Enemy mine - geliebter Feind II von collie ================================================================================ Kapitel 8: Kapitel 8 -------------------- Beinahe stieß sie mit Jean-Claude zusammen, der vor ihr abrupt stehen blieb und etwas ungläubig auf den Kaffeebecher sah, den man ihm gereicht hatte. Geld verlangte man keines von ihm. Der Becher war vom Barista mit einer Nachricht versehen worden. „Auf eine gute Zusammenarbeit M.R.“ April lächelte und nickte ihm zu, während Muriels schwarzer Haarschopf aus dem Cafe verschwand und in der Menge in der Fußgängerzone untertauchte, begleitet vom ergrauten Schopf Dr. Crons. Gut zwei Stunden ehe die Schicht endete, Fireball, Colt und Saber den Personenschutz übernahmen, klopfte der Schotte an die Tür Jean-Claudes. Beide setzten sich an den kleinen Tisch, der vor dem Balkonfenster stand. Bewusst war ihnen beiden, dass sie ihre Wachsamkeit wieder erhöhen mussten, darüber waren sie sich einig. Sie sprachen über die Liste ihrer möglichen Verfolger. Jean-Claude war überrascht, auf positive Weise, dass der Recke zu der gleichen Aufstellung mit der annähernd gleichen Begründung gekommen war, wie er selbst. Sie grübelten hin und her, wie sie die Sicherheit erhöhen konnten. Der erste Schritt war die Weitergabe ihrer vier Hauptverdächtigen an die anderen. Als nächstes würde der Schotte die Blaster, welche die Geschwister von zu ihrem Schutz mitgeführt hatten, an die Schwestern geben, geladen und schussbereit. Sie sollten sie gut verborgen mit sich führen. Jean-Claude selbst prüfte seine Waffe erneut und verstaute sie entsprechend. Beide Strategen waren sich nicht sicher, wer der drei Geschwister am stärksten im Visier der Verfolger gerutscht war. Einig waren sie sich darüber, dass das emotionale Band zwischen ihnen bestimmt zu ihren Fallstrick werden sollte. Es war ihr größter Schwachpunkt. Es war unklar, ob ihre Gegner wussten oder vermuteten, dass die Geschwister unter Personenschutz standen und wer damit beauftragt worden war. Da sie allerdings den einstigen Liebling Nemesis auf ihrer Spur vermuteten, gingen sie davon aus, dass er sich Zugang zu diesen Informationen verschafft hatte. Saber setzte es auf seine To-Do-Liste, das zu prüfen. Damit ergaben sich drei Möglichkeiten und jede von ihnen würde treffen. Eine Möglichkeit war es bei Nacht anzugreifen, auf Beth abzuzielen und mit ihr den Schotten gleich mit gefangen zu nehmen. Somit verleiteten sie die älteren Geschwister dazu, die jüngste zurückzuholen, ebenso wie die dann führungslose Ramrod-Crew überstürzt ihrem Captain nach zu setzen. Insgesamt war das Risiko von unbedachten Überreaktionen sehr hoch, zumal dann auch noch Fireball und Jean-Claude ziemlich sicher an einander geraten würden, was diese Jagd erschweren oder ganz zum Scheitern bringen würde. Würden sie bei Tag zuschlagen, würden sie Garrett McLeod töten, da er in ihren Augen wertlos war. Der Effekt den Beth Entführung erzielen würde, wäre dennoch nicht unerheblich, wäre dann auch der Recke in einer schwierigen Situation aufgrund seiner Beziehung zu ihr. Allerdings dürften sich ihre Verfolger darüber nicht im Klaren sein. Das konnte man nicht aus den Berichten des Oberkommandos in Erfahrung bringen. Snow und Colt würden sie ebenfalls zusammen angreifen. So gut der Scharfschütze auch war, seine bisweilen temperamentvolle Vorgehensweise wurde durch kalte, herzlose Handlungen gereizt und provozierte so, dass er unbedacht reagierte und ihnen in die Hände spielte. Mit Snow war es nach Jean-Claudes Einschätzung nicht sehr viel anders. Auch hier würde das Band unter den Geschwistern überstürztes Handeln begründen. Die Entführung eines guten Freundes und des besten Schützen der Ramrod-Besatzung schwächte deren Schlagkraft und verführte ebenfalls zu Überreaktionen, da die Crew sich sehr nahe stand. Ian Broik würde man, ähnlich wie McLeod, einfach töten und zurück lassen. Jean-Claude und Fireball oder April schnappen zu wollen, würde durch die Beziehung der beiden Star Sheriffs den anderen zu überstürzten Aufbrüchen, vielleicht auch Alleingängen, führen. Die Schwestern würden um jeden Preis ihren Bruder zurück holen oder mit einem Austausch einverstanden sein und widerstandslos folgen. Das könnten die Star Sheriffs dann nicht verhindern. Diese Überlegungen führten zu einem nächsten Schritt, dem Anbringen eines Senders, um sie über eine möglichst weite Distanz auf zu spüren. Jean-Claude hielt dagegen, dass ihre Jäger sie sofort darauf untersuchen würden. Saber legte die Hand ans Kinn, nickte zustimmend und grübelte. Dann sah er den Outrider an. „Lebend bist du von größerer Bedeutung. Richtig?“, fragte er langsam. Der nickten. „Gut, dann machen wir folgendes“, begann der Blonde und unterbreitete seinen Vorschlag. Arasmus Soor war es leid. Das fade Essen, die eingeschränkten Freizeitaktivitäten, die leuchtenden Schranken und die bleichen Fliesen schlugen ihm ebenso auf das Gemüt, wie die unbequeme Pritsche, die eher ein Folterinstrument war, und der Grund, dem er seine Anwesenheit hier verdankte. Diese kleine Stute und ihr Hengst, der offensichtlich lieber dumme, störrische Esel deckte, statt der stolzen, freien Pferde zu denen er gehörte. Soor wollte die Galle hoch kommen. Das war einfach ekelhaft. Er konnte nicht sagen, was ihn mehr störte. Dass sich ein Mensch ernsthaft mit einem Outrider einließ, oder dass es ausgerechnet der Vorzeigecaptain der Ramrod-Crew war, der dies tat. Es widerte ihn an. Was war denn an diesem Weib schon so besonderes? Seine Beth war auch eine wunderschöne Frau gewesen, hatte auch sinnliche Lippen, ein verführerisches Dekolleté und eine einladende Taille. Seine Beth war auch anziehend gewesen, hatte einen mit einem schlichten Lidschlag den Verstand rauben und die Phantasie so beflügeln können, dass einem schwindlig und die Knie weich wurden. Wo war der Unterschied zu dem blasslila haarigem Weib? Was hatte die, was seine Beth nicht hatte? Vom Leben mal abgesehen. Warum machte niemand um diesen Fakt einen Aufstand? Warum war es interessanter, dass dieses Weib sicher war, während der Verrat und der Hinterhalt von einst vergessen oder ignoriert wurden? Jetzt kroch man diesem Pack also ins Heck. Lediglich für die Behauptung sie hätten wertvolle Informationen und wären an Frieden interessiert. Hatte das irgendwer geprüft, bevor sie den Kopf an eben jene Stelle versenkt hatten, oder war das nicht mehr möglich, nachdem der Schädel da schon steckte? Er tigerte stampfend in seiner Zelle auf und ab und grübelte über seine Situation nach. Man ermittelte gegen ihn, weil er dieser Eselsstute zu nah und damit offensichtlich ihrem Deckhengst in die Quere gekommen war. Was wäre schon dabei gewesen? Offensichtlich aber durfte das nur der prestigeträchtige Held, der eindeutig nicht gern teilte. Schon gar nicht mit einem Fußsoldaten wie ihm. Deshalb war er nun auch noch unehrenhaft aus dem Dienst entlassen worden und zählte nun nicht mehr, was er in seiner Laufbahn zuvor alles erreicht hatte. Arasmus presste die Zähne zusammen und krauste wütend die Stirn. Das würde diese übermäßig aufpolierte Gallionsfigur schon noch lernen. Mit seinesgleichen sprang man nicht so um. Man machte aus ihnen keine Fußabtreter. Wofür gab es denn Outrider? Wenn sie sich schon mal freiwillig so weit auslieferten, sollte man das doch entsprechend würdigen. Befand zumindest Arasmus. Dass Saber die Blaster an die Schwestern ausgab, sprach eine deutliche Sprache, verdeutlichte ihnen, wie ernst er und ihr Bruder die gegenwärtige Situation einschätzten. Colt verband die Arbeit mit dem Vergnügen und brachte Snow zu einem Schießstand. So konnte er mit ihr etwas ungestörte Zeit verbringen und gleichzeitig ihren Umgang mit Schusswaffen prüfen. Sie hatte Talent und verstand schnell, wie er begeistert feststellte. Ihr Blick war scharf, ihre Trefferquote für den Anfang ziemlich gut und ihre Souveränität, mit der sie die Waffe handhabte, beinahe professionell. Während er sie so beobachtete, kam er zu der Überzeugung, dass sie in einer Kampfsituation gut zu recht kommen würde. Vielleicht steckte ja so etwas wie ein Kriegergen in ihr, oder wurden Outrider von klein auf so ausgebildet wurden, dass sie jederzeit in jedem Bereich einen guten Beitrag zu ihrer Gesellschaft leisten konnten? Als er sie danach fragte, gab sie bereitwillig Auskunft. Der Lernplan für die allgemeine Ausbildung sah vor allem eine gute Sprache, Naturwissenschaften und Sport vor, teilte dies recht gleichmäßig auf. Schöngeistigen, künstlerischen und musikalischen Unterricht gab es nicht. Er galt, wie der Lockenkopf schnell verstand, als nicht effektiv. Dafür wurde auf lebensnützliche Praxis Wert gelegt, standen auch hauswirtschaftlicher und handwerklicher Unterricht auf dem Stundenplan. Für monoton hatte er seine Schulzeit schon gehalten, irgendwie langweilig und zweifelhaft notwendig, aber verglichen damit war es dann doch eher ein Spaß gewesen. „Snow, du schießt fast so scharf wie du aussiehst“, stellte er am Ende breit grinsend fest. „Ich nehme an, dass war ein Kompliment, also danke“, gab sie zurück und ließ lässig den Blaster um ihren Zeigefinger rotieren. „He, langsam.“ Er griff nach ihrer Hand und brachte die Waffe so zum Halt, dass der Lauf auf die Zielscheiben deutete. „Nicht, dass du dir den Kopf wegpustest.“ „Der ist leer.“ „Sicher?“ Er trat näher und legte die freie Hand an ihre Wange. Sein Blick verfing sich in ihren auberginefarbenen Augen. „Ich möchte auf nichts an und von dir verzichten.“ Er klang ernst. Es überraschte sie ein wenig. Sie löste die Hand aus seiner und legte den Blaster auf der Theke ab, von der aus sie geschossen hatte. Dann verflochten sich ihre Finger mit seinen. „Warum bist du so ernst?“, fragte sie. Er lachte wie ertappt auf. Dann presste er die Lippen auf einander. Wenn er so wortgewandt wie Saber wäre, würden ihm sicher die richtigen Worte einfallen. Dann könnte er ihr sagen, dass er dafür sorgen würde, dass sie sicher war. Dann könnte er auch sagen, wie sehr die Zeit mit ihr genoss und wie schön es war sie überhaupt nur zu küssen. Dann könnte er ihr auch sagen, dass er sich mehr wünschte als das – ganz gleich ob es forsch und zu direkt war, es war ehrlich – und dass er hoffte, sie würde ihm ein wenig entgegen kommen. Saber wüsste sicher, wie er das elegant formulieren sollte. Aber er war nicht Saber. Er formulierte nicht elegant. „Snow, ich will dich. Okay? Ich will dich in meinem Leben. Verstehst du? Ich will dich berühren, nicht immer nur küssen. Ich mein, das ist Wahnsinn, wirklich. Aber genau deshalb will ich dich spüren, an mir, auf mir, unter mir. Ich …“ Er brach ab. Sie starrte ihn mit großen Augen und öffnete den Mund. „Ja, ich weiß, das war direkt und flach“, begann er seufzend. Immerhin hatte sie ihm dafür keine runter gehauen. „Es ist schon in Ordnung“ erwiderte sie langsam. „Lass uns nach Hause gehen.“ Er presste die Lippen auf einander und nickte. Der Laden würde ohnehin bald schließen. Also nahm er ihre Hand, stellte erleichtert fest, dass sie es zu ließ, und machte sich auf den Weg zurück in ihre Wohnung. Er hielt sie nah bei sich, spähte wachsam in die Umgebung. Nichts Ungewöhnliches. Eine normale, lebendige Yuma-City-Nacht. Warm und Neonlicht erhellt. Menschengruppen passierten lachend die Straßen, sprachen angeregt, waren fröhlich. Pärchen turtelten. Manche stritten. Einzelne streunten umher, warteten auf Freunde, eine Taxe oder sonst ein Fahrzeug der Personenbeförderung. An einer Kreuzung war die Verkehrsführung wegen einer Baustelle geändert. Aus Restaurants und Bars drang gedämpft Stimmengewirr, begleitet von Musik. Nichts Ungewöhnliches. Überhaupt nichts. Als sie die Wohnung betraten, schien sie auf den ersten Blick leer. Dann entdeckten sie Saber und Beth auf dem Balkon. Sie schauten in die Nacht, saßen auf einem Stuhl, ein zweiter stand unbeachtet nah daneben. Beth Kopf ruhte auf der Schulter des Recken. Seine Hände hielten ihre Taille auf seinem Schoß. Snow sah zu Colt. Etwas in ihrem Blick hatte sich verändert. Sie griff nach seinem Hut, nahm ihn mit einer raschen Bewegung von seinem Kopf und warf ihn in die Wohnküche. Er glitt über den glatten Boden, kam gut sichtbar beinahe in der Mitte zum Halten. Colt schaute ihm erstaunt nach. Noch erstaunter sah er auf die Hände, die plötzlich an seinem Kragen zogen und ihn in Richtung ihres Zimmers zerrten. Die Tür plauzte hinter ihnen zu. „Einverstanden“, sagte sie leise, ihre Stimme wie feiner Rauch. „Einverstanden?“ Perplex blinzelte er, fand den Zusammenhang nicht gleich. „Mit dem was du über das Spüren gesagt hast.“ In Colts Kopf überschlugen sich die Gedanken. Die Erinnerung an seine Worte auf dem Schießstand purzelte wild durch seinen Kopf. Vom Spüren hatte er gesprochen. Welche Weise schwebte ihr vor? In seiner Phantasie blitzten alle möglichen Sehnsüchte bildhaft auf. Was davon nur? Er konnte kaum ein Bild festhalten - dafür müsste die Blutversorgung seiner Hirnwindungen störungsfrei funktionieren. Diese allerdings zentrierte sich nun unablässig in seiner Körpermitte. Sie zog ihn noch einige Schritte in den Raum, lotste ihn in Richtung ihres Bettes. Er griff nach ihren Händen, umschloss ihre Handgelenke. „Snow…“ Worte bitte, Worte. „Snow, was genau meinst du mit Einverstanden und Spüren.“ Wenn sie jetzt nicht die wilden Gedanken bezähmte, würde er schlichtweg den Verstand verlieren. „Ich meine, dass ich dich auch an mir spüren will“, gab sie zurück, milden Rauch noch immer in ihrer Stimmen. Er nickte träge, die Gedanken nun einigermaßen im Griff. „Okay. Du willst es. Du kriegst es.“ Damit griff Colt seinerseits nach ihr. Ehe Snow es sich versah, packte er ihre Taille und hob sie hoch. Er trug sie die wenigen verbliebenen Schritte zu ihrem Bett und legte sie darauf. Im nächsten Moment war er über ihr und eroberte ihre weichen Lippen stürmisch. Dass sie ihre Arme um seinen Hals schlang und ihn zu sich zog, bestärkte ihn in seinem Vorhaben. Stürmisch glitten seine Hände unter den Stoff ihrer Kleidung, ertasteten die weiche, straffe Haut darunter. Snow kam ihm entgegen, nicht beherrschter als er löste sie die Knöpfe seines Hemdes und streifte es von seinem Körper. Begierig erkundeten ihre Finger seine Brust, die Sehnen und Muskeln unter der glühenden Haut. Colt drängte sich zwischen ihre Beine, strich mit der Hand über ihre Taille, zu ihrem Bauch und schob seine Finger unter den Stoff, der ihre Hüften verhüllte. Ein Stöhnen entwich den hitzigen Küssen, als er Snows Hände an seinem Gürtel fühlte. Ein Entgegenkommen. Er seufzte hungrig. Endlich. Das Paar auf dem Balkon bemerkte die Ankunft Snows und Colts, wandte sich aber wieder dem Ausblick zu, als Saber sah, wie Snow den Hut in den Raum warf. Das Signal war deutlich. Beide blieben noch eine Weile und genossen die Stille der Nacht und den Glanz ihrer Lichter, genossen die Zweisamkeit und den sacht nachhallenden Klang der eigenen, gelebten Intimität. Das Damoklesschwert, das über ihnen hing, warf einen Schatten auf das, was andere unbeschwert erleben durften. Als Beth sich in ihr Zimmer zurück zog, trat Colt aus dem Zimmer ihrer Schwester. Das nachlässig geknöpfte Hemd verriet, was ohnehin schon jeder wusste. Er nickte ihr zu, wünschte mit der Geste eine gute Nacht und nahm sich etwas zu trinken aus dem Kühlschrank. Saber schloss die Balkontür und sah seinen Freund und Kollegen an. „Es wird erst noch richtig lustig?“, fragte der Lockenkopf und nahm einige große Schlucke aus der Flasche. Der Schotte nickte. „Was erwartet uns? Was hast du mit Jean besprochen?“ Er setzte die Flasche ab und schaute in Richtung der Zimmertür Snows. Die Zuneigung und die Leidenschaft, die Nähe und das Vertrauen, das sich darin eben entfaltet und vertieft hatte, durfte nicht gefährdet werden. Er würde nicht zulassen, dass ihr etwas geschah. „Wenn sie erfolgreich sind und uns im richtigen Moment erwischen … dann einen Haufen Ärger. Einen ganzen Haufen“, seufzte der Blonde und bediente sich ebenfalls an den Getränken. „Sie werden zu schlagen, wenn wir unaufmerksam sind. Wahrscheinlich schneller, als wir ahnen, denn niemand kann so lange unablässig konzentriert sein. Sieh uns an. Wir sind ein gutes Beispiel.“ „Oder Fireball, der gerade nur noch Dienst an der untersten Grenze tut.“ Saber nickte. „Genau das, was April ablenkt, wenn sie nicht damit beschäftigt ist, Jean und seine Vorträge zu unterstützen. Wir sind alle nicht hundertprozentig da und bisher war es vielleicht auch nicht ganz so tragisch. Jeans Schätzung nach hatten wir diesen einen Monat, ehe sie ihnen auf die Spur kommen. Haben sie aber erstmal Witterung aufgenommen, was ziemlich sicher jetzt der Fall ist, werden sie schneller zu schlagen, als wir atmen können.“ Unzufrieden presste Colt die Lippen zusammen. „Wann, verdammt? Wie? Wo?“ Er ballte die Fäuste. „Es kann immer und überall sein und was wir auch erwarten, sie werden versuchen, das Gegenteil zu tun, um uns zu entwischen. Niemand, wirklich niemand, kann ständig mit allem rechnen, mit nichts und dem seltsamsten. Je mehr man sich auf das Ungewöhnliche konzentriert, desto eher über sieht man das Gewöhnliche.“ Ein frustriertes Stöhnen entwich ihm. Es war zum verrückt werden. Die Tage glitten gleichförmig dahin. Die Geschwister verhielten sich unauffällig, wie bisher, wie es ihre Art zu leben war. Keine Partys, keine Feiern, keine ausschweifenden Touren durch die Einkaufszentren oder sonst eine Aktivität, die schwer zu begleiten und überwachen war, die in irgendeiner Form Aufsehen erregen mochte. Die Schwestern gingen zur Universität, konzentrierten sich da auf ihre Kurse und kehrten anschließend in ihre Wohnung zurück. Ihre Freizeit bestand aus Vorbereitungen auf die Kurse, Hausarbeit und etwas Ablenkung in einem Park, in der Nähe der Universität. Garrett hatte Beth ohne Mühe für Schach begeistern können und sie hatte sich für einen Yoga-Kurs eingetragen, der regelmäßig dort statt fand. Währenddessen erklommen Ian und Snow die Kletterwände, spielten Tischtennis oder Basketball. So verschmolzen die vier in der Masse der Besucher, waren vor aller Augen unsichtbar. Jean-Claude war in seine Aufgabe für das Oberkommando vertieft und nahm sie sehr ernst. Hin und wieder gönnte er sich eine Abwechslung und ging mit April zum Joggen durch den Park, in dem sich auch seine Schwestern aufhielten. So konnte er sie immer wieder beobachten und sich überzeugen, dass es ihnen gut ging, ohne sich allzu sehr in ihr neues Leben einzumischen. Doch jetzt, da er mit Saber gesprochen hatte und einmal mehr ihre Situation überdachte, beruhigte diese Gleichmäßigkeit im Alltag nicht mehr. Es lief so routiniert vor sich hin, so wie Alltag es eben tat, dass er darin eine Gefahr zu wähnen begann. Regelmäßigkeit, jeder Ablauf fiel auf, wenn man erst einmal lange genug beobachtete. Erst recht, wenn man wusste, nach welchen Mustern man suchen musste. Lange wäre dieser Ablauf kein Schutz mehr. Er musste diese Abläufe durchbrechen. Diese Gewohnheiten erschufen eine Geborgenheit, die sie sich noch nicht leisten konnten. Nur wie? Was war die Alternative dazu? Arasmus nahm seine Sachen in Empfang. Man händigte ihm seine zivile Kleidung, seinen Geldbeutel und Papiere aus. Dienstmarke und Waffe behielt man ein. Beides befand sich längst bei der entsprechenden Verwahrstelle. Nichts davon würde er wieder sehen. Ihm wurde ein Schreiben überreicht, in dem seine unehrenhafte Entlassung festgehalten wurde, so wie Vorgaben nach denen er sich nun bis auf weiteres zu richten hatte. Er überflog den Wisch und schob ihn achtlos in den Umschlag zurück. Jenen Umschlag verstaute er nachlässig in seiner Tasche. Er nahm seine Wohnungsschlüssel an sich, sie klapperten hart auf der matten Metalltheke, und unterzeichnete den ordnungsgemäßen Empfang seines Eigentums. Dem Beamten dahinter warf er einen finsteren Blick zu. Der beobachtete ihn ohnehin schon die ganze Zeit mit Ablehnung. Sie sprachen kaum. Kaum jemand seiner früheren Kollegen, die noch den gleichen Job hatten wie er einst, hatte hier je mehr mit ihm gesprochen, als notwendig war. Keine Kollegen mehr. Keine Freunde mehr. Offenbar glaubten sie, er habe etwas Falsches getan. Er wollte wirklich gern wissen, wie sie an seiner Stelle gehandelt hätten, aber auf diese Frage, hatte er nie eine Antwort erhalten. „Schönen Tag noch“, verabschiedete ihn schließlich der Beamte und legte die Entlassungsdokumente in die dafür vorgesehene Ablage. Arasmus brummte etwas zurück, das alles Mögliche bedeuten konnte, aber nicht deutlich genug für eine klare Aussage war. Ein Wachmann kam auf ihn zu und salutierte nachlässig, ehe er ihn aus der Haftanstalt und ihre Sicherheitstüren führte. „Ich hätte die Kleine nicht angerührt“, meinte der Beamte an der Theke, als ein Kollege kam, um die Papiere abzuholen. „Warum? Weil sie dem Oberhelden gehört? Oder weil du fürchtest, dir fällt sonst was ab?“ „Das Risiko besteht immer, wenn du nicht weißt, wer vorher dran war, und scharf soll sie ja schon sein, heißt es.“ Er reichte dem Kollegen die Papiere. „Aber es könnte auch ein Grund sein, dass man das Mädel von nem anderen, einem Kollegen erst recht, ganz einfach nicht anrührt.“ „Was davon ist es?“ „Such dir was aus.“ Arasmus‘ Miene blieb düster, ganz gleich wie die Sonne vom wolkenlosen Himmel strahlte. Sie erhellte sich erst, als er am Tor seinen jüngeren Bruder Daniel sah. Ein kleines Lächeln überzog sein Gesicht. Wenigstens er war gekommen, wenn es den Rest der Familie schon nicht interessierte. Er umarmte ihn kräftig, klopfte ihm dankbar auf die Schulter. „Na, freier Mann, wie geht es dir?“ Daniel strahlte übers ganze Gesicht. „Bald besser, bald noch besser“, versicherte der ältere. „Das denke ich auch. Ich bin mir da ziemlich sicher.“ „Ach ja?“ Sie sahen sich um. Der Wachmann stand noch am Tor, als warte er auf den endgültigen Abgang des Entlassenen. So schlugen die Brüder den Weg in die Stadt ein. Das folgende Gespräch ging den ohnehin nichts an. „Ja“, eröffnete Daniel den Dialog erneut, als sie an der nächsten Ecke abbogen. „Es gibt sogar jemand, der uns helfen möchte.“ Arasmus hob erstaunt die Brauen. „Dad? Matthew?“, vermutete er. Das wäre die Überraschung schlichthin, da die beiden ihn während seines Aufenthaltes in der Haft nicht besucht hatten. Der jüngere schüttelte den Kopf und winkte ab, wollte sich dazu offensichtlich nicht äußern. „Du kommst nicht drauf“, versicherte er nur. „Aber jemand weiß von deinem Rattenproblem. Ganz sauber ist er nicht. Überhaupt nicht. Aber was soll’s. Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Oder nicht?“ Auf die gerunzelte Stirn und den skeptischen Blick seines Bruders hin, raunte er ihm einen Namen zu. „Bist du irre?“, entfuhr es dem überrascht. „Mit dem zu tanzen, kann einen Kopf und Kragen kosten.“ „Kann sein, aber weder unseren Kopf noch unseren Kragen. Überleg doch mal. Wir sind doch für den gar nicht wichtig. Der will nur ein paar Sachen wissen. Mehr nicht. Dann sind wir für ihn nicht mehr interessant. Aber wir werden dein Rattenproblem los. Er kann sich ausrechnen, dass wir ihn nicht hin hängen. Dann wären wir ja selbst dran. Win win, wenn du mich fragst.“ Arasmus schwieg nachdenklich, bis sie eine Unterführung erreichten und die Rolltreppe hinab fuhren. Im Gewirr der Menschen, die hier entlang liefen, auf die andere Seite der Unterführung oder zu den Gleisen der U-Bahnen, bahnten sie sich ihren Weg zu deren Abfahrtstationen. „Ich schätze, du hast Recht“, meinte Arasmus, als sie auf ihren Zug warteten. „Er kann uns nichts tun, das würde zu ihm führen.“ Die Bahn näherte sich, kam vor ihnen zum Stillstand. Die Türen glitten auf, entließen Menschen auf den Bahnsteig. Die Brüder stiegen ein und sahen sich an. Dann nickten sie einander zu. Es würde klappen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)