Balance Defenders von Regina_Regenbogen ================================================================================ Kapitel 37: Interpretationsfehler --------------------------------- Interpretationsfehler „Erwarte das Unerwartete, sonst wirst du es nicht finden.“ (Heraklit, gr. Philosoph) Finster ward es beim Einbruch der Nacht der da verdrängt des Lichtes Wacht Das Eine gespalten nun entzweit brachte statt Liebe nur Schmerz und Leid Entstandenes Leben drohet zu wanken überschreitet die Schöpfung des Gleichgewichts Schranken Schicksal Verändern Vereinen Vertrauen Wunsch Geheim Auf diese Beschützer müsst ihr bauen Bald wird gekommen sein die Zeit Die Auserwählten geleitet Ewigkeit In einer Ära, da das Gleichgewicht gestört durch die eine Lebensform, die wider die Natur zu verhalten befähigt, der Kampf von Gut und Böse entflammt und das Chaos ziehet herauf. Leben zu Tod, Tod zu Leben. Dies Geschick den Beschützern gegeben. Jenseits von Licht und Finsternis erschaffen, müssen ihren Weg sie wählen, der da führt zu Rettung oder Untergang. Auserwählt jene, deren Weg führt durch Dunkelheit und Licht, ein mühevoller Weg ist es, den ihr beschreitet. Viele Fragen, keine Antwort. Wege, Ziele, Unwissenheit. Diese Worte, Ermutigung und Ermahnung zugleich, sollen euer Selbst befreien, das da verschüttet liegt in eurem Ich. In eurer Brust ruht die Erlösung. Was ihr tut und glaubt, bestimmt das Sein. Auf der Suche nach der Bestimmung, die euch leitet, erwacht eure wahre Macht. In euch liegt der Schlüssel zur Erlösung. Ihr, die treibende Kraft, die ihr auf die Geschicke des Lebens wirkt, seid Rettung und Untergang. Als Wappen verborgen in ungeahnter Tiefe, das Tor zu eurem wahren Wesen. Hier ist es, wo eure wohlverwahrten Fähigkeiten werden erweckt, wo Beschützer und Hoffnungsträger liegen versteckt. Eure Begabung sei die Harmonie, die allein wandelt Chaos zum Kosmos und führet zurück zu dem Einen, dem alles Leben entspringt. Doch das Eine ist nicht immer das Gleiche und die Lösung nicht immer klar, denn die eine Wahrheit wandelt sich. Geheim vereinen sich der Wunsch zu verändern und das Schicksal und so wird Vertrauen euch leiten bis zur Ewigkeit. Finster ist, was euch erwartet, die Hoffnung, im Schatten schlummernd. Sie bringt die Entscheidung, wenn ihr den Glauben habt an das, was eure Augen nicht sehen und euer Herz allein erahnt. Träger der Hoffnung, auf dir ruhet das Vertrauen der Welt. Deines Schicksals Bürde ist schwer. Zu verändern ist dir aufgegeben und zu vereinen in dir die Gabe des Seins. Du leitest die Entscheidung ein. Ob sie dich führt zur Erfüllung deines Wunsches, bleibt geheim. Grün sind deine Augen, Grau des Menschen Schmerz. In Finsternis geboren, im Leid der Welt, Hoffnungsträger, bist du der Lichtbringer. Es bleibt die Seele in Ewigkeit. Beim Erscheinen Lucifers am Himmel, wenn die Schatten die Welt einhüllen, auf dem Ursprung der Seelenquelle stehend, werden der Auserwählten Kräfte erweckt werden, sobald, umgeben von den Elementen, des Himmels Tränen sie berühren. Die fünf hatten sich auf den Boden vor dem PC gesetzt und lasen sich mit einiger Verwirrung die Texte durch. „Ich raff überhaupt nix!“, schimpfte Vitali. „Das ist ja nichts Neues.“, höhnte Serena. Justin wirkte ebenfalls nicht sehr begeistert. „Die Texte sind sehr … symbolisch.“ „Bescheuert wäre das richtige Wort.“, knurrte Vitali. „Das ist voll das Psycho-Gelaber!“ Mit fester Stimme sprach Serena: „Zusammengefasst sagen alle Texte, bis auf den letzten und den, den Justin bei Erik gefunden hat, dass die Beschützer eine enorm wichtige Rolle spielen, ihre Aufgabe äußerst schwierig und verwirrend ist und sie weder gut noch böse sind; sie können die Welt entweder retten oder zerstören. Wie Eternity uns schon gesagt hat, sind die Wappen der Schlüssel zu unseren Kräften.“ Vitali gaffte sie an. Wie konnte man bloß irgendwas aus diesem Poesiegeschwafel rauslesen? „Aber was genau ist die Bedrohung, vor der wir die Welt beschützen sollen?“, fragte Justin. „Es ist zweimal von Chaos die Rede.“, entdeckte Ariane. „Also bedroht das Chaos die Welt?“ Justins Worte waren nicht eindeutig als Feststellung oder als Frage zu identifizieren. Ariane zögerte. „Hm, in vielen Mythen ist das Chaos aber auch der Urstoff des Universums, aus dem alles entstanden ist.“ „Chaostheorie?“, warf Vitali ein. Ariane blickte Vitali interessiert an. „Kennst du dich damit aus?“ Vitali schien überrascht, dass sie ihn ernsthaft nach seiner Meinung fragte. Dann grinste er und plusterte sich stolz auf. „Also Chaostheorie heißt, dass ganz kleine Sachen ne große Wirkung haben können. Man kann nichts genau vorhersagen. Das ist dieses, dass ein Schmetterling nen Wirbelsturm verursacht.“ „Das heißt, Ewigkeit kann Wirbelstürme erzeugen?“, rief Vivien begeistert. „Nein!“, schimpfte Vitali, ehe ihm wieder einfiel, dass Vivien sich ja bloß absichtlich dumm stellte. „Ich glaube kaum, dass das damit gemeint ist.“, entgegnete Serena. „Moment!“, rief Vivien freudig, stand auf und setzte sich an den Computer. Unter den neugierigen Blicken der anderen öffnete sie die Startseite von Wikipedia und tippte in das Suchfeld Chaos ein. „Ja klar, Wikipedia kennt die Antwort auf all unsere Fragen.“, kommentierte Vitali leicht spöttisch. „Wieso nicht?“, meinte Vivien und drückte die Entertaste. Sie las vor. „Das Chaos (griechisch cháos) ist ein Zustand vollständiger Unordnung oder Verwirrung und damit der Gegenbegriff zu Kosmos, dem griechischen Begriff für Ordnung.“ Triumphierend grinsend drehte sie sich zu den anderen. Verblüfft sah Ariane auf die Texte. „Stimmt, im Zusammenhang mit Chaos ist auch von Kosmos die Rede. Das muss es sein.“ „Das heißt, unsere Aufgabe ist es, die Unordnung in Ordnung zu verwandeln.“, leitete Justin ab. „Wir sind die Putzen?“, rief Vitali im Spaß. Justin lächelte. „So etwa.“ Währenddessen durchsuchte Ariane die Texte nach der zweiten Stelle, in der die Begriffe Chaos und Kosmos vorkamen. „'Eure Begabung sei die Harmonie, die allein wandelt Chaos zum Kosmos.' Vivien, könntest du auch Harmonie-“ Ehe Ariane weiterreden konnte, hörte sie Vivien schon tippen. „Harmonie kommt aus dem griechischen harmonia und bedeutet Zusammenfügung. Die Silbe ar oder har ist indogermanischer Herkunft und bedeutet: Vereinigung von Entgegengesetztem zu einem Ganzen.“, informierte Vivien. „Und was genau hilft uns das jetzt?“, mäkelte Serena. Vivien drehte sich in dem Bürostuhl zu den anderen um. „Ok, was hat Eternity über unsere Kräfte gesagt?“ „Die hat nur gesagt, dass wir damit Schatthen auflösen können.“, meinte Vitali. „Und wie machen wir das?“, fragte Vivien. Justin antwortete. „Wir benutzen unsere Gefühle und finden die passende Welle, um die Gefühle zu neutralisieren, aus denen die Schatthen bestehen.“ Ariane ergänzte: „Eternity meinte, dass die Schatthen mit dem Ursprung wieder verschmelzen. Das habe ich nicht so ganz verstanden, aber es könnte mit dem, was der Text sagt, in Verbindung stehen.“ Serena verschränkte die Arme vor der Brust und schaute, als würde ihr etwas nicht passen. „Eternity meinte, dass wir alle Teil eines Ganzen sind. Das Gefühl, das kommt, wenn wir uns daran erinnern, führt dazu, dass die Energie der Schatthen sich auch wieder daran erinnert und wieder mit dem Ganzen verschmilzt.“ Ariane sah sie beeindruckt an. „Was?!“, blaffte Serena. „Nur weil ich das für Schwachsinn halte, heißt das nicht, dass ich zu blöd bin, es zu verstehen.“ Arianes Gesichtsausdruck änderte sich. Hatte Serena ihr gerade vorgeworfen, zu blöd dafür zu sein? „Und was hat das mit dem Chaos und dem Kosmos zu tun?“ „Vivien hat doch grade vorgelesen, Harmonie ist das Zusammenfügen von Gegensätzen zu einem Ganzen. Der Text beschreibt unsere Kräfte so, weil wir die Unordnung, in der sich die Schatthen befinden, auflösen und wieder mit dem Ursprung verbinden, also der Ordnung.“ Vivien setzte sich zurück zu ihnen auf den Boden und sah Serena kichernd an. „Du hast viel zu solchen Themen gelesen, nicht?“ Sie hatte ein paar Esoterik-Bücher in Serenas Bücherregal vorgefunden, als sie bei ihr übernachtet hatten. „Gar nicht!“, schrie Serena. Vivien ging nicht darauf ein und wandte sich an die anderen. „Was gibt’s sonst noch?“ „Die Namen der Beschützer werden oft genannt, aber eher wie Wortspiele.“, fiel Ariane auf. „Im ersten, im vierten und auch im fünften Abschnitt. Der, der mit 'Träger der Hoffnung' beginnt.“ „Meint ihr mit Hoffnungsträger sind auch wir gemeint?“, fragte Justin. Serena schüttelte den Kopf. „Von diesem Hoffnungsträger wird immer nur in Einzahl gesprochen.“ „Aber es ist vorher auch die Rede davon, dass in den Wappen der Hoffnungsträger versteckt liegt.“, wandte Ariane ein. „Trotzdem.“, beharrte Serena. „Er scheint eine Sonderrolle einzunehmen. Ansonsten müsste in diesem Satz: 'wo Beschützer und Hoffnungsträger liegen versteckt', der Hoffnungsträger nicht extra genannt werden.“ „Aber vielleicht ist er einer der Beschützer.“, gab Ariane zu bedenken. „Oder sie.“, ergänzte Vivien. „Es könnte Erik sein.“, überlegte Justin laut. Ariane war der gleichen Meinung. „Das habe ich auch schon gedacht.“ „Aber hier steht doch, dass der Hoffnungsträger grüne Augen hat!“, beanstandete Vitali. „Also kann es Erik doch gar nicht sein.“ „Erik hat grünblaue Augen.“, sagte Ariane. Vivien kicherte daraufhin vielsagend. Ariane machte ein verkniffenes Gesicht. „Das fällt einem doch auf.“, murrte sie. „Ich weiß schließlich auch, dass Vitali blaue Augen hat und Justin braune.“ Plötzlich hielt sie inne. Ihr Blick glitt nachdenklich zu Boden. „Nathan hat grüne Augen.“ „Ariane, wir wollen hier nicht über deinen Männergeschmack streiten.“, lästerte Serena. „So habe ich es nicht gemeint!“, rief Ariane empört. „Der Mann ist fast doppelt so alt wie ich!“ „Und trotzdem schwärmst du immer von ihm.“, erwiderte Serena trocken. „Weil er ein beeindruckender Mensch ist und ihr ihn ständig für den Bösewicht haltet, obwohl ihr ihn nicht kennt!“, wehrte Ariane sich. Serena verdrehte die Augen. „Wie viele Beweise brauchst du denn noch?“ „Bisher haben wir nur Hinweise und keine Beweise. Im Zweifel für den Angeklagten!“, konterte Ariane. „Du meinst wahrscheinlich noch, dass dein Nathan der Hoffnungsträger ist, immerhin hat er ja grüne Augen!“, höhnte Serena. „Und wenn es so wäre?“ Die anderen starrten Ariane verdutzt an. „Nathan interessiert sich für die Ausgrabungsstelle, genau wie wir! Er ist fasziniert von den Inschriften, genau wie wir!“ Justin blieb skeptisch. „Es ist schon sehr merkwürdig, dass er sowohl der Eigentümer der Ausgrabungsstelle als auch des Baugrunds ist.“ „Der Grund liegt direkt neben der Finster GmbH.“, wandte Ariane ein. „Es ist nur logisch, das Unternehmen durch einen Bau auf dem Nachbargrundstück zu erweitern. Außerdem haben wir doch herausgefunden, dass der Punkt die Mitte Entschaithals darstellt und die Leute früher dort Feste gefeiert haben. Das spricht nicht gerade für eine böse Energie, die er für sich nutzen will.“ „Zu viele Zufälle!“, fand Serena. „Und was ist mit Secret?“, plädierte Ariane. „Du hast zuerst auch nicht glauben wollen, dass er sein Gedächtnis einfach so verloren hat. Und jetzt, wo wir ihn als Erik wiedergetroffen haben, hat er keinerlei Erinnerungen mehr an das Ganze! Aber jeder von uns weiß, dass er und Secret die gleiche Person sind! Das ist genauso unwahrscheinlich. Aber mit Wahrscheinlichkeit hat das alles nichts zu tun!“ „Aber dass er sich gerade für diese Ausgrabungsstelle interessiert hat, obwohl seine Firma mit so etwas nichts zu tun hat?“, betonte Justin nochmals. Ariane zeigte auf den Text. „Auf der Jubiläumsfeier hat Nathan es mir selbst gesagt. Sein Name befindet sich in dieser Prophezeiung: 'Finster war es'. Wenn Schicksal, Verändern und so weiter gleichzeitig unsere Namen darstellen, wieso sollte es so unwahrscheinlich sein, dass das Wort 'finster' gleichzeitig auf Nathan Finster hinweist? Vielleicht ist er deshalb so von der Ausgrabungsstätte angezogen gewesen, weil er auch in diese Prophezeiung gehört!“ „Aber die Zeilen, in denen 'Finster' steht, sind immer negativ!“, hielt Serena lautstark entgegen. „Da steht nie was Gutes in Zusammenhang mit 'Finster'. Vielleicht hat er einfach die Rolle des Bösen in dieser Prophezeiung!“ „Nicht jede.“, protestierte Ariane. „'Finster ist, was euch erwartet, die Hoffnung, im Schatten schlummernd.'“ „Das kannst du jetzt wohl kaum als Verteidigung bringen. Der Satz ist so undurchsichtig, dass man alles daraus deuten könnte!“, schimpfte Serena. Vitali stöhnte genervt auf. „Findet ihr nicht, dass ihr in das Ganze etwas zu viel hineininterpretiert? Wenn es wirklich noch einen extra Hoffnungsträger gibt, dann heißt das noch lange nicht, dass wir ihn irgendwie kennen müssen!“ Vivien stimmte ihm zu. „Außerdem ist Grün die Farbe der Hoffnung. Also muss damit nicht zwangsläufig die wirkliche Augenfarbe vom Hoffnungsträger gemeint sein.“ Justin wirkte nachdenklich. „Was denkst du?“, fragte Vivien ihn. „Ach nichts.“, antwortete er ausweichend. „Nicht wichtig.“ „Hey, mir ist wichtig, was du denkst!“, rief Vivien. „Wir sammeln hier doch alle Gedanken, die uns zu dem Ganzen kommen und vielleicht bringt es uns dein Gedanke weiter.“ Sie lächelte in ermutigend an. „Es ist… wirklich nicht wichtig. Mir war nur gerade eingefallen, dass – ähm wegen der Hoffnung. Sie wird hier immer mit Finsternis in Verbindung gebracht. Und… Als Kind hatte ich eine Geschichtensammlung, in der auch eine Erzählung über die Büchse der Pandora war.“, druckste Justin. „Ja und?“, wollte Vitali wissen. „Nun ja, Die Geschichte ist, dass Pandora die Büchse, die ihr von den Göttern gegeben wurde, öffnet. In dieser Büchse sind aber nur schlechte Dinge wie Krankheiten und Leid, die sich dann über die ganze Welt verteilen. Aber als Pandora die Büchse wieder schließt, hört sie eine leise Stimme, die ihr sagt, dass sie sie herauslassen soll, weil nur sie die Welt retten kann. Und als Pandora die Büchse dann noch mal öffnet, kommt ein weißer Schmetterling heraus und sagt, dass er die Hoffnung ist. Ich musste daran denken, als Ariane die Stelle mit der im Schatten schlummernden Hoffnung vorgelesen hat. Und auch diese Stelle hier: 'In Finsternis geboren, im Leid der Welt, Hoffnungsträger, bist du der Lichtbringer.' So wie die Hoffnung mit all den Plagen in der gleichen Büchse war. Es ist doch irgendwie ungewöhnlich, dass die Hoffnung zwischen den Plagen ist.“ „Das heißt, wir sollen dort suchen, wo man es am wenigsten erwartet!“, deutete Vivien. Vitali alberte: „Hey, wenn die Hoffnung in Justins Märchen ein Schmetterling war, dann könnte es doch auch Ewigkeit sein.“ „Genau!“, lachte Vivien. „Klar doch…“, spottete Serena. Vitali streckte die Glieder. „Mir reicht's mit Interpretieren für heute.“ Auf seine indirekte Aufforderung hin stand Ariane auf. „Ich schick jedem von euch die Datei noch per Mail.“ Sie setzte sich an den PC. Als sie ihr E-Mail-Postfach öffnete, wurden mehrere ungelesene E-Mails angezeigt, vor allem Werbemails. Dann stach ihr der Absender Nathan Finster ins Auge. „Der wird ja zum richtigen Stalker!“, kommentierte Vitali, der neben siegetreten war und die Mail ebenfalls sofort entdeckt hatte. Neugierig schauten nun auch die anderen auf den Bildschirm. „Finster?“, stieß Serena aus. „Wenn man vom Teufel spricht!“ Ariane ignorierte sie und öffnete voller Vorfreude die E-Mail. Da kein Betreff angegeben war, zeigte sich der Sinn und Zweck der Mail erst beim Lesen. Ohne Erlaubnis las Vitali den anderen laut vor: „Liebe Ariane, am nächsten Freitag, den 14. September, findet im Kursaal von Entschaithal eine Ausstellung zu altertümlichen Mythen statt, an der ich nicht ganz unschuldig bin. ;-) Ich dachte, das würde dich vielleicht interessieren. Die Ausstellung beginnt um 18 Uhr. Vielleicht finden sich noch ein paar Freunde, die dich dorthin begleiten. Ich würde mich freuen, dich (und natürlich deine Freunde) dort begrüßen zu dürfen. Vielleicht kann man sich auch über deine Errungenschaften, was die Interpretation der Inschriften angeht, austauschen. :-) Falls du an diesem Abend allerdings keine Zeit hast, ist das kein Problem, die Ausstellung wird bis Anfang Oktober zu besichtigen sein. Liebe Grüße. Nathan” „Das ist doch die Gelegenheit!“, rief Ariane freudig aus. So freudig, dass die anderen überhaupt nicht wussten, was sie meinte. „Da könnt ihr ihn endlich einmal kennenlernen! Dann werdet ihr ihn nicht mehr für den Feind halten. Außerdem können wir ihn nach der Bedeutung von Lucifer fragen!“ „Ganz sicher nicht! Dann weiß er doch sofort, dass wir den Text haben!“, keifte Serena. „Aber an seiner Reaktion könnten wir auch sehen, ob er den Text kennt.“, konterte Ariane. „Ich bin dagegen!“, beharrte Serena. „Vielleicht sollten wir Ewigkeit nach ihrer Meinung fragen.“, war Justins Gedanke. Vitali sah Justin skeptisch an. „Sollen wir extra deswegen in den Park gehen?“ „Vielleicht können wir sie einfach herwünschen wie einen Dschinni!“, rief Vivien überschwänglich. „Ja klar.“, nörgelte Vitali. Vivien war von der Idee allerdings nicht mehr abzubringen. „Ewigkeit, ich rufe dich! Komm bitte her.“ Vivien wiederholte die Worte wieder und wieder wie einen Sprechgesang. „Ewigkeit, ich rufe dich!“ Das Ganze machte den Anschein einer Geisterbeschwörung. „So ein Schwachsinn.“, zischte Serena genervt. „Du hast mich gerufen?“ Die vier anderen zuckten vor Schreck zusammen. Das war doch nicht möglich! Sie starrten auf das Schmetterlingsmädchen, das soeben vor Vivien aufgetaucht war. „Wie.. wie bist du..?“, stammelte Ariane. „Wenn ihr mich ruft, bin ich sofort da.“, antwortete Ewigkeit, als wäre das das Natürlichste auf der Welt. „Habe ich euch das nicht gesagt?“ „Das musst du ausgelassen haben.“, entgegnete Justin immer noch entgeistert. „O, Verzeihung.“ Die Kleine sah die fünf voller Vorfreude an. „Was kann ich für euch tun?“ Vivien kicherte, dann setzte sie zu einer Antwort an. „Wir wollten fragen, ob du schon mal was von Nathan Finster gehört hast!“ Ewigkeit sah sie einen Moment verwundert an. „Nathan Finster?“ Vivien nickte. „Nathan… Finster.“, wiederholte Ewigkeit. Ihre Stimme war nur noch ein Säuseln. Gedankenversunken begann sie, an dem Medaillon um ihren Hals zu spielen. Ihr Blick schien in eine weite Ferne zu versinken. „Nathan…“ Sie blickte wieder auf, in die Gesichter der Beschützer. „Das… Das hab ich schon mal gehört!!“, rief sie heftig. Dann war sie wieder ganz ruhig und schaute auf das Medaillon zwischen ihren Fingern. „Meinst du vielleicht 'Nathan der Weise'?“, entgegnete Vitali spöttisch. Sie hatten gerade angefangen, in der Schule dieses Drama von Gotthold Ephraim Lessing zu lesen und es hing ihm jetzt schon zum Hals raus! „Nathan… Wei-se…“, plapperte Ewigkeit nach. Plötzlich riss sie die Augen auf und kreischte. „Ja! Nathan! Nathan ist Wai-se!!!“ Sie strahlte nun über das ganze Gesicht, als habe sie damit die Weltformel gefunden oder könne damit Krankheiten heilen. Serena und Vitali gaben ein entnervtes Stöhnen von sich. Wie hatten sie nur davon ausgehen können, dass dieses Kleinkind ihnen eine Hilfe sein würde! Ewigkeit sah sie unsicher an. „Hab ich was Falsches gesagt?“ Ariane zeigte ihr ein gequältes Lächeln. „Nein, nein, ist schon in Ordnung.“ So kam das Ewigkeit aber nicht vor. Das Schmetterlingsmädchen zog einen Schmollmund. Es hatte doch nur helfen wollen! Die Kleine konnte überhaupt nicht verstehen, warum die Beschützer so seltsam reagiert hatten. War dieser Nathan für sie denn weniger wert, weil er Waise war? Es war doch traurig, wenn man keine Eltern mehr hatte… Als sie sich von Vitali verabschiedeten, war Ewigkeit bereits zurück in das Häuschen gekehrt. Offensichtlich hatte die Reaktion der fünf auf ihre Antwort sie so gekränkt, dass sie alsbald wieder verschwunden war. Was das Problem bezüglich des Treffens mit Finster anging, waren die fünf zu der Einigung gekommen, alle zusammen zu dieser Ausstellung zu gehen. Da der Schatthenmeister nach den Geschehnissen auf der Ausgrabungsstelle ohnehin darüber im Bilde sein würde, dass sie zusammenarbeiteten, brauchten sie diesen Umstand vor Nathan Finster auch nicht vertuschen. Bei einem Zusammentreffen würden sie sich zumindest ihr eigenes Bild von Finster machen können und vielleicht mehr über ihren potentiellen Feind erfahren. Während sie von Vitalis Haus wegschlenderten, begann Vivien die Melodie von ‚Diese Welt ist klein‘ vor sich hin zu pfeifen und zog etwas aus ihrer Tasche, das sie zuvor eingesteckt hatte, als die anderen bereits auf den Weg in Vitalis Zimmer gewesen waren. Sie betrachtete den Gegenstand grinsend, ehe dieser Serena ins Auge fiel. „Vivieeeen!!!“ Serenas Stimme brach fast. Mit einer hektischen Bewegung wollte sie Vivien das Objekt aus der Hand reißen. Aber Vivien war schneller. „Du dumme Kuh!!!! Warum hast du es mitgenommen?!!!“, schrie Serena. „Gib es sofort her! Aaarh! Vitalis Mutter wird denken, dass ich es genommen hab!!!“ „War doch viel zu schade, als dass man es liegen lässt, wenn sie es einem schon anbietet.“, meinte Vivien leichthin. Serena konnte sich vor Wut kaum noch halten. „Gib es her!!“ Ohne Widerworte reichte Vivien ihr Vitalis Kinderfoto. Ein diabolisches Grinsen erschien auf ihren Zügen. „Und was willst du jetzt machen? Zurückgehen und ihr sagen: ‚Hallo Frau Luft, hier ist das Foto. Ich hab es nicht genommen, Vivien war’s!‘ Da würd ich zu gern ihr Gesicht sehen!“, Vivien brach in schallendes Gelächter aus. „Du bist so eine dumme Kuh!!!“, kreischte Serena und hätte Vivien am liebsten geohrfeigt. Jetzt glaubte Vitalis Mutter erst recht, dass sie in ihn verknallt war!! Das war der pure Horror!! Plötzlich fiel es Serena wie Schuppen von den Augen: Vitali wusste auch nicht, dass Vivien das Bild eingesteckt hatte, also würde er, sobald seine Mutter ihm vom Verschwinden des Fotos erzählte, ebenso davon ausgehen, dass sie es eingesteckt hatte! Neeeeiiiiiinn!!!!!!!!! Serena wirkte wie ins Delirium gefallen, denn wie angewurzelt war sie stehen geblieben und starrte entsetzt auf den Boden. Das war einfach zu peinlich! Mit einem Mal erwachte Serena wieder und packte Vivien am Kragen. „Du wirst jetzt sofort Vitali anrufen und ihm sagen, dass du das Foto genommen hast und nicht ich!“ Vivien schien auch von Serenas Körpereinsatz nicht beeindruckt. „Wenn du meinst, dass er mir das glaubt.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Also mir würde es eher wie eine billige Ausrede vorkommen.“ Serenas Augen funkelten sie beängstigend an. „Es ist die Wahrheit!!!“ „Ach, das hat nicht viel zu heißen. Wenn man jemanden etwas ganz direkt sagt, auch wenn es die Wahrheit ist, dann wird einem meistens nicht geglaubt.“, erklärte Vivien. Allerdings traf ihre These bei Serena nicht auf Gegenliebe. „So ein Schwachsinn!“ „Es stimmt aber.“, beharrte Vivien. Mittlerweile hatte Serena sie wieder losgelassen. „Ich beweis es dir!“ Vivien drehte sich zu den beiden anderen. Ariane und Justin waren weiter vorne stehen geblieben, um auf sie zu warten, und hatten das Gespräch bis hierher verfolgt. „Justin!“ Justin schaute fragend und kam mit Ariane zu ihr gelaufen. Vivien strahlte ihn so freudig an, dass allein davon schon Hitze in seine Wangen stieg. Dann, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, rief sie euphorisch aus: „Ich liebe dich!“ Die Worte trafen Justin wie der Amboss eine Zeichentrickfigur. Fassungslos stand er da, starrte Vivien an. Noch immer lächelte sie glückselig. Reflexartig flüchteten Justins Augen vor ihrem bestrickend lieblichen Anblick, suchten irgendwo nach einem Rat, was er jetzt tun sollte. Hatte sie das wirklich gesagt? Halluzinierte er? Das… das war doch unmöglich! Im nächsten Moment stand er plötzlich stramm wie ein Zinnsoldat und brachte in einem roboterähnlichen Ton heraus: „Wir- soll-ten weiter-ge-hen…“ Prompt machte er eine Kehrtwende und marschierte mit ungelenken Bewegungen davon. Sie hatte ganz sicher einen Scherz gemacht! Jawohl. Einen Scherz! Ja! Ganz sicher! Mit leicht verdutztem Gesicht sah Vivien ihm nach. So einfach war es also wirklich nicht… „Häääh?!“ Schockiert gaffte Serena von Vivien auf Justins Rückenansicht und wieder zurück. „Das gibt’s doch nicht! Er hat doch gehört, wie du gesagt hast…! Wiesooo?!“ Triumphierend grinste Vivien sie an. „Ich hab doch gesagt: Wenn man zu direkt ist, glaubt einem keiner!“ „Ich fand das jetzt echt fies!“, tobte Ariane. „Du kannst doch nicht so mit seinen Gefühlen umspringen!“ Vivien blinzelte Ariane ein paar Mal an und wandte sich dann wieder an Serena. „Siehst du!“ Serena war sprachlos, dann verschränkte sie abwehrend die Arme vor der Brust. „Das war nur Zufall! Schließlich ist es Justin! Und Ariane…“ „Ach ja?“, Vivien zog ihr Handy hervor und suchte Vitalis Nummer heraus. Sie musste nur kurz warten, offenbar hatte Vitalis Mutter mittlerweile fertig telefoniert. „Hallo, ist Vitali da?“ „Was tust du da?!“, zischte Serena ihr zu. „Es dir beweisen.“, antwortete Vivien locker. „Ah! Hi Vitali! Serena hat dein Foto mitgenommen, unglaublich nicht wahr?“ „Haha!“, kam es genervt vom anderen Ende der Verbindung. „Wenn du mir das Foto nicht morgen wieder gibst, bring ich dich um!!!“ Viviens Grinsen war auch in ihrem Tonfall erkennbar. „Du meinst also, ich soll es in die Schule mitbringen?“ Im nächsten Moment musste Vivien das Handy kurz von sich weghalten, um nicht taub zu werden. „NEIN!!!“ „Also das besprechen wir dann morgen. Ich wollt jetzt eigentlich nur Serena beweisen, dass du es nicht glauben würdest, wenn ich es dir erzähle.“ „Was?! Was soll denn das jetzt heißen?!!“, rief Vitalis Stimme. „Bis morgen!“ „Vivieee-“ Und schon hatte Vivien aufgelegt. Sie grinste Serena überlegen an. „Na, was hab ich gesagt?“ „Du.. du..“, Serena bekam einen irren Blick. „Jetzt denkt er wirklich, dass ich es genommen habe!!!“, schrie sie Vivien an. Vivien lachte. Serena spießte sie mit ihren Blicken auf. Doch Vivien ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Du bist viel zu leicht zu durchschauen.“ „Wie bitte?!“, schnaubte Serena. „Na, wie bei Vitalis Mutter. Wenn du dich nicht gleich so aufgeregt hättest, hättest du gemerkt, dass sie zuerst gar nicht gedacht hat, dass du in ihn verknallt bist. Damit wollte sie nur Vitali ärgern. Aber als sie dann deine Reaktion gesehen hat, ist sie extra drauf rumgeritten.“, klärte Vivien sie auf. „Das ist doch sadistisch.“, gab Ariane entsetzt von sich. Vivien zuckte mit den Schultern. „Wenn du nicht willst, dass man es merkt, darfst du dich nicht so aufregen. Sonst denkt gleich jeder, dass du an ihm interessiert bist.“ „Es stimmt aber nicht!!!“, kreischte Serena. Vivien prustete los. „Was soll denn das jetzt!“, schimpfte Serena. Vivien fing sich wieder und grinste Serena vielsagend an. „Na, du regst dich schon wieder auf!“ Sie zwinkerte ihr mit ausgestreckter Zunge zu und rannte dann Justin hinterher, der an der nächsten Ecke stehen geblieben war und immer noch nichts von seiner Umgebung wahrzunehmen schien. „Was soll das heißen?!“, schrie Serena ihr nach und rannte ihr mitsamt Ariane hinterher. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)