Balance Defenders von Regina_Regenbogen ================================================================================ Kapitel 147: Abgrenzung ----------------------- Abgrenzung   „Oft bringt erst Distanz zwei Menschen einander näher.“ (Annette Andersen, deutsche Autorin)   Kaum hatten Destiny und Trust den ersten Schritt zurück in den Trainingsraum gesetzt, richtete Erik bereits das Wort an sie. „Change schlägt vor, dass du und Desire eure Kräfte kombiniert, um ihren Schild undurchlässig zu machen.“ Die abrupte Ankündigung irritierte Tiny offenbar, dann schüttelte sie den Kopf. „Ich könnte sie dabei paralysieren.“ Lässig deutete Change auf Unite, die vielsagend lächelte, doch das konnte Tiny mal wieder nicht überzeugen. Erik erklärte: „Desire soll nur lernen, wie du deine Paralyse einsetzt, um das auf ihren Schild anzuwenden.“ „Das haben wir doch schon mal versucht und es hat nicht funktioniert.“, hielt sie entgegen. Trust neben ihr wandte sich mit beruhigender Stimme an sie. „Einen Versuch ist es wert.“ Angesichts Trusts sanften Lächelns nickte Destiny schließlich ergeben. Okay, es war normal, dass Trust eine solche Wirkung hatte. Aber - Wieso konnte irgendwie jeder andere Junge außer ihm Tiny überzeugen?! Change entschied, sich nicht weiter mit dem Gedanken zu befassen. Quietschfidel verkündete Unite: „Ich stelle mich hinter dich und verbinde Desire über deinen Rücken.“ Erik schlug vor: „Du kannst deine Kräfte auf Ewigkeit anwenden.“ Die Kleine flog zur Untermauerung seiner Worte neben ihn. Change verschränkte die Arme vor der Brust und gab seiner Stimme einen möglichst desinteressierten Klang. „Sie kann mich nehmen. Dann klappt es auf jeden Fall.“ Statt wie gewöhnlich wütend zu werden, wirkte Destiny mit einem Mal getroffen. Change verzog das Gesicht. „Was?“ Erik stöhnte und wandte sich an Destiny. „Du kannst auch mich paralysieren.“ „Mann! Das ist echt unangenehm!“, rief Change heftig. Erik ließ ihm einen strengen Blick zukommen. „Und deshalb will sie es nicht bei dir machen.“ Change stierte zu Destiny, doch sie wich seinem Blick aus, als könne sie ihm nicht in die Augen sehen. Das – Wieso… „Das hat sie bisher auch nie gestört!“, rief er lautstark, um seine Unsicherheit über ihre Reaktion zu übertönen. Wollte sie jetzt etwas Abstand zu ihm halten? Erik schüttelte den Kopf, als hielte er ihn für unterbelichtet. „Geh einfach aus dem Weg.“ Schmollend machte Change ihm Platz und stellte sich neben Trust. Während die anderen damit beschäftigt waren, sich aufzustellen, stupste er seinen Freund an und gab ihm mit einer Bewegung seiner Hand zu verstehen, dass er telepathisch mit ihm reden wollte. ! Alles okay? Trust nickte. ! Was war? Dass Trust nach dem Gespräch mit Desire nicht direkt zurückgekommen war, sondern erst Tiny nach ihm hatte sehen müssen, war alles andere als alltäglich gewesen. Trust wendete kurz den Blick ab. Change starrte ihn an. ○ Alles gut, behauptete Trust und schenkte ihm ein gezwungenes Lächeln. Auch wenn die Neugier an ihm nagte, sah Change ein, dass sein Freund gerade wirklich nicht darüber reden wollte. Hauptsache, es ging ihm gut. Desires Stimme zog Changes Aufmerksamkeit auf sich. „Das fühlt sich an, als würde man denjenigen umklammern.“ „Was?!“, stieß Change empört aus. Tiny schrie in seine Richtung. „Du Vollidiot! Ich will denjenigen bewegungsunfähig machen!“ Change verzog beleidigt das Gesicht. Bestimmt fühlte sich Tinys Paralyse bei Erik komplett anders an als bei ihm. War ja klar… Wütend wirbelte Tiny zu ihm und – Nicht schon wieder!!! „Und wie fühlt es sich jetzt an?“, schrie Tiny Desire an. Desire schaute verwirrt. „Sag ihm, wie sich das angefühlt hat!“, forderte Tiny aufgebracht. „Ähm, als …“ Desire unterbrach sich. „Komisch.“ Komisch?! „Was?!“, schimpfte Tiny. Unite kicherte. Das war nicht lustig… „Was soll ‚komisch‘ bedeuten?!“, verlangte Tiny zu erfahren. Ja, das hätte er auch gerne gewusst! Verdammt, es war fast am anstrengendsten, nicht reden zu können! „Anders als vorher.“, sagte Desire kleinlaut. „Unangenehmer.“ Er wollte das Gesicht verziehen, war dazu aber leider nicht in der Lage. Klar, dass Tiny es ihm besonders unangenehm machen wollte! „Du spinnst wohl!“, schrie sie. Unite blieb wie üblich gelassen. „Bei Change hat man es auch im Herzen gespürt. Es war intensiver.“ Sie lachte vielsagend. „Als würdest du ihn ganz fest an dich binden wollen.“ Change stockte. „Klappe!“, kreischte Tiny schrill. Unite lachte weiter. Plötzliche Verlegenheit überkam ihn. Oh Mann! Unite laberte doch bloß wieder irgendeinen Mist! Aber … Tiny wirkte so beschämt, als wäre an Unites Unterstellung vielleicht… Quatsch! Und wieso schien sich eigentlich keiner die Mühe machen zu wollen, ihn von dieser Paralyse zu befreien?! Unite lächelte Tiny an. „Willst du umgekehrt spüren, wie sich Desires Kräfte anfühlen? Das ist lustig.“ „Sie soll erst mal Change läutern.“, murrte Tiny. Ja, genau! Desire seufzte und trat zu ihm. Endlich ging die befreiende Welle von Desires Händen auf seinen gesamten Körper über und beendete Tinys Bann. „Alter!“, brauste er auf und sah Tiny wütend an. Unite grinste. „Sie wollte nur, dass du weißt, dass sie dich am allermeisten umklammern will!“ „Halt die Klappe!“, kreischte Tiny in zu hohem Ton. Changes Mund verzog sich. Hastig wendete er den Blick ab. Unite konnte echt fies sein.   Um auf keinen Fall länger mit dieser peinlichen Situation zubringen zu müssen, ergriff Destiny hastig Unites Hand. Desire hatte sich bereits vor Erik platziert, um ihre Kräfte anzuwenden. Irgendwie schämte sich Destiny fast, über Unites Gabe an Desires Gefühlswelt teilzuhaben. Der Kräfteeinsatz war ziemlich … privat. Zumindest empfand sie das so. Im nächsten Moment wurden ihre Gedanken von der Wahrnehmung verdrängt, die Unite an sie weiterleitete. Destiny konnte spüren, wie sich jede Mauer ihn ihr löste, als verflüssige sie sich. Jede Grenze schien davon hinweggeschwemmt zu werden. Die Fremdartigkeit dieser Empfindung jagte ihr Angst ein. Glücklicherweise riss das Gefühl abrupt ab. Dass Desires Läuterung das Gegenteil von ihrer Paralyse war, war zwar logisch, aber es im eigenen Körper wahrzunehmen, war etwas ganz anderes. Für den Einsatz ihrer Kräfte gab Desire offenbar jeden Schutz auf, fast so als habe sie nichts zu verlieren, brauche sich vor nichts zu schützen, sich nur diesem Fluss ganz hinzugeben. Destiny fragte sich, ob Desire bewusst war, was sie da tat. Ließ sie wissentlich in diesem Moment all ihre eigenen Bedürfnisse los? Allein die Vorstellung gruselte Destiny. „Ihr seid wirklich wie Feuer und Wasser.“, kommentierte derweil Unite. „Destiny hält fest und Desire lässt los.“ Ein Seufzen entfuhr Letzterer. „Ich weiß nicht, wie das Gefühl von Destinys Attacke mir helfen soll.“ Destiny konnte Desire ansehen, dass die Situation mit dem Schild ihr immer mehr zusetzte, schließlich lastete momentan sehr viel Druck auf ihr, wenn es um die Abwehr von Secret ging. „Es geht darum, dass du nicht immer nur zu jedem lieb und nett bist.“, kommentierte Erik. Destiny wusste, was jetzt kommen würde. Denn während ihr klar war, dass Eriks harscher Tonfall keinesfalls abfällig oder vorwurfsvoll gemeint war, kam er bei Desire genau so an.   Desire ließ Erik einen indignierten Blick zukommen. Derlei Kommentare konnte er sich sparen! Erik überging ihren stummen Protest kurzerhand. „Du musst lernen, Nein zu sagen. Und nicht immer nur das Gute in allen zu sehen.“ „Im Gegensatz zu dir!“, entfuhr es ihr. Nun wurde auch Eriks Stimme vehement. „Es geht hier nicht um mich, sondern um dich!“ „Äh Leute.“, mischte sich Change ein. „Wieso schreit ihr?“ Desire wendete erzürnt den Blick ab. „Hey.“, machte Change, um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen. „Der Muskelprotz ist zwar ein Trampel, aber er meint es nur gut.“ Eriks Gesichtsausdruck nach zu urteilen konnte er nicht fassen, dass ausgerechnet Change ihn als Trampel bezeichnete. Desire wirbelte zu Change herum. „Ich kann es nicht ausstehen, dass er es immer so hinstellt, als wäre ich ein dummes Blondchen und nur was er macht wäre richtig!“ „Äh.“, machte Change und sah zu Erik. „Hast du das so gemeint?“ Erik stöhnte entnervt. Destiny ergriff das Wort und klang wieder so besserwisserisch, wie Desire es hasste. „Erik meint nur, dass sie sich selbst für die größten Deppen noch einsetzt, und das ungesund ist. Wenn sie den Schutzschild undurchlässig machen will, muss sie lernen, andere auch mal vor den Kopf zu stoßen.“ „So wie du?!“, schrie Desire. Change ließ sich von der Aufregung nicht anstecken und sprach Desire an. „Wie hast du es denn gemacht, als wir –“ Er unterbrach sich und Desire verstand, dass er auf ihr Abenteuer in der Nebendimension anspielte. „Als was?“, wollte Erik wissen. Change druckste. „Als sie… schon mal ihren Schild… äh…“ Destiny kam ihm zu Hilfe. „Sie hat es schon mal geschafft, ihren Schild zumindest stark genug zu machen, um Angriffe nicht zu spüren.“ Erik sah zu Desire. „Und wie hast du das gemacht?“ Desire suchte nach Worten. „Ich hab … an mich selbst geglaubt.“ Erik stieß lautstark die Luft aus. „Genau das meinte ich. Dass du dich selbst wichtiger nimmst als das, was andere von dir denken.“ Überrascht sah Desire ihn an. „Das hast du nicht gesagt.“ Gefühlsneutral erwiderte er: „Ich bin es gewöhnt, dass du mitdenkst.“ Sie reagierte pikiert. „Wie soll ich denn von Vorwürfen, dass ich zu nett bin, darauf schließen, dass du meinst, ich soll mich selbst wichtiger nehmen?“ „Denkst du, ich will dir Vorschriften machen?“, gab Erik gereizt zurück. Desire wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Zum einen weil sie genau davon ausgegangen war – dass er von ihr verlangte, mehr zu sein wie er – zum anderen, weil sie ihm damit unwillentlich erneut vorgeworfen hatte, wie sein Vater zu sein. Mit einem Mal schämte sie sich, ihm so etwas unterstellt zu haben. Er hatte sie doch bisher immer so angenommen wie sie war. Aber die Vorwürfe, die er ihr auf Finsters Geburtstagsfeier gemacht hatte, gingen ihr immer noch nach. „Tut mir leid.“ Erik stieß die Luft aus. „Ich habe es wohl nicht klar genug ausgedrückt.“ Dass er dies offen eingestand, machte sie noch demütiger. Kleinlaut antwortete sie. „Danke für deine Hilfe.“ Es war peinlich, das vor allen anderen zu sagen, aber sie wollte seine Geste nicht unerwidert lassen. „Probier erst mal aus, ob es funktioniert.“, entgegnete Erik. „Du musst dich selbst wichtig genug nehmen, um den anderen nicht an dich ranzulassen.“ Desire nickte einsichtig. Nachdem die anderen ihnen Platz gemacht hatten, baute Desire ihren Schutzschild auf. Zu ihrer Ernüchterung lief Erik ohne Probleme hindurch. Durchdringend sah er sie an und sprach so leise, dass nur sie ihn hören konnte. „Glaub an dich.“ Seine Worte lösten eine befremdliche Empfindung in ihr aus, ihr Herz fühlte sich durcheinandergebracht an. Dann lief er wie all die Male zuvor wieder einige Schritte zurück. In einem Versuch, dieses konfuse Gefühl zu unterdrücken und den Schild zu verhärten, spannte sie ihre Muskeln an. Wieder das gleiche Ergebnis. Erik verdrehte die Augen, was sie abermals ärgerte. Er hatte ja leicht reden! Auch der nächste Ansatz endete im gleichen Resultat. Statt wieder umzudrehen, sah Erik sie nun an. Argwohn nahm seine Stirn ein, als habe er eine jähe Erkenntnis. „Nimmst du mich wichtiger als dich?“ Die Worte trafen Desire. Ein Ertapptheits-Gefühl raste durch ihren Leib. Erik starrte sie einen Moment an, als wäre diese Offenbarung zu viel für ihn. Dann loderte Wut in seinen Augen auf. „Verdammt noch mal!“ Er ging auf sie zu, ohne dass sie ihn durch den Schild hätte aufhalten können, und packte sie an den Oberarmen. „DU bist das Wichtigste in deinem Leben!“, schrie er sie an. Sie spürte wie ihr Gesicht sich vor Leid verzog. Im gleichen Moment wich die Wut aus seinen Zügen. Er ließ sie los. Sein Blick ging zu den anderen. „Lasst uns allein.“ Unite stieß ein enttäuschtes Geräusch aus, als würde sie nun den Teil verpassen, auf den sie sich die ganze Zeit gefreut hatte. Trust hingegen wirkte wenig erfreut über diesen Vorschlag, doch ehe er etwas dagegen sagen konnte, hatte Change sie bereits alle weg teleportiert. Ewigkeit folgte ihnen nach.   Sobald sie unter vier Augen waren, atmete Erik geräuschvoll aus. Er bemühte sich darum, seiner Stimme einen sanfteren Klang zu verleihen. „Du musst aufhören, ein schlechtes Gewissen mir gegenüber zu haben. Ich weiß, du denkst, du bist mir irgendwas schuldig, weil Secret im Schatthenreich zurückgeblieben ist, aber das bist du nicht.“ Sorgenfalten erschienen auf Desires Stirn. Sie antwortete nicht. „Hör auf mich anzusehen, als wäre ich noch immer gefangen und als müsstest du mich retten!“ Sie schlug die Augen nieder. Er wandte den Blick ab. „Ich hasse es, dass du mich für so schwach hältst.“ „Ich halte dich nicht –“ „Warum hast du sonst immer noch Schuldgefühle?“, fuhr er ihr ins Wort. Desire schwieg. „Es ist vorbei.“, sagte er nachdrücklich. „Ich bin hier.“ Unerwartet machte sie den Ansatz, ihm näherzukommen, stoppte sich jedoch und zog den Kopf ein. Erik stieß die Luft aus. „Warum fühlst du dich noch immer schuldig?“ Ihr Mund verformte sich, ihre Stimme klang belegt. „Ich hätte dich nicht im Stich lassen –“ „Was hättest du denn tun sollen?!“ Sie wusste es offensichtlich nicht. „Du hast mir gesagt, auch wenn ich nicht Secret wäre, …“ Er pausierte, denn sie hatte den Satz damals nicht beendet. „Ich erinnere mich zwar nicht an damals, aber ich weiß, ob mit Erinnerung oder ohne, ich würde dir nie Vorwürfe für etwas machen, wofür du nichts kannst! Glaubst du mir das?“ Zaghaft nickte sie. Ihre Stimme klang gepresst. „Ich will dich einfach nicht noch mal verlieren.“ Sie sah so verzweifelt aus, dass er sich zusammenreißen musste. Dann schüttelte sie den Kopf, als würde sie sich für ihre Emotionalität schämen. „Tut mir leid. Ich weiß nicht, warum ich immer noch nicht damit abgeschlossen habe. Das ist kindisch.“ „Ist es nicht.“, versicherte er ihr. „Aber du musst aufhören, meine Sicherheit über deine zu stellen. Wenn dir etwas zustößt, bist du keinem eine Hilfe.“ Er konnte an ihrer Haltung ablesen, dass diese Worte sie nur noch mehr unter Druck setzten. Kurz suchte er nach etwas, das er sagen konnte, um sie zu beschwichtigen, ihr irgendwie Mut zu machen oder... „Du darfst mich manchmal auch von dir fernhalten, ohne dass ich dir dafür Vorwürfe mache. Das ändert nichts …“   Desire spürte ihr Herz von Wärme erfüllt werden, als hätte die Lücke, die er gelassen hatte, etwas Wichtiges enthalten. Erik fuhr fort. „Es ändert nichts. Versprochen.“ Einen Moment sah sie ihn stumm an. Sie wollte ihn nicht von sich fernhalten. Sie wollte - „Hör zu.“, begann er streng, als hätte ihr Gesichtsausdruck ihm missfallen. „Du solltest dir klar machen, dass es manchmal nötig ist, andere zu verletzen. Ob du das willst oder nicht. Wenn ich dich wirklich angreifen sollte – wegen einer Plage oder sonst was –“ Bei seinen Worten zog sich ihre Brust zusammen. Allein die Vorstellung jagte ihr Angst ein. „Dann gib mir nicht die Verantwortung dafür, dass du dich nicht wehrst.“ Die Aussage empörte sie. Das klang, als gäbe man dem Opfer die Schuld. „So funktioniert das nicht!“, brauste sie auf. „Wenn sich jemand nicht wehren kann, dann –“ „Aber du kannst dich wehren!“, fuhr er sie an. „Und nur wenn du dich wehrst, kannst du andere beschützen! Geht das in deinen Dickschädel rein?“ Auch wenn das Sinn ergab, passten ihr seine Worte nicht. Sie wollte so nicht denken. Etwas Erbarmungsloses offenbarte sich in seiner Haltung. „So viel dazu, dass du Secret nicht wieder zurücklassen würdest.“ „Was?“, stieß sie entsetzt aus. Abscheu war auf seine Züge getreten. „Du hast gesagt, dass du es bereust. Aber du bist zu feige, zu tun, was nötig ist.“ „Das stimmt nicht!“, begehrte sie auf und fühlte sich schrecklich verhöhnt. „Du kannst ihm nicht helfen, wenn du nicht mal in der Lage bist, dich vor ihm zu schützen!“, donnerte Erik heftig. Fassungslos starrte sie ihn an, war unfähig zu reagieren. Erik wandte den Blick ab. Seine Stimme wurde ruhig. „Ich muss mich darauf verlassen können, dass du mich aufhältst.“ Desire spürte, wie ihre Augen feucht wurden. Das war zu viel verlangt! Sie zog die Nase hoch, um ihn nicht sehen zu lassen, welche grausamen Gefühle sein Wunsch in ihr auslöste. Erik seufzte. „Desire.“ Es war seltsam, ihn ihren Beschützernamen sagen zu hören. Eindringlich sah er ihr in die Augen. „Du bist die einzige, die heilen kann. Wenn mir etwas zustößt, bin ich darauf angewiesen, dass du dazu in der Lage bist. Also kümmere dich darum. Mit allem, was du hast!“ Sie biss sich auf die Unterlippe und nickte. Erik bedachte sie nochmals mit einem langen Blick, den sie nicht deuten konnte, dann wandte er sich ab und begab sich auf seine Startposition. Einen weiteren Moment brauchte Desire um alles zu verarbeiten, was Erik ihr gerade gesagt hatte. Es ging nicht darum, ihn von sich zu stoßen oder sich von ihm abzuschirmen. Ihren Schutzschild gegen ihn einzusetzen, hieß nicht, dass sie ihn im Stich ließ. Aber… Mit einem tiefen Atemzug legte sie ihre Hände auf die Mitte ihrer Brust. Wieso tat allein der Gedanke weh, ihn von sich fernzuhalten? War es das, was sie davon abhielt, ihren Schutzschild undurchlässig für ihn zu machen? War ihr Herz zu offen für ihn? Wie sollte sie das ändern? Es ändert nichts, klangen seine Worte in ihrem Kopf nach. Aber war das wirklich so, würde er ihr das verzeihen können? Sie sah zu ihm, sein Blick war fest, entschlossen, doch sie hatte gelernt, dass sich dieser Blick allzu schnell wandeln konnte. „Versprichst du es?“, rief sie ihm entgegen. Kurz zuckten Eriks Augenbrauen, als müsse er die Worte erst zuordnen, dann nickte er, als wäre das Antwort genug. Desire nahm einen weiteren Atemzug. Mit geschlossenen Augen konzentrierte sie sich auf das Gefühl, ihn beschützen zu wollen. Dieses warme, sanfte Etwas, das ihre gesamte Herzregion mit Aufregung und Ruhe zugleich erfüllte. Es war so drängend, als warte es nur darauf, endlich aus ihr herausbrechen zu dürfen. Das fühlte sich nicht angespannt oder kriegerisch an, kurz irritierte sie das. War sie doch davon ausgegangen, eine gewisse Festigkeit und Härte zu empfinden, stattdessen war es ein angenehm weiches Fließen. Erik war derweil losgelaufen, sie hörte seine Schritte. In diesem Moment ließ sie das Drängen los, von ihrer Körperoberfläche nach außen, wie eine kräftige Welle. Es riss ihr regelrecht die Augen auf. Sie sah, wie Erik von der Schildwand hinfort gestoßen wurde, zurücktaumelte und gerade noch so das Gleichgewicht halten konnte. Sie konnte es nicht fassen! Ein anerkennendes Lächeln erschien auf Eriks Lippen, als wäre er nicht weiter überrascht. Im gleichen Moment entfuhr ihr ein Freudenschrei, der Schild löste sich auf und die Begeisterung ermächtigte sich ihres Körpers.   Erik war für einen Augenblick handlungsunfähig. Damit, dass sie in überschwänglicher Freude in seine Arme springen würde, hatte er nun wirklich nicht gerechnet. Bevor er den Ansatz machen konnte, endlich die Arme um sie zu legen, entzog sie sich ihm in überstürzter Hast. Geradezu beschämt hielt sie den Kopf gesenkt. „Tut mir leid. Ich wollte nicht, …“ Er versuchte ihre Reaktion einzuordnen. „Ich wollte dir nicht zu nahe treten.“ Etwa wegen seinem Verhalten bei ihrer ersten Begegnung? Oder besser gesagt dem, was er für ihre erste Begegnung gehalten hatte? „Tust du nicht.“, sagte er möglichst neutral klingend. Dass sie nach all der Nähe, die er ihr schon gewährt hatte, ausgerechnet jetzt auf so einen absurden Gedanken kam, war ihm unbegreiflich. „Ihr seid doch die Gleichgewichtsbeschützer.“ Sie schien nicht zu verstehen, wovon er sprach. „Nähe und Distanz sind beide wichtig.“, sagte er. „Beides hat seine Berechtigung und seine Zeit.“ Es war besser zu reden als die Situation seltsam werden zu lassen. „Es geht nicht darum, eine Seite auszulassen, sondern beide in Einklang zu bringen. So wie Change es erklärt hat. Destiny und du, ihr habt beide diese Qualitäten in euch.“ Kurz zögerte Desire, als hätten seine Worte sie verwirrt. „So habe ich das noch nie gesehen.“, gestand sie und wurde nachdenklich. „Ich dachte, …“ Sie seufzte. „Es ist dumm, aber … ich dachte, was Destiny tut, sollte man nicht tun.“ „Es ist sinnvoll, Grenzen zu setzen.“ „Aber man tut anderen dadurch weh.“, entgegnete Desire in einem Ton, als fände sie das schrecklich. „Wenn du früh genug Grenzen setzt, musst du anderen nicht wehtun.“ Zweiflerisch sah sie ihn an. „Beides gehört zusammen. Und du darfst beides nutzen. Okay?“ Desire nickte langsam. „Danke.“ „Nichts zu danken.“ Ein vorsichtiges Lächeln erschien auf ihren Lippen. „Es ist schön, dich im Team zu haben.“ Erik war nicht sicher, wie er darauf antworten sollte, doch Desire sprach bereits weiter: „Es fühlt sich… richtig an.“ Sie wirkte auf seltsame Weise glücklich. Bedeutungsvoll sah er sie an. „Secret ist nicht im Schatthenreich zurückgeblieben. Er ist hier.“ Seine Worte machten sie emotional. Erik trat einen Schritt näher auf sie zu, unsicher, ob er … Sie kam ihm entgegen. Doch keiner von ihnen wagte es, die Umarmung auszuführen. Ausweichend meinte sie: „Wir sollten den anderen Bescheid sagen.“ Er entfernte sich wieder von ihr. „Ja.“ „Erik?“ Mit einem Blick verdeutlichte er ihr, dass er zuhörte. „Woher weiß ich… wann…“ Sie unterbrach sich. Er holte tief Atem und überwand die Distanz zwischen ihnen.   „Das ist keine Einbahnstraße.“, flüsterte er ihr ins Ohr. Sie spürte sein Gesicht das ihre berühren, wie damals bei ihrem Tanz auf der Halloweenparty. Doch dieses Mal war keine Maske zwischen ihnen. Ihre Augen schlossen sich automatisch. Sie fühlte sich ihm so nah wie nie zuvor. Der Augenblick verflog und Erik entfernte sich wieder von ihr. „Du musst nicht die ganze Verantwortung alleine tragen.“ Jäh schnaubte sie belustigt, ohne dass er verstanden hätte, wo diese Reaktion herrührte. „Das habe ich vorhin erst zu Trust gesagt.“, klärte sie ihn auf. Erik gab ein amüsiertes Geräusch von sich. „Die eigenen Themen erkennt man so leicht bei anderen.“ Neckisch lächelte sie ihn an. „Kannst du deshalb alle anderen so gut durchschauen?“ Obwohl es ihre Einladung gewesen war, einen Scherz zu machen, ließ die Aussage ihn innehalten. Ernst sah er sie an. Ihr Gesichtsausdruck wurde weich und sie verstand, dass sie damit richtig gelegen hatte. „Du … darfst auch…“, druckste sie. „Nähe, meine ich. Und Distanz.“ Erik bedachte sie mit einem stummen Blick. „Ich meine, wenn du das möchtest.“, ergänzte sie hastig. „Andere nicht zu nah an sich ranzulassen, ist das, was du noch lernen musst.“ Sie versuchte seinem Gesichtsausdruck zu entnehmen, was er damit sagen wollte. Eine kurze Bewegung seiner Miene forderte sie dazu auf, es ohne Worte zu begreifen. „Du meinst, …“ Erik unterbrach sie. „Du bist noch nicht gut darin, Grenzen zu setzen.“, sagte er ernst. „Es ist leichter, jemandem nahe zu kommen, wenn man weiß, dass der andere seine Grenzen wahrt.“ Ihr Körper schien die Aussage dahinter schneller zu begreifen als ihr Kopf. Klopfenden Herzens formte sich ihr Mund zu einem Lächeln. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)