Balance Defenders von Regina_Regenbogen ================================================================================ Kapitel 23: In einer Klasse --------------------------- In einer Klasse „Willst du jemanden kennen, frage: Wer sind deine Freunde?“ (Aus der Türkei) Ein dunkelhaariger Mann mittleren Alters trat ein und schloss geräuschvoll die Tür. Vivien huschte zurück an ihren Platz. Der Mann trat zum Lehrerpult und ließ seinen Blick über die Klasse schweifen. „Guten Morgen!“ Er wartete bis die Klasse zurück gegrüßt hatte und setzte dann fort. „Ich bin Herr Mayer, euer neuer Klassenlehrer. Ich unterrichte das Profilfach Wirtschaft. Da ich kein Freund von Smalltalk bin, kommen wir doch gleich zu den wichtigen Dingen: Eurem Stundenplan.“ Er ließ einen Zettel rumgehen, auf dem der Wochenplan ihrer Fächer mit dazugehörigen Zimmernummern und Lehrernamen stand. Herr Mayer erklärte, dass die ersten vier Stunden jeweils als Doppelstunden gerechnet wurden, also ohne Pause dazwischen. Dafür würde es nach jeder Doppelstunde eine Fünfzehn-Minuten-Pause geben. Sollten sie in einer dieser Doppelstunden zwei verschiedene Fächer haben, so erfolge ein ‚fliegender Wechsel‘, wie er es nannte. Anschließend hielt er ihnen einen Vortrag über die Schwierigkeiten im Wirtschaftsgymnasium. Vor allem Mathe schien ein großes Problemfach darzustellen. „Ich erwarte von euch Disziplin und Lernbereitschaft. Unter dieser Voraussetzung, steht eurem Erfolg hier nichts im Wege. Solltet ihr dennoch auf Probleme stoßen, kontaktiert mich frühzeitig, damit wir gemeinsam eine Lösung finden können.“, sprach er weiter. Dann überflog er die Namensliste und blieb an einem Namen hängen. „Erik Donner?“ Erik atmete geräuschvoll aus und gab etwas widerwillig ein „Ja“ von sich. Herr Mayer prüfte kurz seine Erscheinung. „Der Sohn von Rechtsanwalt Donner?“ „Ich wüsste nicht, was das hier zur Sache tut.“, gab Erik trotzig von sich, was Herrn Mayer zu missfallen schien. Ariane wunderte sich über Eriks Reaktion. Hatte er nicht eben, als er sich ihnen vorgestellt hatte, extra seinen Nachnamen genannt? Und auf einmal wollte er ein Geheimnis aus seiner Herkunft machen? Sie fand das ziemlich widersprüchlich. Zwar wirkte Herr Mayer von Eriks Antwort alles andere als begeistert, hakte aber nicht nochmals nach. Er widmete sich wieder der Namensliste und las sie nun von vorne vor, um die Anwesenheit zu kontrollieren. Anschließend schickte er einige Jungen los, um die Schulbücher für die Klasse zu holen, darunter auch Erik, Vitali und Justin. Er überreichte Erik eine Liste mit den benötigten Büchern und erklärte, dass sie diese der Dame bei der Bücherausgabe zeigen sollten. Während die Jungs sich auf den Weg machten, betrieb Herr Mayer nun doch noch etwas Smalltalk mit der verbliebenen Klasse. „Wie kann es sein, dass er sich nicht mehr erinnert?“, flüsterte Serena Ariane zu. Ariane zuckte ratlos mit den Schultern und schüttelte den Kopf. Vivien lehnte sich so weit vor, dass sie halb auf ihrer Bank lag. „Du hast ihn vorher schon getroffen?“ „Warum hast du uns nichts gesagt?“, fügte Serena an. „Das war erst vorhin im Flur.“ Arianes Gesicht verzog sich leidend. „Ich habe mich vollkommen zum Idioten gemacht. Vor Freude habe ich ihn umarmt. Und jetzt denkt er sonst was von mir.“ Sie vergrub das Gesicht in ihren Händen. „Ihr drei! Hier spielt die Musik!“, ertönte die Stimme von Herrn Mayer. „Falls ihr unterfordert seid, habe ich gute Nachrichten: Ab der zweiten Stunde habt ihr ganz regulär Unterricht.“ Die allgemeine Begeisterung hielt sich in Grenzen. Auf dem Weg zur Bücherausgabe wandte sich Vitali an ihn: „Hey Erik. Was hast du eigentlich Freitagnacht gemacht?“ Erik warf ihm einen skeptischen Blick zu. „Kann es sein, dass du dich nicht dran erinnerst?“ Vitali grinste vielsagend und Eriks Argwohn wuchs. Jäh mischte sich Justin ein. „Äh Erik, von welcher Schule kommst du eigentlich?“ Kurz wog Erik ab, ob er die Frage beantworten sollte oder nicht. Er richtete seinen Blick wieder nach vorn. „Von einem Internat.“ Vitali machte große Augen. „So’n Bonzenschuppen?“ Erik sah es nicht als nötig an, darauf zu antworten. „Haben die dich rausgeschmissen?“, lachte Vitali. Er ließ Vitali einen eindeutigen Blick zukommen: Niemand warf einen Donner raus. Geräuschvoll stieß er die Luft aus und konzentrierte sich wieder auf den Weg. Doch zu seinem Leidwesen drängte sich die Erinnerung an den Streit mit seinem Vater zurück in seine Gedanken. „Ich wechsle aufs Wirtschaftsgymnasium.“ Er hatte im Arbeitszimmer seines Vaters vor dem großen Mahagonischreibtisch gestanden, der ihm als Kind wie eine Festung vorgekommen war. Eine Festung, die Fremden keinen Einlass gewährte. Und er war ein Fremder. Der Mann mit den schwarz-grauen Haaren, sein Vater, hatte nicht aufgeblickt. Auch sonst hatte er keinerlei Reaktion gezeigt. Als habe er Erik gar nicht wahrgenommen. Daraufhin hatte sich Erik gezwungen gefühlt, seinen Worten Nachdruck zu verleihen: „Ich werde nicht wieder ins Internat gehen.“ Noch immer hatte der berühmte Rechtsanwalt – Sproß einer der wohlhabendsten und einflussreichsten Familien Entschaithals – ihn nicht angesehen. „Das hast du nicht zu entscheiden.“ Die Aussage war nüchtern gewesen, als rede er mit einem Dreijährigen, der sich darüber beschwerte, Brokkoli essen zu müssen. „Ich habe mich schon umgemeldet.“, hatte Erik so gefühllos wie möglich geantwortet. Nun erst hatte sein Vater den Blick gehoben. Seine stahlgrauen Augen hatten ihn wie Seziernadeln durchbohrt. Nicht der Hauch von väterlicher Wärme hatte darin gelegen. Erik kannte es auch nicht anders. „Es ist mein Leben.“ „Nein.“ Ein Wort. Unverwerflich. Undiskutierbar. Dann war da diese drückende Stille gewesen, in der es Erik so vorgekommen war, als müsse er gegen etwas ankämpfen, das sein Vater ihm unsichtbar antat, allein durch diesen grausam-unerbittlichen Blick. Er war unfähig gewesen zu reagieren. Sein Vater hatte sich wieder abgewandt. Die Angelegenheit war erledigt. „Ich werde später in der Schule anrufen und es rückgängig machen.“ „Das wirst du nicht!“, hatte Erik geradezu hilflos geschrien, obwohl er sich fest vorgenommen hatte, sich zu beherrschen, sich genauso kalt und berechnend zu geben wie sein Vater. Herr Donner hatte die Augen geschlossen und seinen silbernen Kugelschreiber aus der Hand gelegt. „Sechs Jahre der besten Ausbildung und nun willst du auf eine solche Versagerschule wechseln?“ Seine Stimme hatte zum ersten Mal gepresst geklungen. „Du glaubst doch nicht wirklich,“ Schlagartig war er laut geworden. „dass ich das zulassen werde!“ Die vergangene Woche hatte Erik noch befürchtet, sein Vater würde ihn gegen seinen Willen in das traditionsreiche Jungeninternat zurück verfrachten. Schließlich hatten dort schon sein Vater und sein Großvater ihre Schulausbildung absolviert. Doch stattdessen hatte sein Vater ihn freitags Unterlagen an einen Klienten überbringen lassen, als wäre er durch den Schulwechsel nur noch ein Lakai. Erik wusste nicht, was seinen Vater dazu bewegt hatte. Vielleicht hatte seine Mutter sich eingemischt, aus einem schlechten Gewissen wegen vernachlässigter Mutterpflichten oder dergleichen heraus. Andererseits klang das so überhaupt nicht nach seiner Mutter. Und kaum war er jetzt an dieser Schule geriet er gleich in solch seltsame Situationen! Was sollten diese komischen Andeutungen von Vitali? Und was hatte sich diese Blondine gedacht? Sexuelle Belästigung wäre ok, solange sie von einer Frau ausging? Auf körperliche Nähe konnte er wirklich verzichten! „Diese –“. Er unterbrach sich. „Ariane. War die mit euch in einer Klasse?“ Justin und Vitali schüttelten die Köpfe. „Woher kennst du sie?“, fragte Justin und hoffte, dass Erik dem Gerede von Vitali nicht allzu viel Bedeutung beimaß. Vitali zog eine Grimasse. Diese Frage erschien ihm einfach allzu dämlich. „Ich bin ihr auf dem Gang begegnet.“, berichtete Erik in einem Tonfall, der deutlich machte, dass er das lieber vermieden hätte. „Ist etwas vorgefallen?“, hakte Justin vorsichtig nach. „Ihr schient ein gespanntes Verhältnis zu haben.“ Erik schaute finster. „Sie hat mich -“ Er zögerte kurz. „…belästigt.“ „Hä?“ Vitali schaute unverständig. Grimmig verzog sich Eriks Mund. „Sie hat offenbar Probleme mit persönlichen Grenzen.“ Justin und Vitali warfen einander verwirrte Blicke zu. „Bist du sicher, dass du von Ariane sprichst?“, wandte Justin ein. Erik bedachte ihn mit einem stechenden Blick. „Vielleicht findet ihr es ja normal, dass sie sich Wildfremden ohne zu fragen an den Hals wirft.“ „Von wegen wildfremd.“, murmelte Vitali. Justin betete dafür, dass Erik es nicht gehört hatte. Sie waren bei der Bücherausgabe angekommen und unterbrachen ihr Gespräch. Nach den Anweisungen der Sekretärin suchten sie in den Regalen die Bücher zusammen. Als Erik nicht in unmittelbarer Nähe stand, wandte sich Justin mit gedämpfter Stimme an Vitali: „Du solltest nicht ständig solche Bemerkungen gegenüber Erik machen. Er erinnert sich kein bisschen an das, was geschehen ist. Wir wissen nicht, was mit ihm passiert ist. Sei vorsichtiger!“ Mit diesen Worten lief er mit einem Stapel Bücher wieder aus dem Raum. Vitali folgte ihm, ebenfalls mit Büchern beladen, und spurtete an seine Seite. „Bist du sauer?“ Justin war von der Frage überrascht. „Eh... Nein.“ Vitali grinste ihn an und wollte ihm eigentlich die Faust hinhalten, damit Justin bei ihm einschlug, allerdings ging das aufgrund der Bücherstapel, die sie zu schleppen hatten, nicht. Stattdessen sagte er auffordernd. „Kumpel?“ Wieder schaute Justin verwirrt drein und hatte unwillkürlich das Bild eines Bergarbeiters vor Augen. Erst dann dämmerte ihm die wahre Bedeutung von Vitalis Ausspruch. Aber wer konnte ihm das verübeln? Das war das erste Freundschaftsangebot seines Lebens. Ein schüchternes Lächeln erschien auf seinen Lippen. „Klar.“ Das Thema Erik und die Geschehnisse in der Nacht von Freitag auf Samstag wurden für einige Zeit vermieden. Als nach der vierten Stunde die Schulglocke die zweite Große Pause einläutete, wandte Vivien sich an die anderen: „Gehen wir raus?“ Ohne Einwände folgten die anderen mehr oder weniger schnell ihrem Aufruf und standen von ihren Plätzen auf. Nur Erik blieb sitzen. Offensichtlich zählte er sich nicht zu Wir. „Du auch!“, rief ihm Vivien auffordernd zu. Erik wirkte im ersten Moment irritiert, als hätte er mit solch einem Angebot nicht gerechnet. Dann schaute er zu Ariane. Wahrscheinlich vermutete er, dass sie lauthals dagegen protestieren würde. Beschämt wandte Ariane sich ab. Sie wollte gar nicht wissen, was er von ihr dachte. Warum musste Vivien ihn denn jetzt auch noch einladen! So hatte sie wieder keine Möglichkeit, sich mit ihnen über die ganze Situation zu unterhalten. „Das wäre nicht jedem Recht.“, antwortete Erik. Ariane holte tief Luft. „Das stimmt nicht!“ Diesmal hielt sie seinem Blick stand. Schlussendlich stand Erik auf und gesellte sich zu ihnen. Die sechs gingen den Gang entlang, geradeaus zum Haupteingang. Doch auf halbem Weg blieben sie stehen, denn schon von Weitem war zu erkennen, dass sich dort bereits eine ganze Meute Raucher versammelt hatte. Da keiner von ihnen zu dieser Spezies zählte, wandten sie sich nach rechts, wo eine Treppe hinunter führte. Dort befand sich so etwas wie ein Aufenthaltsraum. Seine Wände waren teilweise aus Glas, was einen ein wenig an einen Wintergarten erinnern konnte. Ein ziemlich billig eingerichteter, nicht bewundernswert schöner Wintergarten. Aber immerhin. Es standen ein paar Bänke und Tische bereit. Allerdings musste es hier im Winter schrecklich kalt sein. Durch die gläsernen Wände hatte man Blick auf den Schulhof. Besagten sahen sie sich als nächstes an. Während sie liefen, tauschten sie sich gegenseitig darüber aus, wer von ihnen Französisch und wer Spanisch gewählt hatte. Da kein weiterführender Französischkurs zustande gekommen war, gehörte Ariane zu den Spaniern, genau wie Vitali und Erik. Die Freude über diesen Umstand hielt sich bei Ariane, angesichts der momentanen Situation mit Erik, verständlicherweise in Grenzen. Zumindest würde sie in der Religionsstunde von ihm verschont bleiben. Wie sie erfuhr, besuchte er als einziger von ihnen den Ethik-Kurs. Der Hof war von einzelnen Grünflächen mit Bäumen und Blumen durchwachsen. Die sechs sichteten freie Sitzflächen unter einem Kastanienbaum und nahmen gemeinsam darauf Platz. Während die anderen sich weiter unterhielten, wandte sich Erik mit gesenkter Stimme an Serena. Sie beide saßen am äußeren Ende der Gruppe. „Wer waren die?“ Serena schien sofort begriffen zu haben, was er meinte. Sie wirkte fast ängstlich und antwortete nicht sofort, sondern zog den Kopf ein. „Hey!“, rief plötzlich Vitali von der anderen Seite in ihre Richtung. Davon aufgeschreckt, wandte Serena sich ihm zu. Doch sobald er ihre Aufmerksamkeit hatte, schien Vitali nicht mehr zu wissen, was er jetzt tun sollte. Er schlug Justin neben sich gegen den Oberarm. „Sag was.“ Verdutzt schaute Justin ihn an. Vitali deutete unverhohlen in Serenas Richtung. Daraufhin sah nicht nur Justin zu ihr. Erik fragte sich, was das jetzt für eine Aktion war. „Ist alles ok?“, erkundigte sich Ariane besorgt. Serena wandte sich ab. „Ja.“ Sie klang wie eine unzufriedene Katze. Erik warf Ariane einen vielsagenden Blick zu. Wie dumm konnte man sein, dass man bei dieser Antwort wirklich annahm, ihr ginge es gut. Mit einiger Entrüstung erwiderte Ariane seinen Blick. „Hab ich was verpasst?“, fragte Vivien unbekümmert und stupste Serena an. „Nein.“, brummte Serena geradezu wütend und sah die anderen nicht an. Erik wurde stutzig. Er hatte die anderen für ihre Freunde gehalten. Aber was für eine Freundschaft konnte das schon sein, wenn diese Leute nicht einmal wussten, dass Serena von dieser Rotblonden gemobbt wurde? Er sah nochmals Ariane an. „Wenn ihr ihre Freunde seid, solltet ihr wissen, was los ist.“ Die ganze Gruppe wirkte mit einem Mal betroffen. Vitali wurde aufbrausend. „Alter, wenn sie nicht das Maul aufmacht, wissen wir nicht, was los ist!“ „Ihr kennt sie ja sehr gut.“, spottete Erik. Hastig berührte Serena Erik am Unterarm und gab ihm mit einem Blick zu verstehen, dass er aufhören sollte. Er begriff das nicht. Die Berührung löste noch mehr Wut in Vitali aus. „Wenn du sie so gut verstehst, dann kümmer du dich doch um sie!“, schrie er. „Gute Idee.“, sagte Erik, griff nach Serenas Arm und erhob sich. Gezwungenermaßen stand auch sie dadurch auf. Hilflos blickte sie ihn an, als sei sie mit der Situation völlig überfordert. Daraufhin ließ er von ihr ab und entfernte sich in eine andere Richtung. Davon komplett verunsichert, sah Serena von seiner Rückenansicht zu den anderen und wieder zu ihm. Vivien gab ihr mit einer kurzen Bewegung ihres Kopfes das Zeichen, dass sie ihm folgen sollte. Serena rannte Erik nach. „Alter, waaaaas?“, brüllte Vitali und sprang auf die Beine. Noch bevor ihn jemand aufhalten konnte, rannte er den beiden nach. Justin stand ebenfalls auf und war im Begriff ihm nachzueilen, wurde aber von Vivien gestoppt, die sich ihm in den Weg stellte. Sie machte eine Bewegung der Hände, als müsse er sich nicht beeilen. Sie drehte sich einfach in die Richtung, in die die anderen gegangen waren. In kaum drei Metern Entfernung hatte Vitali Erik und Serena eingeholt. „Ey, du hast sie ja wohl nicht alle!“, schimpfte Vitali. Erik antwortete mit einem entschiedenen Blick. Wütend schaute Vitali Serena an. „Sag mir gefälligst auch, was los ist!“ Er machte einen geradezu beleidigten Eindruck. Serena wusste wirklich nicht, wie sie darauf reagieren sollte. „Wenn sie es dir sagen wollte, hätte sie es wohl schon getan.“, sagte Erik kalt. Auf die Worte hin sah Vitali so entrüstet und gleichzeitig ohnmächtig aus, dass Serena sich gewünscht hätte, ihn trösten zu können. Dann wurde sie von seinem vorwurfsvollen Blick getroffen. Erik zog die linke Augenbraue skeptisch in die Höhe und fixierte Vitali. „Was bist du für sie?“ Vitali starrte ihn planlos an. Serena wusste sich nicht länger zu helfen. „Amanda!“, rief sie. „Sie heißt Amanda. Wir waren in einer Klasse.“ Die beiden Jungen sahen sie an. Sie senkte den Blick. „Ich wusste nicht, dass sie auch wechseln würde.“ Erik wandte sich an sie. „Und die andere?“ „Das war ihre Schwester Susanne.“ „Hä?“, machte Vitali. Serena zog den Kopf ein. Erik sah ein, dass der andere Junge nichts dafür konnte, dass er die Situation am Morgen nicht mitbekommen hatte. „Diese Amanda und ihre Schwester haben sie heute Morgen angegriffen. Bevor du und deine Freunde gekommen seid.“, informierte er. Vitali zog ein dümmliches Gesicht. „Wie? Angegriffen?“ Erik zog die Augenbrauen zusammen. „Schon mal was von Mobbing gehört?“ „Serena?“, fragte Vitali ungläubig und deutete auf das Mädchen neben ihm, als könne er sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass sich jemand mit ihr anlegen würde. „Bist du so blöd oder tust du nur so?“, gab Erik zurück und erntete einen weiteren von Vitalis ergrimmten Blicken. Vitali wandte sich unzufrieden an Serena. „Warum hast du nichts gesagt?!“ Sie drehte ihren Kopf weg von ihm. „Vielleicht vertraut sie euch nicht.“, sagte Erik hart. Serena sah daraufhin geschockt zu Vitali, der die Zähne zusammengebissen hatte. „Nein!“, rief sie hektisch. Wieder waren die Blicke beider Jungen auf sie gerichtet. „Ich hab… Ich wollte nicht…“ Sie kämpfte gegen den Impuls sich zu verstecken an und rang nach Worten. „Ich wollte nicht dran denken.“ Fast tonlos fügte sie an. „Auch jetzt nicht.“ Vitali stieß beleidigt die Luft aus. „Du hättest trotzdem was sagen können.“ „Hast du ihr nicht zugehört?“, konterte Erik. „Sie wollte nicht darüber reden. Mit niemandem.“ Vitalis geschürzte Lippen und zusammengezogenen Augenbrauen machten deutlich, dass er das nicht akzeptieren konnte. „Was haben die für ein Problem mit dir?“, forderte er zu wissen. Erik konnte nicht fassen, dass er eine so selten dämliche Frage stellte. Solche Leute brauchten keinen Grund! Serena zog den Kopf ein. „Amanda war…“ Sie schloss die Augen. „… meine beste Freundin.“ Vivien, Justin und Ariane, die sich langsam genähert und das Gespräch aus einem gewissen Abstand mitangehört hatten, um niemanden zu unterbrechen, traten nun zu ihnen. Serena sah bei dem Geräusch ihrer Schritte auf. Die Gesichtsausdrücke der anderen waren so mitleidig, dass es ihr das Herz zusammenzog. Es beschämte sie. Sie hatte nicht gewollt, dass sie davon erfuhren. Niemand sollte davon wissen. Sie hätte am liebsten selbst nichts davon gewusst! Vitali redete einfach weiter: „Kapier ich nicht. Wieso mobbt dich deine beste Freundin?“ Ariane war entsetzt darüber, dass er etwas so Unsensibles von sich gab. „Sie ist nicht mehr ihre beste Freundin!“ „Aber warum?“, fragte Vitali verwirrt. „Vitali, nicht jetzt.“, sagte Justin streng, denn Serena war wie unter Hieben zusammengezuckt, als er seine Frage gestellt hatte. Ariane sah Vitali irritiert an. „Wenn jemand gemein zu dir ist, ist er doch nicht mehr dein Freund.“ Vitali schien das nicht nachvollziehen zu können. „Wieso? Serena ist doch die ganze Zeit gemein. Und wir sind trotzdem mit ihr befreundet.“ Darauf konnte Ariane tatsächlich nichts entgegnen. Serenas Verhalten Vitali gegenüber war oft wirklich nicht von Mobbing zu unterscheiden. Vivien eilte zu Serena und umarmte sie heftig. „Jetzt hast du ja uns!“ Sie sah zu Serena auf. „Egal was passiert.“ Serena schien zu hilflos, um darauf reagieren zu können. „Dann soll sie aber nächstes Mal das Maul aufmachen.“, beklagte sich Vitali, während Vivien sich wieder einen Schritt von Serena entfernte. Ängstlich sah Serena zu ihm. Erik missbilligte Vitalis Einwand. „Sagt dir ihr Gesicht nicht alles?“ „Hä?“ Vitali sah zu Serena, die schnell den Blick abwandte. „Was soll mir das denn sagen?“ Erik stieß die Luft aus, als wäre jedes Wort an ihn verschwendet. „He!“, schimpfte Vitali. Ariane näherte sich ebenfalls Serena. „Wir sind für dich da. Wenn irgendetwas ist, kannst du es uns immer sagen.“ Sie lächelte Serena aufmunternd an. „Du solltest aufpassen, wem du dein Vertrauen schenkst.“, sagte Erik. Getroffen sah Ariane in seine Richtung. Hatte er das auf sie bezogen? Als er ihren Blick bemerkte, sah er sie durchdringend an. Die Schulglocke läutete. Erik wandte sich an Serena. „Kannst du reingehen?“ Serena nickte betreten. „Natürlich kann sie reingehen!“, schimpfte Vitali und packte Serena am Oberarm. Serena sah ihn vorwurfsvoll an. Vitali begegnete ihr mit nicht minder vorwurfsvollem Blick. Mit einer Bewegung ihrer Augen wies sie ihn darauf hin, dass er sie gerade berührte. Als begreife er das erst in diesem Moment, schreckte Vitali regelrecht von ihr weg und verzog den Mund. Erik beobachtete die Szene und begriff nun auch, was Vitali für Serena war. Er schnaubte belustigt. Dann sah er nochmals zu Ariane und sein Gesichtsausdruck wurde wieder ernst. Auch wenn es in der Oberstufe freigestellt war, ob man das Klassenzimmer in den Pausen verließ, hatten viele Schüler bei dem schönen Wetter die Möglichkeit genutzt, hinauszugehen, und strömten nun zurück in ihre Räume. Auf dem Weg zurück ins Klassenzimmer sah Justin besorgt zu Ariane. Ihm war nicht entgangen, dass Erik noch abweisender zu ihr war als zu ihm und den anderen. Ausgerechnet Ariane, die besonders darunter gelitten hatte, Secret im Schatthenreich verloren zu haben. Er berührte sie flüchtig an der Schulter, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. „Das wird schon wieder.“, sagte er sacht. Ariane versuchte sich an einem Lächeln, aber ihre Augen verrieten, wie sehr ihr die Situation mit Erik zu schaffen machte. „Er ist nicht Secret.“, flüsterte sie und wandte sich wieder nach vorn. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)