Balance Defenders von Regina_Regenbogen ================================================================================ Kapitel 117: Selbsthilfegruppe ------------------------------ Selbsthilfegruppe   „Am Ende wird alles gut. Wenn es nicht gut wird, ist es noch nicht das Ende.“ (Oscar Wilde)   „Ewigkeit?“, flüsterte Vivien von ihrem Bett aus. Sie war gerade erst vom nächtlichen Training zurückgekehrt und ihre Geschwister schliefen bereits. Das Schmetterlingsmädchen – eine sacht leuchtende Gestalt in der Dunkelheit des Raums – schwebte zu ihr. Mit angezogenen Beinen auf ihrem Bett sitzend, sah Vivien die Kleine an, ohne sofort das Wort zu ergreifen. Ewigkeit hatte das Training geleitet. Doch anstatt sich auf Techniken gegen Secret zu konzentrieren, hatte sie die fünf stupide Lauf- und Ausweichübungen machen lassen. Auf Einwände, die besonders häufig von Change geäußert worden waren, war Ewigkeit erst gar nicht eingegangen und hatte nur umso lauter ihre Befehle gerufen, bis Change es aufgegeben hatte. Destiny war erstaunlich ruhig geblieben. Was Ewigkeit bezweckt hatte, konnte sich Vivien denken. Sie hatte die Gedankenspirale, in der sich jeder von ihnen drehte, unterbrechen oder sie zumindest nicht noch weiter ankurbeln wollen, denn die Sache mit Secret trieb langsam aber sicher einen Keil zwischen die Beschützer. Viviens Blick war noch immer auf Ewigkeits sanftes Leuchten in der Dunkelheit gerichtet. Von weiter weg hätte man sie für ein Irrlicht halten können, eine verlorene Seele. „Hast du dich in letzter Zeit übergangen gefühlt?“, fragte sie. Ewigkeit legte den Kopf schief, als wäre sie ein niedliches Tierjunges. „Dachtest du, die anderen würden dir nicht zuhören oder etwas von dir erwarten, das du nicht leisten kannst?“, präzisierte Vivien. Ewigkeit zog ein nachdenkliches Gesicht. Schließlich antwortete sie: „Ich weiß nicht.“ Sie pausierte nochmals und sah zu ihr auf. „Ich bin sehr klein.“ Vivien lächelte gerührt. „Du machst das sehr gut.“, versicherte sie und schluckte. Vielleicht hätte sie diese Worte ja selbst gerne gesagt bekommen. Sofort setzte sie wieder einen optimistischeren Gesichtsausdruck auf. „Du bist ein toller Gleichgewichtsbegleiter!“ Ewigkeit freute sich. Viviens Blick schweifte kurz in die Dunkelheit. Sie musste etwas unternehmen.   Für den nächsten Tag waren die fünf erneut zum Training verabredet, auch wenn sie nicht länger wussten, was das helfen sollte. Als sie das Hauptquartier betraten, lief Vivien unerwartet auf den Tisch zu, den sie eigentlich nie benutzten, da sie meistens auf der Couch saßen. Die Stühle, die um den Tisch standen, zog sie einen nach dem anderen weiter in die Mitte des Raumes und stellte sie in einem Kreis auf. „Was tust du da?“, fragte Vitali skeptisch. Vivien antwortete nicht, sondern fuhr fort, mit den Stühlen einen Kreis zu bilden. Vitali beschwerte sich: „Warum werde ich derzeit ständig ignoriert?“ „Hast du was gesagt?“, fragte Ariane künstlich überrascht. Vitali sah sie missmutig an. Ariane lachte und legte ihm die Hand beschwichtigend auf die Schulter. „War nur ein Scherz.“ „Helft lieber Vivien, anstatt dumme Witze zu reißen.“, fauchte Serena. Weder Vitali noch Ariane begriffen, warum sie jetzt schon wieder so schlechte Laune hatte. Eben hatte sie noch nicht so gereizt gewirkt. – Eben hatte Ariane Vitali auch noch nicht berührt… „Ihr müsst euch noch verwandeln!“, rief Vivien, als die anderen anfangen wollten, ihr zur Hand zu gehen. Sie folgten ihrer Aufforderung, während Vivien weitere Stühle verrückte. „Tataa!“, rief sie schließlich und deutete auf den großen Sitzkreis. „Wir sollen uns setzen?“, vermutete Desire. Vivien nickte, blieb selbst aber stehen. Da die anderen es mittlerweile gewöhnt waren, dass Vivien bei Befehlen außen vor stand, setzten sie sich kurzerhand, ohne Viviens Rolle zu hinterfragen. Die Stühle waren in einem Abstand zueinander aufgestellt, der großzügig genug war, um die Sicht auf alle Beteiligten gleichzeitig zu gewähren, und klein genug, um Nähe herzustellen. Change verschränkte die Arme vor der Brust. „Und jetzt?“ Vivien verwandelte sich in Unite. „Jetzt reden wir.“ „Worüber?“, wollte Change wissen. „Über die Situation!“, rief Ewigkeit freudig und schwirrte schon wieder weiter. Im Ton tiefster Entnervtheit schimpfte Change: „Das haben wir doch schon hundertmal gemacht!“ Unite blieb gelassen. „Und hattest du das Gefühl, dass man dir zugehört hat?“, Changes Gesicht verzog sich. „Nee.“ Desire, rechts neben ihm, ergriff das Wort und bemühte sich um einen neutralen Tonfall. „Wir haben eben unterschiedliche Meinungen.“ „Das kann man wohl sagen!“, pflichtete Change ihr bei. Unite sah ihn verwundert an. „Also willst du nicht, dass man dir zuhört?“ Change beäugte sie misstrauisch, als wittere er eine Finte. Unite zuckte schlicht mit den Schultern. „Eigentlich wollte ich, dass du alles sagen darfst, ohne dass dich jemand unterbricht. Aber wenn es keiner hören will.“ „Hey!“, rief Change empört. „Niemand hat gesagt, dass wir es nicht hören wollen.“, beanstandete Desire. „Es ist nur die Frage, ob uns das weiterbringt.“ Unite drehte sich zu Change. „Hast du gehört, deine Meinung bringt uns nicht weiter.“ Change verzog wütend das Gesicht. „So hab ich das nicht gemeint!“, verteidigte sich Desire. „Dreh mir nicht das Wort im Mund herum!“, beschwerte sie sich bei Unite. „Heißt das, du willst Changes Meinung hören?“, hakte Unite nach. „Natürlich.“, sagte Desire und ärgerte sich, dass es ihr nicht gelang, aus Unites Falle zu entkommen. Sie musste so oder so tun, was sie geplant hatte. „Wunderbar!“, rief Unite und ließ sich daraufhin auf den Stuhl zwischen Destiny und Change plumpsen. Noch einmal blickte sie in die Runde. „Also sind alle damit einverstanden, dass jeder sich aussprechen darf, ohne unterbrochen zu werden?“ Keiner wagte Widerworte. „In Ordnung!“ Vergnügt wandte Unite sich an Change, der ein wenig entfernt rechts von ihr saß und strahlte ihn an. „Schieß los.“   Change wirkte überrumpelt, als wisse er zum ersten Mal nicht, was er sagen sollte, oder wäre es einfach nicht gewöhnt, dass jemand ihm wirklich zuhörte. Unite überraschte das nicht weiter, schließlich überließ er die ernsten Gespräche meist den anderen und spielte lieber denjenigen, der das Ganze mit leichtherzigen Kommentaren auflockerte. So wie sie immer so tat, als würde ihr nichts nahe gehen. Sie gab ihm eine Hilfestellung: „Was geht in dir vor, wenn du ‘Secret‘ hörst?“ „Ich hasse ihn.“ Unite nickte langsam, doch Change machte keine Anstalten fortzufahren. „Ist das alles?“ „Ich will ihn umbringen.“ Sie lächelte schelmisch. „Und wieso tust du’s nicht?“ Change stierte sie an, als wäre sie jetzt komplett übergeschnappt. „Ich mein ja nicht wirklich umbringen!“ „Was dann?“ Er begann herumzudrucksen. „Äh, na, ihn verprügeln oder so, ihm so richtig eins reinwürgen! „Und warum verprügelst du ihn nicht?“ Changes Mund verformte sich. „Würd ich ja gern.“ Unite unterband ein Grinsen. Natürlich wollte Change nicht laut aussprechen, dass er das aufgrund von Secrets Kräften nicht in die Tat umsetzen konnte. „Warum schlägst du nicht Erik?“ Changes Tonfall ging in die Höhe. „Weil ihr gesagt habt, das darf ich nicht!“ Wieder nickte sie verständnisvoll. „Und wie fühlt sich das an, wenn man dir das verbietet?“ Seine Miene wurde übellaunig. „Es kotzt mich an.“ „Warum?“ „Weil es euch völlig schnurz ist, wie`s mir geht!“ Jäh brach Desires Stimme in das Gespräch ein: „Das stimmt nicht!“ Unite brauchte sich nicht darum zu kümmern, denn schon war Ewigkeit vor Desires Gesicht aufgetaucht. „Es wird nicht unterbrochen!“ Hastig stellte Unite Change die nächste Frage. „Warum ist uns egal, wie es dir geht?“ Wieder wollte Desire dazwischenrufen. Trust, der rechts neben ihr saß, beugte sich zu ihr und flüsterte ihr zu. „Lass sie machen.“ Unite bekam es nur am Rande mit, denn im gleichen Moment ertönte Changes Antwort, in lautstarker Erregung ausgestoßen. „Weil euch Secret wichtiger ist als ich!“ Es war nicht nötig, sich zu den anderen zu drehen, um den Schock wahrzunehmen, der die Totenstille durchwob.  Als bereue er die überstürzten Worte, zog Change geradezu beschämt den Kopf ein und blickte zu Boden. Unite bemühte sich, ihrer Stimme einen möglichst sachten Klang zu verleihen. „Woran erkennst du das?“, Nicht nur Changes Haltung, auch seine Stimme war zusammengeschrumpft. „Weil es immer nur um Secret geht und ich immer nur Befehle ausführen muss. Aber das ist allen egal.“, knarzte er. Offenbar war er der Meinung, dass weitere Wahrheiten es nun auch nicht mehr schlimmer machten. Unite legte eine Kunstpause ein, um Changes Worte auf die anderen wirken zu lassen. „Wie würdest du dir wünschen, behandelt zu werden?“, fragte sie weiter. Change schlug die Augen nieder und brabbelte etwas Unverständliches vor sich hin. Unite wartete, aber was auch immer Change gesagt hatte, er sprach es nicht nochmals aus. Daraufhin senkte sie ihre Lautstärke. „Wärst du lieber an Secrets Stelle?“ Change sah nicht auf, hielt sich kurz zurück. Dann rang er sich schließlich zu einer Antwort durch. „Ja.“   Desire wäre fast von ihrem Stuhl aufgesprungen, hätte Trust nicht geistesgegenwärtig nach ihrer Schulter gegriffen. Sie tauschte einen stummen Blick mit ihm aus. Trusts braune Augen mahnten sie, Ruhe zu bewahren. Mit ihrem Gesichtsausdruck versuchte sie zu protestieren. Schließlich konnte das nicht Changes Ernst sein! Wie konnte er nur – Trusts Blick bekam mehr Nachdruck. Desire stieß die Luft aus und zwang sich, weiter dem Gespräch zu lauschen. Unite hatte gerade nach dem Warum gefragt, auch wenn es für Desire keine vernünftige Erklärung für eine so absurde Aussage geben konnte! Zumindest schien auch Change das langsam aufzugehen, denn er zögerte. Vielleicht hatte er begriffen, wie kindisch und unreif seine Behauptung gewesen war! Doch als er schließlich sprach, brachten seine Worte Desire ins Wanken. „Weil er machen kann, was er will, und ihr mögt ihn trotzdem.“ Im Gegensatz zu Desire wirkte Unite nicht schockiert, sie stellte bereits die nächste Frage. Ihre Stimme klang weich und sanft: „Glaubst du, bei dir wäre das anders?“ „Ja.“, antwortete er zerknirscht, die Augen noch immer auf den Boden fixiert. Eine Pause entstand, in der Desire sehen konnte, wie Changes Unterkiefer sich bewegte, wohl weil er damit haderte, die nächsten Worte auszusprechen. Unite ließ ihm Zeit. „Ich werde immer geschimpft, wenn ich was mache, das euch nicht passt, und wie ein dummes Kind behandelt. Als wäre ich ein Vollidiot. Aber Erik ist ja ach so intelligent! Ich bin für alle immer der Trottel. Für Tiny und für euch alle.“ Desire musste schlucken. Change hatte nicht einfach wie ein beleidigtes Kind geklungen. Er schien wirklich verletzt zu sein. Als weiterhin niemand etwas sagte, stöhnte Change lang, als wolle er damit vertuschen, überhaupt gesprochen zu haben. Vielleicht bereute er es, so ehrlich gewesen zu sein. Noch immer sagte keiner etwas. Vorsichtig lugte Change daraufhin auf und sah Unite unsicher an, als fürchte er, etwas kaputtgemacht zu haben. Unite lächelte. „Geht‘s dir besser?“ Changes Augenbrauen und Mundwinkel verformten sich. „Wieso sollte es mir besser gehen?“ Unite lächelte noch immer zuversichtlich. „Weil wir dir zugehört haben.“ Change sah sie an und schien erst in diesem Moment wirklich zu begreifen, dass keiner von ihnen ihn beschimpfte. „Weiß nicht.“ „Also mir geht‘s besser.“, sagte Unite freundlich. „Weil ich jetzt besser verstehe, was in dir vorgeht. Und wenn du dich wieder fühlst, als würdest du wie ein Idiot behandelt werden, dann sag es direkt.“ Change verzog das Gesicht. „Das kann ich nicht immer so sagen.“ „Warum nicht?“ „Weil es in manchen Situationen unangebracht ist! Da geht es eben nicht um mich! Da muss ich machen, was richtig ist, auch wenn es mir nicht gefällt.“, gab er kund. „Ich kann ja nicht rumplärren, dass ich mich schlecht behandelt fühle, während Secret uns angreift.“   Unite musste kurz grinsen, weil Changes Antwort einfach so niedlich war. Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Außerdem habt ihr auch genug Probleme damit. Ist ja nicht so, als wäre es für euch so einfach.“ Unite fühlte eine Welle der Zuneigung in sich aufsteigen. Mit seinen Worten hatte Change deutlich bewiesen, was sie längst gewusst hatte: Er war weder unreif noch egoistisch. Er wollte nur ernstgenommen werden. „Noch etwas?“ Change dachte kurz nach, dann wurde er laut und deutete mit dem Finger auf Destiny. „Es kotzt mich an, dass Tiny immer mich annervt! Ich hab ihr gar nichts getan!“ Er zog einen Schmollmund. „Zu euch ist sie nie so!“ Lieblich lächelnd entgegnete Unite: „Ich dachte, du magst es, dass du der einzige für sie bist.“ Changes Miene verzog sich unansehnlich angesichts der unangenehmen Mehrdeutigkeit ihrer Aussage. Eine übereinstimmende Veränderung ging auch in Destinys Gesicht vor. Sie hatte jedoch das Glück, dass Change zu sehr damit beschäftigt war, seine eigene Verlegenheit niederzuringen, um in ihre Richtung zu sehen. Unite lächelte. „Noch was?“ So schnell wie sie gekommen war, war Changes Verlegenheit auch wieder verschwunden und hatte dem Suchen nach sonstigen Eröffnungen Platz gemacht. Change grübelte und grübelte. Er wollte wohl den Moment nicht ungenützt verstreichen lassen, in dem ihm mal alle zuhörten, ohne ihn zu unterbrechen. „Ich hasse es, dass… ähm…“ Er suchte noch angestrengt nach etwas, dann änderte er die Richtung seiner Gedanken. „Wieso bin ich eigentlich nie der Anführer?“ „Würdest du gerne der Anführer sein?“, fragte Unite. „Ja!“ „Und die Verantwortung übernehmen?“ Change zog die Nase kraus. Das war Antwort genug. „Man könnte mich trotzdem mal wie einen Helden behandeln!“, maulte er. Destiny verdrehte die Augen. „Und wie behandelt man Helden?“, wollte Unite wissen. Change nahm die Beantwortung dieser Frage sichtlich ernst. „Man sagt: Oh, das hast du toll gemacht, Change! Du bist der Beste! Und so was.“ „Okay.“ Unite nickte. „Fertig?“ Wieder überlegte er. „Wenn mir später noch was einfällt, -“ „Kannst du es gerne sagen.“, antwortete sie und kicherte. Dann hielt sie ihm beide Hände mit erhobenem Daumen hin und rief mit überschwänglicher Stimme: „Das hast du toll gemacht, Change! Du bist der Beste!“ Anstatt sich veralbert vorzukommen, wirkte Change über ihre Geste hocherfreut. Endlich hatte mal jemand verstanden, was er brauchte. Zufrieden wandte Unite sich daraufhin an Desire und machte eine Bewegung mit der Hand in ihre Richtung. „Jetzt.“   Desire hielt kurz inne. Die ganzen Einwände, die ihr zuvor gekommen waren, waren mit einem Mal bedeutungslos geworden. Sie hatte verstanden, dass Changes Worte überhaupt nichts über Erik aussagen wollten, sondern nur dazu dienten, seine eigene Situation und seine eigenen Probleme anzusprechen. Sie hatte ihm Unrecht getan, aber der Streit am Tag zuvor und ihre Meinungsverschiedenheiten seit Secret zum zweiten Mal aufgetaucht war, hatten sie von Change entfernt und nicht nur von ihm. Desire seufzte und spürte dieses imaginäre, entsetzlich schwere Gewicht auf ihr lasten. „Was soll ich sagen?“ Unite übernahm erneut die Rolle des Interviewers: „Wie fühlst du dich wegen der Sache mit Secret?“ „Schlecht.“, antwortete Desire knapp. Unite schien sich damit nicht abspeisen lassen zu wollen. Wieder tat Desire einen langen Atemzug. „Ich habe ein schlechtes Gewissen gegenüber Erik.“ „Hä?“, rief Change ungläubig dazwischen. „Keine Zwischenrufe!“, erinnerte Ewigkeit, die direkt vor seiner Nase auftauchte. Change machte den Eindruck, darauf etwas entgegnen zu wollen, unterließ es dann aber. Durch die Unterbrechung aus dem Konzept gebracht, schwieg Desire. „Ein schlechtes Gewissen?“, wiederholte Unite. Desire schluckte und wollte im ersten Moment nicht weitersprechen, aus Furcht, es könnten sich Tränen in ihren Augen bilden. Aber es war Change gegenüber nicht fair, wenn sie nicht aussprach, was in ihr vorging, wo er so offen gewesen war. Also rang sie sich zu der Wahrheit durch oder dazu, was sie gerade als Wahrheit empfand. „Egal, was ich mache, es scheint alles nur schlimmer zu werden und ich habe den Eindruck, dass wir schuld daran sind. Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn wir anders gehandelt hätten. Vielleicht wäre er dann nicht zu einem Bedroher geworden. Vielleicht hätten wir ihm das alles ersparen können. Ich fühle mich, als hätte ich ihn enttäuscht.“ „Wen?“, hakte Unite nach, als wisse sie nicht, wovon Desire sprach. Desire konnte nicht fassen, dass sie ihr so eine dumme Frage stellte, nachdem sie ihr gerade ihr Herz ausgeschüttet hatte! Es kam ihr fast schon wie eine Beleidigung vor, als würde Unite sie überhaupt nicht ernst nehmen. Empörung stieg in ihr auf. Unites Gesicht blieb freundlich, ihre Augenbrauen hoben sich auffordernd. Wen? Wen hast du enttäuscht? Es hatte wie eine selten dämliche Frage geklungen. Aber ohne ihr Zutun schien Desires Verstand nun etwas anderes darin zu erkennen und zu begreifen, was Unite gemeint hatte. Unwillkürlich fügten sich die Gedankenfetzen zu einem Ganzen zusammen. Sie hatte noch immer Schuldgefühle Secret gegenüber, dem Jungen, den sie im Schatthenreich zurückgelassen hatte. Wie sehr hätte sie sich gewünscht, ihn wenigstens jetzt beschützen zu können. Aber wieder hatte sie versagt. Sie kam sich wie ein riesiger Versager vor! Unite ließ ihr Zeit, mit dieser Erkenntnis umzugehen. Automatisch machte sich Desire klein. „Ich weiß einfach nicht, was ich tun soll.“ Unite beeilte sich nicht mit ihrer Antwort. „Du bist nicht allein.“ Kurz sah Desire auf und senkte dann wieder den Blick. „Manchmal habe ich das Gefühl, dass ihr viel mehr Wert darauf legt, dass es uns gut geht.“ „Was!“, schrie Change. „Das ist doch –“ „Change.“, mahnte Trust. „Sie hat das gleiche Recht zu sprechen wie du.“ Change schaute unzufrieden. „Sie fühlt sich genauso missverstanden wie du.“, ergänzte Trust. Daraufhin gab Change Ruhe. Unite schenkte Trust ein dankbares Lächeln und wandte sich dann wieder Desire zu. „Wieso denkst du das?“ Desire zögerte. Changes abermalige Unterbrechung hatte sie wieder daran erinnert, dass es vielleicht nicht das Beste war, wirklich all das auszusprechen, was ihr im Kopf herumspukte. „Desire?“ Sie wollte nicht noch mehr von sich preisgeben. Unite beugte sich etwas vor, wie um ihr näher zu sein. „Es ist okay.“ Desire war sich da nicht so sicher. Unite zog sich wieder zurück und lehnte sich nach hinten. „Also wir legen mehr wert darauf, dass es uns gut geht.“ „So hab ich das nicht –“, begann Desire und seufzte. „Es geht nur die ganze Zeit darum, wie wir die Wahrheit vor ihm geheimhalten. Es geht darum, wie wir –“ Wieder ein Seufzen. Unite erlöste sie von dem Druck, darauf näher einzugehen. „Wie möchtest du handeln? Ganz unabhängig von uns.“ Desire wägte ab, ob dieser Frage zu trauen war. Als Unite ihr mit einer Kopfbewegung Mut zu machen versuchte, gab sie schließlich nach. „Ich möchte Erik die Wahrheit sagen. Ich möchte, dass er weiß, dass wir für ihn da sind. Ich möchte für ihn da sein.“ „Und warum tust du das nicht?“ Desire starrte sie an, doch Unite meinte ihre Frage offensichtlich ernst. Daraufhin packte sie Empörung. „Weil es so entschieden wurde.“ „Und was macht das mit dir?“ „Was?“, stieß Desire aus. „Wie fühlst du dich, wenn dir das verboten wird?“ „Wütend!“, rief Desire. „Ich bin wütend, weil ich einfach tue, was ihr sagt. Dabei halte ich es für falsch! Ich bin wütend, dass –“ Abrupt brach sie ab, riss die Hände ans Gesicht und fürchtete, in Tränen auszubrechen. Unites Stimme klang wissend und gefasst, als wäre ihr längst bekannt, was ihre Reaktion hervorgerufen hatte. „Du kannst es ruhig aussprechen.“ Desire machte sich noch kleiner. Unite drängte sie nicht. Schließlich krümmte sie sich nach vorn, das Gesicht auf ihren Schoß gerichtet. „Ich bin wütend, weil ich denke, …“ Ihre Hände krampften sich um die Sitzfläche des Stuhls. „…ihr seid an allem schuld.“ Am liebsten wäre sie im Erdboden versunken. Sie konnte den anderen nicht mehr in die Augen sehen. Sie wollte gar nicht wissen, wie sie sie jetzt anschauen mussten. In besänftigendem Ton sprach Unite sie an. „Das ist okay.“ „Ist es nicht!“, widersprach sie mit gebrochener Stimme und riss ihren Blick zu Unite auf. „Das ist überhaupt nicht okay!“ „Es ist normal, dass du das fühlst.“, versicherte Unite nochmals. „Nein.“, japste sie. „Nur weil du weißt, dass wir unsere Gründe haben, heißt das nicht, dass du das nicht trotzdem so empfindest.“ „Aber es ist unfair.“ „Aber es ist trotzdem wahr, oder?“, sagte Unite. „Wir sind schuld an Eriks Verwandlung.“ Geschockt blickte Desire auf und konnte nichts sagen. „Es ist unsere Schuld.“, wiederholte Unite. Jäh trat das Gespräch mit Erik zurück in Desires Gedächtnis. Wie er sie geschimpft hatte, dass er für sich selbst entscheiden könne und sie sich nicht anmaßen solle, über ihn zu bestimmen. „Sind wir nicht schuld?“, fragte sie. „Sag du es mir.“, antwortete Unite. „Aber – Wir hätten – Das –“ Desire seufzte. Sie hatten weder die Verwandlung verursacht, noch hatten sie ihre Pflicht, ihn zu beschützen vernachlässigt. Sie hatten ihn nur betrogen. Das war ihre einzige Schuld. „Wir sind Lügner.“, stellte sie fest. „Das waren wir von Anfang an.“, stimmte Unite zu. Desire erinnerte sich, dass Unite Erik mit dem Rollenspiel die Möglichkeit gab, selbst auf die Wahrheit zu stoßen. Dennoch schien ihr das nicht genug. „Es ist falsch, Menschen zu belügen.“ „Ja.“ „Sollten wir dann nicht ehrlich ihm gegenüber sein?“ Unite sah sie überrascht an. „Wieso fragst du mich?“ Desire begriff, dass sie schon wieder versucht hatte, Unites Meinung einzuholen. „Ich kann das ja nicht alleine entscheiden.“, verteidigte sie sich. „Warum nicht?“, entgegnete Unite unschuldig. „Na, weil – Ich kann euch nicht verraten.“ „Und dafür verrätst du Secret?“ Desire brauste auf: „Du weißt genau, dass ich das nicht tue!“ Sie fasste sich an die Stirn. Unite antwortete in sanftem Ton. „Du willst niemanden verraten.“ „Das hilft gar nichts.“, sagte sie bitter. „Wann warst du nicht da, als er dich gebraucht hätte?“ Verständnislos sah sie Unite an. „Wann hast du keine Rücksicht auf ihn genommen?“ Sie zog die Augenbrauen zusammen. „Wann hättest du ihn beschützen müssen?“ Leise sprach sie es aus. „Immer.“ „Und kannst du das?“ Desire deutete ein Kopfschütteln an. „Und hast du wenigstens dein Möglichstes getan?“ Sie zögerte, für einen Moment unfähig, es sich einzugestehen. Unite ließ ihr die Zeit, ihre widerstreitenden Gefühle zu verarbeiten. „Hast du ihn im Stich gelassen?“ Desire schloss die Augen und schüttelte schließlich den Kopf. „Noch etwas?“ Sie sah auf. „Ich will nicht mehr lügen müssen.“ Unite nickte. Einen Augenblick lang war sie in Gedanken versunken. „Gib mir eine Woche.“, bat sie. „Dann darfst du es ihm sagen.“ „Echt jetzt?“, rief Change. „Desire wird es tun.“, legte Unite fest. „Allein.“ Destiny meldete sich lautstark zu Wort. „Und wenn er austickt? Wir können Desire nicht –“ „Ich habe eine Woche gesagt.“, unterbrach Unite sie. „Bis dahin wissen wir mehr.“ Ungläubig sah Desire sie an. „Ist das wirklich dein Ernst?“ Unite nickte. „Du hast dich lange genug gequält.“ Desire stockte. Unite tat das für sie, nicht für Erik. Hieß das, Unite hielt es immer noch für keine gute Idee, ihm die Wahrheit zu sagen? Angesichts Unites Lächeln ließ Desire den Gedanken fahren und fühlte augenblicklich, wie ein unendlich schweres Gewicht von ihren Schultern abfiel. Sie musste schlucken und hoffte, nicht in Tränen auszubrechen. Das alles hatte sie so sehr belastet, all diese Lügen. Und allein die Aussicht darauf, diese Farce zu beenden, erleichterte sie so sehr, dass sie gar nicht mitbekam, welchen ernsten Blick Trust Unite zuwarf. „Möchtest du weitermachen?“, fragte Unite Trust. Ihr war sein Gesichtsausdruck nicht entgangen.   Trust durchbohrte Unite weiterhin mit diesem ernsten Blick. „Ich halte es für keine gute Idee, dass du Entscheidungen triffst, ohne die anderen zu fragen.“ Desire meldete sich zu Wort. „Letztes Mal war Unite die einzige, die dagegen war, dass –“ „Nicht unterbrechen.“, ermahnte Ewigkeit. Desire starrte sie an. Die Kleine begriff wohl überhaupt nicht, dass Trust Unite gerade angegriffen hatte! „Sprich weiter.“, bat Unite. Dass Unite das sagte, war Desire unbegreiflich, dennoch hielt sie sich zurück. Trust atmete aus. „Du weißt genau –“ Er stoppte. Sein Ton wurde hart und nüchtern. „Ich habe manchmal den Eindruck, dass du Entscheidungen alleine triffst oder dich über gemeinsame Entscheidungen hinwegsetzt, ohne uns darüber zu informieren. Als würden für dich andere Gesetze gelten und nur wir müssten uns an unsere Abmachungen halten.“ Desire konnte nicht fassen, dass ausgerechnet Trust Unite etwas Derartiges vorwarf! Sie konnte sich kaum davon abhalten, dazu etwas zu sagen. Unite schwieg. Trust ließ sich davon nicht beirren. Die Partie um seine Augen verkrampfte sich. „Du willst immer, dass wir ein Team sind, aber du hältst dich selbst nicht daran! Du zauberst irgendwelche Pläne aus deiner Trickkiste, ohne dass du uns darüber Bescheid sagst. Du klärst uns über deine Pläne nicht auf und verhältst dich, als wäre alles ein großes Spiel. Alles ist für dich positiv und du denkst nicht darüber nach, dass du uns andere dadurch ausschließt!“ Unite sagte nichts, nur ihr Gesichtsausdruck war ein anderer als die Male zuvor. Doch Trust war noch nicht am Ende angelangt. „Du gehst viel zu große Risiken ein und denkst nicht darüber nach, wie es für uns ist, wenn du dich in Gefahr bringst. Du scheinst dich selbst nicht als Teil des Teams zu sehen, sondern als über dem Team stehend, denn für dich gelten nicht die gleichen Regeln.“ Unite wirkte wie eingefroren. Sie reagierte nicht auf die Worte. In Trusts Gesicht zeichnete sich Schmerz ab.   Er stierte sie an, wollte sie zu einer Antwort zwingen. Aber das konnte er nicht. Es würde ihr ja doch wieder gelingen, sich aus der Situation herauszuwinden. Wie immer. Und er fühlte sich verraten. Unite war es egal, ob sie ihn verletzte! Für sie war er nichts weiter als ein Spielball.   Destinys Stimme brach in die Stille ein. „Ewigkeit! Darf ich sprechen?“ Ewigkeit schien von der Frage überfordert und blickte zu Unite. Da diese kaum reagierte, offenbar völlig damit ausgelastet, mühsam beherrscht ihre Maskerade aufrechtzuhalten, wartete Destiny nicht länger und begann zu reden: „Das hier ist nicht, worum es geht!“, rief sie entschieden. Sie drehte sich wütend zu Trust links neben ihr. Ihr Gesichtsausdruck wurde abweisend. „Du solltest sagen, wie du dich bezüglich der Situation mit Secret fühlst. Stattdessen schlägst du um dich wie ein kleines Kind, weil du dich von Unite verletzt fühlst!“ Trust stockte. Auf seinen Gesichtsausdruck hin, musste Destiny die Zähne zusammenbeißen. „ „Du hast immer gesagt, dass man sich so nicht verhält. Du hast mir das beigebracht! Aber jetzt…“ Sie ballte ihre Hände zu Fäusten. Ihre Stimme wurde schneidend „Jetzt bist du nicht besser als Secret und ich!“ Entsetzen legte sich auf Trusts Gesichtzüge. Destiny konnte ihn nicht länger ansehen, sie nahm die Hände von ihrem Schoß. Ein bitterer Unterton schlich sich in ihre Stimme. „Du willst alles unter Kontrolle haben. Aber wir haben nichts unter Kontrolle, wenn es um Secret geht. Gibst du deshalb Unite die Schuld?“ Sie reckte das Kinn nach vorne und wurde vehementer. „Unite tut alles, um uns zu schützen. Sie nimmt alle Verantwortung auf sich.“ Wütend blitzten ihre Augen. „Weil keiner von uns sie übernehmen will!“ Destiny schnappte nach Atem und stieß dann langsam die Luft aus. Ihr Gesichtsausdruck entkrampfte sich. Wieder in gefasstem Ton stellte sie Trust erneut die Eingangsfrage. „Wie fühlst du dich wegen der Situation mit Secret?“   Trust brachte kein Wort hervor. Die Erkenntnis, dass Destiny Recht hatte, war für einen Moment zu viel für ihn. Er konnte sie nicht mit seinem Selbstbild vereinbaren. Zu viel ging in seinem Kopf vor, zu viel war durch Destinys Worte in Aufruhr geraten. Er wusste nicht mehr, was er sagen sollte, nicht einmal, was er eigentlich dachte und fühlte. Er brauchte Zeit.   Schweigend saßen die Beschützer da. Keiner wagte, einen Ton von sich zu geben. Selbst Ewigkeit hatte sich auf dem Boden niedergelassen, um keinen Glöckchen-Laut zu erzeugen. Nach einer Weile presste Trusts schwache Stimme hervor: „Überfordert.“ Destiny zögerte. Die Rolle der Fragenstellerin war neu für sie. „Warum?“, fragte sie vorsichtig. Trust holte Luft und atmete geräuschlos aus. „Weil ich der Anführer bin.“ Destiny bemerkte, dass Unite rechts neben ihr bei seinen Worten zusammengezuckt war, als würden sie sie schmerzen. Trust schüttelte den Kopf. „Das ist Unsinn. Aber –“ Er schluckte schwer. „Ich muss euch beschützen.“ Unerwartet klinkte sich Unite in das Gespräch ein, doch ihre Stimme klang fremd, belegt, fast leidend. „Weil wir es nicht können?“ Auf ihre Aussage hin griff Trust sich mit beiden Händen an den Kopf und beugte sich leicht nach vorn. Er schien mit sich zu ringen.   Desire befürchtete, es wäre zu viel, wenn sie nun auch noch auf Trust einredete, aber was er ihr gesagt hatte, als sie sich auf dem Jahrmarkt die Verantwortung für Erik aufgebürdet hatte, wollte aus ihr hervorbrechen. Deshalb wandte sie sich an Unite, in der Hoffnung, von ihr eine Rückmeldung zu bekommen. Unite war jedoch auf Trust fixiert und bemerkte ihren Blick nicht. Desire seufzte lautlos und wandte sich an Trust, der rechts von ihr saß. „Wir können niemanden beschützen. Nur uns selbst.“, gab sie seine Worte wieder. Ewigkeit hatte es offensichtlich aufgegeben, noch irgendwen zur Ordnung rufen zu wollen. Trust blickte auf und Ariane konnte seinem Gesichtsausdruck die stumme Frage entnehmen, wozu er dann ein Beschützer war. Der Schmerz in seinem Blick ging ihr nahe. „Alter, wovor willst du uns denn beschützen?“, rief Change hinein. „Wir sind keine kleinen Kinder. Mann! Du bist nicht unser großer Bruder!“ Er verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust. Trust senkte den Blick. Desire wollte Change erklären, dass Trust das nicht mit böser Absicht tat, aber sie zögerte. Change hatte eine sehr schroffe Art seine Anliegen los zu werden, aber er hatte ihr nur wenig vorher bewiesen, dass er nicht so geistlos vor sich hinredete wie es manchmal schien. Mit reichlich grummeliger Stimme fuhr Change fort. „Desire meint, sie muss Erik beschützen, du meinst, du musst uns beschützen. Ey, ihr habt doch alle nen Beschützer-Komplex!“ Desire verwarf die Hoffnung, dass Changes Gerede in eine hilfreiche Aussage münden würde. „Als könntest du dich nicht auf uns verlassen!“, sagte Change in halb verstimmter, halb beleidigter Tonlage. Trust sah getroffen auf und begegnete Changes Blick, der jetzt eindeutig beleidigt wirkte. Changes Gesicht verzog sich noch weiter, er sah Trust nicht länger an. „Wenn du meinst, wir sind nicht gut genug als deine Team-Mitglieder.“ Trust brach eilig in seine Worte ein. „Das meinte ich doch ga–“ „Dann vertrau uns gefälligst!“, schrie Change und verstärkte dann die Schranke, die er mit seinen Armen um sich aufgebaut hatte. „Das ist schließlich dein Name.“ Geknickt gestand Trust: „Ich wollte nicht, dass ihr mir nicht mehr vertrauen könnt.“ „Unsinn!“, schimpfte Change und gestikulierte wild. „Du bist mein bester Freund! Du und der Psycho. Natürlich vertraue ich dir!“ Scheu blickte Trust zu ihm. Grummelig setzte Change fort. „Du hast echt noch nicht kapiert, wie das läuft. Und ich dachte, nur Tiny steht ständig auf dem Schlauch.“ Er machte eine gönnerhafte Bewegung mit seiner Hand. „Team! Das heißt nicht, dass du uns alle beschützen musst, sondern dass wir alle dich beschützen!“ Trust sah immer noch eher verängstigt als zustimmend aus. „Kapiert?“, forderte Change zu wissen. Trust nickte demutsvoll. „Es tut mir leid.“ „Braucht es nicht.“, entgegnete Change grob. „Mach’s einfach nicht mehr. Und wenn du Probleme hast, dann redest du mit uns, klar?“ Trust zögerte. „Mit irgendeinem von uns.“, präzisierte Change. Nickend schnappte Trust nach Luft, als müsse er sich zusammenreißen. „Gut so.“, kommentierte Change. „Und wenn du noch mal meinst, du musst hier den Helden spielen, kriegst du eins auf die Nuss!“ Unite prustete los. „Ey!“, beschwerte sich Change, als Unite laut loslachte. Sie konnte sich kaum auf dem Stuhl halten und wollte gar nicht mehr aufhören. Groteskerweise schien Destiny davon angesteckt zu werden, denn sie grinste breit. Dass Change und Trust die Rollen getauscht zu haben schienen, war ja auch irgendwie drollig. Auch Desire musste lächeln. Schließlich hatte Unite sich wieder beruhigt und setzte eine etwas ernstere Miene auf. Sie lächelte Trust an. „Alles okay?“ Angesichts ihres Lächelns nickte Trust. „Danke.“ „Bah.“, machte Change, was wohl so viel wie ‚Nichts zu danken‘ bedeuten sollte und unterstrich seinen Laut mit einer wegwerfenden Bewegung. Trust lächelte daraufhin. Unite wandte sich zu Destiny, die zu ihrer Linken zwischen Trust und ihr saß. „Destiny?“ Diese schüttelte den Kopf und blickte Unite ernst an. „Es ist an der Zeit, dass du sprichst.“ Unites Lächeln erstarb jäh. Doch Destiny blieb unnachgiebig. „Du hast das alles nicht nur eingefädelt, um uns sprechen zu hören. Es ist an der Zeit, dass die anderen mal dir zuhören.“ Unite wirkte mit einem Mal nahezu verschüchtert, als würde Destinys Zug sie aus der Fassung bringen. Sie zog unwillkürlich ihre Arme näher an den Körper, ihre Schultern hoben sich leicht. Ihr Blick senkte sich.   Keiner der anderen stellte eine Frage, als gingen sie davon aus, dass sie genau wusste, was zu sagen war, als hätte sie es von langer Hand geplant. So wie sie immer scheinbar spontan mit irgendwelchen Einfällen ankam, die sie umsetzen sollten. Unite mochte es nicht, sich Gedanken darüber zu machen, was die anderen von ihr dachten. Grübeleien hatten ihr noch nie geholfen. Aber die Frage, welche Aussagen die anderen von ihr erwarteten, nahm ihr Denken trotzdem ein. Wenn sie nicht fröhlich war, wer dann? Und dabei wusste sie, dass das genau der gleiche Fehler war, den Trust begangen hatte. Doch allein das Wissen half nichts. Endlich brach Destinys Stimme in das Schweigen ein. „Wie fühlst du dich wegen der Situation mit Secret.“ Unite blickte wieder auf. Ihr Mund öffnete sich. Aber ihr Verstand wusste nicht, was er formulieren wollte. Sie schüttelte den Kopf, um das Chaos zu beseitigen und wieder klar denken zu können. „Ich weiß nicht, ob ich alles richtig mache.“ Sie musste schlucken. Keine Reaktion der anderen. Unite wusste, das war eine unsinnige Aussage. Was das Richtige war, konnte keiner von ihnen ahnen. Ein seltsam flaues Gefühl breitete sich in ihrem Kopf aus. Sie schloss die Augen. Sie wollte nicht mehr sprechen. Und das kam ihr lächerlich vor, wo sie es doch von den anderen verlangt hatte. Wieder schüttelte sie ihren Kopf, um sich zur Vernunft zu rufen. „Ich weiß, ihr erwartet nicht, dass ich alles richtig mache.“ Sie bemühte sich um ein Lächeln. Aber sie spürte, dass es nicht überzeugend aussehen konnte. Destinys Stimme schnitt durch den Raum. „Doch, das erwarten wir.“ Die anderen starrten Destiny an. „Du musst immer die unermüdliche Optimistin sein und uns alle aufbauen. Egal wie verzweifelt alles ist, du lächelst. Es ist, als würdest du gar nicht kapieren, was in anderen vor sich geht!“, sprach Destiny aufgebracht, dann wurde ihr Ton sanft. „Das hab ich gedacht. Ich dachte, es macht dir Spaß und das alles ist nur ein großes Spiel für dich. Dabei bist du bloß ein so verdammter Gutmensch und meinst, alle glücklich machen zu müssen!“ Traurig sah sie zu Unite. „Ich hab mich nie gefragt, ob du glücklich bist.“ In Unites Augen bildeten sich Tränen. Sie schniefte und versuchte, sie zurückzuhalten. „Wir können es aushalten.“, sagte Destiny überzeugt. Unite begann zu beben. Sie senkte ihr Haupt tief, spürte, dass sie einem Gefühlsausbruch nahe war, aber kämpfte noch immer dagegen an. „Du bist nicht allein.“, flüsterte Destiny. Unites Schluchzen brach den Tränen Bahn. Sie konnte nicht mehr an sich halten und bekam nicht mit, wie Destiny den anderen mit einer Bewegung ihres Arms bedeutete, sich nicht zu nähern. Nach weiteren Schluchzern presste sie erstickte Worte hervor. „Ich habe solche Angst.“ Sie rang nach Atem. „Und ich schäme mich, weil ich nicht stark sein kann.“   Die anderen waren zu sehr von Unites Gefühlsausbruch ergriffen, um etwas zu sagen. Sie hatten Unite schon früher weinen sehen, aber das waren Momente gewesen, in denen ihnen allen danach zumute gewesen war. Dass Unite solche Gefühle bezüglich der Situation mit Secret gehegt hatte, ohne dass es von ihnen bemerkt worden war, bestürzte sie zu sehr, als dass sie es sofort hätten fassen können. Unite hatte immer nur gelächelt – unverwüstlich, sorgenfrei, heiter, als könne ihr nichts etwas anhaben. Ihnen wurde jetzt erst klar, dass es so einen Menschen nicht geben konnte. Nicht jemanden, der gleichzeitig sah, was sie fühlten, und doch ungerührt blieb angesichts all der Rückschläge. „Du darfst auch mal schwach sein.“, sagte Destiny sacht. Unite weinte noch lauter. Change, der rechts neben ihr saß, verwandelte sich für einen kurzen Moment zurück, um eine Packung Taschentücher aus seiner Jackentasche zu holen, und hielt sie Unite hin. Mit einem flüchtigen dankenden Lächeln nahm sie diese entgegen. Nachdem sie mehrfach ihre Nase geputzt hatte, wischte sie sich eine weitere Träne aus dem Auge und lächelte die anderen schüchtern an. „Willst du nicht noch was sagen?“, hakte Destiny nach. Unite schüttelte den Kopf, immer noch in leicht geduckter Haltung. Destinys Stimme wurde unzufrieden. „Unite, ich hab die ganze Zeit geredet!“ Unite nickte zaghaft, als verstünde sie, dass sie sich nicht darum drücken konnte. „Ich will nicht, dass ihr die Hoffnung aufgebt.“, sagte sie halblaut. „Aber ich weiß nicht, wie ich euch trösten soll. Ich habe Angst, dass ihr daran zweifelt, dass alles gut wird, wenn ich Schwäche zeige.“ Sie zog den Kopf noch weiter ein. „Wenn ich nicht…“ „Dann haben wir immer noch Ewigkeit.“, meinte Destiny trocken. „Die ist genauso hartnäckig wie du.“ Sofort kam das Schmetterlingsmädchen angeschwirrt und posierte in der Mitte der Beschützer, als hätte sie gerade eine Auszeichnung erhalten. Auf ihr Verhalten hin, gab Unite ein leises Geräusch von sich, das entfernt an den Ansatz eines Lachens erinnerte. Daraufhin landete Ewigkeit auf ihrem Schoß und sah stolz zu ihr auf. Destiny verkündete bestimmt: „Selbst wenn du an dir zweifelst, wir glauben an dich.“ Die übrigen nickten bestätigend. Gerührt schloss Unite die Augen. „Danke.“ „Wir müssen danken.“, antwortete Destiny. Desire ergriff das Wort. „Es tut mir leid.“, sagte sie beschämt zu Unite. „Ich war sauer auf dich, weil ich dachte, dass du gar nicht siehst, wie schlecht es Erik geht. Dabei sollte ich wissen, dass du…“ Sie hielt kurz inne „…du bist.“ Unite musste schmunzeln. Erleichtert seufzte sie auf. „Ich bin froh, euch zu haben.“ Ihr Blick glitt auf ihren Schoß zu Ewigkeit. „Euch alle.“ Das strahlende Gesicht Ewigkeits wurde noch durch die sachte Bewegung ihrer Flügel unterstrichen. Von der Seite wurde Unites Hand ergriffen. Sie hob den Blick zu Destiny. Diese sah ihr fest in die Augen, wie um ihr nochmals Mut zuzusprechen. Unite lächelte. „Du bist dran.“ Destiny ließ Unite wieder los und atmete geräuschvoll aus, als müsse sie Kraft sammeln für das Bevorstehende. „Nun ja, ich… Ich weiß, dass …“ Sie holte nochmals Luft und stieß die Worte dann in einem Atemzug aus. „Wenn ich nicht wäre, wäre es für euch leichter mit Secret.“ Die anderen starrten sie verwirrt an. „Ich hab euch schon so viele Probleme gemacht, wenn das alles nicht gewesen wäre, dann … dann würdet ihr euch vielleicht besser um Secret kümmern können.“ „Hä? Was hat’n das eine mit dem anderen zu tun?“, wandte Change ein. Destiny schwieg kurz. Sie setzte zu einer Antwort an. „Einfach weil ihr schon so viel wegen mir mitmachen musstet.“ „Ja. Und deshalb sind wir den Psycho-Scheiß auch schon gewöhnt.“, meinte Change. Destinys Augenbrauen zogen sich zusammen, sie nickte. „Deshalb…“, sie seufzte lautlos und stierte auf den Boden, „deshalb weiß ich auch, dass ihr das könnt. Wenn es jemand kann, dann ihr. Ihr werdet ihm helfen.“ „Wir“, verbesserte Change. Destiny sprach ihm nach, ohne den Blick zu heben: „Wir…“ Sie blickte auf und nickte. „Gemeinsam.“ Nochmals zögerte sie. Dann nahm sie all ihren Mut zusammen und erhob sich von ihrem Stuhl. Sie streckte die rechte Hand aus und getraute sich nicht die anderen anzublicken. „Einer für alle!“ Zunächst perplex warfen die anderen einander verblüffte Blicke zu. Wie Destiny so dastand, den Kopf vor Scham eingezogen und dabei die Geste imitierend, die Change und Unite im Schatthenreich eingeführt hatten, bot sie einen denkwürdigen Anblick. Sie standen auf und gesellten ihre Hände zu der ihren. Eine nach der anderen. Sogar Ewigkeit kam herbei und setzte sich auf Destinys Unterarm. Geradezu verschüchtert sah Destiny auf, als sie die erste Berührung spürte und begegnete den entschlossenen Gesichtern der anderen. Unite schließlich vollendete den berühmten Spruch. „Und alle für einen!“, rief sie so überzeugt, dass die Beschützer fast zu spüren glaubten, wie der Ruf und ihre gemeinsame Geste ihnen neue Kraft schenkten. Denn wer dieser eine war, dessen Hand noch fehlte, wussten sie alle.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)