Balance Defenders von Regina_Regenbogen ================================================================================ Kapitel 110: Ein neues Drehbuch ------------------------------- Ein neues Drehbuch   „Im Allgemeinen sind die Bösen die besseren Rollen. Da kann man sich ausleben.“ (Mario Adorf, dt. Schauspieler)   Um neun Uhr abends hatte Frau Funke Serena abgeholt und dabei direkt noch Vitali, Ariane und ihn nach Hause gefahren. In Gedanken versunken, schloss Erik die Tür auf. Seit dem Gespräch mit den fünfen, konnte er nicht umhin, sich in Überlegungen zu ergehen. Über Freundschaft im Allgemeinen, über die Beziehungen von Menschen. Er betrat den Flur und schaltete das Licht an. Je größer die Distanz zu einem Menschen, umso besser. Nach diesem Motto hatte er gelebt. Und diesem Motto war er noch immer treu. Dennoch konnte er Viviens Sichtweise nicht einfach als unsinnig abtun. Das machte ihn nachdenklich. Er konnte nicht zu den fünfen gehören, gleichzeitig hatte er jedoch keine Lust, sich von ihnen zu trennen. Das war seltsam und gleichzeitig war es logisch. Er hatte schließlich keine schlechten Zeiten momentan. Wenn diese kommen sollten, würde er automatisch auf ihre Anwesenheit verzichten. Jemand trat aus dem Wohnzimmer in die Diele. Rosa. Dabei hatte er gehofft, sie wäre schon abgereist, wenn er nach Hause kam. „Da bist du ja!“, jauchzte Rosa, kam auf ihn zugestürmt und umarmte ihn. Da Erik davon ausging, dass Gegenwehr die ganze Prozedur nur verlängert hätte, ließ er es widerstandslos, wenn auch zutiefst widerwillig, über sich ergehen. „Ich muss mich doch noch von dir verabschieden!“ Derweil traten aus dem Wohnzimmer zwei weitere Personen. Dass sein Vater und seine Mutter aus dem gleichen Raum kamen, hatte etwas Unheimliches. Erik wusste nicht, wie lange das schon nicht mehr vorgekommen war. Immerhin hatten die beiden sogar getrennte Schlafzimmer. Endlich entfernte sich Rosa wieder von ihm und ging dazu über, seine Mutter in die Arme zu schließen. „Vielen herzlichen Dank für die Gastfreundschaft!“ „Du bist jederzeit willkommen.“ Die emotionslose, kalte Stimme seiner Mutter gab den Worten einen wenig glaubhaften Klang. Rosa jedoch schien ihre Schwester gut genug zu kennen, um sich daraus nichts zu machen. Sie lief zur Kommode, zog ihren leuchtendroten Mantel an und nahm schließlich ihren Autoschlüssel zur Hand. Zu Eriks Vater gedreht, hob sie bloß die Hand. „Tschüss!“ Anstatt sich jedoch wie erwartet einfach von ihm abzuwenden, blieb sie noch einen Augenblick stehen. „Du musst dich unbedingt besser um Erik kümmern! Er glaubt, du liebst ihn nicht.“ Eiswasser. Schock. Ertrinken. Sein Vater schien auf Rosas Worte nicht zu reagieren, keine einzige Regung in seinem Gesicht. Da war nur der Ausdruck von Verachtung, den er Arianes Vater gegenüber gezeigt hatte. Aber etwas schien hinter seinen grauen Augen zu lodern. Eriks Atmung wurde unregelmäßig, als würde ihn allein die Ahnung von dem, was hinter der Fassade seines Vaters ablief, zum Zusammenbrechen zwingen. Und doch konnte er den Blick nicht vom Gesicht seines Vaters abwenden, als wolle er all die Leiden, die er als Kind schon ertragen hatte, noch einmal aufleben lassen. Bilder der Vergangenheit kamen in ihm hoch. Rosa hatte sich derweil abgewandt und lief geradewegs auf Erik zu. Sie legte ihm eine Hand mitfühlend auf die Schulter. Er konnte seinen Blick nicht von seinem Vater abwenden. „Mach’s gut.“ Erik glaubte, sie wolle ihn verhöhnen. Er hörte, wie sie die Haustür öffnete. Die Kälte von draußen strömte herein, aber Erik fühlte es nicht. Sein Körpergefühl hatte sich in dem Moment verflüchtigt, als Rosa den Satz zu seinem Vater gesagt hatte. Noch einmal rief Rosas quietschfidele Stimme ein Tschüss, dann entfernten sich Schritte. Erik hörte wie seine Mutter zu der offenen Tür trat. Noch immer starrte er seinen Vater an. Er musste sich wegdrehen, er durfte nicht zeigen, dass er so fühlte. Er hatte es ihr nicht gesagt! Von draußen drangen Motorengeräusche. Die Luft war kalt. Erik starrte seinen Vater an. Das Motorengeräusch verklang. Der Ton der Tür, die ins Schloss fiel. Die Kälte ließ nach. In seinen Augenwinkeln sah er, dass seine Mutter sich in Richtung Wohnzimmer entfernte, ihn alleine ließ. Fast hätte er losgeweint wie früher. Er stand alleine vor seinem Vater. Etwas ging in dem Gesicht seines Vaters vor, das Erik noch nie gesehen hatte. Als würde das kalte Leuchten in den Augen seines Vaters gedimmt. Als wäre das, was er eben noch mit so starker Intensität bedacht hatte, abhanden gekommen, als stünde nichts mehr vor ihm, das es zu betrachten gab. Ohne Zorn, ohne gewollte Distanz, einfach als wäre er plötzlich von einem bösen Zauber belegt worden, der Erik unsichtbar für seine Augen machte, ging er ebenfalls ins Wohnzimmer zurück.  Erik stand reglos da und konnte nicht begreifen. Er sah die Garderobe, sah an sich herab und zog mit seltsamen Bewegungen seine Jacke aus, lief zur Garderobe und nahm einen Bügel. Das Geräusch, das seine Jacke und der Bügel dabei erzeugten, dröhnte in seinen Ohren und brachte sein Inneres zum Zucken. Er zitterte und versteckte seine Arme vor seinem eigenen Blick, wie um die Tatsache vor sich selbst zu vertuschen. Er atmete durch den Mund, wandte sich von der Garderobe ab zur Treppe. Er stürzte die erste Hälfte der Treppe hinauf, blieb auf dem ersten Treppenabsatz stehen, starrte hinauf. Viel zu klein für dieses riesige Haus. Er. Als wolle es ihn verschlingen. Erik lief die restlichen Stufen nach oben, wusste nicht, wozu er das tat. Konnte nicht mehr. Öffnete die Tür zu seinem Zimmer. Alles war ein Meer aus Leere und Grau.   Ewigkeit schreckte aus ihrem Schlaf auf und hörte ihren eigenen hektischen Atem. Unsicher wandten sich ihre Augen nach links und nach rechts. Sie spürte keine Schatthen. Schwerfällig setzte sie sich auf. Vereinen und ihre Geschwister schliefen, ihre tiefen, leisen Atemzüge waren zu vernehmen. Ewigkeit dagegen rang noch immer nach Atem. Sie wandte sich zum Fenster um, aber der Himmel war heute bedeckt, sodass sie den Mond nicht sehen konnte, genauso wenig wie die Sterne. Etwas Unbekanntes ließ sie frösteln. Hastig zog sie die Puppendecke, die sie von Ellen bekommen hatte, fester um sich. Sie fürchtete sich davor, die Augen wieder zu schließen und umschlang ihre Beine mit ihren Armen und bettete ihr Gesicht auf ihre Knie, um sich selbst Halt zu geben. So saß sie da und harrte aus, in der Hoffnung, das seltsame Gefühl möge schnell von ihr ablassen.   Grauen-Eminenz packte den Jungen bei den Schultern, in einem Versuch, ihn vorm Zusammenbrechen zu bewahren. Der Schwarzhaarige sah schrecklich aus, völlig verstört, wie ein Tier auf der Flucht. Grauen-Eminenz hatte sein Auftauchen sofort gespürt, ein Ziehen in seinem Körper, als würden seine Gedärme sich verkrampfen. Dass der Junge das Schatthenreich überhaupt betreten konnte, lag vermutlich daran, dass  diese ominöse Wunde, das Gift von damals konserviert hatte und dadurch eine energetische Verbindung zu ihm als Meister dieses Reiches vorgaukelte, die den Zutritt autorisierte. Wie er allerdings das Portal überhaupt hatte finden können, war Grauen-Eminenz schleierhaft. Doch das war gerade seine geringste Sorge. Er hatte keine Ahnung, was mit dem Burschen passiert war. Er wirkte halb betäubt, als würde er ihn gar nicht wahrnehmen. In diesem Zustand war er aus dem Zimmer gestürzt gekommen, das Grauen-Eminenz für ihn eingerichtet hatte – zum zweiten Mal eingerichtet!, nachdem der Rotzbengel den Raum das letzte Mal völlig zerlegt hatte! Es war grotesk, denjenigen, der bei seinem letzten Besuch alles zertrümmert und eine beängstigende Aggressivität an den Tag gelegt hatte, nun so gebrochen zu sehen. War das wirklich noch die gleiche Person? Grauen-Eminenz stockte für einen Moment. Zögerlich lehnte er sich näher zu dem Jungen und sprach in vorsichtigem Ton. „Erik…?“ Bei dem Klang des Namens riss der Junge den Kopf hoch und stierte ihn mit vor Schreck geweiteten Augen an. Als hätte Grauen-Eminenz mit seiner Anrede unwissentlich eine Kettenreaktion in Gang gesetzt, ging plötzlich etwas im Gesicht des Jungen vor sich. Die Angst und Verwirrung wichen aus seinen Zügen und machten mehr und mehr einer abweisenden Härte Platz. Mit jäh wiedergewonnener Kraft schlug er Grauen-Eminenz‘ Arme beiseite und funkelte ihn an. Seine Stimme war dunkel und unheilverkündend. „Ich bin Secret.“   Samstag. Die fünf hatten den Vormittag mit Training verbracht. Ewigkeit war heute sogar erstaunlich sanft mit ihnen umgegangen. Ihr Ertüchtigungsprogramm hatte bloß den Kräfteeinsatz, ein Ausweichtraining und das halbstündige Üben ihrer individuellen Fähigkeiten umfasst. Sie waren dennoch erschöpft. Endlich durften sie ihr Hauptquartier verlassen. Während sie von dem Schleichpfad auf den Kiesweg des Parks traten, ergriff Vivien das Wort. „Heute ist Martinsumzug!“ „Und?“, fragte Vitali desinteressiert. Am Samstag vor dem elften November, dem Martinstag, fand in Entschaithal traditionell ein Festumzug statt. Ein als Sankt Martin verkleideter Mann mit rotem Mantel führte hoch zu Ross den Zug von singenden Kindern mit Laternen an. Begleitet wurde das Spektakel von einer Musikkapelle, die Martinslieder anstimmte. „Ewigkeit hat noch nie an einem teilgenommen. Meine Geschwister haben ihr davon erzählt und sie möchte dorthin. Weil es doch ein Lichterfest ist und sie leuchtet! Und sie würde sich sicher riesig freuen, wenn wir alle sie begleiten!“ Ewigkeit nickte eifrig. „Äh?!‘“, machte Vitali. „Ganz sicher nicht! Das ist für Kleinkinder! Ich lauf doch nicht mit nem Haufen Kinder rum!“ Ewigkeit sah ihn mit großen feuchten Kulleraugen an. „Vergiss es!“ „Wenn es für Kleinkinder ist, passt du doch hin.“, meinte Serena provokativ. „Wer liest Mangas?“, gab Vitali zurück. Serena warf ihm einen bösen Blick zu. Ariane ging über die Streitereien hinweg. „Ich war schon ewig nicht mehr auf einem Sankt-Martins-Umzug.“ „Ja, weil du kein Kind mehr bist.“, kommentierte Vitali. „Du meinst mit Laternen?“, fragte Justin Vivien. Er war sich sicher, dass seine alte Laterne längst im Müll gelandet war. „Wie du magst. Wir können auch ohne mitsingen. Ewigkeit ist ja unser Licht.“, kicherte Vivien. Fröhlich klingelnd schwirrte Ewigkeit um die fünf. „Ich geh auf keinen Fall mit.“, nörgelte Vitali und machte den Ansatz, noch mehr zu sagen. Doch die Worte blieben ihm im Halse stecken. Der schrille Ton ihres Beschützerinstinkts jagte durch ihre Schädel. Ihnen blieb nicht die Zeit zu reagieren. Von links, von der Wiese stürmte ein Schatthen auf sie zu. Gerade noch im letzten Moment setzte Ariane ihren Schutzschild ein. Die Bestie knallte mit voller Wucht dagegen, der Schild hielt. Justin hob den Arm, um den Schatthen zu beschießen, dieser wich geschickt aus. Vivien wollte ihm Beistand leisten, doch schon verwandelte sich der Schatthen in einen schwarzen Fleck und huschte über den Boden. Wie automatisch wichen die fünf näher zu der Baumgruppe zu ihrer Rechten. Etwas stürzte sich auf sie. Als bestünde der Schutzschild nur aus Luft, glitt der Angreifer hindurch, landete hinter Ariane und Vitali und hatte im gleichen Atemzug seine Arme um die Schultern der beiden gelegt. „Lange nicht gesehen.“ Geschockt drehten sich die anderen drei zu dem Angreifer, den sie wie Ariane und Vitali bereits an der Stimme erkannt hatten. Keiner von ihnen wagte es, einen Ton von sich zu geben. Der Schatthen nutzte die Ablenkung zu seinem Vorteil, materialisierte sich und warf sich gegen den Schutzschild. Ariane zuckte unter dem Aufprall zusammen. Justin zögerte eine Sekunde, unsicher, ob es sinnvoll war, Secret den Rücken zuzukehren, dann drehte er sich wieder in die Richtung des Schatthens und wollte seine Kräfte einsetzen, als Secrets Stimme ihn innehalten ließ. Er gab ein tadelndes Geräusch von sich, als sei Justin ein ungezogener Junge und ließ dabei nicht von Ariane und Vitali ab. „Wenn du willst, dass den beiden hier nichts passiert, solltest du das besser lassen.“ Sich schwer beherrschend, senkte Justin seinen Arm und drehte sich wieder zu Secret um. Aus Arianes Augen sprach Entsetzen, während Vitalis Gesicht wutverzerrt war. Da Secret ihn berührte, konnte er nicht teleportieren, ohne den Bedroher automatisch mitzunehmen. Und Secret schien genau das beabsichtigt zu haben. Sein hämisches Grinsen schlug Justin und Vivien entgegen, ehe es bei Serenas Anblick noch schadenfroher wurde. Wenn sie ihn paralysierte, während er sich hinter Ariane und Vitali versteckte, würde sie auch Ariane treffen, die einzige, die die Paralyse wieder aufheben konnte. „Was willst du?“, fragte Justin langsam und vorsichtig. „Begrüßt man so einen alten Freund?“, fragte Secret höhnisch. „Freunde greifen einander nicht an!“, brauste Serena auf. Secret grinste über die Maßen amüsiert, als habe Serena sich mit diesem Satz ins eigene Fleisch geschnitten und als würde er den Anblick genießen. Automatisch zog Serena ihre Schultern hoch wie zum Schutz. Es schien, als würde Secret ihr mit diesem Grinsen all die Male vorhalten, in denen sie sich gegen ihre Freunde gewandt hatte. Wieder und wieder prallte der Schatthen derweil gegen den Schutzschild, sodass Ariane von der Anstrengung, die sie das Aufrechterhalten kostete, schwer zu atmen begann. „Ariane, lös das Schild auf!“, befahl Justin. „Du willst doch nicht, dass uns der Schatthen kriegt.“, meinte Secret mit verschlagenem Lächeln. „Es verursacht ihr Schmerzen, wenn er gegen den Schild rennt.“, antwortete Justin so ruhig wie möglich. Allein seine Hände ballten sich zu Fäusten. „Ach.“, machte Secret in gespieltem Mitleid. „Desire nimmt das sicher zu gerne auf sich für ihren Secret.“ Er lehnte sich zu ihrem Ohr. „Sieh es als Buße dafür, dass du mich im Schatthenreich zurückgelassen hast.“ Justin sah, wie das Leben aus Ariane zu weichen schien. Ihre Augen wirkten für eine Sekunde vollkommen leer. „Sie hat dich nicht zurückgelassen!“, brüllte Justin so laut wie noch nie in seinem Leben. Ein kehliges Lachen erklang. „Das hat sie mir aber anders erzählt.“ Secret grinste teuflisch. „Lass sie los!“, kreischte Serena schrill. „Also wirklich. Man könnte ja fast meinen, ihr hättet Angst, ich könnte euch was tun.“ Er sah zu Vitali, der ihn feindselig anfunkelte. Plötzlich riss er seinen Kopf wieder zu den anderen. „Haltet eure Motte fern, wenn ihr nicht wollt, dass ich sie zerquetsche!“ Ewigkeit hatte gerade den Ansatz dazu gemacht, Secret zu attackieren, und hielt abrupt inne. „Ariane, lös den Schutzschild auf.“, sagte Justin erneut. Ariane reagierte nicht, sie verzog nur das Gesicht in stummer Pein, während der Schatthen weiter gegen die Barriere ankämpfte. Secret höhnte. „Braves Mädchen.“ Ariane drehte ihm ihr Gesicht zu. Ihre Augen blitzten mörderisch. Doch Secret schien dies nur anzustacheln. Sein Grinsen wurde noch breiter, als habe er sie endlich da, wo er sie haben wollte. „Wir müssen uns kurz verabschieden. Desire, Change und ich teleportieren mal kurz da vorne in den Waldweg, damit ihr euch um den Schatthen kümmern könnt.“ Vitali stierte Secret an, als würde er den Teufel tun, seine Befehle zu befolgen. Die anhaltenden Attacken des Schatthens setzten Ariane jedoch immer mehr zu. Lange würde sie das nicht mehr aushalten. „Tu es.“, befahl Justin. Vitali gaffte ihn ungläubig an. „Wir kommen alleine zurecht.“, versicherte Justin. „Du kannst sie nicht mit ihm gehen lassen!“, kreischte Serena aufgeregt. „Tu es!“, wiederholte Justin, während Ariane unter einem erneuten Aufprall fast zusammengesackt wäre. Vitali teleportierte.   Vitali, Ariane und Secret tauchten auf dem Waldweg wieder auf, den Secret genannt hatte. Im gleichen Moment ließ er von den beiden ab, worauf sie von ihm wegschreckten. Wie angewurzelt blieben sie stehen, als befürchteten sie, dass Secret sie bei der kleinsten Bewegung angreifen würde. Secret verschränkte die Arme vor der Brust, legte den Kopf leicht schief und grinste, als warte er darauf, was sie als nächstes tun wollten. Tatsächlich besaßen weder Ariane noch Vitali Fähigkeiten, die ihnen in einem Kampf gegen Secret von großem Nutzen waren. „Offenbar zieht ihr es vor, mein gutes Aussehen zu bewundern, statt euren Freunden zu Hilfe zu eilen. Das kann ich natürlich verstehen. Auch wenn es nicht wirklich heldenhaft ist.“ Vitali biss die Zähne zusammen, weil er diesem Großmaul zu gerne eine reingehauen hätte, hätte er gewusst wie. Dann spürte er, wie Ariane seine Hand ergriff, und drehte sich in ihre Richtung. Arianes Blick war auf Secret fixiert, der aussah, als hätte er einen Heidenspaß. Einen weiteren Moment zögerten sie. Wenn sie Secret aus den Augen ließen, griff er sie vielleicht erneut aus dem Hinterhalt an. Andererseits hatten sie ihm ohnehin nichts entgegenzusetzen. Was sollten sie tun? Secret hob die Augenbrauen, wie um sie zu fragen, wie lange sie noch überlegen wollten. Vitali setzte seine Kräfte ein.   Secret lächelte selbstzufrieden und schlenderte in aller Seelenruhe zu dem Portal, das für die Beschützer offenbar nicht sichtbar gewesen war. Gut zu wissen. Kurz überlegte er, ob es nicht eine Verschwendung war, jetzt schon zu gehen und den Kampf zwischen den Beschützern und dem Schatthen zu verpassen. Aber Schatthen waren dumm. Wie interessant konnte so ein Kampf schon sein? Außerdem durfte ein guter Bösewicht es bei seinem ersten Auftritt nicht übertreiben. Er musste schließlich undurchsichtig und geheimnisvoll wirken. Wieder nahm ein breites Grinsen seine Züge ein. Vergnügt trat er durch das Portal.   Ariane und Vitali erschienen bei den anderen. Serena, Justin und Vivien standen weit voneinander entfernt, als habe der Schatthen sie auseinander getrieben oder als hätten sie sich absichtlich aufgeteilt. Auf die Schnelle konnten Ariane und Vitali das nicht ausmachen. Allerdings wirkte besonders Serena nicht gerade, als würde alles nach Plan verlaufen. Auf den ersten Blick war der Schatthen nicht zu entdecken. Allein die Blicke der anderen, die auf den Boden fixiert waren, verrieten, dass die Bestie noch nicht besiegt war, sondern ihre Schattenform angenommen hatte. Schneller als ihm das Auge folgen konnte, hatte der Schatthen sich wieder materialisiert und stürzte sich auf die von Panik befallene Serena. Im gleichen Moment knallte Vitali mit voller Wucht gegen Serenas Seite und riss sie damit zu Boden. Er hatte sich ohne Verzögerung zu ihr teleportiert. Sofort wurde er gelähmt.   Die Paralyseattacke traf nicht nur Change sondern auch den Schatthen. Ehe die Bestie jedoch auf Serena und Vitali fallen konnte, wurde sie von Vivien und Justin bereits aufgelöst. Die anderen kamen zu den am Boden Liegenden gerannt. Serena atmete hysterisch und schien nicht begriffen zu haben, dass nicht der Schatthen sie mitgerissen hatte und auf ihr gelandet war. „Es ist Vitali.“, sagte Vivien ruhig, als müsse sie Serena aus einer Schockstarre befreien. Mit geweiteten Augen wagte es Serena daraufhin, sich zu bewegen und erkannte, dass es sich bei dem Gewicht, das auf ihr lastete, tatsächlich um ihren Beschützerpartner handelte, der sich jedoch nicht regte. Sie stieß einen unwillkürlichen Schluchzer aus, weil sie für einen Moment glaubte, der Schatthen habe ihn verwundet oder Schlimmeres. Ariane war bereits dabei, ihn von der Paralyse zu befreien. Vitali stieß einen Fluch aus und stieß sich ab, um von Serena wegzukommen. Er ließ sich wieder auf den Boden fallen. „Ich dachte, ich bin tot!“ Serena fing jäh an in weitere Schluchzer auszubrechen. Vivien war sofort zur Stelle und nahm sie in ihre Arme. „Alles okay bei euch?“, erkundigte sich Justin bei Ariane und Vitali. Ariane konnte sich zu keiner Antwort durchringen. Justin wartete auch nicht darauf. „Wo ist Secret?“ „Keine Ahnung.“, antwortete Vitali genervt. „Wo ist der Schatthen?“ „Serena hat ihn paralysiert und wir haben ihn aufgelöst. Ganz nach Plan.“, eröffnete ihm Vivien. „Es war wahrscheinlich, dass er auf denjenigen losgehen würde, der die meiste Angst hat.“ „Hättet ihr auch vorher sagen können.“, maulte Vitali. Er schaute zu Serena, die immer noch weinte. „Was ist eigentlich dein Problem!“, schrie er sie an. „Du hast mich schon wieder paralysiert und ich heul auch nicht, oder?“ Ariane schluckte. „Vielleicht weint sie ja nicht deshalb.“ Vivien strich Serena nochmals tröstend über den Kopf. Serena entfernte sich aber bereits wieder von ihr und setzte sich auf. Sie hatte keine Lust, den Grund für ihren emotionalen Ausbruch zu erklären. Aber wenn sie daran dachte, dass Vitali nichts passiert war, wollte sie schon wieder losweinen. Das lag sicher an dem Schock. In Schocksituationen war man eben nicht ganz zurechnungsfähig. „Ist Secret noch in der Nähe?“, verlangte Justin zu erfahren. Ohne aufzublicken gab Ariane gestisch zu verstehen, dass sie es nicht wusste. Vitali stieß einen weiteren Fluch aus. Sie waren wieder da, wo sie vor einer Woche schon gewesen waren. Ewigkeit landete geknickt auf Justins Schulter. Vivien stand wieder auf und holte das Handy aus ihrer Jackentasche. Sie wählte eine Nummer aus und hielt sich das Handy ans Ohr. „Was tust du?“, wollte Ariane wissen. „Ich rufe Erik an.“ Ariane hatte nicht die Kraft, darauf zu reagieren. Der Unglaube zeichnete sich nur noch schwach auf ihrem Gesicht ab. „Wenn er wieder er selbst ist, ruft er zurück.“, meinte Vivien wie selbstverständlich. „Wieso glaubst du, dass er wieder normal wird?“ Arianes Stimme klang selbst in ihren eigenen Ohren schrill. „Es gibt nur zwei Möglichkeiten. Entweder ist er jetzt langfristig Secret oder aber das ist eine Dr. Jekyll – Mr. Hyde Geschichte und er verwandelt sich immer wieder zurück.“, antwortete Vivien. „Das ist überhaupt keine Geschichte! Das ist die Realität!“, schrie Ariane aufgelöst. „Du weißt, wie sie das gemeint hat.“, sagte Justin sachte. Ariane senkte das Haupt. „Heute war anders als das letzte Mal. Das ist ein anderer Secret.“, mutmaßte Vivien. „Wow!“, spottete Vitali. „Er hat nicht versucht, uns eigenhändig zu töten, sondern hat es einem Schatthen überlassen. Ein echter Fortschritt!“ Serena sah zu Vivien auf. „Was hast du vor?“ Es klang nicht argwöhnisch, sondern als sei sie bereit alles zu tun, was Vivien von ihr verlangte. Vivien schenkte ihr ein dankbares Lächeln. „Wir hatten lange genug Zeit uns auf alles vorzubereiten.“, sagte sie. „Lange genug Zeit? Bist du irre?“, stieß Ariane fassungslos aus. „Es war klar, dass Secret wieder auftauchen würde, deshalb habe ich einen Notfallplan entwickelt.“, klärte Vivien sie auf. „Warum hast du uns darüber nichts gesagt!“, warf Ariane ihr vor. Ein trauriges Lächeln erschien auf Viviens Lippen. „Weil du glücklich warst.“ Ariane verkrampfte ihre Kiefer, weil sie nicht wusste, was sie darauf entgegnen sollte. Sie war wütend auf Serena gewesen, als sie sie an die Gefahr, die von Erik ausging, erinnert hatte. Und nun war sie wütend auf Vivien, weil sie es nicht getan hatte. „Was soll das bringen?“, fragte sie desillusioniert. „Willst du lieber hier sitzen und dich in Selbstmitleid suhlen?“, gab Serena zurück und stand auf. „Wir werden alles tun, um Erik zu helfen, ist das klar!“ Ariane war empört, dass sie sich das ausgerechnet von Serena sagen lassen musste. Als wüsste sie das nicht selbst! „Wir könnten ihm einfach eins überbraten.“, meinte Vitali und erhob sich ebenfalls. „Vielleicht kommt er dann wieder zu sich.“ „Wenn wir ihm so nahe kommen würden.“, entgegnete Ariane bitter. „Und was sollen wir jetzt machen?“, fragte sie Vivien. „Ganz einfach.“ Vivien begann zu erklären.   Grauen-Eminenz war wütend, sehr wütend sogar. Da hatte er diesem unverschämten Bengel gestattet, im Schatthenreich zu bleiben, und was kam dabei heraus? Kaum war er kurz weg, fehlte ein Schatthen! Das durfte doch wohl nicht wahr sein! Weder hatte er dem Rotzbengel erlaubt, in seiner Abwesenheit mit den Schatthen zu spielen, noch überhaupt in ihre Nähe zu kommen! Nirgends war auch nur das geringste Überbleibsel des Schatthens zu finden. Was zum Teufel hatte der Junge angerichtet! Hatte er den Schatthen etwa einfach aus dem Schatthenreich entkommen lassen? Er würde ihn umbringen! Das war das Problem, wenn Leute davon ausgingen, dass man sie nicht tötete! – Und damit auch noch richtig lagen! Den Schatthen konnte man zur Strafe einfach die Glieder abtrennen und danach eben wieder anbringen, das ging bei Menschen leider nicht. Und andere Folterarten sorgten leider auch für bleibende Schäden. Wie ging man bloß mit Menschen um, wenn man sie nicht einfach quälen konnte, um sie zu konditionieren? Grauen-Eminenz stürmte in Secrets Zimmer. Er wusste, dass der Junge sich dort aufhielt. So viel Kontrolle hatte er wenigstens noch über sein eigenes Reich. Gerade im Begriff loszuschreien, erkannte er, dass der Junge in seinem Bett lag und schlief. Nicht dass das Grauen-Eminenz davon abgehalten hätte, ihn anzuschreien und aus dem Schlaf zu reißen. Was den Schatthenmeister stutzen ließ, war die Kleidung des Jungen. Zuvor hatte er eine graue Uniform getragen, nun lag er in normaler Straßenkleidung da. Grauen-Eminenz ging nicht davon aus, dass er sich mal kurz umgezogen hatte. Er hatte die Verwandlung der Beschützer auf seinen Videobändern mehrfach in Augenschein genommen und wusste daher, dass ihre Kleidung einfach auftauchte und dann wieder verschwand. Es war davon auszugehen, dass es sich bei Secret genauso verhielt. Das hieß, Secret hatte sich zurückverwandelt. Im Gegensatz zu den Beschützern schien sich Secret aber an seine Identität als Erik nicht erinnern zu können, solange er sich im verwandelten Zustand befand. Der Junge hatte ein echtes Psycho-Problem. Aber er würde ganz sicher nicht die Rechnung für einen Seelendoktor zahlen! Wo waren die Erziehungsberechtigten?! Ob der Junge nun wieder sein Bewusstsein als Erik wiedererlangt hatte, war leicht zu kontrollieren. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)