Zeit der Kolibris von Encheduanna ================================================================================ Kapitel 6: Kapitel 6 -------------------- Simone wich zurück, geriet ins Stolpern und fand am Waschbeckenrand Halt, sonst wäre sie gefallen. Matthias, mit einem Fuß noch in der Dusche, hielt sich die Wange und wimmerte. Tränen traten ihm in die Augen. Er schniefte. Sie senkte den Blick, sah auf ihre Hand, die zu zittern begonnen hatte, und ballte sie zur Faust, gab sich dann einen Ruck und trat auf ihren Sohn zu. „Mama“, kam’s von ihm ganz leise. Und noch einmal: „Mama, eingepullert.“ Ihr Herz begann zu rasen und sie streckte ihre Arme nach ihm aus, zog ihn an ihre Brust. „Matthias“, murmelte sie und auch ihr traten Tränen in die Augen, die sie wegzublinzeln versuchte, zumal sie spürte, wie er den Kopf hob, sie ansah. Sie aber wich seinem Blick aus, flüsterte nur: „Alles gut, alles gut, nicht schlimm.“ „Eingepullert“, wiederholte er fast fragend. „Nicht schlimm“, erwiderte sie rasch und strich ihm mehrere Male über den Kopf. „Alles gut.“ „Gut“, kam’s von ihm. „Ja. Die Hose bleibt in der Dusche. Ich wasche sie nachher aus. Und du – anziehen“, stammelte sie und drückte ihn noch mehr an sich. „Anziehen, dann frühstücken.“ „Anziehen, frühstücken. Hunger“, wiederholte er und sie nickte mit zusammengepressten Lippen. Später beim Frühstück versuchte sie sich zu beruhigen, doch es gelang ihr kaum, denn immer wieder traf Matthias’ Blick sie und sie senkte den Kopf, biss von ihrem Brötchen ab, kaute, schmeckte jedoch kaum, schluckte. „Nicht schlimm“, schnappte sie. „Gar nicht schlimm. Wir machen das nachher weg.“ Sie sah kurz zu Matthias hinüber, dann sofort zum Fenster hinaus. Von draußen her empfing sie das Grün des Pensionsgartens. Ein wilder, wunderschöner, wie sie fand. Eine Wiese, umstanden von Sträuchern und Bäumen. Auf der, in den Garten übergehenden Terrasse saßen auch einige Gäste, frühstückten. Sie hätte mit Matthias auch dorthin gehen können, doch hatte er sich diesen Tisch nahe dem Buffet ausgesucht. So war sie ihm gefolgt, fast blind. Wieder biss sie von ihrem Brötchen ab, nahm zugleich auch einen Schluck Kaffee. Dass er schwarz war, fiel ihr gar nicht auf. Und wieder senkte sie den Blick. Ihr Herz schlug noch immer so schnell, wollte sich nicht beruhigen und so schloss sie kurz die Augen, wandte sich dann an Matthias, der sie wiederum ansah, so als warte er auf ein Zeichen von ihr, ein Signal, ein Irgendwas und sie gab sich einen Ruck, legte ihre Hand auf seine, mühte sich um ein Lächeln. „Und danach wieder Bootfahren“, sagte sie und plötzlich erhellte ein Lächeln sein Gesicht. „Bootfahren“, rief er und klatschte in die Hände. „Bootfahren.“ Sie nickte und ertappte sich dabei, dass sie sich an diesem Lächeln festzuklammern begann, während sie wieder nach seiner Hand griff. „Ja, Bootfahren“, erwiderte sie und nickte. „Und Pfannkuchen essen“, fuhr er fort. Seine Augen leuchteten. „Ja“, beeilte sie sich zu erwidern, „aber zuerst Frühstück“, und deutete auf seinen Teller, auf dem sich noch sein halbangebissenes Brötchen befand. Er folgte ihrem Fingerzeig, kicherte, klatschte erneut in die Hände und begann zu schnalzen. Dazu warf er ihr einen pfiffigen Blick zu und krähte: „Pfannkuchen.“ „Gut, Pfannkuchen“, stimmte sie ein, nahm wieder einen Schluck Kaffee, musste dann selbst lachen, weil sie sich an dem entsetzlich herben Geschmack beinahe verschluckt hätte und sich gleichzeitig erleichtert fühlte, ihren Sohn so aufgelöst zu sehen. Matthias grinste noch immer und zwinkerte ihr zu – mit leicht schräg gelegtem Kopf. „Pfannkuchen“, wiederholte er. „Pfannkuchen, Pfannkuchen, Pfannkuchen.“ Im Boot dann reckte sich Matthias sogleich wieder über Bord, doch diesmal wusste Simone, dass er’s der Freude wegen tat. Er schien die Ereignisse des Morgens vergessen zu haben, denn er lachte, als er mit seiner Hand durchs Wasser fuhr. Und schon war Simone versucht, es ihm gleichzutun, zumal das Boot gerade ablegte, als sie bemerkte, wie ein Mann im letzten Moment aufsprang und genau vor ihr und Matthias platznahm. Der Kahn schaukelte entsetzlich, Matthias krähte laut auf, Simone versuchte sich krampfhaft am Sitz festzuhalten und der Mann drehte sich abrupt um, musterte Mutter und Sohn einen Moment lang, lächelte dann nickend und sagte: „Das ist ja noch einmal gutgegangen.“ Simone wollte „Frechheit“ rufen, verkniff es sich jedoch und schüttelte stattdessen mit dem Kopf, um doch ihre Missbilligung über dieses Verhalten zu bekunden, Matthias krähte und juchzte noch immer und der Mann lächelte breiter und wandte sich an Matthias. „Wie ich sehe, geht es dir wieder gut.“ „Ja, wieder gut“, erwiderte dieser und klatschte in die Hände und Simone runzelte die Stirn. „Was? Was wollen Sie?“ „Ich bin derjenige, der unmittelbar Zeuge seines Zusammenbruchs war“, fuhr der Mann fort und reichte Simone die Hand: „Gestatten, Heiner Krumbiegel.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)