Balance Defenders von Regina_Regenbogen ================================================================================ Kapitel 99: Alarm ----------------- Alarm   „Im Streit, da kommt mancher immer wieder auf das zurück, wovon er durchaus nicht sprechen wollte.“ (Otto Weiss)   „Was?“, fragte Vitali ungläubig in den Hörer des Telefons. „Willst du mich verarschen?“ Justin, der noch im Wohnzimmer saß, sah fragend zu ihm herüber. Eriks Stimme klang nicht, als wolle er Scherze machen. „Ariane hat gesagt, dass ihr herkommen sollt.“ Vitali spürte Anspannung. „Wo ist Ariane?“ „Hier, mit mir in der Finster GmbH.“ Vitali bemerkte, dass Justin neben ihn getreten war. Die Nennung von Arianes Namen hatte ihn wohl alarmiert. „Was ist los?“, fragte er besorgt. „Erik. Er sagt in der Finster GmbH sind Schatthen.“ Mit einer Handbewegung verlangte Justin den Hörer. Stattdessen schaltete Vitali auf Lautsprecher. „Du kannst einfach sprechen.“ Ernst wandte Justin das Wort an das Telefon. „Können wir mit Ariane reden?“ Sofort ertönte Arianes Stimme. Sie musste direkt neben Erik stehen. „Erik hat seine Wunde wieder gespürt. Ich weiß nicht, ob es an den Steintafeln lag oder ob Schatthen in der Nähe sind.“ Justins Gesicht war anzusehen, dass er augenblicklich im Beschützermodus war. „Als ihr die Platten das erste Mal gesehen habt, hat seine Wunde nicht reagiert.“, erinnerte er mit Bezug auf die Jubiläumsfeier der Finster GmbH. „Ruf Ewigkeit. Wir holen Vivien und Serena. Wenn die Schatthen auftauchen, kommen wir sofort.“ Vitali musste einhaken. „Ich war noch nie in der Finster GmbH. Ich kann nicht richtig teleportieren, wenn ich nicht weiß, wie es da aussieht.“ „Dann teleportierst du einfach neben die Baustelle.“, sagte Justin entschieden. Unversehens war wieder Erik zu hören. „Reicht es, wenn ich euch ein Foto schicke?“ „Wie willst du das machen?“, fragte Justin verständnislos. „Handy.“, erklärte Vitali und lief, um seines zu holen. „Ich kümmere mich um das Foto. Sagt ihr Vivien und Serena Bescheid.“ Es war seltsam, Eriks Stimme das sagen zu hören. Justin bestätigte und legte auf.   Im Kinderzimmer des Hauses Baum saß Vivien mit Serena und ihren beiden Geschwistern um ein Brettspiel versammelt. Ewigkeit hatte – nachdem sie die erste Runde noch mitgespielt hatte – lieber die Rolle übernommen, die Spielfiguren zu bewegen. Mitten während des Zuges verschwand sie jedoch plötzlich. Im gleichen Moment dudelte Viviens Handy die Superman-Melodie. Mit der Vorahnung, dass dies nichts Gutes verheißen konnte, sprang Vivien auf und nahm den Anruf entgegen. „Was ist los?“   Auf Arianes gedankliches Rufen hin erschien Ewigkeit prompt vor ihr. „Spürst du Schatthen?“, fragte sie ihr kleines Helferlein. „Gerade nicht.“, antwortete stattdessen Erik. „Ich meine nicht dich. Ewigkeit ist da.“ Erik sah angesichts dieser Aussage immer noch sehr skeptisch drein. Ewigkeit antwortete nicht sofort. Sie flog langsam hin und her und machte dabei ein angestrengtes Gesicht, als würde sie versuchen, eine Botschaft zu empfangen. Dann wandte sie sich wieder Ariane zu, zuckte aber bloß mit den Schultern. „Wenn sie auftauchen, musst du die anderen informieren.“, erklärte Ariane ihr eindringlich und drehte sich zu Erik. „Ewigkeit spürt keine Schatthen. Vielleicht haben wir Glück und es war nur ein Fehlalarm.“ Ewigkeit meldete sich zu Wort. „Hast du deinen Beschützerinstinkt gehört?“ Ariane schüttelte den Kopf. „Nein. Aber der Ton kommt oft ziemlich spät.“ Sie fasste sich an die Stirn. „Du könntest deinen Schutzschild einsetzen.“ „Meine Eltern sind da drinnen, die kann ich nicht allein lassen.“, antwortete Ariane. „Willst du wieder rein?“, fragte Erik, vielleicht um endlich wieder Teil des Gesprächs zu sein.   Ariane zögerte. „Der Schatthenmeister mag Überraschungsangriffe. In einer Menschenmenge rechnet man nicht damit, dass plötzlich Schatthen auftauchen. Deshalb würde er das nutzen.“   Erik war verwirrt. Wenn das alles echt war, dann hätten sich die Leute doch später daran erinnern müssen. Und wenn es ein Spiel war, dann war es geschickter, den Angriff außerhalb des Festsaals zu planen, wo man ungestört war. Wollte Ariane ihn einfach nur ablenken? Weil er eben … Er schob seine Gedanken beiseite und spielte einfach weiter mit. „Ist es nicht grotesk, in so einer Situation so zu tun, als wäre alles normal?“ Ariane sah ihn mit einem Gesichtsausdruck an, als wäre das für sie schon zur Regel geworden. Sie lächelte traurig. „Das ist es.“   In Begleitung Ewigkeits betraten Ariane und Erik erneut den Festsaal. „Wenn ich den Schmerz draußen gespürt habe, ist es dann nicht wahrscheinlicher, dass die Schatthen draußen sind.“, wandte er ein. „Ich weiß es nicht.“, gestand Ariane. „Und wenn sie uns wollen, bringen wir dann die anderen Leute nicht in Gefahr?“ Schockiert sah Ariane ihn an, wandte sich dann erneut ab. „Der Schatthenmeister hat gesagt, dass er unsere Familien in Ruhe lässt, aber ich glaube ihm nicht.“ „Wäre auch ziemlich naiv.“, sagte Erik. „Du meinst also, er könnte sie als Geiseln nehmen?“ „Ich weiß es wirklich nicht.“ Trotz der Situation klang Erik so ruhig, wie damals im Schatthenreich. Vielleicht lag dies aber auch nur an dem Umstand, dass er weiterhin an der Echtheit des Ganzen zweifelte. „Ewigkeit soll auf deine Eltern aufpassen, Wenn der Schatthenmeister es auf uns abgesehen hat, dann bringst du sie sonst nur in Gefahr. Wenn sie sein Ziel sind, soll Ewigkeit dir Bescheid geben.“ Ariane nahm den Vorschlag nicht gerade mit Begeisterung entgegen. Aber Erik hatte Recht, sie wollte nicht versehentlich ihre Eltern ins Fadenkreuz eines Angriffs bringen, deshalb bat sie Ewigkeit, der Anweisung zu folgen. Die Kleine gab keine Widerworte von sich, sondern war im gleichen Moment verschwunden. Erik sprach weiter. „Wir stellen uns ans Büffet in der Ecke, dann können sie nur von zwei Seiten kommen.“ „Dann können sie uns einkeilen.“, wandte Ariane ein. „Das können sie so oder so.“ Ariane hatte keine Alternative parat. Erik holte sein Smartphone hervor. Mit einer Selbstverständlichkeit, als wäre es das Normalste auf der Welt einfach zu fotografieren, ohna auf die Leute um einen herum zu achten, setzte er den ausgemachten Plan um und schickte die Fotos an Vitali. „Gehen wir.“ Mehrere andere Leute standen am Büffet, doch diese waren vor allem um die warmen Speisen versammelt. Daher stellten sie sich nahe der Wand auf, wo kalte Häppchen dargeboten wurden. Nervös ließ Ariane den Blick durch den Raum schweifen. Erik dagegen wandte sich dem Tisch zu. „Iss etwas.“, sagte er in gedämpftem Tonfall. „Als könnte ich jetzt etwas essen!“, antwortete Ariane, ohne sich ihm zuzuwenden. Eriks Stimme hatte wieder diesen gesetzten Klang, den sie von Secret kannte. „Wenn der Schatthenmeister uns beobachtet und sieht, dass du panisch die Gegend absuchst, weiß er, dass du vorgewarnt bist.“ Er drückte ihr einen Teller in die Hand. Nachdrücklich sah er ihr in die Augen. „Es ist besser, ihn im Glauben zu lassen, dass du nichtsahnend bist.“ Widerwillig folgte Ariane der Aufforderung, lud sich zwei belegte Baguettescheiben auf den Teller und zwang sich, sich Erik zuzuwenden, um nicht mehr den Anschein von übertriebener Wachsamkeit zu machen. „Du hast etwas von einem Ton gesagt.“, sagte Erik beiläufig, während er unter den Horsd’œuvre wählte. „Es ist ein Warnsignal, das ich höre, bevor die Schatthen angreifen. Aber erst kurz davor.“ Sie sah zu, wie er das zuletzt von ihm gewählte Appetithäppchen auf seinem Teller ablegte. „Dann wirst du es rechtzeitig wissen.“ Seine Augen fanden die ihren. Sein Blick hatte wieder diese unergründliche Tiefe, die sie an Secret erinnerte, aber so viel mehr beinhaltete. Nicht so gefühlskalt und abweisend wie der Secrets. In einer Seelenruhe begann Erik zu essen und Ariane bemerkte, dass sich ihre Mundwinkel gehoben hatten. Sie konnte nicht sagen, wieso, aber sie fühlte sich mit einem Mal in seiner Nähe sicherer. Als wäre seine Unterstützung allein etwas, das ihr die Sache leichter machte. Sie war nicht allein. Plötzlich rief eine Stimme ihren Namen „Ah Ariane!“ und sie erkannte zu ihrem Schrecken, dass Moritz von der anderen Seite an das Büffet trat.   Bei demjenigen, der Ariane gerufen hatte, als würde er sie kennen, handelte es sich um einen brünetten jungen Mann, der ein Stück größer war als Erik und die Kleidung des Partyservices trug. Ungeniert trat dieser von der anderen Seite des Tisches zu ihnen oder genauer gesagt zu Ariane und lächelte sie dabei so gewollt charmant an, dass Erik statt den nächsten Bissen zu tun, seine mit Lachs belegte Baguettescheibe auf den Teller legte. „Hallo.“, antwortete Ariane zaghaft und lächelte den Fremden schüchtern an. „Du solltest die Hähnchenschlägel probieren, die sind die Spezialität des Partyservices.“ „Ich habe nicht so großen Hunger.“, antwortete Ariane sanft lächelnd in einer Erik unnatürlich vorkommenden Tonlage. „Verstehe. Ich werde in Kürze gehen müssen, weil ich morgen noch einen Auftritt mit meiner Band habe.“ Ui, mit seiner Band. Klar, dass er das erwähnen musste. „Ah.“, machte Ariane und benahm sich Eriks Meinung nach völlig untypisch. „Würdest du mir deine Telefonnummer geben?“ Erik heftete einen finsteren Blick auf Ariane, die davon nichts zu bemerken schien. Sie zauderte. „Ähm. Tut mir leid, ich gebe niemandem meine Telefonnummer.“ Gut so! „Oh, schon klar.“, sagte der Typ. „Bist du auf Facebook?“ Erik hoffte, dass sie es nicht war. „Äh, ja.“, antwortete Ariane. „Dann kann ich dich ja adden. Oder stört das deinen kleinen Freund?“ Das Lächeln des Jungen bei seinen Worten triefte vor Spott. Es war eindeutig, dass er damit andeuten wollte, dass er Erik nicht als Konkurrenz ansah. Das in Kombination mit dem unterschwelligen Hinweis darauf, dass Erik von Alter und Größe im Vergleich zu ihm noch ein kleiner Junge war, ließ Eriks Kiefer verhärten.   „Wie bitte?“, fragte Ariane irritiert. „Der Kleine.“, grinste Moritz und deutete mit einer Bewegung seines Daumens auf Erik. Ariane zog die Augenbrauen zusammen. Auf ihre Reaktion hin wandte sich Moritz postwendend Erik zu, griff über den Tisch hinweg nach seiner Rechten und stellte sich ihm freundlich lächelnd vor. „Wie ist dein Name?“ Ariane bemerkte erst in diesem Moment, wie finster Eriks Miene geworden war. Er antwortete Moritz erst gar nicht. Da ihr die Situation unangenehm war und sie schnellstmöglich das Gespräch beenden wollte, übernahm Ariane das an seiner Stelle. „Das ist Erik. Wir gehen in die gleiche Klasse.“ Augenblicklich spürte sie Eriks Blick auf sich lasten, sah aber nicht in seine Richtung. Sie wollte einfach nur Moritz loswerden. „Du findest mich unter Ariane Bach auf Facebook.“ „Danke.“ Er lächelte breit. „Ich melde mich.“ „Tu das!“ Sie lächelte so freundlich sie nur konnte. „Bis dann.“ Moritz grinste zurück und lief endlich wieder hinüber zu den Getränken. Ariane atmete aus und sah sich im nächsten Moment einem so düster dreinblickenden Erik gegenüber, dass sie sich fragte, ob er wieder Schmerzen hatte. Ehe sie ihn jedoch danach fragen konnte, wurde sie von hinten gerufen. Sie erkannte die Stimme sofort als die ihres Vaters. So viel zu dem Plan, dass ihre Eltern ihr fernbleiben sollten. Sie stellte ihren Teller ab und drehte sich zu ihren Eltern um. „Wir haben dich schon vermisst!“, rief ihr Vater. „Dein Vater hat dich vermisst.“, verbesserte ihre Mutter. „Besonders nachdem ich gesagt habe, dass du mit Erik rausgegangen bist.“ Herr Bach warf seiner Frau einen verstimmten Blick zu. Erik ergriff das Wort. „Keine Angst.“ Seine Stimme wandelte sich zu purer Verachtung. „Sie gibt sich lieber mit Leuten vom Personal ab.“ Sein Blick machte überdeutlich, dass die Beleidigung ihr galt. Dass er sie so ansehen konnte, verschlug Ariane für einen Moment die Sprache. Es brauchte Sekunden, ehe sie antworten konnte. Ihr Plan war es, ihrer Stimme einen trotzigen Klang zu geben, aber durch den Kloß in ihrem Hals bekam sie stattdessen etwas Bitteres. „Im Gegensatz zu dir, macht es mir nichts aus, mich mit Menschen zu unterhalten, die unter deiner Würde sind.“ Sie sah, wie die rasende Abscheu auf seinem Gesicht sich noch steigerte. „Was glaubst du, was du bist!“ Arianes Gesichtsmuskulatur verlor ihre Spannung. Sie starrte ihn ausdruckslos an. Ihr Mund öffnete sich leicht und schloss sich wieder. „Ich wusste nicht, dass ich unter deiner Würde bin.“ Abrupt stockte Erik. Die Stimme ihres Vaters erhob sich. „So spricht niemand mit Ariane!“, mischte er sich aufgebracht ein. „Und ich bin dagegen, dass sie mit jemandem zusammen ist, der sie nicht zu schätzen weiß!“   Eriks Gesichtsausdruck wurde wieder hart. Der letzte Teil des Satzes erinnerte ihn an Arianes Verhalten gegenüber diesem Kellnerverschnitt, ein anderes Verhalten als das, das sie ihm gegenüber zeigte. Ein Verhalten, das Männer wie dieser Typ bewirkten, deren ganzes Verhalten nichts weiter war als ein abgekartetes Spiel! Jemand der sie zu schätzen wusste – dass er nicht lachte! „Sie sollten von Ihrer Tochter nicht zu viel erwarten. Sie könnten enttäuscht werden.“, spie er angeekelt aus.   „Also das ist doch!“, brachte Herr Bach erregt hervor und musste nach Worten ringen. Dann schrie er. „Es ist mir egal, wie viel Geld dein Vater verdient, so kannst du nicht über Ariane reden!“ Seine Stimme brach fast und er atmete viel zu hektisch. Sein Gesicht war rot vor Aufregung. Vermutlich durch das Geschrei auf den Streit aufmerksam gemacht, trat im nächsten Moment Nathan Finster zu ihnen. „Was ist hier los?“ Arianes Vater war immer noch halb am Hyperventilieren und sprach in viel zu aufgewühlter Tonlage. „Dieser – Junge hat meine Tochter beleidigt.“ „Das kann ich mir nicht vorstellen.“, antwortete Finster ruhig. „Entschuldigen Sie, Herr Finster, aber –“ Finster unterbrach ihn.  „Glauben Sie mir, Erik würde Ariane nie –“ Eine tiefe, grollende Stimme erklang und Eriks Vater tauchte hinter Finster auf. „Was geht hier vor?“ „Ihr Sohn!“, fing Herr Bach an, doch Ariane rief hektisch dazwischen. „Es ist alles in Ordnung!“ Ihre Stimme war viel zu schrill. „Nichts ist in Ordnung!“, widersprach ihr Vater. „Stefan.“, versuchte seine Frau ihn zu beruhigen und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Es handelt sich um ein bedauerliches Missverständnis.“, erklärte Finster. Herrn Donners kalter Blick fiel auf Finster. „Welche Art von Missverständnis?“ Herr Bach sprach an seiner Stelle. „Ihr Sohn hat meine Tochter beleidigt!“ Herr Donner reagierte nicht. Er sah Arianes Vater nur stumm an. Schließlich sprach er in ruhigem Geschäftston. „Ich würde Sie bitten, dass Ihre Tochter meinem Sohn in Zukunft fernbleibt.“ „Worauf Sie sich verlassen können!“ „Papa!“, rief Ariane. „Komm, Erik.“, sagte Herr Donner ohne Wut in der Stimme, als wäre diese Angelegenheit für ihn völlig belanglos. Erik stand da und konnte keinen klaren Gedanken fassen, wie aus weiter, grauer Entfernung. Er hatte gerade selbst seine Beziehung zu Ariane zugrunde gerichtet und fühlte sich … wie von sich selbst entrückt … nicht länger… in sich. Langsam, als würde er Erik in einen sicheren Hafen führen, sprach sein Vater:. „Wir gehen.“ Finster versuchte nochmals, die Wogen zu glätten. „Bitte, das ist doch kein Grund –“ Herr Donner brachte ihn mit einem unbarmherzigen Blick zum Schweigen. Für einen Moment stand Finster still, von Herrn Donners Blick mundtot gemacht. Dann änderte sich etwas in seinem Gesicht und an seiner Haltung. Seine Schultern strafften sich, die Atmosphäre um ihn herum schien sich zu ändern. Er strahlte schlagartig eine bedrohliche Willensstärke aus. Sein Stimmvolumen verstärkte sich, ohne dass er die Lautstärke erhöhte. „Ich möchte Sie bitten, hier keine Neuauflage von Romeo und Julia aufzuführen.“ Herr Donner ließ sich davon nicht einschüchtern. Während Arianes Vater schon allein aufgrund von Finsters Ausstrahlung verstummt war, versuchte Eriks Vater Finster mit Blicken in die Knie zu zwingen. Doch Nathan Finster stand aufrecht und blieb von Herrn Donners Machtdemonstration unbeeindruckt. „Sie alle sind meine Gäste und dass sie sich über zwei Personen streiten, die sich offensichtlich gut verstehen, ist weder besonders vernünftig, noch vorteilhaft.“ „Erik.“, sagte Herr Donner auf eine so befremdlich schonungsvoll klingende Weise, die umso verstörender wirkte. Er sah seinen Sohn nun direkt an. Auch Finster heftete seinen Blick auf Erik, als würde er ihn allein dadurch in einer Bahn halten, aus der die Stimme seines Vaters ihn zu reißen drohte. Dennoch wusste Erik nicht, wie er reagieren sollte. Schließlich presste er hervor „Wir sind Freunde.“ und klang dabei nicht nach Erik Donner, sondern einem erbärmlichen Schwächling. „Ich habe ihn zuerst beleidigt.“, sagte Ariane hastig. Erik hatte den Blick gesenkt. „Hast du nicht.“ „Es war gemein, was ich gesagt habe.“, erwiderte Ariane in entschuldigendem Tonfall und sah ihn direkt an. Dieses Mal widersprach Erik ihr nicht. Finster ergriff das Wort. „Meine Herren, Sie sehen die Jugend kann sich gut alleine um ihre Probleme kümmern. Ich bitte Sie, das in Zukunft zu respektieren. Es handelt sich nicht um kleine Kinder, sondern um junge Erwachsene.“ Weder Herr Bach noch Herr Donner erwiderten etwas. Für eine Sekunde herrschte Schweigen. Ohne Hast drehte sich Herr Donner anschließend zu Finster und sprach in unemotionalem Ton, als wäre nichts vorgefallen. „Herr Finster.“ Er reichte ihm die Hand. „Danke für die Einladung. Ich wollte Ihnen gerade mitteilen, dass wir uns leider verabschieden müssen.“ Es war Finster anzusehen, dass er diesen Zug von Herrn Donner als unangebracht empfand, dennoch schüttelte er Donner die Hand. „Es hat mich gefreut, dass Sie gekommen sind.“ Herr Donner nickte. „Noch einen schönen Abend.“ „Gleichfalls.“ Indem er sich umwandte, streifte Herr Donner Ariane noch mit seinen stahlgrauen Augen. Ein eisiger Schauer lief ihr über den Rücken. Dann ging er davon. Erik warf einen letzten hastigen Blick auf Ariane und folgte, ohne noch etwas zu sagen, seinem Vater nach. Finster sah ihnen noch hinterher und wandte sich dann wieder Arianes Vater zu. Eine ungewohnte Strenge zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. Mittlerweile hatte Herrn Bachs Stimme wieder ihre normale Tonlage zurückgewonnen. „Entschuldigen Sie mein Betragen, aber wenn es um meine Tochter geht –“ „Und jetzt überlegen Sie, wie er reagiert, wenn es um seinen Sohn geht!“, warf Finster nicht gerade freundlich ein. „Ich mag keine Kinder haben, aber seine Kinder als Entschuldigung dafür zu nehmen, dass man sich nicht beherrschen kann, ist für mich inakzeptabel.“ Wie ein geschlagener Hund starrte Herr Bach seinen Chef an. Ariane begehrte auf. „Das hat mein Vater nicht verdient.“ „Offensichtlich spricht in einer Familie jeder für den anderen.“, sagte Finster feindselig. So hatte Ariane ihn noch nie gesehen. „Ja, so ist das in einer Familie.“, erwiderte sie. „Dann ist es ja gut, dass ich nie eine hatte!“ Jähes Schweigen. Ariane und ihre Eltern starrten Nathan an. Dieser schien in diesem Moment erst begriffen zu haben, was er da von sich gegeben hatte. Betroffen wandte er den Blick ab und fuhr sich mit einer ungelenken Bewegung durchs Haar. Er atmete tief aus. Seine Stimme wurde wieder ruhig. „Da halte ich eine Strafpredigt darüber, wie man sich beherrschen soll und bekomme es selbst nicht fertig.“ Er  sah Ariane und ihre Eltern wieder an. „Entschuldigen Sie, ich bin es nicht gewöhnt, private Streitigkeiten beizulegen. Im Geschäftsleben ist es immer das Beste, dann alle zurechtzuweisen. Es tut mir leid, wenn ich Ihnen zu nahe getreten bin.“ Er deutete ein Nicken an, auf das Arianes Vater jedoch nicht reagierte. Finster schluckte und sah ziemlich mitgenommen aus, als bereue er den vorigen Ausbruch. „Ich hoffe, Sie hatten dennoch einen schönen Abend.“ „Ja sicher“, bestätigte Arianes Mutter. „Vielen Dank für die Einladung. Wir werden uns dann auch auf den Weg machen.“ Sie kannte ihren Mann gut genug, um abschätzen zu können, dass ihm die Feierlaune nun vergangen war. Ariane fühlte sich mies. Dann spürte sie plötzlich etwas auf ihrer Schulter und schreckte herum, nur um zu erkennen, dass es sich um Ewigkeit handelte. Wo das Schmetterlingsmädchen zwischendurch gewesen war, wusste sie nicht. Vielleicht hatte es nach Schatthen Ausschau gehalten. Ein Problem, das Ariane fast vergessen hatte. Vielleicht hatte die Kleine sich bei dem Streit auch lieber auf Abstand gehalten, wie sie selbst es gerne getan hätte. „Danke fürs Kommen.“, hörte sie Nathan sagen. Er reichte ihrem Vater und ihrer Mutter nacheinander die Hand. Sie sah, dass er nicht mehr sein übliches Lächeln zeigte. Noch immer war leichte Reue in seinen Zügen zu erkennen. Dann war sie an der Reihe. Er nahm ihre Hand und sah ihr höflichkeitshalber ins Gesicht. Jäh weiteten sich seine Augen. Ariane verstand diese Reaktion nicht, denn er sah ihr noch immer direkt ins Gesicht, es konnte also nicht an etwas hinter ihr liegen, zumal Ewigkeit auf ihrer Schulter stand und sie augenblicklich gewarnt hätte, wenn die Schatthen plötzlich hinter ihr aufgetaucht wären. Abrupt ließ Nathan von ihr ab und starrte sie immer noch entgeistert an. „Ist etwas?“, fragte Arianes Mutter, die über Herrn Finsters Verhalten offenbar genauso verwundert war. Wirr wandte Finster sich ihr zu und gewann wieder die Kontrolle über seine Gesichtszüge. „Nein. Es ist alles in bester Ordnung.“ Er holte Luft. „Ich wünsche eine angenehme Heimfahrt.“ „Dankeschön. Noch einen angenehmen Abend.“, erwiderte Arianes Mutter, da ihr Mann nach der Rüge von seinem Chef in Schweigen verfallen war. „Ebenso.“, sagte Finster. Langsam folgte Ariane ihren Eltern in Schweigen gehüllt durch den Festsaal. Ewigkeits Stimme erklang neben ihrem Ohr. „Das war der Mann.“ Ariane wisperte zurück. „Welcher Mann?“ „Der Mann, den der Schatthenmeister gesehen hat.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)