Balance Defenders von Regina_Regenbogen ================================================================================ Kapitel 122: Jannik ------------------- Jannik   „Ein jeder sieht, was er im Herzen trägt.“ (Johann Wolfgang von Goethe: Faust)   Erik kontrollierte die Uhrzeit auf seinem Smartphone. Es war eine Minute vor zwei. Um zwei wollte Jannik zu ihnen stoßen. Er saß bereits mit den anderen im Café Reiter. Vivien hatte den Platz am Kopfende des Tisches eingenommen und ihre Rose vor sich platziert. Serena und Ariane hatten sich zu ihrer Linken, Justin, Vitali und Erik zu ihrer Rechten an den Tisch gesetzt. „Bist du nervös?“, fragte Ariane, die ihm schräg gegenüber saß. Erik warf ihr einen kritischen Blick zu. Als wäre er jemals nervös! Ariane gefiel diese Reaktion offenbar nicht, denn sie verzog das Gesicht und wandte sich wieder dem Gespräch von Vivien und Vitali zu. Erik war genervt, dass sie gleich beleidigt war, schließlich war es auch eine blöde Frage gewesen. Nur weil er Jannik seit mehr als zwei Jahren nicht gesehen hatte, war er nicht nervös. Wegen Jannik brauchte man sowieso nicht nervös sein und ein Erik Donner war aus Prinzip nicht nervös! Er kontrollierte nochmals die Uhrzeit und sah zum Eingang des Cafés. Gerade betrat ein schlanker Junge mit kurzem hellblondem Haar und stilvoller Kleidung das Café. Erik erhob sich. Sein alter Zimmergenosse kam auf ihren Tisch zu. „Erik?“ „Hallo.“ Mehr sagte er nicht. Jannik strahlte und trat zu ihm, um ihm die Hand zu reichen. „Ewig nicht gesehen!“ Er schien ehrlich begeistert zu sein und stand noch immer direkt vor ihm, anstatt wieder einen Schritt zurück zu gehen. „Gut siehst du aus!“ Erik musste sich darauf konzentrieren, nicht die leichte Empörung über diesen Satz zu zeigen. Natürlich sah er gut aus! „Wie ist es dir so ergangen?“, fragte Jannik weiter. Dabei hatte Erik ihm schon über Facebook erklärt, dass er nun in Entschaithal auf dem Wirtschaftsgymnasium war. Was sollte es denn mehr zu erzählen geben? „Hi!“, rief Viviens Stimme vom Tischende. Jannik drehte sich prompt zu ihr und den anderen. „Oh. Entschuldigung, ich bin Jannik!“, stellte er sich vor und ging dazu über jedem von ihnen die Hand zu geben, wofür er um den ganzen Tisch ging. Erik erinnerte sich nicht daran, dass er das früher schon getan hätte. „Schön, euch kennenzulernen!“, sagte Jannik fröhlich. Vivien kicherte als Antwort und stellte ihm die anderen vor, die vor Überraschung vergessen hatten, ihre Namen zu nennen – mit Ausnahme von Ariane. Janniks Blick schweifte nochmals über die Gesichter der anderen. „Du kannst dich neben mich setzen.“, sagte Ariane lächelnd und deutete auf den Platz gegenüber von Erik. „Danke.“ Er entledigte sich seines Mantels und nahm Platz. Erik war überrascht, dass er zu diesem Treffen ein Jackett trug, auch wenn es nicht streng wirkte. Im Internat hatte Jannik sich damals häufig über die Kleiderordnung während des Unterrichts beschwert, die von der fünften bis zur siebten Klassenstufe galt. Dabei hatte diese nur Hemd oder Poloshirt zu einer Stoffhose und Halbschuhen vorgeschrieben. Turnschuhe und Jeans waren in diesen Schuljahren verboten gewesen. Die meisten Schüler waren aber auch nach der siebten Klasse bei diesem Kleidungsstil geblieben. Jannik drehte sich zu den anderen. „Ich bin ganz gespannt, Freunde von Erik kennenzulernen.“ Vitali, der neben Erik saß, grinste schalkhaft. „Kaum zu glauben, dass er welche hat, was?“ Er klopfte Erik kräftig auf den Rücken, woraufhin dieser ihm einen mürrischen Blick zuwarf. Jannik lachte. Erik wusste nicht, was daran lustig sein sollte. Er setzte einen gleichgültigen Gesichtsausdruck auf. „Wer braucht schon Freunde.“ Jannik lächelte. „Immer noch der alte Brummbär.“ Vitali prustete los, während sich Ariane ziemlich verdutzt zu Jannik umdrehte. Dass man Erik als Brummbär bezeichnete, fand sie bestimmt genauso unverständlich wie er selbst. Vivien kicherte und beugte sich dann voller Neugier nach vorne. „Wie war Erik denn so im Internat?“ Erik sagte nichts dazu, denn es lag ihm fern, alte Geschichten aufzuwärmen. Er stand längst über solchen Dingen. „Er war …“ Jannik suchte nach Worten. „ziemlich schweigsam und eher unscheinbar.“ Vitali stützte seinen Unterarm kurz auf Eriks Schulter ab, als amüsiere das Thema ihn köstlich. „Muss’n anderer Erik gewesen sein.“ Erik ärgerte sich über Janniks Worte und hätte gerne geantwortet, dass es tatsächlich ein anderer Erik gewesen war. Einer, von dem er jetzt nichts mehr hören wollte! Er wechselte das Thema. „Du machst also eine Ausbildung zum Hotelfachangestellten.“ Das hatte Jannik ihm schon geschrieben. „Ja. Meine Eltern haben ja ein Hotel und ich will es mal übernehmen. Und die Ausbildung ist echt interessant!“, berichtete er beschwingt. „Weil es nicht so viele Hotelfachschulen gibt, haben wir Blockunterricht. Meiner findet nicht so weit weg von Entschaithal statt, deshalb hab ich auch ein Treffen vorgeschlagen.“ „Hm.“, machte Erik bestätigend. Eine Pause entstand.   Arianes Augen wanderten kurz zwischen Erik und Jannik hin und her. Sie wollte sich nicht einfach in das Gespräch einmischen. Das wäre unhöflich gewesen. Doch noch immer machte Erik nicht den Ansatz weiterzusprechen. Schließlich konnte sie nicht länger an sich halten. „Wie gefällt es dir?“ Jannik wandte sich ihr überrascht zu, dann begann er etwas schüchtern zu lächeln und schließlich zu strahlen. „Es ist großartig. Ich fühle mich zum ersten Mal, als wäre ich am richtigen Platz.“ Angesichts seiner Freude musste Ariane einfach mitlächeln. „Das klingt wirklich schön.“ Jannik nickte. „Und ihr?“ „Wir sind mit Erik in einer Klasse.“, informierte sie. „Ah, im Wirtschaftsgymnasium, nicht?“ Ariane horchte auf. „Hat Erik dir schon davon erzählt?“ Jannik lachte. „So viel Erik eben erzählt.“ Sein Lachen verführte Ariane zu einem liebevollen Lächeln. Der Moment wurde von dem an den Tisch tretenden Kellner unterbrochen, der Janniks Bestellung aufnehmen wollte. Er entschied sich für eine Spezi und der Kellner ging wieder. Erik wandte sich an Vivien. „Wolltest du nicht vorhin noch ein Stück Kuchen?“ „Ich bin noch am Überlegen.“, sagte Vivien. Serena schaute skeptisch. „Ich dachte, deine Mutter backt später.“ Vivien kicherte. „Deshalb bin ich ja am Überlegen.“ „Ich spendiere dir ein Stück. Zum Geburtstag.“, sagte Erik. Vivien jauchzte. „Dann nehme ich auf jeden Fall einen!“ „Oh!“, stieß Jannik aus. „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!“. „Dankeschööön!“, flötete Vivien. „Dann sollte ich dir ein Stück spendieren. Schließlich bin ich in eure Geburtstagsfeier geplatzt.“, sagte Jannik hastig. „Nein, nein!“, versicherte Ariane eilig und hob die Hände. „Das ist keine offizielle Geburtstagsfeier. Du brauchst dir keine Umstände machen.“ Dass Vivien sich in Wirklichkeit in das Treffen von Erik und Jannik gedrängt hatte, wollte sie nicht noch extra erwähnen. „Ja, aber trotzdem.“, beharrte Jannik. Erik unterbrach ihn grob. „Ich lade sie ein.“ Jannik sah ihn kurz an. Dann lächelte er und nickte. Erik erhob sich von seinem Platz. „Da hinten ist die Kuchentheke.“ Vivien verstand die Aufforderung, sprang ebenfalls auf und folgte ihm. Jannik blickte ihnen sanft lächelnd nach. „Er hat sich nicht verändert.“ „Was meinst du?“, fragte Ariane und beugte sich automatisch näher zu ihm. „Er hat eine grobe Art mit Menschen umzugehen und wenn er etwas Nettes tut, verpackt er es unfreundlich.“, erklärte Jannik schmunzelnd. Ariane war ganz Ohr. „Du kennst ihn gut?“ „Wir haben vier Jahre lang ein Zimmer geteilt. Ich glaube, ich kenne ihn in manchen Dingen besser als er sich selbst.“ Arianes Aufmerksamkeit war so deutlich auf Jannik gerichtet, dass er verlegen lachte. Als sie begriff, dass sie ihn wohl zu sehr angestarrt hatte, unterbrach sie den Blickkontakt und strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr, „Naja, eigentlich hat er sich schon sehr verändert.“, korrigierte sich Jannik. „Ich hab ihn im ersten Moment gar nicht erkannt.“ „Hä?“, machte Vitali. „Er sieht ziemlich anders aus.“, erklärte Jannik. Ariane begriff. „Du meinst seine Statur?“ Erik hatte ihr erzählt, dass er als Kind schmal und klein gewesen und in der Grundschule sogar von anderen verprügelt worden war. Jannik wirkte zunächst überrascht über ihre Kenntnis von Eriks Vergangenheit. Er nickte. Dann lächelte er erfreut. „Er hat gar nicht erwähnt, dass er jetzt eine Freundin hat.“ Arianes Augenbrauen und Mundwinkel senkten sich unwillkürlich. Jannik antwortete eilig. „So war das nicht gemeint! Er hat sicher seine Gründe, warum… – Er wollte dich sicher persönlich vorstellen!“ Sie schaute geradezu fassungslos, wandte sich peinlich berührt ab und starrte auf den Tisch. Jannik zögerte einen Moment. „Entschuldige vielmals.“, sagte er. „Ich dachte nur … Du bist genau Eriks Typ. Zumindest wie ich mir Eriks Typ vorgestellt habe.“ „Sag ihr nicht, dass sie hübsch ist. Das kann sie nicht leiden.“, warnte Vitali. Ariane fixierte ihn energisch. „Erik würde sich seine Freundin nicht nach dem Aussehen aussuchen!“, sagte sie entschieden. „Er ist nicht so oberflächlich!“ Jannik machte den Ansatz, sich zu erklären. „Das bezog sich nicht auf dein –“ Viviens fidele Stimme kam von hinter ihnen. „Sehr richtig!“ Sie kam mit Erik und einem Stück Erdbeerkuchen zurück an den Tisch. Ariane bereute ihre Worte prompt. Ganz sicher würde Erik das gegen sie verwenden! Wenn nicht heute, dann irgendwann. Den Blick auf den Tisch gerichtet, wartete sie bis er sich gesetzt hatte. Schließlich holte sie tief Luft, um sich gegen seinen Spott zu wappnen, und sah zu ihm. Erik wirkte deutlich amüsiert und grinste so breit wie lange nicht mehr. Dann führte er kurz seine Hand vor den Mund und räusperte sich. Sie war sich sicher, dass er damit ein Lachen vertuschen wollte. Er wandte sich an sie. „Wie du ganz richtig festgestellt hast, liebe ich dich nur wegen deiner inneren Werte.“ Verschwörerisch beugte er sich schräg über den Tisch zu ihr. „Aber ich würde dich dringend bitten, wie besprochen die Papiertüte überzuziehen, wenn wir in der Öffentlichkeit sind.“ Er untermalte seine Worte mit einer kurzen Aufwärtsbewegung seiner Augenbrauen. Ariane sah ihn störrisch an. „Du meinst, eine Tüte, damit ich dich nicht sehen muss.“ „Ich weiß.“ Erik seufzte mitfühlend. „Dass ich so gut aussehe, verstößt gegen deine Prinzipien.“ „Das tut höchstens dein Charakter.“, gab Ariane zurück. Erik zog ein künstlich überraschtes Gesicht. „Hast du nicht eben noch meinen Charakter verteidigt?“ „Dass du nicht oberflächlich bist, ändert nichts an deiner Gehässigkeit.“ Erik stützte das Kinn auf seine gefalteten Hände. „Und dabei bemühe ich mich bloß, in den Genuss deiner Schlagfertigkeit zu kommen.“ Verwirrt hakte Jannik nochmals nach. „Äh, ihr… Seid ihr zusammen?“ Erik sah daraufhin Ariane an und hob die Augenbrauen, als erwarte er selbst eine Antwort. Ariane fand diese Reaktion enervierend, schließlich hätte er die Sache auch aufklären können! Sie hatte nicht vor, ihm das abzunehmen. „Das ist doch wohl offensichtlich.“, antwortete sie ausweichend. Erik wandte sich an Jannik in gespielter Zustimmung. „Ja, ist das nicht offensichtlich?“ „Hä?“, rief Vitali aus. „Ihr könnt doch gar nicht –“ „Vitali.“, fauchte Serena. Sie konnte sich denken, weshalb Vitali eine Beziehung zwischen Ariane und Erik für unmöglich hielt. Wie sollte man auch mit jemandem zusammen sein, der sich jederzeit in jemand anderen verwandeln konnte? Jannik war nun eindeutig noch verwirrter. „Gibt es da etwas, das ich nicht weiß?“ Erik sah Vitali neben sich argwöhnisch an. „Das wüsste ich auch gern.“ „Äh…“, machte Vitali. Justin griff ein. „Er meinte, dass ihr nicht wirklich wie ein Pärchen wirkt.“ Eriks Züge wurden hart. „Ich bin auch nicht an einer Beziehung interessiert.“, grollte er abweisend. Ariane ballte die Hände zu Fäusten und biss die Zähne zusammen. „Dann ist ja gut.“, zischte sie. Erik warf ihr einen grimmigen Blick zu. In heiterem Tonfall erhob sich Viviens Stimme. „Ihre Beziehung ist geheim! So geheim, dass sie selbst nichts davon wissen!“ Sie grinste gewinnend. Erik blieb verstimmt. „Ja, für Geheim hat sie eine Schwäche.“ Ariane konnte nicht fassen, dass er noch immer auf Secret eifersüchtig zu sein schien, obwohl er jetzt die Wahrheit kannte! Er benahm sich wie ein Kleinkind! „Geheim hat seine Vorteile.“, gab sie patzig zurück. Erik beugte sich erbost zu ihr. „In dem Fall gebe ich mir alle Mühe, deinem Wunsch zu entsprechen.“ „Wovon labert ihr eigentlich?“, rief Vitali dazwischen. „Nichts.“, erwiderte Erik harsch. Ariane stieß die Luft aus. Jannik klang etwas verschüchtert. „Ich wollte keinen Streit vom Zaun brechen.“ Serena versuchte ihn zu beruhigen: „Das ist bei denen normal.“ Vitali schloss sich ihr an. „Ja, aber bei Tiny und mir regen sie sich auf.“ Vivien strahlte. „Ich finde beides amüsant.“ Sie nahm genüsslich einen Bissen von dem Kuchen. Justins Gesichtsausdruck machte deutlich, dass er beides unangenehm fand. Erik erhob sich. „Ihr entschuldigt mich.“ Er verließ den Tisch. Ariane stöhnte, stand ebenfalls auf und lief Erik hinterher. Jannik sah hilfesuchend zu den anderen. „Muss ich das verstehen?“ Serena schüttelte den Kopf. Justin schob seinen Stuhl zurück und war im Begriff, den beiden hinterherzulaufen. Vivien fasste ihn am Arm und hielt ihn damit auf. Er gab ihr mit einem Blick zu verstehen, dass er Ariane nicht mit einem wütenden Erik alleine lassen würde. Sie rief ihn mit einer Bewegung ihrer Augenbrauen dazu auf, Ruhe zu bewahren. Widerwillig blieb er daraufhin sitzen.   „Lauf mir nicht hinterher.“, sagte Erik, ohne sich zu ihr umzudrehen. Sie hatte ihn in dem schmalen Gang, der zu den Toiletten führte, eingeholt. „Dann lauf nicht vor mir weg.“, hisste Ariane. Sie wollte nicht, dass das ganze Café etwas von ihrem Gespräch mitbekam. Er drehte sich zu ihr um. Sie begegnete ihm mit einem nicht minder eindringlichen Gesichtsausdruck. „Warum bist du jetzt sauer?“, forderte sie zu empört wissen. Erik starrte sie kurz an und wandte sich dann ab. „Kann dir egal sein.“ „Warum kannst du nicht mal erwachsen sein?“ Erik wirbelte so schnell herum, dass sie nicht reagieren konnte. Ariane fand sich an die Wand des Ganges gedrängt wieder, Erik fixierte sie unbarmherzig, als wolle er sie in ihre Schranken weisen. Unbeugsam sah sie ihm direkt in die Augen. Die Vehemenz wich aus seinem Gesicht. Die Augen von ihr weg gerichtet, nahm er wieder den nötigen Abstand zu ihr ein. Ariane schwieg und schlug die Augen nieder, darauf wartend, dass er sich ihr wieder zuwandte. Plötzlich hörte sie, wie er sich entfernte. Beim Aufblicken sah sie nur noch, wie er in der Männertoilette verschwand.   Erik betrachtete sich im Spiegel über dem Waschbecken und atmete geräuschvoll durch den Mund aus. Plötzlich ploppte neben ihm Ewigkeit auf. Erik schrak zusammen und fuhr sie an. „Was hab ich gesagt?!“ Ewigkeit zog ein argloses Gesicht. Eriks Miene wurde wütend. „Wenn Ariane dich geschickt hat-“ „Alles okay?“ Er stockte. „Ja.“ Er wich ihrem Blick aus. Ewigkeit schwebte vor ihn, um ihn dennoch in Augenschein zu nehmen. „Bist du traurig?“ „Nein!“ Die Kleine sah ihn mitleidig an. „Alles bestens!“, versuchte er nochmals sie zum Gehen zu bewegen. Doch er musste einmal mehr feststellen, dass es unmöglich war, Ewigkeit loszuwerden. „Was soll ich tun, damit du gehst?“ „Willst du, dass ich gehe?“ Erik fuhr sich durchs Haar und seufzte lang. Er stützte sich auf das Waschbecken und sah in den Spiegel. Dann baute er sich wieder zu voller Größe auf. Er sah kurz zu Ewigkeit. „Ich sollte wieder zu den anderen.“ „Darf ich mit?“ „Das wäre nicht gut.“ Sie schaute enttäuscht. „Kannst du jetzt gehen?“, fragte er weniger grob als bittend. Ewigkeit nickte und war im gleichen Moment verschwunden.   Ariane kam geknickt zurück an ihren Sitzplatz, nachdem sie sich zunächst überlegt hatte, auf Erik zu warten. Aber was hätte das bringen sollen? Wenn er nicht mit ihr reden wollte, konnte sie ihn nicht dazu zwingen. Sie wusste nicht, dass Justin Ewigkeit auf Erik angesetzt hatte, nachdem Vivien ihn davon abgehalten hatte, ihnen zu folgen. „Alles in Ordnung?“, fragte Jannik besorgt. Ariane rang sich ein Lächeln ab. Dann hörte sie Schritte und erkannte hinter sich, dass Erik zurückkam. Vielleicht hatte er ja wirklich nur auf die Toilette gemusst. Irgendwie war ihr das jetzt peinlich. Erik setzte sich wieder auf seinen Platz und richtete das Wort umgehend an Jannik. „Wie lange bist du in der Nähe?“ „Nur bis zum Wochenende.“ „Mh.“, machte Erik. Das war alles. Jannik wartete einen Moment, aber Erik sagte nichts weiter. „Ähm, wie ist es, wieder zu Hause zu wohnen?“, fragte Jannik. Eriks Gesichtsausdruck wurde undeutbar. Er sagte nichts. Vivien reagierte sofort. „Was für ein Hotel haben deine Eltern?“, rief sie zu Jannik. „Ähm, ein Vier Sterne Hotel.“, antwortete er. „Meine Eltern haben es zusammen aufgebaut.“ Vivien hielt das Gespräch am Laufen. „Und du machst dort deine Ausbildung?“ „Ja. Meine Eltern achten sehr darauf, dass ich die gleiche Behandlung erfahre wie die Auszubildenden vor mir. Sie wollten eigentlich, dass ich das Abitur mache und dann Hotel Management studiere, aber ich konnte sie schlussendlich davon überzeugen, dass ich die Ausbildung machen darf. Mittlerweile denken sie auch, dass es die richtige Entscheidung war.“ Er lächelte unsicherer als zuvor. Erik erinnerte sich. Jannik hatte oft geweint, wenn er wieder eine schlechte Note bekommen hatte. Seine Eltern hatten immer hohe Erwartungen in ihn gesetzt, deshalb hatten sie ihn auch an ein renommiertes Elite-Internat geschickt, obwohl die Gebühren für sie zu teuer gewesen waren. Jannik hatte Erik gegenüber häufig erwähnt, dass er sich wie ein Versager fühlte. Einmal hatte er ihm auch gesagt, dass er ihn beneidete. Erik hatte damals einfach geschwiegen. Er hatte nicht gewusst, was er darauf antworten sollte. Vivien nahm offenbar ebenfalls Janniks Veränderung wahr, denn sie wechselte das Thema. „Ist es nicht toll, sich nach so langer Zeit wiederzusehen?“ Jannik lächelte. „Ja. Das ist schon was Besonderes.“ „Tut mir leid, wenn wir euer Treffen gestört haben.“, sagte Vivien kleinmütig und ignorierte Arianes abgespannten Blick in ihre Richtung. „Oh nein nein.“, sagte Jannik hastig. „Es freut mich, neue Leute kennenzulernen! Eriks Freunde sind meine Freunde.“ Vergnügt kicherte Vivien. „Wir freuen uns auch, dich kennenzulernen. Du bist sehr sympathisch!“ Sie strahlte ihn an. Jannik wurde verlegen und wagte für einen Moment nicht den Blick zu heben. „Danke. Gleichfalls.“ „Erzählst du uns von deiner Ausbildung?“, fragte Vivien mit wissbegieriger Miene und legte ihre Hand still und leise auf Justins. Darauf, dass dieser sie daraufhin beschämt anstarrte, reagierte sie nicht. Und da Justin sich nicht traute seine Hand wegzuziehen, verharrten sie in dieser Position. „Ich weiß nicht, ob euch das interessiert.“, erwiderte Jannik. „Ich fände das sehr interessant.“, sagte Ariane ermutigend. So führten sie das Gespräch mit weniger verfänglichen Themen fort.   Um Viertel nach drei entschuldigte sich Vivien. „Meine Geschwister warten.“ „Dann sollte ich mich auch auf den Weg machen.“, sagte Jannik. „Du bist doch gerade erst gekommen.“, entgegnete Erik. Jannik lächelte. „Ich habe noch Hausaufgaben zu erledigen. Du weißt ja, dass ich darin noch nie der Schnellste war.“   Ohne viele Worte begleitete Erik Jannik zur Bushaltestelle und spürte ein schlechtes Gewissen. Jannik hatte im Café offen über Dinge gesprochen, die ihm bestimmt nicht leicht gefallen waren. Vielleicht hatte er sich Unterstützung von ihm erhofft, hatte sich vieles von der Seele reden wollen. So wie damals, als er niemand anderen gehabt hatte. Stattdessen hatte Erik ihn den fünfen ausgesetzt, die für Jannik völlig Fremde waren. Er hätte feinfühliger sein sollen. Sie waren an der Haltestelle angekommen und warteten. Jannik richtete vorsichtig das Wort an ihn. „Wieso bist du eigentlich vom Internat gegangen?“ Erik sah ihn nur an und sagte nichts. „Gesprächig wie immer.“, scherzte Jannik. Eriks Blick glitt zu Boden, er wusste nicht, was er antworten sollte. Vielleicht kannte er die Antwort selbst nicht. Jannik bohrte nicht weiter nach, er ließ ihm seinen Freiraum, so wie er es früher schon getan hatte. Er hatte nie versucht, in Eriks Seelenwelt vorzudringen. Nach wenigen Augenblicken ergriff Jannik wieder das Wort. „Es war schön heute. Jetzt bin ich auch beruhigt.“ Fragend sah Erik ihn an. Er hatte ihm schließlich nicht viel Gelegenheit gegeben, sich auszusprechen. „Naja, ich hab mir Sorgen um dich gemacht, nachdem ich vom Internat gegangen bin.“, eröffnete Jannik ihm. „Du warst immer so einsam und verletzlich, daher hatte ich Angst, dass du es ohne mich nicht schaffst.“ Erik konnte nicht fassen, was Jannik da von sich gab. Jannik war der Schwache von ihnen gewesen! Der Feinfühlige, auf den man aufpassen musste. Nicht er! „Früher war ich ja immer da, um dich aufzuheitern. Als du mir geschrieben hast, dass du auch vom Internat gegangen bist, hab ich mir schon so meine Gedanken gemacht. Auch wegen deinem Vater.“ Erik war unfähig, etwas zu antworten. „Es freut mich, dass du jetzt so liebe Freunde hast, die dich zu schätzen wissen.“ Jannik lächelte aufrichtig. Erik fühlte sich wie erstarrt. Jannik sah nach dem Bus. Dieser bog gerade in die Straße ein. „Das ist meiner.“, sagte er. „Also dann.“ Er reichte Erik die Hand. „Vielleicht können wir uns ja mal wieder treffen, wenn ich in der Nähe bin. Würde mich freuen.“ Erik nickte nur und schüttelte ihm die Hand. „Pass auf dich auf.“, sagte Jannik noch zum Abschied und stieg dann in den Bus. Zurück blieb Erik, mit einer Wahrheit, die er gerne verdrängt hätte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)