Balance Defenders von Regina_Regenbogen ================================================================================ Kapitel 102: Bedroher --------------------- Bedroher   „Wo Zorn und Rache heiraten, da wird die Grausamkeit geboren.“ (Aus Russland)   Die fünf hatten ausgemacht, sich um sechzehn Uhr gemeinsam in der Finster GmbH umzusehen. Um sicherzugehen, dass sich zu diesem Zeitpunkt auch bestimmt niemand in dem Gebäude aufhielt, hatten sie Ewigkeit vorgeschickt, die ihnen schließlich das Zeichen gab, dass die Luft rein war. Nun war es doch noch von Nutzen, dass Erik ein Foto vom Festsaal geschickt hatte, denn so konnte Change sie hineinteleportieren. Interessiert sahen die fünf sich in dem Raum um. Desire erkannte, dass die Tische des Büffets verschwunden waren und der Raum mit einem Mal leer wirkte. „Hier lang.“, sagte sie zu den anderen und führte sie und Ewigkeit aus einer der beiden Türen aus dem Saal hinaus in die Lobby. Am Aufzug vorbei lief sie zur Treppe und stieg die Stufen bis zum ersten Treppenabsatz hinauf, wo die Steintafeln in einem in die Wand eingelassenen Schaukasten neben einem Plakat für ein Computerprogramm standen. „Das sind sie also.“, sagte Trust, der die beiden Steinplatten bisher nur in seinen hellseherischen Träumen gesehen hatte. Auch Ewigkeit betrachtete sie interessiert. „Gestern Abend haben sie geleuchtet. Also die Buchstaben. Vielleicht hat darauf Eriks Wunde reagiert.“, erläuterte Desire. Trust sah sie ernst an. „Du hattest nicht gesagt, dass sie geleuchtet haben.“ „Zu dem Zeitpunkt hatte ich anderes im Kopf.“, verteidigte sich Desire. „Entschuldige. So war es nicht gemeint.“ Trust wandte sich der Vitrine zu. „Es ist nur, dass sie in dem Traum, den ich damals hatte, auch geleuchtet haben. Das war direkt bevor der Schatthen bei Herrn Schmidt aufgetaucht ist.“ „Du meinst bei dem Typ, der verrückt geworden ist.“, sagte Change, als müsse er Trusts Aussage für die anderen übersetzen. Destiny warf ihm einen tadelnden Blick zu. „Der hatte einen Namen.“ „Aber wen interessiert sein Name?“, meinte Change scherzend. „Für uns ist es der Typ, der die Steinplatten hatte und dann verrückt geworden ist, dann kapiert jeder, von wem wir sprechen!“ Er grinste. „Es gab auch einen Toten.“, erinnerte Trust in andächtigen Ton und bereitete dadurch Changes Albernheiten ein Ende. Destiny fasste zusammen: „Okay, die Tafeln haben geleuchtet und Erik hat seine Wunde gespürt. Das eine hat entweder das andere bedingt oder beides ist aus dem gleichen Grund ausgelöst worden. Wenn Schatthen in der Nähe gewesen wären, hätte aber Desires Beschützerinstinkt reagieren müssen.“ „Auf Burg Rabenfels hat Erik die Nähe der Schatthen auch lange vor uns gespürt.“, erinnerte Trust. Destinys Augenbrauen zogen sich zusammen. „Das heißt, sie könnten hier gewesen sein, aber nicht vorgehabt haben, jemanden anzugreifen.“ Zweifel legte sich auf ihre Stirn. „Was sollte das dem Schatthenmeister bringen?“ Desire hatte eine andere Theorie. „Vielleicht waren es auch gar keine Schatthen. Die Allpträume haben auch kein Signal bei uns ausgelöst. Wer weiß wie viele verschiedene Lichtlose es noch gibt.“ Trust nickte und wirkte angesichts dieser Aussicht besorgt. „Vielleicht war es auch Grauen-Eminenz.“, brachte Unite fröhlich ein. Destiny schimpfte: „Hör auf ihn beim Namen zu nennen, als wären wir alte Freunde!“ Unite grinste. „Er hat uns sechs doch miteinander bekannt gemacht.“ „Das war nicht seine Absicht!“, blaffte Destiny. „Aber was sollte der Schatthenmeister hier wollen?“, fragte Desire nachdenklich. „Vielleicht hat er irgendeine Spyware auf die Computer gespielt.“, schlug Change vor. „Um Finsters Firma zu überwachen oder so.“ „Hätte er das nicht besser gemacht, wenn niemand da ist?“, hielt Desire entgegen. „Tjaaa…“, holte Change grinsend aus. „Er kann ja leider nicht teleportieren, daher musste er wohl kommen, wenn nicht abgeschlossen ist.“ Man konnte ihm ansehen, dass er mächtig stolz darauf war, etwas zu beherrschen, das der Schatthenmeister nicht konnte. „Das würde Sinn ergeben.“, stimmte Trust zu. „Während der Party hat wohl niemand damit gerechnet, dass jemand sich an den Computern und dem Server zu schaffen macht.“ „Er könnte auch irgendwelche Dateien gestohlen oder einen Virus installiert haben.“, fantasierte Change weiter. Unite wandte sich an Ewigkeit, die ganz gebannt vom Anblick der Steintafeln war. „Spürst du irgendwas?“ Ewigkeit schien nachzudenken. „Es … ist wie als ich euch gefunden habe.“ Sie legte den Kopf schräg. „Etwas, das dich ruft?“, hakte Unite nach. Die Muskulatur um Ewigkeits Augen zog sich zusammen, als müsse sie ein Detail auf den Tafeln erkennen. Sie streckte ihr kleines Händchen nach den Tafeln aus und zog plötzlich ein Gesicht, als würde sie von schmerzhafter Sehnsucht heimgesucht. „Wieso hast du das nicht gestern schon gesagt?“, beschwerte sich Change. „Wunsch hat nur gefragt, ob Schatthen da sind.“, verteidigte sich Ewigkeit. Trust beendete das Thema. „Dass Ewigkeit auf die Prophezeiung reagiert, ist nichts Ungewöhnliches. Wichtiger ist, was die Reaktion der Tafeln ausgelöst hat.“ Mit diesen Worten wandte er sich in die Richtung des zweiten Treppenlaufs, der in den ersten Stock führte. Gemeinsam liefen sie die Treppe hinauf. Links und rechts gingen zwei Gänge ab, die durch Glastüren abgetrennt waren. Trust musste feststellen, dass beide abgeschlossen waren. Grinsend trat Change an ihm vorbei, da er durch das Glas Blick auf den dahinterliegenden Bereich hatte, teleportierte er sich und die anderen kurzerhand hinein. Stolz sah er die anderen an, als erwarte er ein Lob von ihnen, doch mit Ausnahme von Unite, die ihn anerkennend anstrahlte, waren die anderen zu sehr auf die Mission konzentriert, und Destiny ignorierte ihn demonstrativ. Desire betätigte den Lichtschalter, den Ewigkeit ihr mit ihrem Leuchten gezeigt hatte, und erhellte damit den Gang. Auf beiden Seiten gab es mehrere Räume, vermutlich Büros. „Was wollen wir überhaupt finden?“, fragte Destiny, als zweifle sie am Sinn dieser ganzen Aktion. „Ich weiß es nicht.“, gestand Trust und lief den Gang weiter, ohne den Büros Beachtung zu schenken. Vermutlich waren sie ohnehin verschlossen. „Wenn der Schatthenmeister Angst vor Finster hat, wäre es doch seltsam, dass er sich extra in seine Nähe begibt.“, gab Destiny weiter zu bedenken. „Kenne deinen Feind wie dich selbst.“, zitierte Change mit pathetischer Stimme. Trust blieb abrupt stehen. „Vielleicht hat er gar keine Angst vor Finster.“ Die anderen warfen ihm fragende Blicke zu. Trust fuhr fort. „Vielleicht ist es nicht die Person, sondern was der Allptraum in der Gestalt von Finster zu ihm gesagt hat.“ Unite schien Trust wie immer sofort zu verstehen und versuchte, den anderen auf die Sprünge zu helfen. „Wie bei Destiny. Sie hat vor uns ja auch keine Angst, sondern vor dem, was die Allpträume ihr in unserer Gestalt angetan haben.“ Trust schluckte. „Ja.“ „Hä? Hat der nicht gesagt“, Change verstellte seine Stimme. „Du willst doch gar nicht mehr. Es ist ganz einfach.“, er wechselte wieder in seinen normalen Tonfall, „oder so? Klingt nicht gerade gruselig.“ Trust dachte an sein eigenes Erlebnis mit dem Allptraum in Unites Gestalt. Auf andere hätte es wohl auch nicht gerade wie Folter gewirkt, von dem Mädchen geküsst zu werden, das man liebte. Doch für Trust war es das Grausamste gewesen, das man seiner Person hatte antun können. Die abartige Verdrehung von etwas, das er sich von ganzem Herzen wünschte, in etwas völlig Verkehrtes und Krankes ließ noch immer seinen Magen sich verkrampfen. „Alles okay?“, erkundigte sich Unite besorgt und war direkt neben ihn getreten. Offenbar hatte sein Gesicht seine Gefühle verraten. Trust nickte nur, versuchte sich an einem kurzen gequälten Lächeln und entzog sich dem Augenkontakt zu Unite. Es tat weh, sie vor sich zu haben, solange diese Erinnerung in seinem Kopf herumspukte. Es fühlte sich an, als habe er sie betrogen, auf eine Art und Weise, die schlimmer war, als wenn der Allptraum für seine Tat eine andere Gestalt gewählt hätte. In dem Fall hätte er es als eine Gewalttat abhaken können, gegen die er sich nicht hatte wehren können. Stattdessen quälten ihn Ekel und Abscheu, weil er – wenn auch nur für eine Millisekunde – das Gefühl, Unites Lippen zu spüren, als beglückend empfunden hatte. Obwohl er doch gewusst hatte, dass es nicht die echte Unite war! Diese Reaktion seines Körpers widerte ihn an. Es war ihm klar, wie unsinnig dieser Gedanke war, dennoch fühlte er sich von sich selbst abgestoßen. „Wir wissen nicht, was diese Worte im Schatthenmeister ausgelöst haben und auf was sie sich bezogen.“, sagte er. Unite griff nach seiner Rechten. Automatisch zog er seine Hand zurück. Er wollte auf keinen Fall, dass sie seine Gefühle versehentlich oder willentlich anzapfte! Nur kurz sah Unite ihn an und ließ die Sache dann auf sich bewenden. Glücklicherweise schien sie ihm sein Verhalten nicht übelzunehmen, dennoch musste Trust ein frustriertes Seufzen unterdrücken. Er setzte sich wieder in Bewegung.   Als er den Standpunkt der fünf auf seinem Plan gesichtet hatte, war Grauen-Eminenz nicht wenig verwundert, sie in der Finster GmbH vorzufinden. Wenn er bedachte, wie offensichtlich die Finster GmbH mit der Ausgrabungsstelle zusammenhing, hätte er wohl damit rechnen können, dass sie weit früher dort nach dem Rechten sahen, um irgendwelchen geheimen Verschwörungen auf die Schliche zu kommen. Grauen-Eminenz entblößte seine Zähne in einem hinterhältigen Grinsen, als würde ihn der Gedanke absolut amüsieren. Wenn dem so war, dann passte sein kleines Spielchen ja noch viel besser zu der Situation. Schließlich wollte er seine Auserwählten ja nicht enttäuschen. Wenn sie auf der Suche nach einem Anzeichen für Schatthenmeister waren, dann würde er ihnen natürlich – aufmerksam und zuvorkommend wie er eben war – gerne behilflich sein.   Sie entschieden sich in den zweiten Stock zu gehen. Dort führte eine weitere Glastür die Beschützer in ein Großraumbüro, das mehrere Schreibtischplätze umfasste. Draußen war es schon dunkel geworden, sodass sie sich trotz der großen Fensterfront rechts gezwungen sahen, nach dem Lichtschalter zu suchen, um nicht gegen die Schreibtische zu stoßen, deren Umrisse durch das einfallende Licht der Straßenlaternen erkennbar waren. Sobald Ewigkeit für sie den Schalter gefunden hatte, machte Change sie unsichtbar, bevor sie diesen betätigten. Im Schein der Lampen, suchten sie dann zunächst die oberen Ecken und die Decke nach etwaigen Überwachungskameras ab. An den Regalen links und an den Schreibtischen selbst schienen keine angebracht zu sein. Erst als sie sich sicher waren, dass keine vorhanden waren, beendete Change den Einsatz seiner Kräfte. Zwar waren ihre Silhouetten durch die Beleuchtung von der Straße und den gegenüberliegenden Häusern aus zu sehen, aber Taschenlampen einzusetzen hätte weit dubioser gewirkt und noch eher dazu veranlasst, die Polizei zu alarmieren. Außerdem wäre ihre ganze Aktion nutzlos gewesen, wenn sie die Hinweise, nach denen sie suchten, aufgrund übertriebener Vorsicht übersahen. Ewigkeits Leuchten war nun wirklich nicht ausreichend. Trust führte die Gruppe an den Arbeitsplätzen vorbei. „Sollen wir uns nicht irgendwas anschauen? Schreibtische durchwühlen oder so?“, fragte Change. „Finsters Büro.“, sagte Trust. „Dort werden wir uns umsehen.“ Kaum hatte er den Satz beendet, explodierte ein grelles Blitzlichtgewitter am Ende des Raumes, als hätte etwas auf seine Aussage reagiert, Wie Kanonendonner rollte der Knall durch den Raum, dröhnte in ihren Ohren und ließ sie zusammenzucken. Plötzlich spielte die Melodie aus den Boxerfilm Rocky, auch wenn die fünf keine Ahnung hatten, wo die Musik herkam. Erst als ihre Augen den Lichterschock überstanden hatten, erkannten sie vor sich Schatthen. „Deckung!“, schrie Trust. Sie warfen sich hinter einen Schreibtisch links von ihnen. Ewigkeit folgte ihnen. Im gleichen Moment rief Desire ihren Schutzschild, der sie alle einhüllte, gleichzeitig sprang Change auf, um die Bestien über den Schreibtisch hinweg zu beschießen. Die anderen sahen, dass er stockte. „Die sehen komisch aus…“ Dass etwas seltsam genug war, ausgerechnet Change zögern zu lassen, brachte die anderen dazu, ebenfalls wieder auf die Beine zu springen, um das Phänomen selbst in Augenschein zu nehmen. Noch immer spielte die unpassende Musik, als würden sie einem Gegner im Boxkampf gegenüberstehen. In Obachtstellung sahen sie durch die nur leicht von einem orangenen Schimmer überzogene Schutzhülle ihren Gegnern entgegen. Die Schatthen standen einfach nur reglos da. Nicht wie die bewegungsunfähigen Exemplare, die sie damals auf dem Jahrmarkt getroffen hatten, sondern als würde ihnen der Antrieb fehlen, sich zu rühren. Ihre Köpfe hielten sie halb gesenkt, ihre Körperhaltung hatte gerade so viel Spannung, dass sie nicht zusammenklappten. Nichts an ihnen sah nach Angriff aus und den Beschützern schenkten sie nicht die geringste Beachtung. Stattdessen stöhnten und seufzten sie, als wäre ihnen allein das Dastehen schon zu anstrengend. Fast glaubten  die fünf sie sogar deprimierte Sätze vor sich hinmurmeln zu hören. Ewigkeit starrte sie gebannt an. „Sie sehen irgendwie… frustriert aus.“, stellte Desire fest. „Das sind Schatthen!“, schimpfte Destiny. „Emo-Schatthen!“, rief Change begeistert. „Was sind Emo-Schatthen?“, fragte Ewigkeit unwissend. „Na Emos. So Leute, die immer jammern und selbstmordgefährdet sind.“, erklärte Change. „So wie Tiny.“ Destiny warf ihm einen bitterbösen Blick zu. Unite scherzte. „Sie brauchen vielleicht jemanden, der mit ihnen spricht!“ „Die brauchen Fleisch! Wenn man nicht genug Fleisch isst, kriegt man Depressionen.“, rief Change überzeugt. „Du kannst dich ihnen ja anbieten!“, fauchte Destiny.   Emo-Schatthen! Grauen-Eminenz prustete und amüsierte sich köstlich. Er hatte es sich auf seiner Couch bequem gemacht und einen riesigen Bildschirm vor sich aufgebaut, um das Treiben der Beschützer zu beobachten. Zur Feier des Tages hatte er sich auch Popcorn gemacht und stopfte sich eine Hand voll in den Mund. Er hatte ja gewusst, dass seine Auserwählten in Diskussionen ausbrechen würden, wenn er sie mit seinen verkorksten Schatthen konfrontierte. Musste ja einen Vorteil haben, dass diese fünf so verkopft waren. Dass seine Schatthenexemplare nicht ganz gelungen waren, war nicht einfach ein Versehen gewesen, sondern ein wichtiges Signal an ihn, vorsichtig zu sein, denn der Hauptgrund, warum Schatthenmeister nie lange ihren Beruf ausüben konnten, war – abgesehen von der hohen Todesrate aufgrund von Unfällen mit den Schatthen – dass sie sehr schnell an Burn-Out und psychischen Störungen litten. Sich immer wieder in negative Gefühle und Gedanken hineinzusteigern, um daraus Schatthen zu erschaffen, ebnete den Boden für die verschiedenartigsten psychischen Erkrankungen. Drogenmissbrauch kam häufig hinzu. Dieser jedoch endete meist nach kürzester Zeit tödlich. Nicht nur dass der Drogenkonsum sich negativ auf die Ausübung magischer Fähigkeiten auswirkte, die Schatthen schienen auch einen sechsten Sinn dafür zu haben und griffen ihre Meister dann vehementer und zielstrebiger an, als wüssten sie um deren Schwäche. Gleiche Effekte konnten auch verschiedene Medikamente bewirken. Daher war es absolut genial von ihm gewesen, dass er statt Psychopharmaka zu schlucken, den hervorragenden Einfall gehabt hatte, die Beschützer zu nerven. So tat er etwas für seine Gesundheit und diese Schatthen waren nicht völlig nutz-  Plötzlich spürte er etwas. Etwas lief verkehrt. Sein Inneres zuckte zusammen, als würde etwas durch seine Eingeweide kriechen.   „Vielleicht sollen sie uns von irgendetwas ablenken.“, überlegte Desire. „Vielleicht sind sie auch nur die Vorhut.“, mutmaßte Trust. „Sollten wir sie dann nicht am besten gleich abschießen?“, fragte Change. Trust verneinte. „Nicht, wenn dadurch erst andere Schatthen alarmiert werden. Jetzt können wir noch verschwinden.“ „Aber wenn die genau auftauchen, wenn wir zu Finsters Büro wollen, dann sind wir doch auf der richtigen Fährte!“, warf Change ein. Trust zögerte mit einer Antwort. „Ganz einfach.“, wandte Destiny ein und streckte ihre Hand den deprimiert herumhängenden Schatthen entgegen, um diese zu paralysieren. Bevor sie ihre Attacke jedoch einsetzen konnte, ertönte erneut ein Donnerschlag, als würden Welten aufeinanderprallen. Die Musik verstummte.  Eine weitere Gestalt war aufgetaucht.   Auf dem Schreibtisch direkt vor den Schatthen stand mit einem Mal eine Person in grauer Kleidung, mit dem Rücken zu ihnen. Dennoch machte ihr Herz einen Satz, denn die Haltung der Person ließ sie die Identität des Neuankömmlings bereits erahnen, ehe Sehsinn und Verstand es rational erfassen konnten. Die nächsten Bewegungen des Jungen waren schnell. Er riss die Arme auseinander. In der gleichen Sekunde wurden zwei Schatthen von einer unsichtbaren Kraft nach links, die anderen nach rechts geschleudert. Einen eleganten Sprung vollführend, landete er, wirbelte herum, wobei er mit der Rechten eine dunkelblau-violette Energiewelle auslöste, die sich wie ein Schleier um die Schatthen rechts von ihm legte und sie in einer Art Netz fing. Mit einer harschen Bewegung zerrte er sie darin wieder auf die Beine, nutzte seinen linken Arm, um die Schatthen zu seiner Linken gegen einen der Schreibtische zu schleudern, und sah dann für eine Sekunde direkt zu den Beschützern. Eriks selbstgefälligstes Grinsen schlug ihnen entgegen. Er trug die Kleidung eines Beschützers in grauer Farbe. Ein indigofarbener Stein prangte auf seiner Brust, der von Verzierungen umgeben war. Seine linke Hand war behandschuht, der rechte Unterarm von einer lederartigen Manschette umhüllt. Auf der linken Seite wies sein Oberteil einen kurzen, zerschlissen Ärmel auf, auf der anderen war es ärmellos. Um seine Hüften trug er einen Gürtel und seine Füße steckten in unterschiedlich hohen Stiefeln. Von seinem Anblick noch einmal in eine Art Schockstarre versetzt, reagierten sie nicht sofort, sondern sahen wie er das Band um die einen Schatthen fester zurrte und sie so zu zerquetschen drohte. „Wir müssen ihm helfen!“, rief Desire, löste den Schutzschild auf und eilte in Secrets Richtung, schneller als Trust reagieren konnte. Er rannte ihr hinterher, um sie aufzuhalten, doch die anderen nahmen das als Aufruf, ihm ebenfalls nachzueilen. „Nicht!“, rief Trust Secret entgegen, doch dieser fühlte sich nicht einmal angesprochen. Beim Anblick der Schatthen verzog sich Secrets Mund vor Abscheu und seine Hand krampfte sich zusammen. In der gleichen Sekunde stießen die Kreaturen einen schrecklichen Schmerzenslaut aus. Ewigkeit wurde die Luft abgedrückt. Die Beschützer vor ihr nahmen längst keine Notiz mehr von ihr, und bekamen so auch nicht mit, wie sie zu Boden stürzte. Verzweifelt rang sie nach Atem. Als Secret seinen Griff um die Schatthen noch einmal verstärkte, kreischte sie auf. Im nächsten Moment ließ der Schmerz endlich von ihr ab.  Unite hatte dem Leiden der Schatthen durch ihre Attacke ein Ende bereitet und sie in glitzernden Schimmer aufgelöst. Dadurch hatte sie die anderen endlich zum Stehenbleiben animiert, als wäre ihnen eingefallen, dass ihre Kräfte genauso gut aus der Ferne eingesetzt werden konnten. Secret indes warf ihr einen abschätzigen Blick zu, als habe sie ihm den Spaß verdorben. „Wir wissen nicht, wie viele noch hier sind.“, rief sie ihm mit ungewöhnlich fester Stimme zu. „Wenn wir sie auslöschen, kommen vielleicht noch mehr.“ Augenblicklich verzog sich Secrets Gesicht zu einem breiten Grinsen, als wäre das genau, was er wollte. Ohne den Blick von ihnen zu nehmen, vollführte er eine abrupte Armbewegung. Ein krachendes, ekelerregendes Geräusch erklang, dessen Ursprung sie erst erfassten, als Secret mit einer weiteren Bewegung den abgetrennten Kopf eines der beiden verbleibenden Schatthen in ihre Richtung schleuderte. Entsetzt duckten sie sich, obwohl der Wurf ohnehin knapp an ihnen vorbeigezielt hatte. „Zurück!“, schrie Trust. Die anderen waren viel zu perplex, um zu reagieren. Allein Unite schien noch bei Sinnen zu sein. „Der Schutzschild!“, befahl Trust, doch Desire sah ihn nur verstört an. Von der Stelle ausgehend, an der Secret stand, fingen die Lichter plötzlich an zu flackern und tauchten die Umgebung immer wieder für Augenblicke in Dunkelheit. Es wurde schwarz und wieder hell, im gleichen Moment stand Secret in unmittelbarer Nähe vor ihnen. Trust wollte auf ihn schießen, wurde aber von einer Handbewegung Secrets hinfortgeschleudert, schlug mit dem Kopf gegen eine Schreibtischkante und brach in sich zusammen. Geistesgegenwärtig teleportierte Change hinter Secret. „Mann!“, schrie er auf ihn ein und versuchte ihn in die Mangel zu nehmen, um ihn zur Vernunft zu bringen. Secret gab ihm einen Ellenbogencheck in den Magen, drehte bereits die Hüfte ein, um ihm einen weiteren Schlag zu versetzen, als er sich umbesann, sich wieder in die Richtung der anderen Beschützer drehte und mit einer Bewegung seines linken Arms Destiny gegen einen Schreibtisch beförderte, die – offenbar mit der Misshandlung ihres Partners nicht einverstanden – zu einer Paralyseattacke angesetzt hatte. Jäh wurde Secret von einer orangefarbenen Kuppel eingeschlossen.    Desire stand heftig atmend mit ausgestreckten Armen da. Das Licht ging an und aus und wieder an. Ihr Kopf fühlte sich taub an, als wäre das alles nur ein schlimmer Albtraum. Vielleicht hatten sie doch nicht alle Allpträume unschädlich gemacht und dies war das Werk einer dieser Kreaturen. Ihr blieb nicht lange Zeit, darüber nachzudenken. Als handle es sich bei ihrem Schutzschild um nichts als eine Lichtshow zu Unterhaltungszwecken, schritt Secret durch die Hülle hindurch. Vor Entsetzen war Desire wie gelähmt. „Erik!“, kreischte Unite in einem vergeblichen Versuch, zu ihm durchzudringen, und stellte sich vor die erstarrte Desire. Unite versuchte erst gar nicht, ihren Gegner zu attackieren. Es war offensichtlich, dass er jeden Angriff vorhersah. Wie um ihre Annahme zu bestätigen, vollführte Secret eine Armbewegung nach hinten, um Change, der sich wieder aufgerappelt hatte, in die Höhe und gegen die Wand hinter sich zu schleudern. Change knallte gegen den oberen Teil der Wand und fiel. Im letzten Moment retteten ihn seine Levitationskräfte vor dem harten Aufschlag, dennoch blieb er wehrlos liegen. Eine Energiewelle drang unter einem Schreibtisch hervor und hüllte Secret ein wie eine Staubwolke – und genauso viel Wirkung zeigte sie. Gelangweilt wandte sich Secret in die Richtung des Angriffs, benutzte beide Hände, um einen Schreibtisch telekinetisch in die Höhe zu hieven und krachend über den dahinterstehenden und auf den darauf folgenden zu schmeißen. Seines Schutzes beraubt, war Trust sichtbar geworden. Er hatte nicht die Kraft einem Angriff auszuweichen. Ehe Secret ihn erneut attackieren konnte, wurde er von einer andersartigen Kraft getroffen. Das Flackern des Lichtes endete. Wutentbrannt hatte Destiny eine dunkelrot glühende Energie abgefeuert und hielt Secret darin gefangen, doch der wehrte sich nach Kräften. Es war ihr nicht möglich, ihre Paralyse einzusetzen, zu sehr beanspruchte das Ringen mit ihm ihre Aufmerksamkeit. Desire rannte nach vorne, um Secret im Moment seiner Bewegungsunfähigkeit zu läutern, im Glauben, er würde fremdgesteuert werden. Doch als sie die Hand nach ihm ausstreckte, wurde sie von den ihn einhüllenden Kräften Destinys verbrannt, taumelte mit schmerzverzerrtem Gesicht zurück und ging in die Knie. Unite erkannte, welche Kraft Destiny herbeigerufen hatte und wollte ihr sagen, dass sie damit aufhören sollte, doch da all ihre anderen Kräfte keine Wirkung zeigten und Change zu weit weg und offenbar zu einem Teleport nicht fähig war, fehlten die Alternativen. Unites eigene Kräfte waren völlig nutzlos. Sie suchte auf dem Schreibtisch links von ihr nach irgendetwas, das sie als Waffe benutzen konnte, doch das einzige, das sie fand, war ein voller A4 Ordner. In Ermangelung einer besseren Lösung, packte sie diesen und rannte auf Secret zu, um ihn K.O. zu schlagen. Doch wie eine eingebaute Hemmung dagegen, jemanden zu verletzen, den sie eigentlich beschützen wollte, wich die Kraft aus ihren Armen, als sie zuschlug, weshalb der Schlag weit weniger kraftvoll war als gewollt. Secrets Kopf ging kurz nach unten, dann blitzten seine Augen in blinder Raserei auf und Destiny verlor den Kampf gegen sein Aufbäumen. Secret zerriss Destinys Fesseln und wollte Unite mit seinen bloßen Händen an der Kehle packen, als ein grelles Licht vor seinen Augen explodierte. „Weg hier!“, schrie Ewigkeit, die aus ihrer Besinnungslosigkeit nach der Zerstückelung des Schatthens erwacht und vor Secrets Gesicht erschienen war. Statt seine telekinetischen Kräfte einzusetzen, schlug Secret sie mit seiner flachen Hand weg, als sei sie ein Insekt. Doch bevor die Nachwirkungen der Blendattacke nachließen und er die Mädchen angreifen konnte, trat ein weiterer Gegner auf den Plan. Keiner von ihnen hatte dem letzten verbleibenden Schatthen noch irgendeine Beachtung geschenkt. Die Bestie jedoch hatte sich wieder aufgerafft und sprang auf Secret zu. Secret, durch die Blendung für einen Moment nicht fähig, noch rechtzeitig seine Telekinese in die richtige Richtung einzusetzen, schleuderte statt des Schatthens nur einen Stuhl durch die Gegend und wurde von dem Gegner zu Boden gerissen. Er schrie vor Schmerz, als die Bestie ihm in die Schulter biss.  Unite, die direkt daneben stand, war unfähig zu handeln. Wenn sie Secret half, würde er sie und die anderen erneut attackieren, aber sie konnte ihn doch nicht – Secret schrie und das Geräusch reißenden Fleischs klang in ihren Ohren. In höchster Seelenqual setzte Unite ihre Kräfte frei, wohl wissend, dass sie damit das Todesurteil von sich und den anderen besiegelte. Aber sie konnte Erik nicht sterben lassen! Der Schatthen löste sich auf und ließ einen blutenden Secret zurück. Der gab einen unterdrückten Schmerzenslaut von sich, riss die Augen auf und sah Unite hasserfüllt an. Sie wich zurück. Hätten ihn die Schmerzen nicht davon abgehalten, hätte er sie ohne zu zögern attackiert. „Erik.“, sagte Desire leidvoll und wollte auf ihn zu eilen. Secret zog seine Nasenflügel voller Verachtung nach oben und wollte Desire für die Erwähnung dieses Namens attackieren, als eine lila-violette Wand zwischen ihm und den beiden Beschützerinnen aufflackerte. Secret ließ den Arm wieder sinken und sah in die andere Richtung. Grauen-Eminenz war an der Stelle erschienen, an der die Schatthen zuvor aufgetaucht waren. Von dem Auftritt des Schatthenmeisters offenbar wieder zu sich gekommen, teleportierte sich Change neben Unite, machte aber nicht den Eindruck, als würde er eine weitere Ausübung seiner Fähigkeiten überstehen. Hilfesuchend stützte er sich auf Unites Schulter, um nicht umzukippen. Destiny, die immer noch am Boden kauerte, hob ihren Arm zum Angriff gegen den Schatthenmeister, als dieser näher zu den anderen schritt. Grauen-Eminenz sah in Destinys Richtung. „Du solltest dir überlegen, gegen wen du deine Kräfte einsetzt.“, sagte er und lief weiter auf Secret zu. Desire rannte vor den am Boden liegenden Secret und setzte ihr Schutzschild ein. „Fass ihn nicht an!“ Grauen-Eminenz sah sie für einen Moment stumm an. „Er hat euch angegriffen.“ Desire ließ sich nicht beirren und blieb beharrlich vor Secret stehen. „Außerdem verblutet er.“, bemerkte Grauen-Eminenz trocken. Desire sah erschrocken auf Secret, aus dessen Schulterbereich immer mehr Blut hervorquoll. Entsetzt kniete sie sich zu ihm und legte ihm die Hände auf. Secret sah sie dabei an, als würde er sie am liebsten töten, dann verzog sich sein Gesicht vor Schmerz. Während Desire ihre Heilungskräfte einsetzte, sah Grauen-Eminenz zu den anderen Beschützern. Trust kam gerade zu Unite und Change gehumpelt, während Destiny noch immer am Boden kauerte. „Ihr seid ziemlich bescheuert, jemandem zu helfen, der euch so zugerichtet hat.“, bemerkte Grauen-Eminenz. „Wir sind dran gewöhnt.“, sagte Change. Was sonst lässig geklungen hätte, hörte sich aufgrund der Schwäche seiner Stimme wie ein Röcheln an. „Was wollen Sie?“, fragte Trust ernst. „Ich habe euch gerade geholfen.“, sagte Grauen-Eminenz, als erwarte er dafür eine freundlichere Behandlung. „Du Arsch bist doch schuld an der ganzen Scheiße.“, presste Change hervor und wäre trotz Unites Unterstützung fast zusammengesackt. „Als nächstes bin ich auch noch für die Energiekrise und den Welthunger verantwortlich.“, meinte Grauen-Eminenz empört.  Desire konnte beobachten, wie ihre Energie durch Secrets Körper floss. Er wehrte sich zunächst dagegen, sein Gesicht war schmerzverzerrt und er zuckte, doch als ihre Kräfte Wirkung zeigten, wurde er endlich ruhig und schloss schließlich die Augen, während die Blutung stoppte und das aufgerissene Fleisch sich erneuerte. Als die Wunde schließlich geschlossen war, schien Secret in Schlaf gefallen zu sein. „Wie geht es ihm?“, fragte Grauen-Eminenz, der offenbar sofort gemerkt hatte, dass sie die Ausübung ihrer Fähigkeit beendet hatte. Desire sah ihn feindselig an, zu zornig, um zu sprechen. Doch Grauen-Eminenz wartete auf eine Antwort. „Was hast du mit ihm gemacht?“, spie sie schließlich aus. Grauen-Eminenz sah sie nur unbewegt an. Wieso ging hier jeder davon aus, dass er etwas damit zu tun hatte? „Lass mich zu ihm.“, sagte er. „Niemals!“, schrie Desire. Er wandte sich an die anderen Beschützer. „Er wird euch wieder angreifen.“ „Wir werden das verhindern!“, rief Desire. „Ich habe gesehen, wie ihr es verhindert habt.“, spottete Grauen-Eminenz. „Ihr wisst nicht, mit was ihr euch da einlasst.“ „Mit dem, was du uns eingebrockt hast!“, gab Change zurück und sank nun wirklich zu Boden, Unite folgte ihm, um ihn weiterhin stützen zu können. „Es ist nicht meine Absicht, dass sich meine Versuchspersonen gegenseitig abmurksen.“ „Das haben wir anders in Erinnerung.“, röchelte Change. „Ich habe ihn auf jeden Fall nicht auf euch angesetzt, wenn es das ist, was ihr glaubt.“ Er sah wieder zu Secret. „Nächstes Mal kommt ihr vielleicht nicht so glimpflich davon. Ihr solltet ihn mir überlassen.“ „Nur über meine Leiche!“, schrie Desire. „Ihr wart schon damit überfordert, euch gegen ihn zu verteidigen, ihr seht nicht gerade so aus, als könntet ihr mir gegenüber noch viel Gegenwehr leisten.“ Trust machte einen Schritt nach vorne, woraufhin er spürte, wie Change sich gegen seine Beine lehnte. Im gleichen Moment spürte er, wie er mit teleportiert wurde. Er, Change und Unite tauchten neben Destiny auf, Unite ergriff Destinys Hand und zapfte Changes Kräfte abermals ab, um bei Desire und Secret aufzutauchen. „Er wird es wieder tun.“, rief Grauen-Eminenz ihnen noch zu, dann waren sie allesamt verschwunden.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)