Enemy mine - geliebter Feind II von collie ================================================================================ Kapitel 1: Kapitel 1 -------------------- Gleich am nächsten Morgen packten die Geschwister ihre Sachen zusammen, um die Wohnungen zu beziehen. Garrett McLeod und Ian Broik transportierten die wenigen Möbel vom Gelände des KOK ab, parkten die beiden Transporter vor den Wohnblöcken und verschwanden dann im Umland, um Ausschau zu halten, ob sich Verdächtige im Umkreis der Schwestern bewegten. Die Ramrod-Crew half den Geschwistern beim Aufbauen der Möbel, prüfte während sie diese hochtrugen noch einmal die Korridore und auch die Wohnungen. Colt und Saber hatten den Schwestern nicht gestattet etwas anderes zu tragen, als ihre Koffer und selbst die bugsierten sie für die beiden noch in den Fahrstuhl, ehe sie die Regalbretter über die Treppen hinauf trugen. Die Mädchen betraten die Wohnung und sahen sich darin um. Die Einbauküche, so schmal sie auch war, befanden sie als praktisch. Sie befüllten den Kühlschrank mit ihrem kleinen Einkauf, den sie erledigt hatten, während ihre Möbel geholt worden waren. Dann schauten sie sich weiter in der Wohnung um, besprachen die Zuteilung der beiden Zimmer und traten auf den Balkon. Sie schauten sich suchend um und entdeckten im gegenüberliegenden Wohnblick den Balkon ihres Bruders. Dann wurde ihre Aufmerksamkeit auf die Wohnungstür gelenkt. „Ein wenig tiefer, Superschwert. Ich will nicht gleich zum Renovieren ausrücken müssen, weil du den Türstock mitreißt“, keuchte Colt. „Noch tiefer und ich rutsch auf Knien herum.“ Der Schrank zwischen ihnen bewegte sich abrupt. „Gut so?“ tönte es dahinter hervor. Gespannt beobachteten die beiden Schwestern das Treiben. „Warte …“ Colt umfasste noch einmal den Schrank. „Ja, gut so.“ Colt, der Schrank und Saber wankten in die Wohnung. „In welches Zimmer kommt der Schrank? Ich will ihn nach Möglichkeit nur einmal anheben müssen“, ächzte Saber. Beth wies auf die erste Tür. „Gleich da, in Snows Zimmer.“ Anziehend sahen sie aus, die beiden. Die Muskulatur ihrer Arme trat unter den kurzen Ärmeln ihrer T-Shirts deutlich hervor, wurde von dem Stoff nicht wirklich verborgen. An ihren Hälsen spannten sich die Sehnen sichtlich, offenbarten die Anstrengung das schwere Möbelstück zu tragen. Ihre Gesichter waren von der Mühe verzehrt. Feine Rinnsale Schweiß liefen an ihrem Haaransatz entlang, hinterließen glänzende Spuren, die der Stoff ihrer Shirts aufsog. Kraft strahlten sie aus, und Stärke, zogen die Blicke der Mädchen auf sich und hielten sie gebannt auf diesen Einzelheiten. Sie zauberten den Schwestern ein verträumtes zartes Lächeln auf die Lippen. „Sie sind ganz schön wehleidig, findest du nicht?“, meinte Snow, als die Saber und Colt den Schrank in ihr Zimmer wuchteten. Beth hob die Schultern, unschlüssig, ob sie es auch so betrachten sollte. „Okay. Das ‚Wehleidig‘ hab ich überhört“, keuchte Saber, während er mit Colt den Schrank abstellte und an die Wand schob. „Kommt erst mal in unser Alter“, lachte der Scharfschütze angestrengt und klopfte sich schließlich den Staub von der Hose, nachdem das Möbelstück endlich stand. Beide betraten die Wohnküche und bedienten sich am Kühlschrank, in dem die Mädchen zuvor einige Getränke kühl gestellt hatten. „Es ist tatsächlich ungewöhnlich. Bei uns wird in der Regel angewiesen. Hoch, runter, rechts, links, abstellen, fertig“, erklärte Beth sachlich. „Auf körperliche Befindlichkeiten wird erst hingewiesen, wenn ein Schaden entstanden ist. Bevor das Rückgrat nicht gebrochen ist, sagt keiner einen Ton“, ergänzte ihre Schwester. Beide beobachteten die Schluckbewegungen der Trinkenden. Die Spannung der Sehnen ihrer Hälse hatte nach gelassen, war aber noch nicht gänzlich gewichen. Es fesselte ihre Blicke erneut. „Wir brauchen das. So ein wenig Mitleid hilft uns über den Tag“, erklärte der Lockenkopf, nachdem er die Flasche in großen Schlucken zur Hälfte gelehrt hatte. Nicht weniger durstig war der Schotte. „Da sind wir bei euch eindeutig an der falschen Adresse“, schmunzelte er nun erfrischt. Erstaunt hob die jüngere die Brauen. Ihre Schwester brachte ihren Koffer ins Zimmer und begann den Schrank einzuräumen. „Wie das? Wieso bei uns an der falschen Adresse?“ „Ihr hattet mit uns ja gerade kein Mitleid, deswegen. Aber das macht nichts. Auch April hätte uns gerade nicht bemitleidet, obwohl sie ein sehr mitfühlender Mensch ist“, erwiderte Saber und folgte den Beth nach, die sich anschickte ihrer Schwester zu helfen. „Ja, genau! Deswegen ist sie ja unser Dampfhammer“, lachte Colt unverändert munter und schloss sich ihnen an. Beth reichte ihrer Schwester Shirts, die sie ordentlich in den Schrank legte. Nur einen Moment lang hielten sie bei diesen Worten inne. „Also, ihr meint, weil wir auf einen Unterschied hingewiesen haben, fehle es uns an Mitgefühl?“, hakte die jüngere nach, aber auch die ältere hatte ihre Schwierigkeiten zu folgen. Was hatte denn bitte April damit zu tun? Die blonde Navigatorin war zum Glück nicht mal anwesend. Abgesehen davon kam sie Snow hin und wieder etwas mädchenhaft vor. Warum sonst sprach Colt hin und wieder von ihr als der Prinzessin und damit so, als wäre sie jemand besonders für ihn? „Warum soll für uns interessant sein, was April tun würde?“ Der Schotte hob die Brauen und verstand. „Wir haben das offenbar in eure Worte hineininterpretiert, ja. Wenn wir uns gegenseitig als wehleidig bezeichnen, hat das nahezu immer eine negative Wertung“, erklärte er Beth. Der Scharfschütze unterstützte ihn ergänzend. „Wir neigen dazu, auch Feststellungen eine emotionale Bedeutung zu geben. Ein Mensch ist so gut wie nie sachlich. Hat was mit Sender und Empfänger zu tun und den Kommunikationsebenen.“ Mit der Erklärung konnte Beth etwas anfangen. Davon hatte sie in ihren Vorbereitungskursen schon gehört. „Aha, wir hören also verstärkt auf dem analytischen Ohr und ihr auf der Beziehungsebene. Ich hätte gedacht, es wäre das Appellohr.“ „Oh, und nicht zu vergessen, eine Beziehungsebene haben wir wohl nicht“, stichelte die weißhaarige und hängte eine Hose in den Schrank. „Für eine Beziehungsebene muss man erst mal ne Beziehung haben, was als Single eher schwierig ist“, gab der Cowboy leichthin zurück. „Das kommt auch immer auf das Gegenüber an. Bei Commander Eagle ist es ganz klar das Appellohr. Wenn ich mit Colt oder Fireball rede, tja dann... auch schon mal das taube Ohr“, lächelte der Blonde. „Ah, gut das zu wissen. Dann erweitere ich mal meinen Suchkreis“, versetzte Snow energisch auf die Worte des Scharfschützen und nahm schwungvoll die Röcke an sich, die ihr ihre Schwester reichte. „Das wäre wohl weniger problematisch, hättet ihr ein anderes Verhältnis zu Hierarchien und wahrscheinlich betrachtet ihr das auch weniger als problematisch“, erwiderte die junge Frau mit den blass lila Haaren und überlegte einen Augenblick. „Lass uns den zweiten Schrank holen.“ „Du kannst deinen Radar besser einstellen, dann musst du den Suchkreis nicht erweitern“, meinte der Lockenkopf munter auf die temperamentvolle Äußerung Snows ehe er sich an deren Schwester wandte. „Ist der auch so schwer?“ „Es ist manchmal problematisch, eben weil die Beziehung zueinander manchmal nicht klar ist. Aber in der Regel erkennt man den Unterschied, ob ich zum Beispiel als Vorgesetzter einen Befehl gebe, oder ob ich als Freund einen Vorschlag mache. Das lernt man mit der Zeit“, wandte sich auch Saber zum Gehen um den nächsten Schrank zu holen. Weit kamen die drei allerdings nicht. Snow brauste auf. „Was denkst du eigentlich?“ fuhr sie den Lockenkopf an. „Snow, Belastung“, mahnte Beth sanft. „Sorry, hab das Stoppschild übersehen“, entfuhr es dem perplex. Wie es zu diesem Ausbruch gekommen war, konnte er sich nicht sofort erklären. Ebenso hob der Recke erstaunt die Brauen. Was hatte es mit der „Belastung“ auf sich? Sie hatte schon einmal davon gesprochen, als wäre es ihr unangenehm. Als wäre es irgendein Fehler, ein Makel, den sie und ihre Familie nicht los wurde. Jean-Claude selbst hatte von einem ‚genetischen Defekt‘ gesprochen, ebenso davon, dass er und seine Familie nicht in der Phantomzone leben konnten. Hing das irgendwie zusammen? Hatte es was mit den Hormonen zu tun, die für den Bruder der jungen Frau so massiv ein Problem darzustellen schienen? Es kam dem Schotten seltsam vor, warf immer wieder Fragen in ihm auf. Jetzt sprach er diese auch aus. „Okay, ich muss jetzt nachfragen, weil ich es zum dritten Mal höre und immer noch nicht verstanden hab. Welche Belastung, Beth? Du hast schon einmal erzählt, eure Familie wäre belastet? Womit?“ Die Schwestern tauschten Blicke, als schiene ihnen etwas nicht recht zu behagen. Dann trat die jüngere auf den Recken zu und führte ihn aus dem Raum. Die ältere wandte sich an den Cowboy, der geblieben war. „Weißt du, ich gehe davon aus, dass mir jemand zu hört, wenn ich ihm was erkläre. Ich habe dir das mit der Symbiose erklärt. Ich dachte, das wäre deutlich gewesen.“ Sie klang energisch. „Ich habe dir auch zugehört und du warst deutlich“, versicherte der. „Ich bin mit meinem Übermut über das Ziel hinaus geschossen. Das war keine absichtliche Absicht. Du weißt, ich liebe es, mir mit jemand Wortgefechte zu liefern. Manchmal vergesse ich, dass mein Gegenüber meinen Spaß nicht versteht.“ Er rechtfertigte sich. Er rechtfertigte sich nicht mal vor Saber, nicht, wenn es nicht dienstlich war und auch nur dann ausgesprochen ungern und eher patzig. „Darum geht es nicht. Du bist kein Single. Ich bin kein Single. Oder muss ich Paarungsbereitschaft signalisieren, damit du das verstehst?“ Paarungsbereitschaft signalisieren – für einen Moment legte die Formulierung seine Gedanken lahm und entfachte seine Phantasie. Ihm fielen tausend Dinge ein, die er bei einem solchen Signal mit ihr machen würde. Egal wie sie es dann sagte, es reichte der ganz platte Ansatz mit „Fi …“, und sie würde in den folgenden drei Tage seine Wohnung nicht mehr durchqueren. Er würde sie an Bett ketten und jede Idee umsetzen, ehe sie wusste, wie ihr geschah. Er atmete aus und schob diese Phantasien von sich. „Ja, nein …“ Er versuchte es. „Du musst nicht. Du musst gar nichts. Ich“, Das tat weh, was er ihr nun zugestehen würde. Aber sie war es ganz einfach wert. „Ich muss mich erst daran gewöhnen, dass du es eben nicht sofort signalisierst und es trotzdem nichts an deiner Zuneigung ändert.“ Die Erinnerung an ihre Küsse streifte ihn. Zuneigung darin war nicht zu leugnen. „Kein Outrider würde in der Phase des Kennenlernens physisch werden“, erwiderte sie nüchtern. Das gehörte für die Mehrheit in die zweite Phase. Sie war die Ausnahme. Colt trat auf sie zu. Sie stand noch immer vor dem Schrank, ließ die Hand von dem Bügel gleiten, den sie eben hatte entnehmen wollen. Ihr Blick senkte sich zu Boden. „Verstehe“ erklang es tonlos von ihm. „Ich werde versuchen mich zu zügeln.“ Seine Wasserrechnung würde jede Skala sprengen. „Zügeln? In wie weit?“ Sie sah ihn aufmerksam an. Colt atmete tief aus. Direkt und ehrlich, entschied er. Nichts anderes half ihm jetzt. Auf den charmanten Bengel sprang sie nicht an und anders als bei anderen, zog Witz bei ihr in Momenten wie diesem überhaupt nicht. „Ich werde mich in Geduld und Rücksicht üben. Ich will, dass das mit uns beiden klappt, Snow. Aber ehrlich? Wenn ich dich ansehe, mit deinem hübschen Lächeln, deinen süßen Lippen, dann möchte ich dich einfach packen, mit dir verschwinden und dich küssen und...“ Das dürfte deutlich genug gewesen sein. Den Rest konnte sie sich denken. „Gut, beim Küssen sind wir uns einig.“ Sie klang sachlich, doch sie trat endlich von dem Schrank weg und schloss dessen Türen. „Darf ich dann?“ Wenigstens eine Umarmung. Wenigstens einen Kuss, oder zwei, ganz gleich wonach er sich sonst noch sehnte. „Ich kann's dir auch schriftlich geben“, grinste sie und schlang ihre Arme um seinen Hals. Er legte seine um ihre Taille, flehte gedanklich. „Na, schriftlich muss nicht sein. Aber du darfst es mir jederzeit zeigen.“ Am liebsten wäre ihm jetzt. Sie kam ihm entgegen und presste, gelobt sei wer auch immer, ihre wundervollen Lippen auf seine. Er zog sie näher, genoss die Weichheit ihres Mundes und ihre neugierige, abenteuerlustige Zunge. Er schloss die Augen und umfasste sie fester. Sie schob sich näher an ihn und drohte seine sieben Sinne lahm zu legen. Aber wer brauchte die schon, bei diesen Küssen. Sein Hut glitt in seinen Nacken. Er seufzte leicht und fuhr mit der Hand in ihr Haar. Beth führte Saber in die Wohnküche und gab so ihrer Schwester Zeit zu klären, was sie mit dem Lockenkopf zu klären hatte. Sie nahm sich selbst ein Wasser aus dem Kühlschrank, lehnte sich leicht gegen die Anrichte und nahm einen Schluck. Sie spielte auf Zeit, suchte nach den passenden Worten. Geduldig wartete der Schotte, beobachtete wie sie eine weiche Strähne hinter ihr Ohr strich und ihre Brauen nachdenklich auf und ab zuckten, kaum merklich aber lebhaft. „Ich sagte bereits, die Symbiose unserer Eltern war sehr liebevoll, beinahe übermäßig. Unsere Belastung könnte daher kommen“, begann sie dann als fiele es ihr schwer, darüber zu sprechen. „Du weißt auch, dass ein ... Übermaß an ... Emotionalität bei uns nicht zwingend geschätzt wird. Es belastet die Effektivität.“ Er nickte langsam. „Ich verstehe, was du mir damit sagen willst, Beth. Aber ich tue mir schwer damit, zu begreifen, dass ein Mehr an Emotion und Gefühlen negativ behaftet sein kann. Ich meine, wenn du von einem Übermaß sprichst, dann ist das für einen Menschen immer noch nahe an einem sehr beherrschten Menschen.“ „Damit ist es sehr menschlich und, wie gesagt, ausgesprochen störend.“ Sie fuhr sich hastig durchs Haar, zerzauste ihre Wellen, ehe sie in ihrer eher sachlichen Art fortfuhr. „Annabell war von dieser Belastung am wenigsten betroffen. Das machte sie zu einer guten Agentin, die ihren Auftrag ausführen konnte, da sie klar zwischen dieser Mission und ihrem Leben in Symbiose unterschieden hat. Jean ist stärker belastet als sie, entspricht dem, was ihr einen beherrschten Menschen nennt. Snow und ich am stärksten belastet, wie du ja merkst.“ „Mir ist aufgefallen, dass ihr emotionaler seid, als andere Outrider, aber ich habe bislang nicht gedacht, dass ihr deswegen stigmatisiert werdet. Wie du auch schon bemerkt hast, hatten wir bislang nur beruflich mit Outridern zu tun.“ Nun nickte sie. „So ist es aber. Deshalb flohen wir. Es ist ein Stigma.“ Sie schaute mit ihren großen Augen zu ihm auf, eindringlich, wollte ihm begreiflich machen. „Saber, wir beide sind uns einig, dass wir uns eine Symbiose wünschen, vielleicht haben wir auch schon eine, nach eurem Ermessen. Nach unserem befinden wir uns noch in der Phase des Kennenlernens. Kein Outrider würde da physisch werden, schon gar nicht in dem Ausmaß, wie wir.“ Er wusste sofort wovon sie sprach, die Erinnerung an ihre Hände fuhr ihm heiß durch den Körper, machte seine Stimme rauer, als er antwortete: „Ja, wir sind uns einig. Nach unserem Ermessen sind wir einen Schritt über das Kennenlernen hinaus, also über das mentale Kennenlernen. Körperlich wird es auch bei uns nur, wenn die erste Phase gut verläuft, aber eben schneller als bei euch.“ Ihre Augen flackerten leicht, darum beeilte er sich zu ergänzen. „Wir gehen diese Schritte nur, wenn du dich dazu bereit fühlst. Ich will nicht, dass du irgendwas tun musst, weil du meinst, es entspräche unserer Definition einer Symbiose.“ „Ich weiß“, nickte sie überzeugt. „Wäre ich nicht belastet, wüsste ich das nicht. Aber ich weiß es.“ Woher sie ihre Gewissheit nahm, woran sie sie festmachen und beweisen konnte, wusste sie nicht. Doch hatte sie auch keinen Zweifel daran. Leicht streckte sie die Hand nach ihm aus. Scheu, fragend, vielleicht unsicher, berührte sie seine Taille. „Gut. Ich bin froh.“ Er nahm ihre Hand und führte sie um seine Gürtellinie auf seinen Rücken. So zog der sie näher zu sich, machte selbst einen kleinen Schritt auf sie zu. Sie schlang ihre Arme um ihn und lehnte ihren Kopf an seine Brust. Mandelblütenduft drang in seine Nase. „Ich bin sehr belastet.“ Sie klang, als entschuldige sie sich. „Belastet ist kein gutes Wort dafür, Beth.“ Er runzelte die Stirn. „Für mich bist du nicht belastet. Du hast ein seltenes Talent, eine Gabe, die den anderen fehlt.“ Er presste sie an sich, strich über ihren Rücken, ihre Taille hinab und umfasste sanft ihre Hüften. „Das kommt wohl sehr auf den Betrachter an“, murmelte sie. Sie hob ihren Kopf und schaute zu ihm auf. Ihr Blick verfing sich in seinen blauen Augen, versank darin für einen Moment. „Es ist wie ich bin. Ich habe keinen Einfluss darauf.“ Ihre Finger glitten hinauf zu seinen Nacken, fuhren zart in sein Haar, fühlten die leichte Feuchtigkeit des Schweißes von der Anstrengung des Schranktransportes. Die Fransen seines Ponys, jetzt da es ihr gelang den Blick von seinen Augen zu lösen, waren leicht zerzaust, glänzten zart im Tageslicht im Raum. „Ich glaube, ich will es auch nicht.“ Sie flüsterte ohne es zu bemerken. Er schluckte leicht und schob sie an der Hüfte auf die Arbeitsplatte. „Ich will nicht, dass du irgendetwas an dir änderst.“ Sein Mund suchte ihren. Er legte eine Hand in ihren Nacken und zog sie näher zu sich. Sie schloss die Augen und kam ihm entgegen. Sie schmiegten sich an einander. Der Umzug geriet in Vergessenheit. Die Stimmung war angespannt und bedrückend, als April Fireball und Jean-Claude dessen neue Bleibe betraten. Der Rennfahrer war unausgeschlafen, wortkarg und mürrisch. Der Outrider konzentrierte sich sachlich auf die Aufgabe des heutigen Tages und trug einige Bretter für ein Regal zum Fahrstuhl. Er wartete, bis April hinzustieg und drückte dann den Knopf, der sie zum obersten Stockwerk fahren würde. Sie selbst hatte schlecht geschlafen, war noch aufgewühlt, wenn sie an den Streit vom Vortag mit ihrem Freund dachte. Sie konnte sich nur schwer einen Reim darauf machen, wie es dazu gekommen war. Ja, es war nicht schwer zu zugeben, dass sie die Angelegenheit mit dem Schichtdienst nicht gerade richtig gelöst hatte. Sie hatte die Schicht einfach begonnen, zum einen, weil sie einen Befehl erhalten hatte, zum anderen, weil sie tatsächlich etwas Abstand zu seinem mürrischen schweigsamen Verhalten gebraucht hatte. Sie war davon ausgegangen, dass es keine allzu große Sache war, immerhin hätten sie die Möglichkeit am Abend gehabt, sich ein gutes Schichtsystem auszumachen. Dass er ihr vorgeworfen hatte, ihn diesbezüglich völlig zu ignorieren, empfand sie als unfair. Obwohl, sie musste einräumen, von seinem Standpunkt aus wirkte es wohl auch so. Am Abend waren sie nicht zu diesem Gespräch gekommen. Fireball war einkaufen gewesen und hatte sich danach nur ihre Übergabe angehört, war ihrem Blick ausgewichen. Er schmollte noch immer. Es war schwer mit ihm zu reden, wenn er erstmal in dieser Stimmung war. Meist gab sie sich nach einem Tag, aber davon war gegenwärtig noch nichts zu spüren. Das belastete April. Jean-Claude war ruhig, ließ sich von Fireballs Launen nicht beeinflussen oder erschüttern. Sie prallte an ihm ab. Das gab April selbst etwas Ruhe und Sachlichkeit. Fireball stampfte seinen Frust in die Stufen, während er die zehn Stockwerke hinauf stieg und die vier schmalen Latten für den Regalrahmen, die nicht in den Aufzug gepasst hatten, mit sich schleifte. Er hatte sich die Nacht um die Ohren geschlagen, nachdem April ihm ungefragt diese Schicht aufgedrückt hatte und nicht mal, als er sie darauf aufmerksam gemacht hatte, von dieser Regelung zurück gewichen war. Immerhin, so gab er zu, war es ihm so rum doch lieber. Er würde ohnehin nicht schlafen können, hätte sie die Nachtschicht übernommen. Wer wusste schon, was er dann verpasste und irgendetwas war ihm ganz bestimmt entgangen. Warum wollte sie auf einmal Abstand zu ihm? Sie hatten bis vor kurzem eine gute Beziehung geführt. Bis Jean-Claude aufgetaucht war. Seit dem hatte er das Gefühl, April kümmerte sich nur noch um ihn, wenn der Outrider nicht anwesend war. War er es, half sie ihm bei der Vorbereitung auf seine nächsten Gespräche beim Oberkommando, was viel Zeit in Anspruch nahm. Fireball stand dann hinten an, wie es ihm vorkam. Es störte ihn gewaltig, war von einer normalen Beziehung für ihn nichts mehr übrig geblieben und wuchs der Eindruck in ihm, sie würde sich von ihm distanzieren, ohne es offen anzusprechen, wie sie es sonst tat. Das sollte er doch nicht etwa verstehen. Die Fahrstuhltüren öffneten sich, als er die Etage endlich erreichte. Er sah April und Jean-Claude aussteigen. Kapitel 2: Kapitel 2 -------------------- April trug den Werkzeugkoffer in seine Wohnung. Der Outrider folgte ihr und trug die Bretter hinein. Schnaufend trabte der Rennfahrer hinter her. Jean-Claude legte die Bretter vor die Wand, an der das Regal aufgestellt werden sollte und nahm der Blondine die dankend den Werkzeugkoffer ab. Der Rennfahrer schob sich schnaufend an den beiden vorbei und legte die Hölzer dazu. Dann lehnte er sich keuchend an die Wand. „Jederzeit“, brummte er auf den Dank des grünhaarigen, der sicher mal nicht ihm gegolten hatte. Der sah ihn an, musterte ihn von Kopf bis Fuß und fragte ernst: „Sollen wir einen Arzt rufen?“ Verwirrt runzelte der Gefragte die Stirn. „Was willst du mit einem Arzt? Der kann dir beim Aufbauen auch nicht helfen.“ „So wie du dich anhörst, hast du dich verletzt. Dann ist ein Arzt notwendig“, stellte der Outrider sachlich fest. Fremd war, dass jemand so keuchen und japsen konnte, wie es der Wuschelkopf tat. April schaute verwundert von einem zum anderen. Konnte es sein, dass Jean-Claude auf seine outriderische Weise sogar fürsorglich war? Kühl und distanziert wie so oft, wie es seine Art war? Fireball wollte frustriert den Kopf gegen die Wand schlagen, aber wahrscheinlich rief der Phantomfutzi dann tatsächlich den Rettungswagen. Auf das Tamtam hatte er wirklich keine Lust. „Du brauchst gleich einen Arzt, wenn du mir noch weiter mit dem Gelaber auf die Backen gehst“, brummte Fireball warnend. „Mann, es sind gefühlt fünfunddreißig Grad und die beschissen Latten tragen sich nicht von allein in den zehnten Stock.“ „Wenn du dich nicht verletzt hast, warum hechelst du wie ein gejagter Hund und drohst mir körperliche Versehrtheit an.“ Jean-Claude schien die Drohung wenig zu beeindrucken und April erkannte hinter seiner Sachlichkeit das Missverständnis der unterschiedlichen Völker. Der grünhaarige machte nun zum wiederholten Male den Zustand des Wuschelkopfes zum Thema. Offensichtlich lag hier das Missverständnis vor und Fireball erkannte es in seiner schlechten Laune nicht, fühlte sich eher noch provoziert. „Warum kümmern wir uns nicht um das Regal?“, schlug die Navigatorin vor, um das Thema zu wechseln. „Fireball, da drüben steht was zu trinken. Bediene dich doch.“ Ein kühles Getränk erfrischte ihn sicher und hob seine Stimmung vielleicht wieder. Ein Spaß war es sicher nicht gewesen, die Latten hier rauf zu schleppen, wie er gesagt hatte, da tat eine Cola und eine Pause sicher gut. „Ich helfe Jean so lange mit dem Regal.“ Verdutzt schaute der Rennfahrer seine Freundin an. Statt ihm zu helfen und ihn in Schutz zu nehmen, zog sie es also vor, den Outrider zu unterstützen. Trotz der Hitze fror er innerlich. Abstand wollte sie auch noch. Da war ihm doch fast alles klar. Er trotte zu der Getränkekiste vor dem Balkonfenster und brummte, dem grünhaarigen im Vorbeigehen zu. „Ich jag dich mal zehn Stockwerke mit Ballast hoch. Nach ner Nachtschicht. Dann ist der hechelnde Hund noch ein Kompliment.“ Dann langte er nach einer Flasche aus der Kiste, öffnete sie und stürzte den Inhalt seine Kehle hinunter. Jean-Claude hatte Mühe ein Kopfschütteln zu unterdrücken. Was sollte schon dabei sein nach einer Nachtschicht zehn Stockwerke bei Hitze ein paar Latten rauf zu tragen? Kein Outrider würde darüber jammern, aber Menschen schienen da offenbar eine andere Belastungsgrenze zu haben. „Ich verstehe nicht, wo die Schwierigkeit sein soll?“, gab er schulterzuckend zu. „Ich denke, wir sind da einfach anders als ihr“, bemühte April sich um eine diplomatische Antwort, die hoffentlich auch Fireball wieder beruhigte. Allerdings hatte sie sich da verrechnet. „Hoffentlich gibt's da einen Unterschied“, maulte der. „Du meinst, abgesehen von unserem Wasserkonsum und unserer Fähigkeit ohne Sauerstoff auszukommen? Wir können unsere Haare nicht färben“, antwortete er und begann die Rahmenlatten aufzustellen. Dann prüfte er die Stellen, an denen sie zusammen geschraubt werden mussten um später die Bretter darauf zu legen. April half ihm dabei. „Lass uns das Regal zusammenbauen. Ich will irgendwann noch ins Bett.“ Missmutig leerte der Rennfahrer die Flasche und stellte sie in die Kiste zurück. „Niemand hält dich davon ab. Genauso wenig, wie dich jemand zurück hält, falls du gehen willst. Du kannst auch da drüben schlafen.“ Dabei wies Jean-Claude auf die Schlafnische, in der sein Bett schon aufgebaut worden war. „Soll das Regal hier stehen?“, erkundigte sich April und sortierte, auf sein Nicken hin, die Teile auf den Boden, so dass sie sie leichter zusammen montieren konnten. Fireball beobachtete die beiden. Sie arbeiteten Hand in Hand, verstanden sich beinahe wortlos und er stand daneben, wie bestellt und nicht abgeholt. April ignorierte ihn einmal mehr, half, einmal mehr, Jean-Claude. Der hatte ihn auch noch, Fireball fasste es nicht, aus der Wohnung komplimentiert. Das war einfach nur dreist. Grollend ballte er die Fäuste. „Das hättest du gerne. Ich lass dich sicher nicht mit MEINER Freundin allein in DEINER Wohnung“, bellte er. Womöglich weihten sie dann das Bett ein und so schmal wie das war, konnte man sie nur darauf stapeln. Beide hielten überrascht inne, als sie so angefahren wurden. „Ich hätte gern die Wohnung eingerichtet, damit ich hier bleiben kann. Ich habe für deinen Hormonüberschuss keine Zeit“, entgegnete Jean-Claude schlicht und trocken, während Aprils Fassung zu bröckeln begann. Was sollte das nur gerade? „Wenn man mit dir nicht arbeiten kann, geh besser und überlege dir gründlich, was oder WEN du als dein Eigentum bezeichnest!“, versetzte sie. Ihre Stimme bebte vor Empörung, nicht nur über sein gereiztes Verhalten sondern auch über den Besitzanspruch, den er da vermeldete, als hätte sie gar nichts zu sagen. Das schlug dem Fass den Boden aus. Darin waren sie sich einig. „Ich bezeichne dich nicht als Eigentum“, polterte der Hitzkopf nun los. „Ich frag mich aber mittlerweile, was das alles hier soll? Du kommst mit ihm“ Er wies auf Jean-Claude. „von der ersten Besprechung zu Ramrod zurück, lachend, Arm in Arm. Du quartierst ihn bei UNS zuhause ein, ohne das vorher abzusprechen. Egal, worüber wir die letzten Wochen gesprochen haben, es ging immer um ihn. Du hast kein anderes Thema mehr, keine Lust mehr auf irgendwas. Seit der ganze Zirkus mit ihm und seinen Schwestern angefangen hat, haben wir keine zwei Minuten mehr für uns gehabt. Jetzt darf ich mir auch noch die Nächte um die Ohren schlagen. Mir reicht's langsam mal.“ Unter dem Schwall an Vorwürfen wich ihr die Farbe aus dem Gesicht. Erst hatte sie überlegt, wie sinnvoll eine Erklärung wohl sein würde, dann strich sie den Gedanken. Auch zu äußern, dass sie mitten in der Nacht, wenn sie schon schlief oder dabei war ins Reich der Träume zu dämmern, kein Zeitpunkt war, in dem sie hätte darüber reden wollen oder können und das es bei Tage aufgrund seiner wortkargen Miesepetrigkeit auch nicht so aussah, als könne sie das Problem aus der Welt schaffen, sich erklären oder rechtfertigen. Zwecklos. Jedes Wort. Ruhe und Sachlichkeit erreichten ihn nicht. Doch ganz auf sich sitzen lassen konnte sie das Gesagte auch nicht. „Hättest du einen Ton zu alledem einmal früher gesagt, hätte man darüber reden können. Aber so werde ich mich nicht mit dir unterhalten. Du bist unsachlich und ... argumentierst wie ein kleines Kind“, erklärte sie entschieden. Wenn ihre Stimme doch nur nicht zittern würde. „Mir reicht es auch, dass du nur vor dich hin grummelst und deine Laune an alles und jedem auslässt, ob er nun was dafür kann oder nicht.“ Der Outrider beobachtete die beiden Streitenden. Während April blass geworden war und ihre Stimme verhalten bebte, war der Rennfahrer tatsächlich Zornesrot. So sah das also aus. Seine Arme waren angespannt, seine Fäuste geballt, als könne er so die Fassung wieder erlangen, die ihm vor einiger Zeit schon flöten gegangen war. Doch dieser physische Versuch seine Psyche zu beherrschen scheiterte. Jämmerlichst. „Wann hättest du dir die Zeit genommen? Alles andere war wichtiger für dich. Egal, wann ich mit dir sprechen wollte, du hattest keine Zeit oder keine Lust. Erzähl mir nicht, dass in dir nicht der Frust aufsteigen würde, wenn ich einfach irgendeine Frau zuhause einquartieren würde. Ich wüsste echt gern, wie freundlich du dabei bleiben würdest, wenn ich Claudia Firenza rund um die Uhr so betüddeln würde, wie du Jean-Claude.“ Das völlige Übergehen ihrer Worte, das pure Auspeien seiner und, das hatte Jean-Claude bereits der Besitzverdeutlichung verstanden, die Eifersucht verschlugen der Navigatorin die Sprache. „Es geht hier um Personenschutz“, setzte sie an, doch war auch ihre Aufregung nun zu groß und übermächtig. Jean-Claude schob sich zwischen die beiden und wandte sich ruhig an den Rennfahrer. „Die Dame sagte, sie wird sich nicht mit dir unterhalten, so lange du so redest. Mäßige deinen Ton oder verlass diese Wohnung.“ Er würde ihn grundsätzlich auch ohne große Worte vor die Tür setzen, Worte verstand er gerade nicht, aber dann müsste er handgreiflich werden und das würde der Wütende sich nicht gefallen lassen. Jean-Claude hatte auch kein Problem damit seinen Blaster zu ziehen und so seinen Worten Nachdruck verleihen. Nicht, dass er ihn erschießen würde. Das wär das dümmste überhaupt, aber auch zum Drohen war es schlecht. Er war auf den Hexenkessel da angewiesen und konnte es sich nicht leisten, ihn non-verbal aus der Wohnung zu befördern. bei dessen hitzigen Zustand rechnete er fest mit Widerstand und Tätlichkeit und am Ende – ob der Outrider nun ein Recht dazu hatte oder nicht – stand seine Zusammenarbeit mit dem Oberkommando und damit der Schutz seiner Schwestern auf dem Spiel. Er konnte also nur ruhig bleiben, so wenig wie möglich Angriffsfläche bieten, einstecken und den Rückzug antreten, wenn es denn notwendig war. Darüber war er sich im Klaren und deshalb überraschte es ihn auch nicht, als Fireball ihn am Kragen packte. „Misch dich nicht ein, das geht dich nicht das geringste an!“, brüllte der um gleich darauf April anzuschreien. „Du nimmst den Personenschutz mittlerweile etwas zu ernst. Anders als Colt und Saber bist du in einer Beziehung! Wenn du das anders siehst, wär's nett gewesen, wenn du mir das früher mal mitgeteilt hättest!“ Genau das. Wäre er nur nicht von dem auch abhängig. Entschieden löste Jean die Hände von seinem Kragen und trat deutlich zur Seite, damit bezeugt werden konnte, dass er die Konfrontation nicht seinerseits handgreiflich war. „ Es hat keinen Sinn, mit dir zu reden. Du bist übernächtigt, überreizt, blind und hormonbeladen. Wenn du diese Wohnung nicht verlässt, werden wir es tun“, erklärte er kühl und sah zu April. „Wenn du das möchtest“, versicherte er sich wärmer bei ihr. Sie nickte, stimmte ihm voll und ganz zu. Fireball bestand aus nichts als Eifersucht. Davon allerdings reichlich. Sie nahm den Arm an, den Jean-Claude ihr anbot. Das beruhigte sie und das innere Beben erschütterte sie nicht mehr ganz so heftig. „Es ist übrigens nicht erforderlich, dass du jemand in diesem Raum auf den jeweiligen Beziehungsstatus hinweist. Der ist uns allen wohl bekannt.“ Dann legte er seine Hand auf die Aprils. Vielleicht half ihr das, sich zu beruhigen. Sie wollte weg. Jean-Claude führte sie aus der Wohnung unter den fassungslosen, zornigen Blicken des Rennfahrers. Ehe sie durch die Tür traten, sah sie sich noch einmal nach ihm um. „Wir sehen uns heute Abend, Fireball“, sagte sie leise. „Ich bin mir da nicht so sicher!“ Er wusste selbst nicht, ob er ihr oder Jean-Claude geantwortet hatte. Er raste innerlich. Er tobte. Er hätte brüllen können, dass es in ganz Yuma-City zu hören war, aber er fuhr sich nur wild durch die Haare. Schon wieder führte der Outrider seine Freundin am Arm und warf ihm so überheblich irgendwelchen Unsinn an den Kopf. Übernächtigt? Hormonbeladen? Was wusste der schon davon. Wollte er April heute Abend überhaupt noch über den Weg laufen? Sie einmal mehr mit Jean-Claude turteln sehen? Er konnte auch in einem Hotel übernachten und hatte dann wenigstens seine Ruhe. Aber das hieße, dass Feld zu räumen und so leicht gedachte er es Jean-Claude dann doch nicht zu machen. Der Fahrstuhl brachte die beiden ins Erdgeschoss. „Möchtest du nach Beth und Snow sehen?“, erkundigte sich April leise. Er warf ihr einen prüfenden Blick zu, dann nickte er. Das war ein guter Vorschlag. Er konnte seine Schwestern besuchen und sie hatte die Möglichkeit mit ihren Kollegen, die gleichzeitig auch ihre Freunde waren, über das zu sprechen, was sich eben ereignet hatte. Eine Herausforderung für Saber Rider, der nun also in zwei Positionen angesprochen wurde. Zum einen wollte April sicher seinen Rat als Freund hören, zum andern konnte er als der Captain der Ramrod-Crew den Rennfahrer nicht ungemahnt lassen, der seinem Schützling gegenüber handgreiflich geworden war. Man hatte ihm versichert, so etwas käme nicht mehr vor. Jean-Claude wog ab, ob und wie sehr das tatsächlich ein Problem darstellte. Im Grunde juckte ihn die Eifersucht des Rennfahrers nicht. Die war dessen Problem und nicht die des Outriders. Der wusste genau, dass April für ihn nicht als Partnerin infrage kam. Schon allein, wegen ihrer Beziehung zu dem Wuschelkopf. Aber die Tätlichkeiten, die waren ein Thema, da sie aus einer Kurzschlussreaktion entstanden waren, ähnlich wie bei diesem Arasmus. Das konnte er so nicht auf sich beruhen lassen. Sie überquerten die kleine Rasenfläche, die die Gebäude von einander trennte, während sie so ihren Gedanken nachhingen. Selbst im Aufzug lösten sie die Arme nicht von einander, auch wenn Jean-Claude nicht mehr seine Hand auf ihre gelegt hatte. Auf dem Stockwerk verriet die angelehnte Tür, wo sich de Wohnung der Schwestern befand. Vorsichtig öffneten sie diese. Ihr Blick fiel an der geschlossenen Tür zu Snows Zimmer vorbei in die Kochecke, in der sich Saber und Beth befanden. Der Schotte stand vor der Anrichte, auf der die jüngste der Schwestern saß, und hielt diese innig an sich gepresst. Sie hatte ihre Arme um seinen Hals gelegt und glitt immer wieder liebkosend über seinen Nacken. Die Küsse, die sich beide schenkten, waren sichtlich leidenschaftlich und, sehr zu Jean-Claudes Erleichterung, von gegenseitiger Zuneigung geprägt. Dass die Hände des Recken ihre Taille umfassten, störte ihn angesichts zweier Tatsachen nicht. Zum einen signalisierten die Arme seiner Schwester um dessen Nacken nicht die gleiche hormonelle Bereitschaft, die der Schotte durchaus ausstrahlte und die wohl deutlich intimer ausfallen würde, erhielte er dieses Signal von ihr, wären ihre Hände ebenfalls um seine Gürtellinie geschlungen. Zum anderen kannte er die Gedanken seiner Schwester bezüglich des blonden Recken, wusste daher, wie ernst es ihr war und wie wenig sie Gefahr lief von ihm enttäuscht zu werden. Trotz ihrer … Belastung … war sie aufmerksam und bedacht wie jeder Outrider auch. So überraschte ihn den Anblick nur sehr wenig. Er räusperte sich vernehmlich und neckte seine Schwester leicht. „Oh, Bio … so belastet.“ Seine Stimme war mild. Trotzdem löste sich der Schotte rasch und trat einen Schritt zurück. Beth lächelte ihren Bruder verstehend an. „Hey, ihr zwei.“, grüßte er so unbefangen wie in dieser Situation eben möglich. „Warum so erschrocken, Saber Rider?“ Jean-Claude belustigte dessen Verhalten. „Kommt nicht immer gut an, wenn große Brüder sehen, wie kleine Schwestern geküsst werden.“ Der hob die Schultern. „Warum auch immer“, erwiderte er beiläufig. Nichts an dem, was er eben gesehen hatte, schien ein Eingreifen seinerseits erforderlich zu machen. „Seid ihr mit der Wohnung schon fertig?“, erkundigte sich der Schotte nun und warf einen Blick auf April, die sich eher hinter Jean-Claude hielt, als neben ihm. „Jean-Claude hielt es für klüger, wenn wir nach euch sehen, während da oben noch ein Orkan wütet“, erwiderte sie, eher um Ruhe bemüht, als tatsächlich ruhig. Saber hob die Brauen. Das Gespräch mit Colt am Vorabend fiel ihm wieder ein. Hatte der Scout also Recht gehabt. „Ist alles ok?“, erkundigte er sich besorgt. „Euer Pilot ist dabei, in der Wohnung zu wüten und unsinnige Vorwürfe zu erheben. Er weist nachdrücklich auf seinen Beziehungsstatus hin“, erläuterte der Outrider. Die Navigatorin nickte. „Ja, das beschreibt es gut. Man kann gerade nicht mit ihm reden. Er schreit nur und ist unsachlich“, bestätigte sie leise. Beth schaute auf die Blondine. Ihre sonstige Offenheit fehlte gerade, ihre Souveränität ebenso. Was auch immer es mit dem „Wüten des Orkans“ auf sich hatte, es schien sie aus der Bahn zu werfen. Die junge Outriderin öffnete den Kühlschrank und nahm eine Flasche heraus. Diese reichte sie der Navigatorin und strich ihr, wie Menschen es so oft taten, tröstend über den Arm. April nickte dankbar auf diese Geste. Dann verschwand die junge Frau mit dem blass lila Haar im Zimmer ihrer Schwester. Für das Problem, das April hatte, brauchte sie wohl gerade ihre Freunde, auch wenn sie eben auch ihre Kollegen waren. Colt drückte ihre Schwester an sich, ließ seine Hände über ihren Hintern gleiten und hatte, so wie es aussah, seine Zunge in ihrem Hals, falls das anatomisch möglich war. Snows Hände ruhten in seinem Nacken, während sie offenbar die anatomischen Möglichkeiten ihrer Zunge erprobte. Beth tippte Colt auf die Schulter. „April hat ein Problem“, schickte sie sie der Geste hinterher. Widerstrebend löste sich der Cowboy von den verführerischen Lippen Snows und schaute Beth an. „Probleme?“, echote er abwesend. „Irgendetwas mit einem ‚Orkan, der ein Jeans Wohnung wütet‘.“ Damit hatte sie seine ganze Aufmerksamkeit. „Wo ist sie?“ Beth wies in Richtung der Wohnküche. Entschuldigend schaute er Snow an, doch die nickte schlicht und folgte ihm dahin. Die Schwestern hielten sich etwas abseits der Gruppe, die sich um die Navigatorin gebildet hatte. Sie konnten die Mienen der Beteiligten gut sehen und waren gespannt darauf zu beobachten, wie eine Situation gemeistert wurde, in der die Rollen der Beteiligten so vermischt war, kam nun wahrscheinlich nicht nur Kollegen und Vorgesetzte zusammen, sondern auch Freunde. Damit würde es für die beiden Outriderinnen gleich sehr interessant. „Hey Prinzessin, was ist los?“, erkundigte sich Colt sofort, als er zu April, Saber und Jean-Claude trat. Snow verzog unwillig das Gesicht, beobachtete aber aufmerksam. Die Gefragte seufzte leicht und begann zu erzählen, was in der Wohnung des Outriders gesagt worden war, wie es zu dem Disput zwischen ihr und dem Rennfahrer gekommen war und weshalb sie und der Grünhaarige diese schlussendlich verlassen hatten. Es auszusprechen beruhigt sie ein wenig, ließ sie sachlich auf die Ereignisse sehen. Gleichzeitig spürte sie deutlich in sich, wie wenig sie das Verhalten ihres Freundes verstehen konnte. „Ach sch.... Das tut mir leid, April“, brachte Colt hervor, als sie geendet hatte. Ihr Bericht klang so frustriert, wie die Auseinandersetzung, die er beobachtet hatte. Er hatte also Recht gehabt mit seiner Befürchtung. Er wünschte, er hätte sich geirrt. „Ich nehme es mal nicht aber, aber ich frage vorsichtshalber doch nach. Hast du ihm irgendwie etwas vermittelt, dass er auf die Idee kommt?“, erkundigte sich der Schotte behutsam. Die Frage eines Freundes, wie Beth und Snow bemerkten. Die drei waren gerade vollkommen in ihrer Rolle als Freunde. Die Navigatorin überlegte einen Moment ehe sie den Kopfschüttelte. „Ich habe tatsächlich keine Ahnung wie. Ich meine, ich habe mich entschuldigt, dafür, dass ich nach unserem ersten Treffen mit meinen Vater nicht angerufen habe, Saber.“ Das war nicht allzu rücksichtsvoll gewesen, es war vollkommen klar, dass diese Entschuldigung notwendig gewesen war. „Gegen die Aufteilung hat er bisher nichts gesagt, ich hab erst heute erfahren, dass es ihm nicht passt“, grübelte sie weiter. „Über die Schichten wollte ich noch mit ihm sprechen, wenn er in einer Stimmung gewesen wäre, in der man mit ihm über so etwas sprechen kann.“ Sie bemühte sich wirklich, doch sie konnte nicht erkennen, was ihn allen ernstes derart aufgebracht hatte. „Vielleicht liegt die Wurzel eures Krachs beim Beginn der Mission. Ich weiß es zwar nicht genau, aber vielleicht war das der Grund“, überlegte der Schotte laut. Colt kratzte sich am Ohr und schaute von seinem Boss zur Navigatorin. Diese hatte ihre Hand noch immer in der Armbeuge des Outriders, weil es sie immer noch beruhigte. „Na ja, blind ist er nicht. Hat er das vielleicht in den falschen Hals bekommen?“ Er hob die Brauen und wies auf die Arme der beiden. Jetzt lösten sie sich von einander. „Aber keiner kann etwas dafür, wenn so etwas im Urlaub passiert“, wandte sie sich an Saber, während der Outrider irritiert schien. „Das kann missverständlich sein?“ „Ganz ehrlich? Ich würde jetzt auch nicht gerade Freudensprünge machen, wenn ein anderer das mit meiner Freundin macht.“ Jean-Claude hob die Brauen. „Ich hielt es für eine Geste der Höflichkeit, ein Zeichen des Respekts eines Mannes gegenüber einer Frau.“ „Eifersucht war doch bisher kein Thema“, wunderte sich der Recke. „Nein, war es nicht, nie ernsthaft und nie in dem Ausmaß.“ Sie schüttelte den Kopf. „Das ist es auch“, erläuterte sie dann dem Outrider, „ eine Geste der Höflichkeit und das war in Ordnung so, sonst hätte ich es abgelehnt.“ „Es scheint, als hätte Fireball das alles tatsächlich in den falschen Hals bekommen. Es ist bestimmt nur ein Missverständnis.“ Saber legte die Hand ans Kinn und überdachte die Situation noch einmal, die ihm seine Navigatorin geschildert hatte. „Da hilft nur eines, April, auch wenn das gerade mit Fireball nicht hinhauen dürfte, so wie du seinen Ausbruch beschrieben hast. Setzt euch zusammen und redet. Nur ihr beide“, schlug der Scharfschütze vor. Sie waren also immer noch auf der Ebene der Freundschaft, stellten die Schwestern fest. Vom Vorgesetzen oder Kollegen war nichts zu spüren. Offenbar war es bedeutender, zunächst die zwischenmenschliche Angelegenheit zu klären, ehe man sich um berufliche kümmerte. Stimmte das soziale Gefüge nicht, war es um das andere auch schlecht bestellt. Oft genug hatten die Schwestern dies aus Gesprächen ihrer Gäste heraus gehört. Nun bestätigte es sich für sie einmal mehr. April schien ruhig zu sein, doch ihre Körpersprache verriet sie. Immer wieder bewegte sie die Hände ineinander, verschlang und verflocht ihre Finger, biss sie sich unbewusst leicht auf die Unterlippe und war ihr Blick ein wenig unstet. All diese Zeichen widersprachen der souverän aufrechten Körperhaltung und den zurück gezogenen Schultern. Sie wäre gern ruhig und sicher, aber sie war doch aus dem seelischen Gleichgewicht. Jetzt überdachte sie den Vorschlag sichtlich, schüttelte aber den Kopf. „Ich bezweifle, dass das klappt“, antwortete sie ernst. Dachte sie an den Ausbruch ihres Freundes vor einigen Minuten, war sie sich absolut nicht sicher, ob sie ruhig und sachlich mit ihm reden konnte. Sie hatte sich um diese beiden Voraussetzungen bemüht, doch er war an die Decke gegangen, noch mehr, als Jean-Claude sie unterstützt hatte. Im Augenblick befürchtete sie, dass nur die Erwähnung seines Namens zu neuerlichen unsachlichen Vorwürfen führen würde. „Nachdem, was ich erlebt habe, habe ich ebenfalls ernsthafte Zweifel, dass das eine gute Idee ist“, stimmte der Outrider ihr zu. „ Er neigt immerhin zu Handgreiflichkeiten.“ Colt und Saber rissen überrascht die Augen auf. Hatten sie bei Aprils Bericht nicht richtig hingehört, oder hatte sie das ausgelassen, um sie nicht zu beunruhigen? Vielleicht auch, um Fireball nicht als unbeherrscht erscheinen zu lassen oder ihn und sich vor etwas zu schützen, dass einen von beiden bloßgestellt hätte. Die Blicke ihrer Freunde prüften sie und den Grünhaarigen. „Was ist vorgefallen?“, verlangte der Schotte sachlich zu wissen. „Er hat Jean am Kragen gepackt, als er mich unterstützt und Fireball ebenfalls gebeten hat zu gehen“, erwiderte die Blondine. „Sie sagte ihm, er solle sich beruhigen oder gehen, was er nicht beachtet hat. Ich hielt es für notwendig, ihr Anliegen zu unterstützen“, ergänzte der ruhig. Nachdenklich strich Saber sich über das Kinn. Das war überhaupt nicht gut. Zwei Dinge waren daran problematisch. Zum einen hatte Fireball ausgerechnet seinen Schützling am Kragen gepackt, was den Absprachen vom Vortag eindeutig widersprach. Zum anderen äußerte sich jemand wie der Outrider nicht ohne Grund besorgt. Er schätzte Situationen klar und sachlich ein, konnte sie objektiv und konstruktiv bewerten. Wenn er Aprils Bedenken unterstützte, gab es Anlass zur Sorge. „Da hat unser Hitzkopf aber ordentlich daneben gegriffen“, brachte Colt hervor. So außer sich geriet Fireball, bei allem Temperament das er besaß, dann doch sehr selten. Es musste mächtig in ihm kochen. Aber selten, nein, noch nie war es vorgekommen, dass der Rennfahrer alles in sich rein fraß und dann explodierte. Normalerweise waren die Anzeichen dafür offensichtlicher, sprach der Wuschelkopf sie vor allem auch an. So gesehen verstand der Lockenkopf auch, weshalb April sich keinen Reim auf alles machen konnte und ebenso überrascht von dem Verhalten ihres Freundes war, wie der Rest von ihnen. „Ich halte es nicht für die Art, wie man mit einer Frau umgeht, aber das ist nur meine Meinung. Außerdem ist es ausgesprochen unprofessionell gelaufen, wenn ich das mal anmerken darf. Gestern wurde uns versichert, wir wären vor hormonellen Kurzschlüssen sicher“, stellte Jean-Claude kühl fest. Endlich war die Sachebene erreicht und mischte sich in die soziale. Jetzt wurde es spannend. Beth und Snow beugten sich interessiert ein wenig nach vorn, standen allerdings immer noch abseits, so dass ihre Bewegung niemand auffiel. Dafür waren die anderen vier zu sehr in ihr Gespräch vertieft. Hinter Sabers Stirn arbeitete es angestrengt. Jean-Claude hatte Recht. Fireball hatte einen Rivalen, keinen Schützling, in dem Grünhaarigen gesehen und ihn wie einen solchen behandelt. Vom Standpunkt des Kollegen und Freundes aus, war es für den Recken ebenso nachvollziehbar wie vom Standpunkt des Outriders, der zu Recht für seine Zusammenarbeit den zugesicherten Schutz beanspruchen konnte. Hier waren Positionen vermischt worden, einmal mehr. Es war schon bei Arasmus so geschehen. Nun wiederholte es sich und die Professionalität nicht nur der Ramrod-Crew, sondern des gesamten Kavallerie Oberkommandos stand auf dem Spiel. Wenn noch einmal etwas Ähnliches geschah, konnte Jean-Claude, nein er würde es garantiert tun und mit seinen Schwestern aus ihrem Umfeld abtauchen und die beiden so vor Gefahr schützen. Saber konnte nur eines tun. „Das verstehe ich und dafür entschuldige ich mich.“ Das war ausgesprochen unangenehm. Nicht weil er sich entschuldigen musste. Fehler zu zugeben war für ihn kein Problem. Doch so kurz nach einander musste es wie leere Worte klingen. „Der Angriff galt nicht dir als Outrider, Jean.“ Der nickte. Das war ihm vollkommen klar. „Ich werde Fireball abmahnen. Wenn du das wünscht, werde ich ihn abziehen. Trotz dieser Situation bin ich aber überzeugt davon, dass er angesichts eurer kritischen Lage die beste Wahl ist. Er ist loyal. Diese Handgreiflichkeiten werden ein Ende haben.“ „Ich verliere mein Vertrauen in deine Entschuldigungen“, bestätigte Jean-Claude seine Befürchtungen. Er schaute zu seinen Schwestern, las in deren nachdenklichen Gesichtern. Dann presste er kurz die Lippen zusammen und sah den Schotten wieder an. „Wenn nötig, ziehen wir Fireball die Hammelbeine lang. Mehr als unser Versprechen können wir dir nicht geben. Aber er ist kein Arasmus“, versicherte auch Colt und unterstützte so seinen Boss. Jean-Claude nickte knapp „Welche Optionen hat sie? Wie wollt ihr sie unterstützen?“, fragte er weiter und nickte in Richtung der Navigatorin. Das musste auch geklärt werden, sonst würden sie das Versprechen nicht halten können. Ganz abgesehen davon, war es dem Outrider zu wider, wie der Rennfahrer sie behandelt hatte. Eifersucht oder nicht, dass hatte sie nicht verdient und auch jetzt noch veranlassten ihren angespannt in einander verflochtenen Finger ihn, ein wachsames Auge auch auf sie zu haben. Der Schotte schaute sie betreten an. „Du hältst es selbst nicht für wahrscheinlich, mit Fireball heute noch vernünftig zu reden?“ Sie überdachte die Frage. Er hoffte, sie würde ihm widersprechen, sagen, dass sie es heute noch klären konnte. Andernfalls musste er wohl McLeod bitten die Schicht zu tauschen. Das musste er wohl ohnehin, damit er selbst mit dem Rennfahrer reden konnte. Auch das durfte er nicht auf die lange Bank schieben. Im Gegenteil. „Soll ich mit ihm reden?“, bot er an. „Heute hat es keinen Sinn mehr. Er ist gereizt und übermüdet. Es würde wieder eskalieren. Wenn er sich morgen beruhigt hat, spreche ich mit ihm. Sonst komme ich auf dein Angebot zurück.“ Sie hoffte, sie konnte das Problem klären, ehe Saber seine Abmahnung aussprach. Das wäre Öl im Feuer. Die Geschwister tauschten einen Blick mit einander. „Okay“, meinte ihr Bruder dann schlicht. „Einverstanden“, nickte auch Saber und hoffte, die beiden konnten es regeln. Fireball abmahnen zu müssen, konnte unter Umständen eine größere Herausforderung werden, so lange der sich nicht beruhigte und zwischen Job und Privatleben unterschied. Aber er hatte keine Wahl. Er musste seinen Job ebenso machen, wie der Rennfahrer und die Chef-Karte ausspielen, wenn es nicht anders möglich war. Damit war für den Outrider alles geklärt. „Wie weit seit ihr mit dem Einrichten?“, wollte er daher wissen. Seine Schwestern pressten ertappt die Lippen zusammen und auch Colt und Saber wussten nicht so recht, wie sie darauf antworten sollten. Das war Auskunft genug für Jean-Claude. „Wir sollten wenigstens das heute fertig bekommen. Snow, komm, hilf mir. Unten steht noch ein Regal“, schob er die Arbeiten an. Kapitel 3: Kapitel 3 -------------------- Sie gaben Jean-Claude Recht. Mittlerweile auf sechs Helfer aufgestockt, war es kaum ein Problem die restlichen Möbel in ihren Einzelteilen aus dem Laster in die Wohnung zu transportieren. Wenigsten konnte so einer der Fahrer heute pünktlich Feierabend machen und nach Hause fahren. Der andere wurde für den nächsten Tag noch einmal bestellt. Viel hatte der nicht mehr zu entladen und da das Bett Jean-Claudes bereits aufgebaut war, hatte der eine Schlafstatt und kein Problem. Mit wenigen Worten, eher schweigsam aber friedlich, bauten sie in Beth‘ Zimmer ihren Schrank und ihr Bett auf. Dann machten sich Jean-Claude und Snow daran ein Bücherregal in der Wohnküche aufzubauen. Saber und Colt montierten die Schreibtische in den Zimmern der Schwestern. Als sie damit in Beth Raum fertig waren, setzten sie diese Arbeit im Zimmer Snows fort. Inzwischen bat die jüngste der Geschwister die Navigatorin ihr beim Einräumen ihres Schrankes behilflich zu sein. Die Blondine kam ihr noch immer nachdenklich und aufgewühlt vor, weshalb sie hoffte, eine leichte Aufgabe und ein Gespräch könnten sie auf andere Gedanken bringen. Während sie also ihre Unterwäsche von ihr annahm und in einer Schublade im Schrank verstaute, kramte sie gedanklich nach einem guten Thema. „Sind alle Männer eifersüchtig?“, fragte sie schließlich, nach einer Weile des Schweigens. „Nein, nicht alle. Manche sind gar nicht eifersüchtig, andere dagegen“ April reichte ihr nun einige Hosen aus dem Koffer, in dem Beth ihre Kleidung hergebracht hatte. „fahren bereits aus der Haut, wenn ein anderer Mann die Frau auch nur ansieht.“ Ihre Gedanken glitten ab. Bisher hatte sie gedacht, Fireball gehöre zu ersterer Kategorie. Seit heute war sie da allerdings nicht mehr sicher. „Ist es wie mit Neid?“, erkundigte sich Beth in diese grüblerischen Fragen hinein. „So ähnlich. Es ist kein schöner Charakterzug. Eifersucht zeigt einem, dass der andere kein Vertrauen hat.“ Beth nickte langsam und schaute die Blondine musternd an. Das war wohl kein gutes Thema, überlegte sie, als April ihr einige T-Shirts reichte und sie diese in den Schrank legte. Nachdenklich strich sie das obere glatt, dann nahm sie es wieder heraus und entfaltete es. Sie legte es an ihren Körper. „Ich mag das T-Shirt. Es hat eine schöne Farbe und ist sehr bequem.“ „Das ist hübsch“, erwiderte die Blondine und prüfte ihre Gegenüber mit Blicken. „Aber sehr schlicht.“ „Schlicht?“ „Ja, schlicht. Es ist einfach geschnitten. Etwas mit ein bisschen mehr Pepp würde dir sicher gut stehen.“ „Was meinst du mit Pepp?“ Beth war unsicher, ob sie das Thema Bekleidung weiter verfolgen sollte, doch April wirkte nun abgelenkt und öffnete sich gerade etwas mehr. Nun fragte sie kurz um Erlaubnis und zupfte am T-Shirt herum. „Hier ein wenig taillierter, der Ausschnitt ein klein wenig tiefer. Das macht es gleich etwas aufregender. Siehst du?“ „Es präsentiert mehr“, stellte die junge Outriderin fest. „Das auch, ja. Beth. Du bist sehr hübsch und schlank. Du darfst zeigen, was du hast.“ „Sollte ich denn zeigen, was ich habe?“ „Nur soviel, wie du dich wohl damit fühlst. Natürlich nicht alles.“ Es schien als erfülle dieses Gesprächsthema seinen Zweck. April richtete ihre Aufmerksamkeit darauf, sprach mehr und klang wieder freundlicher. Oder war es Höflichkeit? Beth ließ das Shirt sinken. „Ich habe sehr wohl gemerkt, dass du gestern für mich da sein wolltest, als du gehört hast, was mir passiert ist“, begann sie geradeheraus. „Ich versuche das gleiche. Ich weiß nicht, ob es mir gelingt.“ Sie atmete aus und trat auf April zu. Etwas scheu, aber liebevoll nahm sie die Navigatorin in die Arme und drückte sie sacht an sich. „Danke. Für gestern.“ Einen Moment lang erstarrte die Blondine überrascht. Nicht nur hatte Beth die Geste erkannt, sie wollte sich erkenntlich zeigen und sie ebenfalls trösten. Damit war sie weit einfühlsamer als sie je einem Outrider, selbst den Geschwistern in diesem Ausmaß, zugetraut hatte, obwohl sie bereits bemerkt hatte, dass deren Emotionen ausgeprägter waren. Jetzt rührte sie diese Geste tief. „Ja, aber gerne doch Beth. Dafür musst du dich nicht bedanken“, brachte sie schließlich hervor und erwiderte die Umarmung. Ihre Augen drohten sich mit Tränen zu füllen. „Du machst das gut. Danke. Ich fühle mich schon besser.“ Die junge Outriderin nickte leicht. „Dann möchtest du dich weiter über Kleidung unterhalten?“ April nickte. „Gern.“ Das Interesse der jungen Frau mit den blass lila Haaren an Kleidung und Modefragen ermutigte die Navigatorin dazu sie und ihre Schwester zu einer Shoppingtour einzuladen. Es würde etwas Normalität in die Tage bringen und konnte das freundschaftliche Band zwischen den Frauen festigen. Saber und Colt hatten den zweiten Schreibtisch aufgestellt. Der Schotte kehrte in die Küche zurück um etwas zu trinken. Inzwischen begann der Scharfschütze das Bett Snows aufzubauen. Beth und April sowie auch Snow und Jean-Claude taten es dem Schotten gleich und gestatteten sich eine kurze Pause. Aprils Blick glitt über die Möbel in der Wohnung. Sie waren spartanisch und zweckmäßig. Auch hier, ähnlich wie bei der Kleidung der Mädchen, fehlte hier etwas für die Ästhetik, fürs Auge, der Schönheit und das Wohlfühlen. Snow schaute in ihrem Zimmer nach ihren Möbeln und half Colt beim Aufbau ihres Bettes. Jean-Claude kümmerte sich um das zweite Regal, bekam von der Navigatorin Unterstützung dabei. Beth versuchte in ihrem Zimmer ihren Koffer auf dem Schrank zu verstauen. Leider war sie nicht groß genug, um die Oberseite zu erreichen. Hatte Saber bisher noch überlegt, was er als nächstes tun sollte, war der Anblick der zierlichen Frau mit dem blass lila Haar doch rasch eine Aufgabe, die seiner Assistenz bedurfte. Mit wenigen Schritten war er bei ihr. „Warte.“ Er nahm ihr das leere Gepäckstück ab und beförderte es auf den Schrank, wo es ziemlich offenkundig hin sollte. Er trat nah an sie heran, als er sich nur ein wenig strecken musste, um dieses Ziel zu erreichen. Beth stand still und hielt den Atem an, bis ein leichter Knall verriet, dass der Koffer dort angelangt war, wo sie ihn haben sollte. Sie spürte seinen Körper hinter sich. Sein Atem strich leicht über ihren Nacken. Hatten sie in den vergangenen Stunden auch fleißig und zielorientiert gearbeitet, jetzt, da er so nah bei ihr stand verlor sie es irgendwie. Seine Anwesenheit schien ihr immer wieder den Blick für das Wesentliche zu trüben. Oder zu verändern. Vielleicht war er das Wesentliche. Sie schalt sich ineffektiv bei diesem Gedanken. Dennoch, nun da sie ihn hinter sich spürte, wusste, wie breit seine Schultern waren und die Konturen seines Oberkörpers durchaus kennen gelernt hatte, kam sie an dem Gefühl beschützt zu sein, nicht vorbei. Es breitete sich in ihr aus, wie die Wärme, die seine Gegenwart in ihr auslöste, und weckte den Wunsch sich an ihn zu lehnen in ihr. Aber wenn sie das tat, was würde er dann tun? „Warum bist du vorhin so schnell zurück gewichen?“, fragte sie leise. Es dauerte einen Moment bis er begriff, dass sie von dem Augenblick sprach, in dem ihr Bruder sie küssend in der Kochnische ertappt hatte. „Wie ich vorher schon sagte, nicht jeder große Bruder findet es toll, wenn die kleine Schwester geküsst wird.“ Seine Antwort war nicht lauter als ihre Frage. „Ich möchte, dass Jean-Claude mir vertraut. Er soll nicht denken, ich würde es ausnutzen, ich würde dich ausnutzen.“ Sein Blick glitt immer wieder über den Zopf, zu dem sie ihr Haar gebunden hatte, und dem sanften Schwung ihres Nackens zu ihren Schultern. Ihre Haut war glatt, schimmerte leicht. Er wusste, sie war weich und zart. Jetzt wandte sie sich zu ihm um und schaute ihn mit ihren großen Augen an. „Jean vertraut uns. Wir sprechen über alles. Er wird nie etwas einwenden, wenn er nicht denkt , unsere Belastung... na ja, belaste unser Urteil.“ „Ich werde mir das merken. Ich möchte ihm dazu keinen Anlass geben.“ „Er wird es äußern, wenn er Anlass zur Sorge sieht.“ Die Anziehung zwischen ihnen war greifbar, sichtbar. Beth Blick verfing sich einmal mehr und viel zu leicht in den blauen Augen des Schotten, an seinem Pony, der ihm auf die Stirn viel, den Zügen seines Gesichtes. Ihr Herz schlug einmal mehr bis zu ihrem Hals hinauf. Sie sollte sich inzwischen dran gewöhnt haben. Doch es kam ihr jedes Mal unbegreiflich vor, dass ein Mann so eine Wirkung auf sie haben konnte, dass Saber sie so … menschlich machte ohne dass sie sich dagegen wehren konnte oder wollte. „Gut, dann hoffe ich, dass er nie Grund dazu bekommt“, gab er rau zurück. Wenn sie ihn so ansah, so offensichtlich fasziniert und lang, brachte sie ihn immer wieder fast um den Verstand. In diesen Blicken lag ihre Zuneigung, wurde deutlich, wie sehr er sie anzog. Als sie jetzt auch noch die Hand nach seiner Wange ausstreckte und sanft über diese strich, schloss er die Augen. Sein Herz schlug erfreut einige Takte schneller, jedes Mal, wenn sie den Körperkontakt suchte. Er genoss ihre Berührungen so sehr und, wie so oft davor, wünschte er sich, sie würden nicht enden. Im Zimmer hinter dem Bad, das Snow als ihres beansprucht hatte, waren sie und Colt dabei, ihr Bett unter dem Fenster aufzubauen. Die Tür gegenüber war leicht geöffnet. Auf der Seite daneben stand der Schreibtisch, hinter der geöffneten Tür befand sich der Schrank, ähnlich wie im Zimmer ihrer Schwester. Wie auch dort, waren hier der Boden aus hellem Laminat und die Wände in einem sanften beige gehalten. Es gab keine Zierde, kein Schmuck. Es war nur praktisch. Auch das Bett hatte einen leichten Rahmen und eine dünne Matratze, war groß genug für eine Person. Sein Bett war größer und auch weicher, schoss es Colt durch den Sinn, während der den Rahmen für den Lattenrost zusammen schraubte. Snow half ihm, reichte ihm Schrauben, Dübel und einen Akkuschrauber, hielt die Teile fest, wie er es ihr vorgab. „Warum nennst du sie eigentlich dauernd Prinzessin?“, fragte sie, als Colt schließlich den Rahmen prüfte und noch einmal eine Schraube nachzog. „Es ist ihr Spitzname, auch wenn sie ihn nicht gerne hört. Es war immer ein wenig so, als ob wir drei die Musketiere und April unsere Prinzessin ist.“ Er bewegte das Gestell, es schien soweit stabil. Snow musterte ihn. Was waren drei Musketiere? Was wollte er ihr damit sagen? Sie runzelte die Stirn. „Aber sie ist keine Prinzessin?“, versuchte sie zu verstehen. „Nein, sie ist keine wirkliche Prinzessin. Nur die Tochter vom Chef, von Commander Eagle. Auf die muss man ein wenig aufpassen“, grinste der Scharfschütze und sah sich nach dem Lattenrost um. Die Weißhaarige verstand noch weniger. Warum musste man auf einen weiblichen Star Sheriff aufpassen? Noch dazu, da dieser sich in einer Symbiose befand? Sie war weder mit Colt noch mit Saber blutsverwand? Sie mochte die Tochter des Oberbefehlshabers sein, aber sie war ein Star Sheriff. Das konnte sie doch nur sein, wenn sie im Stande war sich selbst zu verteidigen. „Das ist deine Aufgabe weil?“ „Diese Aufgabe wurde mir nicht übertragen. Wir sind Freunde, da passt man aufeinander auf. Das machen wir gerne füreinander.“ Er nahm den Lattenrost von der Wand zwischen dem Bett und dem Schreibtisch und hob ihn hoch. Dann trug er ihn zum Gestell und legte ihn vorsichtig in den Rahmen. „Es ist ein Zeichen der Wertschätzung, genauso als würde ich sie Prinzessin oder Aps nennen“, erklärte er dabei presst unter dem Gewicht und der Tätigkeit. Snow verstand ihn nicht. Die Navigatorin lief als Partnerin in einer Beziehung außerhalb eines jeden Interesses. Sollte sie zumindest. Aber Menschen sahen ja einige Dinge anders. Vielleicht auch diese. Immerhin hatte sie solches Verhalten bei den Gästen in der Bar schon oft genug beobachtet. Erst küssten sie den einen Partner und ein paar Tage später einen anderen. War Colt einer von ihnen? Er hatte sie heute schon einmal nicht verstanden, sie hatte das mit der Symbiose noch einmal ansprechen müssen. Oder war es für ihn nicht von Belang, weil er tatsächlich an mehreren Stellen nach einer Partnerin suchte? Sie konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme schrillte, als diese Gedanken sich zu einem lauten Satz formten. „Du wertschätzt ja ausgiebig.“ In der gleichen Zeit hatten Jean-Claude und April das Regal in der Wohnküche aufgebaut und schoben es auf den Platz, an dem die Schwestern es wohl haben wollten. Dunkles Holz, lange Bretter mit viel Stellfläche für Bücher. Eine Kiste daneben enthielt die Exemplare, die sie dort reinzustellen gedachten. So begannen sie diese einzuräumen. Jean-Claude musterte die Navigatorin. Sie schien zu ihrer üblichen Fassung aus Ruhe und Freundlichkeit zurück gefunden zu haben. „Es geht dir besser“, stellte er schlicht fest. „Ja, dank deiner Gesten und dem netten Gespräch mit deiner Schwester. Er öffnete den Mund, wollte eben anmerken, dass Beth schon immer die nettere, sanftere von ihnen war, doch dann stolperte er über ihre Worte. „Meine Gesten?“ Sie nickte. „Ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn du vorhin nicht so ruhig dazwischen getreten wärst. Ich war sehr aufgebracht und aufgewühlt. Du hast mich festgehalten und so geerdet.“ „Sprichst du von der Geste, die auch Colt nicht gefallen würde?“ Abermals nickte sie. „Ja, die meine ich. Ich habe mich geborgen gefühlt und das war, was ich in dem Moment gebraucht habe.“ So gut ihr seine Unterstützung auch getan hatte, sie bedauerte, dass Fireball ihr dieses Gefühl nicht vermittelt hatte, irgendwann irgendwie. Nicht während des Streites. Dazu war er in dem Moment nicht in der Lage gewesen. Aber irgendwann in der Zeit davor, als er so launisch gewesen war, wäre ein Signal, welches ihr Geborgenheit vermittelt hätte, so schön gewesen, hätte ihr heute geholfen ihn besser zu verstehen. „Ich“, räusperte sich der Outrider. Er räusperte sich noch einmal. „Es war von Anfang klar, mit wem du dich in einer Symbiose befindest. Da mische ich mich nicht ein. Ich halte dich für eine attraktive, kluge Frau und bei uns werden Frauen achtsam behandelt.“ Das glaubte sie ihm sofort. Die Art wie er seine Schwestern behandelte, war ein klarer Beweis dafür. Seine Worte bewirkten auch eine leichte Verlegenheitsröte in ihrem Gesicht. Es war schon lange her, bedingt dadurch, dass sie beruflich viel unterwegs war und einen großen Teil der Zeit auf engen Raum mit ihrem Freund und ihren Kollegen verbrachte, dass ihr jemand außerhalb dieses Kreises ein Kompliment gemacht hatte. Wenn es vorgekommen war, war es meist eine offensichtliche Schmeichelei mit einem bestimmten Ziel. Jean-Claude allerdings hatte es wie eine unumstößliche Tatsache formuliert und damit dem Kompliment eine Ernsthaftigkeit und Aufrichtigkeit verliehen, die sie so nun wirklich lange nicht mehr gehört hatte. Nach fünf Jahren in einer Beziehung meinte Fireball seine Komplimente ebenfalls ernst, aber sie hatten auch etwas selbstverständliches, als wüsste sie es ohnehin, dass er sie so betrachtete. Da gegen hatte sie nichts, sie freute sich über diese Komplimente. Dennoch war es schön, solche freundlichen, anerkennenden Worte mit dieser Überzeugung von jemand außerhalb ihres üblichen Umfeldes zu hören. „Mir war das auch klar. Ich halte es für eine sehr schöne, freundschaftliche Geste. Darum habe ich nicht einen Moment daran gedacht, es wäre missverständlich.“ Falls sie noch mehr hätte sagen wollen, kam sie nicht mehr dazu. Snow Stimme hallte laut durch die Wohnung. Jean-Claude stellte die Bücher ins Regal und sah in die Richtung, aus der er seine Schwester gehört hatte. Sein Blick streifte das Zimmer seiner jüngsten Schwester, erfasste die tiefen Blicke zwischen ihr und dem Schotten, die Art, wie sie ihre Hand an seine Wange gelegt hatte. Er hielt inne. Snows Stimme hatte schrill geklungen. Beth war das, was Menschen als ‚Hals über Kopf‘ oder ‚bis über beide Ohren‘ verliebt bezeichneten. Er seufzte leise. Es musste wohl sein. Es war ohnehin schon deutlich genug. Also sollte er wohl doch damit rausrücken, auch wenn er ihnen so ihre Achillesferse präsentierte. Er kannte die ihre auch. Gleich wären sie quitt. „Colt! Saber! Auf ein Wort!" Er brüllte schon fast einen Befehl durch die Räume. Er brachte Colt die Gelegenheit hatte auf den unvermittelt Ausbruch Snows zu reagieren und hielt Saber davon ab unter dem offenen Blick Beth‘ gegen allzu weiche Knie und eine mit Blut überversorgte Körpermitte ankämpfen zu müssen. Es überraschte Jean-Claude, wie schnell die Gerufenen sich in der Wohnküche einfanden. Er hatte mit Protest gerechnet. Seine Schwestern nutzten den Moment sich zu sammeln und sich wieder produktiveren Arbeiten zu widmen. Die ernste Miene des Outriders machte die Wichtigkeit dessen deutlich, was er zu sagen hatte. Leicht schien es ihm allerdings nicht zu fallen. Vielmehr hatten sie den Eindruck, er würde es aufschieben oder gar nicht aussprechen wollen. Allerdings sah er wohl keinen anderen Weg. Sein Blick prüfte die Star Sheriffs, dann öffnete er den Mund. „Bevor ich anfange eine Frage: Was wisst ihr von Belastungen?“ Der Lockenkopf und die Blondine hoben ahnungslos die Schultern. „Beth hat es mir vorhin erklärt“, meinte Saber leicht nickend. „Dann erklär mal, Saber Rider“, forderte der grünhaarige ihn auf. Er war gespannt, wie gut der Schotte verstanden hatte. „Eure Familie ist mit Emotionen belastet, zumindest sehen es die Outrider so. Ihr neigt zu Gefühlen, die eurer Rasse eher fremd sind. Eifersucht, Liebe, Wut.“ Jean-Claude presste die Lippen zusammen und verkniff sich einen frustrierten Kommentar. Ohne anwesend gewesen zu sein, wusste er, dass seine jüngste Schwester das nicht gesagt hatte. Sie konnte nur, der Wahrheit entsprechend gesagt haben, dass sie für die Verhältnisse in der Phantomzone über ein Übermaß an Emotionen verfügten. Alles andere war nicht korrekt. Das bedeutete, entweder der Captain des Friedenswächters hörte nicht richtig zu, oder sein Hirn war nicht fähig Informationen aufzunehmen und zu verarbeiten, wenn Beth die Überbringerin dieser war. Sabers Blutzirkulation fand dann wohl nicht mehr in dessen Gehirnwindungen statt. Eine dritte Möglichkeit war, dass sich in seine Erklärung eben Vorurteile mischten, die er im Kampf gegen die Outrider gesammelt hatte und die nun sein Verständnis beeinträchtigten. „Diese Gefühle sind unserer Rasse nicht fremd“, begann Jean-Claude langsam zu korrigieren. „Sie sind uns sehr wohl bekannt und vertraut. Allerdings sind sie bei uns nicht so ausgeprägt wie bei euch, weil wir einen ausbalancierten Hormonhaushalt besitzen.“ „Aber eure Familie neigt verstärkt zu diesen Gefühlen, zeigt sie offener. Deswegen spricht euer Volk von einer Belastung, die es in unseren Augen nicht gibt. Denn obwohl ihr für Outrider sehr emotional seid, gleicht ihr einem sehr beherrschten Menschen“, äußerte der Recke ruhig. „So wirkt es für euch. Für uns ist es eine Tatsache. Outrider mit einen Hormonspiegel bis zu fünfundzwanzig Prozent über dem Durchschnitt sind für unsere Führung wichtig und werden in der Regel zu Agenten ausgebildet mit denen ihr bereits zu tun hattet.“ Dabei sah er zu Colt und Saber. „Sie sind nicht empfänglich genug für eure Emotionalität, verfügen aber über genug Empathie um eure gegen euch zu verwenden. Outrider mit einem Wert von bis zu fünfzig Prozent über dem Durchschnitt werden belastender, lassen sich zu Racheakten verleiten, was nur bedingt nützlich ist. Besonders kritisch ist es mit denen, deren Werte über neunzig Prozent gehen. Die sind menschlich.“ „Von welchen Werten sprechen wir bei euch?“, erkundigte sich April interessiert. Was er gerade berichtete, erklärte ihr doch einiges. „Ich schätze, ihr seid alle bei etwa fünfzig Prozent oder mehr“, riet der Scharfschütze nachdenklich. „Welcher Prozentsatz ist egal. Ihr seid für eure Führung unbequem, ihr passt nicht mehr dazu“, stellte Saber fest und erhielt ein bestätigendes Nicken von dem Outrider. Dann wandte der sich an den Lockenkopf und entgegnete. „Da irrst du dich. Annabell lag bei zwanzig üD. Ich habe einen Wert von siebenundvierzig üD. Snow liegt bei zweiundneunzig üD“ Er warf Colt einen bedeutungsvoller Blick zu. „und Beth bei achtundneunzig üD.“ Er schaute den Blonden ebenso an, fragte sich, ob die beiden verstanden, was er ihnen eben gesagt hatte. „Oha.“ Colt riss die Augen auf. Was für ein Unterschied zwischen den Schwestern. Annabell, die kühle, berechnende Verführerin, die ihn ohne Skrupel getötet hätte und Snow - temperamentvoll ungestüm und wagemutig. Tag und Nacht waren sich ähnlicher. „So hoch. Das war mir nicht bewusst“, gab der Schotte perplex zu. April staunte nicht weniger. In ihrem Kopf fügten sich die Informationen zusammen. „Ihr hattet daran Zweifel? So wie meine Schwestern auf euch reagieren?“ hakte Jean-Claude nach und hob die Braue. „Ich wusste, dass ihr besonders seid und dass eure Werte höher sind, aber ich bin doch erstaunt, dass ihr soweit über dem Schnitt seid. Ich weiß, dass Beth und Snow intensiver reagieren als andere Outrider.“ Er rieb sich nachdenklich das Kinn. „Wären sie hier groß geworden, hier sozialisiert, würde der Unterschied nicht auffallen. Sie sind menschlich und es war hart für sie bei uns. Zu emotional, zu weich, zu impulsiv ... Du hast keine Vorstellung davon, wie viele Übergriffe von anderen sie sich aufgrund dessen gefallen lassen mussten“, führte Jean-Claude aus. Er wusste es nur zu gut. Genauso oft hatte er die beiden vor solchen Übergriffen geschützt. „Außerhalb unserer Familie war es ein Stigma für sie, besonders da Annabell so ... vielversprechend war.“ Langsam sickerte ein erstes vollständiges Verstehen in sie alle. „Wie ist es möglich, dass ihr so unterschiedlich seid?“, wollte Colt wissen. „Es heißt, die Symbiose unserer Eltern war übermäßig von Zuneigung geprägt. Es ist möglich, dass solche Bindungen der Grund dafür sind. Sicher ist man sich diesbezüglich nicht, aber es ist ein Thema, an dem geforscht wird. Ganz gleich jedoch, wie 'menschlich' die beiden sind, ob sie dazu gehören oder nicht, ihre Fähigkeiten könnten noch dienlich sein. Deshalb wird man sie zurück holen.“ Er sprach sachlich, auch als er ergänzte. „Ich sage euch das, um euch zu verdeutlichen, wie wichtig es für die beiden ist, hier zu sein, wie wichtig diese Zusammenarbeit ist und ...“ Er bracht ab und sah die beiden Männer an. Er ging davon aus, der Blick genügte. Seine Schwestern waren verletzbar und er sorgte sich um sie. Er würde jeden büßen lassen, und Colt wusste am besten, dass er es tun würde, der es wagte ihnen weh zu tun. Saber nickte verstehend. „Wir werden alles in unserer Macht stehende tun, damit die Mädchen und du, hier ein neues Leben aufbauen können und sicher sind“, versprach er ihm aufrichtig. Colt nickte ebenfalls fest. „April, ich denke, ich sollte dies auch dem KOK vortragen. Darf ich auf deine Unterstützung bei der Vorbereitung dafür rechnen?“, erkundigte sich Jean-Claude nun, da gesagt worden war, was gesagt werden musste. „Natürlich. Beth und Snow könnten die Brücke schlagen, die es für ein friedliches Zusammenleben braucht. Sie sind sozusagen menschliche Outrider. Du kannst auf meine Hilfe zählen.“ „Ich danke dir. Sie könnten es tatsächlich.“ Damit fuhr er fort, die Bücher einzusortieren. Inzwischen war Fireball wütend nach Hause marschiert. Er fasste nicht, was passiert war. Dieser grünhaarige Mistkerl mischte sich in seine Beziehung ein und April nahm ihn auch noch in Schutz. Das war unglaublich. Erst flirtete sie mit diesem Typen, dann brachte sie ihn nach Hause und nun lief sie mit ihm vor ihm, Fireball, davon. Wenn sie die Beziehung beenden wollte, brauchte sie nur einen Ton zu sagen, aber dieses Spielchen war er leid. Ein klares Wort genügte doch, wenn er auch nicht verstand, warum sie überhaupt ein Ende der Beziehung wollte. Bis Beth und Snow in ihren Urlaub gestolpert waren und damit ihren Bruder auch gleich hinein geschleift hatten, hatten die Navigatorin und er eine gute Beziehung geführt. Natürlich hatten sie sich auch mal gestritten, waren ihre Herangehensweisen im Job teilweise unterschiedlich und ging man sich auf so engen Raum wie Ramrod auch mal schneller schlichtweg auf die Nerven. Man konnte mitten im Weltraum auch nicht mal eben abrauschen, wenn man eine kurze Auszeit vor dem anderen brauchte. Trotzdem würde er ihre Beziehung als glücklich bezeichnen. Was also war auf einmal mit ihr los, dass sie Jean-Claude ihm vorzog. Nicht nur einen Outrider, sondern ausgerechnet noch den, der versucht hatte sie zu töten. Litt sie an einer Wahrnehmungsverzerrung ähnlich wie beim Stockholm-Syndrom, die aufgetreten war, als sie sich wiedergesehen hatten? Er betrat die Wohnung und sah sich um. Leer war es hier ohne sie. Still und irgendwie kühl. Selbst wenn sie mit Jean-Claude sprach, statt mit ihm, war es anheimelnder gewesen als jetzt. Er trotte den Flur hinunter ins Schlafzimmer und ließ sich aufs Bett fallen. Er spürte kaum noch, wie er auf der Matratze aufkam. Seine Gedanken ließen ihn auch im Schlaf nicht los. Er sah Aprils Hand. Sie bewegte sich leicht um Jean-Claudes Arm und legte sich sacht darauf. Ihre blauen Augen richteten sich auf ihn. Sie leuchteten. Ihr Lächeln erstrahlte. Der Blick des Grünhaarigen erwiderte ihren. Seine Hand strich über ihre, streichelte sie sanft. Sie wandte sich einander zu und April reckte ihm ihren Kopf entgegen. Sie flüsterten lautlos. Er beugte sich zu ihr hinunter und legte seine Lippen auf ihre. Ihre Arme glitten um seinen Hals. Er zog sie zu sich, drückte sie an seinen Körper. Fireball warf sich von einer Seite auf die andere. April legte den Kopf in den Nacken, schloss die Augen genüsslich. So genüsslich wie in ihren hingebungsvollen Momenten mit ihm. Jean-Claude war es, der seine Lippen auf die zarte Haut ihres Halses legte und darüber strich. Er sog an der Beuge ihres Halses, wobei seine Hände über ihre Oberarme wanderten und ihre Brüste umschlossen. Fireball fuhr auf. Sein Herz raste. Er atmete hastig. Gehetzt sah er sich um, fand sich allein im Schlafzimmer wieder. Der Blick auf den Wecker verriet, dass er aufbrechen musste. Seine Schicht bei Jean-Claude begann bald. Kapitel 4: Kapitel 4 -------------------- Saber überquerte die Rasenfläche zwischen den Wohngebäuden und ging auf den Fahrstuhl im Wohnhaus zu, in dem Jean-Claude nun wohnen würde. Er fuhr in den zehnten Stock hinauf. Er hatte sich vorgenommen mit dem Rennfahrer noch vor seinem Dienstbeginn zu sprechen und die Abmahnung nicht aufzuschieben. Vielleicht half es auch, den Rennfahrer zur notwendigen Professionalität zurück zu bringen. Auf keinen Fall konnte und wollte er das Vertrauen, das Jean-Claude ihm gegenüber ausgesprochen hatte, enttäuschen. Es stand zu viel auf dem Spiel. Colt ruhte sich in der Wohnung der Schwestern noch ein wenig aus, bevor er zur Nachtschicht antreten würde. Eine durchwachte Nacht, die Arbeit mit dem Umzug und nun stand er kurz vor der nächsten Nachtschicht. Wenn er seine Aufgabe vernünftig erfüllen wollte, musste er wenigstens noch eine Stunde schlafen. Snow und Beth hatten sich in Bücher für das Studium vertieft, waren regelrecht versunken darin. April plante mit Jean-Claude den nächsten Termin beim Oberkommando. Sie besprachen, welche Inhalte am relevantesten waren. Ian Broik und Garrett McLeod wachten noch immer im Umland, irgendwo in der Dämmerung in der Stadt. Sie schlenderten unauffällig um her, bemerkten allerdings niemand, der sich seltsam benahm. Es war ein ganz normaler Tag in dieser Wohngegend in Yuma-City. Die einzige Besonderheit war der Einzug in zwei Wohnungen, Einzug der Outrider. Doch niemand schien ihnen zu folgen oder sie zu beobachten. Sie sahen Fireball auf die Wohnblöcke zustreben, aufgewühlt und unausgeglichen wie schon zu Beginn ihre Zusammenarbeit. Sie schüttelten die Köpfe. Da hatte er so eine Wahnsinnsfrau wie die Tochter des Commanders an seiner Seite und war ständig irgendwie angepisst, jedenfalls wenn sie ihn sahen. Mit dem stimmte doch was nicht. Für den Job war es auch nicht gerade gut, so was lenkte ab. Einige Minuten vor dem Rennfahrer hatten die beiden den Recken in den Wohnblock Jean-Claudes gehen sehen, weder allerding den noch die Navigatorin. Wahrscheinlich hatte es Stunk gegeben und nun musste der Captain Ramrods das klären. Was für ein Bockmist und reichlich unprofessionell, vor allem bei dem Ruf, den die Friedenswächterbesatzung weg hatte. Da hatte vor allem Broik mehr erwartet. McLeod grinste eher vor sich hin, als hätte er einen Verdacht, eine Ahnung um was es gehen könnte. Aber er sprach es nicht aus, tratschte nicht. Fireball fuhr mit dem Aufzug in die Anderthalb-Zimmer-Wohnung des grünhaarigen. Seine Laune war frustriert, der Schlaf hatte keine beruhigende Wirkung gehabt, eher eine aufwühlende. Er öffnete die Tür und war mit drei Schritten im Raum. Rasch erfasste er ihn. Es sah darin noch genauso aus, wie zu dem Zeitpunkt, an der er ihn verlassen hatte. Das Bett in der Schlafnische war aufgebaut und bereit für einen Schlafenden. Die Wohnküche war halb fertig, ein Stuhl und ein Tisch standen darin. Das Regal lag noch halb zusammen montiert am Boden. Das musste beendet und aufgerichtet werden. Weiße Wände, dunkler Boden, schmucklos, leblos – alles noch wie zuvor. Bis auf eines. Bis auf den Recken, der mitten im Raum stand, die Miene ernst, die Arme entschlossen vor der Brust verschränkt. Fireball wusste Bescheid. „Hey, du hier?“ Eine lahme Feststellung, aber sie eröffnete das Gespräch. Saber nickte leicht. „Hey, ja. Pünktlich zum Dienst, wie ich sehe.“ Er steckte in der Tinte. Das war dem Rennfahrer schon klar. Die Frage war, wie tief. „Wie's sein soll, oder? Aber Jean-Claude ist nicht da.“ „Ja, so sollte es sein. Dass dir auffällt, dass dein Schützling nicht da ist, sollte auch so sein.“ „Soll ich dich statt Jean Claude nun beschützen, oder hat es einen anderen Grund, weshalb ihr die Plätze getauscht habt?“ Es musste mindestens Hüfttief sein, wenn Saber in jedem Satz ein ‚Soll‘ unterbrachte. Es verdeutlichte, dass er hier als sein Vorgesetzter stand, nicht als Freund. Die Art wie er die Braue hob erst recht. „Ein interessanter Vorschlag. Das könnt tatsächlich effektiver sein“, nickte er knapp. Genug des Hickhack, entschied er dann. Es war Zeit auf den Punkt zu kommen. Er hoffte nur, es würde kurz und sachlich laufen. Auf einen Ausbruch von einem eifersüchtigen Hitzkopf konnte er nach diesem Tag verzichten. „April und Jean-Claude sind noch drüben bei Colt und den Schwestern. Sie bereiten den nächsten Termin beim Oberkommando vor.“ Prompt schnaubte der düster. „Schiebt sie jetzt Überstunden, oder was?“ Beeindruckt hob der Schotte die Brauen. Die finster Miene und die Abfälligkeit in der Stimme machten es ihm leicht sich vorzustellen, was sich zu der Mittagszeit hier ereignet hatte und wie viel Wahrheit in den Berichten Aprils und Jean-Claudes gelegen hatte. Der Rennfahrer konnte mit einem weiteren Wort sofort aufgebracht an der Decke kleben. „Okay, und jetzt versuche sachlich zu antworten“, erwiderte er daher langsam und jedes Wort betonend. So gemahnt holte der Wuschelkopf tief Luft und presste die erste Frage hervor, die ihm als sachlich in den Sinn kam. „Welcher Termin steht an?“ „Das ist jetzt bitte nicht dein Ernst?!“, kam es ernsthaft empört von seinem Vorgesetzen zurück. War er tatsächlich durch die Situation zwischen sich und der Navigatorin so abgelenkt, dass er vergessen hatte, dass sein Schützling täglich Termine beim Oberkommando hatte? Oder interessierte ihn die Arbeit des Outriders, und damit seines Schützlings, tatsächlich so wenig? Aus Eifersucht heraus? „So, wie du das gesagt hast, klang's nach einem außergewöhnlichen Termin“, behauptete der und hob resignierend die Arme. Saber schüttelte leicht den Kopf und ersparte es sich darauf hinzuweisen, wie faul diese Ausrede war und wie wenig er sie ihm abkaufte. Sachlich erwiderte er darum: „Du solltest dich etwas mehr um die Person kümmern, deren Schutz dir anvertraut wurde. Deine Beziehungsprobleme solltest du allerdings nicht vor ihr diskutieren und auch nicht auf diese Weise.“ Der Rennfahrer rollte die Augen. Das hatte er sich schon so ausgerechnet. Natürlich waren die beiden zu den Schwestern des Outriders gegangen. Lange hatte es sicher nicht gedauert, bis Aprils Aufregung offensichtlich geworden war. Ab da hatte sie sicher Rede und Antwort gestanden und nun wussten alle Bescheid. Als ob es sie irgendetwas anginge. „Ich kümmere mich darum, sonst wäre ich nicht hier“, brummte er unwirsch. „Abgesehen davon hatte ich nicht vor, neben oder überhaupt mit ihm über meine Probleme mit April zu reden.“ Eine schwacher Rechtfertigung unter verstimmt zusammen gezogenen Brauen. Saber kannte ihn gut genug um zu wissen, dass er ab jetzt in Rekordtempo hochkochen wie ein Vulkan ausbrechen konnte. Er straffte die Schultern und richtete sich noch etwas mehr auf. Seine Haltung wurde fester, seine Miene ebenfalls. Er maß sein Gegenüber mit strengem Blick. Er musste ihn jetzt bremsen, jetzt seinen Blick erweitern, andernfalls konnten sich unsachliche, frustrierte Ausbrüche über die kommenden Tage hinziehen und die Arbeit unnötig und nervenaufreibend unterbrechen. „Soweit ich informiert bin, ist dir das - gelinde gesagt - nicht gelungen.“ Er hielt seine Stimme ruhig und seine Worte neutral. Es jetzt als das Versagen oder Scheitern zu benennen, das es tatsächlich war, würde genau zu der Eskalation führen, die er vermeiden wollte. „Dein Verhalten zwingt mich“, betonte er fest, „dazu dich abzumahnen. Es nötigt“ auch das betonte er deutlich, „mich beinahe dazu, dich zu melden und, hätte Jean-Claude darauf bestanden, würde ich dich jetzt von diesem Auftrag abziehen müssen. Fireball, ich weiß nicht, was dich dazu bringt, irgendeine Form von Eifersucht zu hegen. Es wundert mich, dass du dazu fähig bist. Aber Jean-Claude ist ein Flüchtiger, der um Schutz für seine Schwestern und sich gebeten hat und dafür mit uns zusammen arbeitet. Wir alle“, betonte er entschieden, um zu verdeutlichen, dass er die Geschwister mit einschloss, „wollen einen dauerhaften Frieden erwirken. Dein Verhalten von heute allerdings sabotiert das. Mach dir das bewusst.“ Die Stirn des Rennfahrers glättet sich. Sein Blick verlor das verstimmte Funkeln und richtete sich auf den Boden. Er presste die Lippen zusammen. Seine Aufregung ebbte ab. „Den Schutz bekommen sie auch, Saber. Ich will den Frieden ebenso, wie alle anderen“, erklärte er nun, und klang wie der Star Sheriff, den Saber hatte erreichen wollen. „Die Schwestern, und auch Jean-Claude, sollen sich hier ein Leben aufbauen können. Es wird nicht wieder vorkommen.“ Seine Stimme war fest und sachlich, doch ganz überzeugt war der Schotte nicht. Die Wortwahl Fireballs machte deutlich, dass der Grünhaarige für ihn hinten anstand, nebensächlicher war, und damit tendenziell auch lästig. Saber schaute kurz auf den Boden, wog ab, ob er es ansprach, entschied sich dann aber dagegen um die Sachlichkeit zu erhalten. „Das hoffe ich, denn wenn ich mich noch einmal bei Jean-Claude entschuldigen muss, weiß ich nicht, wie er darauf reagiert. Er sagte bereits, dass er das Vertrauen in Entschuldigungen verliert. Bei einer dritten bricht er womöglich die Vereinbarung und verschwindet mit seinen Schwestern. Der Vorfall mit Arasmus war schon schwerwiegend genug“, mahnte er Fireball noch einmal deutlich. Der schluckte unwillkürlich, als er offenbar mit diesem Mistkerl in einen Topf geworfen wurde. Dabei hätte er Arasmus, für das was er getan hatte, gern ein zwei Takte dazu gesagt, oder auch geklopft. Aber, so unangenehm es war, sich das einzugestehen, auch er war gegenüber seinem Schützling handgreiflich geworden. „Eine dritte wird von dir nicht nötig sein“, murmelte er belegt. „Gut. Du bist jetzt offiziell abgemahnt. Schlimm genug.“ Saber fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Wie er darauf hätte verzichten können. Wenigstens war das Gespräch so verlaufen, wie er gehofft hatte. Jetzt konnte er Feierabend machen. Für – er warf einen kurzen Blick auf seine Uhr – eine halbe Stunde. Dann fing seine Nachtschicht an. Morgen durchschlafen, wahrscheinlich bis in den Nachmittag, wie so oft, wenn er zwei Nächte und den Tag dazwischen durcharbeitete. Er seufzte unterdrück. „Ich sehe, wo Jean-Claude und April bleiben. Es gab keine Vorkommnisse heute, alles ruhig. Die Schwestern sind heute vollständig eingezogen. Morgen machen wir die Wohnung hier fertig.“ Er salutierte leicht und wandte sich zum Gehen. „Verstanden.“ Fireball erwiderte den Gruß, nahm sich vor seinen Vorgesetzten und Freund nicht mehr zu enttäuschen. „Wir sehen uns dann.“ Der nickte knapp und ging zur Tür, fuhr sich verstohlen noch einmal mit der Hand über das Gesicht. Zum Glück gab es Kaffee in der Wohnung der Schwestern. Nur eine Infusion konnte er sich damit nicht legen. Es musste auch so gehen. Er wollte eben die Tür öffnen, als sich die Klinke hinunter bewegte. Einen Moment erstarrte er wachsam, dann schwang sie auf und erhörte den Outrider sich von der Navigatorin verabschieden. Jean-Claude betrat seine Wohnung, entdeckte Saber und Fireball darin. Beide hatten ernste, aber ruhige Mienen. Der Schotte hatte also Wort gehalten. Einsilbig grüßte Fireball ihn und verabschiedete Saber. Der nickte dem grünhaarigen zu und ließ die beiden wortlos allein. Jean-Claude musterte den Rennfahrer kurz, dann setzte er sich auf den Stuhl in der Kochnische und legte eine Mappe auf den winzigen Tisch davor. Er öffnete sie und begann die Papiere darin durchzugehen und zu überprüfen, was er gemeinsam mit April erarbeitet hatte. Der Rennfahrer sah ihn an, schaute dann zu der Tür, durch die Saber gegangen war und hinter der seine Freundin ihm verborgen geblieben war. Sie wollte wohl nicht mit ihm reden. Das war schmerzhaft, aber er konnte es verstehen. Er hatte sich ihr gegenüber nicht gerade konstruktiv gesprächsbereit gezeigt, hatte sie im Gegenteil verscheucht. Außerdem war es ein langer Tag für sie gewesen, da war die Ruhe verdient und er gönnte sie ihr. Er schürzte die Lippen und sah sich um. Sein Blick fiel auf das halb zusammen montierte Regal auf dem Boden. Das wäre konstruktiv. „Wenn's dich nicht stört, kümmere ich mal um das Regal.“ „Dem geht's gut.“ Gleichgültig und ohne aufzusehen kam es von dem Outrider zurück. „Nein, ich meinte.“ Er schaute den Lesenden an, wie er in den Papieren blätterte. „Weißt du was? Vergiss es. Ich bau es einfach zusammenzubauen, soweit's geht.“ Er machte eine unschlüssige Handbewegung und wandte sich dem Möbelstück zu. Er hörte, wie der Outrider sich hinter ihm erhob und die Mappe zusammen klappte. Der Stuhl wurde über den Boden geschoben. Genervt von dem Gestammel des Wuschelkopfes und seiner, in den Augen des Outriders, hirnrissigen Idee zur Zeit einer vernünftigen Nachtruhe in der winzigen Wohnung auch noch Lärm verursachen zu wollen, rollte er die Augen. Kam der nicht auf den Gedanken, dass Schlaf eine sinnvolle Ruhephase war, vor oder nach einem effektiv genutzten Tag? Wo sollte der Outrider denn hin, wenn der Rennfahrer jetzt wirklich noch mit dem Akkuschrauber zu hantieren begann? „Ich sag dir mal was klipp und klar“, meinte er daher kühl und distanziert. „Wer seine Partnerin so behandelt wie du, vor dem hab ich keinen Respekt. Aber ich habe Respekt vor Saber Rider, deshalb belasse ich mal dabei.“ Der Schotte hat Wort gehalten und Fireball abgemahnt. Das genügt ihm fürs erste. Er ergänzte, damit der Wuschelkopf nicht länger an seinen komischen Ideen festhielt, noch schlicht. „ Jetzt geh ich schlafen.“ Damit ließ er die Mappe auf dem Tisch und strebte auf das kleine Badezimmer zu, passierte Fireball, der die Stirn schon wieder verstimmt runzelte. „Ich bin auf deinen Respekt nicht scharf und auch nicht sonderlich auf deine Meinung bezüglich April“, begehrte der auf. „Was es zu klären gibt, will ich mit ihr alleine klären. Wie du selbst zu Mittag bereits festgestellt hast, war ich übermüdet und gereizt, Es war nicht richtig, dich anzugreifen, dafür entschuldige ich mich. Ich hab rot gesehen und hätte jeden anderen auch angegangen.“ Er machte eine Pause um sich zu sammeln, starrte aber nur auf die verschlossene Tür hinter der der Outrider wortlos verschwunden war. Kopfschüttelnd streifte Jean-Claude seine Sachen ab und stieg in die Duschkabine. Mit dem ersten Satz seiner Predigt hatte der Rennfahrer den letzten Rest Respekt eingebüßt. Er hatte sich angehört wie so viele Menschen, mit denen er bisher zu tun hatte. Er meinte auch, nur er könne alle anderen belehren und erzählen, wie sie zu leben hatten, insbesondere wohl die dummen Lemminge, die Outrider für ihn waren. Im Gegenzug aber nahm er nichts von ihnen an, wodurch er hätte lernen können. Ein selbstherrlicher, selbstgerechter hormonell überladener Mensch wie so viele. Wasser prasselte auf seinen Kopf, tränkte seine Haare und rann über seinen Körper. Er griff nach dem Duschgel, das April ihm geschenkt hatte, und verteilte eine kleine Menge davon auf seinem Körper. Seine Hände fuhren über seinen Brustkorb, über die Muskeln und die kleinen wulstigen Narben darauf. Auf der linken Brust unterhalb des Schlüsselbeines war ein kreisrundes Wundmal. Rau war die Haut, die die Stelle verschloss, auf der man ihm einst einen glühenden Stab aufgesetzt hatte. Die Strafe dafür, dass er sich mit anderen Jungen geprügelt hatte, die Beth in den Schmutz gestoßen und ihr Gesicht in eine Pfütze gedrückt hatten, weil sie um einen toten, halb verwesten Sperling geweint hatte. Da es zum zehnten Mal zu einer Schlägerei gekommen war, hatte der Lehrer sich entschieden, ihn auf diese Weise zu züchtigen. Seine Hand seifte den anderen Arm ein, stricht über die Schulter und die drei Narben, die ein Messer dort hinterlassen hatte. Die Strafe für das wiederholte Prügeln mit Jungen, die mal wieder versucht hatten, Snow mit Stöcken zu schlagen, weil sie wegen irgendetwas aufgebraust war. Seifenschaum rann über seinen Rücken, über die zehn Schmisse, die er dafür erhalten hatte, dass seine Mission gescheitert war und Annabell nicht hatte rächen können. Sein Körper war gezeichnet davon. Versagen und normabweichendes Verhalten wurde mittels körperlicher Züchtigung unterbunden. Das galt als effektiver. Er hatte jede Strafe in Kauf genommen und ertragen. Seine Schwestern waren es ganz einfach wert, waren ihm lieb und teuer. Er würde auch diesen überemotionalen Menschen da in seiner Wohnung ertragen, so lange er ihm weitere Ausbrüche ersparte. Er schaltete die Dusche aus und trocknete sich ab. Dann bekleidete er sich wieder und verließ das Bad. Wortlos, ohne irgendwie noch auf Fireball zu achten, legte er sich in der Schlafnische zu Ruhe. In der Menge sahen sie aus wie drei von vielen. Grün, weiß und ein blasses Lila waren vielleicht nicht die gängigsten Haarfarben, aber auch nicht wesentlich anders, als so mancher Schopf, der sie sonst noch passierte. Ihre Haut mochte blasser ein, als die der meisten, aber es liefen auch genug bleich geschminkte Gesichter umher, mit verschiedenem provokanten auffälligen Make-up. Der grünhaarige Mann trug ein schlichtes weißes Shirt und eine dunkle Hose, hob sich genauso wenig von den anderen ab, wie die beiden Mädchen rechts und links von ihm, in ihren einfachen Kleidern, ganz gleich wie ihre Gestalten darin zur Geltung kamen. Die Blondine, welche die drei begleitete, war ebenso normal im Alltagsbild der Stadt, wie die Geschwister. Leider war es ihre Idee gewesen, mit den dreien shoppen zu gehen. Broik und McLeod hatten sich beide ein Seufzen nicht verkneifen können. „Muss das sein?“, war es dem jüngeren der beiden, Ian, entwichen, wofür Garrett ihn angestoßen hatte. Es sprach nichts dagegen. April begleitete die Geschwister direkt, war also nah am Geschehen, sollte etwas passieren. Shoppen zu gehen mochte eine streitbare Freizeitbeschäftigung sein, war aber eine übliche und somit nicht gefährlich. Es war nur schwieriger, sie im Gedränge nicht aus den Augen zu verlieren oder sie zu beobachten, wenn sie sich in den Umkleiden aufhielten. Aber dafür war eben auch die Ramrod-Navigatorin bei ihnen. Der Tag hatte begonnen wie vorherigen. Sonnig, heiß und strahlend. Die Schwestern hatten ihre Vormittagskurse an der Universität absolviert, hoch konzentriert und ehrgeizig wie jeden Tag davor. Sie waren zielstrebiger als die meisten Studenten und ernsthafter bei der Sache. Einen Freundeskreis hatten sie nicht wirklich, eher Lerngruppen an denen sie sich beteiligten und die soweit gut funktionierten, möglicherweise sogar zielorientierter durch die Anwesenheit und Art der Schwestern. Gregor, der Student der Beth gegen Arasmus geholfen hatte, gehörte zu der Lerngruppe des Anatomiekurses und stand der jungen Frau mit den blass lila Haaren wohl am nächsten. Sie sprachen oft zusammen, wirkten freundschaftlich im Umgang mit einander. Für heute waren die Lesungen beendet, schon am frühen Vormittag, und auch Jean-Claudes Termin beim Oberkommando war etwa zeitgleich beendet. Das Thema mit den Hormonen war mit großem Interesse verfolgt worden und man hatte sich eine Vertiefung erbeten. Commander Eagle selbst hatte sich bei dem Outrider für die gute Zusammenarbeit bedankt und seine Hoffnung zum Ausdruck, diese weiter so informativ und umfangreich fortzuführen. April hatte daraufhin die Geschwister zusammen gebracht und die Shoppingtour begonnen, die sie beim Einräumen am Vorabend vorgeschlagen hatte. Nun half sie den Schwestern in verschiedene Kleider und T-Shirts, deren tatsächliche Ausbeute viel allerdings eher gering aus. Sowohl Garrett als auch Ian kannten genug Frauen, die ausgewählte Kleidungsstücke anprobierten und auch kauften, wenn sie ihnen gefielen. Doch die Outrider wählten unter diesen sorgfältig noch einmal aus und kauften nur wenige Stücke. Dafür allerdings gelangte diverses Nähzeug in ihre Einkaufstaschen, wohl mit der Absicht, vorhandene Sachen eigenhändig aufzupeppen. Zwei schöne Kleider zum Ausgehen erwarben sie auf April Einfluss dann doch. Auch Jean-Claude verhalf sie zu zwei neuen Oberteilen, wobei es eher Höflichkeit seinerseits zu sein schien, dass er Geld darin investierte. Es war wohl ein Zeichen des Respekts und der Dankbarkeit ihr gegenüber, um ihr zu zeigen, dass er die Mühe zu schätzen wusste, sie dabei zu unterstützen sich einzuleben. Immerhin hatten seine Schwestern Freude an der Zerstreuung, die diese Tour ihnen bot. Er betrachtete allerdings mit Skepsis, die Gesichter seiner Schwestern, nach dem die Navigatorin ihnen ein wenig Make-up auftrug. Er wusste, sie waren hübsch und mit nur einem Hauch von Farbe auf den Wimpern und den Wangen kam dies erst recht zur Geltung. Allerdings erregten sie nun etwas mehr Aufmerksamkeit und die Anziehung auf ihre Verehrer würde wohl noch weiter steigen. Auch hier allerdings waren die Outriderinnen eher praktisch. Wo andere gleich eine ganze Farbpalette erworben hätten, beschränkten sie sich auf den Lidschatten und den Lippenstift, der ihnen am besten gefallen hatte und ergänzten sie um eine Tube der Grundierung, die ihnen am meisten zusagte und eine Fläschchen Wimperntusche. So übersichtlich wie diese Grundausstattung war, würde sie diese wohl nur zu besonderen Anlässen tragen und – wieder anders als Menschen – nicht täglich verwenden. Je länger sie die drei beobachteten, desto menschlicher erschienen sie ihnen. Der Unterschied in Bezug auf die Einkäufe machte sie nicht eben unsympathisch. Ihre Bescheidenheit sprach für sie. „Mein Tochter hätte locker das Doppelte gekauft“, bemerkte McLeod mit einem Zwinkern an Broik gewandt. Der nickte. „Meine Freundin auch.“ Saber hatte bis in den frühen Vormittag geschlafen wie ein Stein. Die Ablösung war am Morgen zum Glück etwas früher aufgetaucht um ihnen etwas mehr Zeit zum Schlafen zu verschaffen, wofür er und der Scharfschütze ausgesprochen dankbar waren. Am Nachmittag war er zum Oberkommando gegangen und hatte sich nach dem Stand der Ermittlungen um Arasmus erkundigt. Der befand sich gegenwärtig noch in Untersuchungshaft, durfte wahrscheinlich in der kommenden Woche auf Kaution raus und bis zur Verhandlung das Gebiet um Yuma-City nicht verlassen. Man gedachte ihm strenge Auflagen zu, die natürlich beinhalteten, dass er über seine letzte Mission nicht reden und sich im Rahmen einer Verfügung nicht den Geschwistern nähern durfte. Seine unehrenhafte Entlassung wurde mit dem Ende der Untersuchungshaft wirksam. Saber war beruhigt und zufrieden mit dem Stand der Dinge. Er würde es heute Abend Beth erzählen, damit sie sich sicherer fühlen konnte, falls sie eine Verunsicherung nicht zeigte. Am vorigen Abend hatte er sie zum Essen eingeladen, um ihren Einzug zu feiern. Sie hatte sich gewünscht, in ein Restaurant zu gehen, dass Küche aus seiner Heimat im Menü hatte. Nachdem er ihr bereits von den Highlands erzählt hatte, war sie nun neugierig darauf, was ihn nicht nur sehr freute, sondern auch ein wenig stolz machte. Von seiner Verabredung inspiriert hatte auch Colt die weißhaarige Schwester eingeladen. „Zum Square Dance?“ hatte April neckend gefragt. Die Schwestern hatten sich mit großen Augen fragend angesehen, während der Scharfschütz rot geworden war und die Blondschöpfe erheitert gefeixt hatten. Dennoch blieb es dabei, dass der Lockenkopf und Beth Schwester heute „um die Häuser ziehen würden.“ Nun bereitete er sich auf seine Verabredung vor und duschte ausgiebig. Dann zog er sich eine helle Hose an und schwang sich ein dunkelblaues Hemd über. April hatte ihm bei der Auswahl geholfen und es ihm deshalb empfohlen, weil „es deine Augen betont und deine Haarfarbe zum leuchten bringt“. Er schmunzelte vor sich hin, war gespannt, was Beth dazu sagen würde. Auf dem Weg zu ihr hielt er an einem Blumenladen. Er sah sich nach einem Strauß um der überwiegend lavendelfarbene Blüten enthielt, die mit weißem Schleierkraut ergänzt wurde. Er war nicht sicher, wie sie darauf reagieren würde, aber die Blumen passten so wunderbar zu ihrem Haar, dass er nicht widerstehen konnte. Er suchte noch eine passende Vase zu dem Strauß, dann beeilte er sich. Kapitel 5: Kapitel 5 -------------------- Vor einer Minute waren Jean-Claude und April gegangen, nachdem die Navigatorin den Schwestern geholfen hatte sich auf ihre Verabredungen vorzubereiten. Der Outrider hatte die drei aufmerksam beobachtet, teils interessiert, was sie da trieben, teils mit einem flauen Gefühl in der Magengrube, über das er nicht nachdenken wollte. Er hatte eigentlich auch keinen Grund dazu. Snow und Beth waren bedacht genug, sich nicht in gänzlich unvorhersehbare Situationen zu bringen. Wie er schon beim Abendessen, zu dem Saber und die Blondine ihn und seine jüngste Schwester eingeladen hatte, fest gestellt hatte, verstand es April ihr Äußeres zur Geltung zu bringen. Ein nicht weniger geschicktes Händchen hatte sie bei seinen Schwestern bewiesen. Nun standen die beiden vor dem Spiegel an Snows Schrank und beäugten sich erstaunt. Die weißhaarige zupfte verwundert an dem frechen Pferdeschwanz, den April ihr gebunden hatte und zog noch einmal das auberginefarben Top zu Recht. Es ließ ein wenig ihren Bauchnabel blitzen, wenn sie sich bewegte, wirkte aber elegant zu der schwarzen Hose und den hohen Pumps. Ihre Wimpern waren tiefschwarz getuscht und mit einem Eyeliner in der Farbe ihrer Pupillen umrahmt. Der zarte Schimmer ihrer Lippen war ihr fremd, sie fühlte sich grundsätzlich etwas seltsam, aber sie fand ihr Erscheinungsbild schön. Nicht weniger schön sah ihre Schwester aus. April hatte ihr welliges Haar über den Ohren mit einer feinen, weißen Blütenspange aufgesteckt und ihre Augen mit schwarzer Wimperntusche und Eyeliner betont. Sie schimmerten nun wie große Onyxe. Der Lippenstift unterstütze die rosige Farbe ihres Mundes und seiner Konturen und das schwarze Kleid schmiegte sich an ihren Körper. Es ließ die Schultern und Schulterblätter frei, verhüllte das Dekolleté und wurde im Nacken mit einem Knopf verschlossen. Es hatte die vertraute Länge, in der Beth sich wohlfühlte, die eine Handbreit über dem Knie endete, dennoch war es ungewohnt, sich darin zu bewegen. Mit den schwarzen Keilpumps zu laufen fiel ihr etwas leichter, als mit den Pumps, die Snow trug. Als es nun an der Tür schellte, erschraken beide. Sie lauschten in den Hausflur, hörten die Stimmen der Navigatorin, ihres Bruder und Sabers. Beth spähte durch den Türspion und versicherte sich, ehe sie dem Recken öffnete. Saber verschlug es für einen Moment die Sprache. Sein Blick glitt nicht nur musternd und anerkennend über ihre Erscheinung. Er enthielt auch ein Begehren, das er nicht verbergen konnte. Sie öffnete und schloss nervös die Fäuste. Es dauerte einige Augenblicke länger als bei jeder Verabredung zuvor, bis er einen Gruß hervorbrachte und ein Kompliment. „Du siehst atemberaubend aus.“ Dafür war es ehrlich. „Ja?“ Sie klang nicht überzeugt. Ihre Kleidung war ungewohnt und machte sie befangen. „Ja. Mir hat es fast die Sprache verschlagen.“ Er war tatsächlich ein wenig zerstreut, als er ihr die Blumen reichte. Sie lächelte irritiert und nahm sie entgegen, nahm sich Zeit, den Strauß zu betrachten und zu bestaunen. Sie erkundigte sich nach den Namen und Saber staunte einmal mehr. Nicht nur sie erkannte zwei der Blüten, auch Snow konnte jede zweifelsfrei zu ordnen, den allgemein bekannten und den botanischen Namen nennen. Beth stellte die Vase behutsam auf den Tisch in der Wohnküche und betrachtete ihn noch einmal. „Bist du fertig? Sollen wir aufbrechen?“, erkundigte er sich vorsichtig, ohne sie drängen zu wollen. Dann sah er auf Snow, die offensichtlich auch zum Ausgehen bereit war. Dem Lockenkopf würden die Augen herausfallen. „Sollen wir noch warten, bis Colt kommt?“, bot er höflich an. Snow schüttelte den Kopf. „Geht nur. Er müsste euch eigentlich entgegen kommen.“ Die Schwestern umarmten sich zum Abschied, dann nahm Beth den Arm an, den der Recke ihr anbot. Er führte sie aus der Wohnung. Am Fahrstuhl trafen sie auf Colt, der anerkennend pfiff, als er die beiden sah und dem Schotten aufmunternd im Vorbeigehen auf die Schulter klopfte. Im Lift zupfte Beth etwas unbehaglich in ihrem Kleid herum. „Seltsam ist es. Stoff ist da und dennoch hab ich das Gefühl ich sei nackt“, murmelte sie. „Ich kann dir versichern, du bist nicht annähernd nackt, Beth.“ Obwohl der Anblick sehr wahrscheinlich alles schlagen würde. „Das Kleid betont dein Figur und ich wiederhole es gern noch einmal: Du sieht hinreißend aus.“ Sie schaute ihn an. Das dunkle Blau seines Hemdes ließ das himmlische seiner Augen noch intensiver leuchten. Auch sein sonnenhelles Haar bildete einen glänzenden Kontrast zu diesem Oberteil. Die Knöpfe waren soweit geöffnet, dass sie die Kuhle zwischen den Schlüsselbeinen sehen konnte. „Du siehst … auffälliger aus", brachte sie etwas hervor, das wohl ihr erstes Kompliment an einen Mann sein musste. Er lächelte warm. Es war nicht weit zum Restaurant und so gingen sie schweigend die Straßen entlang. Die einbrechende Nacht kühlte die Luft von heiß auf warm, machte den Spaziergang angenehm. Menschen kamen ihnen entgegen, in fröhlichen Grüppchen oder vertrauten Paaren. Die Gastronomen öffneten ihre Türen weit und Gäste strömten ein und aus. Gelächter erklang, wurde von vorbeifahrenden Fahrzeugen für wenige Augenblicke übertönt. Es war ein ganz normaler Freitagabend in Yuma-City und doch schien es Beth zu faszinieren. Das Restaurant, in das er sie führte, lag auf halbem Weg zwischen ihrer beider Wohnungen und bot typische Delikatessen seiner Heimat an. Er hielt ihr die Tür auf und half ihr mit dem Stuhl. Sie schien diese Gesten zu mögen. Vielleicht vermittelten sie ihr das Gefühl geborgen und umsorgt zu werden. Er hoffte es zumindest. Als sie bestellt hatten und auf das Essen warteten, erzählte sie ihm von ihren Kursen an der Universität. Der Name Gregor fiel dabei oft, offenbar fand sie ihn interessant. Er wog ab, ob ihn das irritieren sollte, entschied sich dann dagegen. Der Glanz ihrer Augen, als sie sprach, war nicht derselbe wie der, mit dem sie ihn an sah. Sah sie ihn an, leuchteten ihre Augen intensiver. Das festzustellen beruhigte ihn. Er legte seine Hand auf ihre, hörte ihr zu. Ihnen wurde das Essen serviert. Er erzählte ihr von dem Stand des Falles Arasmus. Sie hielt unwillkürlich den Atem an um ihn dann kaum merklich zu entlassen. Dann lächelte sie sanft. Wie lange sie so saßen und sich unterhielten, hätten beide später nicht mehr sagen können. Irgendwann verließen sie das Restaurant und schlenderten die Straßen entlang. Saber schlug den Weg zu seiner Wohnung ein, Macht der Gewohnheit wie er sich einzureden versuchte, als es ihm auffiel. Die Wahrheit war, dass er sie zu seiner Wohnung führte, weil er dort mit ihr allein sein würde und er das enge Band, das sich um sie beide schlang, weiter festigen wollte. Selten hatte er so interessante Gespräche wie mit ihr geführt und selten hatte ihn eine Frau so sehr angezogen wie sie. Als sie seine Wohnung betraten, verstummte das Gespräch allerdings und ein seltsames Schweigen legte sich zwischen sie. Es dämmerte beiden, dass sie hier ungestört waren und dass eine Sehnsucht ihnen gefolgt war, sie hierher geführt hatte, die nun den Raum beherrschen wollte. Sie sah ihn mit ihren großen Augen an, die heute mehr als sonst, wie eine Sternennacht schimmerten. Er erinnerte sich an sein Versprechen und unterdrückte ein Seufzen. Wozu leugnen? Wann immer er mit offenen Karten gespielt hatte, direkt und ungeschönt, hatte sie unbefangen darauf reagiert, ohne Zögern und Hemmung. Sie würde ihm ihre Wünsche signalisieren. So trat er auf sie zu und umfasste ihren Hinterkopf sacht. Ohne weitere Umschweife presste er seine Lippen auf ihre, küsste sie innig. Sie kam ihm entgegen, schlang ihre Arme um seinen Hals. Er legte seinen freien Arm um ihre Taille, zog sie nah an sich heran. Er hieß ihre neugierige Zunge in seinem Mund willkommen und ging hingebungsvoll auf ihr Spiel ein. Er spürte ihren Körper an seinem, fuhr mit seinen Händen ihre Konturen entlang über ihre Schultern und dann wieder über ihren Rücken. Behutsam tasteten seine Finger tiefer. Sie seufzte leise. Flüchtig löste er den Kuss um ihn einen Lidschlag später erneut zu beginnen, sehnsüchtiger, leidenschaftlicher als davor. Als sie ihren Kopf in ihren Nacken sinken ließ und ihre Finger sanft durch sein Haar fuhren, drückte er sie gegen die Wand hinter ihr. Sie raubte ihm den Verstand und betörte seine Sinne. Sie musste es spüren, so sehr er sich an sie drängte. Sie musste ihn spüren und sein Verlangen, das sie entflammte und befeuerte mit jedem weiteren Seufzer, der ihren Lippen entwich. Sie musste spüren, wie sehr er sie begehrte, wie sehr sie ihn anzog und wie wenig er von ihr lassen konnte. Seine Hände verrieten ihn doch, strichen begierig über den Stoff ihres Kleides, erkundeten ihren Körper darunter. So fern sein berauschter Kopf es noch vermochte, betete er um ein Erhören seines Flehens, mit dem letzten bisschen Verstand, das sie ihm noch ließ so lange Kleidung seine Haut von ihrer trennte. Plötzlich pressten ihre Hände gegen seine Schultern und drückten seinen Oberkörper auf fast eine Armes länge von sich. Fassungslos schnaufte er auf, warf ihr einen perplexen, beinahe entsetzten Blick zu. Nein. Der Blick aus ihren nachtglänzenden Augen hielt ihn gefangen. Ihre Atmung war tief, bewegte ihren Brustkorb sichtlich. Nein. Ehe er sich von ihr lösen konnte, wie es wohl ihr Wunsch war, spürte er ihre schlanken Finger an den Knöpfen seines Hemdes. Blinzelnd schaute er auf die Verschlüsse, die sie einen nach dem anderen löste. Als sie seinen Gürtel erreichte, begriff er endlich. Ungestüm fuhren seine Arme in ihre Kniekehlen, hoben ihren Körper an und brachten ihre Taille auf die gleiche Höhe der seinen. Sie schlang ihre Beine um seine Hüften und strich sein Hemd über seine Schultern. Sie verabschiedeten sich von Verstand und irgendwelchen Normen und hießen ungestüm ihr Verlangen nach einander willkommen. Daniel Soor war der jüngste Spross seiner Familie, mit seinen beginnenden Zwanzigern. Früh schon hatte er gelernt, Recht von Unrecht oder Freund und Feind zu unterscheiden. Beeindruckend und prägend waren seine Vorbilder gewesen, Vater Jonathan, Bruder Matthew und Bruder Arasmus. Allesamt waren glühende Verfechter des Neuen Grenzlandes und der Freiheit darin, dem höchsten Gut überhaupt. Er gab dem Barkeeper ein Zeichen, das Glas noch einmal zu füllen. Der nickte dem Patrioten zu, verstehend und kameradschaftlich. Dann hielt er das geleerte Glas unter den Zapfhahn und füllte es erneut. Soors hatten, wie der Barmann wusste, in letzter Zeit einige ziemlich harte Schlappen weg zu stecken. Erst hatte der Älteste der Brüder während eines Gefechts seinen Arm bis zum Ellenbogen eingebüßt und lange auf Genesung und Genehmigung auf Rückkehr in den aktiven Dienst warten müssen. Dann, bei dem hinterhältigen Überraschungsangriff, hatte der mittlere Bruder seine Verlobte und seinen künftigen Schwager verloren. Gut, zu dem Zeitpunkt hatte sein Mädchen, Beth war ihr Name, die Verlobung gelöst, doch jeder wusste, dass deren Unsicherheit nur durch den unvermittelten Frieden gekommen war, den alle einerseits bejubelt, andererseits nur schwer gehandhabt hatten. Sicher hätten Arasmus und sie sich wieder versöhnt, hätte eben jener Überfall nicht Beth‘ Leben und das ihres Bruders beendet. Erst kürzlich hatte das Leben einmal mehr auf die Familie eingeschlagen. Wirklich, so hart spielte es nur wenigen mit. Arasmus hatte sich freiwillig, nach allem was ihm mit seiner Beth geschehen war, zum Schutze von – man musste sich das mal auf der Zunge zergehen lassen – drei Outridern einteilen lassen, hatte den Job des Bodyguards eine jungen Outriderin – Achtung, das ganze noch mal für die Zunge – namens Beth übernommen. Natürlich hatte dieses Phantomweib behandelt, wie den letzten Dreck. Outrider sahen grundsätzlich auf alles und jeden hinunter, der anders war als sie. Sie war ein Outrider. Was sollte man anderes erwarten. Dankbarkeit mal nicht. Diese Phantomnasen wussten ja kaum, wie man das Wort schrieb. Deshalb war es etwas unklug von ihm gewesen, darauf zu bestehen, dass sie sich ihm gegenüber erkenntlich zeigte. Sie zu fragen, wie sie das gegenüber der Nachtschicht tat, war auch nicht besonders helle von ihm. Die Nachtschicht hatte immerhin Saber Rider und wer bei klarem Verstand war, wusste, dass der sich nie mit einem Outriderweib einlassen würde. Also bitte. Das Musterbeispiel eines Star Sheriffs. Das war einfach mal ein schlechter Witz. So besonders waren deren Frauen sicher nicht. Aber wer konnte Arasmus auch seine Wut verdenken, wenn man bedachte, was er den Outridern verdankte – oder vielmehr, was ihm durch diese genommen worden war. Da war es verständlich, dass er nicht beachtet hatte, was er da gesagt hatte. Jedoch ihn jetzt dafür zu inhaftieren und ihm mit eine Verurteilung zu drohen, seine Papiere über die unehrenhafte Entlassung vorzubereiten, nachdem er so treu und verlässlich gedient hatte, war schlichtweg der härteste Schlag, der ihn treffen konnte. Darüber waren sich Daniel und der Barkeeper einig. Als Snow Colt die Tür aufgemacht hatte, hatte es ihm schichtweg die Sprache verschlagen. Er war nicht umhin gekommen, sie anzustarren. Sie hatte sich etwas unbehaglich dabei gefühlt, war wohl noch nie so angesehen worden. Nicht ohne Stolz, nein mit reichlich davon, hatte er sie durch Yuma-Citys Nachtleben begleitet. Zunächst hatte er sie in einen Club geführt, doch dort war es ihr zu laut gewesen. Deshalb schlenderten sie nun die Straße hinunter in eine Bar. „Jetzt sind wir auch noch abseits der Kampfgebiete lästig“, meinte sie grinsend, „oder wird mir das wegen meiner optischen Reize verziehen?“ „Für die verzeih ich dir so einiges“, grinste er frech und warf ihr noch einmal einen anerkennenden Blick zu, maß sie von Kopf bis Fuß. „Nur wegen denen? Das ist ja erstaunlich leicht“, stichelte sie leicht. „Du hast mich erwischt.“ Er legte sich eine Hand auf die Brust, als wäre er angeschossen worden. „Aber ganz so einfach ist es nicht. Der Charakter muss schließlich auch dazu passen, zum äußeren. Bis jetzt sind deine Chancen eins A Sahnehäubchen. „Sahnehäubchen?“ Sie hob die Brauen. „Das sagt man so, wenn das noch ein Überdrüberbonus ist.“ Snow prustete heraus, konnte nicht verhindern laut auszulachen. „Überdrüberbonus. Wie kommst du nur auf so ... alberne ... Worte.“ „Ich bin eben sehr wortgewandt“, grinste er fröhlich. Ihr Lachen war unglaublich. Sie waren an einer Bar angekommen, die auf ihn einen guten Eindruck machte. Das Schild war nicht übertrieben auffällig und wies sie so als eine derer aus, in der man ganz gut drei Sachen machen konnte. Feiern und Tanzen, mit Leuten quatschen oder einfach nur an der Theke in einer Ecke sitzen und über das Leben sinnieren, bis eine trunkene Dame kam und dafür sorgte, dass der Rest der Nacht erfreulicher verlief, als der Anfang. Damit war sie genau das, was er brauchte. Er hielt ihr die Tür auf und ließ sie eintreten. Rechts vom Eingang erstreckte sich der Tresen, links davon waren einige Sitzecken und am hinteren Ende befand sich die kleine Tanzfläche. Perfekt. Erst recht, als Snow sich interessiert umschaute. Sie bahnten sich ihren Weg zu einem kleinen runden Tisch, um den sich eine Sitzbank wand, und setzten sich. „Du bist sicher so einiges, aber gegen Saber kommst du da nicht an, so weit ich informiert bin", nahm Snow grinsend das Gespräch wieder auf. „Tja, der gute Saber. Er steckt uns alle locker weg“, gab er unbeeindruckt zu. „In einigen Punkten, ja, zweifelsohne. Unter unseren Leuten hat er einen guten Ruf, als Stratege, Taktiker und effektiv agierender Soldat.“ „Den Ruf hat er bei uns auch. Er ist überall beliebt. Naja, meistens jedenfalls.“ Er klang etwas weniger beiläufig als er wollte. „Meistens? Wann denn nicht?“ Snow schien das zu gefallen, „Bei Jesse Blue war er nicht beliebt.“ Die Wendung, die das Gespräch gerade nahm, gefiel ihm nicht. Er hatte keine Lust jetzt über den Schotten zu reden. „Trotzdem genießt er sogar bei uns einen sehr guten Ruf. Könnte es dir gefallen zu erfahren, was die Meinung über deine Kollegen und dich ist?“ Das klang etwas besser. „Ja, ich bin interessiert. Auch wenn ich befürchte, dass ich dabei nicht gut abschneide.“ „April gilt als brillant. Sie wird, wie du ja weißt, vielfach kopiert. Du weißt, wie erfolgreich wir damit sind. Fireball gilt als übermäßig emotional und impulsiv. Die Definition von "mehr Glück als Verstand haben", wobei er nicht gänzlich unfähig ist. Du aber ... tja“ Sie legte schmunzelnd eine Kunstpause ein, wobei sich das Schmunzeln vertiefte, als ihm ein „Ohoh“ entwich. „Gefährlich mit dem Blaster, weil treffsicher und schnell, gefürchtet als Scout, kaum zu schlagen und damit eine fähige rechte Hand für Saber, wäre da nicht deine Schwäche für ... optische Reize.“ „Schuldig im Sinne der Anklage.“ Er kam nicht umhin, sich geschmeichelt zu fühlen. Das klang nicht schlecht. „Wer hat dich angeklagt?“ „Na du! Ich kann nicht abstreiten, dass ich gut und schnell bin.“ Er lehnte sich zufrieden zurück und bestellte, als das Schankmädchen kam, etwas zu trinken. „Ich weiß. In jeder Weise hat zumindest Annabell über dich gesagt.“ Er riss die Augen überrascht auf und schaute in das Gesicht der arglosen Weißhaarigen. Hoffentlich kam das Schankmädel schnell wieder. „Will ich wissen, wie sie das gemeint hat: in jeder Weise?“ „Na, eben in jeder Weise, in der sie dich kennen gelernt hat.“ „Ja, ok...“ Das dürfte wohl kaum ein Kompliment sein, stellte seine Qualitäten doch erheblich in Frage. Erleichtert griff er nach dem Glas, das eben gebracht wurde, und nahm einen großen Schluck. „Wie gefällt's dir hier?“ „Ja, hier ist es ... gut. Wenigstens kann man sich hier unterhalten und Musik hören.“ Sie lehnte sich ebenfalls zurück. Sie ließ ihren Blick durch den Raum schweifen. Die meisten Gäste saßen noch an den Tischen, tranken und unterhielten sich. „Tanzt man hier auch?“ Er nickte und wies mit dem Zeigefinger auf die Tanzfläche am anderen Ende des Raumes. „Sollen wir die unsicher machen?“ „Du meinst, ob wir tanzen? Wenn du mir zeigst, wie es geht?“ „Ich führe dich, das hast du sofort drauf. Ganz sicher.“ Er stand auf und reichte ihr die Hand. Sie nahm sie an und folgte ihm. Daniel war sie sofort aufgefallen. Die junge Frau mit dem weißen Haar. Kein Mensch hatte solche eine Farbe, es sei denn er färbte sie sich. Dann allerdings war es am Ansatz zu erkennen, für das geübte, geschulte Auge eines Star Sheriffs. Diese Weißmähnige allerdings, die war von Natur aus mit dieser Haarpracht gesegnet. Auch wenn sein Hirn schon von ersten, wattigen Nebelschwaden umhüllt war und er etwas mehr Zeit brauchte, bis alle Eindrückte der Bar darin ankamen, das konnte er sicher sagen. Der Typ mit den Locken, der sie begleitete, war bekannt, auch wenn er auf seine übliche Kopfbedeckung verzichtet hatte. Jeder kannte ihn, seit die große Schlacht gegen Nemesis gewonnen worden war. War er also auf Nachtschicht. War ja eine interessante Art Dienst zu tun. Daniel schnaubte in sein Bier, blies ein Loch in die Schaumkrone. Der Barkeeper schaute ihn an und hob leicht das Kinn. Er verstand nicht, schob sein Bier von sich. Sein Blick blieb an den beiden auf der Tanzfläche haften, beobachtete, wie sie sich rhythmisch zum Takt des Liedes zu bewegen begannen. Er wankte beim ersten Schritt. Dann bahnte er sich zielstrebig seinen Weg durch die Gäste. Einige gestikulierten ausschweifend, andere lachten und kehrten zu ihren Freunden an die Tische oder Theke zurück. Feiernde, die keine Ahnung hatten, wie das Leben so spielen konnte, die sich nicht darum scherten oder es, besser als er, verdrängten. Er behielt das Paar im Blick, sah, wie der Lockenkopf seine Hand um die Taille der weißhaarigen legte und ihr tief in die Augen schaute. Sie berührte ihrerseits seinen Gürtel und erwiderte seinen Blick. Die Welt um sie herum schienen sie vergessen zu haben. Daniel beschleunigte seine Schritte. Kapitel 6: Kapitel 6 -------------------- Colt genoss die Gegenwart Snows. Ihr Körper bewegte sich leicht, wie von selbst nach dem Takt, den der Song ihnen vorgab. Schultern, Arme oder Hüften passten sich der Musik an. Geschmeidig wiegte sie sich zum Rhythmus, hypnotisierte ihn beinahe. Beinahe. Er fuhr herum und griff nach dem Handgelenk, das auf seine Schulter zu schnellte, ehe der Mann, dem es gehörte, ihn berühren konnte. Aufmerksam musterte er ihn. „Wolltest du abklatschen?“, fragte er rau. „Die da? Sicher nicht. Mit sowas tanzt man nicht“, schnaubte sein Gegenüber abfällig. „Schäm dich. So was will ein Star Sheriff sein.“ Er riss sich los und funkelte ihn finster an. „Ich bin vor allem mal nicht angetrunken. Bezweifle, dass du weißt, was du da quatschst.“ „Bezweifle, dass du weißt, wo du hingehörst. Was ist los mit euch? Lasst euch von solchen Weibern den Kopf verdrehen, als hätten wir keine schönen Frauen, die mehr Wert sind als das da.“ Die Worte spie er aus, als wäre er sonst an ihnen erstickt. Colt grübelte, woher ihm dieser Typ so bekannt vorkam. Er brauchte nicht lange. Die Größe und Statur, die Züge seines Gesichtes, nur jünger, weicher – alles erinnerte ihn stark an einen Mann. „Arasmus war dir wohl kein gutes Vorbild. Oder liegt Rassismus bei euch in den Genen?“, provozierte er ihn bewusst. Es wirkte, wie er erwartet hatte. Der Kontrahent holte erneut aus und wollte zu schlagen, aufgebracht über die Worte des Scharfschützen, die seinen Bruder beleidigten. Colt hatte keine Mühe den Schlag des Trunkenen abzufangen und ihm den Arm auf den Rücken zu drehen. „Na, wer wird denn gleich.“ Er nahm ihn in den Schwitzkasten und näherte seinen Mund dem Ohr des Gegners. „Ich lass dich vom Haken, Kleiner. Geh heim, schlaf dich aus und überleg, ob das eine gute Idee war, wenn du ausgenüchtert bist“, raunte er ihm leise, aber bestimmt warnend zu. „Mach keine Zicken, oder du kannst deinem Bruder Gesellschaft leisten, wegen Angriffs auf einen Star Sheriff, Gefährdung einer Schutzbefohlenen und Boykotts einer friedensstiftenden Kooperation. Klar so weit?“ Ächzend nickte der, noch nicht berauscht genug um zu begreifen, was hier geschah. Colt lockerte den Griff so weit, dass der junge Mann sich aufrichten konnte und führte ihn zur Theke. Dort hieß er den Barkeeper ein Taxi zu rufen und führte den Streitlustigen aus der Bar. Snow folgte ihnen ruhig und aufmerksam beobachtend auf dem Fuße. Sie wartete schweigend bis das Taxi kam und der Bruder Arasmus Soors in selbiges bugsiert wurde. Colt wandte sich zu ihr um. Sie schien ruhig, gefasst, als wäre nichts Außergewöhnliches geschehen oder nichts, das sie nicht erwartet hätte. „Wir werden noch lange einfach nur Outrider, einfach nur Lemminge sein, die nichts wollen oder denken“, sagte sie distanziert, als berühre sie es nicht. Sie stellte lediglich eine Tatsache fest. „Zumindest für einige, für andere eben nicht.“ Colt nickte. „Tut mir leid, dass der Abend so gelaufen ist“, meinte er dann. „Warum? Hast du ihm gesagt, dass er tun soll, was er getan hat?“ Er schüttelte den Kopf und runzelte die Stirn. „Dann ist es nicht deine Schuld und du musst dich für nichts entschuldigen. Es ist wie es ist. Machen wir was draus.“ Sie hob die Schultern. „Was zum Beispiel?“ Abermals zuckte sie mit den Achseln und sah sich um. Sterne waren am Himmel nicht zu sehen, nur Neonlichter strahlten in die Nacht, beleuchteten die Gebäude. Auf der Straße erhellten Laternen die Dunkelheit, hin und wieder auch die Scheinwerfer vorbeifahrender Autos. Verkehrsbeleuchtung wechselte die Farbe, gebot den Passanten stehen zu bleiben, wurde teilweise ignoriert. Trunken und ausgelassen zogen Menschen an ihnen vorbei, meist in Gruppen, und riefen laut johlend unsinnige zusammenhangslose Sätze, jubelten. Sie freuten sich des Nachtlebens. Nur zwischen Colt und ihr war es still. Wollte sie weiter tanzen? Das war irgendwie schön gewesen. Doch würde das bei ihm als Mensch nicht eine Art Befremdung hervor rufen? War es nicht sogar eine dumme Idee, lenkte sie so womöglich noch mehr Aufmerksamkeit auf sich und erschwerte dem Scout damit seine Aufgabe sie zu beschützen? „Gehen wir nach Hause“, schlug sie schlicht vor. Er nickte. „Wie du möchtest.“ Sie streckte die Hand nach ihm aus. Er umschloss sie fest und führte sie mit sich zurück zu ihrer Wohnung. Keiner von beiden sprach. Es war eine friedliche Stille, ohne Beklemmung oder Unbehagen. Sie schlenderten durch die ruhigen Straßen der lebhaften Großstadtnacht. Er fuhr aus dem Schlaf auf und sah sich um. Sein Bett stand noch immer in der Schlafnische. Ein Stuhl und ein kleiner Tisch in der Kochnische. Das Regal lag noch immer am Boden, halb fertig, wie seit dem Vormittag des vergangenen Tages. Fireball saß am Boden, studierte die Mappe, die der Outrider mit der Navigatorin erstellt hatte. Er hatte eine kleine Lampe neben sich gestellt, so dass sie nicht in die Nische strahlte und der Wuschelkopf gut lesen konnte. Er runzelte die Stirn. Entweder las er konzentriert oder bemühte sich, das Gelesene zu verstehen. Jean-Claude wusste nicht sicher, was es war. Es interessierte ihn auch nicht sonderlich. Er schob sich unter der Bettdecke hervor und streifte sein T-Shirt ab. Es war ohnehin warm in der Wohnung und die Gedanken, die sein Unterbewusstsein in seinen Schlaf geschoben hatten, hatten seinen Herzschlag in die Höhe getrieben, die Körpertemperatur erhöht und somit den Austritt von Schweiß zur Kühlung. Jetzt war es ihm zu warm. Er tupfte sich den Schweiß mit dem Shirt ab und schlich zum Kühlschrank, hatte kein Bedarf daran, den Rennfahrer zu stören und womöglich wieder eine nutzlose, weil fruchtlose Diskussion mit ihm zu führen. Leise öffnete er den Kühlschrank, nahm eine Flasche Wasser heraus und trank durstig einige große Schlucke. Anschließend bewegte er sich lautlos zum Balkonfenster. Er öffnete sie so geräuschlos wie möglich und trat ins Freie. Tief atmete er ein und schaute über die Stadt und ihre nächtlichen Lichter. Ein Monat. Ein Monat war es nun her, dass man sie in Bay Back beinahe aufgestöbert hätte. Es war knapp gewesen. Ohne die Star Sheriffs, das musste er leider zu geben, wäre es für seine Schwestern möglicherweise schlecht ausgegangen. Wenn sie so nah waren, war es ihnen ein leichtes, sie zu fassen. Durch ihre Flucht hierher, hatten sie sich einen Monat gesichert, höchstens noch weitere drei. Darauf konnte er sich nicht verlassen. Jetzt war es an der Zeit zu handeln. Von nun an stieg die Gefahr mit jedem Tag. Er überdachte seine Optionen noch einmal. Fast ein Jahr waren sie nun schon auf der Flucht. Sicher hatte man zunächst Orat auf ihn angesetzt, dann Brunhilda und Mohawk, als nächstes wahrscheinlich Big Top, Razzel, Lazardo, Hawker, Lily und Vulcrock – sie alle hatte man sicher schon auf sie angesetzt. Viperon, Calibos sowie Gattler und Nemesis persönlichen Favoriten kämen nun an die Reihe. Nicht undenkbar, dass die vier zusammen ausgesandt worden waren. Je länger die Führung wartete, desto riskanter war es für ihn. Jean-Claude wusste zu viel, war zu gefährlich. Zwar war keiner dieser Alphas für gute Kooperation bekannt, aber das war auch nicht erforderlich. Sie mussten nur eine Zielperson zu geordnet bekommen. Damit war die Gefahr dreimal so hoch. Jean-Claude hatte Zweifel, was ihre Beschützer betraf. Vor allem der Rennfahrer in seiner Wohnung war emotional so abgelenkt mit seiner sinnlosen Eifersucht, das man ihn schlichtweg in der Pfeife rauchen konnte. Wie wachsam Colt und April waren, angesichts der Schwäche für seine zweitjüngste Schwester oder eben für den missgünstigen Hitzkopf, konnte er schwer einschätzen. Beide waren größtenteils professionell, doch hin und wieder verleiteten sie ihre Emotionen eben, lenkten sie ab. Zuverlässigkeit? Zwischen fünfzig und fünfundsiebzig Prozent. Saber Rider schien an seine jüngste Schwester nicht weniger emotional intensiv gebunden zu sein, wie die beiden anderen, doch schien er gleichzeitig noch den kühlsten Kopf zu bewahren und stand jeder Information objektiv und aufmerksam gegenüber. Zuverlässigkeit? Zwischen fünfundsiebzig und fünfundneunzig Prozent. Das war ein recht schwacher Schutz, bedachte er, dass ihm nun ziemlich wahrscheinlich die besten vier aus den oberen Rängen auf den Fersen waren. Nein, er hatte definitiv keine weiteren drei Monate mehr. Er musste täglich mit ihnen rechnen. Täglich. Es verbesserte seine Situation auch nicht, dass Ian Broik und Garrett McLeod das Team unterstützten. Arasmus Soor hatte gezeigt, wie zuverlässig diese Art der Unterstützung war. Zuverlässigkeit? Ian Broik, vom Typ eher wie Soor, fünfzig bis fünfundsiebzig Prozent bestenfalls. Garrett McLeod, maximal neunzig Prozent. Nicht besser. Nein. Er senkte den Kopf, beugte sich über die Brüstung und schaute hinunter. Die Lichter in den Wohngebäuden waren erloschen. Die Grünflächen lagen im nächtlichen Dunkel. Viperon, Calibos, Gattler und der Schoßhund. Wie würden sie wohl vorgehen? Ihn direkt angreifen? Nimm den General. Mach seine Soldaten führungslos und handlungsunfähig. Seine Schwestern würden ihm folgen. Das war eine Möglichkeit. Welche gab es noch? Seine Schwestern angreifen? Sie wussten um das Band zwischen ihnen. Er würde ihnen folgen. Sofort. Ungeachtet der Bedingungen würde er sich so selbst ans Messer liefern und ihnen viel Arbeit ersparen. Das Band zwischen ihnen würde ihnen auf die eine oder andere Weise zum Verhängnis werden. Konnte er es kappen? Was würden seine so menschlichen Schwestern dann tun? Ihm folgen oder es akzeptieren? Sie waren der größte Unsicherheitsfaktor in seiner Gleichung. Er seufzte schwer. Fireball war in die Texte vertieft, welche die Mappe enthielt. Das ganze Zeug über die Hormone war spannend, wenn er zunächst auch Schwierigkeiten hatte, es zu verstehen. Zumindest machte es ihm das Verhalten der Geschwister begreiflicher, aber es änderte nichts an der Sympathie und Antipathie die er den einzelnen gegenüber empfand. Er bemerkte, wie der Outrider aufstand und beobachtete aus dem Augenwinkel dessen Bewegungen. Schließlich spähte er hinaus zum Balkon, wo der Grünhaarige stand und in die Nacht starrte. Im fahlen Licht, welches der Nacht noch geblieben war, konnte er Narben und Wundmale erkennen. Sie schienen seinen gesamten Oberkörper zu überziehen, so weit der Rennfahrer das es sehen konnte. Nemesis war wohl härter zu seinen Untergebenen, als er bisher angenommen hatte. Jean-Claude bewegte sich, lehnte sich über die Brüstung. Der Rennfahrer wollte aufspringen, doch dann sah er, wie der seine Unterarme abstützte und den Kopf dazwischen senkte. Irgendwas beschäftigte ihn. Als Jean-Claude sich aufrichtete und umwandte, gab der Wuschelkopf sich in die Unterlagen vertieft. Saber legte den einen Arm in seinen Nacken und schaute an die Schlafzimmerdecke. Im anderen Arm hielt er Beth. Sie hatte ihren Kopf auf seine Brust gelegt und schlief tief und fest. Es machte ihm ein schlechtes Gewissen. Aller guten Dinge waren drei, hieß es. In diesem Fall waren die Dinge nicht nur gut sondern schlichtweg Wahnsinn. Kein Wunder war sie erschöpft. Kein Wunder war er es. Sie hatten nicht von einander lassen können. Nicht eher. Einen Moment lang, als sie im Flur wieder zu Atem kamen, war ihm durch den Kopf gegangen, sie könne analysieren, was sich ereignet hatte, doch ihre Neugier hatte die Oberhand behalten, ebenso wie ihr experimentierfreudiger Forscherdrang. Beides war so lebendig in ihr, dass aller guten Dinge drei wurden, ehe einer von ihnen wusste, wie ihnen geschah. Nicht, dass er das in irgendeiner Form bedauern würde. So klimaxlastig war eine Nacht schon lange, sehr lange nicht mehr gewesen. Jetzt lag sie ihr bei ihm, warm und anschmiegsam, atmete friedlich. Der Moment füllte sich so vollkommen an, harmonisch und traumhaft. Als könnte das Leben endlos so weiter gehen, auf die Art, wie es in den letzten Wochen verlaufen war. Jeden Abend zu ihr nach Hause kommen, mit ihr leben, sich in seine Arbeit vertiefen, während sie sich in ihr Studium vertiefte, Zeit mit ihr haben, sie genießen. Normal, alltäglich, ausgeglichen, routiniert. So fühlte es sich in diesem Moment an. Routine, hieß es, sei tödlich. Er zuckte zusammen. Zumindest war sie gefährlich. Besonders jetzt, da die Tage beinahe schon Gewohnheit waren und man beginnen konnte, sie darin geborgen zu fühlen, so wie er gerade. Sie mussten wachsam bleiben. Er musste wachsam bleiben. Die Aufmerksamkeit durfte nicht nachlassen. Jetzt noch weniger als zuvor. Jean-Claude hatte seinen Verfolgern eine Frist von einem bis vier Monaten eingeräumt, ehe sie darauf kommen würden, die Suche nach den Geschwistern auf Metropolen auszuweiten. Ein Monat war nun um. Beinahe ein Jahr waren die drei nun auf der Flucht. Erstaunlich lange, wenn man es Recht bedachte. Der Outrider hatte seine Schwestern und sich erfolgreich geschützt. Doch fraglich blieb, wie lange ihm das noch gelang. Mehrfach hatte er betont, wie wichtig sie für ihre Gesellschaft waren. Wie lange konnte diese effektiv ausgerichtete noch auf sie verzichten, ohne das es Konsequenzen hatte? Nein, die Führung, Nemesis musste sich etwas einfallen lassen. Wen würde er wohl auf sie angesetzt haben? Hatte er, nachdem bisherigen Mangel an Erfolg, andere Leute auf die drei angesetzt? Sicher. Nur wen? Er ging gedanklich die Liste an Kommandanten durch, mit denen sie bereits zu tun hatten. Orat, Big Top, Lazardo, Brunhilda und Mohawk hatten ihnen leichte Kopfscherzen bereitet. Die konnte er wohl ausschließen. Falls sie beauftragt worden waren, waren sie nun sicher abgezogen. Razzel, Hawker, Vulcrock und Lily hatten ihnen das Leben schon schwerer gemacht. Aber wie gut war es ihnen wohl gelungen, sich in Jean-Claude hinein zu versetzen und ihn aufzuspüren? Nein, er glaubte nicht, dass er mit ihnen rechnen musste. Sie waren gut, aber sie hatten ihnen nicht den meisten Ärger eingebrockt. Da sah die Sache bei Calibos, Viperon, vor allem aber Gattler und besonders Nemesis rechter Hand ganz anders aus. Mit denen sollte er wohl besser rechnen. Viperon hatte Pecos einst massiv bedroht. Calibos war es gelungen an die Steuerungspläne von Ramrod an sich zu bringen. Gattler hatte mehr als einmal bedeutende Versorgungsstationen angegriffen – jedes Mal mit einem Aufgebot, das für einen ganzen Krieg gereicht hätte. Gattler würde also, wenn er auf die Geschwister gehetzt wurde, erst später zum Einsatz kommen, um die Ressourcen zu schonen. Vielleicht war es jetzt an der Zeit. Gattler war ein Fan pompöser Auftritte. Er würde ungeniert auch in einer Metropole suchen. Das passte zu ihm. Publikum gab es genug. Ob er wohl die rechte Hand berücksichtigen musste? Wenn ihre Verfolger in Bay Back darauf gekommen waren, dass die Geschwister auf die Ramrod-Crew getroffen war, dann musste er ihn in die Rechnung aufnehmen. Es war sinnvoll, sich mit Jean-Claude darüber auszutauschen und alle anzumahnen, nicht unaufmerksam zu werden, ganz gleich wie hoch die Ablenkungsfaktoren waren oder wie ... er schaute auf die Schlafende … anziehend, betörend und Sinne berauschend. Er musste sich zusammen reißen, er noch mehr als alle anderen. Er hatte eine Vorbildrolle zu erfüllen. Schwer seufzte er. Dann schob er sich vorsichtig aus dem Bett und hüllte Beth behutsam in die Decke. Anschließend schlich er ins Wohnzimmer und sammelte seine Kleidung zusammen. Er zog sich rasch an und prüfte die Wohnung, schalt sich nachlässig dabei, es nicht längst getan zu haben. Schließlich bezog er Posten, so wie es sich gehörte. Als Daniel seine Wohnung betrat, wusste er es. Jemand war hier. Noch ehe er das Licht eingeschaltet hatte oder vom Flur in das Wohnzimmer getreten war. Er spürte es deutlich. Auf einen Angriff gefasst, betrat er das Wohnzimmer und schaltete das Licht ein. Sein ungebetener Gast wandte sich zu ihm um und grinste provokant. „Was machst du Ratte hier?“ knurrte er drohend. Der sollte bloß nicht auf blöde Ideen kommen. In dem simplen Wohnzimmer stand er mitten im Raum, zwischen dem Fernseher mit den Konsolen und dem Sofa davor. Er war mit einem Fuß auf die leere Chipstüte getreten, beinahe, als kümmere ihn der Dreck nicht, über den er so gehen musste. Der andere Fuß stand in einem Haufen Zigarettenasche, dort, wo ihm der Ascher vor ein paar Tagen vom Tisch gefallen war. Nichts schien ihn zu beeindrucken. Gar nichts. „Ich kann wohl davon ausgehen, dass ich mich nicht mehr vorstellen muss,“ stellte der andere fest als wäre er stolz darauf. „Was du hier willst, will ich wissen!“, beharrte Daniel ungehalten. „Dir helfen. Hab gehört, ihr habt ein Rattenproblem in eurer Familie.“ „Ach wirklich? Wie kommst du denn darauf?“ „Es ist nicht allzu schwer in den Daten des Oberkommandos herum zu stöbern. Arasmus soll unehrenhaft entlassen werden. Wegen des Übergriffes auf seine Schützling. Eine junge Outriderin soll ihn … sagen wir, angeregt haben.“ Daniel klappte der Kiefer beinahe ins Bodenlose. „Woher …?“ „Sagte ich gerade. KOK-Datenbank. Also, ich kümmere mich um euer Rattenproblem, wenn ihr mir sagt, wo ich die finde. Interessiert?“ „Arasmus stand unter Schweigepflicht. Er hat mir nichts darüber erzählt …“ Prüfend sah er den ungebetenen Gast an. Der war definitiv einer der hinterhältigsten und gerissensten Gesellen, mit denen man zu tun haben konnte. Es war zweifelhaft, ob es eine gute Idee war, ihm ein oder zwei Informationen zu kommen zu lassen. Andererseits war er sicher der Beste wenn es darum ging die Ratten zu beseitigen. „Er wird kommende Woche entlassen“, gab er knapp zur Antwort. „Ehrlich? Das ist alles.“ Der Gast sah ihn abschätzig an. „Na schön“, meinte er schließlich und verließ ohne Umschweife die Wohnung. Daniel hielt ihn nicht zurück, sah ihm nachdenklich nach. Was sollte es schaden? Die Ratten waren sie dann los und er würde sicher keine Spuren hinterlassen. Eine Verbindung zu ihnen nachzuweisen, würde er nicht zulassen. So beliebt war er hier nicht. Was sollte also ihm und seinem Bruder passieren? Er ließ sich aufs Sofa fallen. Das konnte klappen. Wasser prasselte auf seinen Kopf und rann durch sein Haar über seinen Körper. Es spülte Shampoo Duschgel aus seinem Schopf und von seiner Haut, schwemmte die kleinen Schaumkrönchen in einem sachten Strudel in den Abfluss. Sein Kopf fühlte sich leichter und klarer an. Er schaltete das Wasser ab und stieg aus der Dusche. Nachdem er sich abgetrocknet hatte, schlüpfte er in seine Kleidung und stellte, mit unzufrieden gerunzelter Stirn fest, dass sein Hemd vollkommen verknittert war. Er warf es in die Schmutzwäsche und verließ das Badezimmer. An Fireball vorbei, der sich gerade an der Kaffeemaschine bediente und sich eine Tasse des koffeeinhaltigen Getränkes einschenkte, ging er zu seinem Schrank, oder vielmehr dem stoffbespanntem Konstrukt, das ihn ersetzte. Er öffnete es und schaute hinein. Kapitel 7: Kapitel 7 -------------------- Fireball hatte aufgesehen, als er die Badtür gehört hatte. Nun, als der Outrider den sonnendurchfluteten Raum durchquerte, waren die Wundmale auf seinem Rücken und seiner Brust klar zu erkennen. Es hatte ihn in der Nacht schon erschauern lassen, jetzt tat es das erst recht. Er schluckte den Kaffee nervös herunter und spähte ihm in die Schlafnische nach. Noch zwei Stunden, bis April ihn ablösen kommen würde und den grünhaarigen und seine informative Mappe zum Oberkommando begleitete. Dann nutzte er mal die Gelegenheit. „Hast du die Narben einer verpatzten Mission zu verdanken?“ erkundigte er sich direkt. Er sah nicht, wie der Gefragte die Augen rollte. Dessen Kopf war prüfend auf die Kleidung im provisorischen Schrank gerichtet. „Dir auch einen guten Morgen“, gab er knapp zurück. Seit wann interessierte sein Aufpasser sich denn für ihn und seine Belange? Was für eine Anwandlung war das denn? „Danke, ebenfalls guten Morgen.“ Fireball lehnte sich gegen die Anrichte, so dass er Jean-Claude noch sehen konnte. „Du hast etliche unschöne Narben. Sind die alle von Fehlschlägen bei Aufträgen?“ Er musste sich ein genervtes Seufzen verkneifen. Für wie blöd hielt der Rennfahrer ihn denn? Stünden die Narben für gescheiterte Missionen, wären seine Leute sicher nicht hinter ihm her. Dann wäre er wertlos. Offenbar war es seinem Aufpasser auch wirklich egal gewesen, was er bisher hatte über ihn erfahren oder beobachten können oder war nicht im Stande Eins und Eins zusammen zu zählen. Andenfalls könnte er sich wohl ausrechnen, dass es wohl eher etwas mit seinen Schwestern zu tun hatte. „Weißt du, Garrett hat mir die gleiche Frage schon vor zwei Wochen gestellt. Du bist ein irrsinnig guter Beobachter ...“ Er schob einige Bügel hin und her, auf der Suche nach einem passenden Hemd. „Was juckt dich das auf einmal?“ „War bisher mit anderen Dingen beschäftigt“, wich der unbehaglich aus. „ Für uns war der Krieg gegen die Outrider eher einfach, was eure Seite betrifft. Wir schicken euch zurück, ihr phantomisiert euch und kommt unbeschadet wieder in der Phantomzone an, während für uns ein Treffer gesundheitliche Folgen bedeutet hat. Dein Körper ist von alten Verletzungen übersät. So einfach ist es also nicht. Ihr mögt mehr aushalten, aber das macht es eigentlich umso grausamer.“ Jean-Claude zog einen Kleiderbügel aus dem Schrank und hob die Schultern. „Viel Palaver, mal wieder, wenig Sinn und keine wirkliche Antwort auf meine Frage. Für jeden von euch war der Krieg mit uns so einfach, wie du sagst, aber jeder deiner Kollegen weiß inzwischen mehr als du über uns.“ Er strich das Oberteil vom Bügel und streifte es sich über. „Du warst also mit anderen Dingen beschäftigt? Dann nimmst du den Personenschutz, der uns von eurem Commander zugesichert wurde, nicht gerade ernst. Sehr beruhigend für mich. Da fühl ich mich doch glatt sicher.“ Er begann die Knöpfe zu schließen. Der Rennfahrer schnaubte leicht. Warum bekam er nicht einfach eine Antwort auf seine Frage? Konnte das denn wirklich so schwer sein, für Jean-Claude noch dazu, auf eine sachliche Frage eine angemessene Antwort zu geben? Was sollten diese ständigen Seitenhiebe? Die konnte er doch getrost mal stecken lassen. Die brachten nicht weiter. „Ich nehme meine Arbeit ernst. Fühl dich sicher oder nicht, für die Nachtschicht wird's reichen“, schnaubte er und nahm noch eine Schluck Kaffee. Er musste ruhig bleiben, durfte sich nicht von dieser überheblichen Art provozieren lassen. Der grünhaarige Klugscheißer war nicht der einzige, der Dinge benennen konnte. „Es passt dir nicht, wenn ich mich nicht für euch interessiere, und es passt dir auch nicht, dass ich Interesse zeige, weil ich das deiner Meinung nach viel früher hätte tun müssen. Gut, dann ist das so. So ist es gelaufen. Menschen sind nicht immer effizient, wie ihr es nennt.“ Er hob die Schultern. Tadelnd sah ihn der Outrider an und hob die Brauen. „Effektiv. Wir nennen es effektiv. Du machst deinem Ruf unter unseren Leuten alle Ehre - emotional und ungeduldig. Den Respekt, dass ich mit dir auf Augenhöhe rede, musst du dir erst noch verdienen. Aber auf den legst du ja ohnehin keinen Wert. Wir sind ja auch nur Lemminge. Was zählt da schon unsere Ansicht, nicht wahr? Besonders wenn es womöglich noch die unbequeme Wahrheit ist.“ Damit trat er in die Kochnische und öffnete den Kühlschrank. Er nahm zwei Eier, Schinken und Käse heraus und platzierte die Lebensmittel auf der Anrichte. Fireball machte ihm Platz, beobachtete, wie Jean-Claude eine Pfanne zur Hand nahm und auf den Herd stellte. „Bisher wart ihr für uns Lemminge, ja. Dass das nicht der Fall ist, habt ihr drei in Bay Back bewiesen.“ Er nahm noch einen Schluck. „Eure Ansicht zählt, weil es uns endlich den Frieden bringen kann, ganz gleich, was ich davon halte.“ Jean-Claude hielt inne, ehe er etwas Öl in die Pfanne gab. Dann schaute er wieder auf die Arbeitsplatte und fuhr fort Frühstück zu machen. Beiläufig erklärte er dabei. „Dass du deine Leute repräsentierst ist dir also nicht klar. Sehr gut. Wären alle Menschen wie du, hätten wir euch längst erobert. Glück für euch, dass ihr einen brillanten Strategen wie Saber Rider habt. Oder auch nicht. Ohne sein Vorbild hättest du mit uns nichts zu schaffen, wir wären längst weg und hätten uns auf nichts von alledem hier eingelassen.“ Fireball schwieg betroffen und presste die Zähne zusammen, um nicht unbeherrscht heraus zu platzen. Währenddessen briet der Outrider den Schinken von einer Seite an, wendete ihn und setzte, ziemlich gekonnt sogar, das Innere der Eierschalen darauf. Der Duft des Frühstücks breitete sich rasch in der kleinen Wohnung aus. Fireballs Magen verlangte bei dem Aroma nach Nahrung und knurrte vernehmlich. Jean-Claude legte den Käse auf die halb gestockten Eier und deckte die Pfanne ab. Dann bediente er sich am Brotkorb, nahm Toast heraus und toastete ihn. „Darf ich mitessen?“, fragte Fireball schon halb eine Absage erwartend. „Durftest du immer, hast es nur nie gemacht“, erhielt er ruhig zur Antwort. Der Wuschelkopf murmelte ein „Danke“ und begann den Tisch zu decken, legte Besteck bereit und stellte Teller darauf. Dann fragte er, was der Outrider trinken wollte, erhielt dafür einen Blick, der den Ernst der Frage bezweifelte. Stattdessen nahm er die Teller wieder vom Tisch und stellte sie zu sich auf die Anrichte, hob den Deckel der Pfanne und verteilte Toast und eines der Spiegeleier darauf. Achselzuckend bereitete der Rennfahrer eine Tasse Kaffee und ein Glas Wasser für den Outrider vor und setzte sich, als der die Teller auf den Tisch zurück stellte. Schweigend begannen sie zu essen. Jean-Claude beeindruckte die einmal mehr mürrische Miene seines Gegenübers nicht. Er konnte essen, ohne sich mit dem Wuschelkopf zu unterhalten. Wahrscheinlich würde ohnehin nur wieder eine unsinnige, unbedachte und beleidigte Antwort von ihm kommen, wenn er ihn jetzt ansprach. Er nahm einen Schluck vom Kaffee und schnitt sich noch einen Bissen zurecht. Die Mädels mochten dieses Frühstück sehr, nicht nur seinen Schwestern, auch der Navigatorin. Für sie machte er regelmäßig je zwei Eier auf diese Weise. Er schmunzelte kaum merklich auf seinen Teller, dann hob er seinen Blick zum Rennfahrer. Vielleicht gab er ihm die Gelegenheit seine Ansicht über ihn zu bestätigen, oder, oh Wunder, zu widerlegen? Dürfte interessant werden. „Die Mädels mögen das Hühnerembryo so“, meinte er dann. Tatsächlich erhielt er mal eine normale Antwort. „Das ist auch gut. Der Käse auf dem Ei ist mir neu. Hätt ich nie probiert.“ „Ist ein Rezept von euch. Beth hat es aus einer Zeitung gefischt.“ „Echt aus einer Zeitung?“ Verwundert schaute er auf. „Die meisten Zeitungsrezepte sind nicht genießbar, aber das kann auch am Koch liegen.“ Er brachte etwas zustande, das ein Lächeln sein sollte und bei seinem Gegenüber lediglich ein abschätziges Heben der Braue verursachte. „Ich koche nicht gerne, und wenn doch, dann eher schlecht als recht.“ Unbeteiligtes Achselzucken erhielt er nun als Reaktion. Jean-Claude zögerte, überlegte, ob er sich weiter auf dieses Gespräch einließ. „Wir kochen alle Rezepte aus Zeitungen - uns schmecken sie“, nötigte er sich eine eher unbeteiligte Antwort ab und schob den geleerten Teller von sich. „Ihr habt ein komisches Verhältnis zum Kochen. Alle vier. Man kann doch nicht ernsthaft auf eine Mission gehen ohne sich vernünftig verpflegen zu können.“ Das nachzuvollziehen fiel ihm schwer. Immerhin war es notwendig sich während eines Auftrages verpflegen zu können, ebenso sehr, wie einige Tage ohne Nahrung auszukommen. „Es ist nicht so, dass wir verhungern würden, wenn wir auf uns allein gestellt sind. Es macht satt, aber kochen ist für uns eher notwendiges Übel.“ Der Outrider schüttelte angesichts des Mangels an Kompetenzen für den Kampf – selbst den geringsten – den Kopf, war es doch schon erstaunlich, dass es ihnen gelungen war, auch nur eine Schlacht gegen sie erfolgreich zu beenden. „Bei uns gehört das zur Grundausbildung.“ „Ein kleines Überlebenstraining, das sich selbst verpflegen beinhaltet, gehört wohl auch bei uns zur Grundausbildung. Das ist das Highlight für jeden Rekruten.“ Fireball schob den Teller nun ebenfalls von sich. „Ich kann dir davon allerdings nichts berichten, hab die Grundausbildung nicht gemacht.“ Jean-Claude schlug sich die Hand gegen die Stirn. Fasste man das? Sie hatten die Laufbahn der Star Sheriffs verfolgt, seit sie zum ersten Mal mit Ramrod gegen sie angetreten waren, hatten sie ab diesem Zeitpunkt genau studiert. Sie waren alle davon ausgegangen, dass diese Einheit natürlich vom Oberkommando ausgebildet worden war. Es war unlogisch, vor allem ein Raumschiff wie dem Friedenswächter mit einem Haufen Amateuren zu besetzen, die noch nicht einmal die Grundausbildung absolviert hatten. Menschen hatten echt seltsame Ideen. „Ich würd das an deiner Stelle nicht an die große Glocke hängen, aber es erklärt deine Unprofessionalität.“ Seufzend erhob er sich und sah sich nach seiner Mappe für seinen heutigen Termin beim Oberkommando um. Fireball überging die Kränkung erstaunt. „Ihr wisst so viel über Ramrod, aber das nicht? Wisst nicht, dass Colt und ich zufällig zu Ramrod gestoßen sind?“ Seinerseits nun den Kopf schüttelnd räumte er das Geschirr zusammen. An der Art wie Jean-Claude durch die Wohnung tigerte, wurde ihm klar, dass der längst nicht mehr zu hörte. „Wo ist meine Mappe?“, verlangte der zu wissen, nach dem er einige Zeit erfolglos danach gesucht hatte. „Da.“ Damit wies Fireball auf die Papiere, die er hinter den Obstkorb an die Wand geklemmt hatte, nachdem er sie gelesen hatte. „Hab mal reingelesen.“ Der Outrider zog die Stirn kraus. Da vergriff er sich ungefragt an seinen Materialien und verlegte sie auch noch. Sollte er jetzt noch beeindruckt sein, dass er sie gelesen hatte? Als ob er verstünde, was darin stand. „Dann leg sie auch wieder dahin zurück, wo du sie hergenommen hast“, brummte er unzufrieden und nahm sie an sich. „Kommt nicht wieder vor. Entschuldige.“ Einsilbig war die Antwort, vermied möglichen neuerlichen Streit. Jean-Claude schüttelte den Kopf. Erst so auf Konfrontation aus, unsachlich und unbeherrscht, viel Gerede so lange es nur halsstarriger Unsinn war und nun auf einmal mimte er den lammfrommen, beinahe folgsamen. Den konnte er nun wirklich nicht ernst nehmen. Nicht einen Sekunde. Entweder man hatte eine Meinung oder eben nicht. „Lemming“, schnaubte er abfällig. Ehe irgendwer noch etwas sagen konnte, trat April ein und holte den Outrider ab. Rasch verabschiedete der sich, war dankbar, dass sie etwas früher gekommen war. Das gab ihm Zeit und Gelegenheit noch einmal mit ihr den Inhalt der Mappe zu besprechen. Fireball sah den beiden nach. Lemming also, hm. April fragte nicht nach, wie dieser Morgen verlaufen war. Ein Blick in die winzige Wohnung und das Geschirr in der Spüle von zwei Personen ließ sie vermuten, dass Fireball heute tatsächlich mal mit gefrühstückt hatte. Immerhin hätte sonst in der Pfanne, die noch auf dem Herd stand, fortgeschoben von der Platte, die benutzt worden war, noch ein Spiegelei gelegen, das vor sich hin abkühlte. Immerhin mal ein Schritt ihres Freundes in eine bessere Richtung. Doch die Mienen der beiden ließen darauf schließen, dass es ein kleiner Schritt gewesen war. Das, was sie an Verhalten zwischen den beiden sonst beobachtet hatte, in diesem flüchtigen Moment, war so kühl und distanziert wie sonst auch. Sie seufzte gedanklich. Es wurde langsam Zeit, dass Fireball sich beruhigte. Jean-Claude würde sich ihm nie öffnen, so lange er ihn gleichgültig oder auch noch eifersüchtig behandelte. Die Offenheit, die er für die Schwestern hatte, die sonst seine Stärke war, war ihm gerade völlig abhanden gekommen. Seine Eifersucht hatte sie verdrängt und versperrte ihm nun einen Weg auf den Grünhaarigen zu. Sie würde vermittelnd eingreifen, unter anderen Umständen. Aber jetzt würde sie wohl nur Öl ins Feuer gießen. Alles, was sie tat und sagte, würde ihr Freund als ihm in Rücken fallen und für den falschen Partei ergreifen werten und nicht als das erkennen, was es war. Das war ihr aufgefallen, als sie mit Jean-Claude das Regal hatte aufbauen wollen und die Situation eskalieret war. Alles was sie sagte, konnte und wurde gegen sie verwendet. Das war deutlich geworden. Damit waren ihr die Hände gebunden. Damit war der Rennfahrer auf sich allein gestellt. Sie betrat mit Jean-Claude die Eingangshalle des Oberkommandos und entdeckte schon die ersten Mitglieder des Gremiums, vor dem er beinahe täglich sprach. Die Senatoren Weyer und Chibli fehlten bahnten sich eben ihren Weg zum Aufzug. Dr. Cron, Wissenschaftler im Bereich der Anthropologie und Soziologie, war ebenfalls anwesend, besprach sich noch mit seiner Assistentin Muriel Raven. Beide waren geladen worden um die Diplomaten in deren Verhandlungsmöglichkeiten zu unterstützen. April empfand die beiden als interessantes Gespann, was vor allem an der jungen Assistentin lag. Denn während Dr. Cron aussah, wie jemand der sich seiner Umgebung und der Wirkung, die er auf diese hatte, vollkommen bewusst war und sich entsprechen für diese Termine in Anzug und Krawatte kleidete, das ergrauten Haar und den Vollbart korrekt kämmte und seine Brille regelmäßig putzte, stand es um seine Assistentin deutlich anders. Muriel Raven hatte rabenschwarzes Haar und dunkelblaue Augen. Der Korrektheit halber trug sie immer einen schwarzen Blazer mit kurzen Ärmeln und dezentes Make-up. Das allerdings war es an regelkonformer Erscheinung. Denn sie trug Jeans - was der erste Fauxpas war – die - das war der zweite Fauxpas - so abgetragen wirkten, als hätten sie ein gutes Jahrzehnt Tragedauer hinter sich. Der Gürtel, der sie hielt, war schlicht, hatte eine Schnalle in Form eines Kreuzes und eine Kette, die von dort lose um ihre Hüften hing. Ihre Stiefeletten waren blitzeblank und - Fauxpas Nummer vier nach dem Gürtel - hatten Absatzhöhe, auf der nur wenige Frauen sich elegant bewegen konnten, ohne mit Rumpelstilzchen auf Droge verwechselt zu werden oder sich ernsthaft zu verletzen. April schätzte sie ohne diese Schuhe auf eine Körpergröße von zierlichen eins fünfundfünfzig. Muriels Hände waren mit kunstvoll geschlungen, mystisch wirkenden Tattoos verziert, was den fünften Stilfehler ausmachte. Ihre Miene war warm, hatte aber gleichzeitig etwas Zurückhaltendes, Distanziertes. Sie war eine seltsame, widersprüchliche Frau, deren Äußeres kontrovers war und zunächst darüber hinweg täuschen musste, was sich in ihr verbarg. Jean-Claude war sie von Anfang an aufgefallen, nicht nur wegen ihrer Art sich zu kleiden, sondern vor allem wegen ihrer Aufmerksamkeit während seiner Vorträge und der vielen Notizen, die sie sich dabei machte. Kaum jemand sonst unter seinen Zuhörern, war diesbezüglich so eifrig wie sie, von Commander Eagle und einer Hand voll mehr mal abgesehen. Sie schien ihm anders zu sein, als diese Lemminge, die sonst anwesend waren und es amüsierte ihn, dass man sein Volk mit diesen Tieren gleichsetzte, angesichts des Faktes, das sie sich in ihrem Verhalten nicht wesentlich von ihnen unterschieden. Er erkannte drei bis vier Gruppen unter seinen Zuhörern. Die eine war ständig aufmerksam, ganz gleich über welches Thema er referierte, und stellte interessierte Nachfragen, signalisierte so Offenheit und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit. Charles Eagle gehörte zu dieser Gruppe, ebenso wie Dr. Cron und eben jene Muriel Raven. Die Gruppe um Senator Weyer beteiligte sich eher verhalten, notierte hin und wieder etwas, fragte nach, als wollten sie durch ihre Fragen verdeutlichen, wie ungebildet und minderwertig das Volk war, für das der Outrider sprach. Sie wirkten, als lauerten sie auf Schwachpunkte, auf die sie sich dann wie Geier stürzte und sie ausweideten. Jedes Mal betonten sie dabei, die Vorzüge ihrer eigenen Gesellschaft. Die dritte Gruppe wirkte zwischen diesen beiden Fraktionen hin und her gerissen, stimmte bald der einen, bald der anderen zu und tat sich schwer, aus den erhaltenen Informationen einen eigenen Standpunkt einzunehmen. Sie fragten sowohl interessiert, als auch wertend, nannten es dann, ebenso wie die Gruppe um Weyer, kritisch. Senator Chibli gehörte zu ihnen, war sich noch unschlüssig, was er von alle dem halten sollte. Die vierte Gruppe, so fern es sie gab, spezialisierte sich neutral auf bestimmte Themen, betrachtete sie eher vom forschenden, wissenschaftlichen Aspekt und fragte entsprechend spezifisch nach, ohne dabei Zustimmung oder Ablehnung zu signalisieren. Lemminge nannte der Outrider seine Zuhörer deshalb, weil sich in jeder Gruppe zwei oder drei Personen herauskristallisiert hatten, welche zuerst Fragen stellte und Diskussionen anfachte, ehe sich andere beteiligten. Es schien, als erwarten sie das jemand diese Debatten eröffnete, ehe sie sich selbst äußerten. Sagten die Wortführenden nichts, blieben auch sie stumm. Wie Lemminge. Nicht anders, als man ihnen vorwarf zu sein. Nicht im Geringsten. Muriel Raven, und das war das Faszinierende an ihr, fragte, wenn sie etwas zu fragen hatte, wartete nicht ab, sondern meldete mitten in seinem Vortrag, bisweilen mitten in einem Satz. Der Rest wartete, bis er einen Satz, ein bestimmtes Thema beendet hatte. Sie hakte prompt nach. Als Garrett ihn noch begleitet hatte, hatte er mehrfacht mit einem vielsagenden Zwinkern daraufhin gewiesen, dass Miss Raven ungebunden sei. Eine Information, die für Jean-Claude zu diesem Zeitpunkt nicht nebensächlicher hätte sein können. Je öfter er sie jedoch beobachtete, desto relevanter erschien ihm diese Auskunft. April beobachtete mit einem Schmunzeln, wenn sein Blick sich an der jungen Assistentin verfing. Muriel enttäuschte ihn auch heute nicht. Aufmerksam und mit wachem Blick hing sie an seinen Lippen und notierte eifrig satzweise Aussagen und Stichpunkte. Er war doch interessiert, zu sehen, wohin dieser Eifer wohl führen mochte. Nach der Mittagspause kamen alle erneut zusammen. Zeit um letzte Fragen zu beantworten und Unklarheiten zu beseitigen. Doch dazu kam es nicht. Nicht in dem Sinne, den Jean-Claude erwartet hatte. Stattdessen meldete Weyer sich zu Wort. „Nun, das waren sicher ganz interessante Vorträge in den vergangenen Wochen. Doch mir ist nicht ganz klar, worin der Sinn besteht. Für den Schutz Ihrer Person und der Ihrer Schwestern hatten Sie uns wertvolle Informationen versprochen, doch ich sehe keinen Nutzen für uns darin“, erklärte er nüchtern. Ungläubige Blicke und erstaunt geöffnete Münder begegneten ihm auf diese Aussage. „Nun, ich denke doch, dass es für uns von Nutzen ist“, widersprach Eagle ruhig. „Niemand wusste über das Effektivitätsprinzip Bescheid, über die Ressourcen, die gesellschaftlichen Strukturen oder die Geographie. Es liegt nun an uns, dieses Wissen zu nutzen.“ „Was haben wir davon?“ Weyers Züge blieben hart wie stets. Ein Mann hinter ihm nickte zustimmend. „Schön, wir wissen das alles nun, aber jetzt. Sollen wir, nach all den Angriffen auf uns, nach all unseren Verlusten, jetzt wirklich zu ihnen gehen. ‚Oh, ihr Armen, ihr habt es so schwer. Es ist egal, dass ihr ganze Landstriche verwüstet und Familien getötet habt, wir wollen euch trotzdem ein paar Rohstoffe von unseren abgeben, damit ihr aufrüsten und angreifen könnt, so wie das letzte Mal, als wir euch Frieden anboten.“ Jean-Claude presste fest die Kiefer auf einander und hielt eine ungehobelte Antwort zurück. „Genau das ist es aber.“ Alle Köpfe wandten sich in Richtung der weiblichen Stimme, die Muriel Raven gehörte. „Diese „Warum sollte ich“-Einstellung, welche Sie gerade präsentieren, entspricht der, die Sie den Outridern im besten Falle zu gestehen. Sie haben sich in den vergangenen Wochen bei mehr als einer Gelegenheit dafür gerühmt, wie viel fortschrittlicher wir Menschen sind. Nun allerdings begeben Sie sich auf die Stufe hinab, die Sie für so verabscheuungswürdig erachten – Ihren Worten zufolge. Wir mögen alle die Erfahrung gemacht haben, dass wir mit unserer Lebensart viele, vielfältige Ziele erreichen. Es hat sich eingeprägt und Prägungen, das wissen wir alle, sind nicht einfach zu entfernen. Das sei mal wertfrei angemerkt. Grundsätzlich erschweren es diese Prägungen aber neue Erfahrungen zu machen, weil davon ausgegangen wird, dass das Ergebnis bereits fest steht, die Prägung ergo weiter vertieft wird. Wir haben aufmerksam den Worten Mr. Baxters gelauscht und nun die Möglichkeit, eben jene Prägungen zu verändern. Stellen wir also andere Fragen. Weshalb scheiterte der Friedensvertrag in der Vergangenheit? Wir boten ihnen Frieden an, gegenseitiges Abrüsten und ein Siedlungsgebiet. Wir rüsteten im Gegenzug ebenfalls ab und demontierten sogar Ramrod. Warum war es nicht genug? War es möglich, dass unser Angebot keinen spürbaren Effekt auf die Ressourcenknappheit hatte? Sollten wir ihnen also ein Angebot machen, dass von ihrem Standpunkt aus effektiver ist, oder beharren wir weiterhin auf nicht eingehaltene Vereinbarungen, Hinterhalt und gebrochenen Frieden und verfahren weiter wie bisher?“ Wenn das alles hier überstanden war, musste er April fragen, wie genau das mit der Symbiose, mit einer Beziehung hier funktionierte, vermerkte sich Jean-Claude gedanklich. Hatte die schwarzhaarige bis eben seine Aufmerksamkeit erregt, hatte sie nun ganz gewiss sein Interesse. Er nickte langsam. „Ich erklärte es bereits. Wenn Diplomatie sich als uneffektiv erweist, handeln wir zielorientierter und greifen an. Schnelles Handeln für schnelle Erfolge. Es ist ein guter Rat, die diplomatischen Strategien zu ändern“, erklärte er sachlich. „Wie sollen diese diplomatischen Strategien denn verändert werden?“, wollte Weyer wissen. „Mit einem gezielten Gegenschlag“, erklärte jener Mann hinter ihm. „Wir wissen nun, wie das Transdimensonsbeamen funktioniert. Wir kennen nun die Geographie ihres Planeten. Ich sage, schlagen wir zu und vernichten sie ein für alle mal.“ Unruhe kam auf. Einige stimmten ihm zu, andere äußerten sich dagegen. So war es also um die Friedfertigkeit der Menschen bestellt, dachte Jean-Claude. Nicht viel anders als in seiner Heimat. Er war gespannt, wie es weiter ging, schaute abwartend zu Commander Eagle. Der beobachtete eine Weile die entstandenen Debatten, schweigend und abwartend. Lange, wie der Outrider fand. In seiner Heimat hätte man längst für Ruhe gesorgt und eine Entscheidung herbei geführt. Noch ehe eine Diskussion überhaupt entbrannt wäre. „Es ist genug!“ Laut hatte Eagle nicht gesprochen, aber entschieden. Ruhe kehrte ein. Wer aufgestanden war, setzte sich nun wieder und lenkte die Aufmerksamkeit auf den Commander. „Als wir Jean-Claude und seinen Schwestern anboten, war davon die Rede, eine friedliche Lösung herbei zu führen. Ein militärischer Schlag steht daher außer Frage, auch wenn wir uns gleichwohl gegen Angriffe ihrerseits zur Wehr setzen werden. Nun konzentrieren Sie sich bitte alle auf die Frage, wie die diplomatischen Schritte verändert werden können, damit sie uns zum Ziel führen“, verlangte er streng. Die Lemminge senkten ihre Köpfe und schienen nachzudenken. Jean-Claude sah zu Muriel. Sie hatte ihre Hand unter ihr Kinn gelegt und ihre Augen auf den Tisch gerichtet, an dem sie neben Dr. Cron saß. Der ältere Herr beugte sich nun zu ihr hinüber und raunte ihr etwas zu. Sie blätterte darauf hin in ihren Aufzeichnungen. Cron warf einen Blick darauf, sprach wieder leise mit ihr. Sie nickten einander zu. Dann erhob er sich und begann zu sprechen. „Verhaltensweisen, die als erfolgreich bewertet werden, werden wiederholt und übernommen. Sie dienen über kurz und lang als Vorbild bis hin zum Ideal und werden in die Verhaltensnormen einer Gesellschaft übernommen. Auf diese Weise reproduziert sich die Gesellschaft – und damit ihre Verhalten und ihre Handlungsweisen – immer wieder selbst“, schickte er voraus. „Wenn eine Gesellschaft nun mit knappen Ressourcen ums Überleben kämpft, mag das zu Verhaltensweisen und Strategien führen, die uns erschrecken, für diese Gesellschaft aber lebensnotwendig sind. Die Notwendigkeit ist der Grundpfeiler für eine gelingende Diplomatie.“ Er hatte sich während des Sprechens um gesehen, Eagle, Chibli, Weyer und einige andere eindringlich angeschaut. Nun schaute er zu Jean-Claude. „Wie groß ist der Anteil an Outridern, die von dieser hormonellen Dysfunktion betroffen sind?“, erkundigte er sich dann. „Etwa fünfzehn Prozent“, gab der schlicht zurück. Cron nickte langsam. „Lassen Sie mich eine Hypothese aufstellen. Angenommen, wir bieten ihnen an, jene Betroffenen bei uns Asyl zu gewähren. Dann sparten sie sich Ressourcen sie zu versorgen und zu beschützen. Wenn mein militärisches Verständnis ausreicht, schwächen wir auf diese Weise außerdem ihre Angriffsstärke. Wir könnten sie überwacht in dem Siedlungsgebiet beheimaten, mit der Auflage, dass sie natürlich keine militärisch einsatzfähigen Erzeugnisse herstellen. Es sollte uns, aufgrund unserer Erfahrung durchaus möglich sein, eine sinnvolle, angemessene Überwachung dessen sicher zu stellen. Gegen eine Überwachung werden sie sich wohl auch nicht erwehren, sind sie doch klare Vorgaben gewohnt. Ressourcen genug haben wir, diese Leute zu versorgen zu mal sie ihren Anteil an unserer Wirtschaft haben werden“, fuhr er fort. Grüblerisches Schweigen erfüllte den Raum. Die Grundzüge schienen stimmig. Senator Chibli meldete sich zu Wort. „Wenn sie zusätzlich ihre Waffen um fünfzehn Prozent abrüsten würden, wäre eine Ressourcenschonung noch deutlicher für sie spürbar. Wir könnten ihnen leichter die Stirn bieten, sollten sie uns in den Rücken fallen“, überlegte er laut und wandte sich ebenfalls an den Outrider im Raum. „Wären die Betroffenen dieser … wie nannten Sie es … hormonellen Dysfunktion wohl bereit dazu, zu diesen Bedingungen umzuziehen?“ Jean-Claude nickte. „Es war der Grund, weshalb meine Schwestern und ich flohen. Es wäre nicht das uneffektivste Angebot.“ Er schaute Commander Eagle an. Es klang plausibel für ihn. Es war wert, dass genau zu prüfen. „Wir werden am Montag zusammen kommen und diese Hypothese erörtern. Bitte stellen Sie alle bis dahin Recherchen an, die dies als praktikabel oder impraktikabel beweisen“, entschied dieser ruhig. Immerhin hatten sie nun noch den morgigen Tag und konnten das Wochenende dazwischen nutzen. Die Zusammenkunft löste sich auf. Er würde sich mit Laramy in Verbindung setzen. Die Outrider hatten einst aus diesem Wüstenplaneten einen lebenswerte Heimat gemacht und dort friedlich mit den Menschen zusammengelebt. Die Wahrscheinlichkeit, dass in Kombination mit einigen Auflagen, ein ähnlich gutes Zusammenleben wie zu dieser Zeit möglich sein würde, hielt er für hoch, wollte sich aber mit dem Bürgermeister Laramys besprechen. Teilte man die Ankommenden in kleinere Gruppen, war es auch leichter sie zu kontrollieren und die Gefahr zu verringern, dass sie sich gegen die Menschen wandten. Es war aber nicht nur von Seiten der Phantomwesen eine riskante Angelegenheit. Arasamus Soors Übergriff auf seinen Schützling Beth zeigte ihm, dass auch die Outrider, wenn man ihnen Asyl bot, Schutz vor den Menschen benötigten. Jahrelange Kämpfe und Auseinandersetzungen hatten nun mal einfach kein allzu freundliches Bild vom Feind gezeichnet und es war sehr präsent in den Köpfen der Menschen. Selbst Laramy, obwohl sie den Phantomwesen dankbar waren und eben harmonisch gelebt hatten, hatten nicht vergessen, dass sie gleichzeitig mehrere Renegades unterhalb der Hauptstadt gebaut hatten. Schwierig würde es werden, mindestens. Aber von einem war er überzeugt: Nichts auf der Welt, dass es sich zu haben lohnt, fiel einem in den Schoss. Er sah sich um, sah seine Tochter mit dem Outrider sprechen. Langsam kam er auf die beiden zu, hörte, wie April aufmunternd vorschlug: „Wenn sie dir sympathisch ist, lade sie doch auf einen Kaffee ein“ und Jean-Claude sachlich antwortete: „Es ist jetzt keine gute Zeit dafür.“ Der Commander räusperte sich und reichte dem Grünhaarigen die Hand. „Jean-Claude, vielen Dank für Ihre Vorträge. Ich hoffe weiterhin auf Sie und Ihre Unterstützung bei den Beratungsgesprächen.“ „Natürlich, Commander“, nickte der und ergriff die angebotene Hand. Eagle zog sich zurück. April lotste den Outrider zum Aufzug, den Dr. Cron und seine Assistentin eben betraten. Die beiden sahen für einen Moment auf, musterten flüchtig die Navigatorin und ihren Schützling. Muriels Blick prüfte sie genauer, ehe sie sich wieder in ihr Gespräch mit dem Doktor vertiefte. Sie folgten den beiden, hatten den gleichen Weg durch die Fußgängerzone zu einem Cafe, in dem sie sich einen Becher Cappuccino und einen Espresso für unterwegs mitnehmen wollten. Sie reihten sich in die Schlange der Wartenden ein. Jean-Claudes Blick verfing sich in dem schwarzen, glänzenden Haar der Assistentin, während April immer wieder die Umgebung prüfte. Es war alles so alltäglich, so gewöhnlich, dass man unaufmerksam werden konnte. Ein Monat, ohne dass irgendetwas Verdächtiges geschehen war. Nichts wies auf Gefahr hin. Alles war still. Es verleitete zu der Annahme, die Verfolger hätten aufgegeben. Doch das bezweifelte sie. Das war zu einfach. Menschen strömten die Straße entlang, jagten im Sonnenschein unter dem wolkenlosen Himmel den bedeutenden Dingen ihres Lebens nach, geschäftig und eifrig. Einige hatten mehr Zeit, genossen den Sommer in der Stadt oder wehrten sich mit stoischer Gelassenheit gegen die Eile der anderen, ruhig, beinahe trotzig gelangweilt. Kinder lebten die Wärme, planschten unbekümmert und ausgelassen in einem Springbrunnen auf dem Platz unweit des Cafes. Ihr helles Lachen drang weit die Straße entlang. Tauben flatterten auf, stoben auseinander, als Fußgänger in Gruppen ihren Futterplatz passierten, um an einer andern Stelle zu landen und erneut nach Nahrung zu picken. Ein normaler Tag. Ein ganz normaler Tag. Ein Tag von vielen, friedlich und gleichförmig im Ablauf. Tage wie diesen hatte sie bewahren wollen, wollte sie für die Zukunft erhalten. Heute waren sie dem womöglich einen größeren Schritt näher gekommen als jemals zuvor. Aber wie so viele Dinge konnte auch dies nur ein trügerischer Schein sein. Sie schaute sich um, prüfte noch einmal. Alles normal. Anscheinend. Anscheinend hatte sie auch eine gute Beziehung, hatte sie bisher geglaubt. Scheinbar, sie verzog verbittert den Mund, hatte sie sich da geirrt. Einmal mehr ging sie gedanklich durch, was Fireball ihr an den Kopf geworfen hatte, wie er sich verhalten hatte, wie sie sich verhalten hatte. Das Ergebnis war erschreckend und bekümmert sie. Die Situation, in der sich ihre Beziehung befand, hatte ihren Ursprung in einem Anruf, den sie nicht getätigt hatte, weil es spät geworden war und sie auf ihren Freund hatte Rücksicht nehmen und ihn nicht wecken wollen, nicht ahnend, dass er allein auf Ramrod zurück geblieben war, und ihrer Rückkehr und der Akzeptanz der Höflichkeitsgeste Jean-Claudes, als sie sich bei ihm untergehakt hatte. Ab diesem Moment hatte sich Fireball in einen mürrischen, vor sich hin brodelnden Vulkan verwandelt, der wüst ausgebrochen war. Vernünftig zu reden, was sie davor versucht hatte, war in dem Augenblick nicht mehr möglich gewesen. Da sie nun beide entgegengesetzt Schicht im Personenschutz hatten, was Arasmus Soors Verhalten zu verdanken war, war Gelegenheit zu einem Gespräch noch weniger vorhanden. Wenn sie ehrlich mit sich selbst war, verschaffte es ihr eine Auszeit, die ihr gut tat. So konnte sie Abstand dazu finden und für sich abwägen, wohin sie wollte. Kapitel 8: Kapitel 8 -------------------- Beinahe stieß sie mit Jean-Claude zusammen, der vor ihr abrupt stehen blieb und etwas ungläubig auf den Kaffeebecher sah, den man ihm gereicht hatte. Geld verlangte man keines von ihm. Der Becher war vom Barista mit einer Nachricht versehen worden. „Auf eine gute Zusammenarbeit M.R.“ April lächelte und nickte ihm zu, während Muriels schwarzer Haarschopf aus dem Cafe verschwand und in der Menge in der Fußgängerzone untertauchte, begleitet vom ergrauten Schopf Dr. Crons. Gut zwei Stunden ehe die Schicht endete, Fireball, Colt und Saber den Personenschutz übernahmen, klopfte der Schotte an die Tür Jean-Claudes. Beide setzten sich an den kleinen Tisch, der vor dem Balkonfenster stand. Bewusst war ihnen beiden, dass sie ihre Wachsamkeit wieder erhöhen mussten, darüber waren sie sich einig. Sie sprachen über die Liste ihrer möglichen Verfolger. Jean-Claude war überrascht, auf positive Weise, dass der Recke zu der gleichen Aufstellung mit der annähernd gleichen Begründung gekommen war, wie er selbst. Sie grübelten hin und her, wie sie die Sicherheit erhöhen konnten. Der erste Schritt war die Weitergabe ihrer vier Hauptverdächtigen an die anderen. Als nächstes würde der Schotte die Blaster, welche die Geschwister von zu ihrem Schutz mitgeführt hatten, an die Schwestern geben, geladen und schussbereit. Sie sollten sie gut verborgen mit sich führen. Jean-Claude selbst prüfte seine Waffe erneut und verstaute sie entsprechend. Beide Strategen waren sich nicht sicher, wer der drei Geschwister am stärksten im Visier der Verfolger gerutscht war. Einig waren sie sich darüber, dass das emotionale Band zwischen ihnen bestimmt zu ihren Fallstrick werden sollte. Es war ihr größter Schwachpunkt. Es war unklar, ob ihre Gegner wussten oder vermuteten, dass die Geschwister unter Personenschutz standen und wer damit beauftragt worden war. Da sie allerdings den einstigen Liebling Nemesis auf ihrer Spur vermuteten, gingen sie davon aus, dass er sich Zugang zu diesen Informationen verschafft hatte. Saber setzte es auf seine To-Do-Liste, das zu prüfen. Damit ergaben sich drei Möglichkeiten und jede von ihnen würde treffen. Eine Möglichkeit war es bei Nacht anzugreifen, auf Beth abzuzielen und mit ihr den Schotten gleich mit gefangen zu nehmen. Somit verleiteten sie die älteren Geschwister dazu, die jüngste zurückzuholen, ebenso wie die dann führungslose Ramrod-Crew überstürzt ihrem Captain nach zu setzen. Insgesamt war das Risiko von unbedachten Überreaktionen sehr hoch, zumal dann auch noch Fireball und Jean-Claude ziemlich sicher an einander geraten würden, was diese Jagd erschweren oder ganz zum Scheitern bringen würde. Würden sie bei Tag zuschlagen, würden sie Garrett McLeod töten, da er in ihren Augen wertlos war. Der Effekt den Beth Entführung erzielen würde, wäre dennoch nicht unerheblich, wäre dann auch der Recke in einer schwierigen Situation aufgrund seiner Beziehung zu ihr. Allerdings dürften sich ihre Verfolger darüber nicht im Klaren sein. Das konnte man nicht aus den Berichten des Oberkommandos in Erfahrung bringen. Snow und Colt würden sie ebenfalls zusammen angreifen. So gut der Scharfschütze auch war, seine bisweilen temperamentvolle Vorgehensweise wurde durch kalte, herzlose Handlungen gereizt und provozierte so, dass er unbedacht reagierte und ihnen in die Hände spielte. Mit Snow war es nach Jean-Claudes Einschätzung nicht sehr viel anders. Auch hier würde das Band unter den Geschwistern überstürztes Handeln begründen. Die Entführung eines guten Freundes und des besten Schützen der Ramrod-Besatzung schwächte deren Schlagkraft und verführte ebenfalls zu Überreaktionen, da die Crew sich sehr nahe stand. Ian Broik würde man, ähnlich wie McLeod, einfach töten und zurück lassen. Jean-Claude und Fireball oder April schnappen zu wollen, würde durch die Beziehung der beiden Star Sheriffs den anderen zu überstürzten Aufbrüchen, vielleicht auch Alleingängen, führen. Die Schwestern würden um jeden Preis ihren Bruder zurück holen oder mit einem Austausch einverstanden sein und widerstandslos folgen. Das könnten die Star Sheriffs dann nicht verhindern. Diese Überlegungen führten zu einem nächsten Schritt, dem Anbringen eines Senders, um sie über eine möglichst weite Distanz auf zu spüren. Jean-Claude hielt dagegen, dass ihre Jäger sie sofort darauf untersuchen würden. Saber legte die Hand ans Kinn, nickte zustimmend und grübelte. Dann sah er den Outrider an. „Lebend bist du von größerer Bedeutung. Richtig?“, fragte er langsam. Der nickten. „Gut, dann machen wir folgendes“, begann der Blonde und unterbreitete seinen Vorschlag. Arasmus Soor war es leid. Das fade Essen, die eingeschränkten Freizeitaktivitäten, die leuchtenden Schranken und die bleichen Fliesen schlugen ihm ebenso auf das Gemüt, wie die unbequeme Pritsche, die eher ein Folterinstrument war, und der Grund, dem er seine Anwesenheit hier verdankte. Diese kleine Stute und ihr Hengst, der offensichtlich lieber dumme, störrische Esel deckte, statt der stolzen, freien Pferde zu denen er gehörte. Soor wollte die Galle hoch kommen. Das war einfach ekelhaft. Er konnte nicht sagen, was ihn mehr störte. Dass sich ein Mensch ernsthaft mit einem Outrider einließ, oder dass es ausgerechnet der Vorzeigecaptain der Ramrod-Crew war, der dies tat. Es widerte ihn an. Was war denn an diesem Weib schon so besonderes? Seine Beth war auch eine wunderschöne Frau gewesen, hatte auch sinnliche Lippen, ein verführerisches Dekolleté und eine einladende Taille. Seine Beth war auch anziehend gewesen, hatte einen mit einem schlichten Lidschlag den Verstand rauben und die Phantasie so beflügeln können, dass einem schwindlig und die Knie weich wurden. Wo war der Unterschied zu dem blasslila haarigem Weib? Was hatte die, was seine Beth nicht hatte? Vom Leben mal abgesehen. Warum machte niemand um diesen Fakt einen Aufstand? Warum war es interessanter, dass dieses Weib sicher war, während der Verrat und der Hinterhalt von einst vergessen oder ignoriert wurden? Jetzt kroch man diesem Pack also ins Heck. Lediglich für die Behauptung sie hätten wertvolle Informationen und wären an Frieden interessiert. Hatte das irgendwer geprüft, bevor sie den Kopf an eben jene Stelle versenkt hatten, oder war das nicht mehr möglich, nachdem der Schädel da schon steckte? Er tigerte stampfend in seiner Zelle auf und ab und grübelte über seine Situation nach. Man ermittelte gegen ihn, weil er dieser Eselsstute zu nah und damit offensichtlich ihrem Deckhengst in die Quere gekommen war. Was wäre schon dabei gewesen? Offensichtlich aber durfte das nur der prestigeträchtige Held, der eindeutig nicht gern teilte. Schon gar nicht mit einem Fußsoldaten wie ihm. Deshalb war er nun auch noch unehrenhaft aus dem Dienst entlassen worden und zählte nun nicht mehr, was er in seiner Laufbahn zuvor alles erreicht hatte. Arasmus presste die Zähne zusammen und krauste wütend die Stirn. Das würde diese übermäßig aufpolierte Gallionsfigur schon noch lernen. Mit seinesgleichen sprang man nicht so um. Man machte aus ihnen keine Fußabtreter. Wofür gab es denn Outrider? Wenn sie sich schon mal freiwillig so weit auslieferten, sollte man das doch entsprechend würdigen. Befand zumindest Arasmus. Dass Saber die Blaster an die Schwestern ausgab, sprach eine deutliche Sprache, verdeutlichte ihnen, wie ernst er und ihr Bruder die gegenwärtige Situation einschätzten. Colt verband die Arbeit mit dem Vergnügen und brachte Snow zu einem Schießstand. So konnte er mit ihr etwas ungestörte Zeit verbringen und gleichzeitig ihren Umgang mit Schusswaffen prüfen. Sie hatte Talent und verstand schnell, wie er begeistert feststellte. Ihr Blick war scharf, ihre Trefferquote für den Anfang ziemlich gut und ihre Souveränität, mit der sie die Waffe handhabte, beinahe professionell. Während er sie so beobachtete, kam er zu der Überzeugung, dass sie in einer Kampfsituation gut zu recht kommen würde. Vielleicht steckte ja so etwas wie ein Kriegergen in ihr, oder wurden Outrider von klein auf so ausgebildet wurden, dass sie jederzeit in jedem Bereich einen guten Beitrag zu ihrer Gesellschaft leisten konnten? Als er sie danach fragte, gab sie bereitwillig Auskunft. Der Lernplan für die allgemeine Ausbildung sah vor allem eine gute Sprache, Naturwissenschaften und Sport vor, teilte dies recht gleichmäßig auf. Schöngeistigen, künstlerischen und musikalischen Unterricht gab es nicht. Er galt, wie der Lockenkopf schnell verstand, als nicht effektiv. Dafür wurde auf lebensnützliche Praxis Wert gelegt, standen auch hauswirtschaftlicher und handwerklicher Unterricht auf dem Stundenplan. Für monoton hatte er seine Schulzeit schon gehalten, irgendwie langweilig und zweifelhaft notwendig, aber verglichen damit war es dann doch eher ein Spaß gewesen. „Snow, du schießt fast so scharf wie du aussiehst“, stellte er am Ende breit grinsend fest. „Ich nehme an, dass war ein Kompliment, also danke“, gab sie zurück und ließ lässig den Blaster um ihren Zeigefinger rotieren. „He, langsam.“ Er griff nach ihrer Hand und brachte die Waffe so zum Halt, dass der Lauf auf die Zielscheiben deutete. „Nicht, dass du dir den Kopf wegpustest.“ „Der ist leer.“ „Sicher?“ Er trat näher und legte die freie Hand an ihre Wange. Sein Blick verfing sich in ihren auberginefarbenen Augen. „Ich möchte auf nichts an und von dir verzichten.“ Er klang ernst. Es überraschte sie ein wenig. Sie löste die Hand aus seiner und legte den Blaster auf der Theke ab, von der aus sie geschossen hatte. Dann verflochten sich ihre Finger mit seinen. „Warum bist du so ernst?“, fragte sie. Er lachte wie ertappt auf. Dann presste er die Lippen auf einander. Wenn er so wortgewandt wie Saber wäre, würden ihm sicher die richtigen Worte einfallen. Dann könnte er ihr sagen, dass er dafür sorgen würde, dass sie sicher war. Dann könnte er auch sagen, wie sehr die Zeit mit ihr genoss und wie schön es war sie überhaupt nur zu küssen. Dann könnte er ihr auch sagen, dass er sich mehr wünschte als das – ganz gleich ob es forsch und zu direkt war, es war ehrlich – und dass er hoffte, sie würde ihm ein wenig entgegen kommen. Saber wüsste sicher, wie er das elegant formulieren sollte. Aber er war nicht Saber. Er formulierte nicht elegant. „Snow, ich will dich. Okay? Ich will dich in meinem Leben. Verstehst du? Ich will dich berühren, nicht immer nur küssen. Ich mein, das ist Wahnsinn, wirklich. Aber genau deshalb will ich dich spüren, an mir, auf mir, unter mir. Ich …“ Er brach ab. Sie starrte ihn mit großen Augen und öffnete den Mund. „Ja, ich weiß, das war direkt und flach“, begann er seufzend. Immerhin hatte sie ihm dafür keine runter gehauen. „Es ist schon in Ordnung“ erwiderte sie langsam. „Lass uns nach Hause gehen.“ Er presste die Lippen auf einander und nickte. Der Laden würde ohnehin bald schließen. Also nahm er ihre Hand, stellte erleichtert fest, dass sie es zu ließ, und machte sich auf den Weg zurück in ihre Wohnung. Er hielt sie nah bei sich, spähte wachsam in die Umgebung. Nichts Ungewöhnliches. Eine normale, lebendige Yuma-City-Nacht. Warm und Neonlicht erhellt. Menschengruppen passierten lachend die Straßen, sprachen angeregt, waren fröhlich. Pärchen turtelten. Manche stritten. Einzelne streunten umher, warteten auf Freunde, eine Taxe oder sonst ein Fahrzeug der Personenbeförderung. An einer Kreuzung war die Verkehrsführung wegen einer Baustelle geändert. Aus Restaurants und Bars drang gedämpft Stimmengewirr, begleitet von Musik. Nichts Ungewöhnliches. Überhaupt nichts. Als sie die Wohnung betraten, schien sie auf den ersten Blick leer. Dann entdeckten sie Saber und Beth auf dem Balkon. Sie schauten in die Nacht, saßen auf einem Stuhl, ein zweiter stand unbeachtet nah daneben. Beth Kopf ruhte auf der Schulter des Recken. Seine Hände hielten ihre Taille auf seinem Schoß. Snow sah zu Colt. Etwas in ihrem Blick hatte sich verändert. Sie griff nach seinem Hut, nahm ihn mit einer raschen Bewegung von seinem Kopf und warf ihn in die Wohnküche. Er glitt über den glatten Boden, kam gut sichtbar beinahe in der Mitte zum Halten. Colt schaute ihm erstaunt nach. Noch erstaunter sah er auf die Hände, die plötzlich an seinem Kragen zogen und ihn in Richtung ihres Zimmers zerrten. Die Tür plauzte hinter ihnen zu. „Einverstanden“, sagte sie leise, ihre Stimme wie feiner Rauch. „Einverstanden?“ Perplex blinzelte er, fand den Zusammenhang nicht gleich. „Mit dem was du über das Spüren gesagt hast.“ In Colts Kopf überschlugen sich die Gedanken. Die Erinnerung an seine Worte auf dem Schießstand purzelte wild durch seinen Kopf. Vom Spüren hatte er gesprochen. Welche Weise schwebte ihr vor? In seiner Phantasie blitzten alle möglichen Sehnsüchte bildhaft auf. Was davon nur? Er konnte kaum ein Bild festhalten - dafür müsste die Blutversorgung seiner Hirnwindungen störungsfrei funktionieren. Diese allerdings zentrierte sich nun unablässig in seiner Körpermitte. Sie zog ihn noch einige Schritte in den Raum, lotste ihn in Richtung ihres Bettes. Er griff nach ihren Händen, umschloss ihre Handgelenke. „Snow…“ Worte bitte, Worte. „Snow, was genau meinst du mit Einverstanden und Spüren.“ Wenn sie jetzt nicht die wilden Gedanken bezähmte, würde er schlichtweg den Verstand verlieren. „Ich meine, dass ich dich auch an mir spüren will“, gab sie zurück, milden Rauch noch immer in ihrer Stimmen. Er nickte träge, die Gedanken nun einigermaßen im Griff. „Okay. Du willst es. Du kriegst es.“ Damit griff Colt seinerseits nach ihr. Ehe Snow es sich versah, packte er ihre Taille und hob sie hoch. Er trug sie die wenigen verbliebenen Schritte zu ihrem Bett und legte sie darauf. Im nächsten Moment war er über ihr und eroberte ihre weichen Lippen stürmisch. Dass sie ihre Arme um seinen Hals schlang und ihn zu sich zog, bestärkte ihn in seinem Vorhaben. Stürmisch glitten seine Hände unter den Stoff ihrer Kleidung, ertasteten die weiche, straffe Haut darunter. Snow kam ihm entgegen, nicht beherrschter als er löste sie die Knöpfe seines Hemdes und streifte es von seinem Körper. Begierig erkundeten ihre Finger seine Brust, die Sehnen und Muskeln unter der glühenden Haut. Colt drängte sich zwischen ihre Beine, strich mit der Hand über ihre Taille, zu ihrem Bauch und schob seine Finger unter den Stoff, der ihre Hüften verhüllte. Ein Stöhnen entwich den hitzigen Küssen, als er Snows Hände an seinem Gürtel fühlte. Ein Entgegenkommen. Er seufzte hungrig. Endlich. Das Paar auf dem Balkon bemerkte die Ankunft Snows und Colts, wandte sich aber wieder dem Ausblick zu, als Saber sah, wie Snow den Hut in den Raum warf. Das Signal war deutlich. Beide blieben noch eine Weile und genossen die Stille der Nacht und den Glanz ihrer Lichter, genossen die Zweisamkeit und den sacht nachhallenden Klang der eigenen, gelebten Intimität. Das Damoklesschwert, das über ihnen hing, warf einen Schatten auf das, was andere unbeschwert erleben durften. Als Beth sich in ihr Zimmer zurück zog, trat Colt aus dem Zimmer ihrer Schwester. Das nachlässig geknöpfte Hemd verriet, was ohnehin schon jeder wusste. Er nickte ihr zu, wünschte mit der Geste eine gute Nacht und nahm sich etwas zu trinken aus dem Kühlschrank. Saber schloss die Balkontür und sah seinen Freund und Kollegen an. „Es wird erst noch richtig lustig?“, fragte der Lockenkopf und nahm einige große Schlucke aus der Flasche. Der Schotte nickte. „Was erwartet uns? Was hast du mit Jean besprochen?“ Er setzte die Flasche ab und schaute in Richtung der Zimmertür Snows. Die Zuneigung und die Leidenschaft, die Nähe und das Vertrauen, das sich darin eben entfaltet und vertieft hatte, durfte nicht gefährdet werden. Er würde nicht zulassen, dass ihr etwas geschah. „Wenn sie erfolgreich sind und uns im richtigen Moment erwischen … dann einen Haufen Ärger. Einen ganzen Haufen“, seufzte der Blonde und bediente sich ebenfalls an den Getränken. „Sie werden zu schlagen, wenn wir unaufmerksam sind. Wahrscheinlich schneller, als wir ahnen, denn niemand kann so lange unablässig konzentriert sein. Sieh uns an. Wir sind ein gutes Beispiel.“ „Oder Fireball, der gerade nur noch Dienst an der untersten Grenze tut.“ Saber nickte. „Genau das, was April ablenkt, wenn sie nicht damit beschäftigt ist, Jean und seine Vorträge zu unterstützen. Wir sind alle nicht hundertprozentig da und bisher war es vielleicht auch nicht ganz so tragisch. Jeans Schätzung nach hatten wir diesen einen Monat, ehe sie ihnen auf die Spur kommen. Haben sie aber erstmal Witterung aufgenommen, was ziemlich sicher jetzt der Fall ist, werden sie schneller zu schlagen, als wir atmen können.“ Unzufrieden presste Colt die Lippen zusammen. „Wann, verdammt? Wie? Wo?“ Er ballte die Fäuste. „Es kann immer und überall sein und was wir auch erwarten, sie werden versuchen, das Gegenteil zu tun, um uns zu entwischen. Niemand, wirklich niemand, kann ständig mit allem rechnen, mit nichts und dem seltsamsten. Je mehr man sich auf das Ungewöhnliche konzentriert, desto eher über sieht man das Gewöhnliche.“ Ein frustriertes Stöhnen entwich ihm. Es war zum verrückt werden. Die Tage glitten gleichförmig dahin. Die Geschwister verhielten sich unauffällig, wie bisher, wie es ihre Art zu leben war. Keine Partys, keine Feiern, keine ausschweifenden Touren durch die Einkaufszentren oder sonst eine Aktivität, die schwer zu begleiten und überwachen war, die in irgendeiner Form Aufsehen erregen mochte. Die Schwestern gingen zur Universität, konzentrierten sich da auf ihre Kurse und kehrten anschließend in ihre Wohnung zurück. Ihre Freizeit bestand aus Vorbereitungen auf die Kurse, Hausarbeit und etwas Ablenkung in einem Park, in der Nähe der Universität. Garrett hatte Beth ohne Mühe für Schach begeistern können und sie hatte sich für einen Yoga-Kurs eingetragen, der regelmäßig dort statt fand. Währenddessen erklommen Ian und Snow die Kletterwände, spielten Tischtennis oder Basketball. So verschmolzen die vier in der Masse der Besucher, waren vor aller Augen unsichtbar. Jean-Claude war in seine Aufgabe für das Oberkommando vertieft und nahm sie sehr ernst. Hin und wieder gönnte er sich eine Abwechslung und ging mit April zum Joggen durch den Park, in dem sich auch seine Schwestern aufhielten. So konnte er sie immer wieder beobachten und sich überzeugen, dass es ihnen gut ging, ohne sich allzu sehr in ihr neues Leben einzumischen. Doch jetzt, da er mit Saber gesprochen hatte und einmal mehr ihre Situation überdachte, beruhigte diese Gleichmäßigkeit im Alltag nicht mehr. Es lief so routiniert vor sich hin, so wie Alltag es eben tat, dass er darin eine Gefahr zu wähnen begann. Regelmäßigkeit, jeder Ablauf fiel auf, wenn man erst einmal lange genug beobachtete. Erst recht, wenn man wusste, nach welchen Mustern man suchen musste. Lange wäre dieser Ablauf kein Schutz mehr. Er musste diese Abläufe durchbrechen. Diese Gewohnheiten erschufen eine Geborgenheit, die sie sich noch nicht leisten konnten. Nur wie? Was war die Alternative dazu? Arasmus nahm seine Sachen in Empfang. Man händigte ihm seine zivile Kleidung, seinen Geldbeutel und Papiere aus. Dienstmarke und Waffe behielt man ein. Beides befand sich längst bei der entsprechenden Verwahrstelle. Nichts davon würde er wieder sehen. Ihm wurde ein Schreiben überreicht, in dem seine unehrenhafte Entlassung festgehalten wurde, so wie Vorgaben nach denen er sich nun bis auf weiteres zu richten hatte. Er überflog den Wisch und schob ihn achtlos in den Umschlag zurück. Jenen Umschlag verstaute er nachlässig in seiner Tasche. Er nahm seine Wohnungsschlüssel an sich, sie klapperten hart auf der matten Metalltheke, und unterzeichnete den ordnungsgemäßen Empfang seines Eigentums. Dem Beamten dahinter warf er einen finsteren Blick zu. Der beobachtete ihn ohnehin schon die ganze Zeit mit Ablehnung. Sie sprachen kaum. Kaum jemand seiner früheren Kollegen, die noch den gleichen Job hatten wie er einst, hatte hier je mehr mit ihm gesprochen, als notwendig war. Keine Kollegen mehr. Keine Freunde mehr. Offenbar glaubten sie, er habe etwas Falsches getan. Er wollte wirklich gern wissen, wie sie an seiner Stelle gehandelt hätten, aber auf diese Frage, hatte er nie eine Antwort erhalten. „Schönen Tag noch“, verabschiedete ihn schließlich der Beamte und legte die Entlassungsdokumente in die dafür vorgesehene Ablage. Arasmus brummte etwas zurück, das alles Mögliche bedeuten konnte, aber nicht deutlich genug für eine klare Aussage war. Ein Wachmann kam auf ihn zu und salutierte nachlässig, ehe er ihn aus der Haftanstalt und ihre Sicherheitstüren führte. „Ich hätte die Kleine nicht angerührt“, meinte der Beamte an der Theke, als ein Kollege kam, um die Papiere abzuholen. „Warum? Weil sie dem Oberhelden gehört? Oder weil du fürchtest, dir fällt sonst was ab?“ „Das Risiko besteht immer, wenn du nicht weißt, wer vorher dran war, und scharf soll sie ja schon sein, heißt es.“ Er reichte dem Kollegen die Papiere. „Aber es könnte auch ein Grund sein, dass man das Mädel von nem anderen, einem Kollegen erst recht, ganz einfach nicht anrührt.“ „Was davon ist es?“ „Such dir was aus.“ Arasmus‘ Miene blieb düster, ganz gleich wie die Sonne vom wolkenlosen Himmel strahlte. Sie erhellte sich erst, als er am Tor seinen jüngeren Bruder Daniel sah. Ein kleines Lächeln überzog sein Gesicht. Wenigstens er war gekommen, wenn es den Rest der Familie schon nicht interessierte. Er umarmte ihn kräftig, klopfte ihm dankbar auf die Schulter. „Na, freier Mann, wie geht es dir?“ Daniel strahlte übers ganze Gesicht. „Bald besser, bald noch besser“, versicherte der ältere. „Das denke ich auch. Ich bin mir da ziemlich sicher.“ „Ach ja?“ Sie sahen sich um. Der Wachmann stand noch am Tor, als warte er auf den endgültigen Abgang des Entlassenen. So schlugen die Brüder den Weg in die Stadt ein. Das folgende Gespräch ging den ohnehin nichts an. „Ja“, eröffnete Daniel den Dialog erneut, als sie an der nächsten Ecke abbogen. „Es gibt sogar jemand, der uns helfen möchte.“ Arasmus hob erstaunt die Brauen. „Dad? Matthew?“, vermutete er. Das wäre die Überraschung schlichthin, da die beiden ihn während seines Aufenthaltes in der Haft nicht besucht hatten. Der jüngere schüttelte den Kopf und winkte ab, wollte sich dazu offensichtlich nicht äußern. „Du kommst nicht drauf“, versicherte er nur. „Aber jemand weiß von deinem Rattenproblem. Ganz sauber ist er nicht. Überhaupt nicht. Aber was soll’s. Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Oder nicht?“ Auf die gerunzelte Stirn und den skeptischen Blick seines Bruders hin, raunte er ihm einen Namen zu. „Bist du irre?“, entfuhr es dem überrascht. „Mit dem zu tanzen, kann einen Kopf und Kragen kosten.“ „Kann sein, aber weder unseren Kopf noch unseren Kragen. Überleg doch mal. Wir sind doch für den gar nicht wichtig. Der will nur ein paar Sachen wissen. Mehr nicht. Dann sind wir für ihn nicht mehr interessant. Aber wir werden dein Rattenproblem los. Er kann sich ausrechnen, dass wir ihn nicht hin hängen. Dann wären wir ja selbst dran. Win win, wenn du mich fragst.“ Arasmus schwieg nachdenklich, bis sie eine Unterführung erreichten und die Rolltreppe hinab fuhren. Im Gewirr der Menschen, die hier entlang liefen, auf die andere Seite der Unterführung oder zu den Gleisen der U-Bahnen, bahnten sie sich ihren Weg zu deren Abfahrtstationen. „Ich schätze, du hast Recht“, meinte Arasmus, als sie auf ihren Zug warteten. „Er kann uns nichts tun, das würde zu ihm führen.“ Die Bahn näherte sich, kam vor ihnen zum Stillstand. Die Türen glitten auf, entließen Menschen auf den Bahnsteig. Die Brüder stiegen ein und sahen sich an. Dann nickten sie einander zu. Es würde klappen. Kapitel 9: Kapitel 9 -------------------- Der Tag glitt dahin, wie die Tage zuvor, in seiner Routine gewordenen Gleichförmigkeit. Garrett saß auf einer Bank, beobachtete die Menschen im Park, die vorbei schlenderten oder sich die Zeit auf die oder andere Weise vertrieben. Die beiden Jogger kamen beinahe jeden Tag hier entlang, gekleidet wie Profiläufer, absolut auf Schrittweise, Tempo und ähnlichen Schnickschnack bedacht, den sie einem sicher im ausführlichsten Detail erklären konnten. Beide waren um die dreißig, hatten kurze Bärte, die ihre untere Gesichtshälfte bedeckten und einen Stummelschwanz aus halblangem Haar am Hinterkopf. McLeod kannte sie schon. In einiger Entfernung tobten Kinder auf einem Spielplatz, schreien nach ihren Müttern am Rand, die verstimmt zurück brüllten und mahnten, sie sollten nicht die Gespräche anderer stören, ehe sie fortfuhren sich mit einer anderen Mutter über eine elementares Thema der weiblichen oder hausfraulichen oder was auch immer für einer Welt zu unterhalten. Garretts Blick kehrte zu seinem Schützling zurück. Beth in der Gruppe der Frauen zu bemerken, die gerade in ihrem Yoga-Kurs vertieft waren, war nicht ganz so einfach. Lediglich ihre Haarfarbe half ihm, sie im Blick zu behalten. Vor einiger Zeit war ihre Haut noch heller und auffälliger gewesen. Jetzt hatte sie eine leichte Sonnenbräune erhalten, weshalb sie nicht mehr so hervor leuchtete. Einmal mehr staunte der Star Sheriff. Sport und körperliche Ertüchtigung mussten in der Phantomzone einen hohen Stellenwert gehabt haben. Sein Schützling hatte kaum Schwierigkeiten die Posen einzunehmen und zu halten. Der „herabschauende Hund“ und das „schmelzende Herz“ gelangen ihr ohne Probleme hatte er sehr zu seinem persönlichen Gefallen feststellen können. Beides waren Haltungen, die ihm von hier aus einen guten Blick auf ihr hübsches Heck gestatten. Saber war zu beneiden. Welcher Mann träumte nicht davon. Dann klappte Garrett der Unterkiefer auf, als Beth geschmeidig und in fließenden Bewegungen in die Stellung des „Skorpions“ wechselte. Wüsste er nicht, wer daheim auf ihn wartete, wäre diese Beweglichkeit eine Versuchung, das gestand er sich ein. Offenbar war der Schotte wirklich ein Glückskind. Das Mädchen, das sich da so schön verbiegen konnte mit diesem gelenkigen, gut proportionierten Körper, war auch noch nicht auf den Kopf gefallen. Nicht weniger sportlich war ihre Schwester. Ian keuchte schon auf dem kleinen Basketballplatz, schien sich ausgepowert zu haben, während Snow um ihn herumdribbelte, als hätte sie eben erst zu spielen begonnen. Würde man die Beobachtung nur an der sichtbaren Atmung fest machen, schien es wohl so, doch auch der weißhaarigen rann der Schweiß von der Stirn. Ebenso wie ihre Schwester hatte sich ihr Hautton unter der Sonne hier angeglichen, sah gebräunter und gesünder aus. Ihr helles Haar bildete einen interessanten Kontrast dazu und Garrett konnte einmal mehr verstehen, weshalb der Schotte und der Scharfschütze sich für die beiden begeistern konnten. Verstecken mussten sie sich vor keiner Frau, konnten es locker mit ihnen aufnehmen. Außerdem diskutierten sie weniger um Dinge, die nun mal sein mussten und beklagten sich auch nicht über Umstände, an denen man gegenwärtig nichts ändern konnte. Das war eine angenehme Abwechslung zu anderen lamentierend weiblichen Geschöpfen, die zwar sagten, sie könnten mit bestimmten Konsequenzen umgehen, in ihrem Verhalten diesen Worten aber widersprachen. Oft genug hatte er schon Personenschutz für unterschiedliche Klienten übernommen, aber diese beiden waren die bisher unkompliziertesten von allen – abgesehen davon, dass sie Outrider waren, was bereits die Unterbringung erschwert und die Wohnungssuche sehr verzögert hatte. Er prüfte noch einmal die Umgebung. Nichts Auffälliges. Alles war so alltäglich, wie Alltag eben sein konnte. Vielleicht sollte ihn das beunruhigen, aber er konnte beim besten Willen keine Gefahr ausmachen. Die routinierte, alltägliche Ruhe behagte auch Colt nicht. Gemeinsam mit Saber, weil er allein wieder eine Ausrede gefunden hätte sich zu drücken, bearbeitete er die Berichte, die täglichen Meldungen an das Oberkommando. Im Grunde, und das machte es zu einem doppelt so öden Job, stand in all diesen Berichten das gleiche. Ob die Geschwister in den Wohnungen der Ramrod-Crew einquartiert waren oder ihre eigenen Wohnungen hatten – es gab keine besonderen Vorkommnisse, wenn man von dem mit Arasmus absah. Was so ereignislos dahin plätscherte, konnte fast nur die Ruhe vor dem Sturm sein. Allerdings konnte er nicht sehen, aus welcher Richtung die Wolken aufzogen, wo eben jener Sturm her wehen und wie verheerend er sein würde. Saber teilte seine Gedanken. Sie bemühten sich umso aufmerksamer zu sein. Gleichzeitig hatten sie das Gefühl, es wäre sinnlose Mühe, da keine Beobachtung irgendeinen Hinweis barg. War es vielleicht nicht die beste Idee gewesen, die drei in Mitten einer Metropole zu verbergen? So leicht sie hier untertauchen konnten, konnte es auch ein Verfolger. Colt schob energisch diesen Gedanken zur Seite und versuchte sich auf den langweiligen Bericht vor sich zu konzentrieren. Bald würde die Bombe platzen. Ganz sicher. Aber lieber wäre ihm, eher heute als morgen. Zwei Tage später übergaben Ian Broick und Garrett McLeod eine weitere ereignislose Schicht an die beiden. Sie nickten dies ab und schauten den beiden nach, als sie die Wohnung verließen. Es passte ihnen nicht. Es war zu ruhig. Die Abendsonne senkte ihre orangeroten Strahlen durch die großen Balkonfenster und wärmte die kühle, karge Einrichtung. Beth kam aus dem Badezimmer, rubbelte mit einem Handtuch ihr Haar trocken. Ihre Yoga-Kleidung hatte sie gegen eine Jeans und ein Shirt getauscht. Snow, bereits geduscht nach dem Sport im Park, stand in der Kochnische und holte gerade eine Lasagne aus dem Ofen. Colt half ihr und stellte Teller bereit, auf die sie die Mahlzeit verteilen konnte. Saber deckte Besteck auf den Tisch. Ein stinknormaler Abend. Was für einen harmonischen Bilderbuchalltag stand, hätte die beiden Star Sheriffs nicht mehr beunruhigen können. So gut die junge Outriderin auch gekocht hatte, es schmeckte immer fantastisch, was die Schwestern kochten, hatte heute einen faden Beigeschmack. Colt und Saber kauten träge, als wäre es Gummi, und schluckten, als wäre es das Körperteil irgendeines Lebewesens bei dem man lieber nicht nachfragte, was genau es eigentlich war. Den Schwestern entging die mechanische, beinahe gequälte Art und Weise der beiden nicht. Was ihnen sonst schmeckte, was sie sonst bis auf den letzten Happen in sich hinein stopften, blieb nun nahezu unberührt. Glaubten sie den Worten der beiden zu früheren Mahlzeiten, lag es nicht an der Kochkunst. Eben wollte Beth den Mund öffnen und fragen, da schellte Sabers mobiles Com. Er hielt es an sein Ohr, nach dem er das Gespräch annahm. „Fireball?“ Im nächsten Moment hielt er das Gerät auf Armlänge von sich weg. Jeder am Tisch hörte den Rennfahrer. „Kommt sofort rüber! Es ist wichtig!“, befahl der ungehalten und in einer Lautstärke, dass er auch gleich von Balkon zu Balkon hätte rufen können. Saber hob die Brauen und schaltet den Anruf ab. „Na dann“, meinte Colt nüchtern. Das konnte nur bedeuten, dass die Bombe explodiert war. Es war beinahe erleichternd. Sie standen auf und machten sich eilends auf den Weg. Alle vier. Der Ton, den der Wuschelkopf angeschlagen hatte, war deutlich gewesen. Er hatte alles gesagt. Etwas war mit April und Jean-Claude passiert. Ein Ertappen in flagranti konnten sie streichen. Weder die Navigatorin noch der Outrider waren einander auf diese Weise zugetan. Womöglich war April verletzt worden, als sie versucht hatte ihre Aufgabe zu erfüllen. Nur deshalb würde der Rennfahrer so einen Aufstand proben. Um Jean-Claude mussten sie sich in diesem Falle keine Sorgen machen. Vor allem, da die Blondine sich längst deshalb gemeldet hätte. Das war ein mögliches Szenario. Das andere, das den Knoten in ihrer aller Mägen verursachte, war eine leere Wohnung. Das bedeutete, beide waren verschwunden und, da durchbrennen in heiß entflammter Liebe und Leidenschaft entfiel, entführt worden. War das der Fall, und der Ruf des Rennfahrers ließ diesen Schluss zu, war es mindestens fünf nach zwölf, dann waren sie alle eingeschlafen, als sie eigentlich wach bleiben wollten. Das Bild, das sich ihnen bot, sprach mehr als tausend Worte. Die Wohnung war offensichtlich leer. Anderthalb gut einsehbare Zimmer waren leer, ebenso wie die Kammer und das Badezimmer, deren Türen sperrangelweit offen standen und dies bezeugten. In der Wohnküche tigerte ungestüm der Rennfahrer auf und ab, war rot im finsteren Gesicht. Saber ahnte, was folgen würde, versuchte aber dennoch, den rasenden auf neutralen Boden zu holen. Er versperrte dem Rennfahrer den Weg, als der erneut in Richtung der Tür stakte, durch den die vier herein gekommen waren, nahm Haltung an und salutierte demonstrativ. „Machen Sie Meldung“, orderte er sachlich, ignorierte die aufkommende Sorge um April und Jean-Claude, die rasche gedankliche Zusammenfassung der Ereignisse, die wohl in diese Situation geführt hatten, und den Anflug von verstimmtem Frust auf den brodelnden Kollegen vor ihm, der wohl seine Professionalität eingebüßt hatte. Weder ein Eifersuchtsdrama, noch sonst eine Überreaktion waren jetzt hilfreich. Vielleicht war ja trotz allem etwas von der Abmahnung hängen geblieben. Sie mussten jetzt einen kühlen Kopf bewahren. Es gelang ihm aber nicht, den Hitzkopf mit seinem Verhalten zur Sachlichkeit zurück zu führen. Fireball war pünktlich in die Wohnung gekommen, um seinen Dienst anzutreten, hatte diese aber eben leer vorgefunden. Ebenso wie die beiden Personen, fehlte eine Nachricht auf dem Com oder ein Schmierzettel, der ihn über den Verbleib der beiden informierte. Er versuchte die Navigatorin zu kontaktieren, blieb aber auch beim fünften Versuch erfolglos und kochte über. April war weg. Noch dazu mit Jean-Claude, für den sie sich immer noch mehr zu interessieren schien als für ihn. Zu einer Aussprache zwischen dem Rennfahrer und seiner Freundin war es nicht gekommen, zunächst, weil sie sich nie in Ruhe zurückziehen konnten um zu reden, und später, weil die Schichterei es ihnen unmöglich machte. Vor allem seit dem Streit hier in dieser Wohnung, schien April es noch weniger auf einen Dialog anzulegen als davor. Jetzt war sie weg und nichts war geklärt. Die Eifersucht war schlimm genug, ihr Verschwinden war noch schlimmer. War ihr etwas passiert? War sie verletzt? Getötet worden? Wohin war sie verschwunden? Nach wem musste er suchen? Jesse wieder, der wahrscheinlich immer noch in sie verliebt war und nun eine Chance gewittert hatte, zu punkten, in dem er den flüchtigen Jean-Claude und die Blondine in die Phantomzone brachte? Seine aufgebrachten Überlegungen streifte der Gedanke, dass es Jean-Claudes Schuld war. Wäre er geblieben wo er war, wäre nichts von alledem passiert. Wo war April nur? Warum zum Teufel ließen sich Saber und Colt so verdammt viel Zeit hierher zu kommen? Als nun der Recke nüchtern und scheinbar unbeteiligt ihm den Weg vertrat, Haltung annahm und salutierend Meldung verlangte, wünschte sich Fireball, er hätte seinem ersten Impuls gehorcht und wäre los gezogen sie zu suchen. Wenn Saber die Chefkarte einsetzte, würden unnötige Debatten folgen, die sicher nicht seine Freundin zu ihm zurück brachten. Offenbar musste man dem Recken klar machen, worum es hier ging. „April ist weg!“, polterte er los. „Kann dieser Idiot nicht besser auf sie aufpassen?“ Saber seufzte gedanklich. Das hatte er befürchtet. Die Sorge des Rennfahrers verwehrte ihm den objektiven Blick. So nachvollziehbar diese Sorge auch war, Saber teilte sie ebenso wie Colt, so wenig angebracht war es nun, sich ihr gänzlich hinzugeben. „Moment mal, Fireball“, begann der Schotte daher sachlich, kam aber nicht weiter. Neben ihm tauchten die Schwestern auf. Kühl musterten beide den Wuschelkopf. Ihre Blicke wurden frostig. Wie Eiswasser ergossen sich ihre Worte über ihn. „Du sagst also, dass die ‚Prinzessin‘ unfähig ist, ihren Job zu machen?“, stellte Snow fest, eiskalt, selbst die Antarktis war gerade ein lebensfreundlicheres Terrain als ihre Stimme. Überrascht wich der Schotte einen Schritt zurück. So kalt hatte er die weißhaarige noch nicht erlebt. Auch Beth nicht, die mit der gleichen Frostkälte analysierte. „Darüber hinaus behauptest du, dass unser Bruder für ihre Sicherheit zuständig ist, obwohl er es war, der um Personenschutz bat? Du beschuldigst ihn ferner, seine Anteile an der Vereinbarung missachtet zu haben, wobei es gar nicht seine Aufgabe war, auf April aufzupassen, sondern ihre auf ihn? Du ignorierst und missachtest unseren Bruder in jeder erdenklichen Weise und wirfst ihm nun auch noch Fehlverhalten vor?“ Sie wandte sich um, sah Colt und Saber an. „Dürfen wir verlangen, dass er abgezogen wird und unter Hausarrest gestellt wird? Ihm fehlt es eindeutig an der Professionalität und angemessener situativer Handhabe.“ Colt und Saber schauten sie erstaunt an. Die Kühle, die sie eben ausstrahlte, war in der Intensität neu für beide, passte gänzlich zu den Outridern mit denen sie bisher zu tun hatten, und hatte nun dafür gesorgt, dass sie den Rennfahrer ziemlich treffsicher analysierte und das Unausgesprochene, das seine Worte begleitete, vor ihnen allen offenlegte. Keiner konnte es übersehen. Auch nicht der Aufgebrachte. Dass es ihm so vor Augen geführt wurde, dabei wollte er es nicht belassen. Wenn Saber ihrem Anliegen nachkam und ihn abzog, konnte er nichts mehr für April tun. Diese Vorstellung war Folter in Reinform. Hastig versuchte er zu retten, was noch zu retten war. „Eben weil sie auf ihn aufgepasst hat, weil wir euch beschützen, stehen wir hier“, behauptete er haltlos. Er hörte selbst, wie er seinen vorherigen Worten widersprach. „Ich fass es nicht, dass ihr die Zeit dafür habt, über diesen ganzen Mist zu reden, während April und Jean-Claude in Gefahr schweben!“, begehrte er auf. Tatsächlich konnten die Blicke der Schwestern noch einige Grad kälter werden. „Hätte sie ihren Job richtig gemacht, wären unser Bruder und sie anwesend“, gab Beth unbeeindruckt von der Heftigkeit zurück. „Ich fasse nicht, wie du dich selbstgerecht und selbstherrlich über all dein Fehlverhalten und Aprils Versagen stellen kannst und allen ernstes jetzt auf uns Schuld und Verantwortung abzuwälzen versuchst, die ganz klar nicht bei uns liegt.“ Fireball erbleichte unter diesen Worten. Hatte sie gerade wirklich seine Freundin als Versagerin bezeichnet? Er öffnete den Mund, brachte aber nicht gleich einen Ton hervor. Dafür meldete sich Snow zu Wort, nicht ganz so kalt wie ihre jüngere Schwester, aber immer noch kühl genug. „Ich würde jedenfalls gern mit Profis zusammen arbeiten, wenn wir unserem Bruder zurück holen“, erklärte sie nüchtern. „Saber Rider? Colt? Was meint ihr? Garrett und Ian können doch sicher sofort zurück kommen und ihre Beobachtungen schildern, damit wir umgehend handeln können?“ Sachlich und zielorientiert, wie es der Angelegenheit am dienlichsten war, spielte die weißhaarige ihnen in die Hände. Der Schotte nickte ihnen zu, dann dem Lockenkopf. „Die beiden sollen herkommen und vorher im Oberkommando Bescheid geben. Wir müssen auf alles gefasst sein.“ Colt nickte und zog sich auf den Balkon zurück um ungestört von dem Aufruhr hier die Anordnung ausführen zu können. Er verstand, warum Fireball so aufgebracht war und war erstaunt über die kalte Sachlichkeit der Schwestern. Sie widersprach ihrer bisherigen Art deutlich. Aber vielleicht war es so etwas wie ein Schutzschild, das auch Saber hochgezogen hatte, um vernünftig handeln zu können. In dessen sachlicher Anweisung hatte der Scout es erkannt. Saber war ebenso beunruhigt und besorgt wie Fireball, konzentrierte sich aber voll auf die Sache, um Beunruhigung und Sorge so entgegenzuwirken. Es schien niemand zu interessieren, dass seine Freundin in Gefahr war. Nein, man stempelte sie auch noch als Versagerin ab und verplemperte wertvolle Zeit mit Palaver über Profis und Schuld. Nicht mal Saber oder Colt widersprachen diesem Vorwurf, sondern unterstützen auch noch die Forderungen der Schwestern ihren Bruder zurückzuholen. Fireball explodierte. „Es ist schön, dass ihr so viel in meine Worte rein interpretieren könnt. Ich kann es langsam nicht mehr hören!“, brüllte er wutschnaubend. „Ihr könnt gern noch eine Analysestunde einlegen. Ich mach Ramrod startklar.“ Irgendwer musste ja schließlich handeln. Saber konnte deutlich beobachten, wie die Achtung vor seinem Piloten in den Augen der Schwestern auf einen Minimalwert sank. Mit jedem Wort, das er ausgespien hatte, war sie noch weiter abgefallen. Als er jetzt noch zornig an ihnen vorbei aus der Wohnung marschieren wollte, war deutlich, dass jene Achtung die Nullmarke erreichte. „Okay. Wir sind raus. Macht was ihr wollt, wir finden unseren Bruder ohne euch“, kündigte Snow die Zusammenarbeit auf, nahm ihre Schwester an der Hand und schickte sich ebenfalls an die Wohnung zu verlassen. Großartig. Wirklich. Saber bekam Beth‘ Hand zu fassen, ehe ihre Schwester sie aus seiner Reichweite ziehen konnte. Er presste die Kiefer zusammen. Warum konnte Fireball nicht sachlich bleiben? Meinte er wirklich, er wäre der einzige, der sich hier Sorgen machte? Glaubte er wirklich, es kostete nicht jeden hier Kraft, sich von dieser Sorge nicht überrennen zu lassen? „Wartet!“, rief er den dreien nach, die sich anschickten, die Wohnung zu verlassen. Beth an seiner Hand blieb sofort stehen, brachte so Snow zum Stillstand. Er musste deeskalieren. Jetzt. Entschieden. Hart. „Fireball! Du bist offiziell abgezogen! Es reicht! Du bringst die ganze Allianz in Gefahr. Bevor dir noch irgendwelche Widerworte einfallen: Abgezogen bedeutet von ALLEM abgezogen. Du wirst dich auch nicht an der Suche nach Jean-Claude und April beteiligen“, befahl er streng. Kapitel 10: Kapitel 10 ---------------------- Verdammt. Fireball schluckte hart. Das hatte er sich selbst eingebrockt. Dennoch hatte er gehofft, der Schotte würde als der Freund, der er ihm war, Milde zeigen. Doch er hatte es nun mit seinem Vorgesetzten zu tun und der blieb hart, um des höheren Gutes Willen, welches sie alle anstrebten. „Verstanden Saber“, murmelte der Wuschelkopf nun. „Damit das klar ist, Fireball, ich erwarte eine OBJEKTIVE Beurteilung und eine sinnvolle Wiedergutmachung. Bis nicht wenigstens Snow und Beth damit einverstanden sind, bleibst du vom Fall abgezogen. Sollten beide einverstanden sein, nehm ich dich ins Team zurück. Ohne Entscheidungsbefugnis.“ Keine der Schwestern würde einen Befehl von ihm annehmen, das war für Saber nach dieser Auseinandersetzung klar. Ihm fiel gerade nichts Besseres ein, als den Hitzkopf wie einen Schuljungen zum Nachdenken über seine Handlungen zu bringen und ihm etwas wie eine Strafarbeit aufzubrummen, die ihn zur Auseinandersetzung zwang. Als ob die Abmahnung nicht schon übel genug gewesen war, als ob er nicht schon darauf hatte verzichten können. Aber wie sonst sollte er den Rennfahrer zur Besinnung bringen? In diesem Moment hatte er keine Alternative parat und eine Konsequenz musste her, damit sie April und Jean-Claude finden und zurück bringen konnten. „Ja, Sir.“ Der Wuschelkopf salutierte ergeben. Was sollte er auch sonst tun? Neuerliches Aufbrausen würde seine Situation nur verschlimmern. Es grenzte an Folter, nicht aktiv werden können, aber jetzt musste er sich beugen, damit er eine Chance darauf bekam. „Gut. Jetzt verschwinde“, erwiderte Saber lahm. „Ich schick dir Garrett noch vorbei.“ Fireball wandte sich zum Gehen, etwas unschlüssig, als hoffte er auf ein Einlenken, wohl wissend, dass sein Boss nicht zurückweichen und auch Colt nicht für ihn sprechen würde. Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss. Ein Protokoll also. Er schnaufte schwer, beobachtete, wie Anzeigenlicht um Anzeigenlicht die Liftkabine sich seiner Etage näherte. Vielleicht, wenn er jetzt damit anfing, brauchte er Garrett nicht unterweisen, überlegte er, als sie sich vor ihm öffnete und er einstieg. Der Aufzug fuhr ihn runter. Stille erfüllte den Raum. Die vier, die in der Wohnung zurück geblieben waren atmeten kaum merklich aus. Saber fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Als wäre es nicht schlimm genug, dass sie diese Entführung nicht hatten verhindern können, musste der Ramord-Pilot auch noch überschnappen. Jetzt musste er sich auf Ian Broik und Garrett McLeod verlassen. Es schien ihm zwar, als könne er das, doch er hätte lieber das Team zusammen, den größten Teil davon wenigstens, mit dem er schon mehr als eine brenzlige Situation überstanden hatte. Beth strich ihm sacht über den Arm und er war dankbar für den Trost dieser Geste. Es war fürsorglich, warm und menschlich. Er schaute zu ihr hinunter und wischte sacht eine letzte Träne fort. Colt hielt Snow, bis sie sich ein wenig von ihm löste. „Der wahnsinnige Dummkopf“, schimpfte er murmelnd vor sich hin. Es würde gefährlich genug werden, April und Jean-Claude zu retten, jetzt konnte er sich nicht mal auf den Rennfahrer verlassen. Wahrscheinlich hätte er ihm auf seiner Palme noch Gesellschaft geleistet, hätte sie nicht geweint. Auf der Palme hätte er dem Wuschelkopf dann allerdings die Manieren eingetrichtert, die ihm abhanden gekommen waren. Fraglich war, ob es was genützt hätte. Er schaute zu Saber, der sich gedanklich ordnete. Einmal mehr hatte der sich nicht aus der Ruhe bringen lassen. Tauschen wollte er um keinen Preis mit ihm. Musste doch enttäuschend sein, wenn einem erstmal keine andere Wahl blieb, als Freunde abmahnen zu müssen, oder gar von einem Fall abzuziehen. Dabei waren der Schotte und er doch deutlich näher an diesem Fall, als der Pilot. Colt schüttelte den Kopf. „Ich hätte diese Schritte lieber nicht gesetzt, aber die Situation ließ mir keine Wahl“, sagte Saber, als er den Blick seines Scharfschützen bemerkte. Der nickte verstehend. „Mir schmeckt das nicht, Säbelschwinger. Ich hoffe, McLeod und Broik sind bald da und wir können starten“, meinte er. „Was glaub ihr, wer es war? Habt ihr einen Verdacht?“, wollte Beth wissen. Auf diese Frage hin summierten die beiden ihr Wissen. „Jean lässt sich nicht einfach entführen. Er lässt sich nicht einfach von uns trennen und er würde auch nicht zu lassen, dass April etwas passiert. Das macht er einfach nicht“, erklärte Snow leidenschaftlich, als wollte sie noch einmal gegen Fireballs Anklage antreten. „Das wissen wir. Jean-Claude ist vorsichtig und seinen Gegnern meistens einen Schritt voraus“, erwiderte Colt, sprach aus eigener Erfahrung. Der Outrider hatte ihn einst ganz schön herausgefordert. So viel musste man ihm zugestehen und es fiel dem Lockenkopf nicht so schwer, tat der grünhaarige doch das gleiche. „April würde niemals den Schutz einer ihr anvertrauten Person vernachlässigen“, fügte er versichernd an. Ihr Gegner war gut. Das traf auf alle die zu, die Jean-Claude und Saber im Verdacht hatten, ihnen auf den Fersen zu sein. „Sie sind uns schneller nachgekommen, als wir gehofft hatten. Womöglich haben sie Informationen aus einer sichereren Quelle bezogen.“ Ehe er seine Überlegungen weiterführen konnte, klopfte es an der Tür. „Hey, hier ist Garrett. Ich komm rein“, kündigte sich der Gast an. Im nächsten Moment trat er auch schon ein. Er wirkte eilig, gehetzt, war vermutlich gerannt, nach dem Colt mit ihm gesprochen hatte. „Hey, Garrett. Danke, dass du so schnell gekommen bist“, begrüßte der Schotte ihn erleichtert. „Hast du das Oberkommando schon informiert?“ Der nickte und salutierte. „Ja, habe ich. Es lag auf dem Weg. Ich komme eben von dort.“ Dann ließ er die Hand sinken und schaute beunruhigt die Schwestern an. Sein Blick prüfte sie, wollte feststellen, wie es ihnen ging. „Geht es allen gut? Ist jemand verletzt?“, erkundigte er sich warm. Beide schüttelten lächelnd den Kopf, beteuerten, dass sie wohl auf waren. Dass Fireballs Ego wohl einen Schaden davon getragen hatte, erwähnte niemand. „Saber, mir ist nichts aufgefallen.“ Garrett schien sich den Kopf zerbrochen zu haben, was er übersehen hatte. „Um Beth war alles ruhig wie immer, sonst hätte ich es dir vorhin gemeldet.“ Der Schotte nickte, um die Bedenken zu zerstreuen. „Du bist gewissenhaft, Garrett. Wenn etwas auffällig gewesen wäre, hättest du darauf reagiert.“ Er wandte sich mit seiner nächsten Frage auch halb an Colt. „Ist Ian schon auf dem Weg?“ „Der müsste gleich kommen“, gab der zurück. „Ian wollte zu einem Kollegen“, meldete McLeod. „Noch ein Auftrag für mich? Ich fürchte, ich kann gerade nicht viel beitragen …“ Er straffte die Schultern, als wollte er so eine Last abwerfen, dann fragte er entschlossen. „Ich frage das wirklich nicht gern, aber meine Tochter hat heute Geburtstag. Ich würde ihr gern wenigstens noch eine Gute-Nacht-Geschichte vorlesen.“ Es war ihm anzusehen, wie er zwischen Pflicht und Familie hin und her gerissen war. „Ich komme zurück, sobald sie eingeschlafen ist“, versuchte er eine Gradwanderung, die beides verbinden sollte. Saber und Colt tauschten einen Blick. Es war beinahe neu. Wenn seine Tochter noch Einschlafgeschichten vorgelesen bekam, war sie wohl kaum älter als sechs Jahre. Sie war wahrscheinlich inzwischen müde und würde bald einschlafen. Das hofften die beiden zumindest, hatten aber keine Ahnung, ob sie sich nicht verkalkulierten. Eigene Erfahrungen in dem Bereich hatte keiner von ihnen. Sicher allerdings war für sie, dass Garrett eine Bitte vorgetragen hatte, die er auch so erfüllen konnte. Im Zweifel würde seine Frau wohl übernehmen müssen, falls die Kleine doch nicht so schnell einschlief. Colt nickte Saber leicht zu. Der Schotte schüttelte leicht den Kopf. „Nein, das war erstmal alles, Garrett. Komm gleich danach zu Ramrod. Fireball wird dir eine Einweisung geben. Ich habe ihn vorläufig vom Personenschutz abgezogen. Meld dich, wenn ihr soweit durch seid. Ich bleibe so lange bei Beth.“ Garrett hob die Brauen. Warum der Pilot vom Personenschutz abgezogen worden war, konnte er sich in dem Moment nicht erklären. Darum salutierte er nur „alles klar“ und machte auf dem Absatz kehrt. Er verließ die Wohnung zügig. Die Nacht neigte sich tiefer über die Stadt, ließ die künstliche Beleuchtung in den Straßen aufflammen. Ian kam nicht, was Saber und Colt beunruhigte. Ihnen fehlten Informationen, um handeln zu können. Zwar hofften sie, auf ein Signal, aber so lange sie hier in der Wohnung und nicht auf Ramrod waren, war das Signal vergeblich gesendet. Schon wollte der Scout den Kollegen anrufen, als der sich endlich an der Tür bemerkbar machte. Ähnlich wie Garrett wirkte er gehetzt und außer Atem, was nicht eben zur Beruhigung aller beitrug. Er ersparte sich eine Begrüßung und kam gleich zum Punkt. „Leute, wir haben ein Problem!“ Noch eins also. „Was ist los, Ian?“ Dem Schotten war der Frust über diese Eröffnung nicht anzumerken. „Ich wollte mich mit Arasmus treffen. Auf ein Bier. Quatschen, was er jetzt machen kann, so nach der Entlassung. Ich war auf dem Weg, als Colt mich angerufen hat und bin doch noch kurz hoch zu ihm, ehe ich her bin“, führte er aus und holte tief Luft. „Arasmus und sein Bruder Daniel sind tot. Kopfschuss. Alle beide. Das stinkt doch gewaltig.“ Colt horchte auf. „Kopfschuss?“, wiederholte er und forschte nach. „Kampfspuren?“ Der Gefragte schüttelte den Kopf. „Das stinkt mehr als gewaltig. Da hat jemand einen Deal platzen lassen und Mitwisser aus dem Weg geräumt.“ Saber nickte bestätigend. Der einzige, der den Alltag der Geschwister genauso gut kannte wie sie, war Arasmus. Mit seinem Wissen war es möglich so überraschend zu zuschlagen, ohne das jemand etwas bemerkte. „Gibt es Hinweise, wer dahinter steckt? Hast du das schon gemeldet? Wurden die Ermittlungen schon aufgenommen?“, hakte der Schotte nach, die Stirn gerunzelt, bemüht die Puzzleteile zusammen zu fügen. „Gemeldet hab ich es auf dem Weg hier her. Hab da nichts angerührt. Wenn wir hier so weit durch sind, geh ich wieder hin und halt euch über die Ermittlungen auf dem Laufenden. So weit ich es aber überblicken konnte, gab es weder Einbruchsspuren, noch Hinweise auf einen Kampf. Ich weiß nicht, mit wem die beiden sich unterhalten haben, aber ich verwette meine Marke darauf, dass es ein Mensch war. Mit Outridern würden die beiden sich nie privat einlassen“, erwiderte Ian souverän, warf den Schwestern einen entschuldigenden Blick zu. „Ein Mensch?“ Wieder tauschte der Recke mit dem Lockenkopf einen Blick. Dann kam auf der Liste der Verdächtigen nur einer in Frage. „Jesse Blue, die Ratte!“, bestätigte der Scharfschütze die Gedanken des Blonden. Ian hob die Schultern. Möglich war es wohl. „Braucht ihr mich hier noch? Sonst kümmere ich mich um den Tatort und informier euch, sobald ich was habe“, erbot sich Broik. „Tu das. Danke für deine Hilfe“, stimmte Saber ihm zu. Damit trat der sofort ab und stürmte aus der Wohnung. Fireball konnte sich von den beiden einiges abschauen. Vielleicht blickte er ja bald wieder durch, hoffte der Recke ehe er sich an die Schwestern wandte. „Was hätte Jesse davon, wenn er Jean-Claude ausliefert? Er steht in Nemesis Gunst doch ziemlich weit oben, oder hat die letzte Schlacht daran etwas geändert?“, zog er Erkundigungen ein, um noch mehr Überraschungen zu vermeiden. Er wollte sicher sein, dass sie von nun an Blue jagen würden, wollte ausschließen, dass ihnen auf einmal Viperon, Calibos oder Gattler noch in die Parade fuhren. Das konnten sie immerhin ausgezeichnet. Es schien Saber schon logisch, dass Jesse auch gleich April mit entführte. Seine Liebe zu der Navigatorin, so einseitig sie auch war, hatte immerhin gleich mal einen ganzen Krieg angeheizt und einen Friedensvertrag zum Scheitern gebracht. „So weit ich weiß, ziemlich viel. Er war vielleicht Nemesis Liebling, aber seit dessen Cyborg-Körper zerstört und die Tritonmaterie schwer beschädigt wurde, ist er kaum noch mehr als eine KI, die Analysen durch führt“, erwiderte Snow schlicht. „Die Führung hat sich neu formiert und nicht alle waren begeistert von ihm. Er muss Punkte sammeln.“ Ihre Schwester nickte bestätigend. „Ganz gleich wie vielversprechend seine Symbiose ist, es bedarf doch etwas mehr.“ „Wie, der ist in einer Symbiose?“ Das überraschte die Star Sheriffs. War er also über April hinweg oder hatte er nur Ersatz gefunden? Kapitel 11: Kapitel 11 ---------------------- „Ich verstehe. Er muss also Erfolge liefern und was wäre im Moment dafür besser geeignet, als euch zurückzuholen“, überlegte Saber laut. „Ja, er und Lily gelten als ... , nein, sie harmonisieren wirklich sehr gut. Ihre Zwillinge sind jetzt ein Jahr alt“, berichtete Beth und erhielt einen tadelnden Blick von Snow. Jetzt war keine Zeit für Tratsch. „Die Führung ist neu. Alle müssen sich beweisen. Vulcrok auch. Er wurde unter Jesses Kommando gestellt“, ließ sie Colt und Saber wissen. Damit war den beiden klar, wie Jesse und die brünette Outriderin sich kennen gelernt hatten. „Alle Talente sind angehalten, sich zu bewähren.“ Es berührte Saber überhaupt nicht, bemerkte er. Als ihm Beth begegnet war, hatte er sie oft mit Lily verglichen, hatte die Erinnerung an sie ihm doch den einen oder anderen Stich im Herzen verursacht. Doch davon spürte er nun gar nichts mehr. „Es gibt mehrere gute Gründe, euch in die Phantomzone zurück zu bringen“, stellte er fest. Der größte Anreiz dürfte das Punkten bei der Führung sein. „Gründe mehr, weshalb wir Jean-Claude und April so schnell wie möglich finden sollten. Gibt es Vorschläge?“ Colt kratzte sich am Ohr. Die weißhaarige grübelte hörbar. „Jean ging immer davon aus, dass uns mehrere auf der Spur sind. Er sagte, wir sollten mit drei Verfolgern rechnen, einen für jeden von uns.“ „Aufgrund dieser Überlegungen war er auch einverstanden, einen Sender zu tragen. Ich hoffe, der funktioniert einwandfrei“, nickte der Blonde nachdenklich. „Für den Fall, dass etwas Überraschendes passiert, kann er ihn aktivieren und wir finden ihn leichter.“ Der Haken war die Aktivierung. Hoffentlich hatte der Outrider dazu Gelegenheit gehabt. „Das passt zu ihm“, nickte Snow und runzelte nachdenklich die Stirn. „Jeder Outrider würde sich nach einer Entführung sofort weit zurück ziehen. Ich weiß nicht, wie ihr das handhabt, aber Jesse macht gern das Gegenteil von dem, was ein Outrider tut. Er könnte noch in Yuma-City sein. Wir könnten ihn und April noch finden.“ Sie legte eine Hand unters Kinn und grübelte weiter. „Wir? Du willst mit?“, hakte Beth überrascht nach und sah ihre Schwester mit großen Augen an. „Natürlich!“, erwiderte sie prompt und unbeeindruckt. „Das passt zu Jesse. Gut möglich, dass er noch hier ist“, überlegte Colt und schaute nicht weniger erstaunt auf Snow, als deren Schwester und der Schotte nun. „Moment, immer langsam. Ich habe Jean versprochen, euch zu schützen. Wir werden euch nicht auf die Suche mitnehmen, so leid es mir tut“, wiegelte der das Vorhaben ab. „Oh tatsächlich?“ Herausfordernd stemmte Snow die Arme in die Hüften. „Ihr lasst euch angeblich nicht fremd bestimmen, aber wir sollen“, begehrte sie auf. „Snow, er würde nicht wollen, dass wir ihm folgen. Gerade weil er weiß, dass wir ihm folgen würden. Jean erwartet von uns, dass wir hier bleiben und seine Arbeit übernehmen, ihn vertreten“, mahnte sie sanft. „Das ist dein Job, Bio“, gab die weißhaarige ungerührt zurück. „Das kannst du. Ich für meinen Teil gehe mit.“ Sie funkelte den Schotten an. „ Ich komme mit“, entschied sie energisch. Ihre Art ihre Forderung zu stellen, war der des Hitzkopfes ähnlich. Anders als bei ihm war sich der Schotte allerdings sicher, dass sie sich gründlich überlegt hatte, worauf sie sich da einließ. „Euer Bruder will euch beschützen und das respektiere ich“, erwiderte er daher ruhig. Er wandte sich an seine Freundin und bat sie mit sanftem Ernst. „Beth, bitte setze du Jeans Arbeit im Oberkommando fort. Je eher wir mit euren Leuten in Verhandlungen treten können, desto eher können wir auch eurer Situation die Gefahr nehmen.“ Als sie nickte, schaute er ihre Schwester an und fuhr entschlossen fort. „Lieber würde ich dich bei Beth sehen, Snow, aber wenn du mitkommst, bitte ich dich, dich an ein paar Regeln zu halten, um niemand zu gefährden.“ Die Angesprochene blinzelte etwas irritiert. Sie hatte wohl mit mehr Diskussion gerechnet. „Das ist in Ordnung“, erklärte sie dann. „Ich kann mehr als ein Gast sein. Ich hab Jean mit der Navigation geholfen, als wir her kamen.“ Vielleicht konnte sie das Fehlen Aprils etwas ausgleichen, auch wenn etwas anderes war den Friedenswächter zu fliegen, als den kleinen Gleiter, in dem sie hergekommen waren. „Gut, so soll es sein, Snow. Aber merk dir: Ich gebe die Befehle. Du hältst dich daran, so wie Colt.“ Der Lockenkopf nickte mahnend. „Du hörst generell auf das, was wir dir sagen, sonst binde ich dich fest.“ „Colt hält sich an Befehle?“ Erstaunt hob sie die Brauen. Sie wusste nicht, ob sie ungläubig lachen oder ehrlich staunen sollte. Ein Laut dazwischen entwich ihren Lippen. „Meistens“, räumte Saber aufrichtig ein, während der Scharfschütze versicherte: „Immer doch.“ Snow nickte, sichtlich dem Recken mehr Glauben schenkend als dem Lockenkopf. „Gut, ich werde so gehorsam sein wie Colt“, meinte sie dann. Das konnte nicht allzu schwer sein. Sie hielt es für wahrscheinlich, dass der eher machte was er wollte, was ihr mehr Handlungsfreiheit gestatten würde. Widerwillig grinste der Recke. Ob er wohl vom Regen in die Traufe gekommen war? „Colt steckst du doch in Sachen Gehorsam locker in die Tasche“, scherzte er leicht. „Zeig mir, dass du besser bist als wir Fleischlinge.“ Den Schwestern entgleisten einen Moment lang geschockt die Gesichtszüge. Besser? Fleischlinge? Meinte er das ernst? Das war enttäuschend. „Ich dachte, wir wären so weit zu kapieren, dass es kein Besser oder Schlechter gibt, sondern ein Anders“, seufzte die Weißhaarige und fuhr sich frustriert durchs Haar. „Ich denke nicht, dass ich noch mehr beweisen muss. Es sollte doch langsam klar sein.“ „Das denke ich auch. Wir zeigen doch wirklich Bereitschaft zur Kooperation und Integration“, stimmte Beth nicht weniger entmutigt. „Es wäre schön, wenn etwas mehr von der anderen Seite käme.“ Betroffen kratzte sich der Blonde am Ohr. „Darauf wollte ich nicht hinaus. Ich hab es eher als Scherz gemeint“, versuchte er sich zu erklären. „Das war in etwa so lustig, als würde ich sagen: Ein Star Sheriff kommt nach einer Schlacht gegen Outrider in den Himmel und tritt vor seinen Schöpfer. Er fragt: „Gott, warum hast du uns diese Outrider geschickt?“ worauf Gott antwortet: „Mir war langweilig“, entgegnete Snow trocken. Colt und Saber pressten die Lippen zusammen. Das war bizarr, obwohl ein gewisser Sinn für Komik darin verborgen war. „Die Zeit drängt. Wir sollten uns an ihre Fersen heften“, meinte Colt schließlich. „Ihr wollt jetzt aufbrechen?“, hakte Beth erstaunt nach. „Wir sollten nicht zu viel Zeit verstreichen lassen“, stimmte Saber zu. „Ich bin ein Outrider, ich bin egoistisch“, ritt sie das nächste gängige Vorurteil nüchtern, „aber wenn ihr drei jetzt aufbrecht, Garrett noch seiner Tochter vorließt oder schon auf Ramrod ist, und Ian sich noch um den Tatort kümmert, wer passt dann auf mich auf?“ „Ich, Beth“, erwiderte der Recke schlicht. „Sobald Ian mit allem fertig ist, wird er bei dir bleiben. Bis dahin prüfen Colt und Snow auf Ramrod den Sender. Wenn er aktiviert ist, folgen sie ihm mit Garrett. Ich komme nach, wenn ich an Broik übergeben habe.“ Er sah sie ernst an und wusste, sie würde zustimmend nicken. „Ich werde auf Ian hören und tun, was er sagt.“ Er zog sie erleichtert in seine Arme. Ihr Entgegenkommen machte es einfacher. „Na dann komm, Snow. Auf zu Ramrod.“ Colt hob leicht das Kinn und salutierte andeutungsweise in Richtung seines Bosses. Snow zog ihre jüngere Schwester aus den Armen des Blonden und drückte sie innig an sich. „Ich pass auf mich auf und bring ihn wieder“, versprach sie ihr. Sie klopfte ihr sacht auf die Schulter und schloss sich rasch dem Scharfschützen an. Saber und Beth kehrten in die Wohnung der Schwestern zurück. Die Nacht war warm und bedrückend. Er hielt ihre Hand fest. Er warf ihr einen kurzen Blick zu, bemerkte die Tränen an ihren Wimpern. Sie machte sich Sorgen, sicher um ihren Bruder, wahrscheinlich auch um ihn und ihre Schwester. Es beunruhigte sie, erneut von ihren Geschwistern getrennt zu sein. Ihre Sicherheit lag nun in Broiks Händen. „Was denkst du gerade?“, fragte er leise, als sie ihre Wohnung betraten. „Ich weiß es nicht. Ich habe Angst, gleichzeitig auch nicht. Es ist ein seltsames Gefühl. Ich fürchte, dass ich Jean und Snow nicht mehr sehe, dass ihnen etwas geschieht, das ich nicht verhindern kann. Ich fürchte, dass ich dich nie wieder sehe, dass dir etwas passiert, gegen das ich nichts tun kann. Gleichzeitig glaube ich zu wissen, dass diese Angst unbegründet ist. Weder du noch Jean oder Snow würden irgendetwas tun, das irgendwen in Gefahr bringt. Ihr habt Versprechen gegeben und die haltet ihr. Wenn ihr sagt, ihr kommt wieder, kommt ihr wieder.“ Sie brach ab und schaute ihn an. „Es ist so seltsam, beides zu fühlen, im selben Moment ängstlich zu sein und doch wieder nicht. Verstehst du, was ich meine?“ Er nickte. Ihr Vertrauen und ihre Sorge bewegten ihn tief. Ihre Augen spiegelten ihre Gefühle wieder. Ihre Stimme war warm, sanft wie eine Liebkosung. Er zog sie an sich, grub sein Gesicht in ihre Halsbeuge, fühlte ihr weiches Haar, roch den Mandelduft der sanften Wellen. Fest umschlang er ihre Schultern, presste seine Hände auf ihren schlanken Rücken. Er spürte ihre Arme um seine Taille, die zarte Kraft, mit der sie ihn an sich zog. Er löste sich so weit von ihr, dass er ihr Kinn umfassen und ihren Kopf behutsam hinaufdrücken konnte. Dann suchte er ihre Lippen, begegnete ihnen leidenschaftlich. „Ich verspreche, ich komme wieder“, murmelte er in die Küsse. „Ich verspreche, ich tu was ich kann um Jean und Snow heil zurück zu bringen.“ Sie nickte kaum merklich, erwiderte seine Küsse mit der gleichen Hingabe. Für den Moment konnte er die Bedrängnis ignorieren. Doch lange währte es nicht, durfte es nicht währen, wollte er sein Wort halten. Ian klopfte energisch an die Tür und bestätigte, als er eintrat, was sie bereits vermutet hatten. Die Spuren am Tatort waren sorgfältig verwischt und beseitigt worden, ließen zum gegenwärtigen Zeitpunkt keinen Schluss auf den Täter zu. Überwachungsvideos von der Straße, die zu der Wohnung Aramsus führte, befanden sich noch in der Auswertung. Die Ergebnisse wollte man ihm mitteilen, sobald man sie hatte. Man ermittelte noch in der Haftanstalt, gedachte Wärter und Insassen zu befragen. Auch hier standen Erkenntnisse noch aus. Saber gab Beth noch einen vorerst letzten innigen Kuss, ehe er sich verabschiedete und sich auf den Weg zu Ramrod machte. Broik blieb mit Beth zurück. Sie schaute ihn mit ihren großen Augen an. „Danke“, sagte sie leise. Er wirkte überrascht. „Arasmus Soor war dein Freund, nicht wahr?“ Ian kratzte sich am Kinn. „Sozusagen.“ „Dafür danke“, nickte die junge Frau mit den blasslila Haaren. „Dass du dennoch hier bist. Man kann die Ursache für seinen Tod bei uns suchen. Hauptsächlich bei mir. Trotzdem führst du deinen Dienst aus.“ „Du bist nicht die Ursache. Du hast ihn nicht erschossen“, brummte Broik zurück. Er klopfte ihr ungeschickt und etwas zu kraftvoll auf die Schulter. Sie legte einen Moment die Hand auf seine, dann zog sie sich auf ihr Zimmer zurück. Wenigstens sie kam zu einer effektiven Nachtruhe. Kapitel 12: Kapitel 12 ---------------------- Es war mehr als nur ärgerlich. Es war beinahe demütigend. Warum hatte er es nicht kommen sehen können? Das war das teuflische an der Routine, das, was unvorsichtig machte, was man viel zu leicht übersah, ganz gleich wie sehr man es erwartete. Jetzt war er von Dunkelheit umgegeben. Irgendwo in einem Kasten aus irgendeinem Metall. Seine Hände waren auf Kopfhöhe an der Wand hinter ihm befestigt. Er versuchte seine Handgelenke darin zu bewegen, doch gewaltsam wurden sie gehalten. Handschellen, die an der Wand fixiert waren. Kaum Bewegungsspielraum. Typisch für Outrider. Menschen waren etwas milder, meist hielten ein oder zwei Kettenglieder die Fesseln, gestatteten geringfügig Bewegung. Er konnte nichts sehen. Die Finsternis, welche ihn einhüllte, war vollkommen. Doch er war nicht allein. Das spürte er. Das wusste er. Ehe sie es sich versehen hatten, hatte man sie gefasst. Diese vermaledeite Baustelle. So alltäglich im Bild der Stadt. Ihr Anblick so gewöhnlich. Routine schon. Ihre Falle. So einladend. Er hatte es gesehen. Doch hatte er es nicht gesehen. Clever. Er hatte es zu spät gemerkt. Als April gestolpert war, hatte er sie aufgefangen. Sie hatte ihn angesehen, mit ihren überraschten, großen, blauen Augen. Dann fehlte ihm die Erinnerung. Irgendetwas hatten sie ihm gespritzt. Ob es eine Wirkung auf seinen Sender hatte? Er hob den Kopf in der Dunkelheit. Sie war bei ihm. Neben ihm. Lauschte er aufmerksam, konnte er ihre Bewegungen hören. Hören, wie sie ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen verlagerte. Hören, wie sie versuchte ihre Hände in den Fesseln zu drehen. Hören, wie sie frustriert ausatmete. Dann musste er sich nicht mehr auf diese Geräusche konzentrieren. Laut wurde sie. Ihre Stimme klang wütend, als sie zu zetern begann. Sie tobte, unfähig etwas anderes zu tun. Finsternis und stark eingeschränkte Bewegungsfähigkeit limitierten ihr Handlungsvermögen. Nun setzte sie wohl darauf, die Aufmerksamkeit derer auf sich zu richten, die dafür verantwortlich waren, erhoffte sich womöglich eine Änderung ihrer Lage. Sie schrie nach Jesse Blue, gab ihm einfallsreiche andere Namen und verlangte immer wieder, er solle ihr gegenüber treten und sich so ihr stellen. Doch Jesse würde nicht kommen. Das wusste er. Das Interesse, das er einst für die Navigatorin hatte, war in den vergangenen Jahren auf Null gesunken. Mit Lily verband ihn nun eine Symbiose, die nicht nur gern gesehen war, sondern ein Maß an Zuneigung erfüllte, welches als das höchste galt, ohne übermäßig zu sein. Nachwuchs hatte diese Verbindung ebenfalls schon erbracht. Natürlich hatten sie damit ihre Aufgabe noch nicht erfüllt. Dazu war weit mehr nötig. Jean-Claude zurückzubringen, zum Beispiel. Seine Schwestern in die Phantomzone zurück zu führen, war ebenso wichtig Allerdings war es sicher ein Bonus, die Ramrod-Navigatorin mitzuliefern. Wer den sich wohl einheimsen durfte? Jesse, darauf verwettete Jean-Claude sein Leben, hatte sich Zugang zum Oberkommando und den gesicherten Daten verschafft. Er war als Mensch der einzige, der sich in einer Metropole wie Yuma-City bewegen konnte, ohne aufzufallen, selbst mit seinem Ruf. Andere Kandidaten, die man sehr wahrscheinlich auf sie angesetzt hatte, fielen da schon eher auf. Vor allem, da sie sich nicht wie Menschen verhielten, wie er selbst oft genug erlebt hatte. Jemand wie Gattler, Viperon oder Calibos fielen hier eher aufgrund dessen auf, weil sie Eigenschaften an den Tag legten, die in der Heimat als positiv bewertet wurden, hier allerdings negativ konnotiert waren. Der Überläufer hatte also die Informationen beschafft, die den erfolgreichen Zugriff ermöglicht hatten, und eventuelle Handlanger beseitigt, wenn er denn jemand ausfindig gemacht hatte, der wie ein Vogel gezwitschert hatte. Damit tat sich die Frage auf, wer den Zugriff durchgeführt hatte. Gattler schloss Jean-Claude aus. Dazu war es zu unauffällig und effektiv abgelaufen. Der Geschwaderführer war ein Anhänger von pompösen Aufgebot und großem Materialeinsatz. Wahrscheinlich hatten sie ihn irgendwo in der Hinterhand. Nein, überlegte Jean-Claude, das ganze entsprach eher dem Muster von Calibos oder Viperon. Neben ihm zeterte noch immer die Navigatorin. „Jesse Blue, du Ratte. Damit kommst du nicht durch. Das solltest du wissen.“ „Lass es“, brummte der Outrider in die Finsternis. Sie verstummte abrupt, hatte wohl nicht damit gerechnet, dass er sie ansprach oder überhaupt bei Bewusstsein war. „Das ist Energieverschwendung.“ Seine Ruhe erstaunte sie. Er klang beinahe gelassen, als hätte ihn ihre momentane Lage nicht weniger überraschen können. Sie drehte ihren Kopf in die Richtung, aus der sie seine Stimme vernommen hatte und mehr als diese Augenblicke vom erstaunten Verstummen zum Zuwenden benötigte sie auch nicht, um eben jene Überraschung abzustreifen. Er war ein Outrider, sachlich und kühl berechnend. Ganz gleich wie sehr er an seinen Schwestern hing und wie wenig es ihm gefiel, dass man ihn erwischt hatte – er würde diese Gefühle nicht überhand nehmen lassen. Es war effektiver, die Situation zu analysieren und zu planen, wie man ihr entkommen konnte, damit er seine Schwestern bald wieder sah. Er hatte Recht damit. Ihre Wut richtete nichts aus, war lediglich ein Ventil für einen Umstand, an dem sie im Augenblick nichts ändern konnte. Zumindest nicht, so lange sie ihre Hände nicht bewegen und ihre Umgebung nicht erkennen konnte. Sie atmete einmal tief durch. Beide lauschten in die Dunkelheit. Beinahe lautlos bewegte sich jemand außerhalb ihrer Zelle. Sie konnten feste, aber leise Schritte vernehmen, welche näher kamen. Dann klackte etwas. Ein grellgelber Rahmen zog sich scharf um etwas, das sie als Tür identifizierten. Zischend fuhr es zur Seite. Neonlicht blendete, je mehr, je weiter die Tür in die Wand glitt. April und Jean-Claude kniffen die Augen zusammen, blinzelten dann vorsichtig in die gleißende Helligkeit und konnten, langsam zunächst, dann aber immer deutlicher, eine Schattengestalt im Türrahmen ausmachen. Sie trat langsam ein, als hätte sie alle Zeit für sich. „Du lärmst wie ein Säugling und doch ist es dir gelungen einen Renegade wie euren Friedenswächter zu entwerfen und erfolgreich zusammen zu montieren. Das ist wahrlich faszinierend“, erklang eine kalte Stimme schneidend. April zuckte zusammen, als hätte man sie mit Eiswasser übergossen. Irritiert blinzelte sie auf die Gestalt in der Tür. Calibos erkannte sie sofort an seiner Stimme und der Art, sich zu bewegen. Die Begegnung mit ihm hatte sich tief in ihre Erinnerungen geprägt. Trotzdem hatten sämtliche Zusammentreffen mit Jesse Blue deutlich tieferen Eindruck in ihrem Gedächtnis hinterlassen, weshalb sie ihn als Drahtzieher vermutet hatte. Nein, sie war sich sicher gewesen. Er stand immerhin auch auf der Liste, die Saber und Jean-Claude aufgestellt hatten. So weit hergeholt war ihre Vermutung nicht. Es verhinderte allerdings nicht, dass sie sich nun schlichtweg dumm vorkam. Jean-Claude hingegen blieb unbeeindruckt. „Dann versucht jetzt also Viperon meine Schwestern einzusammeln“, schlussfolgerte er kühl. Calibos trat näher, so dass sie sein Gesicht erkennen konnten. Sein Blick maß seine Gefangenen, kühl und überlegen. „Er wird bald Erfolg haben“, versicherte er ruhig und musterte April noch einmal von Kopf bis Fuß. „Na ja“, meinte er dann nur ehe er sich ganz an Jean-Claude wandte. „Lange hast du es geschafft. Nicht schlecht, muss ich gestehen. Aber dein kleiner Familienausflug endet bald.“ Damit tippte er sich leicht mit zwei Fingern an die Stirn, salutierte lässig und verließ die Metallkammer ohne weitere Worte. Als die Tür hinter ihm ins Schloss glitt, blinkten schwache, kleine Lichter darüber auf und spendeten ein mattes blass gelbes Licht. April starrte schweigend auf die Tür und versank beinah darin, als der grünhaarige sie ansprach. „Du bist eine attraktive, kluge Frau, aber zu glauben, du seist Jesses einziger Lebensinhalt, ist etwas überheblich, findest du nicht?! Es gibt viele kluge, attraktive Frauen.“ Sie nickte langsam. Seine Worte waren ihr bewusst geworden, als sie Calibos‘ Stimme vernommen hatte. „Die ganze Art passt zu ihm. Das war sehr kalkuliert. Die meisten von euch, mit denen wir zu tun hatten, hatten einen Plan, aber Jesse war der berechnendste von allen für uns. Er hat es wie keiner von euch verstanden, unsere Gefühle zu manipulieren und das ist auch diesmal gelungen. Denkst du nicht?“, erwiderte sie. Jean-Claude nickte. „Uns zuerst zu kassieren, war ganz sicher seine Idee. Damit bringt er deinen …“ Er verzog das Gesicht. „ … Freund auf. Der dürfte jetzt an der Decke kleben, emotional und unsachlich, und nur daran denken, dass er dich wieder bekommt. Ich, ich bedeute immerhin meinen Schwestern was. Beide sind emotional genug um Hals über Kopf zu handeln. Ich hoffe, Saber kann Bio beruhigen. Ihr wird es gelingen, Snow zu beruhigen. Colt ist nicht sachlich genug dafür.“ April musterte ihn. Mit seiner Einschätzung über Fireball hatte er Recht. Sicher war er außer sich, unabhängig davon, wie es gerade zwischen ihnen lief. „Du unterschätzt Colt. Sicher kann er Snow beruhigen“, entgegnete sie. „Das bezweifle ich. Colt ist kein Stratege, Saber dafür umso mehr. Ich sage nicht, dass Colt nichts taugt. Ich sage lediglich, dass eine ausgeklügelte Strategie zu so einem Zeitpunkt nicht seine Stärke ist. Er ist emotional und ungestüm“, gab der Outrider schlicht zurück. „Du scheinst keine sehr hohe Meinung von deinem Schwager zu haben.“ Sie warf ihm einen prüfenden Blick zu. „Muss ich auch nicht. Das ist für euch von Belang, nicht für uns. Meine Schwestern treffen ihre Entscheidung, wählen den, den sie für passend halten. Damit muss ich aber nicht einverstanden sein. Ich konnte Annabells Partner nicht ausstehen, aber er war gut für sie. Darauf kommt es an.“ „Würdest du dich nicht lieber mit deinen Schwagern verstehen?“ „Wozu? Ich führe keine Beziehung mit ihnen, das tun meine Schwestern. Aber ich kann deine Bedenken vielleicht zerstreuen. Ich schätze Saber nicht nur als Star Sheriff und Feind. Er ist analytisch, strategisch und bedacht. Ich respektiere auch Colt. Er ist ein hervorragender Scout und Scharfschütze. Ich habe aber Bedenken. Er ist auch sehr hormonell und emotional.“ So sachlich, wie er das aussprach, bezweifelte April nicht im Geringsten den Wahrheitsgehalt seiner Worte, akzeptierte sie als seine Meinung über ihre beiden Kollegen und Freunde. Außerdem waren sie ziemlich treffend, wie sie zugeben musste. Sie nickte ohne sich dessen bewusst zu sein. „Gut. Wenn wir nun also die Beziehungsangelegenheiten abgehakt haben, kommen wir unserer Situation. Was hältst du für die beste Vorgehensweise?“ „Ein Mensch würde versuchen zu fliehen. Damit werden sie aber rechnen, weshalb das keine gute Idee ist.“ April runzelte nachdenklich die Stirn. „Da hast du Recht“, stimmte Jean-Claude ihr zu. „Hierzu bleiben und brav zu folgen, ist aber auch nicht sinnvoll. Es macht ihnen den Weg leichter und zieht, wenn ihr Plan aufgeht, überstürzte Verfolger nach sich, die einem leichter in die Falle laufen und auch noch glauben, dass es ihnen in die Finger spielt. So spielen sie ihre Gefühle gegen sie aus.“ „Ich denke, wir können uns auf Saber verlassen. Er wird sie von einem voreiligen Aufbruch abhalten“, meinte die Navigatorin, dann sah sie ihn wieder an. „Was habt ihr beiden geplant? Ihr habt mit so etwas gerechnet.“ „Ein kleiner Eingriff, aber ich fürchte, so wie es uns ausgeknockt hat, haben sie uns ein verdammt starkes Narkotikum gespritzt. Oder hast du auch nur die geringste Erinnerung an irgendetwas, das uns weiterhelfen könnte?“ Sie dachte einen Moment lang nach, versuchte aus ihrem Gedächtnis entsprechende Informationen abzurufen, doch es bestreikte sie. „Ein Filmriss, fast so, als hätte man noch einige Minuten davor gelöscht“, erwiderte sie dann. „Wie bei mir auch. Dachte ich mir. Dann sollten wir uns nicht darauf verlassen, dass wir allzu bald … sagen wir … ein Leuchtstern für deine Kollegen sind. Es gibt drei Substanzen, die auf den Eingriff negativen Einfluss haben, aber offensichtlich haben sie eine davon verwendet“, stellte er fest. „Sie haben wohl damit gerechnet, dass ihr eine Spur legen wollt und haben uns vorsorglich mit was? betäubt. Nacro oder Delum?“ Er hob die Schultern, so gut es in der Position möglich war. „Wahrscheinlich Delum. Das bleibt länger im Kreislauf“, grübelte er.“ „Das gibt ihnen mehr Zeit für die Flucht oder eher einen geordneten Rückzug.“ Die Navigatorin presste die Lippen zusammen. „Aber es gibt uns auch mehr Zeit. Zeit zum Überlegen, was wir jetzt am besten machen.“ „Ja.“ Schweigen legte sich eine Weile über sie. Grübelnd starrten sie in die Dunkelheit. Kapitel 13: Kapitel 13 ---------------------- Die Pflicht war die Pflicht, nicht umsonst, weshalb Saber sehr selten Schwierigkeiten hatte, ihr nachzukommen und sie zu erfüllen. Mochten einige Pflichten eintönig sein, so erkannte er den Sinn dahinter und die Notwendigkeit der Erfüllung. Diese Eigenschaft zeichnete ihn aus, machte ihn zu dem Captain, der er war. Nur sehr selten hatte dieser Umstand einen unangenehmen Beigeschmack dann aber wurde er den eine ganze Weile nicht mehr los. Heute war so ein Tag. Es war unerfreulich genug gewesen, einen Kollegen und Freund abmahnen zu müssen, aber ihn von einem Fall abzuziehen war noch unangenehmer. Wie er es auch drehte und wendete, er sah keine andere Möglichkeit. Eifersucht und Sorge um April machten Fireball gerade unberechenbar und störten die Allianz, die endlich Frieden bringen konnte. Die Geschwister hatten mit ihnen zusammen gearbeitet, keine Ansprüche gestellt oder in irgendeiner Form Schwierigkeiten gemacht, weder als es zu dem Übergriff durch Arasmus gekommen war, noch als sich der Rennfahrer gegenüber vermeintlichen Rivalen unprofessionell benommen hatte. Aber heute waren sie bereit gewesen die Zusammenarbeit aufzukündigen, nachdem der Hitzkopf ihrem Bruder die Schuld an dem Verschwinden des Outriders und der Navigatorin gegeben hatte und sich zunächst ungestüm seiner Sorge um seine Freundin hingegeben hatte. Einmal mehr hatte er aus den Augen verloren, worum es tatsächlich ging. So konnte Saber nicht mit ihm arbeiten, ganz gleich wie nachvollziehbar die Sorge des Rennfahrers für ihn auch war. Deshalb wartete er nun, bis eben jener Wuschelkopf die Brücke verlassen, nach dem er Garrett McLeod einen Crashkurs zum Thema Ramrod-Steuerung gegeben hatte. Als er aus dem Panoramafenster sah, sah er wie der Fury Racer vom Gelände des Oberkommandos fuhr. Dann brachte er den Kollegen auf den aktuellen Stand des Falles. McLeod lehnte sich an die Satteleinheit des Piloten und verschränkte die Arme vor der Brust. Er hörte dem Schotten aufmerksam zu, nickte hin und wieder verstehend. „Colt und Snow sind mit dem Bronco unterwegs und suchen nach verdächtigen Fahrzeugen, in denen man die beiden transportieren können. Sie scannen nicht nach dem Peilsender, das funktioniert von hier aus besser. Ramrods Sensoren sind empfindlicher, entdecken auch unterirdische Signale.“ „Es sei denn, die haben sie mit Nacro oder Delum ausgeschaltet. Dann dauert das noch“, meinte der ältere und hob die Brauen besorgt. Saber nickte. „Sie sind nicht dumm. Gut möglich, dass sie das getan haben. Wenn, dann stellen sich zwei Fragen. Zum ersten: Wie sind sie an das Zeug gekommen? Es wird ausschließlich vom Militär verwendet. Zum zweiten: Warum brauchen sie die Zeit, die es ihnen verschaffen wird? Haben sie hier Spuren hinterlassen, die sie erst noch verwischen müssen? Oder können sie nicht schnell verschwinden? Wenn dem so ist, was für Fahrzeuge haben sie zur Verfügung?“ „Ich kann mit Ramrod über Yuma kreisen und versuchen den Sender zu orten“, schlug Garrett vor. „Gleichzeitig könnten wir sämtliche Fahrzeuge scannen und checken, abgleichen mit irgendwelchen Rastern.“ „Du meinst, eine Suche nach Transportern, die wie ein Konvoi fahren oder Trucks, die mehr Körperwärme ausstrahlen als ein oder zwei Personen? Schwebt dir so etwas vor?“ „Ja. Du kannst doch sicher ein passendes Raster erstellen, oder nicht?“ Garrett grinste leicht als Saber nickte. Sie schwangen sich in die Module. „Ich gebe Colt Bescheid. Wenn er schon etwas entdeckt hat, können wir uns mit ihm abgleichen“, überlegte der Schotte dabei. Garrett gab keine Antwort. Er runzelte die Stirn und versuchte, den eben erhaltenen Crashkurs zu rekapitulieren. Fireball war damals nicht mal ausgebildeter Star Sheriff gewesen und hatte es dennoch das geschafft, das Riesenbaby zu fliegen. Da sollte es ihm doch auch gelingen. Die Lichter vor ihm auf dem Modul blinkten viel versprechend. McLeod warf einen Blick auf Saber, doch der bereitete einen Suchalgorithmus vor und koordinierte die Triebwerksteuerung. Der ältere wusste nicht, ob ihn das so bekundete Vertrauen in seine Fähigkeiten ehren oder seine Besorgnis erregen sollte. Er presste die Lippen zusammen und drückte den nächsten Knopf. Der Friedenswächter setzte sich in Bewegung. Behutsam steuerte er ihn auf eine Startbahn. Das Fahrwerk rollte beständig über den Asphalt. Vielleicht vertraute Saber ihm nicht so sehr, wie er glaubte. Vielleicht war er auch einfach zu sehr mit der Situation beschäftigt, um sich über Vertrauen in seinen Ersatzpiloten Gedanken zu machen. Der Friedenswächter gewann stetig an Tempo. Es stand immerhin viel auf dem Spiel, überlegte Garrett. Eine Allianz, die womöglich endgültig Frieden brachte. Das Leben einer Kollegin und Freundin. Die Sicherheit und die Unversehrtheit eines Schützlings und seiner Schwestern. Die junge Frau, die nicht nur im Herzen Sabers einen Platz gefunden hatte, sondern auch in dessen Gedanken, welche er gerade auf die problematische Situation konzentrieren wollte. Den Freund, der als Kollege gerade nicht zuverlässig war. Mit einem spürbaren Ruck hob der Friedenswächter in den Nachthimmel Yumas ab. „Meine Kleine ist acht. Die große wird sechszehn“, sagte Garrett in die Stille, die auf der Brücke Ramrods eingekehrt war. Saber hob den Kopf und sah ihn an. „Nicht mehr lange, dann werde ich mich mit einem Schwiegersohn rumplagen, oder wenigstens mit einem Kandidaten für den Job. Ich hoffe, mein Waffenschrank ist dafür ausgerüstet. Aber man, ich hoffe ehrlich, sie bringt mal jemand wie dich heim. Jean-Claude hat jedenfalls kein Problem mit dir. Wenn jemand wie er so was verlauten lässt, kann man sich wohl was drauf einbilden. Mir als Vater jedenfalls gibt es Hoffnung, dass Männer wie du noch nicht ausgestorben sind.“ Er hätte nicht mal erklären könnte, warum er das erzählte. Er hoffte, es lindere vielleicht irgendwie eine der Sorgen, die der Schotte sich gerade machen dürfte. Das schwache Lächeln um dessen Lippen verriet, dass der Blonde die Absicht erkannte. „Beth jedenfalls ist mehr als ne tolle Frau. Die ist auch Ärger mit dem Schwager wert. Die ist stärker, als man denkt. Wie meine Große, weißt du. Sieht aus, als fällt sie gleich auseinander, als müsste man sie in Watte packen. Aber wenn’s drauf ankommt, oha, dann haut sie dich von den Socken. Verlass dich drauf.“ „Ist schon okay. Danke, Garrett.“ Tatsächlich schürten die Freundlichkeit und die bedachte Dienstbeflissenheit des Kollegen einmal mehr seinen Frust auf den Rennfahrer. Warum konnte er sich nicht auf seinen langjährigen Freund so gut verlassen, wie auf die Verstärkung? Es gab, das konnte man im KOK hin und wieder aufschnappen, durchaus Leute bei denen die Ramrod-Besatzung nicht nur hochgejubelt wurde. Neider, Kritiker und solche, die aus Prinzip oder eine Art Sport gegen alles waren, was die meisten hochlobten. Diese Leute warfen dem Rennfahrer vor, sich zu viel einzubilden – auf seinen Vater, der als Held des ersten Outriderkrieges gefallen war, und seine Freundin, die Tochter Commander Eagles und Oberbefehlshabers der Sektion West. Hatte Saber solche Aussagen bisher als Neid abgetan, gestand er ihnen nun eine gewisse Berechtigung zu. Dass der Rennfahrer erst wegen des abgebrochenen Urlaubs verstimmt war, verstand Saber. Keiner von ihnen war davon allzu begeistert gewesen. Doch sein Verhalten danach wies, wenn der Schotte nun so zurück dachte, eifersüchtige Motivation auf und blendete den Hitzkopf über die Tatsache hinweg, dass Jean-Claude ganz andere Interessen hatte, als dem Rennfahrer die Freundin auszuspannen. Saber schüttelte den Kopf. Er hoffte nur, dass Fireball selbst auf diesen Gedanken kam und sein Verhalten reflektierte. Blind war er ja gewesen, aber blöd nicht, wenn auch manchmal etwas schwer von Begriff. Aus diesem Grund hatte Saber das Protokoll von ihm verlangt. Er war sich in dem Moment wie ein Lehrer vorgekommen, der einem Schüler eine Strafarbeit aufbrummte. Es war das erste gewesen, was ihm eingefallen war, das ihm in diesem Augenblick einigermaßen sinnvoll erschien. Broik und Beth würden morgen zum Oberkommando gehen. Dort würde Beth die Arbeit ihres Bruders fortsetzen. Fireball hatte also Gelegenheit, das Protokoll abzugeben, auch wenn der Schotte und Colt noch mit Garrett und Snow nach den Entführern suchten. Beth … Sein Herz schlug wärmer und schneller. Einmal mehr war sie bedacht und einsichtig gewesen. Sie würde eine gute Vertretung für Jean-Claude sein. Kein Zweifel. Saber hoffte, er konnte ihr ihre Geschwister heil und unversehrt zurück bringen. Um Jean-Claude machte er sich dabei weniger Gedanken. Der Outrider plante sicher schon mit April, strategisch und sachlich, wie sie sich in ihrer Lage am besten verhielten. Snow machte dem Recken da schon etwas mehr Sorgen, war sie doch die Hitzigste der drei. Sie konnte unbedacht und rasend voranstürmen, wie sie ihm erst heute Abend veranschaulicht hatte. Dagegen war Colt ein kühler Kopf geblieben. Saber konnte sich also im Zweifelsfall auf den Lockenkopf verlassen. Ihm ging auf, was für ein Vorteil es war, dass Snow sie begleitete. Sie war ein Outrider, wusste, was sie motivierte, besser noch als die Ramrod-Crew, und ihre Hintergrundinformationen, wie die über Jesse und Lily, konnten helfen eine bewaffnete Konfrontation auf ein Minimum herunter zu fahren oder gar zu vermeiden. Das wäre das Sicherste, vor allem für April und Jean-Claude. Wenn ihnen das gelang, hatten sie ein gutes Argument gegen Kritiker, die an der Sinnhaftigkeit und der Effektivität eines erneuten Friedensabkommens Zweifel hegten – und das auch noch auf beiden Seiten, wenn man Diplomat genug war. Er sah von seinem Computermodul auf, schaute auf den Nachthimmel, den die Lichter der Stadt erhellten. Der Algoritmus stand. Der Scan lief. Hoffentlich waren sie erfolgreich damit. Snows weißes Haar schimmerte Grau im Innenraum des Bronco Busters, der nur von der blassblauen Beleuchtung der Steuerungstastatur erhellt wurde. Die Augen der Outriderin richteten sich konzentriert auf die Umgebung. Es schien beinahe als hätte sie seine Anwesenheit vergessen. Colt lenkte seinen Gleiter souverän durch die nächtliche Metropole, in einer Spirale vom Zentrum auf die Randbezirke zu. Er hielt sich auf Höhe von Rettungsgleitern, Transportflugzeugen und Helikoptern der Verkehrsüberwachung, glitt teileweise über die Gebäude der Stadt teilweise zwischen ihren Wolkenkratzern hindurch. Er hatte gute Sicht auf die Straßen unter sich und scannte verdächtige Objekte an der Oberfläche zu denen er Baustellencontainer zählte oder geparkte Anhänger von Lastfahrzeugen. Ramrod würde sich bald erheben und ihn unterstützen, würde mit seinen präziseren Scannern den Untergrund erfassen und auswerten, oder ihn zu suspekten Komplexen lotsen, die er Vorort in Augenschein nehmen sollte. Er hatte nicht gedacht, dass er mal so versessen darauf sein würde, Outridern zu helfen. Hätte ihm das jemand vor seinem Urlaub gesagt, hätte er ihn schlichtweg ausgelacht. Aber dann hatten sich die Dinge geändert. Als er Snow begegnet war, hatte sie ihn beeindruckt, als Frau, als taffes, umwerfendes weibliches Wesen, das sie für ihn eben war. Die Erkenntnis, wer sie war – die Outriderin und Schwester seines Feindes Jean-Claude sowie der teuflischen Agentin Annabell – hatte ihn geschockt und tief erschüttert. Der Gedanke, dass diese beeindruckende Frau Snow zu ihnen gehörte, mit ihnen verwandt war, hatte Wut in ihm aufsteigen lassen und Misstrauen in ihm geschürt, erneut in eine Falle getappt zu sein. Er hatte sich bloßgestellt gefühlt, ausgenutzt und manipuliert. Es war ihm schwer gefallen, dies abzulegen und so unvoreingenommen weiterhin Beth zu begegnen. Erst als Jean-Claude, ausgerechnet der, auf der Suche nach Snow zu ihnen gekommen war, waren diese Gefühle von ihm abgefallen. Die Sorge des Outriders, so überheblich der ihnen auch gegenüber getreten war, war einfach nur menschlich. Außerdem hatte sie Snow gegolten, was Sorge um sie in dem Scout geweckt hatte. Ab diesem Moment war mehr und mehr verblasst, was davor geschehen war. Die zweitjüngere Schwester seines Feindes hatte mit ihrer ganzen Art die schillernden früheren Erfahrungen überschattet, diese negiert, die ihre ältere Schwester betrafen. Selbst Jean-Claude überzeichnete das alte Bild durch sein Verhalten während des Personenschutzes und der Zusammenarbeit. Dass April dem Outrider die Sache mit dem Eiszapfen nicht nachtrug, bereit war sie zu vergeben, half dem Scharfschützen seinen Blick noch mehr zu erweitern. Er war mittlerweile beinahe zu der gleichen Offenheit gelangt, die der Schotte an den Tag legte. Doch gänzlich warm war mit ihm bisher noch nicht geworden. Eine Distanz lag zwischen ihnen. Zwar schien sich Jean-Claude seiner Schwester gegenüber nicht gegen Colt zu äußern, dennoch war eine gewisse Gleichgültigkeit dem Scout gegenüber nicht zu leugnen. Ob der Outrider ihm noch nachtrug, dass Annabells Mission gescheitert und auch sein Rachefeldzug erfolglos geblieben war? Wäre eigentlich nicht ganz fair, war es doch die rotmähnige Schwester gewesen, die diese Mission ausgeführt hatte und damit für deren Gelingen verantwortlich war? Auch hatte er den Bruder nicht gerade dazu eingeladen ihnen den Skiurlaub zu vermasseln. Wessen Schuld war denn das Ganze bitte? Colt hatte doch nur … Er stolperte über diesen Gedanken. Wessen Schuld war es? Die desjenigen, der begonnen oder die desjenigen, der fortgeführt hatte? Er schüttelte leicht den Kopf. Dafür hatte er jetzt keine Zeit. Er musste eine Spur finden, die sie zu April und Jean-Claude und damit auch zu ihren Kidnappern führte. Er musste. Er hatte ein Versprechen gegeben, hatte es Snow gegeben und auch Beth. Er lenkte seine Gedanken wieder auf die Suche. Das konnte eine lange Nacht werden. Die Nacht verstrich ohne das Ramrod ein Signal empfing. Die Suche blieb ergebnislos. Im Morgengrauen kamen sie im Oberkommando zusammen, um neu zu planen. Die Sonne begann sich langsam das Firmament zu erobern. Kapitel 14: Kapitel 14 ---------------------- In ihrer Wohnung stand Beth etwas früher auf als sonst, damit Ian etwas schlafen konnte. Sie duschte und zog sich an. Dann machte sie Frühstück für Broik und sich. Der allerdings zog sich erstmal in Snows Zimmer zurück und schloss die Augen. Es überraschte Beth, als es klopfte und Fireball sich bemerkbar machte. Sie prüfte die Tür, ehe sie ihn einließ. „Guten Morgen“, begrüßte sie ihn und schaute ihm nach, als er zielstrebig an ihr vorbei in die Küche ging, den Gruß kaum hörbar erwiderte. Langsam kam sie ihm nach und betrachtete ihn. Ihr fielen einige Blätter Papier in seiner Hand auf. „Möchtest du eine Tasse Kaffee?“, fragte sie ihn und grübelte, was ihn zu ihr führte. „Danke, das brauche ich jetzt.“ Er klang seltsam rau, mürrisch und träge zur gleichen Zeit. Sie nickte, warf ihm noch einen prüfenden Blick zu und nahm eine Tasse aus dem Schrank. Fireball tigerte unterdessen in der Küchennische auf und ab. Beth fand es amüsant, goss bedacht Kaffee ein, hielt inne, als prüfe sie die Menge und schenkte noch ein wenig nach, hielt inne und goss schließlich noch einen kleinen Schluck nach. Es erinnerte ihn an die gemessenen Bewegungen einer Geisha, die kunstvoll eine Teezeremonie durchführte. „Möchtest du Zucker in deinen Kaffee? Oder etwas Milch?“ „Milch, bitte.“ Er fragte sich, ob sie das mit Absicht machte. Sie schien ihn aus dem Augenwinkel zu beobachten, während er auf und ab lief, und hätte die Milch nur noch langsamer dem Kaffee hinzufügen können, wenn sie eine Pipette verwendet hätte. Er blieb stehen und seufzte, tappte ungeduldig mit dem Fuß, was ihn davon abhielt, sie ungeduldig anzufahren. „Kann ich etwas für dich tun?“ fragte sie und reichte ihm die Tasse. Ein feines, unschuldiges Grinsen umspielte ihre Lippen. „Ich werde dir übrigens nicht in die Nase fassen um es dir rauszuziehen. Ihr sagt doch immer „lass dir nicht alles aus der Nase ziehen“. Tja, das betrachte ich nicht als meine Aufgabe“ erklärte sie freundlich. Ihr Grinsen vertiefte sich. Sticheln konnte sie wie ihr Bruder, nur charmanter, das gestand Fireball ihr zu. Unter anderen Umständen hätte er darüber lachen und sie seinerseits aufziehen können, nun aber reichte es noch für ein träges Grinsen. „Saber sagte, ohne ein Protokoll, dem du und Snow zustimmen, bleibe ich vom Fall abgezogen.“ Damit reichte er ihr die Blätter. „Also dachte ich, bevor ich ihm das gebe, gebe ich es dir.“ Sie nahm das Protokoll an und hakte nach. „Und Snow? Sie muss ja ebenfalls damit einverstanden sein.“ Er nickte. Sie faltete die Blätter aus einander und warf einen Blick darauf. Sie hob die Brauen. Der Text war von Hand geschrieben und glich schon vom Format her eher einem Aufsatz als einem Protokoll. Nun, vielleicht erfüllte es den Zweck, den der Schotte sich davon erhoffte. Sie überging daher den augenscheinlichen Fehler und begann zu lesen. Es war etwas schwierig. Fireball hatte eine nachlässige Handschrift, zerrte die Buchstaben beinahe halbherzig über das Blatt und seine Linien. Offensichtlich wollte er den Befehl erfüllen und hatte es eilig, wieder zum Fall hinzugezogen zu werden um seine Freundin retten. Beth verstand das. Ihre Schwester hatte sich am vorherigen Abend nicht wesentlich anders verhalten und darauf gedrängt mit Ramrod zu fliegen, um ihren Bruder zu retten. Sabers Anordnung hatte ihn allerdings etwas zur Ruhe gebracht. Schon der erste Abschnitt las sich, als wäre er um Sachlichkeit bemüht. Der zweite allerdings zeigte, dass es wohl nicht so einfach war. Der Rennfahrer zählte darin zunächst das Verhalten ihres Bruders auf, das er als unangebracht empfand. „Aha …“ Beth runzelte die Stirn und las weiter. Dem Wuschelkopf wurde unbehaglich. Dieses kleine Wort hatte nüchtern und kühl geklungen, was wohl nichts Gutes verhieß. Ihre Augen erfassten die Worte des Abschnittes weiter. Es schien Fireball nicht schwer zu fallen, die Schwächen, oder das, was er als solche bewertete, aufzuzählen und zu benennen, wenn auch nicht nachvollziehen zu können. Nicht gänzlich. Sie seufzte und wandte das Blatt auf die andere Seite, um sich weitere strenge Ansichten über ihren Bruder zu ersparen. Die, die sie bisher gelesen hatte, bewertete sie als falsch da schlecht beobachtet, wenn überhaupt. Die Rückseite des Blattes las sich nicht sehr viel anders. Ihre Augen suchten nach dem nächsten Absatz, ohne sich in den Text zu vertiefen. Hier begann Fireball mit der Nennung seines Verhaltens, seiner Begründung und die Reflexion. Stille erfüllte den Raum. Der Rennfahrer drehte die Tasse in seinen Händen und beobachtete Beth abwartend. Diese begann sich dem zweiten Blatt zu zuwenden. Snow hätte längst aufgehört zu lesen und sich gegen Fireballs erneuten Einsatz ausgesprochen. Zu wütend wäre sie über den zweiten Abschnitt geworden. Beth traf ebenfalls, was dort stand, dennoch hoffte sie, dass irgendwo etwas stand, das zeigte, das hier nicht nur Schuld hin und her geschoben wurde, sondern eine ernsthafte Auseinandersetzung statt fand. Sie runzelte die Stirn und las weiter. Dann glätteten sich die Runzeln wieder. Ihre Brauen hoben sich. Es war schwer zu sagen, ob sich Erstaunen oder Interesse oder Verwunderung hinter diesem Zug verbarg. Sie hob den Blick und sah Fireball an. „Was ist?“, wollte sie wissen, als sie seine angespannte Miene sah. „Dein Aha beunruhigt mich“, erwiderte er wahrheitsgemäß. „Aha.“ Das klang eben so nüchtern wie zuvor. Sie faltete das Blatt zusammen, nahm ihre Tasse von der Anrichte gegen die sie sich gelehnt hatte, und trank einen Schluck. „Es ist interessant, das zu beobachten. Du wirfst meinem Bruder allen möglichen Unsinn vor, hast keine Zeit für Snows oder meine Ansichten - es scheint mit Überzeugung völlig unsinnig was wir sagen - bist aufbrausend und entscheidungswütig. Aber jetzt, wenn ich dich ansehe, weckst du in mir die Assoziation zu 'den Schwanz einziehen ' Was soll ich davon halten?“ Der Rennfahrer schluckte verhalten. Sie hatte eine Art und Weise eine Feststellung zu äußern, die ebenso sachlich wie offen war, gleichermaßen kühl und warm. Das war seltsam, schien aber typisch für sie zu sein. Man konnte sich nur schwer davon angegriffen fühlen. „Ich gebe zu, in den letzten Wochen habt ihr mich nicht von meiner besten Seite kennen gelernt. Auch wenn es spät kommt, so tut es mir leid“, antwortete er darauf. Sie hob die Bauen, deutlich erstaunter als noch beim Lesen. „Auf einmal so reumütig? Das ist wie 'große Klappe und nichts dahinter'. Wie soll ich so jemand ernst nehmen? Wie soll ich das glauben?“ Wieder klang sie nüchtern, fehlte es ihrer Stimme an Ablehnung. Auch ihr Gesicht spiegelte aufrichtiges Interesse an der Antwort wieder. „Ich bin mir dessen bewusst, dass ihr das nicht ernst nehmt. Ihr kennt mich nicht anders, “ begann er und suchte nach passenden Worten, sich zu erklären. Jetzt allerdings verzog sich ihre Miene skeptisch. Er war offenbar tatsächlich ein lausiger Beobachter. „Ich bin bei den Star Sheriffs, weil ich den Frieden in unserer Dimension haben will. Mir war bisher nicht klar, wie wichtig eure Informationen für eine gemeinsame friedliche Lösung sind“, brachte er hervor, während sie ihn forschend ansah. „Weißt du, den Eindruck hatte ich am Anfang von dir. Als wir uns in Bay Back trafen. Aber als wir nach Yuma kamen, hast du aufgehört zu reden und zu fragen. Das war irritierend. Dein Verhalten danach noch mehr und gestern erst Recht“, stellte sie schlicht und ruhig fest. Nun lehnte er sich an den Tisch der Anrichte gegenüber und verschränkte die Arme vor seiner Brust. „Ich hatte nie etwas gegen euch, aber ich war wütend. Wieder ein abgebrochener Urlaub, wieder eine Mission. Meine Freunde verlassen mit euch nach der versuchten Entführung deiner Schwester beinahe fluchtartig Ramrod“, erläuterte er ihr und seufzte. „April und Jean-Claude verstehen sich auch noch ausgesprochen gut. Mich hat die Eifersucht gepackt, ganz übel“, gab er dann zu. Verständnislos starrte sie ihn an und brauchte einen Moment, ehe sie zu einer Erwiderung ansetzte. Den Sarkasmus in ihren Worten konnte und wollte sie nicht verbergen. „Ich bitte um Verzeihung. Das nächste Mal, wenn wir Gelegenheit haben aus der Phantomzone zu fliehen, werden wir vorher nachfragen, wann ihr wo Urlaub zu machen gedenkt, damit wir euch nicht wieder in die Quere kommen. Wie konnten wir Lemminge es wagen, das selbstständig und situativ zu entscheiden. Aber ich bin sicher, du findest dann jemand anderen, den du für abgebrochenen Urlaub, eine neue Mission und andere Umstände verantwortlich machen kannst.“ Rasch presste sie die Lippen zusammen, ehe sie ihm noch vorschlug, den Job zu wechseln, wenn ihm die Arbeitsbedingungen nicht passten. Sie ging davon aus, dass das, was er da beschrieb, für einen Star Sheriff normal sein dürfte. Noch dazu wurde Menschen eine wochenlange Arbeitspause zugestanden. Einen derartigen Luxus gab es in ihrer Heimat nicht, lediglich eine Arbeitsunterbrechung einem Rhythmus von Fünf-Zwei oder Drei-Eins, wobei die erste Zahl die Arbeitstage und die zweite Zahl die Ruhetage meinte. Es lag ihr auf der Zunge, das auszusprechen, aber es würde seinen Unwillen provozieren oder eine Predigt über die glorreiche, überlegene Menschheit zur Folge haben. Weder das eine noch das andere war konstruktiv. Sie sah ihn abwartend an. „Es ging um euer Leben. Da spielt es keine Rolle, wer wann und wo“, meinte er und sie unterdrückte erneut ihren Sarkasmus ihm für dieses Zugeständnis zu danken. Sie ließ ihn fort fahren. „Ihr musstet fliehen. Das weiß ich auch. Es sollte auch kein Vorwurf sein. Ich bin kein besonders rationaler Mensch, nicht wie Saber. Wenn mir was quer liegt, kann ich das nicht zur Seite schieben oder mit Vernunft entkräften. Ich hab mir in den letzten Wochen Fehler geleistet und es war niemandes Schuld, außer meiner eigenen. Dafür entschuldige ich mich in aller Form. Ich will endlich Frieden, ebenso wie die anderen. Dafür will ich aktiv etwas tun und nicht darauf warten, dass ein Wunder geschieht.“ Jetzt nickte sie langsam und fasste ihre Beobachtung zusammen. „Hm, ein kleines Eingeständnis, eine höfliche, den Gepflogenheiten entsprechende, Entschuldigung gefolgt vom individuell variierten Statement des Inhaltes ‚So bin ich eben, das wird sich auch nicht ändern‘, das meist einhergeht mit ‚Ich will es auch nicht‘.“ Sie hob die Schultern. „Alle anderen haben sich also nach dir zu richten und deine Eigenheiten in Kauf zu nehmen. Definierst du so Freundschaft? Oder Loyalität?“ Sie musterte ihn einmal mehr. „Was sagst du mir wohl als nächstes?“, setzte sie ihre Gedanken verbal fort. „ ‚Meine Freunde wissen wie ich bin und kommen damit zurecht. Die kennen mich.‘ Ist das deine Berechtigung dich … wie sagt ihr? … wie die Axt im Walde aufzuführen? Die anderen verzeihen und verstehen es ja, nehmen es halt so hin. Das mag für euch gelten und funktionieren, aber nicht für uns. Du kannst dir weitere Ausflüchte sparen, genauso wie Beteuerungen, Rechtfertigungen, Entschuldigungen, Erklärungen und Worte mit vergleichbarem Inhalt.“ Bei diesen Worten klang ihre Stimme deutlich distanziert. Fireball wurde klar, dass er den Respekt der Schwestern gestern tatsächlich eingebüßt hatte und gerade wenig auf ihre Unterstützung rechnen durfte. Betroffen presste er die Lippen aufeinander. „Bei uns gilt: Ein Mann, ein Wort. Wir messen in Taten eher als in Gerede. Also: An welchen Taten kann ich messen, was deine Versprechen taugen, die du sicher gleich machen wirst, damit du deine Symbiosepartnerin und vielleicht, wenn es sich nicht vermeiden lässt, leider auch unseren Bruder mit retten kannst?“, fuhr sie in der gleichen Weise fort. Sie war unschlüssig, wie sie sich ihm gegenüber verhalten sollte. Ihr war sehr wohl bewusst, dass es in ihrer Hand lag, über ihn zu entscheiden. Eine solche Entscheidung wollte sie nicht leichtfertig fällen und auch nicht unbedacht. Seine Worte bisher gaben ihr jedoch keinen Anlass, für ihn zu sprechen. Vielmehr bestätigte er gerade ihre Enttäuschung und schürte Ablehnung in ihr, die sie zu einer emotionalen Entscheidung zu verleiten drohte. „Mag sein, dass ich deinen Bruder nicht sonderlich mag“, räumte er ein, nachdem sie ihm gehörig das Wasser abgegraben und beinahe alles, was er hatte sagen wollen im Vorfeld als wenig wirkungsvolle Worte aufgedeckt hatte. „Sein … nein, euer Leben ist ebenso wertvoll wie das eines Menschen. Ich werde tun, was Saber mir aufträgt. Wenn er befindet, dass ich hier nützlicher bin, als auf Ramrod, dann werde ich das akzeptieren.“ Er nickte, als wollte er so seine Worte bekräftigen. Sie nickte ebenfalls, eher halbherzig, und forschte weiter. „Wirst du den Job quittieren, wenn nur mein Bruder zurück kommt?“ „Nein, denn dann wäre Aprils Opfer sinnlos.“ Schmalzige Theatralik und Sentimentalität verwendeten Menschen offenbar gern, besonders in solchen Momenten. Beth konnte nicht erkennen, worin Aprils Opfer bestand, wenn sie ihren Job erfüllte. Das würde sie sich mal von Saber erklären lassen müssen. Es hatte vielleicht etwas mit der Freiwilligkeit zu tun, mit dieser ‚der Gesellschaft etwas zurück geben‘-Sache, von der er gesprochen hatte, als er sie zum ersten Mal nach Hause begleitet hatte, in Bay Back. „Also wirst du dann ein normales Verhältnis zu meinem Bruder aufbauen? Oder schiebst du ihm dann die Schuld zu?“, fragte sie daher weiter. „Ich würde mich bemühen.“ Das waren die ersten Worte, die sie ihm voll und ganz glaubte, die sie nicht für eine Floskel hielt. Vielleicht verdiente er doch eine Chance? Sie runzelte die Stirn und überlegte einen Moment. Er hatte bisher eher oberflächlich gedacht und gehandelt. Seine letzte Antwort ließ sie vermuten, dass er auch tiefgründigere Gedanken fassen und umdenken konnte, hatte er sich gerade ehrlich reflektiert. „Magst du mich?“, wollte sie unvermittelt wissen. „Ja“, nickte er ohne zu zögern, wunderte sich aber, worauf sie hinaus wollte. „Ich rede nicht anders mit dir, als mein Bruder es getan hat. Wie ihm wurde auch ich unter Personenschutz gestellt. Wie ihm ist auch mir klar, mit wem sich April in einer Symbiose, oder Beziehung, befindet. Magst du mich also nur, weil ich eine Frau bin?“ Seine Augen weiteten sich perplex. Es dauerte einige Augenblicke, und einige länger, ehe er nachdenklich antwortete: „Nein, ich mag dich nicht, nur weil du eine Frau bist. Du bist eine interessante Person. Womit ich aber nicht wirklich klar komme, ist diese Gefühlskälte, mit der du, ihr alle eigentlich, über Dinge sprecht.“ Die Art wie sie nun die Brauen hob, hatte wieder diese seltsame Mischung aus Distanziertheit und Offenheit. Es ermutigte ihn fortzufahren. „Es geht immer nur um Tatsachen. Tatsache ist leider auch, dass Jean-Claude versucht hat Colt, April und ein unschuldiges Kind umzubringen. So sehr ich mich auch bemühe, ich kann darüber nicht so einfach hinwegsehen, wie April oder die anderen, “ erklärte er sich leidenschaftlich. Auch das glaubte Beth ihm. Ihre Wirkung auf viele Menschen war ihr zumeist bewusst. Auch kannte sie es aus eigener Erfahrung, wie schwer es war zu vergeben und zu vergessen. Für den Tod Annabells machte sie allerdings nicht Colt verantwortlich, sondern ihre eigene Führung, die sie alle zur Flucht getrieben und ihre Phantomkammern zerstört hatte. Damit nahm sie den Tod der Vier billigend in Kauf. Der Scharfschütze hatte lediglich seinen Job gemacht, wie ihre Schwester auch. „Wir verfügen über dieselben Gefühle wie ihr, wir leben sie nur anders aus. Das hat nichts mit Kälte zu tun, es ist lediglich eine andere Intensität zu anderen Zeitpunkten. Es geschieht kontrollierter, weniger spontan, aber es geschieht. Du hast bereits erlebt, dass mein Bruder, Snow und auch ich unsere Gefühle unkontrolliert auslebten. Das zum einen. Zum andern: wie wird es dir gefallen, wenn wir dich in die Phantomzone mitnehmen und dir nachtragen, was du uns alles angetan hast. Denke nicht, du wärst unschuldig. Ihr habt uns viel angetan, sehr viel. Oder zählt das nicht, weil unsere Seite angefangen hat? Wird eine eurer Taten deshalb weniger nachteilig für uns? Was meinst du?“ Wieder sprach sie nüchtern und warm zugleich. „Nein, das wird es nicht“, gab er ohne Umschweife zu, wenn auch nicht so fest wie er zuvor geklungen hatte. Er kratzte sich am Kopf und schaute auf den Boden. Es schien immer so leicht, so problemlos. Outrider erschießen, warten bis er sich phantomisiert hatte und zurück kam, dann wieder erschießen. Ihm war klar gewesen, dass die Phantomwesen Nemesis Rechenschaft ablegen mussten, aber was darüber hinaus passierte, darüber hatte er sich nie darüber Gedanken gemacht. Aber Beth‘ Familie hatte gelitten, hatte nicht nur eine Schwester verloren. Nein, Jean-Claudes Körper hatte ihm gezeigt, dass da noch mehr war. Ob dessen Narben wohl vom Scheitern seiner Mission herrührten oder nicht, wusste er bis heute nicht. Der Grünhaarige hatte ihn darüber im Unklaren gelassen. Vielleicht gab es noch andere Gründe für diese Narben. Es war leicht sich vorzustellen, dass die Familie der Drei nicht die einzige war, die eine solche Geschichte hatte. Es gab mehr. Ganz bestimmt. Er wusste es nicht genau, aber er konnte es sich vorstellen. Jean-Claude hatte ihm mangelndes Interesse vorgeworfen. Nun musste er zugeben, dass dieser Vorwurf berechtigt war. Er hatte einen Outrider bei sich gehabt, hatte ihn beschützen sollen und nicht eine Frage an ihn gerichtet, die ihn jetzt weniger unwissend da stehen ließ. Tatsächlich bedurfte es Beth‘ vernünftigen, ruhigen Fragen, um sein Gehirn in Gang zu bringen und den Schleier, der es verhangen hatte, zu lüften. „Eagle hat einmal gesagt, im Krieg gibt es keine Gewinner, nur Verlierer. Es ist nicht wichtig, wer angefangen hat, sondern nur, dass es beendet wird“, murmelte er nachdenklich. „Das denke ich auch“, nickte Beth und strich sich eine wellige, blasslila Strähne hinters Ohr. „Es geht nicht nur darum, wer einen Konflikt beginnt, sondern auch darum, wer ihn wie fortsetzt. Es gibt ebenso wenig schuldig und unschuldig wie es besser oder schlechter gibt. Anders - das gibt es. Wir sind. April, Jean, Colt, Snow... du und ich ... wir alle sind … anders. Das ist schon alles. Nachtragen, hassen sogar, verwehren es einem, das zu akzeptieren. Aber das ist nur meine Meinung.“ „Anders.“ Das Wort hallte tief in ihm nach. Wenn er es so betrachtete wie sie, auf die gleiche sachliche Weise, die ihm nun gar nicht mehr gefühlskalt erschien, ging ihm auf, wie subjektiv und persönlich Wertungen waren. „Ramrod galt deshalb als unschlagbar, weil wir vier so unterschiedlich sind.“ Die Wertung war positiv für ihn, war aber eben eine Wertung. „Vielfalt ist das, was das Neue Grenzland ausmacht. Aber…“ Er brach ab, dachte weiter. Vielfalt galt für Menschen und auch unter ihnen brachte sie nicht nur Gutes. Doch was man den Menschen zugestand, als eben ihre Art akzeptierte, nahm man bei den Outridern nicht hin, verurteilte es. War das nicht heuchlerisch, wenn man es recht bedachte? Menschen verdienten eine zweite Chance, so lange sie kein Leben zerstörten. Selbst dann gab es Ausnahmen, wie Notwehr oder psychische Störungen und Unzurechnungsfähigkeit. Den Outridern gestand man es nicht zu. Sie waren der Feind. Damit hatte es sich. Wenige Bemühungen darum, ihre Geschichte anzuhören und ihre Erklärungen zu verstehen. Fireball wollte den Kopf wieder heben, doch es gelang ihm nicht. Scham breitete sich in ihm aus. Er war in die gleiche Falle getappt wie viele auch, weil seine Emotionen seine Sicht getrübt hatten. Dabei hatte er unvoreingenommen bleiben wollen, als Colt sehr mit seiner Erkenntnis über die Geschwister gehadert hatte. Da hatte er noch kläglicher versagt, als er geglaubt hatte. Er schüttelte den Kopf, wortlos. Beth konnte sehen, wie es hinter seiner Stirn arbeitete, wie er grübelte, aber scheinbar von den gewonnenen Erkenntnissen übermannt wurde. „Die Taten zählen, Fireball. Was du weißt, wendest du an. Das ist alles“, sagte sie nach dem einige Zeit verstrichen war. Endlich sah er sie an, etwas überrascht, aber direkt. „ Wenn du Jean findest, bringst du ihn an einem Stück zurück. Ob April das überlebt oder nicht“, fügte sie an und lächelte leicht. „Damit wir uns da richtig verstehen, ich möchte, dass sie unversehrt zurück kommt.“ Er nickte knapp. Sie prüfte ihn noch einmal. Etwas hatte sich in ihm geändert. Sie konnte nicht fest machen was genau. Es war mehr ein Gefühl … Intuition, aber ganz sicher bewegte er sich langsam in der Richtung, die Saber sich gewünscht hatte. Saber. Wärme breitete sich in ihr aus. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, wie immer, wenn sie an ihn dachte. Doch irgendwo hinter dem angenehmen Gefühl folgte eine Kälte, die sich wie ein unheilvoller Schatten an diese Wärme hängte und sie bedrohte, unaufdringlich, aber beständig. Saber hatte ihr versprochen, ihre Geschwister zurück zu bringen. Sie verließ sich auf sein Wort, doch der ahnungsvolle Schatten mahnte sie, warnte sie. Jean-Claude. Snow. Ihre Familie. Alles was sie hier hatte, an Vertrautem, an Heimat. Ihre geliebten Geschwister. Ihr Halt, ihre Sicherheit. Sie straffte ihre Schultern. Ihr Herz raste, schlug heftig gegen ihren Brustkorb und pumpte rasch Blut durch ihren Körper. „Alle sagen, ich tauge nicht für den Kampf, ich wäre zu sanft und zu weich“, begann sie, rau und angespannt. Die erwachte Sorge war ihr anzusehen. Nervosität pochte sichtlich in der Ader ihres Halses. „aber das lass dir gesagt sein: Ich werde zur Furie, wenn Jean was geschieht und ich erkennen muss, dass du dein Wissen nicht angewandt hast. Du willst nicht, dass ich zur Furie werde. Niemand will das“, drohte sie ihm aufgewühlt. So menschlich. So verständlich. Fireball hatte erst gestern Abend dieselbe intensive Mischung aus Angst, Hilflosigkeit und Ungewissheit gespürt. Während Saber und Colt schon da die Schwestern und ihre Reaktionen verstanden hatten, konnte er es nun. „Ich will beide unversehrt nachhause bringen“, versicherte er der Outriderin schlicht. Er ersparte es sich diese Aussage auf irgendeine Weise zu betonen. Jedes weitere Wort hielt sie wahrscheinlich für unnötig, sentimental oder wenig effektiv. Auch wenn sie in ihrem augenblicklichen Zustand eher schutzbedürftig wirkte und wenig überzeugend als kampfeslustige Furie, ihre Worte eher entkräftete als betonte, so spürte er deutlich, dass er sich nun das Schmunzeln, das ihr Anblick in ihm auszulösen drohte, nicht zu lassen durfte. Er würde ihr sonst das Gefühl geben, sie nicht ernst zu nehmen obgleich ihre Gefühle es ganz einfach waren. Deshalb nickte er seine folgenden Worte bestärkend. „Ich werde helfen deinen Bruder retten.“ Das glaubte sie ihm. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)