Balance Defenders von Regina_Regenbogen ================================================================================ Kapitel 137: Gefühlsknospen - Viviens und Justins Kennenlernen --------------------------------------------------------------  Gefühlsknospen – Viviens und Justins Kennenlernen   „Es gibt Begegnungen mit Menschen, die uns vom ersten Augenblick ein Interesse abgewinnen, bevor wir noch ein Wort mit ihnen gesprochen haben.“ (Fjodor Michailowitsch Dostojewski in: Schuld und Sühne)   Vivien war innerlich völlig aufgedreht. Wenn er sie gelassen hätte, hätte sie nicht gewusst, was sie mit ihm angestellt hätte. Sie wusste einfach nicht, wohin mit all diesen Gefühlen, die sie seit einer gefühlten Ewigkeit unter Kontrolle hatte halten müssen. Sie wollte ihm auf tausend verschiedene Arten und Weisen zeigen, dass sie ihn liebte, es ihn spüren lassen, begreifen lassen. Sie wusste gar nicht, wo sie anfangen sollte! Am liebsten wäre sie freudig kreischend durch die Gegend gesprungen! Wohin nur mit all dieser Energie?! Stattdessen strahlte sie einfach über das ganze Gesicht und konnte nicht anders, als während des Weges freudig zu hüpfen, während er ihre Hand hielt. Von außen sah das bestimmt komisch aus. Wie ein älterer Junge, der sich um sein kleines aufgedrehtes Geschwisterchen kümmerte. Aber das war ihr egal! Sie konnte ja nichts dafür, dass sie durch ihre Größe immer auf jünger geschätzt wurde – und aufgrund ihres Verhaltens – während Justin so eine verantwortungsvolle, erwachsene Ausstrahlung hatte und dadurch irgendwie älter wirkte. Nur wenn er so beschämt schaute, hatte er etwas von einem kleinen Jungen. Sie liebte es, dass er einfach beides sein konnte. So reif und erwachsen und gleichzeitig so süß und unschuldig. Das war es, was ihr schon bei ihrer ersten Begegnung aufgefallen war. „Weißt du noch, wie wir uns kennengelernt haben?“, fragte sie Justin. Verlegen nickte er, als wäre das selbstverständlich.   Vier Monate zuvor, Anfang August: Vivien bog in ihre Straße ein und sah ihre Mutter sich mit einer Dame unterhalten, die sie nicht kannte. Neben dieser stand ein Junge, ungefähr in ihrem Alter, mit im Sonnenlicht rötlich schimmernden braunen Haaren. Stumm verfolgte er das Gespräch und hielt dabei im Arm eine Papiertüte und in der anderen Hand einen Stoffbeutel. Er wirkte dabei ernst und supererwachsen. Ungeniert gesellte sich Vivien einfach zu dem Gespräch hinzu. „Hallo!“ Als hätte sie ihn erschrocken, starrte der Junge sie mit großen Augen an. Gut gelaunt lächelte sie zurück. Zu ihrer Überraschung wurde er augenblicklich rot und sah verlegen zu Boden. Noch nie hatte ein Junge auf diese Weise auf sie reagiert. Das war irgendwie aufregend! Unwillkürlich musste sie kichern. Er trug ein kurzärmliges Karohemd und zerschlissene Jeans. Nicht die Art von Jeans, die absichtlich ramponiert aussah, sondern so als hätte er darin schon viel Arbeit verrichten müssen. Irgendwie war das attraktiv. Die Erklärung ihrer Mutter, dass es sich um die neuen Nachbarn handelte, lenkte sie kurz ab. „Das ist meine älteste Tochter, Vivien.“, stellte ihre Mutter sie vor. Vivien entging nicht, dass der hübsche Junge zu ihr linste. Doch sobald sie in seine Richtung sah, schaute er schleunigst wieder weg. Was war das niedlich! Als wäre er ein scheues Reh oder so was. Während sich ihre und seine Mütter wieder mit anderen Themen beschäftigten, versuchte sie, ein Gespräch mit ihm zu beginnen. „Du wohnst also jetzt gegenüber?“ Er nickte bloß und sah weiterhin zu Boden. „Dann werden wir uns bestimmt öfter sehen!“ Wieder nickte er. „Soll ich dir mit den Einkäufen helfen? Wir können sie doch reinbringen.“ Die unpraktische Papiertüte besaß keinen Tragegriff, weshalb er sie an sich gedrückt halten musste. Ohne Umschweife griff sie danach, um ihm die Last abzunehmen, dabei streifte sie mit ihrer nackten Haut seinen Arm. Er fühlte sich unglaublich warm an. Augenblicklich zuckte er so heftig zusammen, dass ihm die Tüte aus der Hand rutschte und sich die Äpfel darin über den Boden verteilten. Eilig bückte er sich, um die Äpfel wieder einzusammeln. Vivien tat es ihm gleich. Doch als sie nach demselben Apfel greifen wollte und sich ihre Finger begegneten, zuckte er zurück und sah sie direkt an. In diesem Moment erst fielen ihr seine sanften braunen Augen auf. Dieser Junge strahlte etwas so Argloses und Aufrichtiges aus, dass es sofort Vertrauen in ihr weckte. Das breite Lächeln, das auf ihre Lippen trat, war nicht mal intendiert. Anstatt den Blick erneut zu senken, starrte er sie ängstlich an. Daraufhin musste sie noch freudiger lächeln. Aber offenbar verstand er das falsch und dachte, sie fände sein Verhalten belustigend. Sofort konzentrierte er sich wieder auf die Äpfel und packte sie zurück in die Tüte. Sie wollte ihm dabei helfen. Doch jedes Mal, wenn sie dazu näher an ihn herankam, wirkte er verlegen. Sie fand das unsagbar niedlich, denn seine Augen suchten dennoch immer wieder ihren Anblick. „Ich kann dir die Tür aufschließen.“, schlug sie begeistert vor und konnte es kaum erwarten, mehr Zeit mit ihm zu verbringen. Als Antwort blickte er zu seiner Mutter, ohne etwas zu sagen. Folgerichtig wendete sie sich an diese und bekam auf die Nachfrage hin den Haustürschlüssel überreicht. Wie von der ungewohnten Situation nervös ging er mit etwas steif wirkenden Bewegungen zur Haustür und machte ihr Platz. Aus dem Hausinneren schlug ihr eine angenehme Kühle entgegen. Sie trat ein. Dann erst sprach er zum ersten Mal. „Danke.“ Und auf Anhieb verliebte sie sich in seine Stimme. Er klang auf eine Art und Weise männlich, die nichts mit der Stimmtiefe zu tun hatte, sondern mit etwas Beschützendem darin. Sie kicherte. „Du hast eine schöne Stimme.“ Sofort wurde er wieder scheu. „Ich fände es schön, mehr von deiner Stimme zu hören.“, ergänzte sie. Allerdings machte er sich daraufhin klein, als habe sie ihm etwas Gemeines gesagt. Er schlug hastig den Weg in die Küche ein, wohin sie ihm folgte. Dort angekommen, stellte er den Stoffbeutel und die Papiertüte auf die Arbeitsfläche. „Ich meine, ich fände es schön, dich besser kennenzulernen!“, erklärte sie, um Missverständnisse auszuschließen. Sie wollte auf keinen Fall, dass er ihre kichernde Art missverstand. Einen Moment lang sah er sie an, als spräche sie eine andere Sprache. Dann verzog sich sein Gesicht kurz, als würde er mit sich ringen. „Ich mich auch.“ Jäh geriet er in Eile. „Also nicht mich besser kennenzulernen, sondern –“ Er brach ab und wirkte beschämt. „Du würdest mich gerne besser kennenlernen?“, hakte sie mit schelmischer Freude nach. Wieder machte er ein Gesicht, als würde er annehmen, dass sie sich über ihn lustig machte. „Hast du was zu schreiben?“, fragte sie strahlend, um ihm das Gegenteil zu beweisen. Als wäre er froh, etwas zu tun zu haben, brachte er ihr eilig Stift und Notizblock. Sie notierte ein paar Zahlen und ihren Namen. Freudig streckte sie ihm den Block hin. „Das ist meine Handynummer.“ Zaghaft nahm er den Notizblock entgegen, als verstünde er nicht, was das zu bedeuten hatte. „Aber du kannst auch einfach mal zu uns rüberkommen. Ich wohne ja direkt gegenüber.“ Wieder kicherte sie. Und merkte, dass ihre Aufgeregtheit, etwas zu heftig wurde. „Oder wir unternehmen etwas zusammen. Nur wir zwei.“ Wieder schaute er sie so an, als hielte er sie für eine Geisterscheinung. „Ich könnte dir Entschaithal zeigen!“, schlug sie eifrig vor. Leise antwortete er: „Ich komme aus Entschaithal.“ „Achso.“ Wieder drang ihr Kichern aus ihr heraus wie eine Verlegenheitsgeste. „Dann zeigst du mir Entschaithal.“, scherzte sie. Zu ihrem Leidwesen ging er nicht darauf ein. „Wir finden schon was!“, rief sie übertrieben euphorisch, um ihre gute Laune aufrechtzuerhalten. In dem Moment fiel ihr ein, dass manche Menschen ihre aufdringliche Art unangenehm fanden. Sie wurde kleinlauter. „Also, wenn du willst, meine ich...“   Endlich erklang wieder seine schöne, ruhige Stimme, wenn auch leise. „Gern.“ Sie konnte nicht umhin, begeistert in die Hände zu klatschen. Sofort erinnerte sie sich daran, dass die anderen Mädchen bei den Pfadfindern diese Eigenart von ihr als nervig ansahen. Doch dieser Junge schaute nicht genervt. Er lächelte. Ein verhaltenes, liebes Lächeln, als fände er sie süß. Das brachte ihr Herz endgültig zum Schmelzen. Sie wurde sogar ein wenig verlegen, was sie so von sich nicht kannte. „Ich sollte dann wohl mal wieder gehen.“, sagte sie mit einer etwas zu hektischen Bewegung ihres Arms. „Ich zeige dir, wo es rausgeht!“, sagte er entschlossen und lief an ihr vorbei zur Küchentür. Sie unterdrückte ein Lachen, aber ihm wurde wohl in dem Augenblick auch so klar, dass die Aussage ziemlich komisch klang. Dennoch führte er sie zur Haustür, wo sie erkannte, dass er wieder rot geworden war. Sie blieb stehen und sah ihn nochmals an, wollte den Moment in die Länge ziehen. „Du hast mir deinen Namen noch gar nicht verraten.“ Peinlich berührt antwortete er „Justin.“, als würde er sich für den Namen schämen. „Ich bin Vivien.“ „Ich weiß.“ Justin riss den Blick zu ihr. „Ich meine, deine Mutter hat das vorhin gesagt!“, rief er aus, als fürchte er für einen Stalker gehalten zu werden. Vivien kicherte. „Ich mag dich.“ Justins Augen wurden groß. Er schaute, als hätte ihm das noch nie jemand gesagt. Wie konnte jemand nur so männlich und so süß zugleich sein? „Ich freu mich drauf, dich wiederzusehen!“, fuhr sie fort. Sie wollte noch nicht gehen.  Zögerlich antwortete er: „Ich mich auch.“ Eilig ergänzte er: „Dich wiederzusehen!“ Wieder schien er sich zu schämen. Sie sog seinen Anblick einen weiteren Moment in sich auf. Kurz spielte sie mit dem Gedanken, einen weiteren Schritt auf ihn zu zu machen, nochmals die Wärme seiner Haut zu spüren, aber eine plötzliche Nervosität verhinderte das. Sie war so aufgeregt. „Bis bald.“ Sie wartete darauf, dass er den Abschiedsgruß erwiderte. Schon allein, um nochmals seine Stimme zu hören. „Bis bald.“, sagte er in seinem ruhigen Ton. Nochmals strahlte sie ihn an, hoffte, eine Reaktion von ihm zu bekommen. Tatsächlich stahl sich ein schwaches, geradezu ängstliches Lächeln auf seine Lippen. Davon musste sie umso breiter grinsen. Eilig wandte sie sich ab und hüpfte vor freudiger Erregung nach draußen.   „Weißt du, dass ich wochenlang darauf gewartet habe, dass du mir schreibst? Du hättest ruhig sagen können, dass du kein Handy hast!“, eröffnete sie ihm und zog einen Schmollmund. „Tut mir leid.“, sagte Justin, als befürchte er, dass sie wirklich sauer deswegen war. Vivien lachte und schmiegte sich an seinen Arm. Offensichtlich wusste er nicht, wie er damit umgehen sollte, er lief einfach weiter. Vielleicht war es ihm auch peinlich, dass andere Leute sie sehen konnten. Aber ihr war das egal. Sie hatte zu lange hierauf gewartet. Sie kicherte vor Glück. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)