterung den SchlĂ€gen nicht mehr standgehalten hatte. Mo streckte seinen Arm hilfesuchend nach ihm aus, als er ihn bemerkte. Er lag auf dem Bauch und allein konnte er sich nicht befreien. Sofort wollte Florean losrennen, doch dem Riesen wurde bewusst, dass er noch nicht alles totgeschlagen hatte und ließ seine mĂ€chtige Keule noch einmal niedergehen. ZurĂŒck blieb ein zerbrochenes Kanonenrohr und eine zerschmetterte Leiche. “Nein!”, schrie Florean wie von Sinnen, ließ alles stehen und liegen und rannte zum Ort des Geschehens, völlig blind gegenĂŒber der Bedrohung, welche ihn jeden Moment ebenfalls zermalmen könnte. “Mo, stehe auf!”, befahl er und rĂŒttelte verzweifelt am toten Körper seines Freundes. Indes erhob der Eisriese seine Keule und holte fĂŒr einen weiteren Schlag aus. Der Schatten verriet Florean sein nahendes Ende. Er ließ Mo loß und kauerte sich zusammen. Statt eines Einschlages vernahm er das Rasseln einer Kette. Vorsichtig traute er sich aufzusehen. Er hatte viel zu lange nicht eingegriffen. Erst jetzt stieg Alaric die Mauerkrone empor und sah das Ausmaß des feindlichen Überfalls. Alaric verurteilte sich selbst fĂŒr sein Zagen. Aber er rechnete nicht mit einem derart mĂ€chtigen Angriff auf den StĂ€hlernen Wall. Niemand tat das. Die Barbaren waren untereinander zerstritten. Es gab unzĂ€hlige kleinere und grĂ¶ĂŸere FĂŒrstentĂŒmer, deren Jarl meist nicht gut aufeinander zu sprechen waren. Wenn sie nicht gerade fremde LĂ€nder plĂŒnderten, bekriegten sie sich untereinander. Und da waren auch noch die Eisriesen, die nun Seite an Seite mit den Menschen zu Felde zogen, ungeachtet ihrer Differenzen. Es gab eigentlich nur eine Person im Norden mit genug diplomatischem Geschick, dies alles in die Wege zu leiten. Alaric musste unbedingt wissen, ob er damit Recht hatte. Zuvor galt es, den Ansturm aufzuhalten. Der Prinz beschwor seine Teufelswaffe, als er ĂŒber die Mauer hechtete. “Trenne Körper und Geist, Anima!”, rief er und aus blauen Flammen materialisierte sich eine lange schwarze Kette mit klingenbewehrtem Ende. Als er in Keulenreichweite eines der Eisriesen gelangte, versuchte dieser ihn zu erschlagen, doch Alaric nutzte Anima, um dessen Seele herauszuschneiden und das UngetĂŒm in eine gewaltige leblose HĂŒlle zu verwandeln, die einfach so, regungslos, auf den Sprossen der Leiter verharrte. WĂŒrde sie niemand entfernen, dann wahrscheinlich fĂŒr immer. Alaric benutzte seine besondere FĂ€higkeit “Soul Eater”, um die entrissene Seele aufzunehmen und zu verhindern, dass sie zu dem UngetĂŒm zurĂŒckkehren wĂŒrde. Die Essenz eines Eisriesen war anders, als die eines Menschen. Er fĂŒhlte fĂŒr einen Moment, wie sich die KĂ€lte von frisch gefallenem Schnee in seinem Körper ausbreitete. Ein zweiter Riese war drauf und dran, einen Soldaten zu erschlagen. Alaric attackierte auch diesen mit Anima. Die Kette der Teufelswaffe wickelte sich um die Keule. Er mobilsierte seine TeufelskrĂ€fte und zerrte so stark an der Waffe, dass der Riese mitgerissen wurde und von der Leiter fiel. Als er nĂ€her kam, erkannte Alaric, dass es sich bei dem Soldaten um einen der Rekruten handelte, welche er vor zwei Wochen selbst auserwĂ€hlt hatte. FĂŒr die ihm direkt unterstellten MĂ€nner fĂŒhlte er sich besonders verantwortlich. “Ist alles in Ordnung bei dir?”, fragte er seinen Untergebenen. Wortlos, mit TrĂ€nen in den Augen, blickte Florean zu seinem toten Freund. Alaric erkannte den Toten, auch wenn es bei den ihm zugefĂŒgten Wunden und all dem Blut nicht so einfach war. Es war einer der MĂ€nner aus der Versorgungseinheit, mit denen Florean Umgang pflegte. “Gehe in die Festung!”, befahl Alaric daraufhin. Der junge Soldat gehorchte. Alaric hingegen setzte seinen Angriff auf die Eisriesen fort, welche noch immer die Mauer stĂŒrmten, und einer nach dem anderen stĂŒrzte in den Tod, als der Prinz die Belagerer gewaltsam von der Mauer entfernte. Die Kreaturen waren mĂ€chtig und stark, doch ebenso reaktionslahm und unflexibel. An Kampfmoral schien es ihnen ebenfalls zu mangeln. Die verbleibenden Eisriesen kletterten rĂŒckwĂ€rts ihre Leitern herunter und ergriffen panisch die Flucht, obwohl Alaric erst wenige von ihnen erschlagen hatte. Bei dem Versuch die eigene Haut zu retten, achteten sie weder auf Freund noch Feind und rannten durch die Reihen der Barbaren, wobei sie einige von ihnen zertrampelten. Alaric sprang unbeirrt davon auf eine der zurĂŒckgelassenen Leitern und rutschte an dem Baumstamm hinunter. Kaum unten angekommen, griffen ihn die Barbaren an, doch mit einem Streich des Anima hielt er sie sich vom Hals. Die Waffe traf seine Gegner und entriss ihnen kurzzeitig die Seele. Alaric entschied sich, Soul Eater diesmal nicht einzusetzen und so kehrten die Seelen nach einigen Sekunden in ihre Körper zurĂŒck. Die Angriffe ebbten angesichts der Aussicht auf eine weitere außerkörperliche Erfahrung ab. Niemand wollte von Anima getroffen werden. WeitrĂ€umig gingen die eingeschĂŒchterten Krieger dem Mann mit den rot glĂŒhenden Augen aus dem Weg. Er hingegen bewegte sich unbeirrt auf den AnfĂŒhrer der Armee zu. “Ihr? Hier?!”, fragte ein bĂ€rtiger Mann. Er trug einen verzierten Nasenhelm unter dem seine mĂ€chtige gelockte brĂ€unlich-rote MĂ€hne ans Tageslicht trat. Alaric erkannte, dass eine Vermutung richtig war. “Es ist mir eine Ehre, Jarl Thordir!”, erwiderte er und verneigte sich kurz. Nur dieser Mann war gleichermaßen gewandt mit der Axt und mit der Zunge. Eigentlich betrachtete Thordir alle Kaiserlichen als LĂŒgner. Der Prinz bildete eine Ausnahme von dieser Regel. Ihn sah er als waren Ehrenmann. Einige Male hatten sie bei “Verhandlungen” ihre Argumente ausgetauscht. Eine Verhandlung bedeutete bei den Barbaren stets einen Kampf auszutragen. Derjenige, welcher der stĂ€rkere war, konnte seine Ambitionen durchsetzen. Diese KĂ€mpfe waren nur Show und es war verboten den Gegner zu töten. Meistens ging es darum, dass das FĂŒrstentum die Angriffe auf kaiserliche KĂŒstenstĂ€dte im Westen unterlassen oder dem ungeliebten Feind im Osten des Kontinent einen Besucht abstatten sollte. Thordirs Siegesquote bei seinen KĂ€mpfen mit dem Prinzen war ausgeglichen. Alaric verzichtete sogar auf Teufelswaffe und Teufelskraft. Beide respektierten sich als starke Krieger und so war Thordir gewillt, Alaric anzuhören. “Was wollt Ihr?” “Ich möchte Euch vorschlagen, dass Ihr die Armee zurĂŒckzieht.” “Ha ha ha!” Der Nordmann hielt sich beim Lachen den Bauch. “Wieso sollte ich das tun?” “Weil ich Euch zum Kampf herausfordere. Sollte ich gewinnen, wird sich die Armee zurĂŒckziehen. Solltet Ihr gewinnen, dann dĂŒrft Ihr gern weiter Euer GlĂŒck versuchen und ich halte mich raus.” “Was ist das fĂŒr ein Kuhhandel? Öffnet mir dann gefĂ€lligst das Tor!” “Ich fĂŒrchte, das ist unmöglich. Niemand weiß, wie der Wall geöffnet wird.” Thordir war bewusst, dass Alaric großen Schaden anrichten könnte, wenn er es wollte. Der Prinz wĂŒrde sicher nicht lĂŒgen. Wahrscheinlich wusste wirklich niemand, wie der StĂ€hlerne Wall geöffnet werden konnte. Vielleicht war ein Angriff ĂŒber diesen Weg wirklich aussichtslos. Vielleicht kam ihm zu oft das Wort “Vielleicht” bei seinen GrĂŒbeleien in den Sinn. Der Jarl wollte seine Leute nicht in den sicheren Tod schicken. Selbst wenn es gelĂ€nge, Prinz Alaric auszuschalten, wĂ€re der Preis zu hoch. Ohne einen guten Vorwand konnte er jedoch keinen RĂŒckzug befehlen, ohne vor den anderen Barbaren sein Gesicht zu verlieren. “Na schön, ich akzeptiere.” Es wurde ein neutraler Raum geschaffen. Die Barbaren stellten sich im Kreis um Alaric und Thordir auf. Der Jarl warf seine Berserkeraxt einem Krieger im Publikum zu. Alaric tat es ihm gleich, indem er Anima verschwinden ließ, das bis jetzt noch zum Zwecke der Abschreckung um seinen Arm gewickelt war. Zufrieden lĂ€chelte der Nordmann. “Bringt uns Schwerter und Schilde!”, befahl er anschließend ohne direktes Ziel in die Menge. Seine Untergebenen befolgten die Anweisung und brachten zwei bemalte Rundschilde und zwei Einhandschwerter. Eines der Schilde zierte ein BĂ€r, das andere ein Wolf. Alaric wĂ€hlte den BĂ€r. In beide Schwerter war jeweils das gleiche Runenmuster eingraviert. Die MĂ€nner schnallten ihren Schild um und nahmen das Schwert in die Hand. “Wir kĂ€mpfen hier nicht um Leben und Tod”, erinnerte Thordir. “Es geht einzig und allein um die Ehre.” “NatĂŒrlich!”, bestĂ€tigte der Schwarzelf. Beide steckten die Schwerter weg und gaben sich die Hand. Die Kontrahenten entfernten sich voneinander. Nach einigen Schritten wandten sie einander wieder zu, zogen die Waffen und begannen mit dem Kampf. WĂ€hrend Alaric auf Nummer Sicher ging und Schild voran in der Defensive verblieb, handelte Thordir nach der Devise “Angriff ist die beste Verteidigung” und stĂŒrmte auf seinen Gegner zu. WĂ€hrend ihres Kampfes schenkten sie sich augenscheinlich nichts. Neben den Schwerthieben und den Schildparaden tauschten sie ebenfalls handfeste Argumente in Form von Tritten, KopfnĂŒssen und Ellenhieben aus. Alaric bemerkte jedoch etwas seltsames. Dieses Mal schien Thordir ihn zu schonen. Die Angriffe schindeten zwar mĂ€chtig Eindruck, das war aber auch alles, was sie taten. Er interpretierte, dass Thordir diesen Schaukampf absichtlich verlieren wollte. Vermutlich nutzte er dies als Rechtfertigung, den aussichtslosen Angriff abzubrechen, ohne Ansehen zu verlieren. Dem Prinzen sollte dies nur Recht sein. Niemand sollte in einem Kampf fallen, den man nicht gewinnen kann. Außerdem konnte er sich ohne ein angreifendes feindliches Heer besser auf die Inspektion konzentrieren. Alaric tat Thordir den Gefallen und zerschmetterte dessen Schild. Danach entwaffnete er ihn, was auch ungewohnt einfach vonstattenging. Offenbar hatte er abermals die richtigen SchlĂŒsse gezogen. Demonstrativ richtete er seine Waffe auf den wehrlosen Nordmann. “Ich habe gewonnen!”, verkĂŒndete er. “Das habt Ihr”, bestĂ€tigte Thordir mit gespielter Erschöpfung. Er wandte sich von Alaric ab und sprach zu den barbarischen Zuschauern. “MĂ€nner! Ich gab mein Wort. Lasst uns den RĂŒckzug antreten!” Widerwillig befolgten sie die Befehle des Jarls. Ob sie wollten oder nicht, sie hatten ihm die Treue geschworen. Wenn sie nicht so feige und ehrlos sein wollten, wie die Eisriesen, die im Angesicht des Todes die Flucht ergriffen, mussten sie die Entscheidung des Kriegsherrn akzeptieren. Alaric ĂŒberreichte Schwert und Schild einem der Barbaren. Das feindliche Heer trat den RĂŒckzug an. Bereits im Gehen begriffen, wandte sich Thordir noch einmal zu dem Elfen um und rief ihm etwas zu: “Ihr seid ein Ehrenmann, Alaric! Schade, dass Ihr ein Elf seid. An Euch wĂ€re ein guter Nordmann verloren gegangen!” Nach diesen Worten verließ er endgĂŒltig den Schauplatz des Geschehens. Alaric konnte einen weiteren diplomatischen Erfolg verbuchen. Drei Tage spĂ€ter. Florean stand bei den GrĂ€bern der Gefallenen, um ihnen seinen Respekt zu zollen. Besonders seinen beiden Freunden Mo und Toma, welche er nur kurz kannte, deren Verlust er jedoch kaum ertragen konnte. Die Toten wurden nach der Schlacht schnell im Schatten des erstarrten Eisriesen begraben, welcher noch immer auf seiner Leiter stand. Der Prinz machte sich selbst dabei Notizen. Als könne man die Effizienz eines BegrĂ€bnisses messen. Er hatte ihm zwar einige trostspendende Worte zukommen lassen, doch das machte Floreans Traurigkeit nur noch schlimmer. Am Ende gab der Prinz ihm frei und brach mit seinem ĂŒbrigen Gefolge zum GegenstĂŒck der Festung am anderen Ende des Walls auf. Florean ĂŒberblickte die GrĂ€ber. Wieso hatte gerade er ĂŒberlebt? Normalerweise waren MĂ€nner wie er die ersten, die starben. Welches grausame Spiel trieb das Schicksal mit ihm, dass stattdessen die anderen ihre Leben verloren? Der Elf wandte sich von den GrĂ€bern ab und machte sich ebenfalls auf dem Weg zum anderen Ende des Walls. Er war schließlich noch immer Soldat und dem Prinzen unterstellt. Er musste seine Pflicht erfĂŒllen. Prinz Alaric von Aschfeuer brĂŒtete ĂŒber seinen Berichten. Akribisch brachte er alles geordnet zu Papier, was er sich in den vergangenen Tagen teils hastig notiert hatte. Informationen ĂŒber den Zustand der Festungen: Sie waren beide gut bestĂŒckt. Munition und Schießpulver in ausreichenden Mengen vorhanden und der Verlust einiger Kanonen und MĂ€nner beim Angriff konnte leicht kompensiert werden. Informationen ĂŒber die Moral der Truppe: Trotz eines furchteinflĂ¶ĂŸenden Gegners konnten die MĂ€nner ihre Pflicht erfĂŒllen. Zwar gab es Verluste, doch angesichts der feindlichen Übermacht, hatten sie sich gut geschlagen. Anmerkungen fĂŒr die Zukunft: Die GarnisonstĂ€rke war nicht fĂŒr einen schweren Angriff ausgelegt. Niemand hĂ€tte damit rechnen können, da es noch niemals vorgekommen war, zukĂŒnftig muss man es allerdings in Betracht ziehen. Alaric pausierte seinen Schreibfluss. Letztlich blieb ihm keine andere Wahl, als selbst einzugreifen. Es bestand die Gefahr, dass es den Barbaren gelingen könnte, den Wall zu ĂŒberwinden. Die Untertanen in den angrenzenden Provinzen wĂ€ren dem Zorn der wĂŒtenden NordmĂ€nner ausgeliefert gewesen. Bis die Truppen aus den nĂ€chstgelegenen Festungen zusammengezogen und zum Gegenschlag bereit gewesen wĂ€ren, hĂ€tte es viele weitere unschuldige Tote gegeben. Das wollte er nicht verantworten. Als Prinz war es seine Aufgabe, die Untertanen des Reiches zu beschĂŒtzen. Alles andere wĂ€re einfach nur ehrlos gewesen! Zu versuchen, eine ganze Armee im Alleingang abzuschlachten, war allerdings auch keine Option. Was hĂ€tte er getan, wenn ein anderer Kriegsherr die Barbaren und die Eisriesen in die Schlacht gefĂŒhrt hĂ€tte? Als er all dies niederschrieb, spĂŒrte Alaric erneut einen Schmerz in seinem Kopf. Er stĂŒtzte sein OberstĂŒbchen mit dem linken Arm ab und raufte dabei leicht seine extravagant gestylten Haare. WĂ€hrend er versuchte, die Pein zu ertragen und weiter seine Arbeit zu erledigen, verĂ€nderte sich sichtlich sein Schriftbild. Die perfekten sauberen Buchstaben seiner Handschrift verkamen zu wackeligen und buckligen Abstraktionen ihrer selbst. Sie spiegelten die Qualen ihres Schreibers wieder. Alaric steckte den Griffel zurĂŒck in das Tintenfass und erhob sich. Die rechte Hand gesellte sich zur linken. Das Stechen in seinem Kopf wurde immer mĂ€chtiger. Er spĂŒrte, wie er drauf und dran war, das Gleichgewicht zu verlieren. Aus einem inneren Impuls heraus schleppte er sich erneut zu einem Spiegel. Angestrengt stĂŒtzte er sich links und rechts von ihm am Mauerwerk ab und starrte auf die von Schmerz gequĂ€lte Visage, reflektiert von der GlasoberflĂ€che. Hinter ihm erschien abermals ein Schatten. Langsam tauchte eine menschliche Gestalt aus der SchwĂ€rze auf. Ihr langes blondes Haar und ihre Figur ließen auf eine Frau schließen, doch noch immer konnte man das Gesicht nicht erkennen. Erschrocken sah Alaric hinter sich. Wie so oft war dort niemand. Der Schwarzelf atmete hektisch und sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Das war keine einfache Fantasie mehr. Er wandte sich dem Spiegel zu. Der Schock traf ihn wie ein Schlag, sodass er fĂŒr einen Moment allen Schmerz vergaß. Ihm gegenĂŒber war nicht mehr lĂ€nger sein gequĂ€ltes Gesicht. Stattdessen starrte ihm eine blasse Gestalt entgegen. Dieses Mal konnte er sie genau sehen. Haare, golden wie reifes Getreide. Augen, so blau wie der wolkenlose Himmel des SpĂ€therbst. Er erinnerte sich an sie. Sie war die Frau, welcher er einst die Seele stahl. Sie öffnete zaghaft ihren Mund zum sprechen. “Lass mich gehen!”, formulierte sie. Alaric wollte es nicht wahrhaben. Er kniff die Augen zusammen und hielt sich die Ohren zu, doch die stets lauter werdenden Rufe drangen in seinen Geist ein, wie ein ungebetener Gast in eine Hochzeitsfeier. Auch der Schmerz wurde wieder fĂŒhlbar und jedes Wort der Frau löste eine weitere Welle aus, welche sich eines Dolches gleich in seinen SchĂ€del bohrte. Sein Leiden ließ ihn die Beherrschung verlieren. Er riss seine Augen auf, da es sowieso egal war, ob diese geschlossen waren oder nicht. Das Bild der Frau brannte durch seine Lieder, er konnte ihm nicht entkommen. “Was willst du von mir?!”, schrie er verzweifelt in den Spiegel. “Hau ab! Lass mich in Ruhe!” NatĂŒrlich tat sie ihm den Gefallen nicht. “Ich sagte, du sollst verschwinden!” Der Wahnsinn in seiner Stimme intensivierte sich. “HAU AB!!!” Doch der Geist blieb. “Bitte, hilf mir!” Alarics Atmung wurde immer schwerer. Seine Augen begannen zu glĂŒhen. “VeRScHWiNDe!!!!” Er ballte die Hand zur Faust, zerschlug den Spiegel und bohre seinen Arm in das Mauerwerk. Staub und TrĂŒmmer flogen in alle Richtungen. Er zog seine Hand aus der Wand heraus. Splitter blieben in ihr stecken, aber das war ihm egal. Endlich verflog der Schmerz in seinem Kopf. Was war da schon eine stark blutende Hand? Seine Atmung beruhigte sich und das GlĂŒhen in seinen Augen erlosch. Erschöpft ließ sich Alaric auf die Knie sacken. Jedes Mal wurde es schlimmer! Es war nicht mehr auszuhalten! 🌱 Nach einer weiteren lieblosen Nacht schlich sich Belanor abermals davon. Leise schloss er die TĂŒr hinter sich ab und befahl der Wache, er möge vergessen, ihn gesehen zu haben. Er musste sich beeilen, denn das, wonach sich sein Herz wirklich verzehrte, befand sich nicht hinter der TĂŒr zu seinen GemĂ€chern. Die Person, fĂŒr die er wirklich etwas empfand, lebte nicht im Palast, sondern in der Stadt davor. Belanor musste zuerst den Lavasee ĂŒber die lange BrĂŒcke aus Basaltgestein ĂŒberqueren. Als das rote GlĂŒhen schwĂ€cher wurde und Laternen das Dunkle erhellten, fĂŒhrte ihn sein Weg auf die belebte Hauptstraße. Er folgte ihr, bis er einen Platz in der Form eines fĂŒnfseitigen Vieleck erreichte. Ein großer Brunnen speiste sich aus Wasser, dessen Quellen in weit entfernten Gebirgen lagen. Gewaltige AquĂ€dukte in perfekt kalkulierten Neigungswinkeln versorgten Vanitas mit frischem klaren Wasser - und das in rauen Mengen. Hier musste er nun in eine schmalere Straße einbiegen, in der sich GeschĂ€ft an GeschĂ€ft reihte, und auch in der “Nacht” noch reges Treiben herrschte. Es war hier, wo er sie kennengelernt hatte. Sandra, die Frau, die er wirklich liebte. Damals stieß ihn einmal mehr das Verhalten seines angetrauten Eheweibes ab. Sie hatten einen schrecklichen Streit, dessen Thema er inzwischen verdrĂ€ngt hatte. Wahrscheinlich wieder etwas belangloses. Dieses herrschsĂŒchtige Frauenzimmer wollte einfach alles bestimmen. Und lief etwas einmal nicht so, wie sie es sich vorstellte, brach die Hölle los. Belanor dankte allen Göttern von Elfen und Menschen gleichermaßen, dass Lezabel in ihrem Zorn noch keinen ihrer Drachen auf ihn gehetzt hatte. Einmal wagte er es sich, fĂŒr einen Menschen einzutreten und wurde von ihr zur Strafe eine Nacht lang wegen vorlauten Mundwerk ins Verlies geworfen. In der Nacht, als er Sandra traf, musste es etwas Ă€hnlich absurdes gewesen sein. Er wusste nur noch, dass er raus musste. Er hĂ€tte Lezabel niemals heiraten sollen! Er glaubte damals, sie sei eine gute Partie. Er wollte mehr Einfluss. Den hatte er zwar jetzt, aber auf Lezabel könnte er getrost verzichten! Es war eine arrangierte Ehe. Belanor setzte ein natĂŒrliches Verhandlungsgeschick ein, um sein Ziel zu erreichen. Das er im Krieg gekĂ€mpft und sich um Aschfeuer verdient gemacht hatte, wirkte sich gewiss förderlich fĂŒr sein Anliegen aus. Von Tag eins an war es ein Krampf Lezabels Zuneigung zu gewinnen. Die Prinzessin zeigte jeden, den sie fĂŒr ihrer unwĂŒrdig befand, die kalte Schulter. Auch Belanor erging es nicht besser. Allerdings ließ er sich nicht davon abschrecken und blieb am Ball. Das beeindruckte sie mutmaßlich. Langsam kam sie aus ihrem Panzer hervor und zeigte ebenfalls Interesse. Als die Hochzeitsglocken lĂ€uteten, begannen ein paar glĂŒckliche Jahre. Doch diese Zeit war inzwischen lĂ€ngst verlebt. Es wurde immer offensichtlicher, was er sich mĂŒhte an ihr nicht zu sehen. Belanor wĂŒnschte sich, tapfer genug zu sein, um Lezabel trotz ihres Charakters zu lieben. Aber mehr war es nicht. Ein Wunsch. Manchmal fragte er sich, ob sie ihn je liebte oder damals nur in rechter Stimmung gewesen war. Lezabel war eine Frau, die der Hass antrieb. Trauer ĂŒber den Verlust ihrer Mutter war in Wut auf alle Menschen umgeschlagen. Die Prinzessin machte kleinen Hehl um ihre Ansichten und in einem Land, in dem die Elfen die Menschen ohnehin diskriminierten, störte sich keiner an ihrem Verhalten. Belanor war ihre Predigten ĂŒber den mangelnden Wert eines “Menschlein” so leid. Nun schlenderte er gedankenversunken durch die Gassen. Plötzlich blieb er stehen. Genau an dieser Stelle hatte Sandra einst versucht ihn zu bestehlen. Eine junge Menschenfrau aus der Gosse musste sehen wo sie blieb. Damals war er kurz davor, der diebischen Elster die Hand abzuschlagen, als er ihr Gesicht erblickte und sich sofort in sie verliebte. Ein echtes Klischee. DarĂŒber hatten sie beide oft gelacht. Seither half sie ihm, das Leben mit dieser Hexe von Eheweib zu ertragen, indem er sie immer dann besuchte, wenn er von seiner Frau genug hatte. Mit Sandra konnte er die Liebe und Leidenschaft ausleben, die in seiner Ehe schon lange verloren waren. Endlich kam das Haus, in dem er Sandra eingemietet hatte, in Sicht. Schließlich konnte er seine Geliebte schlecht auf der Straße hausen lassen. Dort war es viel zu gefĂ€hrlich. Ihr könnte wer weiß was zustoßen. MerkwĂŒrdig! Die TĂŒr war nicht abgeschlossen. FĂŒr gewöhnlich sperrte sie sie ab, denn sie wusste nur zu gut, wie gefĂ€hrlich es in den Gassen von Vanitas sein konne. Vorsichtig tastete er sich im dunklen Haus voran, bis er eine Tischlampe fand. Wie es zu jener Zeit ĂŒblich war, trug er Feuerstein und Zunder bei sich, damit er stets Feuer entfachen konnte, wenn er es brauchte. Als er den Docht entzĂŒndet hatte und das gewölbte Glas ĂŒberstĂŒlpte, leuchtete die Flamme den Raum aus. Es schien niemand daheim zu sein. Ebenfalls eine AbnormalitĂ€t! Sandra war immer daheim. Er sorgte fĂŒr ihr Auskommen, sodass sie nicht arbeiten musste. Vielleicht wartete sie bereits im Schlafgemach auf ihn? Er ging dem nach. Im Bett lauerte eine ĂŒble Überraschung auf ihn. Das Licht fiel auf den Körper der jungen Frau, welche bĂ€uchlings quer ĂŒber dem Bett lag. Die Beine gespreizt, die Kleidung zerrissen und die Arme vom Körper gestreckt, bot sie ein schreckliches Bild. Eine Hand krallte sich noch immer am Laken fest. BlĂ€uliche WĂŒrgemale an ihrem Hals verrieten die Todesursache. Die kalten Augen der selbst im Tod noch schönen Frau starrten ihrem Liebhaber an. Es deutete alles auf eine Triebtat hin. Belanor konnte sich nicht mehr halten und fiel auf die Knie, wobei die Tischlampe seinem Griff entglitt und auf dem Boden zerschellte. “Wer hat das getan!”, schrie er seinen Kummer hinaus in die Dunkelheit. “Ich bringe den Verantwortlichen um, das schwöre ich!” Er umarmte die Leiche seiner Geliebten. Sie war so schrecklich kalt. Er wĂŒnschte sich, dass sie seine WĂ€rme spĂŒrte, wo auch immer sie jetzt war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)