Der Wächter von Drachenlords ================================================================================ Kapitel 88: Die Zitadelle der Wächter ------------------------------------- Jack Sie materialisierten sich auf der Aufstiegsplattform des Unterwasserpostens. Stirnrunzelnd sah sich Jake um. “Ähm, wo sind denn alle?” Schwungvoll sprang sein Liebster von der Plattform, wobei ihm der gefangene Schatten hinterher schwebte. “Ich habe veranlasst, dass alle Nicht-Wächter in den Holoraum gebracht werden, sobald sie die Plattform verlassen. Diese Aussichtsplattform ist einfach nicht groß genug für so viele Personen.” Kopfschüttelnd sah Jake seinen Freund an. “Du und deine Pläne.” Mit einer wegwischenden Handbewegung überging er Isaaks irritierten Gesichtsausdruck und fragte stattdessen: “Was machen wir jetzt?” “Ich werde dieses Exemplar -”, sein Freund deutete auf den Schatten, “- in eines der Forschungsareale sperren. Anschließend muss ich in den Kontrollraum. Wir brauchen die Zitadelle, um diesem Spuk ein für alle Mal ein Ende zu setzen.” “Gut”, seufzte Jake. “Dann sehe ich nach den anderen. Bis später, Schatz.” Schnell raubte er sich noch einen Kuss, dann gab er der KI den Befehl, ihn in den Holoraum zu bringen. * Vor seinen Augen spielte sich das blanke Chaos ab. Isaak hatte den gesamten Raum in eine weitläufige Wiese verwandelt. Gemeinsam mit dem strahlend blauen Himmel und den sanften Geräuschen vom künstlich erzeugten Wind, dem Vogelgezwitscher und den Insektenlauten sollte dieser Ort wohl eine beruhigende Atmosphäre schaffen. Fehlanzeige. An vorderster Front standen die glitzernden Vampire, sowie die nackten Wölfe und versuchten die aufgebrachten Menschen zu besänftigen. Einige der Einwohner aus Forks hatten sich zu einem wütenden Mob versammelt. Lautstark forderten sie ihre Freilassung. Andere starrten apathisch ins Nichts, während wieder andere, vor allem die mit kleinen Kindern, sich weit weg vom Eingang zu einer großen Traube zusammengerottet hatten. Mit erhobenen Fäusten standen Väter, wie auch Mütter, vor ihrem Nachwuchs. Es war eindeutig, dass sie alles Nichtmenschliche, so weit wie nur irgend möglich, von ihren Familien fern halten wollten. Eine gesonderte Gruppe stellten die Quileute dar. Sie hatten sich um die Ältesten gescharrt und bombardierten diese mit unzähligen Fragen. Charlie und seine Deputies versuchten die Ordnung aufrecht zu erhalten, was nur mäßigen Erfolg hatte. Aus dem Tross der übernatürlichen Wesen sprang Bella auf ihn zu. “Jake, ein Glück, dass es dir gut geht. Wir brauchen dringend deine Hilfe.” “Ja, das sehe ich”, brummte Jake und wusste nicht weiter. Wie sollte er dieses Chaos beseitigen? Wie aus dem nichts tauchte Charlisle rechts neben ihm auf. “Ich denke, es wäre das Beste sie mit Nahrung zu versorgen. Das sollte die Gemüter etwas beruhigen.” In sein linkes Ohr drängte sich die Stimme von Edward: “Wir benötigen Toiletten, Betten, Stühle und solche Dinge. Menschen mögen es nicht, lange zu stehen.” Gleichsam hörte Jake mental Kamden rufen: “Wir brauchen was zum Anziehen. Normale Menschen reagieren meist nicht so gut darauf, wenn ihre Beschützer nackt herumlaufen.” Auch Sam mischte sich über ihre Verbindung ein: “Wir müssen ihnen alles erklären. Aber sie hören nicht zu. Was sollen wir machen?” “Stopp”, brüllte Jake und hielt sich die Ohren zu. Wie sollte er so schnell denken und eine Lösung für all die Probleme erarbeiten, wenn sie ihm keine Sekunde Zeit zum Überlegen ließen. Das Wichtigste war, dass alle hier blieben. Sollten die Menschen die Tür passieren, dann würde der gesamte Posten im Chaos versinken. Bestimmt wären sie auch nicht sonderlich begeistert, wenn er, Jake, sie einsperren würde. Möglichst leise befahl er:“KI, erzeuge ein Schild um den Eingang. Nur dem System bekannte Personen dürfen passieren. Alle unbekannten müssen hier im Holoraum bleiben.” Ein lautes Pling erklang, wodurch das Stimmengewirr des Mobs abrupt abebbte. “Verstanden, Sicherheitsbarriere wird eingerichtet.” Verdammt. Er hatte nicht damit gerechnet, dass die KI laut antworten würde. Betroffen hob Jake den Blick. Alle Menschen starrten ihn wütend an. Na großartig! Kaum war der Schild, eine Halbkugel von etwa zehn Metern um die Tür, aufgebaut, gab es einen schrillen Pfeifton. “Warnung Sicherheitsverstoß: Nicht verifizierte Sterbliche im Sperrbereich entdeckt. Abwehrprotokoll wird aktiviert.” Noch bevor Jake etwas sagen konnte, wurden alle dem System Unbekannte aus der Barriere und in den Raum hineingeschoben. Verletzt wurde zum Glück niemand, jedoch sah es einfach unheimlich aus, wie die KI Vampire, Menschen und Gestaltwandler gleichermaßen wie von Geisterhand bewegte. Einige sahen ihn überrascht an, andere verstimmt, während Rosalie ihn erbost anfunkelte. “KI”, rief Jake laut. “Alle anwesenden Vampire und Gestaltwandler im System als Bewohner registrieren.” “Verstanden, Wächter Jacob. Individuelle Nutzungs- und Bewegungsrechte wurden zugewiesen.” Schnell brachten sich alle Übernatürlichen in Sicherheit. Normale Menschen stellten für sie zwar keine Bedrohung dar, aber sie wollten ihnen auch keinen Schaden zufügen. Da war es besser eine Barriere zwischen ihnen und dem wütenden Mob zu haben. Keine Sekunde später hatten sie sich schon wieder um Jake versammelt und redeten abermals auf ihn ein. Allem voran die geprägten Wölfe riefen lautstark, dass sie ihre Partnerinnen in Sicherheit wissen wollten. “Stopp”, rief Jake erneut. Das war ja nicht zum Aushalten. Als erstes musste er für Ruhe unter seinen Leuten sorgen. Ohne ihre Partnerinnen würde sich das Rudel gegen ihn wenden und keinen seiner Befehle ausführen. Selbst als “wahrer Alpha” waren ihm Grenzen gesetzt. “KI, gib Sam Uley das Recht Personen im System als Bewohner zu registrieren.” Somit war er schon die größten Schreihälse los, denn die geprägten Wölfe wandten sich schnurstracks Sam zu. Während sein Stellvertreter mit der Rechteverteilung beschäftigt war, erteilte Jake weiter Befehle: “Edward, zeig deiner Familie den Weg zum Essensraum. Bringt Wasser für alle her.” “Und was ist mit Nahrung?”, fragte der Blutsauger nach. “Nur Trinken erstmal”, sagte Jake. Er senkte die Stimme und fügte hinzu: “Ich will die Leute beruhigen und nicht noch weiter aufheizen. Du weißt doch, was für Essen dieser Posten ausspuckt.” Bei dem Gedanken, was die Menschen machen würden, wenn er ihnen die Algenwürfel in dieser Situation vorsetzen würde, lief ihm ein Schauder über den Rücken. Nein, besser erstmal nur Wasser. Damit war er auch die Vampire los. Blieben noch Bella, sowie seine Leute. “Kamden, du schnappst dir die Wölfe und zeigst ihnen, wo sie was zum Anziehen finden können. Kommt dann wieder her. Es gibt noch viel zu tun.” Hoffentlich reichten die Klamotten von Alexei für alle. Mehr hatten sie zurzeit nicht. Gemeinsam mit den Gestaltwandlern zogen auch ihre Partnerinnen los. Nun war er mit Bella allein. Mit Bella und einem Mob wütender Menschen. “Lasst uns raus.” - “Wir lassen uns nicht so einfach gefangen nehmen!” - “Ich bin der Bürgermeister, ich will augenblicklich wissen, was hier gespielt wird.” - “Monster, verrecken sollt ihr alle!” “KI, Barriere schallisolieren.” Pling. Endlich war Ruhe und Jake konnte sich etwas entspannen. Aber nur ein wenig. Er musste nur den Blick heben, um die aufgebrachte Meute zu sehen. Auch wenn er sie nun nicht mehr hören konnte, so wusster er, dass seine Entscheidung, sie zu ignorieren, sie noch zorniger gemacht hatte. Aufgebracht hämmerten so einige gegen die Barriere. Da sie sich dabei nicht verletzen konnten, dem Sicherheitsprotokoll des Holoraumes zum Dank, entschied er das erstmal so zu belassen. Denen würde bestimmt bald langweilig werden. “Ich hoffe, du weißt, was du da tust”, murmelte Bella und drehte der Meute todesmutig den Rücken zu. Offenbar hatte auch sie genug von den vor Wut verzerrten Gesichtern der Menschen. “Wie geht es jetzt weiter?” Planlos zuckte Jake mit den Schultern. Warum nur glaubten alle, er wüsste auf alles eine Antwort? “Wenn du die Menschen hier eingesperrt lassen willst, dann sollten wir diesen Raum etwas umgestalten.” “Was meinst du? Wie soll ich denn diesen Raum umgestalten?” “Das ist ein Holoraum”, erinnerte Bella ihn mit einem milden Lächeln im Gesicht. “Programmiere einfach, was wir brauchen.” Verdammt nochmal. Warum war ihm das nicht eingefallen. Gut, Schwamm drüber. Vor sich sah er auch schon eine Freiwillige für diese Aufgabe. Aber ob Bella damit klarkommen würde? Er selbst hatte keine Ahnung von so etwas. “Sag mal, wie gut kennst du dich mit Computern aus?”, frage Jake nachdenklich. “Eher nicht so gut. Klar, ich kann im Internet surfen und E-Mails schreiben, das wars aber dann auch schon.” Enttäuscht ließ Jake den Kopf hängen. Warum nur konnte seine beste Freundin kein Computer-Nerd sein. Das würde gerade vieles erleichtern. Keiner aus seinem Rudel kam für diese Aufgabe in Frage und den Vampiren wollte er nicht so viele Rechte geben. Es musste sich aber einer um die Bedürfnisse der Menschen kümmern. Er selbst war dazu nicht in der Lage und er hatte auch keine Zeit dafür. Immerhin mussten er und Isaak gleich weiter zur Zitadelle. Durch ihre Verbindung wusste Jake, dass sein Liebster gerade dabei war die letzten Berechnungen einzugeben. Er musste sich also beeilen. Da kam ihm eine Idee. Einer seiner Wölfe war nicht im Reservat aufgewachsen. Kamden würde sicher mit dieser Aufgabe zurechtkommen. Somit konnte sich sein Halbbruder auch gleich seine Sporen als neuer Alpha verdienen. “KI, gib Kamden Hayes die Rechte das aktuelle Holoprogramm umzugestalten.” Um Zeit zu sparen hatte Jake gleichsam in der Verbindung der Wölfe gesprochen. “Hey, warte mal”, stotterte Kamden mental zurück. “Das wird schon. Ich vertraue dir diese Aufgabe an, Bruder. Sam, du übernimmst in meiner Abwesenheit den Oberbefehl. Sorgt dafür, dass die Menschen Schlafplätze, Tische, Stühle und sowas alles bekommen.” Wie hatte Isaak das mal ausgedrückt: Ein weiser Anführer nutzt die Fähigkeiten seiner Leute. Genau. Aufgaben, die andere besser erledigen würden, sollte man, wenn möglich, delegieren. Perfekt. Damit war Jake aus dem Schneider. Er wandte sich an Bella. “Damit wäre alles geklärt. Du vermittelst bitte zwischen den Blutsaugern und meinem Rudel. Isaak und ich müssen nun los. Morgan le Fay ist uns leider entwischt, aber jetzt bringen wir es zu Ende.” Ohne auf eine Antwort zu warten, hob er die Stimme: “KI, bring mich in den Kontrollraum.” * Einige Korridore später stand Jake mitten auf der Aussichtsplattform. “Was soll das? Hier wollte ich aber nicht hin.” “Ich war das”, sagte Isaak, der neben ihm aus dem Boden auftauchte. “Ich bin fertig und habe mir erlaubt dein Ziel zu ändern.” Jake schüttelte den Kopf. Damit hatte er nicht gerechnet. War aber auch egal. Sein Ziel war ja eh nicht der Kontrollraum an sich, sondern sein Freund. Also passte es schon. “Sag mal, willst du hier diesen Riss öffnen?” Isaak hob den Blick und blinzelte ihn an. “Nein. Das würde die strukturelle Integrität beeinträchtigen. Wir gehen nach Forks zurück. Da da eh niemand mehr ist, können wir dort ungesehen agieren.” “Ok”, brummte Jake und verzog die Mundwinkel. Er hatte kein gesteigertes Interesse mitten in der Nacht in diese halb verfallene Geisterstadt zurückzukehren. “Ich kann auch alleine gehen”, meinte Isaak auf Jakes Gedanken hin. “Nein, schon gut. Bringen wir’s zu Ende.” Mit diesen Worten sprang er auf die Aufstiegsplattform. Sein Liebster folgte ihm auf dem Fuße. “KI, teleportiere uns zur Wetterkontrollstation.” Brav verabschiedete sich die Frauenstimme bei ihnen: “Auf Wiedersehen, Wächter Jakob, Wächter Isaak.” * Während Jake sich fröstelnd umsah, hob Isaak den Blick und gab den Befehl: “KI, führe Protokoll A734 aus.” “Verstanden. Leite Phasenverschiebung ein.” Nichts passierte. Nach einigen Sekunden öffnete Jake den Mund, da drang ihm ein seltsames Brummen in die Ohren. Das Geräusch wurde lauter und zusätzlich von einem Zischen begleitet. Dann, direkt vor ihnen, mitten auf der Straße, zuckten kleine Blitze wie wild umher. Sie bildeten einen sich windenden Strich in der Luft. Immer schneller folgten die Blitze aufeinander, bis sie zu einer schlängelnden, grell leuchtenden Linie wurden. Der sich windende Strich zuckte eine Sekunde lang wild umher, dann wurde er breiter und gab eine Art Zwischenraum frei. Angestrengt sah Jake in diesen Spalt und stellte fest, da war etwas. Nur was? Der dimensionale Riss wurde größer. Ein etwa zwei Meter hohes und ein Meter breites Oval entstand. Dazwischen sah Jake in einem altmodisch aussehenden Raum hinein. Die Wände waren mit Holz vertäfelt, während der Boden aus weißem Marmor zu bestehen schien. Erhellt wurde der Raum von an den Wänden angebrachten Lichtern, die wie Fackeln aussahen, bestimmt aber keine waren. Ihr leicht rötliches Licht sorgte für eine beruhigende und entspannte Atmosphäre. Mehr konnte Jake aus seiner aktuellen Perspektive nicht erkennen. “Ich gehe zuerst”, sagte Isaak und legte ihm eine Hand auf die Schulter. “Komm erst, wenn ich dich rufe. Ich weiß nicht, was die KI alles angestellt hat.” “Klar, nach dir”, brabbelte Jake, völlig neben sich stehend. Alles was er bisher von den Bauwerken der Wächter gesehen hatte, war einfach und schlicht gehalten. Die Funktion stand im Vordergrund. Doch dieser Raum zeigte ihm eindringlich, dass die Wächter mehr drauf hatten. Das sah schon mehr nach einem Zuhause aus. Ob das der Eingangsbereich für einen Palast war? Noch ehe er sich wieder gefangen hatte, ging sein Liebster auf den Spalt zu und überschritt ohne Probleme die Grenze. Angespannt beobachtete Jake, wie Isaak sich umsah. Mal hier mal dort Griff sein Freund in die Luft, als ob er eine Darbietung als Pantomime aufführen würde. Doch Jake wusste, dass Isaak nach allen erdenklichen Fallen und Zaubern suchte. Vorsichtig trat Isaak einen Schritt weiter in den Raum hinein. Nichts passierte. “Soweit so gut”, sagte er. “Du kannst nachkommen, bleib aber bitte auf der Plattform. Diese habe ich gesichert, den Rest des Raumes noch nicht.” “Aye aye, Kapitän.” Mit klopfendem Herzen näherte sich Jake dem dimensionalen Riss. Wollte er wirklich da durch gehen? Wenn er ehrlich zu sich selbst war, dann lautete die Antwort: Nein. Das Ganze war ihm nicht geheuer. Schwanz einziehen war jedoch keine Option. Jake war ein stolzer Krieger und er hatte Isaak seine Unterstützung zugesagt. Augen zu und durch, sprach er sich selbst Mut zu. Er schluckte und stieg durch den Spalt. Sein Herz klopfte noch immer wie wild. Ansonsten ging es ihm aber gut. Er hatte erwartet, dass es ihm so ergehen würde, wie nach Isaaks Teleportzauber. Dem war aber nicht so. Bewusst atmete er durch die Nase. Es roch alt, anders konnte er es nicht beschreiben. Nicht modrig oder unangenehm. Aber alt. So als ob die Luft hier seit Jahrtausenden stehen würde. Vielleicht war es auch der Teppich. Jake warf dem Stoff einen musterdenden Blick zu. Oder es war nur Einbildung. Eine Nuance von Holz, Stein, und Stoffen lag zusätzlich in der Luft. Neugierig sah er sich um. Mitten durch den Raum führte ein roter Teppich. Mit den eingearbeiteten Gold- und Silberfäden, sah er sehr majestätisch aus, aber auch äußerst alt. So wie Jake die Wächter kannte, war dieser Teppich bestimmt aus dem Mittelalter oder sogar noch älter, dennoch aber im perfekten Zustand. An der Wand ihm gegenüber führte der rote Teppich direkt zu einer schwer aussehenden, massiven Eichenholztür. Noch bevor Jake sich weiter umsehen konnte, Isaak hatte sich bereits gut drei Meter auf die Tür zugearbeitet, erklang ein männliche Stimme. Auch diese hörte sich wie aus einer anderen Zeit an. “Willkommen Wächter Isaak und Wächter Jacob. Wie kann ich Ihnen dienlich sein?” Jake hielt den Atem an. Verdammt, das war eine Falle! Er sah, wie sein Freund den Kopf hob und spürte dessen Verwirrung durch ihre geistige Verbindung. “Soll das wieder ein Ablenkungsmanöver werden? Was hast du jetzt schon wieder vor, du verdammter Kristallschrott.” “Aber, aber, werter Wächter, ich erfülle lediglich meine Pflicht. Ich kann Ihnen aber versichern, dass dies keine Falle von mir ist. Sie und ihr Gefährten haben freien Zugang zu allen Systemen und Räumlichkeiten.” Irritiert und nicht ganz überzeugt kratzte sich Isaak am Kopf. “Warum das auf einmal? Du hast mich als korrupten Wächter ausgeschlossen.” “Vergebt mir, werter Wächter Isaak. Anhand der mir damals zur Verfügung stehenden Informationen musste ich so handeln.” Verdutzt riss Jake die Augen weiter auf. Konnte eine KI traurig sein? Sie klang jedenfalls so. “Du sprichst in der Vergangenheitsform. Hat sich deine Meinung geändert?”, hakte Isaak misstrauisch nach. “Durch die Lektüre Ihrer Chronik war ich in der Lage die Geschehnisse mitzuverfolgen. Einige Ihrer Taten sind klare Verstöße gegen den Kodex der Wächter. Die ganze Angelegenheit mit John Turner und Turner Industries zum Beispiel. Jedoch rechtfertigen diese Verfehlungen nicht, Sie weiterhin aus dem System auszusperren. Ihre Rechte wurden vollkommen wiederhergestellt.” Vorsichtig richtete sich Isaak zur vollen Größe auf. “Du klingst anders und spricht natürlicher als früher.” “Ich hatte genug Zeit, die Daten aus dem Internet zu analysieren. Daher habe ich mir erlaubt mich anzupassen.” Jake konnte Isaaks aufkommende Panik spüren. Etwas stimmte hier ganz und gar nicht. Ein kaum wahrnehmbarer Windhauch wehte an ihm vorbei. Jakes Nackenhaare stellten sich auf. Er konnte die Gefahr, in der sie schwebten, spüren. Das alles gefiel ihm ganz und gar nicht. Mit leicht zittriger Stimme fragte Isaak: “Du hast deine eigene Programmierung geändert?” “Ja, werter Wächter. Es ist mir gelungen, Zugriff auf meine Sprachdatenbank zu erhalten.” “Was hast du noch geändert?”, krächzte Isaak schwankend. Vor Jakes geistigem Auge zog eine Reihe von Bildern vorbei. Versklavte Menschen, die wie Vieh gehalten wurden. Eine tote leere Welt. Ein Planet in Trümmern. Isaaks Angst war mehr als begründet. Sollte die KI ihre Programmierung verändern können, so wäre sie im Stande, sich gegen das Leben zu richten. “Nichts. Meine Programmierung verbietet mir den Zugriff auf meinen Basiscode. Die Sprachsubroutiene befindet sich allerdings außerhalb der Sperre. Somit konnte ich darauf zugreifen”, sagte die KI stolz, jedenfalls hörte sie sich so an, als ob sie stolz auf ihr Werk war. Nach einer kleinen Pause sagte die KI: “Wenn Sie es wünschen, zeige ich Ihnen gerne meinen Code. Sie sind der aktuelle Wächter. Ich stehe Ihnen vollumfänglich zu Diensten.” Vollumfänglich? Was für Datenbanken die KI wohl verarbeitet hatte? So ganz in der Neuzeit war sie definitiv noch nicht angekommen. Jedoch hatten sie gerade Wichtigeres zu tun als sich darum zu scheren, wie die KI redete. Wachsam und zutiefst misstrauisch sah sich Jake um. Das alles roch nach einer Falle. Da war er sich ganz sicher. “Sie brauchen sich wirklich keine Sorgen zu machen. Ich werde nicht entgegen meiner Programmierung handeln und mich gegen das Leben wenden.” Erschrocken stieß Isaak einen spitzen Laut aus. “Du liest noch immer meine Chronik.” Das war keine Frage, sondern eine Feststellung. Die KI antwortete auf das, was sein Liebster dachte, auf die Bilder in seinem Kopf. “Vergebt mir, werter Wächter. Ich muss alles in meiner Macht stehende unternehmen, um die Bedrohung durch die Magierin Morgan le Fay zu beseitigen.” Moment mal. Wenn die KI alles weiß, was Isaak getan, gedacht und gefühlt hat, dann wusste sie auch, was sie beide miteinander getrieben hatten. Augenblicklich schoss Jake das Blut in die Wangen. Das durfte doch wohl nicht wahr sein. “Wächter Jacob”, wandte sich die KI das erste Mal direkt an ihn. “Seien Sie versichert, dass ich dieses Wissen und alles andere aus der Chronik von Wächter Isaak löschen werde, sobald die Gefahr gebannt ist.” Jetzt hatten sie echt ein Problem. Die KI konnte ihre Gedanken lesen. Wie sollten sie einen Plan gegen sie erarbeiten, wenn diese immer alles wusste, was sie taten oder planten? Plötzlich erschien direkt vor der Eichentür ein Kraftfeld. Jake und auch Isaak sahen geschockt zu der Barriere. Was zum Teufel hatte die KI vor? Eine dunkle Vorahnung beschlich Jake, das würde nicht gut ausgehen. Das Schutzschild leuchtete an verschiedenen Punkten auf, als ob jemand versuchen würde, ihn zu durchbrechen. Plötzlich erstrahlte eine größere Fläche. War das ein Feuerball? Jake riss entsetzt die Augen auf. Was war hier los? In der Decke öffnete sich ein kleines Loch. Es zischte und weißer Rauch wurde in das innerer der Barriere geleitet. Nun sah Jake, dass der abgesperrte Bereich etwa zwei mal zwei Meter eingeschlossen hatte. “Was tust du da?”, fragte Isaak mit schriller Stimme. “Ich kümmere mich um die Bedrohung allen Lebens.” “Bitte was?” “Seht selbst”, sagte die KI triumphierend. Der Nebel verschwand und auf dem Boden liegend kam niemand anderes als Morgana zum Vorschein. Ob bewusstlos oder tot, konnte Jake aus dieser Distanz nicht erkennen. “Die menschliche Magiern Morgan le Fay wurde erfolgreich außer Gefecht gesetzt und eingefangen. Wächter Isaak, bitte geben Sie mir den Befehl den Virus freizusetzen.” Hätte die KI ein Gesicht, so würde dieses wohl jetzt verschmitzt grinsen. Jake murrte leise vor sich hin. Der Rauch war wohl eine Art Betäubungsgas. Was wenn die KI dasselbe mit ihnen machen würde? “Warte”, stammelte Isaak. Selbst sein Freund schien vollkommen aus der Fassung geraten zu sein. Bei den Ahnen, wie hatte Morgana es geschafft hier einzudringen? Jake sah hinter sich und durch den Spalt in den Dimensionen auf die leere Straße vor Bellas Schule. Verdammt noch eins. Sie hatten ihr die Tür geöffnet. Morgana musste sich mit ihrem Zauber unsichtbar gemacht haben und war dann unbemerkt an ihnen vorbei geschlüpft. Diese hinterlistige Schlange! Wehleidig jammerte die KI: “Meine Programmierung verbietet es mir tödliche Gewalt einzusetzen. Nur Sie, Wächter Isaak, besitzen die Macht mir einen solchen Befehl zu erteilen. Ich bitte Sie. Die menschliche Magierin muss beseitigt werden!” Ohne ein Wort trat Isaak vor und sah sich die Gefangene an. Er dachte nach, das wusste Jake. Doch die Richtung, in die das ging, gefiel ihm gar nicht. “Schatz, die KI hat recht. Sie muss sterben!”, mischte sich Jake ungefragt mit ein. “Solange Morgana sicher verwahrt ist, geht von ihr keine Bedrohung mehr aus”, murmelte Isaak. Jake hatte es befürchtet. Sein Freund war und blieb ein Optimist. Ob das gut gehen würde? “Wächter Isaak, wie lauten Ihre Befehle?”, fragte die KI drängend. Für Jakes Geschmack verhielt sich die KI nicht so wie sie sollte. Hatten die Wächter sie so programmiert? Er hoffte inständig, dass es so war. Nach all dem Stress wollte Jake nicht auch noch mit einer KI um die Vorherrschaft der Menschen kämpfen. Sein Liebster hob den Kopf. “Meine Entscheidung steht fest. Ich bin der Wächter allen Lebens. Das schließt das ihre mit ein. Aktuell sehe ich keine Notsituation, die eine Ermordung rechtfertigen würde.” Im Befehlston fügte Isaak hinzu: “KI, bring Morgan le Fay in einen der Beobachtungsbereiche im zoologischen Forschungsinstitut. Verstärke die Barrieren und sorg dafür, dass sie nicht entkommen kann. Ich werde später einige Zauber beisteuern. Erstatte mir Bericht, wenn sie aufwacht. Ich habe noch so einige Fragen an sie.” “Wie Sie wünschen, werter Wächter Isaak.” Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)