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Tenseigas Schutz - I

Wo Gegensätze sich berühren, beginnt die Vorstellungskraft
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Ihr lieben Alt- und Neuinteressierten,

willkommen zur Neufassung einer Idee, die noch aus dem Jahr 2008 stammt und 2020 hier bereits schonmal upgeloadet wurde. Vielleicht mag sich der ein oder die andere ja gewundert haben, warum Naraku im Klappentext so prominent vertreten ist.

2008 war noch die große Frage im deutschsprachigen Raum, wie geht es bei Inu Yasha weiter?

(Wer sich im englischsprachigen Raum etwas umsah, kannte die Folgen um den Berg/Mount Hakurei.
Als Manga war mir Kanketsuhen leider erst ab 2009 endlich zugänglich - man mag das Problem erkennen. Ich liebe die Folgen und sehe sie auch heute noch zu gerne.)


Dreisterweise - es mag ein Frevel sein an Takahashi-sensei - habe ich mich dazu entschlossen, die ursprünglich separate Handlung (mit Naraku als Antagonisten) nun zwischen den Kanketsuhenfolgen Episode 10 und 11 zu beginnen – der Kampf Inu Yashas gegen den Spiegeldämon.
Ich versuchte daher, Episode 11 als “was wäre wenn-Szenario“ abzuwandeln (ob mir das gelungen ist, obliegt euch).
Ich tue das mit einem weinenden Auge, dennoch möchte ich die Chance nicht ungenutzt lassen, welche der Spiegeldämon mir eröffnete. Ein ausgefuchster Feind wie Naraku muss einfach genutzt werden mM – ich finde ihn immer noch sehr gelungen.

Weiters hoffe ich, die von uns geliebten Charaktere aus dem IY-verse wiedererkennbar interpretieren zu können, und nicht allzu OOC zu gestalten.
Gerade hier herrscht die größte Unsicherheit und daher bin ich dankbar für jede Rückmeldung/jeden Hinweis, wie es besser geht.

In der Hoffnung, hiermit niemandem die Freude an den Originalkanketsuhenfolgen zu vermiesen, sondern ein nettes Alternativszenario rund um vor allem Sesshômaru entwerfen zu können.

Damit – hoffentlich – viel Vergnügen mit dem Neustart - prüfen wir doch mal euer Wissen! Komplett anzeigen

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Der Handel

D

u bist weit vom Weg abgekommen, Himmelstochter.“

Nicht mehr als ein heiseres Flüstern.

Nicht eindeutig zuordenbar im Stimmenwirrwar.

Unzählige Male am rauen Fels gebrochen.
 

„Ich erbitte einen Gefallen von denen, die das Leben der Toten beurteilen.“

Fester und bestimmter als gedacht.
 

Im Hintergrund trifft der Tropfen plätschernd auf Stein.
 

„Du kennst die Bedingung: Die Bindung muss entsprechen.“

„Deine Tochter.“

Ein Gackern.

Eine geflüsterte Drohung.

Scheinbar von allen Seiten wie ein Echo auf sie herniedergehend.
 

Zerschnitten von dem urplötzlich aufkommenden Tosen des Windes.
 

„Er ist dein Mann!“
 

„Sie wird entsprechen; wenn ihr ihnen Zeit gebt.“
 

„Es obliegt nicht Deinesgleichen, den Zeitpunkt zu wählen.“

Eine Warnung –wie ein Zischen in der längst vereinsamten Finsternis verklingend.


 


 

An den Scheidewegen des Lebens steht kein Wegweiser. (Charlie Chaplin)
 

Der Shintai

W

enn auch dein Mund nie das Geheimnis bricht, Zweihundert Schleier hüllen Liebe nicht. (Dschami)


 

„Aus dem Weg, es ist echt!“, begleitete Inu Yashas Ausruf das vernichtende Lichtfeuer der Windnarbe, als es diesmal in Richtung der bunt zusammengewürfelten Truppe zuhielt.
 

„Geht weg! Kanna, du bist zu langsam“, das vertraute Feuerrot versperrte ihr die Sicht, als Kagome sich sogleich auf die rosane Kugel schwang.

Shippō schwebte bereits einige Meter über dem saftigen Grün, während Miroku neben Sango rasch auf Kirara fand.
 

„Kongōsōha!“, donnerte der Hanyō in gewohnter Manier über die sonnenbeschienene Lichtung, ehe er auf dem Boden aufkam.
 

Immer noch warf die Oberfläche des Sees das Tageslicht wie ein Spiegel gen Himmel.

Mehr geschah nicht. Keine Energie, nicht mal ein Windzug kündete von dem Yōki, welches einst in seiner Klinge geschlummert hatte.

Das Kongōsōha funktionierte also auch nicht. Instinktiv löste sich ein erbostes Knurren in seiner Brust, sobald die Diamantensplitter auf der gegnerischen Kopie in Übergröße erschienen.

Es sah übel aus. Richtig übel. Sein Tessaiga verweigerte den Dienst, während Kanna Zugriff auf zwei seiner mächtigsten Attacken hatte. Ob sie alle Fähigkeiten des Schwertes kopiert hatte?
 

„Inu Yasha, ich schlage vor, dass wir uns jetzt zurückziehen“, von Miroku überraschte daher nicht, ebenso wenig wie Sangos mahnender Einwurf: „Beeil dich, bevor sie mit dem Kongōsōha kontert!“
 

Er war gerade dabei, sich zähneknirschend einzugestehen, dass seine Freunde wohl recht hatten, setzte bereits zur Drehung an, um ihnen nachzukommen. Da trieb ihm der plötzliche Windzug an seiner Seite die vertraute Witterung in die Nase. In nur einem Bruchteil einer Sekunde hatte er sich umentschieden. Stattdessen schoss sein Gelbgold argwöhnisch hinauf.
 

„Halt du dich aus meinem Kampf gefälligst raus!“, war vorprogrammiert und sparte nicht an Knurr- und Drohgebärden, als Inu Yasha Tessaiga trotzig wieder erhob.
 

Der brauchte ja nicht glauben, dass er Tessaigas Yōki einfach so kampflos aufgab. Wie aus dem Nichts auftauchen und nur einen abfälligen Blick für ihn, das Halbblut, übrig haben. Das sah dem ähnlich!
 

„Hm, das nennst du einen Kampf, Inu Yasha?“, kam gewohnt hochnäsig zurück.
 

Schließlich hatte der sich so einfach die Energie des väterlichen Schwertes abluchsen lassen. Grob fahrlässig.

Doch deshalb war er nicht hier. Zuerst hatte er an eine Möglichkeit geglaubt, um seine Meido Zangetsuha zu schulen, als Tenseiga keine Ruhe gegeben hatte. Doch, nachdem der Spiegelgeist dämonische Energien scheinbar absorbierte, konnte dies nicht Tenseigas Begehr sein. Was also war der Grund dafür, dass sein eigensinniges Erbe ihn hierher gezwungen hatte?
 

Natürlich würdigte Sesshōmaru ihn nicht einmal eines Blickes. Offensichtlicherweise war der Herr Hochwohlgeboren mal wieder der Meinung, er hätte es besser gemacht. Als ob der nicht auch bereits in Narakus Fallen getappt wäre, aus denen er ihn dann wieder rausgeholt hatte.
 

„Keh!“, spuckte Inu Yasha daher förmlich zur Antwort.

„Als wenn du dich jetzt noch traust zu ziehen“, wurde mit einem verengten Blick über die Schulter geahndet.
 

Es ließ Inu Yasha sichtlich kalt.

Kagome hätte nur allzu gerne herzhaft aufgestöhnt, wäre die Situation nicht derart brenzlig.

Was wollte Sesshōmaru auch hier? Natürlich war Mirokus Aufforderung zur Flucht ungehört verklungen. Als ob ihr Halbdämon sich vor dem Älteren die Blöße hätte geben können. Shippō stieß dafür umso entrüsteter die Luft aus. Seine Fuchsmagie war jetzt nicht mehr erwünscht.
 

„Ja klar, steig nur drauf ein und stell dich dem Spiegeldämon ohne Tessaigas Attacken, Inu Yasha“, fand Shippō daher auch längst kein Gehör mehr.
 

Da hob Kanna auch schon erneut den Arm in Richtung beider Hundebrüder, welche ihr nun zwangsläufig gemeinsam gegenüberstanden. Der eine mit seinem nutzlos gewordenen Erbe am Boden, der anderen an seiner Seite schwebend wohlweislich ohne seine Klinge zu ziehen.

Der Hanyō konnte gerade noch Tessaiga in Position bringen und ein „weg!“ ausstoßen, ehe Kanna in ihrem ungerührten Flüsterton die Attacke befahl.
 

„Inu Yasha!“

Sorge trieb Kagomes Stimme charakteristisch in die Höhe, ebenso wie Rins „Sesshōmaru-sama“- Ausruf vom Reitdrachen etwas weiter über ihren Köpfen.

Sesshōmaru folgte mehr einem jahrhundertelang antrainierten Automatismus, als seine Klaue nichtsdestotrotz nach Tenseigas Griff langte, noch während er auswich.
 

Nicht, war eine schiere Unmöglichkeit.
 

Dennoch verklang es klar und deutlich in seinem Kopf. Als stünde sie neben ihm.

Unmissverständlich schnitt die Warnung durch seine Gedanken wie so mancher Überlebensinstinkt durch den des einst jugendlichen Dämons. Es beendete einen jeden davon jäh.

Er folgte -instinktiv. Im vollen Bewusstsein, dass es kein Instinkt war. Er erkannte sie sofort – unverkennbar.

Und hätte es so beinahe verpasst.

Erst das Aufkreischen Rins in seinem Rücken bewegte ihn, sodass er dem nächsten Geschoss gerade noch rechtzeitig auswich. Der Drache hatte sich längst in entsprechend sichere Höhen erhoben, erkannte er mit einem Blick hinter sich. Die Irritation schien so rasch verklungen wie aufgekommen.

Was hatte der vergessliche Tattergreis da nur mit seinem Erbe angestellt, als er es angeblich neu schmiedete?
 

Im Vergleich zu Sesshōmaru hatte Inu Yasha einzig das Feuerrattenfell neben Tessaiga. Die Wucht seiner eigenen Attacke riss ihn förmlich von den Füßen.

Seltsamerweise traf die Freunde kein einziger der Splitter.
 

„Kagome, ich glaube, sie verfehlen uns“, von Shippō öffnete nicht nur Angesprochener ungläubig die Augen.
 

„Beinahe absichtlich“, fügte Miroku hinzu.
 

„Das ist Tessaiga“, grollte Inu Yasha, sodass es nicht nur Kagome die Nackenhaare aufstellte.
 

„Inu Yasha?“, erschrak sie, als der sich nach einem Blick auf seine deutlich gewachsenen Krallen auf die Beine rappelte.
 

Die rotglühenden Augen sowie der jeweils eine Dämonenstreifen auf seinen Wangenknochen entgingen ihm. Kagome dafür nicht.
 

„Sieh dich an!“, entfuhr es ihr fast panisch.
 

Es brachte ihm sogar den Seitenblick seines Bruders ein, wenn auch nur für einen flüchtigen Moment. Diesmal raubte ihm sein Dämonenblut nicht die Sinne. Ein erstaunliches Schwert. Eingedenk der Tatsache, dass der Kagami no Yōkai Tessaiga das Yōki entzogen hatte, schien Tessaiga sich stattdessen der Inu Yashas zu bedienen.

Letztgenannter nahm sich dafür nun keine Zeit. Viel wichtiger war die Erkenntnis, dass Tessaiga nicht nutzlos war. Es kämpfte, wehrte sich – mit seinem Yōki. Sie hatten eine Chance.
 

„Inu Yasha!“
 

„Bleibt weg oder ich mach euch platt", würgte der Angesprochene seine Freunde grollend ab, sodass Sango ihren Hiraikotsu unverrichteter Dinge wieder senkte.
 

„Ihr wisst nicht, wozu ich fähig bin - und du, misch dich ja nicht ein. Nochmal sage ich es nicht!“, ging an Sesshōmaru.

Offensichtlicherweise wollte der Hanyō jedwede Einmischung unterbinden.
 

Da donnerte Kannas unheilvoll leise geforderte „Kaze no Kizu“ bereits erbarmungslos auf die Hundebrüder zu.
 

„Aus dem Weg!“, brach wie aus dem Nichts über Inu Yasha herein.

Wieder traf ihn der Hieb völlig unerwartet, als er sich unerbittlich von Sesshōmaru zur Seite gestoßen fühlte.
 

Nicht nur die Freunde machten große Augen. Auch Jakens gelbe Glubschaugen schienen in ihren Ausmaßen noch zuzulegen. Rin hob sich die Hände vor Angst vor die Augen und vergrub ihren Kopf in der Brust Kohakus. Aus einem Reflex barg der das zierliche Mädchen in einer Umarmung, während er nicht minder gebannt verfolgte, wie das grelle Leuchten der kopierten Windnarbe die schlanke Silhouette des Hundedämons verschlang.
 

Er musste mit diesem elenden Schmied reden. Schleunigst!

Tenseigas Pulsieren dominierte längst all seine Wahrnehmung.

Ihm war, als umschloss ihn die Magie seiner Klinge. Wie ein schützender Kokon umspann sie sich im längst vertrauten blauumrahmten Schwarz um seine Gestalt.

Doch diesmal erreichte Tessaigas Macht ihn nicht. Sie reichte nicht einmal an ihn heran. Stattdessen glaubte er seine Sinne spielten ihm einen Streich, als das Surren im lange nicht mehr vernommenen Brennen in seinen Venen vibrierte, während das Blau an Intensität und Ausmaßen immer mehr zunahm. Es begann zu wachsen – zuerst in die Breite und dann allmählich in die Länge. Direkt vor seinen Augen entfaltete sich so die zierliche Gestalt aus glitzerndem Blau. Es geschah in Bruchteilen von Sekunden und doch glaubte er Äonen vergehen, in denen er einfach nur dabei zusah, wie sich nach und nach die vertrauten Züge vor ihm ausformten.
 

Für die Freunde und seine Begleiter umgab ihn einzig ein blaues Netz, über das die mächtige Attacke hinwegfegte – ohne dabei auch nur tangiert worden zu sein.
 

So traf es sie ebenso wie ihre Kontrahenten völlig überraschend, als es in all ihren Köpfen diesmal verklang: Was tust du da?
 

Es wirkte mehr als befremdlich. Es war beängstigend. Ein völlig unangekündigtes Eindringen in ihre Gedanken – ohne den Hauch einer Chance auf Widerstand. Und doch war es so sanft und natürlich wie das leise Plätschern von Wasser, welches in seichten Wellen über das kieselartige Flussbett streichelte. Schimpfte sie etwa mit ihm?

Inu Yasha war so perplex, dass er sogar Tessaiga sinken ließ und einen Blick hinter sich riskierte. Nur um sicherzugehen, es sich nicht eingebildet zu haben. Seine Freunde sahen nicht minder irritiert drein.
 

„Habt ihr das auch gerade eben ...?“, setzte Miroku ungläubig an – und fing sich den giftigen Seitenblick seiner Angebeteten ein.
 

„Was...?“, war mehr ein Zittern, denn Entrüstung.

Trotzdem, diesmal, befand Miroku, hatte er wirklich noch nichts angestellt. Ganz im Gegenteil hatte er doch für den Moment angenommen, er erträumte sich nun bereits schon die liebliche Stimme hübscher, junger und vor allem gebärfähiger Frauen...
 

Kagome ignorierte es mit einem nach wie vor ungläubigen Blinzeln.

Eindeutig eine Frauenstimme, die den älteren der Hundebrüder da derart vertraut angefahren hatte. Sie wirkte ganz und gar nicht erfreut. Ganz im Gegenteil, wenn die Miko raten sollte, so war sie sogar fast geneigt zu behaupten, dass die fremde Stimme nicht nur das Entsetzen in die Höhe getrieben hatte. Doch, wer würde das bei diesem Dämon wagen? Es war Selbstmord, ihm auch nur in die Quere zu kommen.
 

„Nein, Miroku, ihr irrt euch nicht. Es gibt Wesen, die das vermögen“, bestätigte es urplötzlich von Kiraras Kopf.
 

„Myōga!“, Shippō war unverkennbar verblüfft.

Der tauchte mitten im Kampfgeschehen auf. Wo kam der auf einmal her? Und warum?
 

„Inu Yasha-sama hat also das Yōki Tessaigas verloren und Sesshōmaru-sama hat sich erneut dem Kaze no Kizu gestellt.“
 

„Ja, so sah es jedenfalls aus“, bestätigte Sango Myōgas nüchterne Beobachtung überrascht.
 

„Aber, warum sollte er das tun? Es wirkte fast so, als wollte er Inu Yasha schützen“, quakte Shippō dazwischen.
 

„Hm, ich vermute eher, er hat Tenseiga gespürt“, entgegnete der alte Flohgeist geheimnisvoll.

Für weitere Nachfragen blieb keine Zeit.
 

Kanna schien ebenso abgelenkt sehr zu Inu Yashas Genugtuung. Ein teuflisches Grinsen huschte über seine dämonischen Züge und enthüllte dem strahlenden Sonnenlicht für einen flüchtigen Augenblick seine scharfen Eckzähne. Warum auch immer er hier war. Vielleicht war es gar nicht so schlecht, dass der Ältere sich eingemischt hatte. Er konnte es nutzen.
 

Eigentlich hatte er nur der seltsamen Vertrautheit nachgehen wollen. Hatte nicht recht geglaubt, was er da empfunden hatte. Nur für den Bruchteil eines Augenblicks. Viel zu rasch war die so sorgsam verborgene Empfindung in seinem Inneren aufgeglommen, zaghaft wie das letzte Aufglühen eines Feuerholzes, bevor es endgültig verglühte. Viel zu kurz und unbedeutend, als dass er sie ernst hätte nehmen können. Dennoch war es ihm unmöglich gewesen, sie dieses Mal zu ignorieren. Wie einst hatte ihn seine Machtlosigkeit völlig überfordert. Sie lähmte ihn.

Es spielte keine Rolle, was sie sagte. Auch nicht, was sie da eigentlich tat. Einzig, dass sie mit ihm sprach. Wieso jetzt?

Es ging an ihm vorbei, als Inu Yasha sich längst zielstrebig mit Tessaiga auf dessen überdimensionierte Kopie stürzte.

Er war seit langem außer Gefahr. Einem Impuls folgend wanderte sein Blick auf das väterliche Erbe, dessen Unruhe ihn hierher beordert hatte.

Erneut wagte er, nach dem Griff zu langen. Das Pulsieren wurde drängender. Eine Bestätigung.

Er verengte die Augen, ehe er das abgenutzte Leder fest umfasste und in einer fließenden Bewegung die bläulich-leuchtende Klinge zog.

Da glaubte er zu verstehen – der Kagami absorbierte Energien. Er zog sie an. Wie ein Yorishiro – oder gar ein Shintai?

Das Lächeln, das daraufhin über seine Züge glitt, jagte Jaken einen Angstschauder über den Rücken, sobald der netzartige Kokon aus schützender Energie ihn wie auf Befehl mit einem Mal freigegeben hatte.
 

Inu Yasha sprang gerade zurück an die Seite Kagomes. Das Menschenmädchen hatte wohl einen ihrer Pfeile probiert.

Die Furche, welche sein Tessaiga zuvor in die Kopie gebrochen hatte, war tief. Kannas Antlitz war bereits von unzähligen Rissen durchzogen, der rechte Arm und die linke Hand abgetrennt. Der Hanyō hatte also erkannt, wo er angreifen musste. Warum er abließ, war ihm Einerlei. Vermutlich wieder sein menschliches Erbe. Er erlaubte sich, es großzügig zu ignorieren. Was glaubte der, wie das endete?
 

„Kanna, du musst nicht mehr kämpfen“, von der Miko seines Bruders diente ihm nur zur Bestätigung.
 

Tatsächlich schien die innezuhalten.

Nichtsdestotrotz stieß er sich achtlos vom Boden ab, verfolgt von den irritierten Blicken der Freunde.

Es schien Irrsinn. Sesshōmaru nahm nicht die Klinge in seinen Fokus, auch nicht den Körper des Dämons. Er hatte die Spiegelränder im Visier, traf Inu Yasha die Erkenntnis wie ein Blitz. Was tat der da?
 

Im ersten Augenschein machte es den Eindruck, als bliebe die Attacke mit Tenseiga wirkungslos.

Kein Sprung, nicht einmal ein Faserriss, zeichnete sich auf dem hellen Hintergrund ab, welcher den schlanken Körper des Spiegeldämons umrundete.
 

„Was sollte der Mist?“, von Inu Yasha sollte wohl wieder mit Nichtachtung quittiert werden.
 

Er schien zu warten.

Natürlich wusste auch er nichts von dem Befehl, dem sich die Kindgestalt bereits seit kurzem widersetzte.
 

Inu Yasha wollte das erboste Knurren gerade entkommen ob des scheinbar sinnlosen Angriffs. Dann vernahm auch der Hanyō Glas splittern. Sofort schoss sein Dämonenrot zurück zu ihrem Gegner. Kanna blieb scheinbar unberührt. Doch den Rahmen zierten allmählich feine Risse, nur hauchdünn, jedoch unverkennbar, zogen sie sich wie Maserungen über das helle Material.
 

„Kanna, ich verstehe nicht“, von Kagome zwischen ihnen erschloss sich beiden Hundebrüdern nicht.
 

Keiner hatte auf die Lippen der Mädchengestalt geachtet, die längst wieder zur gewohnten Regungslosigkeit zurückgekehrt waren.

Doch beide hörten sie auf ihren Instinkt.

Er trieb Inu Yasha dazu, sich das Mädchen aus der Neuzeit mit einem „Kagome!“ umgehend zu schnappen und mit einem langen Satz, ähnlich dem, den Sesshōmaru in die Höhe tat, aus dem unmittelbaren Umfeld um Kanna und ihren Dämon zu springen.

Beinahe einen Moment zu spät, sodass ihn die Wucht der Explosion mitsamt der Miko von den Füßen holte. Es kam für alle urplötzlich und völlig zusammenhangslos.
 

„Kagome-chan? Inu Yasha“, verklangen die herbeieilenden Freunde in seinem Rücken, als sein Raubtiergold zu seinen Begleitern in ausreichender Entfernung glitt.

Auf Ah-Uhn verweilte er einen weiteren Moment. Er war unruhig – nach wie vor.
 

„Mein Auge“, war ohne Belang für ihn, als er inmitten des Kraters nicht unweit der Freunde aufsetzte.

Sie standen um das Mädchen mit den Mikokräften herum, die sich besagtes Auge hielt.
 

„Warum hast du das getan?“, fuhr ihn Inu Yasha sogleich aufgebracht an.
 

Der Aufprall auf den Boden schien diesmal “heilsam“ gewesen zu sein für das Halbblut. Inu Yashas Augen und Züge waren zur Normalität zurückgekehrt, als er ihn in seinen zornigen Fokus nahm. Nichts wies mehr auf das Blut seines Vaters hin, nun, abgesehen von den Augen, den Krallen und den auffälligen Hundeohren auf seinem Kopf.
 

„Inu Yasha, ich glaube nicht, dass Sesshōmaru etwas damit zu tun hatte“, kam ihm ausgerechnet der Mönch dazwischen.

Er nahm es ausdruckslos zur Kenntnis.
 

„Sie war Naraku nicht mehr von Wert, deshalb hat er sich wohl ihrer entledigt“, von Miroku hatte er nichts mehr hinzuzufügen.
 

„Also wollte Kanna uns gar nicht umbringen?“, kam es so unschuldig von dem kleinen Kitsunen, wie es nicht einmal Rin vermocht hätte.
 

„Nein, sie wollte nicht sterben“, stimmte Kagome Mirokus Vermutung zu.
 

Es war unerwartet.

Sein Augenpaar wanderte über die schlanke Gestalt der Miko. Kagome kauerte immer noch am Boden und hielt sich ihr eines Auge. Sie schien davon überzeugt. Woher auch immer. Als die Träne seine empfindsame Hundenase beleidigte, wandte er den Blick letztlich ab.
 

„Also hat Naraku sie nur benutzt“, von der Jägerin war längst nicht mehr von Interesse für ihn.
 

Kaum, dass Ah-Uhns massiger Körper zu Boden gelangt war, ereilte ihn bereits das aufgebrachte „Sesshōmaru-sama!“.

Wie stets folgte sein Augenmerk seinen Begleitern beiläufig. Rin schien vergnügter, seitdem der Menschenjunge bei ihnen war.
 

„Kohaku“, erinnerte ihn an die Verbindung der Jägerin zu seinem neusten Begleiter.
 

Dann ereilte ihn das zaghafte Räuspern – unverkennbar. Jaken hing an seinem Kopfstab wie so manch Ertrinkender an der rettenden Holzplanke.

Seine gelben Glubschaugen tennisballgroß zu seinem Meister erhoben wagte er ein Vorsichtiges: „Sesshōmaru-sama, Ihr seid unverletzt?“
 

„Sesshōmaru-sama!“, kam fast wie gerufen.

Es geschah beinahe nebensächlich, als er wie gewohnt über seinen Froschyōkai trampelte.
 

Unverkennbar erschrocken lenkte Rins Ausruf aller Aufmerksamkeit sofort gen Waldrand. Ihr Augenmerk war mitsamt ihrer erhobenen Minihand gen längliche Schatten in die scheinbare Dunkelheit gerichtet, welche die Baumkronen auf das saftige Grün der Wiese warfen.

Kagome und Shippō waren die Ersten, die sie erreichten, danach die Tayjias und der Mönch neben Inu Yasha.
 

Sesshōmaru brauchte scheins einen Moment, was Inu Yashas Interesse weckte. War der nicht für gewöhnlich gleich zur Stelle, wenn die Kleine aufschrie?

Im Augenwinkel verfolgte der Halbdämon sein Gebaren, während er mit verschränkten Armen bei seinen Freunden stand.

Seine Schritte erfolgten fast stockend, nicht, dass es groß auffiel, so majestätisch, wie der immer ging. Dennoch, es erweckte den Eindruck, als wurde er langsamer, lange bevor er tatsächlich knapp zu seiner Seite anhielt.

Sie standen am Rand der Baumgruppe, welche den Wald von der Lichtung abgrenzte. Also etwas weiter ab vom Geschehen, wo Kagome längst an der Seite einer Fremden auf ihre Knie gefunden hatte. Sein Raubtiergold war wie erstarrt auf die ungleiche Truppe gerichtet. Unverkennbar galt auch all seine Aufmerksamkeit dem Geschehen.
 

Kagome kramte verzweifelt in ihrem gelben Rucksack, wie sie das Ding immer nannte. Die zierliche Frauengestalt musste Rins Neugier geweckt haben. Nun, zumindest war das Menschenmädchen schlau genug gewesen, Abstand zu halten. Inu Yasha hatte Sesshōmarus Einfluss schwer im Verdacht. Gut so. Denn, er konnte sich keinen Reim darauf machen, wo die so urplötzlich hergekommen war. Sie schien bewusstlos und zitterte am ganzen Leib unaufhörlich. Es war offenkundig, dass mit ihr etwas nicht stimmte. Doch die Witterung, die nicht nur ihm das Gemisch aus persönlicher Duftnote, Naraku und Schweiß in die Nase trieb, weitete ihm die Augen. Instinktiv wanderte sein Gelbgold zurück zu der zementierten Miene an Ausdruckslosigkeit neben sich. Sesshōmaru war weniger an seinen Freunden interessiert, erkannte er da.
 

„Ich hatte dich früher hier erwartet“, löste Inu Yasha tatsächlich ein Blinzeln beim Älteren aus.
 

Es wäre ihm entgangen, hätte er sich nicht so akribisch auf dessen Züge fokussiert. War es möglich und Sesshōmaru war tatsächlich unaufmerksam gewesen?
 

„Ich hatte deine Witterung in der Nase - und irgendwie auch nicht“, führte er daher weiter aus.

Sesshōmaru zeigte mit keiner Regung, ob er ihm überhaupt zugehört hatte.
 

Es war auch nicht nötig, befand der. Inu Yasha schien auf etwas hinauszuwollen. Er musste sich geirrt haben. Schließlich hatte er nur eine halbe Hundenase.
 

„Ich glaube, sie...“, war ein erneuter Versuch, eine Reaktion, wie auch immer geartet, aus dem stoischen Bruder herauszukitzeln.
 

Es machte fast Spaß - und ließ die Aufregung, welche die Bemühungen um die Unbekannte bei seinen Freunden verursachte, beinahe zur Nebensache werden. Natürlich hatte er stets ein Auge auf Kagome. Sie schlug sich gut. Soweit er das erkennen konnte, vermuteten sie und Miroku ein Gift und suchten längst ein Gegenmittel.
 

„Ishizu“, traf Inu Yasha in erbarmungsloser Härte – und völlig überraschend.
 

Es blieb nicht unbemerkt, auch wenn der Winzling bewusst stumm auf der Schulter der Miko verharrte.

Erst verstand Inu Yasha nicht. Es klang zu fremdartig. Dann erkannte er einen Namen dahinter – und staunte Bauklötze. Sesshōmaru kannte sie also. Der Name war ihm wichtig, dämmerte ihm da. Sehr wichtig.
 

„Nun, ich denke, Ishizu...-sama könnte nicht allein gewesen sein“, räusperte sich Inu Yasha daher.
 

Er ließ den Älteren nicht aus den Augen. Jetzt glaubte er zu verstehen. Er beobachtete nicht sie. Er wachte mit Argusaugen darüber, was Kagome an ihr tat! Ihm wurde flau im Magen.
 

Welch unerwartete Umsichtigkeit der Jüngere da doch beweisen konnte. Er nahm sich nicht die Zeit, darauf weiter zu reagieren. Stattdessen erlaubte er sich endlich einen Blick auf ihre vor Schmerz und Pein gezeichneten Züge, sobald die Miko sich erneut nach ihrem fremdartigen Utensil bückte und ihm so unfreiwillig die Sicht freigab.

War sie also der Grund für Ah-Uhns Unruhe der letzten Tage? Weil er ihre Anwesenheit vernommen hatte?

Er selbst hatte die letzten Geschehnisse, die Schulung Tenseigas im Verdacht gehabt. Damit hatte er nicht gerechnet. Er hatte rein gar nichts gespürt. Tat es auch jetzt nicht. Alles war wie leer gefegt in ihm.

Penibel beobachtete er die Bemühungen der menschlichen Gottesdienerin. Ob sie ihr wirklich helfen konnte?

Dann ereilte ihn Inu Yashas Vermutung wie ein Fausthieb. Er musste sich irren. Das würde sie nicht riskieren. Es konnte nicht sein. Oder war Ishizu gar deshalb hier?
 

„Was geschah, als ihr ankamt?“, wirkte nüchtern wie immer.
 

Es war unmöglich eine Regung in dem Älteren auszumachen, dennoch trieb es Inu Yashas Augenbrauen in Skepsis über seinem Nasenbein zusammen. Sesshōmaru stand stocksteif neben ihm. Es klang wie immer - und doch irritierte ihn irgendetwas daran. Er konnte es nur noch nicht genau spezifizieren.
 

„Nichts. Als wir ankamen, waren da nur der spiegelglatte See, aus dem Kanna dann kam - mit diesem Ding“, verdiente wohl nichtmal ein tonloses Aufseufzen, als Sesshōmaru keine Reaktion zeigte.
 

„Moment, du glaubst, es könnte zusammenhängen? Dann muss es aber vorher passiert sein. Die Bauern, die wir trafen, erwähnten ein unnatürliches Leuchten in der Nacht zuvor", dämmerte Inu Yasha dann.
 

Damit glaubte er sich bestätigt. Doch ein Shintai. Er wagte nicht die Augen zu verengen, solange er den Blick des Jüngeren auf sich wusste.

Dennoch vermeinte Inu Yasha, die Anspannung in dem Yōkai deutlich anwachsen zu sehen – mochte es auch unmöglich erscheinen. Er wirkte ja immer, als hätte er einen Stock verschluckt. Also hatte er keine Ahnung, wie er das nun beschreiben sollte. Aber sein Bruder war eindeutig sauer.
 

„Oh nein!“, von Kagome unterband dann jeglichen weiteren Gedanken augenblicklich.

Sie hatte eines ihrer verschließbaren Gläser vor sich gegen die letzten Sonnenstrahlen erhoben. Der Deckel fehlte. Es war leer.
 

„Was ist, Kagome?“
 

Umgehend ließ Inu Yasha den großen Bruder großer Bruder sein und sprang an ihre Seite. Sie wirkte wahrlich geknickt. Jetzt konnte er den Atem ihrer Patientin deutlich rasseln hören. Oh, er wollte einzig hoffen, dass das gut ausging.
 

„Miroku-sama und ich glauben, dass sie von Narakus Saimyōshō vergiftet wurde. Ich habe aber keine Tausendjahresblume mehr von Jinenji. Sie muss in der Tasche aufgegangen sein.“
 

„Kannst du nicht was Anderes, eines deiner speziellen Kräuterdinger, nehmen?“, versuchte Inu Yasha dem Neuzeitthema auszuweichen.
 

Manches ging den Älteren wirklich nichts an. Kagome schüttelte den Kopf.
 

„Wir müssen sie holen“, erfolgte entschlossen von ihr wie immer.
 

Undenkbar, dass sie jetzt locker ließ. Vermutlich war das auch besser so. Dennoch graute ihm davor, sollten ihre Fähigkeiten an dem erbärmlichen Zustand ihrer Patientin scheitern.
 

Zur Überraschung aller meldete sich da Rin eifrig zu Wort: „Ich weiß auch, wo wir sie finden- und wie sie aussieht. Ich kann helfen.“
 

„Gut Rin-chan, das ist gut“, bestätigte Kagome nickend.
 

So musste sie die Kranke nicht allein lassen.

Emsig kramte die Miko damit bereits wieder in ihrer übergroßen Tasche, um wenig später ihre buntbemusterte Decke hervorzuholen. Sie hatte nun keine Zeit, sich ob der Teddybär-Optik zu schämen. Ihre Mutter dachte doch immer auch an alles – nur daran nicht.

Ein Raunen ging um und hob ihren Blick. Der Reitdrache war der Grund für all den Aufruhr, erkannte sie umgehend. Er walzte sich regelrecht mit seinem massigen Körper einen Weg hinter und zwischen den umstehenden Freunden bis an die Fremde heran.

Miroku, Shippō und Sango konnten gerade noch so ausweichen, ehe er sich einfach hinter der Schwarzhaarigen mit einem lauten Rumpsgeräusch niederließ. Sie zitterte wie Espenlaub. Er schmiegte sie somit an seinen warmen Bauch, erkannte Kagome. Das war natürlich auch eine Möglichkeit, um sie vor der Kälte zu schützen.
 

„Rin“, verklang in alter Manier.
 

Artig kam Angesprochene sogleich an die Seite ihres Meisters.

Klar, er war schneller, dämmerte der Miko aus der Zukunft, ehe sie einen verwunderten Blick zu Inu Yasha sandte. Warum mischte er sich ein? Sie war menschlich und dazu noch verletzt.

Inu Yasha schien nicht minder überrascht. Warum nicht Hilfe annehmen, wenn sie einem schon angeboten wurde- erst recht mit der Fähigkeit zu fliegen? Damit langte sie ein letztes Mal in ihren Rucksack, fand treffsicher, was sie wohl noch gesucht hatte und erhob sich. Unter dem wachsamen Blick des rotgekleideten Hanyōs kam sie dann mit dem länglichen Utensil in der Hand auf den Hundeyōkai und seine menschliche Begleiterin zu.
 

„Hier, Rin-chan. Das wird dir helfen, die Tausendjahresblume auch in der Dämmerung zu erkennen“, reichte ihr Kagome da bereits das seltsam längliche Ding.
 

Angesprochene sah erst etwas verdutzt drein. Ihre Miene hellte sich dann aber schnell auf, sobald Kagome die Taschenlampe einmal an- und ausgeknipst hatte.
 

„Hai, vielen Dank, Kagome-sama“, strahlte ihr förmlich die kindliche Begeisterung entgegen.
 

Inu Yasha behielt derweil die Miene Sesshōmarus im Auge. Er schien weniger am Ursprung des neuzeitlichen Utensils interessiert - sehr zu seiner Erleichterung.
 

In der Tat nahm sich Sesshōmaru nicht die Zeit für derlei unbedeutende Kleinigkeiten. Sein Raubtiergold wanderte hinauf zum Firmament, welches sich allmählich in der Dämmerung abzuheben begann. Die Mondsichel spendete nur unzureichend Licht für schwach ausgeprägte Menschenaugen. Es hätte ihn weit mehr irritiert, wäre diese Nacht eine Andere.

Damit senkte sich sein ausdrucksloses Dämonengold auf die ausgelassene Miene seiner menschlichen Begleiterin.
 

„Halte dich fest“, wurde nickend befolgt, als sich ihre Hand sogleich in sein Fell krallte.
 

Mit dem Aufwallen seines Yōki verschwand die helle Kugel alsbald gen Osten. Nicht nur die Blicke der Freunde verfolgten ihre rasante Flugbahn für noch einen weiteren Moment ungläubig.
 

Jaken beschlich eine mehr als nur unheilvolle Ahnung, als seine gelben Glubschaugen missgünstig über den verräterischen Reitdrachen schweiften, welcher gar so auf Tuchfühlung mit der offenkundigen Menschenfrau ging. Der hatte ja schon Rin mit offenen Klauen empfangen.

Dennoch, er hatte die Magie nicht vergessen, welche seinen Meister umschlossen hatte. Das war nicht Tenseiga gewesen, nicht nur. Sesshōmaru war stark, ihm hatte der heilige Berg Hakurei bereits nicht merklich zugesetzt. Dennoch, das war alles höchstbedenklich.

Zumal, was tat sein Meister da?

Wurde das eine erneute Überraschung für ihn, wie bei Rin? Oh, das nahm beängstigende Ausmaße an. Die ehrwürdige Frau Mutter mochte doch nicht recht behalten - und sein Meister trat endgültig in die Fußstapfen seines Herrn Vaters, zumindest was die Schwäche für Menschenkinder im Allgemeinen betraf? Er hatte angenommen, Rin sei die Ausnahme. Wo sollte er dann hin?
 

Kagome war sich spätestens jetzt sicher, dass es die Fremde gewesen war, deren Stimme in ihrer aller Köpfe verklungen war - wie auch immer das möglich war. Nichts Anderes erklärte Sesshōmarus Handeln.

Sie und Miroku meinten auch eine Form von Magie in ihr zu spüren – heller Magie. So unwirklich es schien. Insgeheim war die junge Frau längst davon überzeugt, dass jede einzelne Silbe, welche nur an den Dämon gerichtet gewesen sein konnte, von so viel Sorge getragen gewesen war, wie sie es niemals auch nur für möglich gehalten hätte.

Sie hatte es schlichtweg bis dato für unmöglich erachtet, dass auch nur irgendwer dem stolzen Yōkai so viel Zuneigung entgegenbringen durfte abgesehen von Rin – und selbst die wahrte die Etikette. Auch Kagura hatte lediglich nur eine Form von Interesse gewagt ab und an dezent zu offenbaren- und erst ihr Tod hatte dem stolzen Yōkai einen Hauch der distanzierten Fassung geraubt, wenn auch nur dadurch bemerkbar, weil er vor Ort gewesen war.

Also fand sich der Einzige, von dem sie sich Antworten versprechen konnten, umgehend von Inu Yashas Krallen erfasst wieder.

Aller Aufmerksamkeit richtete sich allein auf den Kleinsten unter ihnen, sodass Myōgas Schlucken laut über die ins dämmerige Licht des abklingenden Tages getauchte Lichtung hallte.
 

„Nun spuck‘s schon aus, Jiji. Wer ist sie?“, forderte Inu Yasha barsch.
 

Reichlich unbehaglich baumelte der Flohgeist in der Luft und senkte den Blick. Der Winzling gab sich keine Mühe, sein Unwohlsein zu verbergen.

Oh, er konnte einzig hoffen, dass der Ältere der beiden Söhne des großen Hundedämons ihn nie zu fassen bekam, ohne Inu Yasha-sama. Der würde ihn doch schützen? An ihre schützende Hand wagte Myōga gar nicht recht zu glauben. Nicht nach all der langen Zeit des absoluten Schweigens. Andererseits... Wer wagte es schon, ihre Motive auch nur zu erahnen. Er hätte auf Tōtōsai hören sollen, statt seiner Neugier zu frönen.

Am Ende hatte Sesshōmaru ihn vielleicht tatsächlich nicht bemerkt. Das wäre zu schön, um wahr zu sein. Wieso sollte der sich auch damit aufhalten, wie er, der unwichtige Berater des so übermächtigen Herrn Vaters, auf ihre Magie in dieser Welt reagierte?

Natürlich war den Freunden – und allen voran Inu Yasha - dagegen nicht entgangen, dass er urplötzlich aufgetaucht war, mitten im Kampf. Und, dass er seither penibelst darauf geachtet zu haben schien, ja nicht den Mund aufzumachen oder irgendwie sonst Sesshōmarus Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Innerlich seufzte der Flohgeist schwer auf. Wenn der halbe Hund nur in allen Bereichen eine solche Aufmerksamkeit und Hingabe zeigte...
 

„Nun ja, Inu Yasha-sama“, druckste es da ungewöhnlich wortkarg herum.
 

Myōga suchte noch nach dem geeigneten Maß, um möglichst heil davon zu kommen - für den Moment noch einzig aus Inu Yashas Klauen; wie ein jeder Anwesende jedoch ahnte, wohl alsbald auch aus denen des Älteren.
 

„Wenn Ihr Euch erinnern wollt, Inu Yasha-sama, so neigte Euer ehrenwerter Herr Vater zuweilen dazu, unvernünftige Sachen zu machen. Eine Angewohnheit, welche er...,“
 

„Jajaja, die alte Leier schon wieder. Komm gefälligst zum Punkt“, donnerte Inu Yasha dazwischen.
 

Er hatte Sesshōmaru noch nie zuvor derart perplex erlebt. Inu Yasha konnte sich auch nicht erinnern, jemals irgendjemanden seinen Bruder so vertraut ansprechen erlebt zu haben. Es war schlichtweg bisher nie jemand lebensmüde genug gewesen, selbst Naraku nicht. Und, dass das eindeutig mehr als nur Vertrautheit gewesen war, erkannte sogar er.

Was auch immer die Fremde und seinen Bruder also verband, es ließ den Yōkai definitiv alles andere als kalt. Selbst wenn Rin in Gefahr schwebte, verlor der nicht derart die Fassung. Einzig sein anfängliches Begehr nach Tessaiga kam vielleicht annähernd da heran...
 

Oh, wie undankbar, dass der Schwur ihn nicht betraf, dachte Myōga derweil in arger Bedrängnis. Andererseits, mochte es ihn auch nicht zur Gänze betreffen, so musste er das ja nicht erwähnen... Also räusperte er sich auffällig lautstark unter den Argusaugen aller Umstehenden.
 

„Nun, Inu Yasha-sama, es ist mir leider unmöglich, genauere Auskünfte zu geben.“
 

„Was soll denn der Blödsinn jetzt wieder heißen“, polterte Inu Yasha sofort aufgebracht zur Antwort.
 

„Inu Yasha“, säuselte es daher wieder gefährlich von Kagome an seiner Seite, sodass dem Halbdämon die Ohren nervös zuckten.
 

Immerhin konnte es nicht zuträglich sein, wenn der Angstfuß von Flohgeist gar so angefahren wurde. Sie wollten schließlich Antworten.
 

„Wie gesagt, es ist mir unmöglich“, räusperte es sich auch sogleich heiser zwischen seinen Krallen.
 

„Es gibt Schwüre, welche das Schweigen erzwingen, Inu Yasha“, eilte letztlich Sango dem Flohgeist zur Hilfe, als der aufgebrachte Hanyō doch glatt Myōga vor sein zornverengtes Blickfeld hob.
 

„Du meinst, er könnte bei seinem Leben geschworen haben, zu schweigen, Sango? Das können nur sehr mächtige Dämonen fordern...“, sinnierte Miroku, dem Kohaku nickend beipflichtete.
 

War Myōga dafür nicht in der Regel viel zu sehr auf sein Wohl bedacht?
 

„Der Herr war unglaublich mächtig!“, demonstrativ verschränkte Myōga sogleich seine beiden Armpaare vor seiner vor Stolz aufgeplusterten Brust.
 

„Das heißt also, du bist wieder zu nichts nutze“, konstatierte Inu Yasha prompt – ungeachtet der Tatsache, was sein Vater für Methoden wohl angewandt hatte.
 

Schließlich war der ein Dämonenherrscher gewesen, der hatte sicher gewusst, wie man mit dem Pack umging.
 

„Das ist...“, setzte Myōga an, sich zu echauffieren.
 

„Aber irgendetwas musst du uns doch sagen können, Myōga“, jammerte Shippō in seiner hellen Kinderstimme kläglich dazwischen, als ihn die Neugierde unbarmherzig zwickte.
 

Darum sah wohl auch Kagome letztlich davon ab, den mürrischen Halbdämon gebührend zurechtzustutzen, um stattdessen den Fuchsdämon an ihre Seite zu nehmen. Sie kniete längst wieder vor der unnatürlich blassen Schwarzhaarigen, die unaufhörlich zitterte. Das Gift musste bereits lange einwirken. Unmöglich zu sagen, wie lange sie dem noch standhielt. Fürsorglich strich Kagome ihr über ihren unsagbar weichen Schopf. Ihr Haar war klebrig, ihr so ansehnliches Gesicht schweißbedeckt und schmerzverzerrt. Dennoch erahnte sie die unnatürliche Schönheit und Anmut, welche ihr zu Eigen war. Sie war eiskalt.
 

„Nicht viel, es gab da einst dieses Bündnis zwischen Eurem verehrten Vater und dem Gott der Götter, auf das sich Euer verehrter Vater, Inu Yasha-sama, sehr zu unser aller Unwohlsein einließ...“, verklang fast ungehört in Kagomes Rücken.
 

„Aber, warum ist das nicht gut?“, begehrte der Kitsune sogleich auf.
 

Sein Vater hatte es stets als Ehre bezeichnet, wenn der Fruchtbarkeitsgott oder die Göttin nach ihren Diensten verlangt hatten. Nur die Zuverlässigsten und Mächtigsten kamen zu diesen Ehren.
 

Doch statt des alten Flohgeists gackerte der Grünling aufgebracht dazwischen: „Klar, dass du verräterischer Kitsunenjunge das nicht verstehst. Deine Art verrät unsere schon seit Anbeginn!“
 

„Ja, auch wenn die mächtigen Yōkai mit den Göttern verfeindet sind, so haben doch letztlich alle sterblichen Wesen eine Wahl. Und die Kitsunen dienen eben Inari... Manche Götter verschrieben sich ja auch dem dunklen Sohn der Mutter Erde“, sprang Miroku schützend dazwischen.
 

Er wollte eine Grundsatzdiskussion nun wirklich vermeiden. Da kein weiterer Einwand, auch nicht von Myōga, erfolgte, glaubte er sich damit auch nicht allein. Es schien zu genügen, um dem Froschdämon das übergroße Mundwerk zu versiegeln- er schnaubte zwar eingeschnappt etwas, das nach “Mönch“ und irgendeiner Beschimpfung klang, die Angesprochener geflissentlich ignorierte, schwieg jedoch dazu.
 

„Momentmal Pakt mit dem Gott der Götter“, wurde Kagome letztlich stutzig.

Automatisch wanderte ihr Dunkelbraun zu dem Mönch.
 

„Kagome, was ist?“
 

„Inu Yasha, Kagome-sama und ich nehmen Magie bei ihr wahr- anders als unsere aber doch irgendwie vertraut“, lenkte Miroku das Gelbgold des Angesprochenen umgehend argwöhnisch zurück auf den Flohgeist.
 

Der seufzte erstmal schwer. Das würde brenzlig werden; das sah er schon. Andererseits waren sie ja eh schon am richtigen Weg...
 

„Myōga!“, war lebensbedrohlich.

Schon allein, weil Inu Yasha sogar auf die übliche Anrede verzichtete.
 

„Sie ist eine Göttin“, verblüffte der Flohgeist dann alle.
 

„Was?!“, entkam es allen Freunden wie aus einem Munde.
 

„Das kann nicht...“, „was will er mit ihr?“, wunderten sich die Freunde wild durcheinander quasselnd, ohne, dass der oder die Verursacher klar feststellbar waren.

Jaken wurde indes schwummerig.
 

„Vielleicht verspricht er sich etwas davon, wenn er ihr hilft?“, kam die Dämonenjägerin mit der ersten brauchbaren These.
 

„Nein, dafür war Sesshōmaru zu aufgebracht.“
 

„Inu Yasha hat recht, Sango“, pflichtete Miroku seinem Freund grüblerisch bei.
 

„Wer weiß, am Ende hat er vielleicht noch eine Rechnung mit ihr offen – und möchte das selbst erledigen? Er folgt doch schon immer so seiner eigenen Logik“, von Shippō rief Jaken auf den Plan.
 

„Sesshōmaru-sama würde niemals mit den Göttern paktieren! Mit denen hat er nichts zu schaffen!“, entrüstete sich der Grünling sogleich.
 

Beide stierten sich daraufhin feindlich nieder, wie es immer irgendwann der Fall war, wenn sie sich trafen.
 

Myōga spürte förmlich die Zornesröte in sein Gesicht steigen und noch ehe er es verhindern konnte, entfuhr es ihm: „Sie ist seine Gefährtin!“
 

Jetzt war es doch raus und er konnte einzig hoffen, dass der Ältere der Brüder ihn nie zwischen die Klauen bekam.
 

Für den Augenblick umfing sie Totenstille. Einzig der Wind und das Keuchen Ishizus durchbrachen diese zuweilen. Selbst Kagome hatte ihr Dunkelbraun kurzzeitig ungläubig von ihr ab zu dem Flohgeist zwischen Inu Yashas Klauen erhoben. Allen stand die Überraschung in ihre Gesichter geschrieben.
 

„Gefährtin bedeutet so etwas wie Ehefrau, richtig?“, wollte Kagome sich mit Blick auf ihre Patientin vergewissern.
 

Es war einfach unvorstellbar.

Auch Jaken glaubte sich verhört haben zu müssen. All die Jahrzehnte hatte Sesshōmaru nichtmal im Ansatz auch nur eine Gefährtin angedeutet! Nun gut, die Frau Mutter hatte er auch erst kürzlich kennen gelernt – er ahnte auch warum. Aber eine Göttin? Sein Meister verachtete einfach alles, wofür sie standen.
 

„Ja, Kagome-chan. Deshalb hat er also gezögert“, fand Sango wieder zu ihrer Sprache, während die Freundinnen sich in ihrem Unglauben ansehen.
 

Kirara setzte bereits zurückgekehrt ins Kleinformat miauend zum Sprung auf ihre Arme an. Wie stets beruhigte es sie, ihr weiches Fell zu streicheln. Kohaku riskierte ein Lächeln, als ihr Blick den Seinen fand. Irgendwie hatte wohl nicht nur sie sich das bei dem Dämon nie vorzustellen gewagt. Nicht, dass sie sich je darüber Gedanken gemacht hätte, woran und ob der überhaupt an so etwas interessiert war.
 

„Stimmt, es schien fast so, als wollte er Tenseiga ziehen, kurz bevor ihre Stimme uns erreichte “, pflichtete Miroku ihr bei.
 

„Dafür wirkte er auf mich aber eher schockiert als erfreut, als wir sie hier fanden“, klang der Fuchsjunge fast enttäuscht.
 

„Das könnte daran liegen, weil er sie heute das erste Mal seit 400 Jahren wiedergesehen hat, Shippō“, sorgte Myōga doch tatsächlich für noch mehr Erstaunen.

Ein wohlgehütetes Geheimnis

D

ie Rückkehr lässt dich den Abschied lieben. (Alfred de Musset)


 

Golden senkte sich das Antlitz der Mutter Sonne vom Himmel auf ihre Welt herab. Gedämpft durch so manches Japanpapier säumten ihre Strahlen den polierten Holzboden zu ihren Füßen im Muster der Schiebetürenreihen.

Nicht eine einzige Wolke verdeckte den blauen Himmel an diesem Tag.

Es war der Tochter als verhöhnte sie die mütterliche Wiedersehensfreude. Woher auch sollte sie verstehen, wie schwer ihr dieser Gang fiel. Einzig dafür hatten sie sie geschaffen.

Ihr war längst weit über ihren Zustand hinaus unwohl. Tee hin oder her.

Zentnerschwer wogen die Lagen an Stoff auf ihren zarten Schultern.

Wie ausgestorben wirkte die Anlage auf sie kalt - ohne jegliches Gefühl. War sie je eine Heimat für sie gewesen? Sie vermochte sich nicht daran zu erinnern, so unumstößlich hatte der Schock ihr jegliche Wärme entrissen. Selbst von ihrer Schulter klang kein Laut hinter ihrem pechschwarzen Haar hervor. Sie trug es offen, sodass sich der Geruch nach Kirschblüten wie ein naturgegebener Duftschleier um sie gelegt hatte. Es war fast wie damals bei ihrer Ankunft. Nur, dass sie dieses Mal spüren konnte, wie sehr es ihn quälte. Es brach ihr das Herz, als sie ihr unmenschliches Meeresblau kaum merklich auf sein so fremdartiges Silber vor sich erhob. Automatisch erinnerte sie die Weichheit seiner Struktur – und verankerte sie fest in ihrer Erinnerung.

Er gab den Takt vor, in dem das Metall ihres Begleiters zu ihrer Seite klirrte, ebenso wie der Stoff ihrer Damen, welche sie flankierten die leeren Gänge entlangscharrte. In gewohnt stoischer Gleichgültigkeit schritt er voran, sodass sie abermals nicht darum herumkam, ihn um seine meisterhafte Kunst, die Fassung zu wahren zu beneiden.

War ihr doch längst ein jeder Atemzug zu einer einzigen Qual geworden. Denn ein jeder ihrer engbegrenzten Schritte trug sie unweigerlich dem Unausweichlichen entgegen.

Nicht, dass sie es nicht gewusst hätten. Es war von Beginn an klar gewesen. Für sie beide.

Nicht, dass es ihnen nicht fortan stets bewusst gewesen wäre. Es hatte nie ein anderer Ausgang, eine andere Konsequenz aus ihren Entscheidungen resultieren können.

Dennoch fühlten sie sich nicht minder bereit dafür, als wäre es überraschend über sie hereingebrochen.

Intuitiv wanderte ihre zierliche Hand an ihre Mitte. Es wurde zu ihrer Rechten im Augenwinkel aufgefangen und mündete in einem mitfühlenden Lächeln, ehe die tiefe Schuld es ungesehen wieder verlosch. Nicht einmal ihre schneeweiße Wölfin wagte ein Winseln.
 

Ihre Verzweiflung war unverkennbar. Das roch nicht nur seine ausgeprägte Nase, hörte nicht nur sein feines Gehör.

Doch, er spürte sie in seiner eigenen Brust. So wie ihre Anspannung auch seine Muskeln merklich strapazierte und sein Herz in demselben wilden Rhythmus gegen seinen Brustkorb trieb. Genau so erschwerte sie auch ihm das Atmen. Unmöglich auszumachen, von wem welche Empfindung nun genau stammte. Eine befremdliche und beängstigende Absonderlichkeit, die in nie gekanntem Ausmaß an seiner Fassade zerrte.

Sie fürchtete nicht nur ihre Konfrontation, sondern auch seine, erkannte er da.

Das Surren seiner machtvollen Energie hatte sich ebenso bedrohlich auf ihre Sinne gesenkt wie auf die Seinen und hielt sie seither unbarmherzig in ihrem eisernen Griff umschlossen.

Als der Druck bis ins Unerträgliche anwuchs und ihr Herz zu zerspringen drohte, überraschte sie seine urplötzliche Regung.
 

Pfeilschnell langte seine Klaue an ihr vorbei an ihre Schulter, ohne diese jedoch je auch nur zu berühren. Es ging zu schnell, um sogleich zu begreifen, wessen unerwünschter Präsenz er sich so entledigt hatte.

Da stoben bereits die Türen im vertraut gedämpften Schaben auseinander. Ihr entglitt ein Lächeln, als die Berührung seiner Klaue um ihr Handgelenk elektrisierend durch ihren zierlichen Körper fegte. Sie folgte seinem Zug wie einem naturgegebenen Reflex, als er sie vor aller Augen in den kleinen Nebenraum drängte.
 

Das leise Knurren ihrer Wölfin begleitete das Geräusch der sich schließenden Türen in seinem Rücken, als er sie im wahrsten Sinne des Wortes aussperrte.
 

Sogleich gesellte sich die etwas stämmigere Braunhaarige zur schneeweißen Hundeartigen, welche warnend die Zähne fletschte. Beide bezogen sie so unmissverständlich zwischen den Schiebetüren und den jungen Bewaffneten Stellung.
 

„Sie wollen sich doch nur verabschieden“, warb die augenscheinlich Ältere mit den ersten Falten im Gesicht um Verständnis.
 

Auf den ersten Blick standen sich Dämon und Menschenfrau im altvertrauten Zwist feindlich gegenüber. Dann gesellte sich eine Dämonin an ihre Seite. Sie wirkte kaum älter als fünfzehn und war hübsch - auch für ihre Art.
 

„Yoko, Nozomi, geht aus dem Weg“, bat der äußerlich nicht viel älter erscheinende Dämonenkrieger – ein Aufseufzen unterdrückend.
 

Noch schien er einzig seinem Befehl pflichtbewusst nachkommen zu wollen – ohne die Dienerinnen auch nur irgendwie angehen zu wollen.
 

„Du bist jung, Takeo-kun, auch für einen Dämon, deine Position ist noch ohne jegliche Verantwortung. Wie groß also kann dein Fall sein, wenn du deinem Prinzen diesen letzten Wunsch gewährst - und deinen Befehl etwas weiter auslegst? Bedenke, er ist deine Zukunft“, von der Alten zeigte offensichtlich Wirkung.
 

Besagtem Dämonenprinzen fehlte bereits jegliches Interesse an dem Geschehen vor den geschlossenen Türen. Sein Raubtiergold lag längst charakteristisch funkelnd im Halbdunkeln des ungenutzten Raumes auf ihrem so ansehnlichen Lächeln.

Automatisch fanden ihre Arme um seinen Nacken, noch ehe er ihr Gesäß unterfasst und ihr Fliegengewicht in so lange schon wohl vertrauter Weise auf seine Hüfte geladen hatte. Seine Lippen dämpften ihr überraschtes Aufkeuchen, als sie sich sogleich von seiner Wärme gegen die Holzwand gepinnt wiederfand. Sein Kuss war rau und alles verzehrend. Bedürftig und Nähe spendend zugleich. Er gab ihr Halt und Kraft und entzog ihr gleichzeitig jeglichen Bodenkontakt. Die Welt drehte sich um sie allein, als ihre Empfindungen wild in ihnen umeinander purzelten und sie in einen schwindelerregenden Strudel ihrer Gefühle füreinander zogen.
 

Erst, als sie schweratmend voneinander abgelassen hatten, ihre Stirn schwer gegen seine gesackt war, und sein Daumen zärtlich ihre Träne hinfortwischte, erschloss sich ihr die Feuchtigkeit auf ihrer Wange. Diesmal musste er nicht danach fragen, warum sie weinte.
 

Es senkte ihr unergründliches Götterblau auf sein raubtierhaftes Gold. So voller Zuneigung, wie er es einzig von ihr kannte.

Wieder versank er haltlos in ihrem Meeresblau, welches die runden Pupillen ganz weit in den Hintergrund entrückte, wie es die Eigenart der Götter war. Es entriss ihm seine restliche Fassung, als sie ihre Fingerkuppen auf ihre einzigartige Art und Weise über seine Dämonenstreifen tupfte- wie Regentropfen im leichten Sommerregen.
 

>Ich kann das nicht<, überflutete seine Gedanken mit ihrer Trauer.
 

„Ishizu“, entfuhr es ihm sogar - und kribbelte durch ihren Körper.
 

Es kam verdächtig nahe an ein Seufzen heran. Sie spürte ihn um seine eigene Fassung ringen. Diesmal tat es ihr weh.
 

„Lass mich meinen Onkel...“, begehrte sie flüsternd auf.
 

Ein letztes Mal. Ihre Verzweiflung drohte ihn zu überwältigen. Also stoppte er es in einem gefühlvollen Kuss. Verzweifelt krallten sich darunter ihre filigranen Finger in sein flüssiges Silber, während sie sich so eng an ihn schmiegte wie die Ertrinkende an das rettende Holz.
 

„Es scheint dir unmöglich, nicht zu hoffen, Göttin der Hoffnung“, entlockte diesmal ihr einen leisen Zug um ihre Mundwinkel.
 

Er spürte ihn direkt über den Seinen. Die Belustigung verwehrte sich ihnen beiden, als sie einzig mit traurigem Glanz in den so atemberaubend ansehnlichen Zügen seinen Pony zurückstrich - einen Abklatsch ihres sonst so heiteren Lächelns auf den Lippen.
 

>Wenn sie es schafft, wird er mich niemals wieder zu dir lassen<, davon war die Tochter felsenfest überzeugt.
 

>Es ist kein Ort für euch – geh mit ihnen<, demaskierte seine Machtlosigkeit gnadenlos.
 

Auch weil er sich wiederholte – gefühlt zum x-ten Male innerhalb der vergangenen Nacht.
 

Längst erkundete ihre Fingerkuppe verträumt die Weichheit seiner Sichel auf seiner Stirn. Automatisch glitt sein Raubtiergold hinauf an die Ihre. Zu der Unmöglichkeit, die er ihr aufgedrängt hatte - vor so kurzer Zeit. Und die nun alles offenbart hatte und mit einem Schlag beendete.
 

„Ich werde mich ihm widersetzen, wenn sie nicht...“, flüsterte sie mit erstickter Stimme und musste doch abbrechen.
 

Sie brachte es einfach nicht über ihre Lippen. Wie sollte sie es denn dann, gesetzt den Fall, überstehen?

Es warf ihn schlagartig zurück in seine eigene Ohnmacht. War er ehrlich, so wusste er gerade nicht recht zu sagen, ob er sich das so wünschte. Nur, dass es der einzig gangbare Weg war, solange sie noch so hilflos war. Dennoch nickte er. Niemals könnte er sie abweisen.

Zart tupfte sie da ihre Lippen auf seine, ehe ihre Stirn zurück gegen seine fand.
 

>Ich bin dein<, ereilte ihn so voller Gefühl – und hallte in völligem Wohlgefallen durch seinen Körper.
 

Es entsprang der fassungslosen und schier grenzenlosen Freude über die undenkbare Unmöglichkeit ihrer Verbindung, welche die Grenzen ihrer Welt erbeben ließ.

Sie hatte vor langer Zeit nachgegeben, erkannte er da. Mochte sie es ihm auch starrköpfig, wie sie war, bis jetzt nicht preisgegeben haben. Nun lag es offen vor ihm. So wie die Unmöglichkeit ihrer Verbindung offen vor aller Welt lag.
 

Es raubte ihm ein schmales Lächeln, ehe er seine Lippen hingebungsvoll mit ihren verschloss.

Geräuschvoll brach ihr Luftholen unter den begierigen Zärtlichkeiten immer wieder die geruhsame Stille. Ihre Atmung erzitterte hörbar unter ihrer Verzweiflung. Es war ein gestohlener Moment der Zweisamkeit, eine stibitzte Zärtlichkeit, wie es so Unzählige gegeben hatte. Und doch sprengte es diesmal jegliche Gewohnheit.
 

>Ich weiß nicht, wie...<, offenbarte die Last ihrer Verantwortung.
 

>Du setzt einen Schritt vor den anderen, Ishizu<, entlockte ihr einen Laut der reinen Niedergeschlagenheit an seinen Lippen.
 

Es war von solcher Bitterkeit getragen, dass es ihn schier zerriss. Immer fester umschlangen ihn ihre zierlichen Arme. Ganz eng schmiegte sich ihr so wohlvertrauter Körper an ihn, als wollte sie ihm die Luft zum Atmen rauben. Immer drängender, immer verzweifelter trafen sich ihre Lippen. Ihre Atemzüge erfüllten die Luft und doch wollte niemand vom anderen ablassen, bis sie sich der Lebensnotwendigkeit geschlagen geben mussten. Schwer rangen beide nach Atem, während ihre Hände seine Wangen bargen, Nase gegen Nase sank und ihre Blicke sich erneut verfingen.
 

„Dann will ich, dass du das auch tust“, erwischte ihn eiskalt, mochte sie es auch noch so zärtlich gewispert haben.
 

>Ishizu...<
 

>Ich gebe dich frei. Du bist nicht länger an dein Versprechen gebunden, Sesshōmaru<, ließ ihre liebliche Stimme selbst in seinen Gedanken erzittern.
 

In diesem Moment bereute er, es ihr je erläutert zu haben.
 

Er konnte fühlen, wie weh es ihr tat, als er sachte zurückwich. Nicht weit genug, um ihr seine Präsenz zu entziehen, jedoch ausreichend weit, um sie anzusehen. Die Wand in ihrem Rücken war nicht genug der Stabilität. Sie brauchte einen Moment, um ihren Blick in seinen zu erheben, erspürte sie doch längst den Tadel, der darin für sie lag.
 

>So funktioniert das nicht, Megami.<
 

Er hatte gewählt – nicht einfach nur genommen. So wie sie auch.

Beinahe versöhnlich langte sie nach seiner Wange und begann auf ihre einzigartige Weise behutsam über seine Dämonenstreifen zu streicheln – wie nie eine vor ihr dies je vermocht hatte und erst recht niemals eine nach ihr dies vermögen würde. Am Rande registrierten sie die leise Unruhe, welche noch nicht bis vor ihre Türen gelangt war.
 

Beide beschlossen sie in diesem Augenblick, es zu ignorieren, als stattdessen ihre andere Hand den Kragen seines Kimonos packte. Diesmal folgte er ihrem Zug an ihre Lippen. So sehr er sich auch von ihrer hingebungsvollen Zärtlichkeit mitreißen ließ, verfolgte er doch jeden ihrer Gedankengänge – und sie ließ ihn.

Nach den letzten Geschehnissen ging sie davon aus, dass die Magie, die eine Bindung erforderte eine andere war, als die, die eine Markierung vermochte. Somit schloss sie völlig richtig, dass die Kinder, die aus einer Markierung hervorgingen im Nachteil waren. Darum wurden die aus einer Bindung bevorzugt. Dennoch hegte Ishizu keinen Zweifel daran, dass seine Macht und sein Potenzial diese Diskrepanz locker auszugleichen vermochten – ebensowenig wie er.
 

>Ich markiere nicht, Ishizu<, fuhr er ihr dennoch gebieterisch dazwischen.
 

Es löste ihre Lippen von den seinen. Abermals strich sie seinen Pony aus seinem Gesicht, während sein Raubtiergold beruhigend hinauf in ihr wild flackerndes Meeresblau sah.
 

„Versprich mir stattdessen, dass du nichts riskierst. Keine sinnlosen Kämpfe, keine Anmaßungen – stirb mir einfach nicht“, flehte sie nahe über seinen Lippen.
 

Es offenbarte schamlos ihre größte Angst: seine Sterblichkeit.

Sie hielt ihn nicht für schwach, das wusste er. Vielmehr kannte sie seine Vorliebe für, wie sie es auffasste, riskante Spiele und seinen grenzenlosen Ehrgeiz. Und so trieb es seine Lippen nur erneut herrisch auf die ihren. Noch enger umfasste er ihre zierliche Gestalt da, sodass ihre Herzen sich schmerzvoll zusammenzogen. Es schnürte ihr die Kehle zu – und damit ihm.

Sie kämpfte mit den Tränen, schmiegte sich so eng an ihn, als wollte sie ihn ja nie wieder loslassen und presste ihre Lippen nur noch fester auf seine. Sie war nicht einmal mehr bereit dazu, von ihm abzulassen, um zu Atem zu finden. Kein Blatt Papier wollte sie mehr zwischen sie lassen. Als sich die erste Träne aus ihrem vollen Wimpernkranz löste, ging ihr das Poltern der vertrauten Stimme durch Mark und Bein. So hatte sie ihn noch zu selten erlebt - und nie erleben wollen.
 

„Sesshōmaru, muss ich erst reinkommen!“
 

Sie erzitterte merklich in seinen Armen. Er war unverkennbar gereizt. Und dennoch zeigte der Sohn dieses Mal nicht mal im Ansatz die Bereitschaft dazu, dem Vater Folge zu leisten. Haltsuchend verkrallten sich ihre filigranen Finger in seinem samtenen Haar, als seine Zärtlichkeit unablässig anhielt.
 

>Wir sollten...<, setzte sie behutsam an - ohne es wirklich zu wollen.
 

>Du kannst dem jederzeit nachkommen<, wirkte nicht mal an der Oberfläche versöhnlich.
 

Es war eine Zwickmühle, wie sie im Buche stand. Er hielt sich zurück, verfolgte bewusst ihre Schlussfolgerungen – ohne sich einzumischen. Denn auch ihr war klar, sollte sie ihrem zu Recht aufgebrachten väterlichen Freund nachkommen, würde sie ihren Gefährten zurückweisen. Sie kannte seinen Stolz - und erahnte die fatale Wirkung auf ihn. Das verkraftete er nicht; nicht heute - und nicht gegen den Vater, der sie trennte.

Sollten sie ihn jedoch weiterhin ignorieren, machte sie das unwiderruflich zu dem Keil zwischen Vater und Sohn, den Letzterer gerade genüsslich in die frische Wunde trieb.
 

>Willst du mir das wirklich antun und es auf die Spitze treiben?<, fragte sie daher direkt.
 

Da begann er, die Umarmung zu lockern, sodass sie behutsam an ihm entlang auf ihre Beine hinabgleiten konnte, ohne jedoch den Kontakt ihrer Lippen zu lösen. Sie dankte es ihm im Stillen, während die Türen bereits laut krachend in ihren Rahmen fuhren.
 

Diesmal zuckte sie sichtlich zusammen. Ihre Atmung geriet ins Stocken, dennoch ließ sie ihn ihre Zärtlichkeit beenden. Es war sein Gold, welches ruhig ihr flackerndes Meeresblau empfing, als sie die Augen mit flatternden Augenlidern öffnete. Automatisch entglitt ihr ein liebevolles Lächeln, während sein krallenbesetzter Daumen in einer Behutsamkeit die Träne von ihrer Wange strich, wie sie nicht nur der Vater nie zuvor erlebt hatte.
 

„Ihr hattet die ganze Nacht Zeit, euch zu verabschieden“, war ein nur zu deutlicher Vorwurf, den der Sohn eisern mit Nichtachtung strafte, ehe er sich zum Vater umwandte.
 

Der stand in der Tür, den wieder zu Bewusstsein gelangten Flohgeist auf der Schulter. Sein Gebaren weniger erhaben denn offen drohend - und nur zu deutlich erzürnt. Natürlich hatte diesmal niemand eingegriffen.
 

Zur Überraschung aller senkte Sesshōmaru den Blick nicht wie üblich, sondern erhob ihn stattdessen herausfordernd in den des Vaters, seines Fürsten.
 

>Bitte, tu das nicht<, wollte Ishizu gedanklich eingreifen.
 

Er schien es ignorieren zu wollen. Beide, Vater und Sohn, fixierten einander, wie es niemand je für möglich gehalten hätte. Die Temperatur sank auf ein nie dagewesenes Minimum. Es veranlasste diesmal den sonst so beherrschten Herrn der Hunde dazu, seine Augenbraue zu zücken. Eine nur zu deutliche letzte Warnung.

Einzig Ais Winseln verklang ungeachtet in der zum Zerreißen gespannten Stille.
 

>Sesshōmaru, bitte, tu dir das selbst nicht an<, zupfte es dann an seinem Ärmel.
 

Letztlich beunruhigten ihn ihre Empfindungen; und lenkten so schlussendlich sein Gold ab vom Vater hin an seine Seite, wohin sie längst gefunden hatte. Ein nie zuvor gekanntes Flehen lag in ihrem Blick, den sie zu ihm hinaufsandte, sodass es ihm eiskalt den Rücken hinablief. Wusste sie etwas? Doch als er nachforschen wollte, senkte sie ihr unergründliches Meeresblau demütig zu Boden.
 

„Wir sind bereit, Oyakata-sama“, bemühte sie sich, die Wogen zu glätten.
 

Beide Hundedämonen erkannten, in welcher Absicht sie den Namen umging.

Der Anflug von Wehmut, welcher über die Züge ihres Gegenübers huschte, kaum lag sein dunkles Gold auf ihrem Pechschwarz entging ihr, weil sie es nicht wagte, den ihren zu heben in dem Schuldbewusstsein um ihren Verrat an dem Freund.
 

„Etwas höher bitte, Sesshōmaru-sama. Ich komme noch nicht ran“, brach die kindliche Stimme urplötzlich durch seine Gedanken.
 

Mit keiner Regung offenbarte er die grenzenlose Überraschung, die ihn eiskalt erwischt hatte, als er stattdessen sachte in die Höhe stieg. Rin hatte sich scheinbar in seinem Arm beinahe die Schulter ausgekugelt in dem Bemühen, an die Pflanze über ihnen zu kommen, ehe sie gewagt hatte, ihn zu stören. Mit der anderen Hand hielt sie das seltsam längliche Utensil der Miko und leuchtete längst durch die Finsternis.

Seiner Meinung nach teilte sie wenig mit ihren Schützlingen, doch Rin erinnerte ihn an ihre stoische Unnachgiebigkeit.

Dennoch drängte sich das Menschenmädchen nie auf, sondern blieb stattdessen ruhig und wartete einfach, bis man ihr nachgeben musste. Nie erhob sie die Stimme. Generell war sie ein sonderbar annehmbarer Mensch, hatte sie doch lange das Sprechen verwehrt und blieb auch heute noch beim Nötigsten.
 

„Hab sie“, lachte sie dann in seine ausdruckslosen Züge, wie einst.
 

Offen und ehrlich – und ohne jegliche Furcht, wie er das nur von einer bis dato gekannt hatte.
 

Abermals pfiff der Wind über die Lichtung, welche allmählich der Dunkelheit anheimfiel. Die Totenstille dröhnte in aller Ohren.
 

Inu Yasha war einfach zu perplex, um auch nur eine Reaktion zu zeigen. 400 Jahre war eine lange Zeit. Er hatte 50 “verschlafen“, notgedrungen, ehe Kagome den Bann gelöst hatte. Und hatte es anfangs schwer gehabt, sich zurechtzufinden. Doch 4 Jahrhunderte ohne den anderen... Und, dass das Sesshōmaru juckte, das hatte selbst er gesehen. Müsste er raten, so war der Ältere zuerst total überrascht, dann geschockt und überfordert, daraufhin besorgt und letztlich fuchsteufelswild gewesen. Er tat ihm doch tatsächlich leid. Instinktiv glitt sein Gelbgold über die verzerrten Züge der Gefährtin seines Bruders.
 

„Wo war sie all die Jahrhunderte?“, wollte Shippō letztlich wissen.
 

Jaken setzte sich derweil an die Rückseite des Reitdrachens – einfach nur völlig erschlagen von den Neuigkeiten. Ihm dämmerte da so eine Ahnung.
 

„Ich nehme an im Palast ihres Vaters“, bemühte Myōga.
 

Und er hatte keinen blassen Schimmer, was sie dazu bewogen hatte, zurückzukommen.
 

„Ich hatte gar nicht gewusst, dass so etwas überhaupt möglich ist“, sprach Miroku wohl nur einen Gedankengang laut aus.
 

Es lenkte alle Blicke umgehend auf ihn.
 

„Was meinst du damit?“, wollte Kagome wissen.
 

Sie löste sich nur allmählich aus ihrer Starre und begann nur langsam damit, in ihrem Rucksack nach der Wasserflasche und der Schale zu kramen.
 

„Nun ja, Kagome-chan“, setzte Sango mit Blick zu ihrem Hōshi da an.
 

„Was Sango damit wohl sagen will, ist, dass unsere helle Magie von den Göttern stammt. Kagome-samas Pfeile läutern Dämonen normalerweise...“, setzte Miroku nachdenklich an.
 

„Wenn nun aber Dämonen sich verbinden, dann verbinden sie auch ihr Yōki“, erläuterte Sango weiter.
 

„Ihr glaubt also, dass ihre göttliche Energie mit der Sesshōmarus...“, setzte Kagome ungläubig an.
 

„Das ist nicht möglich“, taten es sowohl Shippō als auch Jaken sogleich ab.
 

Der eine völlig verblüfft, der andere absolut entrüstet.
 

„Aber `Sesshōmaru-sama´ hat mit Göttern nichts zu schaffen, hm, Jaken?“, hob Inu Yasha den grünen Quälgeist nachäffend vor sich in die Höhe.
 

Es war offensichtlich, dass er mal wieder ein williges Opfer glaubte gefunden zu haben. Erst recht, als der dem jüngeren Bruder seines Meisters in gewohnt feindseliger Manier entgegenstarrte. Seltsamerweise aber blieb der stumm. Selbst Jaken dämmerte gerade, wessen hochgeschätztes Ansehen er da im Begriff war zu beflecken, sollte er sich hier auch nur den Hauch eines Tadels erlauben. Er sah seine Lebenserwartung gerade auf einen neuen Tiefstand sinken.
 

„Nun, das hat uns damals auch verwundert, aber wenn ihr mich einfach wissen lassen könntet, wie die Sache ausging...“, packte Myōga bereits auffällig seinen Reisehut auf Inu Yashas Schulter aus.
 

Kagomes ersticktes „Inu Yasha“, hielt dann auch ihn letztlich auf und beorderte seine Aufmerksamkeit pfeilschnell zurück auf die Göttin.
 

Kagome hatte begonnen, ihr Tuch im Wasser zu tränken, um ihrer Patientin den Schweiß abzutupfen. Letztlich hatten sie in all der Eile nur nach dem Ursprung für ihren Zustand gesucht und ihrem Äußeren keine weitere Beachtung geschenkt. Ihre Kleidung war einfach, unscheinbar und entsprach der hiesigen Landbevölkerung – das Haar trug sie zurückgebunden, wie die Dorffrauen am Feld. Ihre Statur war schlank und ähnelte wohl der von Dämonen.

Letztlich hatten sie so alsbald den zierlichen Arm freigelegt, welcher durch die geschwollene und rötlich pochende Erhebung den Insektenstich vermuten hatte lassen.

Jetzt jedoch war sie ihrer Neugierde gefolgt und hatte mit dem ansehnlichen Gesicht der Göttin begonnen.

Ihre Haut war hell wie Kalzit und makellos. Die Stupsnase klein, die Wangenknochen hoch. Die geschlossenen Lider ließen auf große Augen schließen. Auch wenn sie vor Pein zuckten und aufeinandergepresst waren. Ihr Gesicht glich in Form eigentlich dem des älteren Bruders. Es war spitz und schmal. Nicht einmal der Schmerz vermochte es, ihr ihre betörende Schönheit zu rauben.

Doch sobald sie den pechschwarzen Pony, dessen Strähnen auf ihrer Haut klebten, beiseite gestrichen hatte, hatte sie entsetzt innegehalten und nach ihrem Hanyō gerufen.
 

Alle beäugten die blaue Sichel Sesshōmarus mit großen Augen. Jaken schluckte. Das war der Beweis. Sein Meister hatte es vermocht, eine Göttin zu zeichnen. Unvorstellbar. Für so mächtig hatte nicht einmal er ihn befunden. Nicht, dass er das jemals zugegeben hätte.
 

„Das ist kein Mal“, stutzte Kagome.
 

Sie wollte gerade mit dem Tuch die feine Struktur, welche das Mondlicht seltsam brach, erkunden, da fuhr ihr ausgerechnet Myōga dazwischen: „Das würde ich nicht tun, Kagome.“
 

„Ein Gottesstein“, erläuterte da zur Überraschung aller Inu Yasha.
 

„Sind die nicht normalerweise rautenförmig“, lenkte Myōgas Glubschaugen interessiert hinauf in die Züge des Jüngsten der Söhne seines verstorbenen Meisters.
 

Anscheinend hatte sein verehrter Herr seiner Menschenfrau davon erzählt. Und die wiederum ihrem Sohn. Denn für gewöhnlich wussten ihre Schützlinge kaum etwas über ihre Götter. Er musste also auch das lange vorbereitet haben.
 

„Du meinst, so wie bei den Shitōshin, Inu Yasha?“, quakte Shippō wieder neunmalklug dazwischen.
 

„Sie sind schmaler und kleiner - und keine Zeichnung, eher eine Art Energiestein“, verbesserte Myōga da.
 

„Aber, war das bei denen nicht auch ein Juwel und kein Mal?“, blieb der Kitsunenjunge hartnäckig.
 

Er würde doch bleiben müssen, schon allein ihretwegen. Nicht, dass die Brigade noch auf dumme Gedanken kam. Er musste einzig vorsichtig sein, mit dem, was er ihnen anvertraute. Denn, da machte sich der Flohgeist keine Illusionen. Sollte ihm etwas entkommen, was der Hundedämon auch nur im Ansatz als Gefahr für seine Göttin identifizierte, so war sein Schicksal endgültig besiegelt.
 

„Wie auch immer, bei Göttern erwachsen diese Steine aus ihnen selbst heraus. Es ist keine ihnen von außen eingepflanzte Kraft“, verbesserte Myōga, der sich natürlich wenig um diese vier Daiyōkai scherte, welcher sich sein verstorbener Herr leider nicht mehr hatte annehmen können.
 

Umso besser, dass Inu Yasha-sama sich der Sache endgültig angenommen hatte.
 

Für Inu Yasha war einzig der erste Teil der Erklärung von Interesse.
 

„Berühr ihn nicht, hörst du, Kagome“, mahnte er seine Miko daher sogleich.
 

Wer wusste schon, was die Mischung aus Sesshōmarus Yōki mit der Energie einer Göttin anrichten konnte. Er wollte das jedenfalls nicht herausfinden. Nicht so.
 

Allerdings warf das Ganze hier das Interesse seines Bruders an dieser vermaledeiten Insel in ein neues Licht. Hatte er doch nie recht verstanden, was der auf Hōrai gewollt hatte. Vaters Anliegen waren für den doch nur in ausgewählten Fällen von Interesse gewesen. Nämlich in der Regel dann, wenn es um mächtige Schwerter gegangen war, die der hinterlassen hatte. Zum Aufräumen. Um Ryukotsusei oder auch Menomaru hatte der sich beispielsweise nie gekümmert. Da hatten Tessaiga und er ran müssen. Es musste ihm mehr als nur sehr ungut aufgestoßen sein, dass die sich als Götter ausgegeben hatten, wenn seine Gefährtin eine ebensolche war. Soweit wagte er den Älteren einzuschätzen.
 

Nachdem Kagome sich die Zeit genommen hatte, sich ihre Patientin etwas genauer anzusehen- ohne dabei dem ominösen Stein auch nur zu nahe gekommen zu sein, hatten die Freunde etwas Feuerholz zusammengetragen. Wie es aussah, blieben sie noch eine Weile. Die Nacht hatte sich über die Truppe gelegt, als Kagome gerade ihre neuzeitlichen Streichhölzer, sehr zur Irritation des Grünlings, zur Hand nahm. Sie wollte gerade ansetzen, eines zu entzünden, da huschte die Feuersbrunst zielstrebig an ihr vorbei, riss an ihrem Haar und entzündete das aufgestapelte Holz.
 

Nicht nur ihr Blick glitt mit einem mehr als nur zittrigen Lächeln zu dem Reitdrachen, der bereits wieder einen seiner Köpfe zur Seite der Göttin ablegte. Ach, das konnte der also einfach so, wenn die Nüstern frei waren.
 

„Danke, Ah-Uhn“, kam sie ihrer Erziehung noch nach.

Was ein Kindermädchen.
 

„Also war sie in Kannas Spiegel?“, lenkte dann ihr Augenmerk kurz auf Sango.
 

Man sammelte sich gerade um das wärmende Feuer. Kagome prüfte noch einmal den Zustand Ishizus. Ihr Zittern war nur mehr hintergründig. Sie hoffte, das Feuer half - und, dass der dämonische Gefährte bald kam. Sie waren noch nicht lange weg, dennoch, wer wusste schon, wie lange eine Göttin die gegensätzliche Energie aushielt. Damit erklärte sich Kagome zumindest ihre Bewusstlosigkeit, schließlich wirkte nicht nur das Gift in ihr.
 

„Hm, das würde bedeuten, dass Sesshōmaru sie mit Tenseiga befreit hat, als er den Spiegelrand zerstörte. Damit hätte Kannas Spiegel sie nicht nur angezogen, sondern auch noch ihre Seele beheimaten können“, sinnierte Miroku.
 

„Also, weniger ein Yorishiro, sondern eher wie ein Shintai, Miroku-sama“, das konnte sich Kagome nur schwer vorstellen.
 

Wie sollte der Hanyō da rankommen? Andererseits hatte der Spiegeldämon ja auch auf einmal Tessaigas Dämonenenergie absorbieren können. Warum dann nicht auch die einer Göttin? Waren die nicht irgendwie verwandt?
 

„Nunja, Kannas Spiegel hatte ja schon immer die Kraft, Seelen einzufangen, auch die einer Miko, Kagome-sama“, lächelte der Mönch zur Antwort.
 

„Aber gibt es die nicht nur in Schreinen? Also, doch eher ein Yorishiro“, wunderte sich der dämonische Götterbote.
 

Immerhin kannte Shippō die Schreine durch die Erzählungen seines Vaters.
 

„Ein Shintai kann alles sein, was den Kami eine Möglichkeit gibt, in unserer Welt zu sein. Das muss nicht auf Objekte in Schreinen reduziert sein. Yorishiros locken ihre Seelen an. Sobald eine göttliche Seele dann darin verweilt, sprechen wir von einem Shintai, Shippō“, erklärte Miroku so geduldig, dass Sango ihren Blick mit einem leisen Lächeln auf die Mononoke auf ihrem Schoß senkte.
 

Es wurde einzig von Kohaku interessiert beäugt.
 

Inu Yasha behielt derweil seine Gedanken über Mirokus Wortwahl lieber für sich, als er die Arme in seinen Ärmeln verschränkt einzig in das Flammenspiel vor sich blickte. Das klang nach einem weniger freiwilligen Akt, wie die Menschen da ihre Kami "anlockten“. Und, er war sich sicher, dass sein Bruder es da ähnlich sah. "In eine Falle locken und gefangen halten" traf es da wohl eher, ganz so, wie Naraku das wohl für sich entdeckt hatte, nur wie?
 

„Aber ist dann Ishizus Seele kleiner als die von Kagome?“, sprach der Kitsune sogleich einen nicht uninteressanten Aspekt an.
 

„Ishizu-sama“, verbesserte Myōga augenblicklich von Inu Yashas Schulter.
 

Es verklang fast ungehört.
 

„Ein guter Punkt, Shippō, darüber hatte ich mich auch bereits gewundert. Irgendwie scheint Naraku einen Weg gefunden zu haben, die Kapazitäten von Kannas Spiegel auszuweiten. Schließlich war Kagomes Seele das letzte Mal zu groß für ihn“, teilte Miroku mit Blick hin zu Inu Yasha seine Sorgen.
 

„Zumal ihr Körper dann ja auch irgendwo verblieben sein muss, oder hattet ihr sie zuvor gesehen?“, warf Sango ein.
 

Alle schüttelten den Kopf.
 

„Wieso kann sie überhaupt hier sein? Götter wandeln nicht auf Erden.“
 

Kagomes Einwurf wurde erneut brenzlig für Myōga. Denn natürlich schossen daraufhin wieder alle Augenpaare auf Inu Yashas Schulter.
 

Er seufzte schwer. Warum war er nicht einfach bei Tōtōsai verblieben, da war es kuschelig warm und es gab wesentlich unverfänglichere Themen.
 

„Myōga-jiji“, forderte Inu Yasha eine Antwort.
 

„Das ist eine Ausnahme, die durch ihre Aufgaben bedingt akzeptiert wird. Ihre Käfte sind versiegelt, sodass ihr Aufenthalt das Weltengefüge nicht stört“, er hoffte inständig, dass das genügte.
 

„Also können Götter nicht auf Erden wandeln“, sah der Mönch sein Weltbild vorerst gerettet.
 

„Und, was für eine Aufgabe ist das?“, ließ Shippō bei Myōga den Schweiß ausbrechen.
 

Es wurde mehr als brenzlig.
 

„Myōga“, genügte Inu Yashas Warnung mit geschlossenen Augen, um ihn an seine aktuellen Loyalitäten zu erinnnern.
 

„Sie ist vermutlich hier, um zu lernen, das war auch der Grund für ihren Aufenthalt bei Eurem verehrten Herrn Vater, Inu Yasha-sama“, bibberte Myōga.
 

„Hm, vielleicht schließt der Schwur den genauen Inhalt ihrer Lektionen ein?“, sinnierte Sango mit Blick auf den ziemlich verängstigten Flohgeist, der jetzt am ganzen Leib zitterte.
 

„Scheint fast so, so wie die Angst ihn schüttelt“, stimmte Shippō bei.
 

„Also hat mein Vater ihr beigebracht, was es heißt ein Dämon zu sein?“, zeigte Myōga wiedermal, dass in seinem jungen Meister doch der Vater erkennbar war, wenn auch noch nur in vereinzelten Glanzmomenten.
 

Der Stolz lockerte seine Zunge: „Ja, genau.“
 

„Und, weil er so beschäftigt war, hat er was, Sesshōmaru dazu verdonnert, sich ihrer anzunehmen?“, erstaunte Kagome.
 

Scheinbar hatte Inu Yasha ein festes Bild von seinem Bruder.
 

„Nicht ganz. Euer verehrter Herr Vater hatte reichlich Mühe, die beiden waren sich bereits bei ihrer Ankunft über jede Kleinigkeit uneins. So sind Götter und Dämonen doch von jeher darauf bedacht, ihre Unterschiede zu betonen anstatt ihre Gemeinsamkeiten.“
 

„Ja, schon klar, ein gemeinsamer Ursprung - und völlig verschiedene Lebensweisen“, forderte Inu Yasha erbarmungslos weitere Informationen ein – sehr zu Kagomes Verwunderung.
 

Er schien tatsächlich neugierig zu sein, so wie sie alle.
 

„Zu unser aller Überraschung hielt es der Oyakata-sama für recht lehrreich, Sesshōmaru-sama mit der Einweisung der Prinzessin in die Geschichte und die Gepflogenheiten zu betrauen, was zu so mancher Auseinandersetzung führte...“
 

Bitte, Wasser, machte für Inu Yasha Myōgas Ausführung schlagartig zur Nebensache.
 

Es schien so dringend.
 

„Ist sie bei Bewusstsein?“, kam für alle so überraschend, dass Miroku sich erkundigte: „Wer, Inu Yasha?“
 

Dessen Blick lag einzig auf Kagome. Er kam sofort an ihre Seite gehüpft, sodass ein jeder verstand, dass er wohl Ishizu meinte.
 

„Warum? Nein“, brachte Kagome verwirrt hervor.
 

Prüfend glitt sie nochmals die schmerzgespannten Züge neben sich ab. Ah-Uhn hob einen seiner Köpfe, sodass sein heißer Atem auf das Gesicht der Göttin warm prallte und vereinzelte Strähnen beiseite blies. Jaken kam sicherheitshalber auch heran, um nach dem Rechten zu sehen. Immerhin handelte es sich um die Gefährtin seines Meisters. Göttin hin oder her, er kannte seine Verpflichtungen.

Keiner der Freunde konnte sich einen Reim darauf machen, wie Inu Yasha darauf kam. Einzig Myōga schwieg bedeutungsvoll.
 

„Weil sie gerade um Wasser gebeten hat“, erstaunte Kagome.
 

„Nein, hat sie nicht, Inu Yasha“, korrigierte Sango.
 

„Also kannst nur du sie hören, Inu Yasha“, schlussfolgerte der Mönch mit grüblerischem Blick auf die unnatürliche Schönheit.
 

Solange jedenfalls, bis ihn der argwöhnische Blick seiner Angebeteten eiskalt in den Rücken stach. Der Beweis dafür, wie weise es gewesen war, dass er es bis jetzt wohlwissentlich vermieden hatte, sie anzusehen.
 

Shippō reichte Kagome bereits das abgefüllte Wasser, doch Inu Yashas Hand auf ihrem Unterarm stoppte sie. Wieder schien er zu wissen, was sie meinte.
 

„Ich bringe sie zum Fluss, an dem wir vorbeikamen“, erläuterte er seiner Miko.
 

Die Explosion hatte das Seebett so ausgesprengt, dass von einem See keine Rede mehr sein konnte. Zumal er annahm, dass sie sauberes Wasser bevorzugte.
 

„Dann komme ich besser mit. Sango-chan, darf ich mir Kirara ausleihen?“
 

„Ja, aber sicher doch“, begleitete bereits die Feuersbrunst, in welcher sich die Mononoke in ihre Riesenform verwandelte.
 

Während Kagome sich mit ihrem Rucksack auf deren Rücken schwang, beugte sich Inu Yasha zu ihrer Patientin herab. Behutsam, fast als berührte er hauchdünnes Glas und befürchtete es könnte jederzeit zerbrechen, umfasste er die zarte Gestalt der Göttin, die ihm so seltsam vertraut erschien, seitdem sie hier war. Es war nicht Sesshōmarus Witterung an ihr, das dämmerte ihm längst, während er in die Dunkelheit des Waldes davonsprang.
 

Der Ast brach leise, als Sango aufstand und an die Seite des Mönchs kam. Beide blickten sie ihren Freunden hinterher, ehe sie die Gelegenheit beim Schopf packte.
 

„Euch ist doch klar, dass nicht einmal Tessaiga Euch noch beschützen kann, solltet Ihr Euch bei ihr nicht zurückhalten.“
 

Myōga sah keinen Bedarf daran, dem noch etwas hinzuzufügen, als er auf Shippōs Schulter Platz nahm. Der und Jaken wechselten einen vielsagenden Blick, während Miroku sich verlegen am Hinterkopf kratzte und Kohaku einzig den Kopf schütteln konnte. So wie er Sesshōmaru-sama kennengelernt hatte, machte der keine halben Sachen.
 

Inu Yasha stand bis zur Hüfte in der Mitte des breiten Flussarms, dessen Strömung nur mäßig vom Gefälle dahingetrieben wurde. Dankbarerweise fand er so Halt, auch wenn er sich mit seinen Krallen an den Zehen in den Sand des Flussbetts grub, um sicher stehen zu können. Vorsichtig senkte er seine Arme, auf denen ihr Fliegengewicht ruhte. Sie wirkte so zerbrechlich. Das Mondlicht raubte ihrem Teint jegliche Farbe. Dann erhaschte ihn der Windzug bereits im Rücken, der Kagomes Blick überrascht an ihre Seite lenkte.
 

„Kagome-sama, wir haben sie“, sprang ihr bereits Rin eilig entgegen.
 

Das Augenmerk der Angesprochenen verweilte noch für einen weiteren Moment unschlüssig auf Sesshōmaru, der wieder wie aus dem Nichts aufgetaucht war. Er hatte sie gefunden, gut, so ging keine Zeit verloren.

Seine Aufmerksamkeit richtete sich einzig auf Inu Yasha- und der ahnte längst warum.
 

„Sie verlangte nach Wasser“, weigerte der sich, ans Ufer zu stapfen.
 

Kagome nahm derweil die Blume entgegen und kramte in ihrem Rucksack nach dem Mörser-set aus Holz. Auch sie erkannte, was den Hundedämon störte – neben der vermeintlichen “Entführung“.
 

Natürlich konnte der es nicht abhaben, wenn sein “Gestank“ an seiner Gefährtin haftete. Er kam nicht darauf, die Entsprechung im Wolfsdämon in sich zu suchen, als er dem Dämon seine Göttin behutsam in den einen Arm übergab. Keine Ahnung, wie der das anstellen wollte, die zu halten, dachte er noch gerade, da wickelte sich bereits dessen Fellboa um ihre zierliche Gestalt - wie die Würgeschlange um ihre Beute.
 

Auch eine Methode.

Er war nicht geneigt zu bleiben, sobald das Raubtiergold von ihm abgelassen – ihn somit entlassen hatte, watete er also zu seiner Kagome zurück.

Die stand bereits erwartungsvoll mit der Holzschale in der Hand am Rand und zeigte sich reichlich verwirrt, schien Inu Yasha doch aufbrechen zu wollen.
 

„Ähm, du musst ihr das irgendwie einflößen“, richtete sie noch an Sesshōmarus Rücken.
 

Sie war sich nicht sicher, ob er sie verstanden hatte, zeigte er doch keine Regung. Sein Blick haftete einzig auf seiner Gefährtin in seinem Arm, während er damit begann, sie mit den Füßen voran behutsam ins Wasser einzutauchen.
 

„Er hat dich gehört“, bestätigte ihr Inu Yasha daher, während er ihr den Rücken anbot.
 

„Ich, ähm, stelle sie einfach hier ab“, begleitete das dumpfe Geräusch, als Kagome die Schale auf den Stein am Rand aufsetzte.
 

Mehr konnte und durfte sie wohl nicht tun.
 

„Rin-chan, am besten du fliegst mit Kirara“, bot Kagome dem Mädchen sicherheitshalber noch an.
 

Sie ahnte, dass Sesshōmaru nun allein sein wollte und Inu Yasha wohl gerade deshalb zum Aufbruch drängte. Da er nichts einwandte, sah sie sich bestätigt. Insgeheim war sie stolz auf ihren Halbdämon, bewies er doch ein ungemeines Feingefühl damit. Ob Kikyōs Tod ihm gerade durch den Kopf ging? Wischte ihr das verzückte Schmunzeln von ihren Lippen. Mit einem leisen Anflug von Mitgefühl wandte sie den Blick letztlich von dem Dämon und seiner Göttin ab, während Inu Yasha neben Kirara zum Sprung zurück zu ihren Freunden ansetzte.

Das Bündnis der Väter

N

ichts kommt ohne Interesse zustande. (Georg W. F. Hegel)


 

„Er wirkt so fürsorglich, findest du nicht?“, erreichte es Inu Yasha über seine Schulter.
 

Sie bemühte ein Flüstern, wie er annahm, um Rins Aufmerksamkeit nicht zu wecken. Kirara flog mit ihr wie stets nahe an seiner Seite, während die Schatten der Bäume in gewohnt rasantem Tempo an ihnen vorbeizogen.
 

„Wer?“, offenbarte, dass der Hanyō in seinen eigenen Gedanken vertieft gewesen war.

Also übte seine Miko Nachsicht und erklärte knapp: „Sesshōmaru.“
 

Sie hatten ihn mit seiner Gefährtin vor Kurzem erst verlassen. Und er stimmte mit ihr überein, seitdem sie hier war, verhielt sich der Ältere anders. Er wagte es noch nicht recht zu benennen, zu seltsam war es einfach noch. Außer Rin hatte der sich nie ernstlich um irgendwen geschert. Nicht, dass er wüsste zumindest. Jaken zählte nicht, der war nützlich.

Nicht, dass ihr Erscheinen Sesshōmaru freundlicher oder gar redseliger gestimmt hätte. Ganz im Gegenteil, hatte der sich doch nicht einmal ein `Danke´ an seine Kagome abringen können. Wahrscheinlich drückte sich sein Dank einzig darin aus, dass er sie nicht massakriert hatte: Kagome, weil sie zugelassen hatte, dass er seine Gefährtin `beförderte´ und ihn, weil er sie berührt hatte. Andererseits, war er am Ende vielleicht doch zu aufgebracht, um daran auch nur einen Gedanken zu verschwenden?
 

„Sollten sie sich nicht eigentlich meiden?“, Kaede-oba-chan hatte da mal etwas fallen lassen.
 

„Eigentlich hätte mein Vater nie mit denen paktieren sollen. Götter sind für einfache Dämonen ohne Belang und für die Herrscher unter den Dämonen ein Feindbild. Einlassen würde sich aber keiner von beiden mit denen.“
 

„Was meinst du, was für eine Göttin sie dann ist?“
 

„Keine Ahnung, warum ist das wichtig“, stieg Inu Yasha nicht durch.
 

Ihn trieb eine ganz andere Frage um, nämlich, warum kam man nach 4 Jahrhunderten einfach so zurück- wie aus dem Nichts, wenn man doch eigentlich auf der Welt nichts zu suchen hatte - lernen hin oder her?

Kagome war zu sehr in ihre eigene Verblüffung vertieft, als dass sie ihn für seine Begriffsstutzigkeit nun hätte tadeln können.
 

„Ich meine, was für ein Wesen verliebt sich in jemanden wie dei... Sesshōmaru“, verbesserte sie gerade noch rechtzeitig.
 

Denn, sie ging nicht davon aus, dass diese Verbindung ohne Emotionen geschlossen worden war. Dafür wirkte Sesshōmaru zu, ja, fürsorglich.

Vielmehr meinte sie sich jetzt immer klarer daran zu erinnern, dass die alte Miko einst angedeutet hatte, dass Götter und höhere Dämonen zwei gegenüberliegende Pole darstellten, wie Licht und Dunkelheit; Sonne und Mond.

Ein guter Punkt, wie Inu Yasha fand. Nicht, dass er die Liebe je verstanden hätte.
 

„Obwohl Miroku-sama erwähnte, dass manche Götter auch der dunklen Seite gewogen sein können. Also, was ist, wenn wir gar...“, sinnierte derweil Kagome in unheilvoller Ahnung auf seinem Rücken weiter.
 

Es mochte berechtigt sein – auch, wenn sie keine Schuld traf. Sie hatte nicht gewusst, wem sie da half. Wenn man sich allerdings ihren Gefährten besah... Dennoch, irgendetwas in ihm sträubte sich dagegen, auch nur anzunehmen, dass von der Partnerin seines Bruders irgendeine Gefahr ausging. So seltsam das anmutete. Bei sich war der Hanyō davon überzeugt, dass diese Göttin ihnen keinen Schaden bedeutete.
 

„Ich glaube nicht, dass sie gefährlich ist, Kagome. Dafür verhält sich Myōga-jiji viel zu merkwürdig.“
 

„Stimmt. Der kleine Angstfuß wäre schon längst auf und davon, nicht nur, weil er den Schwur fürchtet, den er da wohl geleistet hat; Er weiß, dass Sesshōmaru zurückkommt; dennoch bleibt er.“
 

„Ich denke, er sorgt sich um sie“, beendete Inu Yasha letztlich auch ihre eigene Vermutung, ehe er sie unweit des Feuers behutsam aus seiner Umarmung löste.
 

Sie glitt noch sanft an seinem Rücken hinab, während Rin bereits mit einem „Jaken-sama, wir haben es geschafft“ freudig auf die um das Feuer sitzende Truppe zueilte.
 

Ah-Uhn hob gleich beide Köpfe und schwang den überdimensionierten Schwanz gefährlich nahe der ersten Baumreihe, sodass Jaken sich hörbar meckernd seine Kappe hielt und machte, dass er auf Abstand ging. Letztlich erhob sich Kohaku und langte nach einem der Zügel, die unweit der eröffneten Nüstern ohne Funktion um den beschuppten Hals schwangen. Seine andere Hand tätschelte beruhigend den massigen Hals des Reitdrachens, als auch er Rin lächelnd begrüßte, während die unbekümmert auf ihren treuen Freund zustürmte.
 

„Wie es scheint, fühlt Kohaku sich sehr wohl bei ihnen“, kommentierte Miroku raunend Sangos Musterung im Augenwinkel.

Sie nickte einzig in Gedanken, ehe sie sich Inu Yasha und Kagome zuwandte, sobald die beiden an das Feuer herantraten.
 

„Er hat euch also gefunden“, und auf Kagomes irritierten Blick hin erläuterte die Dämonenjägerin weiter, „wir sahen einzig die Energiekugel die Richtung abrupt ändern.“
 

„Ja, ich hoffe nur, dass er weiß, was zu tun ist“, lenkte nicht nur Inu Yashas Augenmerk rasch auf Kagome, welche sich gerade neben Sango niederließ.
 

Sie sorgte sich natürlich auch weiterhin um ihre Patientin.
 

„Ich nehme an, dass ihre Verbindung ihm ermöglichen wird, zu erspüren, was sie braucht, Kagome“, wollte Myōga sie wohl beruhigen, ehe ihm sein Fehler wie Schuppen von den Augen fiel.
 

Natürlich hatte er sich damit unweigerlich die abermalige, alleinige Aufmerksamkeit aller gesichert. Selbst Jakens Glubschaugen ruhten für alle gut sichtbar auf Shippōs Schulter, als der fragte: „Was soll das heißen, Myōga?“
 

Er wollte gerade auskommen, zur Flucht ansetzen, da packten ihn die Klauen seines Meisters in lange geschulter Vorahnung. Genüsslich drückte der mal hier mal da und quetschte dabei das biegsame Antlitz des Flohgeists merklich.
 

„Nunja, Shippō, wenn Dämonen sich verbinden, dann ist das ein höchstmagischer Akt. Die Stärke ihrer Verbundenheit hängt dabei stark von der eigenen Macht der jeweiligen Dämonen ab. Vater hat einmal davon erzählt, dass er ein Dämonenpaar traf, welches die Macht besaß, sich in Gedanken auszutauschen“, erklärte Sango mit Blick zu Kohaku.
 

Nicht nur der Dämonenjäger erkannte den taktischen Vorteil. Er hatte längst mit Rin am Feuer Platz genommen. Beide Kinder hatten Ah-Uhn in ihrem Rücken.
 

„Und Sesshōmaru ist einer der mächtigsten Dämonen, die mir bis jetzt begegnet sind“, schloss sie mit Blick zu Inu Yasha, der dem wohl nichts hinzuzufügen hatte.
 

Auch er wollte gar nicht erst wissen, was dabei rausgekommen war.
 

„Der verstorbene Herr und ich vermuteten eine ähnlich starke Verbundenheit in Anbetracht des Potenzials, das in beiden schlummerte zu der Zeit, zumal sich die Fähigkeiten des Paares entwickeln können mit der Zeit“, bestätigte Myōga.
 

„Also, vielleicht weihst du uns mal etwas ein, wen wir da retten wollen, Flohgeist“, bekräftigte Miroku mit Blick zu Inu Yashas Klauen.
 

Es verriet Kagome und Inu Yasha, dass wohl auch ihre Freunde nicht recht wussten, wem sie da geholfen hatten. Myōga befand sich in einer zu beengenden Lage, um wütend zu werden. Dennoch konnte er das unmöglich so stehen lassen.
 

„Wenn ihr mich ausließet, Meister, so sähe ich mich...“, presste er also mit Mühe hervor.
 

„Na, bitte“, lächelte Miroku, „geht doch.“
 

„Ishizu-sama stellt keine Gefahr dar für euch, Mönch, falls du das andeuten möchtest. Ihr seid ihre Schützlinge“, Myōga wirkte ernstlich entrüstet.
 

Es blieb unkommentiert. Einfach ausnahmslos alle starrten auf den Kleinsten in ihrer Runde. Der machte es sich derweil auf Inu Yashas Knie bequem. Demonstrativ verschränkte er die Armpaare vor seiner Brust, ehe er ebenso in den Schneidersitz fand wie sein Meister in Rot. Inu Yasha schloss die Augen. Da seine Ohren jedoch aufgestellt waren, war auch den Freunden klar, dass er aufmerksam zuhörte – ebenso wie sie und die Begleiter des überraschenden Gefährten. Es war mehr als nur befremdlich. Surreal traf es eher, befand nicht nur Kagome.
 

„Also schützt sie uns...“, brachte Kagome überrascht hervor, nur um umso barscher von Jaken unterbrochen zu werden: „Sesshōmaru-sama würde niemals...“
 

Man verfiel in alte Muster, bemerkte nicht nur Inu Yasha, als sein leises Lächeln dem flackernden Feuerschein seine spitzen Eckzähne offenbarte. Sein Gelbgold traf funkelnd auf den Grünling, der daraufhin schluckend noch in derselben Sekunde verstummte.
 

„Wieso kennen wir dann ihren Namen nicht?“, richtete sich Miroku sogleich an Myōga auf der Suche nach einem Irrtum.
 

Und wieder konnte Jaken nicht an sich halten. Demonstrativ verschränkte diesmal der Grünling seine Arme vor der Brust, den Stab unbenutzt an seiner Seite. Er lehnte ebenso wie der Froschdämon gegen den beschuppten Rücken des Reitdrachen, welcher als einziger unbeteiligt wirkte.

Diesmal lagen alle Augenpaare allein auf ihm.
 

„Ist was, Jaken?“, reizte Inu Yasha.
 

„Klar, dass ihr Menschen das nicht wisst, so wie ihr einfach gar nichts wisst von euren `Göttern´, aber verehren tut ihr sie. Wenn ihr auch nur wüsstet...“
 

Weiter kam er nicht, als der Mönch nach endlos langer Zeit mal wieder die Fäuste sprechen ließ und Jaken mit einer Kopfnuss zu Boden ging.
 

„Hōshi-sama“, warf Sango zum einen überrascht zum anderen anklagend ein.

Immerhin schien Jaken ja mehr zu wissen. Kagome blickte ihn nicht minder irritiert an, sodass Miroku mit einem „Entschuldigung, aber das war allerhöchste Zeit“ an Sangos Seite fand.

Er rieb sich die Hand, welche das Kazaana beherbergte, während sein Blick das zustimmende Nicken Inu Yashas einfing. Immerhin einer war seiner Meinung.
 

„Worauf Jaken anspricht, ist wohl, dass ihr Menschen tatsächlich eine etwas eigene Art habt, etwas zum Gott zu erheben.“
 

„Wir erheben doch nichts...“, setzte Kagome verblüfft mit Blick zu Miroku an.
 

„Bedauere Kagome, aber alles, was euch magisch vorkommt, ist rasch bei euch `göttlich´- wir Dämonen dagegen präzisieren da etwas mehr. Wie auch immer, Ishizu-sama ist nicht einfach nur das, was wir als `Göttin´ bezeichnen. Sie ist die Tochter des Herrschers der Götter, den wir Dämonen nur als `Gott der Götter´ kennen. Sie wird ihm und seinen Geschwistern einst als Herrin über die Welt nachfolgen. Ergo wird sie auch über eure Geschicke richten und walten. Dafür soll sie, anders als ihre Verwandten eure Lebenszyklen kennen. Es gehört sozusagen zu ihrer Ausbildung, zu leben, wie ihr es tut und zu ihrem Wesen, das Leben von Sterblichen kennen und verstehen zu lernen. Denn, da muss ich Jaken Recht geben, eure `Götter´ haben keine Ahnung, was ein sterbliches Leben bedeutet. Mit einer der Gründe, warum die höheren Yōkai den Göttern den Krieg erklärten. Sie teilen ihr Wissen nicht mit den Irdischen und neigen nicht dazu, ihre Belange zu verstehen. Sie sind zu lange bereits den irdischen Belangen enthoben, um zu fühlen wie wir Sterblichen.“
 

Auch wenn Inu Yasha stumm blieb, so vermutete doch nicht nur er vielmehr die Banalität, dass Götter ihr Wissen um die Welt nicht teilten, als ausschlaggebenden Grund für den Hass der höheren Yōkai auf ihre Vetter. Zu gut kannte er bereits die Artgenossen seines Vaters – und Halbbruders.
 

„Klar, wer keine Endlichkeit kennt und keinen Verlust erlebt...“, sinnierte Miroku derweil laut.
 

„Wenn sie nicht fühlt wie wir und Götter mit den Dämonen verfeindet sind, warum verbindet sie sich dann ausgerechnet mit Sesshōmaru?“, bewies wieder Shippō seine kindliche Neugier.
 

Schließlich konnte somit weder eine Liebesbeziehung noch eine politische Allianz dahinterstecken. Nicht nur Kagome entglitt ein Lächeln.
 

„Unter anderem, wenn ihr mich ausreden ließet!“, stimmte Myōga letztlich wetterend Miroku zu.
 

Er seufzte schwer. Natürlich war das alles andere als leicht. Es war ein Balanceakt noch nie gekannten Ausmaßes- und er konnte einzig hoffen, dass er nicht in den tödlichen Abgrund gestoßen wurde – vom sicher überempfindlichen Gefährten.
 

„Ishizu-sama fühlt wie ihr, um, wie bereits erwähnt, euch besser verstehen zu können, was wohl das Problem mitbegründet hat. Denn anscheinend war das der Grund, warum das Gesuch ihres Vaters den Euren, Inu Yasha-sama, erreichte. Sie sollte, wie Ihr schon richtig erkannt habt, lernen, wie die Erben unseres dunklen Schöpfers leben. Und nach reichlichem Überlegen ließ sich der verstorbene Oyakata-sama auch darauf ein. Was letztlich mir und dem gesammelten Hofstaat die Ehre zuteil werden ließ, ihre außerordentlich inspirierende Bekanntschaft machen zu dürfen...“
 

“Wir nennen es Drachenblut”, verklang der sonore Bass hoch über seinem rundlichen Kopf.
 

Myōga saß wie stets auf der Schulter seines Meisters. Die längliche Halle war in das dämmrige Licht der flackernden Kerzen getaucht, welche in den Schalen brannten. Von draußen brach das milchige Licht ihres Himmelskörpers durch die Finsternis. Der Wind drang durch die geöffnete Reihe an Shōjitüren herein und bog die kleinen Flammen im Rhythmus seiner sanften Berührung, als wollte er die seltsame Gesellschaft, welche sich hier, in der Halle seines hochverehrten Meisters zusammengefunden hatte, mit all seinem Charme umschmeicheln. Die Luft surrte unter der Fülle an gegensätzlichen Energien, während das angenehme Gemurmel von dem friedlichen Austausch kündete. Es war fast surreal, befand der Flohgeist. Er hatte einen Konflikt erwartet- noch am ersten Abend. Doch noch war alles ruhig und die fremde Gesandtschaft schien willkommen. Nun gut, sein verehrter Meister hatte sich auch alle Mühe gegeben- hatte sogar die hochverehrte Fürstin miteingebunden.
 

„Ein eigentümlicher Name, wenn Ihr mir gestattet, Herr über die Hundedämonen. Ihr habt doch nicht...?“, erhob Myōgas Blick hinauf in das Gelbgold seines Meisters.
 

Es funkelte regelrecht vor Belustigung. Er erlaubte sich den Zug um seine Mundwinkel den guten Gastgeber mimend. Einen hauchdünnen Tanz damit über das Seil vollführend, welches straff über den schier bodenlosen Abgrund zwischen ihren Kulturen gespannt hing. Noch nie hatte es eine solche Zusammenkunft gegeben, wollte der Flohgeist meinen.
 

„Nein, kein Blut. Es soll den beißenden Geschmack betonen, der die Kehle hinabbrennt, Waldgöttin“, wirkte auch wahrlich amüsiert.
 

Allgemein musste Myōga feststellen, dass Götter den Dämonen in Vielem tatsächlich optisch sehr ähnlich waren.

Sie hatten dieselben spitzzulaufenden Ohren, waren hochgewachsen und wiesen oft schlanke aber kräftige Gliedmaßen auf. Einzig der Koloss von Kriegsgott neben der Göttin vor ihnen schien die Ausnahme. Er überragte selbst seinen Meister um gut einen Kopf. Sein ganzer Brustkorb war massig, breit und von wahren Muskelbergen gezeichnet. Er trug eine weiße Hakama und einen Haori, welcher die muskulösen Arme offen zeigte. Dagegen wirkte seine schlanke Schwester in dem seltsam gebundenen Gewand winzig klein.
 

„Unseresgleichen nennt mich Arya, Herr über den Westen. Und in der Tat. Ganz anders als unser Honigwein - weniger süßlich“, hustete die schlanke Hünin.
 

„Toga. Ich hätte Euch wohl früher warnen sollen, Arya-sama“, tat sie bereits mit erhobener Hand lächelnd ab, während ihr Koloss von Bruder mit seiner ihren zarten Rücken tätschelte.
 

Besagte Hand erinnerte gut und gerne an die Pranke eines kleingewachsenen Oni. Nur fehlten ihr die Klauen. Auch sein Teint war alabasterfarben und verlor jegliche Lebendigkeit im Mondlicht. Sie wirkten fast wie Dämonen im Licht des dunklen Sohnes ihres finsteren Schöpfergottes.

Den Langbogen über Aryas Rücken sparte er dabei großzügig aus. Auch seinen Rücken zierten die beiden Himmelsschwerter, deren wuchtige Griffe, der eine golden der andere silber, nur mäßig von seinem geflochtenen Feuerrot verdeckt wurden. Natürlich waren Waffen auch heute Abend erlaubt, wagte doch niemand, den Hausherrn offen herauszufordern.

Dennoch war es nicht nur bei ihm auf Missfallen getroffen, dass sich sein Herr und Meister gerade dabei unnachgiebig gezeigt hatte. Auch seine Fürstin hatte ihm eindringlich davon abgeraten. Es war bezeichnend, dass sie dem heutigen Ereignis fernbleib, für alle dämonischen Gäste.
 

„Ach, das verträgt sie schon“, polterte sein dunkler Bass über den Singsang der unterschiedlichsten Gespräche um sie herum, sodass Myōga ein eiskalter Schauer ergriff, sobald dessen tiefes Blau ihn streifte.
 

Nicht nur der feuerrote Gottesstein auf seiner Stirn bezeugte eindeutig ihre Andersartigkeit. Es war nicht mehr als eine schmale Raute, welche in unterschiedlichen Farben auftrat. Ganz anders als die dämonischen Male wirkten diese Energiesteine fast unscheinbar. Dennoch erkannte jeder Dämon die gegensätzliche Zeichnung.

Götter hatten entweder grüne oder blaue Augen, das wusste Myōga. Ihre Pupillen waren rund, wie die ihrer menschlichen Schöpfungen, doch die Farbe ihrer Iris drängte diese fast gänzlich in den Hintergrund. Ihre Augen wirkten so unergründlich wie die See.
 

„Alles gut, Toga-sama, ich hatte schon Schlimmeres probiert“, erhob die Waldgöttin dann ihre helle Stimme schwingend vor Belustigung.
 

Das Grün ihrer Augen war so saftig an Farbe wie das Blätterdach ihres Waldes im glitzernden Sonnenlicht. Ihr Gottesstein war von ähnlicher Farbe, ihr Haar schimmerte fast golden im flackernden Kerzenschein. Sie trug einen Pony. Auch ihr Haar hatte sie in einem langen Zopf geflochten, welcher neben dem Langbogen in ihrem Rücken verschwand. Letzteren hatte sie wohl nicht entbehren können. Nur die Pfeile hatte die Waldgöttin Zuhause gelassen. Myōga beschlich die Ahnung, dass wohl auch die Götter keine Provokation hatten riskieren wollen.
 

„Wenn ihr mir die Frage gestattet, ihr tragt sehr unterschiedliche Namen in den verschiedenen Kulturen“, trat der Urquell allen Übels, der ihn auch jetzt wieder in diese Misere verwickelt hatte, offen zu Tage.
 

Die grenzenlose Neugier seines ach so begabten und mächtigen Meisters. Es traf auf ein offenes Lächeln - zumindest bei der Waldgöttin. Ein kurzer Blickwechsel unter den mächtigen Geschwistern und man hatte sich geeinigt.
 

„Wir reagieren auf die Gesuche unserer Schöpfungen, welche wir als unsere Kinder verstehen. Wenn wir uns in ihren Bitten wiedererkennen, übernehmen wir ihren Schutz“, erklärte Arya da.
 

„Also wählen die Schöpfungen den Namen“, schlussfolgerte der Hundeherrscher.
 

Es war auch Myōga ersichtlich, dass es ihn verblüffte. Handhabten Dämonen das doch völlig anders. Der Name ihres Schöpferkamis blieb stets derselbe – und jeder Dämon tat gut daran, diesen niemals zu vergessen.
 

„In der Tat“, wurde mit einem offenen Lächeln bestätigt, ehe das laute Klirren ihre Unterhaltung schlagartig brach.
 

Ein Blick aus Gelbgold und Myōga war schnurstracks auf dem Weg Richtung westliche Terrasse. Es entging ihm, wie die mächtigen Geschwister einander ansahen, so rasch war er zwischen den unterschiedlichsten Schultern entlanggehüpft, um sodann im schneeweißen Fell der einzigen Hundeartigen im Raum Platz zu finden. Wie er wusste, konnte die Gottesdienerin ihre Erscheinung auf Erden nicht ändern. Sie hatte die einer Wölfin gewählt und stand treuergeben neben ihrem Schützling, deren Seite sie seit ihrer Ankunft im letzten Strahl des Tageslichts nicht verlassen hatte. Er spürte sie unter sich erbeben. Sie schien jedoch unschlüssig, wie sie reagieren sollte. Kurz überflog sein Augenpaar daher die Szenerie. Das Erste was sich ihm erklärte, war das klirrende Geräusch. Die Vase lag in Scherben am Boden. Damit erschloss sich ihm auch bereits die menschliche Dienerin, welche die Stirn eisern gen Boden gepresst unweit von ihm kniete. Sie zitterte wie Espenlaub.

Die blankpolierten Schuhe in Verbindung mit der weitausgestellten Hakama hätte es nicht gebraucht. Es war klar, dass der Sohn seines Meisters absolute Perfektion um sich wünschte. Umso mehr überaschte Myōga die Bestimmtheit in der erschreckend betörenden Frauenstimme.
 

„Erhebt Euch in die Senkrechte. Ihr habt nichts getan, was derlei Strafe bedürfe“, es klang mehr nach einer Bitte, typisch wie es für Götter wohl war.
 

Sie stand zu ihrer Seite. Zwischen dämonischem Herrn und menschlicher Dienerin.

Dem Flohgeist erschloss sich sofort die Brenzligkeit hinter diesem Befehl. Untergrub die Göttin damit doch unweigerlich die Verfügungsgewalt des Inuyōkais über die Untergebene seines Vaters.

Oh, er hatte so sehr gehofft, dass das noch etwas Zeit hatte.

Rasch wagte er einen Blick hinauf in ihr Antlitz. Wieder verschlug es ihm den Atem wie bereits bei ihrer Ankunft, als die Waldgöttin ihrer jüngeren Schwester das fliederne Tuch vom Kopf genommen hatte. Er nahm an, dass dies eine göttliche Tradition war. Natürlich hatte sie unbeabsichtigt alle Blicke voller Neugier in das so atemberaubend schöne Gesicht ihres wohl seltsamsten Gastes gelenkt. Sie war auch jetzt atemberaubend schön. Mochte ihr kleines Stupsnäschen auch in deutlichem Missfallen gekräuselt, ihre feingeschwungenen rosa Lippen vor Anspannung ganz schmal sein. Mochte ihr Meeresblau auch vor Empörung glitzern. Einzig die Tatsache, dass sie ausgerechnet dem Raubtiergold des Dämonenprinzen so begegnete, ängstigte den Flohgeist. Sesshōmaru kannte kein Erbarmen - und war natürlich in keiner Weise angetan gewesen von der neusten Idee seines Vaters. Wohl mit ein Grund für seine gereizte Stimmung.

Noch lag sein dämonisches Gold in scheinbar stoischer Ausdruckslosigkeit auf der ganz in Flieder Gekleideten. Eine trügerische Sicherheit, wie Myōga sehr wohl erkannte.

Ihr Verhalten war nichts, was der verwöhnte Sohn seines Vaters lange dudelte. Natürlich verteidigte sie die Schöpfung, ihr Menschenkind. Offensichtlich erst recht vor zu Unrecht überhöhter Strafe. Oh, seufzte Myōga schwer in Gedanken, das konnte noch sehr unangenehm werden.
 

„Demnach respektieren Götter Fehlerhaftigkeit“, schnitt sein Tenor in einer solch grausamen Präzision durch das hintergründige Stimmenwirrwarr, dass es einer einzigen Drohung gleichkam.
 

Ein jeder hätte sie erkannt. Ein jeder, der den Dämonenprinzen kannte.

Der Streitanlass war keine Überraschung. Für Götter war jedes Leben zu respektieren, wohingegen Sesshōmaru einzig Perfektion respektierte. In seinen Augen hatte die Dienerin sich demnach als untauglich erwiesen, in dem Moment, in dem sie die Vase umgestoßen hatte. Jeder bei Hofe wusste das. Jeder, bis auf der väterliche Ehrengast natürlich. Wohl der einzige Grund, warum er ihr noch mit Vorsicht begegnete.

Denn in seinen Augen verdiente die Dienerin in keiner Weise einen respektvollen Umgang, den die Göttin hier so vehement einforderte. Er nahm an, sie hatte es nicht mitansehen können, dass er sie wegen so einer Lappalie strafte, wie er das gerne tat, wenn ihm etwas gegen den Strich ging. Da der ganze Abend ihm bereits seit Tagen gegen den Strich ging, war die jetzige Situation rückblickend betrachtet weniger überraschend.
 

„Also glaubt ihr Euch ohne Fehler, Yōkaiprinz?“, war gefährlich mutig - lebensmüde traf es für Myōgas Geschmack auch ganz gut.
 

Es wurde Zeit, dass sein Meister hier erschien, befand er. Spätestens, als das leise Lächeln über die ansehnlichen Züge des Dämonenprinzen huschte. Ihm brach der Schweiß aus.
 

„Huh, was das Heben einer Vase betrifft?“, war auch für die Göttertochter als das zu erkennen, was es undeutbar war: vor Hochnäsigkeit triefender Sarkasmus.
 

Eine ungute Wahl, wie Myōga umgehend an der Verhärtung ihrer Züge erkannte. Es war zu spät, um einzugreifen.
 

„Habt ihr denn jemals zuvor auch nur eine in der Hand gehalten?“, war vorprogrammiert.
 

Innerlich klatschte eine der Hände des Flohgeists laut gegen seine Stirn. Das wurde kindisch. Doch zur großen Verwunderung des alten Winzlings, stieg Sesshōmaru nach einem endlos scheinenden Moment des Fixierens darauf ein.
 

Mit einem gefährlichen Funkeln in den Dämonenaugen umfasste er unter der genauen Musterung seiner Gegenüber die Vase, welche die andere Wandseite flankierte und hob sie provokant fragend vom Boden ab: „Ihr, Götterprinzessin?“
 

Es trieb selbst dem dämonischen Vater die Braue in die Höhe, als der mit seinen beiden hohen Gästen herankam. Myōga hüpfte fast augenblicklich zurück auf die Schulter seines ehrenwerten Meisters, der sein Gelbgold auf dem eisigen Gold des Sohnes beließ. Eine deutliche Warnung darin, die den gehorsamen Sohn die Vase behutsam abstellen ließ. Ein Neigen des Kopfes genügte und das junge Menschenmädchen machte sich in ehrerbietigster Weise davon. Etwas, das die Ehrengäste mit mehr oder weniger ausgeprägtem Interesse verfolgten. Wie sie dazu standen, war für den Flohgeist nicht ersichtlich.
 

„Am Ende lernst du hier noch nützliche Dinge, Schwesterchen“, wollte wohl der ältere Bruder die Stimmung auflockern.
 

Es ging gehörig daneben, als es einzig das eisige Gold in selten gekannter Ungerührtheit auf die Züge des breitschultrigen Riesen lenkte. Die zierliche Göttin wirkte neben dem übergroßen Bruder umso schmächtiger, nahezu verletzlich. Nichtsdestotrotz vermeinte nicht nur Myōga ihren Blick nicht minder vernichtend. Das schiefe Grinsen erlosch noch darunter von seinen Zügen und offenbarte so deutlich die wahren Machtverhältnisse. Mit einer Ehrerbietung gegen den Gastgeber und dessen Nicken wand sie sich kommentarlos ab. Die weiße Wölfin treuergeben an ihrer Seite verschwand sie durch die geöffneten Türen, verfolgt im Augenwinkel von dem regungslosen Gold. Myōga vermeinte förmlich seinen abfälligen Kommentar ob ihrer verwöhnten Allüren in seinem Kopf verklingen, ehe sich der Erbe mit einer leisen Verbeugung gegen den Vater zu verabschieden gedachte. Letzterer schien nicht gewillt, ihn so leicht auszulassen.
 

„Worum hatte ich dich gebeten, Sesshōmaru?“, ging längst an Myōga vorbei.
 

Sein Interesse galt den beiden mächtigen Geschwistern, die gerade die Köpfe zusammensteckten. So wechselte er die Schulter.
 

„...mit Hochnäsigkeit kann sie ja so gut“, kicherte Arya gerade.
 

„Welch eigentümliche Lektion“, brummte der Koloss abfällig zur Antwort.
 

„Mehr eine interessante Herausforderung für unsere kleine Gerechtigkeitsfanatikerin“, schmunzelte die Waldgöttin nahezu mütterlich, ehe Myōga beschloss, der jungen Hime nachzukommen.
 

Das klang weniger nach Verständnis seiner Meinung nach. Also sprang er alsbald in das silbrige Mondlicht hinaus auf die hölzerne Balustrade, welche die Veranda vom tieferliegenden Innenhof abgrenzte. Der Wind riss an vereinzelten Strähnen ihres pechschwarzen Haars. Sie trug es in einer befremdlichen Art und Weise aufwendig hochgesteckt. Es schimmerte im fahlen Licht des gegensätzlichen Himmelskörpers. Sie wirkte blass, ihr Atem erfolgte ruhig und doch verriet die hauchzarte Röte auf ihren hochliegenden Wangen die leise Erregung. Ihr Blick war auf einen ihm unbekannten Punkt in der Weite gerichtet, welche sich unter ihnen auftat. Vielleicht auf einen der vielen Höfe, welche sich die Anhöhe zum Schloss des Westens hinaufwanden.

Sein dezentes Räuspern beorderte ihr unergründliches Blau letztlich zurück auf ihn. Wieder war ihm als vergäße er alles mit einem Schlag. Sie hatte eine Anmut an sich, die selbst den alten Flohgeist beeindruckte. Eine Unschuld, die er schon lange nicht mehr erlebt hatte, begleitete eine jede noch so unbedeutend erscheinende Bewegung der äußerlich jungen Göttin und machte sie umso majestätischer. Er war bei Weitem zu erfahren, um nicht zu erahnen, dass der äußerliche Schein trog, maßen die Götter ihr Alter doch in Zeitaltern.
 

„Ihr seid ein Flohgeist“, zeigte sie echte Überraschung.
 

Sie schien ihn nicht in dämonischer Gesellschaft erwartet zu haben. Er empfand es als Ehre, schließlich waren die Wenigsten in der Lage, ihn eindeutig einzuordnen.
 

„In der Tat, Megami-sama. Wenn Ihr erlaubt, mich vorzustellen, man nennt mich Myōga“, seine Verbeugung zauberte ihr ein leises Lächeln auf die zartrosa glänzenden Lippen, das ihn doch für den ersten Moment ins Stocken geraten ließ.
 

„Wenn Ihr mir ferner erlaubt, mich für die befremdliche Art unseres Prinzen zu entschuldigen“, lenkte ihre erwärmende Aufmerksamkeit zurück in die schier undurchdringliche Schwärze.
 

Wieder legte sich das Schweigen zwischen sie, in dem er sich die Prinzessin eingehender von der Seite besah. Nicht nur ihr Gewand, an dem der Wind zart riss, bezeugte, dass sie hier nicht hergehörte. Es war befremdlich um ihren zierlichen Körper geschlungen. In einer einzigen Lage, die ihrer wohlproportionierten Figur schmeichelte. Sie war schlank und doch zierlicher, als für eine Dämonin üblich.

Die Fackeln, welche die Höfe nur notdürftig erhellten, reflektierten ihren flammenden Tanz gespenstisch auf ihren makellosen Zügen – wie auf einer weißen Leinwand. Die Lampions schwangen leicht im Wind hin und her und warfen so ihr rot-oranges Dämmerlicht mal hierhin, mal dorthin. Es wirkte friedlich. Nur hintergründig ereilte sie das Rauschen des Meeres, der stete Rhythmus ihrer Welt in Abhängigkeit der Gezeiten.
 

„Sind alle Dämonen so, Herr Myōga?“, traf ihn beinahe unvorbereitet.
 

Erst da wurde es für ihn offenkundig, dass sie wohl ihren Aufenthalt fürchtete. Natürlich hatte auch ihr Volk Vorbehalte gegen das seines Meisters. Und er nahm nicht zu Unrecht an, dass der Dämonenprinz viele davon bestätigt hatte. Ihre Geschwister würden nach dem heutigen Abend gehen – zurück dorthin, wo sie ein Zuhause hatte. Bis auf ihre Wölfin wäre sie allein in einer ihr so fremden Welt. Er konnte gar nicht anders, als ihr den Respekt zuzugestehen, den ihm die würdevolle Art, mit welcher sie ihrer Aufgabe scheinbar entgegensah, abverlangte. Hatte sie sich dem Abbild ihres naturgegebenen Erzfeindes doch so vehement entgegengestellt, kaum, dass sie ihre Überzeugungen in Gefahr gesehen hatte - und trug die Enttäuschung darüber, ihm begegnet zu sein, mit Fassung.
 

„Myōga-oji-san, wenn Ihr erlaubt, Ishizu-sama“, bemühte er umsichtig.
 

Es raubte ihr abermals ein entzückendes Lächeln. Da lenkte das Aufjaulen zur ihrer Seite beider Aufmerksamkeit auf die schneeweiße Begleiterin. Ihr Gold war dem der Dämonen nicht ungleich. Auch sie hatte spitze Pupillen. Myōga meinte sich zu erinnern, dass ihre Art beide Merkmale tragen konnte. Ihr Blick schien dem ihrer Göttin treuergeben zu begegnen, ehe Ishizu den Ihren zu ihm erhob.
 

„Ai wünscht sich ebenfalls vorzustellen.“
 

„Hocherfreut, Ai-sama“, wagte Myōga eine abermalige Verbeugung - sehr zur Belustigung der Göttin.
 

Er sollte lange nichts Betörenderes vernehmen als ihr verhaltenes Kichern, das sie hinter ihrer Hand versteckte.
 

„Ai genügt, Myōga-oji-san. Sie ist keine Göttin.“
 

Es war wenig überraschend, dass die Göttertochter das Suffix kannte, das ihre Schützlinge wählten, um die Ihren zu adressieren. Scheinbar fehlte ihr nur der Überblick über die anderen Anreden. Ein Umstand, der sicher mit Leichtigkeit zu beheben war. Da hegte der Floh keinen Zweifel, ehe die machtvolle Präsenz nicht nur seinen Blick ehrfürchtig senkte.

Sein Meister gewährte sich den Moment der stillen Betrachtung, hatten die Verhandlungen zwar einzig sie zum Thema gehabt, sich jedoch bis jetzt nicht der rechte Augenblick ergeben, um sich die einzigartige Tochter der Götter von Nahem zu betrachten. Ihre göttliche Ausstrahlung war selbst für ihn zu bemerken, wusste er sich auch weit mehr zu behelfen als sein Berater. Nahezu geräuschlos trat er also an die Balustrade zwischen Flohgeist und Göttertochter heran - nicht minder interessiert verfolgt aus göttlichem Meeresblau.
 

„Ihr seid eine Göttin, Ishizu-sama. Ihr steht über jedwedem irdischen Protokoll“, senkte sein Gelbgold über seine Schulter auf ihre ansehnlichen Züge.
 

„Ich wünsche nicht, anders behandelt zu werden. Ich bin hier, um zu lernen“, senkte ihren Blick erneut – diesmal wohl schuldbewusst, hatte sie doch ihr Widerwort gegen den Sohn und Prinzen erhoben.
 

„Seid unbesorgt, mein Sohn handelte gegen seine Erziehung. Ich muss Euch um Entschuldigung bitten“, reichte er ihr die krallenbesetzte Klaue.
 

Sie schien verblüfft, als sie ihre schmale Hand mit den runden Fingerkuppen zuerst nur zögerlich in die so gegensätzliche Klaue mit den messerscharfen Krallen legte. Leicht wie eine Feder ließ sie sich dann behutsam zurück in die Senkrechte ziehen. Ihr Götterblau wanderte dabei überrascht über die zu einem leisen Schmunzeln gespannten Zügen, welche den Erzfeind im Licht seines Himmelskörpers schonungslos enthüllten. Über die beiden blauen Streifen auf den Wangen, die Spitzaugen, welche in der Finsternis gefährlich funkelten und doch jeglicher Feindseligkeit zu entbehren schienen, bis hinauf an seine leere Stirn, welche von den gelockten Ponyfransen offenbart wurde.
 

„Dennoch sollte Euch bewusst sein, dass wir keinen leichten Weg vor uns haben, Prinzessin. Vorbehalte räumen sich nicht über Nacht aus dem Weg“, wich seine federartige Berührung von ihr wie der Wind den Rauch schlagartig vertrieb.
 

Ihr entglitt ein zaghaftes Lächeln. Sein Meister zeigte damit offen, dass er an einer x-ten Wiederholung der traditionellen Feindschaft nicht interessiert war. Sonst hatte das Alles hier keinen Sinn. Sonst war das Alles nur eine weitere Farce auf dem Weg hin zur Vertiefung des altbewährten Grabens zwischen ihren Völkern. Es schien ihr zu gefallen.

Zumindest meinte Myōga, sie eine Entscheidung fällen zu sehen, als die Göttertochter sich daraufhin kaum merklich noch ein Stück aufrichtete - unter der aufmerksamen Musterung durch seinen Herrn.
 

„Wenn dem so ist, empfiehlt es sich wohl, Euch wissen zu lassen, dass mein Schutz den vereinbarten übersteigen kann.“
 

Sie hielt dem kurzen Zucken ungerührt stand, welches die Züge des Hundeherrschers für den flüchtigen Moment im alten Argwohn überkam, als er die Finte des Göttervaters erkannte. Er hatte ihm nicht getraut. Es war nicht leicht, alten Mustern zuwiderzuhandeln, das hatte sie wohl auch bereits beobachten können, oder es gar erlebt. Es schien sie nicht zu schrecken, dass in dem Dämon für den ersten Augenblick der bittere Geschmack des Verrats durch den Göttervater aufkam.

Myōga zeigte sich vor allem erstaunt. Er erkannte, was sie da tat - Vertrauen schaffen, indem sie das väterliche Misstrauen – und die daraus resultierte Verschwiegenheit bewusst offenlegte. So gefährlich es war, so einzigartig war die Chance, welche sie ihnen beiden damit, abermals mutig, eröffnete. Es überraschte ihn nicht, dass sein Meister schlau genug war, auch diese Gelegenheit nach dem ersten Anflug zu ergreifen, als er ihn wenig später lächeln sah.
 

„Erlaubt mir eine Bitte, Prinzessin der Götter“, und da sie ihn schweigend ansah, führte er aus, „bleibt genau so, wann auch immer einer der Meinigen Euch widerspricht.“
 

Es versprach seine ausnahmslose Unterstützung. Alle Anwesenden wussten, wen der Vater wohl im Sinn hatte, als die Göttertochter ihren Blick kurz zurück zum angeregten Treiben unweit von ihnen in die Halle lenkte.
 

Sie hatte ihn sofort ausgemacht. Er stand mit einer weißhaarigen Dämonin von atemberaubender Schönheit etwas abseits des Geschehens - scheins in ein Gespräch vertieft. Als ihr Götterblau das dämonische Gelb seiner Gesprächspartnerin traf, beorderte ihr höflicher Knicks sein Gold regungslos auf sie. Nur kurz erfasste er ihre Gestalt, ehe er sein Raubtiergold nicht minder ungerührt wieder ablenkte. Die Dämonin war etwas kleiner als er, sodass er sich zu ihr leicht herabsenken musste, um ihr seine Erwiderung in die spitzzulaufende Ohrmuschel zu entgegnen. Das Funkeln in ihrem raubtierhaften Gelb wurde listig, als sie sich die Göttin noch einmal besah, ehe auch sie sich mit einem höflichen Nicken umwandte. Es war nicht nur für Myōga offensichtlich, was in der jungen Prinzessin vorging. Offenkundig brauchte sie erst gar nicht zu hören, was die Hochnäsigkeit über seine bornierten Lippen getrieben hatte. Der Flohgeist war sich sicher, dass sie gerade erkannte, dass der Dämonenprinz gewohnheitsmäßig eben den Respekt von ihm Schutzbefohlenen einforderte, den er anderen nicht zugestehen konnte. Und augenscheinlich war es genau das in Kombination mit seinem gut ausgeprägten Selbstbewusstsein, das der Göttertochter die Röte der Empörung ins attraktive Gesicht zurücktrieb.
 

Damit traf ihr Götterblau entschlossen das raubtierhafte Gelbgold, welches stumm auf ihr verweilt war. Es überraschte weder Myōga noch den Herrn über die Hundedämonen, dass die Prinzessin der Götter daraufhin nickend ihr Einverständnis gab.
 

Auf der Lichtung war einzig das Knistern der sich nährenden Flammen zu hören, als der Flohgeist seine Erzählung beendet hatte. Rin hatte sich bereits der späten Stunde geschlagen geben müssen. Zur Überraschung aller ohne Murren. Man war darin übereingekommen, dass dies wohl Sesshōmarus Einfluss war. Eingemummelt in Kagomes Teddybärendecke schlief sie nach wie vor tief und fest, als Kohaku kurz seinen Blick prüfend neben sich richtete - einen Kopf des Reitdrachens zu ihrer anderen Seite. Sango begegnete ihm mit einem verzückten Lächeln, welches er schwach erwiderte. Es war ihm unangenehm, dass sie seine Fürsorge für die Kleine so entzückte.

Alle anderen schienen stumm dem Flammenspiel vor sich zuzusehen, ehe Miroku als Erster die Stille brach.
 

„Als Göttin kann sie nicht auf Erden wandeln, das hattest du bestätigt, Myōga.“
 

Der Angesprochene schwieg so lange, dass schon keiner mehr mit einer Antwort rechnete – und Inu Yasha sich abermals dazu genötigt sah, gefährlich Luft zu holen.

Letztlich hatte der Flohgeist die vage Hoffnung, dass Ishizu erwachte – und ihren Gefährten zurückpfiff, sollte der dieses Detail ernstlich als Gefahr identifizieren.
 

„Für gewöhnlich gebiert ihr die Mutter Erde einen sterblichen Körper. Sie lebt dann ein menschliches Leben.“
 

„Also war sie ein Mensch, als sie zu Inu Yashas Vater kam?“, bewies Shippō mal wieder sein helles Köpfchen.

Er war nicht allein mit seiner Verwunderung.
 

„Nein, das habe ich doch gerade erzählt. Sie war in ihrem eigenen Körper, aber, da ihre Kräfte versiegelt waren, durfte sie auf Erden wandeln. Der verehrte Herr und ich nahmen an, damit sie nicht ganz schutzlos ist, tatsächlich aber hatte der Vater ihr weit mehr Kräfte zugestanden, als uns mitgeteilt worden war. Wir gingen davon aus, dass diese Versiegelung ihrer Göttlichkeit eventuell die Bindung ermöglichte.“
 

Als Inu Yasha prüfend die Nase gen Himmel reckte, blickten sich die Freunde alarmiert um.
 

„Regen“, war beruhigend – und kündigte das erste Donnergrollen an, lange bevor es in einiger Entfernung verhallte.
 

Nicht unweit der Lichtung war der Wetterumschwung ebenso wenig unbemerkt geblieben. Dennoch verharrte Sesshōmaru ungerührt inmitten des Flussbetts. Laut plätschernd umspülte ihn das langsam dahinfließende Nass, während er nur mehr ihre nackten Füße in das Wasser hielt. Es umspielte sie in kleinen Wirbeln, machte ihre zierlichen Füße so zum Zentrum ihres Weges. Noch war sie nicht ausgekühlt. Noch erspürte er ihre so lange schon vermisste Wärme unter den Lagen an Stoff. Er reagierte instinktiv darauf. Alles Leben bestand aus Wasser, hatte sie ihm einst gesagt. Er glaubte zu wissen, warum sie danach verlangt hatte. Sie nutzte es als natürliche Ressource zu ihrer Lebensenergie. Damit hob er sein in der Dunkelheit funkelndes Raubtiergold zurück auf ihr ansehnliches Gesicht. Die ersten dicken Quellwolken zogen drohend über ihnen auf und warfen ihre Schatten auf ihre ebenmäßigen Züge.

Als der Donner direkt über ihm grollte und die ersten dicken Tropfen dumpf auf seinen Schultern aufschlugen, erhob er sein Dämonengold hinauf gen dunkles Firmament.

Offensichtlich hatte ihre Verbindung auch diese Abmachung zwischen Vater und Tochter nichtig gemacht. Er sah jetzt, was geschah – und war dennoch dazu gezwungen, nicht einzugreifen, solange sie nicht in Lebensgefahr schwebte.

Sein gefährliches Lächeln spannte über diese Erkenntnis seine Züge – und verblieb eisern auf ihnen, als sich der erste Blitz wutentbrannt in einem der Bäume in seinem Rücken entlud und die Dunkelheit taghell erleuchtete.

Natürlich zürnte er - und musste dennoch machtlos mitansehen, wie er sie in seinem Arm hielt, wollte er den Schwur der ungleichen Brüder wahren. Damit senkte sich sein Spitzaugenpaar erneut auf das so vertraute Antlitz. Mittlerweile erfolgte ihr Atem ruhig, ihre Miene war entspannt. Sie mutete beinahe schlafend an.

Doch, was bewog sie dazu nach 4 Jahrhunderten hierher zurückzukehren? Bedeutete es, dass sie es geschafft hatte? Dass er sie hatte leben lassen? Und wenn ja, wo war sie dann jetzt?

Unter dem Schleier

S

ich zu verlieben ist nicht schwierig, das Schwierige ist, zu sagen, daß man es ist. (Alfred de Musset)


 

Laut kreischend erhoben sich die Scharen mit kräftigen Flügelschlägen aus den Baumkronen. Für den Moment schien der Horizont, welcher unter dem dichten Blätterdach hellbläulich hervorblitzte, verdunkelt unter ihrer schieren Anzahl. Der Stamm neigte sich erst gefährlich auf befremdliche Art und Weise, ehe er in einem lauten Krachen durch das dichtbewachsene Blätterwerk brach. Die Erschütterung, als der Baum so unvorhergesehen zu Boden ging, lag längst nicht mehr in seinem Interesse. Äußerlich zur angebrachten Ungerührtheit zurückgekehrt, konzentrierte sich einzig sein verengtes Raubtiergold auf die scharfen Krallen seiner Klaue. Die Spur seiner grünlichen Energie leuchtete noch unter seinen Nägeln, als er seine Handinnenfläche in leicht geballter Haltung vor sich hielt.

Jetzt hatte sie es doch tatsächlich geschafft. Er hatte keinen anderen Ausweg mehr gesehen. Diesmal hatte er die Unterweisung vorzeitig beenden müssen. Um sein Gesicht zu wahren, wenn schon nicht seine anerzogene Beherrschung. Nicht, weil sie ihn in ihrem Unverständnis über sein Volk angeschrien hätte. Das tat sie seit einiger Zeit bereits nicht mehr. Musste ihr doch aufgefallen sein, wie wenig sinnvoll das war.

Stattdessen schien sie also dazu übergegangen zu sein, seine Geduld mit ihren Ansichten bis aufs Äußerste zu strapazieren. So geschickt wob sie in ihre Fragen eine jede davon ein, sodass sie selbst ihm beinahe als Nebensache erschienen- beinahe!

Fragen war etwas für Kinder.

Doch sie war kein Kind mehr; mochte sein Vater sie in ihrer Unkenntnis über ihre Sitten auch mit einem Ebensolchen vergleichen. Er tat dies nicht. Mochte es auch dort, wo sie herkam, völlig anders zugehen- und mochte auch er sich dort nicht im Ansatz zurechtfinden. Er war nicht dort, sondern sie hier. Also sollte sie sich nach all der Zeit allmählich so verhalten, wie man es ihr vorlebte!

Stattdessen jedoch schien die Prinzessin es vorzuziehen, viel zu gezielt an seiner so beachtlich ausgeprägten Fassung zu zerren. Für gewöhnlich einer der Grundpfeiler der Verehrung durch die Seinen, so gut er sich darin geübt hatte.

Doch die Göttertochter rüttelte allein mit einer jeden ihrer Fragen empfindlich an seinem Stolz und Ehrgefühl, als verdiente er nicht, sich ein Prinz unter den Seinen zu schimpfen. Wäre es nicht Ishizu, er vermutete längst Absicht dahinter. Dennoch, er hätte dem standhalten sollen. Es sollte ihm gleich sein. Wie ihm eine jede andere Meinung- außer die des ehrenwerten Vaters, gleich war.
 

Nicht, dass sie dumme Fragen stellte. Ganz im Gegenteil. Sie schaffte es doch tatsächlich allein mit einer jeden davon, seine Welt scheinbar ad Absurdum zu führen.

Nichtsdestotrotz reagierte er unverhältnismäßig. Heute schien der unumwundene Beweis.

Natürlich war ihm die väterliche Absicht nicht entgangen. Seitdem er ihm seine Schnapsidee aufgezwungen hatte - nämlich die verwöhnte Tochter und Prinzessin der Götter an seiner Statt in ihre Bräuche und Geschichte einzuweisen, einen jeden seiner Nachmittage – umgaben ihn keine Menschen mehr. Ein angenehmer Nebeneffekt, vertrugen die Seinigen doch wesentlich mehr als ihre schwächlichen Schützlinge.
 

Also belastete ihn seither zwar deren Inkompetenz nicht mehr; dafür musste er jedoch bereits seit einer guten Weile deren arroganter und uneinsichtiger Göttererbin die dämonischen Leviten lesen. Und das ganz ohne die üblichen Hilfsmittel, schließlich stand sie unter dem persönlichen Schutz des Herrn über seine Art - seines Vaters. Er war sich sicher, dafür alsbald vor eben diesen zitiert zu werden, als er sich die Schneise der Verwüstung, welche seine magische Attacke hinterlassen hatte, besah. Es müsste gleich soweit sein. Er rechnete mit Takesumi noch in einem der folgenden Momente.
 

Ein schier unmögliches Unterfangen der unverbesserlichen Optimistin von der Nützlichkeit ihres kriegerischen Lebensstils oder gar der Kriege, welche sein Volk kannte, zu berichten.

Sie war weltfremd – und argumentierte fern jeglicher Vernunft. Dennoch, so weit war sie noch nie zuvor gegangen. Nicht nur, dass sie ihm ins Wort gefallen war mit ihren lächerlichen Fragen nach der Sinnhaftigkeit so mancher militärischen Intervention. Natürlich ließ er sich auf derlei Diskussionen gar nicht erst ein. Es war evident, dass die Pazifistin das nicht verstand. Glaubte sie doch allen Ernstes, Konflikte allein mit Verhandlungen und Gegenleistungen lösen zu können. Anders als ihre, war seine Art dafür geboren zu kämpfen!

Sie sah es tagtäglich - ein jedes Mal, wenn sie ihm und seinem Vater am Kampfplatz beim morgendlichen Training beiwohnte. Erstaunlicherweise tat sie das regelmäßig und heizte damit mittlerweile ein jedes Mal die Unruhe in ihm an, welche ihn so eisern begleitete, seitdem sie sein Heim betreten hatte - und die ihm seither als Bestätigung dafür galt, dass diese Idee seines Vaters alles andere als gut war.

Der Sommer war vorbei - und dennoch roch sein Heim immer noch nach den Kirschblüten des Frühjahrs. Als wollte sich ihr Geruch im Gemäuer einnisten. Es raubte ihm auch jetzt einen leisen Atemzug.
 

Aus der bereits gewonnenen Erfahrung mit ihr hatte er sie also ihre befremdlichen Ansichten abermals vortragen lassen. Wie zu erwarten, war ihre Aufmerksamkeit erst danach wieder zugegen gewesen. Er hatte solange einfach auf Durchzug geschalten – mit mindermäßigem Erfolg heute, wie sich bedauerlicherweise herausgestellt hatte.

Denn heute hatte den Rahmen deutlich gesprengt. Hatte er sich doch als Wesen beschimpfen lassen müssen, das einzig dazu geschaffen worden war, um ihren Schöpferkami gegen seinen himmlischen Bruder zu verteidigen. Er war kein Werkzeug. Er besaß neben seinem wachen Verstand einen freien Willen - und folgte nicht blind, wie dies die Götter scheinbar ihrem Vater taten. Oder die Megami das gar von ihren Schützlingen fürchtete, so, wie die es vermied, echte Befehle zu erteilen. Nämlich so gefährlich regelmäßig, dass es schon an Dummheit grenzte. Natürlich war die Göttertochter alles andere als dumm – das hatte er bereits zu Beginn alsbald erleben dürfen. Es bescherte ihm zuweilen das ein oder andere Vergnügen, sie mit ihren Idealen im Verborgenen aufzuziehen. Mochte sie ihm auch ein jedes Mal dahinterkommen. Es verzerrte ihr dennoch die – zugegeben- nicht unansehnlichen Götterzüge in Missgunst.

Soweit er informiert war, traten Götter nur recht selten mit ihren Schöpfungen in Kontakt. Sie fürchteten die Einmischung in alles Irdische. Den Bruch ihres ererbten Schwurs. Den Schwur ihres Vaters an den Schöpfer seiner Art.

Darüber zuckte ein schmales Lächeln über seine Züge. Es schien sich zu bewahrheiten, so wenig, wie Ishizu preiszugeben bereit schien. Nicht, dass sie bei ihren Ansichten zurückhaltender wäre.

Er verstand es nicht. Was versprach sich sein Vater von diesem elenden Bündnis?

Er sah die Blicke, meinte die Seinen flüstern zu vernehmen, ein jedes Mal, wenn die sich unbeobachtet fühlten und er dem Beachtung schenkte. Nicht, dass er sich um deren unwichtige Meinung scherte. Doch seine Erziehung mahnte ihn zur Vorsicht, dieses Flüstern in seinen Ausmaßen zu begrenzen. Zudem besudelte ein jedes davon das Ansehen seines verdienstvollen und mächtigen Vaters.
 

„Sesshōmaru-sama“, vermochte ihn doch tatsächlich zu überraschen.
 

Nicht, dass sie das herrschaftliche Suffix wählte.

Das hatte sie sich nach ihrem ersten Ausrutscher ihm gegenüber zur Regel angewöhnt. Er hatte es bis jetzt als Schuldeingeständnis genüsslich hingenommen – war er doch schon seit Ewigkeiten aus dem Alter raus, in dem ihn noch jemand gefahrlos mit „-chan“ hatte ansprechen können.

Mochte sie es auch nicht absichtlich getan haben, Unwissenheit schützte nicht vor Strafe – auch nicht vor selbst auferlegter. Der Genuss blieb diesmal jedoch völlig aus.

Mit ihr hatte er nicht gerechnet. Sie klang ernstlich besorgt - und erst, als ihre zierlichen Hände mit diesen unsagbar langen und schlanken Fingern in sein Blickfeld traten, erschloss sich ihm auch der Grund dafür.

Instinktiv öffnete er die zur Faust geballte Klaue. Dass sich seine Krallen so tief in seine lupenweiße Dämonenhaut gefressen hatten, dass sogar sein dunkles Blut an seinem Handrücken hinab auf das Gras getropft war, war ihm völlig entgangen. Längst umgab ihn der Geruch nach Frühling. Zum allerersten Mal störte es ihn nicht, als ihre federleichte Berührung seine Unruhe mit einem Schlag in ihm verlosch. Wohltuende Ruhe legte sich über seine zum Bersten angespannten Sinne, lange bevor sich die Geschmeidigkeit ihrer Haut in sein Bewusstsein schlich.

Sie schien weniger geschockt ob des Frevels ihn berührt zu haben, denn verwundert, wie schnell die Schnitte heilten.

Eine Selbstverständlichkeit, dass, kaum, dass er die Krallen entfernt hatte, sie auch schon begonnen hatten, sich zu schließen.

Als sie ihr unergründliches Götterblau in sein regungsloses Raubtiergold erhob, verklang das Rascheln des Blätterdachs hoch über ihren Köpfen wie ein Donnergrollen durch seine leergefegten Gedanken. Für den Augenblick schien die Welt abermals still zu stehen.
 

Dann brach die Kälte unerbittlich auf ihn herein als ihre Hände von ihm abließen. Ihre Worte verklangen ungehört. Nur am Rande nahm er wahr, dass er seine Hand senkte. Seine Miene schien erstarrt in Regungslosigkeit, sodass er einen Moment brauchte, um zu realisieren, dass sie scheinbar einer Reaktion seinerseits bedurfte. Er wollte zu seinem charakteristisch dezenten Nicken ansetzen, um es abzutun, da erhaschte ihn der unnatürliche Windzug im Rücken.

Es machte jegliche Reaktion überflüssig, als Takesumi ihn zum Vater befahl.
 

Der Wind bewegte den Kerzenschein in den Ecken, als er durch die spaltbreitgeöffnete Japanpapiertür hereindrang. Es brach bereits die dritte Jahreszeit an seit ihrer Ankunft. Die Tage wichen früher der Dunkelheit, die Nächte wurden kühler. Der Wind wurde frischer und bog die Kerzen in den Schalen weit drängender, sodass ihr Schein wild die Finsternis zurück in die Nacht zu treiben schien.

Der Rückweg hatte etwas gedauert, zumal Takesumi sogleich die Chance ergriffen hatte, seine allabendlichen Unterweisungen in das dämonische Zeremoniell auf dem Heimweg fortzusetzen. Sich dem Kronprinzen auch nur zu nähern, war ein Sakrileg. Das wusste sie jetzt. Was mochte es da erst sein, ihn ungefragt berührt zu haben? Sie ging nicht davon aus, dass es da einen Unterschied machte, ob aus - wie sich im Nachhinein herausgestellt hatte - unberechtigter Sorge oder aus Respektlosigkeit. Nicht, so erbarmungslos wie sie ihn in seinen Urteilen kannte. Unbewusst entwich ihr ein Seufzen, was das menschliche Braun augenblicklich zielsicher auf ihre Züge lenkte.

Ein leises Räuspern erinnerte Ishizu an die Etikette. Sie nickte aus einem längst antrainierten Reflex heraus – und erlaubte so das Wort. Alles andere war sinnlos. Sie wollten es ja so.
 

„Habt Ihr Euch entschuldigen können, Ishizu-sama?“, wagte die mittelalte Menschenfrau und Erste ihrer Zofen daher vom Boden hinauf an sie zu richten - ohne den Blick zu heben.
 

Aus einem Automatismus heraus schüttelte sie den Kopf, ehe sie sich erinnerte, dass Yoko das nicht sehen konnte.
 

„Welchen Sinn verfolgen kriegerische Auseinandersetzungen mit hohen Verlusten, wenn eben diese am Ende doch immer in eine Verhandlung mit entsprechendem Ausgleich münden, Yoko?“

Der dunkelbraune Schopf, welcher in einem für die Kinder ihrer Mutter typischen Zopf gebändigt war, nickte sachte unter ihr.
 

„Wenn Ihr erlaubt, Hime-sama, so möchte ich eine Erklärung bemühen.“
 

„Bitte“, musste Ishizu aussprechen, weil die Untergebene sie ja nicht ansehen durfte.

Genau das empfand die Göttin als mühsam. Keine Konversation auf Augenhöhe zu führen.
 

„So ist Sesshōmaru-sama doch ein nicht minder stolzer Dämonenkrieger wie sein Vater. Dämonen verstehen sich als dazu berufen, sich ihren Ruf und ihre Ehre durch ihre Kraft und ihre Geschicklichkeit im Sieg über starke Gegner zu verdienen.“
 

Sie hatte ihn ja auch nicht angreifen wollen oder respektlos sein wollen. Sah sie seinen Stolz doch einen jeden Morgen am Platz, den er sich wohl nicht ohne Grund erworben hatte. Er war ungeheuer flink, seine Bewegungen zielgerichtet - ohne unnötige Schlenker und beeindruckend geschmeidig. Es glich mehr einem Tanz denn einem Kampf, fand sie. Und es erinnerte wenig an das, was sie von ihrem Bruder oder seinen Kriegern kannte.

Dennoch gab es doch so viele andere Wege. Seine Art mochte als Waffe erschaffen worden sein, dennoch hatte der dunkle Schöpfer den Regeln folgen müssen. Wie allen Schöpfungen hatte er auch ihnen einen freien Willen zugestehen müssen, neben dem Willen zu überleben. Und Sesshōmaru besaß ebenso wie sein Vater einen messerscharfen Verstand.

Natürlich sahen in diese Welt Geborene nicht, wie ihre Chancen standen – zumindest nicht, ehe das Kräfteverhältnis in arge Schieflage geraten war.

Wieso also benutzte er jenen nicht dazu, den Kampf zu vermeiden anstatt ihn zu suchen? Sie kannte die Antwort längst – und musste sich wie so oft eingestehen, dass sie ihr nicht so recht passen wollte. Unwillkürlich schüttelte die Göttertochter kaum merklich ihren Kopf über sich selbst. Unverbesserlich, es stand ihr nicht zu, dennoch hatte sie bereits seit einer Weile bemerkt, dass sie es sich wohl eingestehen musste. Es ging längst nicht mehr darum, ein Versprechen zu wahren.

Letztlich war es heute ihre Verfehlung gewesen, die sie gerne erklärt hätte.
 

„Natürlich verstehe ich, dass es notwendig ist, sich zu verteidigen – und wohl auch, sich den eigenen Platz in dieser Welt nach den Regeln der Gesellschaft, in die man hineingeboren wurde, zu erarbeiten, habt Dank, Yoko“, lächelte Ishizu auf den Schopf mit den ersten grauen Strähnen hinab.
 

„Wenn ihr mir erlaubt, Ishizu-sama?“

„Sicher doch, Yoko“, erhob ihr Meeresblau längst wieder zurück auf das tanzende Spiel aus Licht und ihren Schatten, welches sich auf den Papiertüren warm abzeichnete.
 

Yoko zupfte mittlerweile den Ärmel ihrer Yukata zurecht - für gewöhnlich einer ihrer letzten Akte, ehe sie sich an ihr Haar machte. Zwei ihrer Menschendamen knieten zu ihren Seiten, weil sie sich nicht neben ihr erheben durften, um ihr den Obi für die Nacht zu binden. Warum das nötig war, erschloss sich der Göttertochter natürlich nicht, dennoch akzeptierte sie es kommentarlos. Wie so viele ihrer Sitten. Sie war hier, um sie zu erlernen. Nur bei ihm wollte das nicht so recht funktionieren. Was war sie auch so dämlich? Manchmal schien es unmöglich aufzuhören - wie heute. Als hätte sie sich erdreistet, ihn bekehren zu wollen. Nicht, dass sie gerne mit ihm stritt. Außer er verlangte geradezu danach in seiner Uneinsichtigkeit von selten gekanntem Ausmaß. Doch so sehr sie sich vornahm, den Dämonenprinzen in seinen Überzeugungen zu belassen - ein jedes Mal aufs Neue, irgendetwas in ihr konnte einfach nicht schweigen. Es war wie verhext. Nicht, dass das möglich wäre. Dennoch, seit wann respektierte sie die Meinung anderer nicht mehr? Nun, genau genommen respektierte sie nur die Seine nicht.
 

„… Nozomi und ihre Dämoninnen vermeinten die Yōki des jungen Herrn heute doch deutlich ausschlagen…“, verklang wohl gerade ein wohlgemeinter Rat der geborenen Bediensteten.
 

Ishizu entglitt ein trauriges Lächeln. Der Flohgeist musste ihnen von ihrer Auseinandersetzung erzählt haben. Natürlich waren sie neugierig gewesen, was seine Energie so offen zutage gefördert hatte. So sehr, dass es den Vater mal wieder auf den Plan gerufen hatte.

Es hatte auch ihr unmöglich entgehen können. Mutter Natur hatte selbst für ihre dezimierten Sinne gut vernehmbar aufgeschrien unter seiner Attacke. Deshalb hatte sie ihn überhaupt gefunden.
 

„… Morgen wird sich sicherlich eine Möglichkeit finden, um sich zu entschuldigen…“, ereilte Ishizu nur mehr hintergründig.
 

Reflexartig wanderte ihr Meeresblau zu ihrer Wölfin am Rand. Sie hatte die spitzzulaufende Schnauze auf ihren überschlagenen Vorderpfoten abgelegt. Längst bereit dazu zu dösen. Ihre Augen hatte sie jedoch genau in dem Moment aufgeschlagen, als er lichterloh auch in ihren Sinnen aufgeflammt war. Sie irrte sich also nicht; mochte auch kein Windzug den Rhythmus des flackernden Kerzenscheins gestört haben. Kein Geräusch das Zirpen unterbrochen haben. Und doch bat ihr Herz lautstark um Gehör, während sie ihre Atmung kontrollierte.
 

„Ich bin müde. Danke für eure Dienste. Begebt euch nun zu Bett“, bat sie ihre Menschendamen und auf das leise Heben des bräunlichen Schopfes vor sich, versicherte sie noch rasch: „den Rest schaffe ich allein, Yoko.“
 

Offensichtlich gedachte er nicht mehr bis Morgen zu warten. Sie nutzte den nächsten Moment, um ihre Barriere mit geschlossenen Augen zu errichten. Als sich die Tür schabend gen Rahmen aufschob, schlug sie ihre Augen auf. Sie wusste, dass damit ihre Damen den normalerweise hörbaren Bereich wohl verlassen haben mussten. So gut schätzte sie seine naturgegebenen Sinne ein. Dennoch verstand sie nicht, warum er sich hierher begeben hatte. Hatte seine Unterredung mit seinem Vater so lange gedauert? War er deshalb hier?

Es beruhigte sie, dass er auf der Veranda verblieb, fühlte sie sich doch merklich verunsichert unter seiner Musterung.
 

„Was macht Ihr hier?“
 

„Etwas überprüfen“, war wortkarg wie immer.
 

Es erschloss sich ihr nicht – und kräuselte ihr Näschen in Skepsis. Nicht das erste Mal, dass es ihm auffiel. Doch dieses Mal fing es sein lauerndes Raubtiergold ungeniert ein. Es machte sie nervös. Nervöser als es gut war. Und an seinem Blick glaubte sie zu erkennen, dass es ihm nicht entging. Was hatte sie da nur geritten, ihm zu folgen?
 

„Habt Ihr mit Eurem verehrten Vater bis jetzt gesprochen?“, erfolgte nicht ohne Grund.
 

Das Lächeln, das daraufhin über seine Züge huschte, bedeutete ihr, dass auch die Erinnerung an den verehrten Vater wohl nicht mehr half.
 

„Interessant. Ich hatte nicht erwartet, dass du dich hinter ihm versteckst“, senkte ihren Blick.
 

Kein Ishizu-sama, keine Distanz mehr. Es entging ihr nicht und resultierte doch einzig in einer natürlichen Regung, welche ihm den charakteristischen Laut herantrug, als ihr das leise Schmunzeln über seine messerscharfe Beobachtung entglitt. Darin stimmte sie mit ihm überein. Sie auch nicht.
 

„Du willst wissen, warum ich dir folgte“, erhob ihr unergründliches Meeresblau zurück in seine ungerührten Züge.
 

Das konnte er sich längst denken. Viel wichtiger war, dass sie seine Einladung erkannt hatte – und ihr folgte. Dennoch hielt sie die Distanz weiterhin. Takesumi musste also mit ihr gesprochen haben. Ein Zucken um seine Mundwinkel, mehr verriet die leise Belustigung nicht. Seine Sinne konzentrierten sich längst einzig auf sie. Auf das leise Hämmern ihres Herzens, das so viel langsamer erfolgte als der Herzschlag seiner Art. Und doch vermeinte er es rascher, drängender als sonst.
 

„Es obliegt mir, den Abstand zu bestimmen, Ishizu“, ein unruhiges Flackern, mehr verriet ihm die Regung in ihr nicht, welche seine Worte hervorbrachten.
 

„Das ist eine Aufforderung“, belohnte er mit dem gewohnt hochnäsigen Funkeln in seinem Dämonengold.
 

„Was willst du?“, erfolgte leise – und erreichte ihn dennoch wie das Tosen der Brandung.
 

Natürlich ließ sie sich nicht bitten, sondern bedrängte nun ihn. Er hatte es auch nicht anders erwartet. Also übertrat letztlich er die Schwelle in ihre Gemächer. Sie folgte einem jeden seiner Schritte auf sie zu nicht minder aufmerksam, wie er ihrem Atem, der leise abflachte. Ihrem Herzschlag, der sich dem Seinen begann anzugleichen.

Sie hob ihr Meeresblau zu ihm hinauf, als er vor sie kam. Eindeutig jegliche Grenze überschreitend. Auch für ihre Welt. Nur hintergründig erhaschte er das Klackern der Schritte über das polierte Holz an ihre Seite. Ihre Wölfin hatte sich erhoben. Er behielt sein Raubtiergold dennoch auf ihrem so unergründlichen Götterblau.
 

„Ich wiederhole mich nicht, Ishizu“, war zu sanft, um als Tadel durchzugehen.
 

Jetzt bemerkte er das Erzittern, das allein ihr Name von seinen Lippen in ihr auslöste. Als er die Klaue an ihre Wange hob, huschte ihr Augenmerk an ihre Seite hin zu seiner erwarteten Berührung. Er beobachtete das nervöse Abgleiten seiner Hand durch ihr Meeresblau, hörte ihren Atem nervös ansteigen, spürte die zarte Wärme ihrer Haut, lange bevor er damit in Kontakt kam. Götter schienen bei Weitem eine niedrigere Körpertemperatur aufzuweisen als seine Art, bemerkte er noch bei sich. Dann durchzuckte ihn der Kontakt wie ein Stromschlag.

Es senkte ihre Augenlider wie in Zeitlupe vor ihm, als er ihre Zartheit zum wiederholten Male am heutigen Tag erfühlte. Wieder breitete sich diese betörende Ruhe über ihn, ehe eine wohlvertraute Unruhe in ihm zu keimen begann. Er wusste jetzt, was es war.

Es war längst Nebensache, dass sich das Tapsen der Schritte ihres vierbeinigen Schattens durch die Shōjitüren entfernte.
 

„Wir sollten das nicht tun“, war nur ein Wispern - und keine Überraschung für ihn.
 

Dennoch behielt sie die Augen geschlossen. Dennoch schmiegte sie sich bereits gegen seine Berührung. Es trieb ihm einen abermaligen Zug über die schmalen Lippen, während sein dämonisches Gold ihre Züge abwanderte, als wollte er sich ein jedes Detail davon einprägen.

Als er seinen Daumen über ihre zartrosa Lippen führte, öffnete sie die Augen. Es verschlug ihm den Atem, als er in ihrem Meeresblau haltlos zu versinken drohte.
 

„Du kannst jederzeit abbrechen“, erfolgte bereits nahe über ihren Lippen.

Bewusst stoppte er, senkte seine Nase auf ihre und studierte nahezu ihr unruhiges Götterblau unter den halbgesenkten Lidern.
 

„Oder der Neugierde erliegen“, von ihr gab ihm nicht die Zeit für eine Reaktion.
 

Da hatten sich ihre kleinen Hände auch schon in den Kragen seines Kimonos gekrallt. Er konnte nur mehr dem Zug an ihre Lippen folgen. Sie schien auch hierbei längst zu wissen, was sie wollte. Er war angenehm überrascht, jedoch nicht lange genug, um ihr die Oberhand zu überlassen. Mittlerweile barg er ihre Wangen in beiden Händen und bestimmte längst die Intensität ihrer ersten leidenschaftlichen Begegnung. Solange, bis sie wie von der Tarantel gestochen von ihm wich. Es geschah zu urplötzlich, dass selbst er eines Augenblicks bedurfte, um zu realisieren, dass sie ihn wohl zu eng an sich gezogen hatte. Er trug seine Rüstung. Ihr beider Atem hob sich längst laut über das Zirpen. Unmöglich jetzt aufzuhören. Als er sein Raubtiergold auf ihr Meeresblau herabsenkte, wusste er, dass er damit nicht allein war.
 

„Ich könnte dich nach dem Weg zur Waffenkammer fragen“, erschloss sich ihm erst, als sie ihre zierliche Hand auf seinen Harnisch ablegte.
 

Es raubte ihm sein schmales Lächeln. Der Schließmechanismus war in der Tat weniger intuitiv, dennoch, ihn da rausschneiden zu wollen, war auch ihm neu.
 

„Was lässt dich glauben, mit den Schwertern umgehen zu können, Megami?“, traf ihr verlockendes Lächeln.
 

„Willst du es rausfinden, Yōkai?“, von ihr sollte sich ihm erst nach langer Zeit als der Moment erschließen, ab dem es kein Zurück mehr gegeben hatte. Für keinen von ihnen beiden.
 

Es war der Moment, in dem er seinem inneren Drängen endgültig die Führung überließ. Rasch hatte er sich abermals zu ihr hinabgebeugt, um ihre Lippen in einem herrischen Kuss einzufangen. Bemüht darum, sie dieses Mal vor dem Dornenaufsatz zu schützen. Als sie ihre Arme um seinen Nacken schlang und ihn nicht minder hungrig empfing, klickte der erste Verschluss. Es löste ihren Kuss unter ihrem Grinsen, ehe sie ihre Stupsnase an seiner entlangrieb - unter dem zweiten Klicken.
 

„Du könntest dir endlich angewöhnen, mir die Zeit einzuräumen, dir folgen zu können, Sesshōmaru“, erfolgte knapp über seinen Lippen.
 

Ihr Meeresblau stach fest in sein lauerndes Raubtiergold. Diesmal erspürte sie ihn leise erzittern unter dem Klang seines Namens von ihren Lippen.

Die Zweideutigkeit hatte er dagegen erwartet. Und natürlich war es bewusst zweideutig - und klang nach genau dem Tadel, der es sein sollte. Er zückte einzig verlockend seine Braue – und fesselte so all ihre Aufmerksamkeit für den Moment. Unverkennbar, dass es sie aus dem Konzept zu bringen vermochte. Er sah sogar ihr Grinsen schwinden, ehe sie sich aus ihrer Faszination löste. Unmöglich, dass sie ahnte, was sie in ihm anrichtete, als ihre zarten Hände seine Wangen umfassten. Ihr Blick fing seinen ein, als ihre Fingerkuppen in einer nie zuvor gekannten Zartheit über seine dämonischen Streifen tanzten – wie Regentropfen im leichten Sommerregen. Er vergaß für den Augenblick auf die Verschnürungen. Automatisch wanderten seine Hände an ihre schlanke Hüfte, während er ihre Lippen in einem weiteren Kuss, fern von jeglicher Unschuld, verschloss. Sie war zarter gebaut als eine jede Dämonin, die er kannte. Instinktiv mahnte er sich zur Umsicht, ehe der leise Ruck ihre Zärtlichkeit brach.

Sie hatte so ihre Mühen. Also traf ihn ihr Meeresblau diesmal eindeutig vom Vorwurf gezeichnet, den Harnisch immer noch nicht abgelegt zu haben.
 

„Du könntest dir Geduld angewöhnen, Ishizu“, nutzte er genüsslich seine Chance zur Revanche.
 

Tatsächlich kam er so in den Genuss ihrer zu einem Schmollmund geschürzten Lippen. Er war beeindruckt, was allein diese Regung in ihm für einen Widerhall erzeugte. Das charakteristisch helle Geräusch, als das Objekt des Missfallens endlich zu Boden glitt, wurde weder von ihr noch von ihm groß gewürdigt, als Dämon und Göttin sich einfach nur ansahen. Ihre zierliche Frauenhand wirkte befremdlich kalt auf seiner Brust, ihre Nägel unvertraut stumpf und dennoch vermochte es allein diese harmlose Berührung, sich einem Feuerschweif gleich durch seine Sinne zu brennen. Unruhig glitt sein Raubtiergold ihre vor Aufregung gespannten Züge ab, während seine Klaue zurück an ihre Wange fand, um schlussendlich ihr Kinn in einer unerwarteten Sanftheit zu umfassen und sie behutsam an seine Lippen zu ziehen. Diesmal begegnete er ihr mit einer solchen Behutsamkeit, dass er die Anspannung regelrecht aus ihr weichen vernahm, sobald seine Hände an ihren Seiten hinab an ihr wohlgeformtes Gesäß fanden. Keuchend begrüßte sie den leisen Ruck, mit welchem er sie sich dann auf die Hüfte lud.

Er war bereits auf halbem Weg in ihr Schlafgemach hinein, als sie sich um Atem ringend von seinen Lippen löste. Ein leiser Anflug von Unsicherheit bewegte ihr lebendig funkelndes Götterblau, als es sich in noch selten gekannter Zärtlichkeit auf ihn herabsenkte.
 

„Sei sanft“, zerrte verräterisch an seinen Mundwinkeln, „oder ich sehe mich gezwungen, dich zu läutern“, trieb ihm diese endgültig in seinem gefährlichen Lächeln auseinander.
 

Der Futon knirschte vertraut unter ihm, als er sie voran darauf bettete.

Sein Raubtiergold ließ ihr Meeresblau nicht aus. Seine Lippen streiften ihre leicht geöffneten, sein Atem stieß heiß gegen sie, als er rau über ihr grollte: „Demnach hast du den Weg zur Waffenkammer gefunden.“

Ihr siegessicheres Grinsen spannte ihre rosa Lippen, während sie ihn nicht minder begierig empfing.
 

„Ich glaube, ich sollte dir etwas sagen“, begleitete das samtene Rascheln ihrer Decke, welches ihn von der Seite erreichte.
 

Gebannt verfolgte sein im Halbdunkeln funkelndes Rautiergold ihre geschmeidige Bewegung, als sie sich zu ihm drehte. Die Decke mit ihrer Hand vor der Brust verschränkt, offenbarte der seidige Stoff ihre betörenden Körperproportionen – ohne allzu viel davon preiszugeben. Eine verlockende Erinnerung damit in ihm heraufbeschwörend. Er hörte ihren leisen Atem, war umgeben von ihrem Geruch vermischt mit dem seinen und erinnerte die erregende Geschmeidigkeit einer jeder ihrer Bewegungen gegen sich. Ihre Haut umspannte ihren Körper in einer solch dünnen Feinheit, dass er beinahe Angst gehabt hatte, sie mit seinen Krallen ernstlich zu verletzen. Wie sich herausgestellt hatte, völlig unbegründet. So zart sie war, so erstaunlich viel hielt sie doch aus. Also glitt sein Gold nur nebensächlich über die rötlichen Kratzer, welche halb von der Decke verdeckt von seiner letzten Berührung zeugten.

Er lehnte mit dem Rücken gegen das Holz der Wand unweit neben ihr, als sie ihren Kopf auf ihrem Ellbogen abstützte. Ihrem göttlichen Meeresblau begegnete er ungerührt - eine erwartungsvolle Stile, wie sie mittlerweile wusste.

Zuerst hatte sie gedacht, er höre sie nicht. Nachdem ihre Wiederholungen aber seine Miene jedes Mal gar so empfindlich verzerrt hatten und seine Aggression sich schließlich an dem ein oder anderen, glücklicherweise, dämonischen Personal entladen hatte, war sie dazu übergegangen, zu glauben, dass er sie bewusst ignorierte. Das hatte sie dann regelmäßig auf die Palme gebracht.

Mittlerweile glaubte sie zu wissen, dass er es in seinem Pragmatismus einfach nicht als sinnvoll empfand, mehr als nötig auszuformulieren.

Dennoch hatte es noch einen weiteren Moment gebraucht, ehe sich ihr erschlossen hatte, dass es nicht nur einer Art Belohnung glich, sondern ein Ausdruck von Respekt war, wenn er einem in ganzen Sätzen antwortete.

Noch einmal wanderte sie seine so ansehnlichen Dämonenzüge ab, welche ihn unweigerlich von ihr trennten. Niemand ihrer Art wählte die Streifen auf den Wangen oder die Zeichnungen auf der Stirn seines Schöpfers – kaum einer die spitzen Pupillen. Und doch musste sie sich längst ihre anziehende Wirkung auf sich eingestehen.
 

„Erinnerst du dich an den Abend meiner Ankunft, an unsere erste Auseinandersetzung?“, verdiente seiner Meinung nach wohl keiner Antwort.
 

Es lenkte einzig sein Augenmerk von ihr ab, hinein in ihr Schlafgemach, welches mit Shōjitüren von ihrem Ankleidezimmer abgetrennt war. Die Schiebetür, durch welche er sie hierhergetragen hatte, stand immer noch offen und ließ den leisen Windzug hinein. Es schien vor noch so kurzer Zeit passiert, dass es mehr einem Traum denn der Realität glich.
 

„Dein Herr Vater bat mich damals, dir auch weiterhin offen zu begegnen – und meine Meinung frei zu äußern“, beorderte sein Dämonengold wieder zurück auf ihre Züge.
 

Es war keine Überraschung für den Sohn, kannte er doch seinen Vater. Dennoch wanderte sein Raubtiergold ihre Miene nahezu prüfend ab.
 

„Demnach hältst du daran fest“, entsprach ganz seiner Art Fragen zu stellen ohne sie auszuformulieren.
 

Sie tat es kopfschüttelnd ab: „Darum geht es schon lange nicht mehr.“
 

Er behielt sein Augenmerk einzig auf ihren so entspannten Zügen, als sie nach wie vor in die Decke gehüllt auf seinen Schoß kam. Diesmal gab sie sich ihrer Faszination hin, als ihre Fingerkuppe seine gezückte Braue nachzuziehen begann. Er verfolgte jede Bewegung in ihrem unergründlichen Meeresblau dabei, während er ihre federartige Berührung genoss. Sie hatte eine ihm bis dato völlig fremde Art, ihn zu berühren. Sie ließ es zu, dass er den Stoff an ihrer Seite raffte, um schlussendlich darunter an ihre von der Decke gewärmte Haut zu finden. Seine Krallen schabten hauchzart über diese, während seine Hände über ihr Becken an ihren Rücken fanden, um alsbald wieder beruhigend daran entlang zu gleiten. Wieder entspannte es sie merklich. Der ungewohnte Schmerz war noch zu kurz vergangen, um bereits ganz vergessen zu sein. Dennoch hatte sie wieder genau gewusst, was sie brauchte. Es passte nicht recht ins Bild – mochte es ihn auch angenehm überrascht haben.

Sie goutierte es derweil mit ihrem entzückten Lächeln, während sie ihm das seidige Haar aus dem Gesicht strich. Wieder senkte sich ihr Blick in einer nie gekannten Zärtlichkeit auf ihn herab.
 

„Es macht dir Spaß“, war eine Vermutung - und eine Unterstellung, die nur von einem Dämon kommen konnte.

So bedurfte sie eines Augenblicks, ehe sich ihr erschloss, dass er ja eine Erläuterung gefordert hatte – mit der gezückten Augenbraue. Ihr entglitt ein Schmunzeln.
 

„An deiner Fassung zu rütteln, auf die du so stolz bist, Yōkaisohn? Vielleicht“, lächelte sie längst wieder gegen seine Lippen, ehe sie die ihren neckisch darauf tupfte.
 

Eine Abfolge neckischer Zärtlichkeiten damit heraufbeschwörend, welche erst von dem Kichern gebrochen wurde, welches durch die Türen vom Vorzimmer hereindrang. Er musste es lange schon bemerkt haben, als sich ihr Meeresblau forschend auf sein ungerührtes Gold senkte. Er erkannte den noch nicht völlig ausgeprägten Bass, ebenso wie die helle Stimme ihrer dämonischen Zofe. Als sie lächelte, wanderte sein Raubtiergold ihre Züge interessiert ab.
 

„Passiert das öfter?“

Es erstaunte sie, dass er sie mit einer Frage belohnte.
 

„Du möchtest doch jetzt nicht etwa einschreiten?“, säuselte sie gegen das affektierte Kichern von draußen an.
 

Es bescherte ihr einen Blick aus Raubtiergold, den sie sehr gut kannte - Tadel. Doch diesmal entlockte es ihr einen belustigten Laut - ein Glück bei Weitem weniger affektiert als das Schauspiel vor den Türen. In der Tat, war der Herrschersohn nur zu geneigt einzugreifen. Schließlich waren die beiden nicht auf ihrem Platz. Nun Nozomi genau genommen schon, Takeo dagegen nicht. Als sein Raubtiergold erwartungsvoll auf ihr lag, brach sie in schallendes Lachen aus, sodass er seine Augen warnend verengte. Schließlich waren die Türen dünn. Ein Aspekt, der ihm erst jetzt in all seiner Bedeutungsschwere zu Bewusstsein kam. Wo war sein Scharfsinn heute Abend?

Ishizu hielt sich längst die Hand vor ihre vor Verzückung gespannten Lippen, bemüht sich zu beruhigen, während sie ihm mit einem Kopfschütteln begegnete.
 

„Sie können uns nicht hören.“

Als sie die Augen schloss, einen tiefen Atemzug nahm und ihre gegensätzliche Magie leise kribbelnd über seine Haut glitt, erkannte er, dass sie einen Zauber wirkte. Das Glühen ihres rautenförmigen Steins auf der Stirn nahm im Gleichklang mit den Geräuschen von draußen ab, welche immer weiter in die Ferne drifteten. Sie traf auf seine interessierte Musterung, sobald sie ihre Augen wieder aufgeschlagen hatte. Irgendetwas beschäftigte ihn. Doch, ehe sie sich danach auch nur erkundigen konnte, ereilte es sie völlig unerwartet und nicht minder berechtigt.
 

„Wie wird dein Vater reagieren?“

Er nahm nicht an, dass es ihm entging, wenn seine Tochter und Erbin nicht mehr unberührt blieb.
 

Zu seiner Verwunderung entwich ihr ein zartes Lächeln darüber, ehe sie erklärte: „Er weiß es nicht. Wir haben eine Absprache. Solange ich nicht in Lebensgefahr schwebe, verfolgt er meine Leben auf Erden nicht.“

Er meinte zu verstehen. Um nicht einzugreifen. Damit sie ihre eigenen Erfahrungen machen konnte.
 

„Es würde ihm aber alles andere als gefallen“, und damit das Bündnis brechen, brauchte sie nicht auszusprechen.

Für einen Wimpernschlag glaubte er den Anflug von Furcht in ihrem Meeresblau aufflackern zu sehen.
 

„Deiner?“, wirkte fast wie eine Ablenkung.
 

„Er ehrt ein jedes seiner Versprechen“, und hatte ihre Unversehrtheit versprochen.
 

Ein Versprechen, das er eindeutig mit der heutigen Nacht gebrochen hatte.

Er ging nicht davon aus, dass der Gott der Götter da einen Unterschied machte. Soweit er wusste, neigte der zu einem eher stürmischen Temperament. Den Ausdruck in ihrem so einzigartigen Götterblau meinte er derweil zweifelsfrei zu erkennen. Als seine Klaue an ihre Wange fand, schmiegte sie sich längst vertraut dagegen, ehe sie sie in ihre so viel Kleinere barg und an ihre Lippen führte. Ihr Blick stach fest in seinen als sie einen Kuss in seine Handinnenfläche tupfte.
 

„Ich werde es nicht abstreiten, wenn sie uns auf die Schliche kommen“, hatte er befürchtet.
 

Götter waren nicht dafür bekannt zu lügen. Dieses Mal war es seine Klaue, welche eine ihrer pechschwarzen Strähnen aus ihren traurigen Zügen strich, ehe er ihr Kinn erneut umfasste und sie behutsam an seine Lippen zog. Ihr leises Aufseufzen, während sich ihre Arme einer federleichten Last gleich auf seine Schultern legten, war Musik in seinen Ohren und intensivierte ihre sehnsüchtige Begegnung.

Er beendete den Kuss ungewöhnlich sanft. War sie ehrlich hatte sie nie damit gerechnet, dass er das konnte. Nicht minder behutsam drängte er sie dann von seinem Schoß. Es erschloss sich ihr augenblicklich, dass er scheinbar gehen wollte.

In seinen Augen der einzig gangbare Weg. Er konnte nur hoffen, dass sie niemand nach dieser Nacht fragte. Sie verblieb auf ihren Knien am Futon, während er sich bereits erhoben hatte und nach seiner Hakama langte. Kurz huschte ein leises Zucken über seine Züge, als er sich dabei die drei Treppenstufen hinabbeugen musste.

Der Westflügel war in regem Aufruhr gewesen, um ihre Ankunft vorzubereiten. Nicht nur die fremdartigen Federkissen, auf denen sie ruhte und die sich als befremdlich weich herausgestellt hatten, waren eine Sonderanfertigung. Damit sie nicht am Boden schlafen musste, hatte man ihre Schlafstatt um drei Stufen erhöht. Es war ihm lächerlich vorgekommen. Auch, weil er nicht schlief. Er setzte gerade dazu an, in das erste Hosenbein zu steigen, als ihre Stimme wie ein Messer scharf und kalt durch seine Gedanken schnitt.
 

>Ich kann flunkern, wenn das hilft?<

Er langte noch nach der mittleren Stufe, in der Hoffnung sich abstützen zu können - und langte doch knapp daneben. In nahezu akrobatischer Perfektion landete er auf seinem Hintern, die Hakama unverrichteter Dinge in der rechten Klaue. Sein Blick war mörderisch, den er der Göttin die drei Treppenstufen unter seinem wild um sich ausgebreiteten Silber hinaufsandte, kaum, dass ihn ihre Belustigung erreichte. Er hatte nicht erwartet, dass sie das wagte. Dass sie es konnte.

Sie prustete aller Bemühungen zum Trotz los. Mochte sie ihr Grinsen auch wohlwissentlich hinter ihrer Hand verbergen, es schüttelte sie längst unerbittlich über ihm, während sein Raubtiergold eisig auf ihr lag.
 

„Raus aus meinem Kopf, Götterprinzessin!“, war so scheidend kalt, dass es ihren Blick schlagartig abwandte.

Ihr Glucksen vermochte es dennoch nicht restlos abzustellen. Er erhob sich noch darunter in die Senkrechte - die Hakama am Boden belassend.
 

„Ich wollte nicht…“, deutete die Entschuldigung nur halbherzig an, während sie noch sichtlich um Fassung rang.
 

Abermals knirschte der Futon charakteristisch unter seinem Gewicht, als er die zierliche Göttin unter sich begrub. Eisern stach sein funkelndes Dämonengold in ihr nach wie vor amüsiert-tanzendes Meeresblau.

Natürlich war ihm das fremd. Normalerweise fürchtete ein jeder, sich seinen Zorn auch nur mit einer Unachtsamkeit zuzuziehen. Über ihn zu lachen war unvorstellbar. Dennoch zeigte sie ihm ihre Belustigung ob seines ungewollten Falles nur zu deutlich. Es war befremdlich. Wenn auch fern von jeglicher Beleidigung - seltsamerweise.

Also sah er stumm dabei zu, wie ihre Miene zurück zur Ernsthaftigkeit fand, erstaunt darüber, wie stark allein ihr offenes Amüsement in ihm nachhallte.
 

„Wo liegt der Unterschied?“, überging er es schlussendlich geflissentlich.
 

„Ich werde nichts abstreiten, aber ich kann verschweigen oder erfinden, wo ich war“, erhob ihr göttliches Meeresblau vorsichtig in sein Raubtiergold.

Er gewährte sich den Moment zum Abwägen. Nicht, weil er an sich zweifelte. Er konnte das mit seinem Gewissen vereinbaren - und wollte das.
 

„Du traust es mir nicht zu“, zauberte ihr bereits wieder das kämpferische Lächeln auf die so ansehnlichen Züge.
 

Sein Dämonengold maß einzig ihr Antlitz, als er auf sie hinabsah. Wieder genoss er die federartige Berührung ihrer Fingerkuppen, als sie ihm den Pony zurückstrich. Er wanderte ihre Züge nahezu akribisch ab, ehe er nüchtern feststellte: „Du wirst ihn belügen - tagtäglich.“
 

„Ich werde es verschweigen", verbesserte sie, „was lässt dich glauben, das sei neu für mich?“

Entlockte ihm sein hochnäsiges Lächeln. Nicht, dass es ihn überraschte.

Kurz besah sie ihn sich daher eingehender. Offensichtlich drückte er so nicht nur Überlegenheit aus.

Es genügte ihm. Er wollte, dass es ihm genügte. Also beugte er sich erneut zu ihr hinab, um ihre Lippen in einem harschen Kuss einzufangen.
 

„Und es heißt ‘Prinzessin der Götter‘ oder ‘Pharaonenprinzessin‘ - und nicht ‘Götterprinzessin‘“, raubte ihm einen verräterischen Zug um seine schmalen Lippen knapp über den ihren, als sie sich lösten.

Darauf hatte sie wohl schon eine ganze Weile gewartet. Nur, wo lag der Unterschied?
 

„Ich nenne dich doch auch nicht Dämonenhund“, wirkte fast trotzig.

Ihre Betonung lag dabei ganz klar auf der Endsilbe - und spannte seine Lippen in dem schmalen Lächeln, ehe sein dämonisches Gold ihr göttliches Blau für einen nicht enden wollenden Moment gefangen nahm.
 

„Ich sollte schlafen“, brach sie den Kontakt schlussendlich in einem zarten Flüstern.
 

Er ließ es zu, dass sie ihn mit sanftem aber bestimmtem Druck von sich bugsierte, um sogleich an seine Seite zu finden. Beinahe interessiert lag seine Aufmerksamkeit auf ihr, während sie sich an ihn schmiegte und ihren Kopf auf seiner Brust bettete. Er spielte längst nicht mehr mit dem Gedanken zu gehen, als sie seinen Arm um ihre Hüfte legte und sich nicht nur in die Decke mummelte.

Er hatte das nie zuvor gesehen.
 

„Du weißt doch hoffentlich, wie man jemanden weckt, Hundedämon?“, verriet ihm zwei Dinge.

Erstens, dass sie erahnte, dass er den Schlaf anderer nie beobachtet hatte. Zweitens, dass sie erwartete, von ihm geweckt zu werden, ehe er ging.

Nicht, dass sie ihn auch einfach darum hätte bitten können.
 

„Demnach wünscht du, wachgerüttelt zu werden, Prinzessin der Götter“, hatte sie sich seiner Meinung nach damit redlich verdient.
 

Es erfolgte so nüchtern, dass es ihr allein aufgrund seiner scheinbaren Ernsthaftigkeit ein Lachen raubte.

Wofür hielt sie ihn? Natürlich war auch er einst geweckt worden, mochte das auch eine gefühlte Ewigkeit her sein. Sein sanfter Griff um ihr zartes Handgelenk verhinderte den wohl strafend gemeinten Schlag gegen seine Brust. Sein vor Belustigung lebendig funkelndes Gold entspannte ihre vor Empörung gezeichneten Züge augenblicklich. Er ließ sie aus, als er ihre Bewegung an seine Wange erkannte und genoss das zarte Tupfen ihrer Fingerkuppen über seine magentafarbenen Streifen.
 

Es war der Moment gewesen, als sie sich mit einem zarten Kuss zurück an seine Brust geschmiegt und die Augen vor ihm geschlossen hatte, in dem er erkannt hatte, dass es dieses Mal anders war.

Mittlerweile hatte sich das Wetter beruhigt, die Wolken hingen einzig drohend über ihnen. Er war mit ihr schlussendlich aus dem Fluss gestiegen und hatte sie auf seinem Schoß gebettet. Die Beine im Schneidersitz lehnte ihr Rücken gegen sein angewinkeltes Bein, während sein einer Arm sie nun umfasst hielt. Die Trinkschale ruhte griffbereit an seiner Seite.

Sein Fell und nicht zuletzt seine eigene Körperwärme schienen zu genügen. Ihr Atem erfolgte gleichmäßig, wie damals. Dennoch verweigerte sie sich ihm noch. Er spürte nichts, hörte nichts. Inu Yasha dagegen hatte sie erreicht. Er ahnte längst warum. Das kurze Aufblitzen ihrer Sichel hatte für den Moment den Anschein erweckt, sie könnte erwachen. Es war bereits wieder eine ganze Weile her.

Hatte sie versucht, sie zu erreichen? Ihn hatte es wie durch Watte nur hintergründig tangiert. Er verstand es nicht. Verstand nicht, woher die Distanz kam. Fürchtete sie gar seine Reaktion?

So in seine Gedanken vertieft, entging ihm die erste Unregelmäßigkeit. Erst als ihre Augenlider zu flattern begannen, richtete sich sein Raubtiergold zielsicher auf ihr leises Erwachen.

Mochte er dieses Mal auch darauf vorbereitet sein, so traf ihn der vertraute Blick in ihre unergründlich scheinenden Götteraugen dennoch wie ein Stromschlag.

Wieder fühlte er sich für den Moment jeglicher Bodenhaftung beraubt. Wieder schien die Welt aus dem Takt zu geraten, als es ihn leise, einem Flüstern im Wind gleich erreichte: „Diesmal bin ich wirklich hier.“
 

Die Schritte knirschten auf dem kieselartigen Grund. Sie erkannte die Farbe ihrer Mutter. Spürte die Nervosität. Ihr Atem stemmte sich gegen das eiserne Regime, sodass sie den Druck sogar in ihrer eigenen Brust immer mehr ansteigen vernahm. Das Hecheln ihrer Begleiterin lenkte ihr Augenmerk kurz zu ihren Füßen. Das vertraute Gold aus wölfischen Augen funkelte ihr in der Dunkelheit entgegen. Ihr Winseln spannte auch die fremden Züge in liebevoller Zuversicht, als sie für sie überraschend anhielten. Es blieb ihr keine Zeit, um sich über die befremdlichen Energien zu wundern. Einem alten Ritus folgend wurde der Schleier gelüftet. Sie spürte das Herz, welches bereits zum wilderen Rhythmus ansetzte, fühlte den Atem in der Brust stockend darauf warten, entlassen zu werden, da raubte ihr das befremdliche Gold jegliche weitere Empfindung. Wie leergefegt schien die Welt verstummt. Sie wusste, dass sie das spitze Pupillenpaar erkannte, dass sie um die Herkunft dieses Merkmals Bescheid wusste – und fühlte sich doch nicht bereit dazu.
 

Es ist Zeit, mein Schatz, öffnete die smaragdgrünen Augen mit einem Schlag.
 

Anders als in der Erinnerung brauchte sie nicht einmal den einen Wimpernschlag, um sich an die Finsternis zu gewöhnen. Das Mondlicht fiel in regelmäßigen Abständen durch das Gitter der Fenster. Das Holz drückte besänftigend gegen ihren Rücken, während sie ihre Atmung beruhigte. Instinktiv stemmte sie ihren Fuß in den Boden, konzentrierte ihre Kraft in ihr angewinkeltes Knie, ehe sie das seit Kindesbeinen an vertraute Winseln zu ihrer Seite erreichte. Unsagbar kläglich, nahezu einem Wimmern gleich. In einer einzigen geschmeidigen Bewegung hatte sie sich da erhoben und fand an die Seite der weißen Wölfin.

Immer noch erzitterte sie unter dem Gift. Ihre Lefzen waren vom Speichelschaum erfüllt, als ihre alabasterfarbene Klaue durch das struppige Fell streichelte. Sie war viel zu warm. Sorgenvoll glitt ihr Blick über die Hundeartige, ehe er auf der pochend hervortretenden Einstichstelle am Vorderlauf verweilte. Als sich ihr die ersten Schritte – wie aus dem Nichts - dumpf über den Holzboden ankündigten, erhob sie sich in die Senkrechte. Die Hand zur Faust geballt trat sie an die Gitterstäbe heran, die für sie kein Hindernis darstellten. Sie war sich nicht einmal sicher, ob der Bannkreis ihr ernstlich gefährlich werden konnte. Ai dagegen sehr wohl. Undenkbar also, sie hier in diesem Zustand zurückzulassen. Wer wusste schon, wann sich die Gelegenheit ergab, ihre Kräfte auszuschöpfen.

Und so begegnete sie dem dunklen Augenpaar mit verengtem Smaragdgrün. Mochten die Pupillen auch rund sein, das da vor ihr war kein Mensch.
 

„Was auch immer Ihr Euch hiervon versprecht, Ihr könnt es Euch gleich wieder abschminken, wenn Ihr meiner Wölfin nicht helft!“
 

„Huh, da ist aber jemand fordernd“, verzerrte ihre Züge in Zorn.

„Ich bin nicht in der Position, um irgendwelche Forderungen zu erfüllen“, stellte der Schwarzhaarige mit dem feuerroten Schwertknauf im Rücken lediglich den nächsten Wasserkrug vor ihr ab.
 

„Meine Begleiterin?“, erkundigte sie sich nicht zum ersten Mal.
 

„Bedauere, auch dazu sind mir die Lippen sozusagen versiegelt“, empfahl er sich mit einer leisen Verbeugung, ehe er immer mehr verblasste, um schlussendlich im Nichts zu verschwinden.
 

„Ein Hexenmeister“, konstatierte sie mehr bei sich, während sie nach dem Krug langte.

Kurz schnüffelte sie merklich daran, ehe sie ihn ihrer Wölfin brachte.

Der Schleier wird gelüftet

A

uf der Höhe eines Liebesverhältnisses bleibt kein Interesse für die Umwelt übrig. (Sigmund Freud)


 

Das Prasseln des Feuers brach sich knisternd an den Kanten des Felsens und wurde unzählige Male in die tiefe Finsternis hinter ihnen geworfen. Das Gewitter hatte die Freunde mit den Begleitern des Dämonenbruders in eine Höhle gelockt. Alles wärmte sich am kleinen Feuer in ihrer Mitte. Dessen Flammen tunkten die kantige Umgebung in ihr orangerötliches Lichtspiel und tanzten nicht minder lebendig über die gebannten Mienen. Aller Aufmerksamkeit lag erneut auf dem kleinen Flohgeist, der es sich zwangsläufig auf dem Oberschenkel seines Meisters bequem gemacht hatte. Schließlich wollten sie nach wie vor Antworten. Tessaiga lehnte in seiner Schwertscheide zu Inu Yashas anderer Seite, während der Halbdämon die Arme in seinen Kimonoärmeln verschränkt die kindliche Statur Rins verstohlen abwanderte.

Die Jüngste hatte auch diesen Ortswechsel duldsam ertragen. Keine Quengelei, kein merklicher Unwillen, sie hatte sich einfach von Ah-Uhn tragen lassen und weilte bereits wieder zwischen Sango und Kagome im Reich der Träume - nach wie vor eingemummelt in die Decke seiner Mikoschülerin. Kohaku saß neben Sango unweit entfernt, der Reitdrache wärmte erneut ihre Kehrseite. Es hatte ihn überrascht und tat es nach wie vor, dass sein Bruder das Menschenmädchen nicht nur an seiner Seite duldete, sondern sie derart schützte. Doch jetzt zu erfahren, dass er die Göttin der ihm so verachteten Menschen liebte, wollte so ganz und gar nicht in sein Weltbild passen.
 

Er schien damit nicht allein, als Shippō seine Kinderstimme über das Knistern erhob: „Du erwähntest, dass Sesshōmaru erspüren könne, was seine Gefährtin brauche. Und, dass Inu Yashas Vater eine sehr starke Verbundenheit der beiden vermutete. Was heißt das genau, Myōga?“
 

Die Frage hatte er in der Tat noch nicht recht beantwortet. Es beorderte auch Mirokus Aufmerksamkeit unverkennbar vom Feuerschein auf den kaum fingergroßen Zeitzeugen. Immerhin war eine solch gegensätzliche Verbindung eine Unmöglichkeit per se. Auch er befand es daher als ratsam zu wissen, worauf sie sich da einließen.

Myōga stieß einen kräftigen Seufzer aus, erahnte er doch wie nahe er über dem Abgrund balancierte.
 

„Nun spuck´s schon endlich aus, Myōga-jiji, oder soll ich nachhelfen“, drohte Inu Yasha noch mit geschlossenen Augen.
 

Schließlich ließ sich der Alte alles von ihnen förmlich aus der Nase ziehen. Selbst Kagome wagte nicht, ihren Hanyō zurückzuhalten. Zu sehr zwickte sie die eigene Neugierde. Sie traf auf ein nicht minder neugierig funkelndes Augenpaar, als sie zu ihrer Dämonenjägerfreundin sah. Beide junge Frauen hatten sich den Dämonenbruder so nie vorzustellen vermocht. Selbst Jaken spitzte verborgen in Ah-Uhns Rücken die Ohren.
 

„Ich glaube nicht, dass ich es euch bis zur Gänze erklären kann, wusste sich doch nicht einmal Euer verehrter Vater…“, setzte der Flohgeist an, sodass sein Meister sich gezwungen sah, missmutig die Augen zu öffnen.
 

„… Aber ich kann erzählen, was sich an jenem Tag zugetragen hat“, schickte sich Myōga daraufhin sogleich an, geschwind der unausgesprochenen Drohung nachzukommen.
 

Laut brach sich das helle Klatschgeräusch durch den schmalen Gang. Befremdlich hallte es auch in seinen winzigen Ohren wider, während es sogar nach den erhabenen Zügen seines Meisters langte. Er blinzelte einmal, dann noch ein zweites Mal - vor Unglauben erstarrt, ehe er seinen Blick aus tellergroßen Glubschaugen von dem ungleichen Paar am Ende des Ganges ab hinauf in das Antlitz seines Herrn erhob. Sie waren gerade in eben diesen eingebogen, da hatte ihm ihre Ohrfeige bereits die Chance genommen, sich auch nur verwundert darüber zeigen zu können, wie eng der Sohn des Hauses und die Göttin beisammenstanden.

Noch waren die Züge Sesshōmarus ungerührt - wie er annahm, fassungslos ob des nie gekannten Ausmaßes ihres Frevels gegen ihn.

Da hatten auch die seines Vaters zurück zur vertrauten Erhabenheit gefunden. Myōga hielt die Luft an, als das eisige Gold die angespannten Züge der Göttertochter in grausamer Langsamkeit abwanderte. Ihre zierliche Hand hielt sie noch zur Seite des Dämonenprinzen erhoben – offenkundig nur allzu bereit dazu, dem noch eine weitere folgen zu lassen, sofern nötig. Sie zitterte dennoch vor Anspannung, wie es ihm schien. Das hatte nicht nur er der Göttin nicht zugetraut.

Die Stille dröhnte auch in Myōgas minderausgeprägtem Gehörgang, so lange, dass die Spannung längst seine Nerven zu zerbersten drohte, ehe endlich das erlösende Räuspern seines Meisters diese mit einem Schlag zerbrach. Es lenkte das Gold des Sohnes kurz auf die Züge des Vaters, die nur eines forderten – Nachsicht um des Friedens Willen.

Myōga war erstaunt. Es klappte. Wenn auch mit äußerstem Widerwillen, so verzögert wie er reagierte. Dennoch schien Sesshōmaru letztlich doch tatsächlich davon abzusehen, ihr in irgendeiner Weise zu begegnen, als er sich stattdessen kommentarlos zum Gehen wandte. Immer noch zittrig wagte die Göttin ihre Hand erst zu senken, als seine schlanke Silhouette hinter der nächsten Biegung verschwunden war. Ihr Götterblau war immer noch dorthin gerichtet, wohin seine Rückenansicht noch vor so kurzer Zeit verschwunden war, als ihr Mentor zu ihr aufschloss.

Myōga sprang fast augenblicklich auf die Schulter der Schwarzhaarigen. Ihre Brust hob sich nach wie vor schwer gegen die Lagen an Stoff, welche sie einer Herrscherin unter den Dämonen schicklich bedeckten. Ihre Wangen waren vom lebendigen Zartrot gefärbt.
 

„Ich werde mit ihm sprechen“, versprach sein sonorer Bass.
 

Es schien sie aus ihrer Trance zu holen, als sie leise zusammenzuckte. Was hatten die beiden nur diesmal wieder für einen Disput ausgetragen? Und seit wann arteten die derart aus? Die letzten Monate schienen sie sich darauf beschränkt zu haben, einander verbal zu begegnen. Zu Handgreiflichkeiten war es bis dato noch nie gegeneinander gekommen. Sesshōmaru schien sich demnach untypisch daneben benommen zu haben. Ob er sie zu sehr gereizt hatte? Myōga wanderte ihre Züge nahezu akribisch ab, während die Göttertochter den Blick unter ihrem Pechschwarz auf den stummen Befehl ihres Gastgebers hin erneut erhob.
 

„Es wird nicht nötig sein. Ich sah mich außer Stande, die Fassung zu wahren. Es wird nicht wieder vorkommen“, versprach sie flüsternd und lenkte Myōgas Augenmerk in die Züge seines Meisters.
 

Nach außen hin schienen sie ungerührt. Er schwieg dazu. Dennoch glaubte Myōga auch in ihm die Verwunderung wüten.
 

„Vielleicht gehen wir ein Stück. Der Nachmittag scheint sich ja nun anders zu gestalten als gedacht“, bot der Daiyōkai stattdessen an.
 

Sie nahm die Einladung mit ihrem leisen Lächeln an. Das Schweigen war angenehm und senkte sich beruhigend auch auf die Atmung der Göttertochter, während sein Meister sie hinaus zur Veranda führte. Als ihr Götterblau ruhig auf den vom letzten Schnee gebogenen Bambussträuchern ruhte, welche gut geschützt unter den Stoffen verborgen waren, überflog sie sein dunkles Gold kurz unauffällig. Instinktiv senkte sich ihre Hand auf die hölzerne Balustrade, während beide, Göttin und Daiyōkai, alsbald stumm nebeneinander die Winterlandschaft betrachteten.
 

„Ehrlich gestanden hatte ich gehofft, mit Euch sprechen zu können“, lenkte sein Gelbgold zurück auf ihre wieder entspannten Züge.

Es erlaubte ihr, ihr Anliegen vorzutragen.
 

„Meine Zofe…“, setzte sie bedachtsam an.

Es war ersichtlich, wie vorsichtig und bedachtsam Ishizu vorging. Ihre Worte erschienen auch Myōga wie auf die Goldwaage gelegt - genau austariert, um dieser noch nicht genannten Zofe auch ja keinen Ärger zu verursachen. Nicht nur der Flohgeist erkannte den leisen Zug um die Mundwinkel seines Meisters als die wissende Nachsicht, die es undeutbar war.
 

„Ihr habt Bedenken bezüglich Nozomi“, erlöste sie von ihrem “Eiertanz“- und zauberte ihr ein ebenso erleichtertes Lächeln auf ihre zartrosanen Lippen.

Natürlich hatte es ihn längst erreicht. Ob sie darauf gehofft hatte?
 

„Zeigt sie eine Beeinträchtigung ihrer Dienste?“, beorderte ihr Götterblau bestürzt in sein erhabenes Antlitz.
 

„Nein, keineswegs. Sie geht ihrer Arbeit wie stets geflissentlich und zu meiner vollsten Zufriedenheit nach. Ich fürchte eher um… ihre Zukunft“, deutete echte Fürsorge an.

Es entlockte dem Herrscher einen leisen Zug um seine schmalen Lippen. Ein Charakterzug, der zur wahren Herrschaft gebot – und dem Sohn völlig fehlte, erkannte Myōga leidvoll. Es erschloss sich nicht nur ihm, warum es den Blick des Vaters erneut zum inneren Hof mit dem angrenzenden Garten abwandte. Beiden, Flohgeist wie väterlichem Mentor, entging damit das zarte Kräuseln, welches über die Lippen der Göttertochter huschte, ehe auch sie ihre Aufmerksamkeit scheinbar interessiert auf die von weißen Flocken bedeckte Landschaft lenkte.

Sie musste vorsichtig sein. Sehr vorsichtig.
 

„Mein Sohn erwähnte, wie wir uns an unsere Partner binden?“, bestätigte sie nickend.

Es wurde im Augenwinkel registriert.
 

„Sie sind jung. Ihre Yōki wird noch keine dauerhafte Bindung ermöglichen.“
 

„Und, sollte Nozomi…?“, war gewagt.

Nicht mehr als eine Hoffnung, die auf der Vertrautheit zwischen Lehrer und Schülerin beruhte, welche längst erwachsen war. Er stieg tatsächlich darauf ein.
 

„Ihr meint, sollte sie ein Kind empfangen? Nun, ich gehe davon aus, dass die Bindung dann stark genug wäre, um den Weg in diese Welt zu ebnen. In der Regel sollte Takeo jedoch dies zu vermeiden wissen“, lenkte sein Augenmerk allein auf sie.

Sie wagte keine Regung, kontrollierte nahezu eisern ihre Miene. Das Eis war gefährlich dünn, zu dünn um darauf auch nur zu stehen. Dennoch musste sie es riskieren. Es hielt bereits zu lange an, um weiterhin ignoriert werden zu können. Und war doch zu heikel, um nicht seinen Spürsinn zu wecken.
 

„Und, ohne diese Bindung?“

Es war Myōga, der ihren Blick aus dem Augenwinkel aufschnappte, mit dem sie das Zücken seiner Augenbraue erfasste.
 

„Dann stünde ihnen immer noch der Weg der Markierung offen – ich bin mir natürlich nicht im Klaren darüber, wie gründlich Sesshōmaru…“, ihr Nicken ließ ihn verwundert innehalten.
 

Sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass dies einer Erklärung bedurfte. Also legte sie alle Unschuld, welche sie aufzubringen vermochte in ihren Blick, den sie daraufhin in seine Züge erhob, ehe sie wahrheitsgemäß erläuterte: „Akitos Mutter ist nicht die Gefährtin von Haruki, Eurem alten Waffenbruder.“

Er bestätigte es nickend. Natürlich, das Ritual hatte ihr diese Begebenheiten ja bereits aufgezeigt.
 

„In der Tat bedeutet eine Markierung weit mehr als der Besitz, den die Bezeichnung andeuten mag. Sie schützt sowohl die Mutter, als auch das Kind. Damit geht nicht nur eine gesellschaftliche Anerkennung durch beide Gefährten einher, sondern vielmehr der Schutz durch die Yōki des Vaters, wenn auch nicht durch die der leiblichen Mutter.“
 

Myōga vermeinte eine leise Erkenntnis in dem flackernden Meeresblau der Göttertochter aufblitzen zu sehen. Es war zu schnell vorbei, um ein Urteil über deren Ursprung zu wagen, dennoch verfiel der Flohgeist ins Grübeln.
 

„Also bedarf es dazu einer gewissen Stärke“, bestätigte sein Meister ihre Schlussfolgerung nickend.
 

„Demnach ist eine Markierung empfehlenswert für das Ungeborene“, wirkte wie ein laut ausgesprochener Gedankengang.

Es ließ ihn vorerst nicht zu Wort kommen.

Sie erkannte an dem leisen Verengen seiner Augenlider, dass sie nah dran war, das naturgegebene Misstrauen seiner Art hervor zu kitzeln.
 

„Das obliegt Nozomi. Wisst Ihr etwas?“, tat sie sofort kopfschüttelnd ab.

Ihr zaghaftes Lächeln wirkte fast entschuldigend, mit dem sie ihr Götterblau zurück auf den Bambushain warf.
 

„Nein. Reine Neugier, nehme ich an. Verzeiht.“

Es beließ sein Augenmerk für noch einen weiteren Moment auf ihr - forschend. Selbst Myōga entging, wie stark sie ihre Atmung zur Ruhe befahl - dankbar für die vielen Gelegenheiten zur Übung. Sekunden zogen sich wie Minuten dahin, ehe sein raubtierhaftes Gelbgold endlich von ihr abließ und ihrem Blick in gelassener Ruhe folgte.
 

„Ihr müsst verzeihen. Ihr wünschtet vielleicht die romantischere Variante“, beorderte ihr unergründliches Blau zurück auf seine Spitzaugen.
 

„Also gibt es eine?“, traf ihr Lächeln sein vor Belustigung tanzendes Gelbgold.
 

„Ihr erinnert euch an die bunten Luftschlangen, welche die Bambushaine im Sommer schmückten?“
 

„Soweit ich Yoko verstand, ist das eine rein menschliche Tradition*, oder wollt ihr etwa andeuten, Dämonen schrieben Wünsche auf und hingen sie an die Bambusstangen, sodass sie sich erfüllen mögen?“, lachte die Göttin hinter vorgehaltener Hand.
 

Es war offensichtlich, dass sie sich auf den Arm genommen wähnte. Diesmal zierte das Schmunzeln die erhabenen Züge seines Meisters unverhohlen. Natürlich war es unvorstellbar, dass Dämonen sich dazu hinreißen ließen. Auch Myōga entglitt ein Lächeln nicht nur ob der Heiterkeit der Prinzessin der Götter.
 

„Wohl kaum, Ishizu-sama. Obwohl die Vorstellung sehr erheiternd ist“, goutierte sie mit einem erneuten Zucken ihrer Mundwinkel, noch während sich ihre Atmung beruhigte.
 

„Yoko hat Euch sicher die Hintergründe erläutert?“
 

„Die Weberin und der Hirte, welche so verliebt waren, dass sie ihrer Arbeit nicht mehr pflichtbewusst nachkamen, sodass der Himmelsgott sie an die beiden Enden der Milchstraße verbannte. Die Menschen feiern den Tag, an dem sie sich treffen dürfen“, nickte Ishizu mit ihrem verzückten Schmunzeln auf den Lippen.
 

Nach wie vor stach ihr Meeresblau interessiert in sein dämonisches Gelbgold. Es war klar, dass sie sich diese Idee nicht recht bei Dämonen vorstellen konnte. Obgleich sie ihr zu gefallen schien.
 

„Es dürfte Euch demnach nicht überraschen, dass Dämonen einer derartigen Beeinflussung nicht gerade, sagen wir, aufgeschlossen gegenüberstehen“, traf sein Schmunzeln auf ihr wissendes Lächeln.
 

Beide wussten, was der stolze Dämonenherrscher da so galant umschrieb. Ihre Angst vor Abhängigkeiten jeglicher Art. Das leise Lächeln, welches ihr darüber entkam, konnte der Flohgeist nur verkennen, wusste er doch unmöglich um die Erinnerung, welche ihr Herz in diesem Augenblick erwärmte.
 

„Nichtsdestoweniger fasziniert nicht wenige von uns die Eventualität einer magischen Verbundenheit, die es uns ermöglicht, die Grenzen unserer Selbst aufzulösen. Eine Bindung von solcher Stärke, dass die Yōki beider Partner zu einer weit mächtigeren verschmilzt.“
 

„Der Oyakata-sama weiß davon? Oh, wie romantisch…“, erreichte sie die Verblüffung einer ihrer menschlichen Zofen.
 

Sie war jung und nur allzu offenkundig fasziniert von der raubtierhaften Eleganz ihrer Herren. Ihr Bild von der Art ihrer Herrschaften stützte sich wohl einzig auf die dämonische Stärke, welche Sesshōmaru mit einer jeden Bewegung stetig nährte. Sie wurde rot – ein jedes Mal, wenn der Kronprinz auch nur am Rande Erwähnung fand. Wenig verwunderlich, wie Ishizu zugeben musste. Er hatte neben seinem gut ausgeprägten Selbstbewusstsein, diese unnahbare Art an sich, die es auch ihr zuweilen schwer machte, ihm zu widerstehen. Wie sollte es da erst einer ihrer jungen und so unerfahrenen Schützlinge gehen? Zeitweise tat sie ihr fast leid in ihrer Hilflosigkeit, mit der sie ihm begegnete. Sie verstummte fast augenblicklich, kaum wurde sie sich seiner Gegenwart gewahr. Nicht, dass ihm das je auffiele. Dafür mochte er keinen Blick haben. Oder er ignorierte es geflissentlich.

Dabei war sie ein echter Wirbelwind - und stets gut gelaunt. Auch jetzt schäkerte sie offen mit ihrer Kollegin, welche von ähnlich jungen Jahren war. Die edle Dämonenseide ihres obersten Kimonos eng an die Brust gedrückt träumte sie gerade offen von der romantischen Liebe zwischen Dämonen, sodass Yoko zu ihren Füßen nur leise den Kopf schütteln konnte.

Das Lächeln, welches Ishizus zarte Lippen darüber spannte, erahnte sie dabei nicht ganz zu Unrecht auch auf denen der wesentlich Älteren, ehe die die Jüngeren zur Ordnung befahl. Nachsichtig, jedoch nicht ohne gewissen Nachdruck befahl Yoko die beiden unverbesserlichen Romantikerinnen mit den Gewändern hinaus. Eine leise Verbeugung gegen ihre Herrin und Ishizu entließ sie mit ihrem gütigen Lächeln nickend für die Nacht.

Angenehm legte sich die Stille zwischen sie und die Ältere, als sich einzig das leise Geräusch des Kamms gleichmäßig über sie breitete, ein jedes Mal, wenn sie ihn bedachtsam durch ihr Pechschwarz zog.
 

„Ihr müsst ihnen ihre Träumereien nachsehen, Hime-sama. Die Realität wird sie ihnen alsbald rauben. Noch träumen sie von dem dämonischen Schönling, der sie aus jeder Gefahr errettet – ohne sich der Konsequenzen bewusst zu sein“, sinnierte die Ältere vor ihr.
 

Ishizu nahm es schmunzelnd hin, als sich ihr Blick auf ihren Haarschmuck in ihren Händen senkte.

Eigentlich empfand sie gerade diese unbeschwerten Momente als wahre Erleichterung in dieser ihrer so rigoros geordneten Welt. Sie konnte sie gut verstehen. Ihre Sehnsucht, die sie auch in ihrem Herzen erinnerte.
 

„Ob sie daraus erwachen müssen?“, war nur ein Flüstern, dennoch ließ es den Kamm für den Moment ins Stocken geraten.

Sie ließ es unbeachtet geschehen.

Natürlich wusste sie, was Yoko meinte. Einem Dämon zu verfallen war nie ein leichtes Schicksal für ihre Kinder. Und noch seltener für die Kinder aus eben diesen Verbindungen. Es war nicht vorgesehen – und gab keinen Platz für sie in der Welt ihrer Eltern. In monatelanger Schulung kontrollierte sie ihre Atmung.
 

Sein Vater hatte die Markierung heute als Schutz bezeichnet. Ob es sich ähnlich verhielt bei gemischten Verbindungen?

Auch er hatte den Schutz vor dem Besitztum betont, das ihre Art ihnen gerne unterstellte. Doch was, wenn sie sich von ihrer eigenen Ablehnung blenden hatte lassen?

Sie hatte nicht den Hauch einer Spur davon in ihm wahrgenommen das eine Mal, als er sie freiwillig eingelassen hatte.

Er konnte sie nicht an sich binden. Nicht, ohne die Ordnung ihrer Welt zu riskieren. Aber markieren.

Längst nahm sie seinen Schutz als Selbstverständlichkeit hin. Den Schutz, den sich ihre jungen Zofen wohl in dieser von den Stärksten seiner Art bestimmten Welt ersehnten.

Letztlich war es ihr nie so deutlich zu Bewusstsein gekommen wie jetzt gerade. So drückte er seine Zuneigung aus. Indem er über einen jeden ihrer Schritte in seiner ihr so fremden Welt mit Argusaugen wachte, sodass sie nicht über einen der unzähligen Fallstricke stolperte, welche seine strenge Etikette ihr legte.

Es war kein Ausdruck von Kontrolle. Er wollte sie nicht besitzen. Ganz im Gegenteil, er wollte sie vor seiner Welt beschützen – weit ab von jeglichem väterlichem Befehl.

War sie ehrlich, so musste sie sich eingestehen, dass sie von der träumerischen Illusion ihrer jungen Damen einzig die Kleinigkeit unterschied, dass sie sich unter einem ebensolchen Schutz längst befand. Und, dass sie ihnen insgeheim recht gab. Es bot ein berauschendes Gefühl – nicht nur der Sicherheit.

Wohltuende Wärme bemächtigte sich ihrer, als sie die Erkenntnis darüber zuließ, wie sehr sie seine Fürsorge mittlerweile genoss.

Glaubte sie ihn doch immer noch bei seinem Vater. Natürlich musste der sich über ihre Ohrfeige wundern. Ob ihm eine überzeugende Ausrede kam?

Das dumpfe Geräusch beorderte ihr Götterblau zurück auf die Züge Yokos, als die den Kamm vor ihr ablegte. Ihr Lächeln war nachsichtig, fast mütterlich, als sie vor ihr in die typisch ehrerbietige Haltung fand.
 

„Wenn Ihr noch etwas wünscht…?“
 

„Danke, Yoko, das ist alles. Schlaft gut“, entließ sie die Alte mit ihrem leisen Lächeln.
 

„Das wünsche ich Euch auch, Ishizu-sama. Gute Nacht, Ai“, wurde mit einem Winseln bedacht, bei dem sich Ishizu nicht mehr sicher war, wem es nun galt.
 

Sie hatte gerade noch Zeit, sich zu erheben, da umfing bereits seine Präsenz all ihre Wahrnehmung. Im Hintergrund verklangen gerade noch die tapsenden Schritte ihrer Nefrilin, ehe sie die Augen aufschlug. Sein Raubtiergold wirkte ungerührt - wie eh und je.

Ob sie ihn zu hart geschlagen hatte? Oder gar zu sanft? Nicht, dass es nicht auch etwas für sich gehabt hätte.
 

„Was hast du ihm gesagt?“, sollte beiläufig klingen – wie eine unbedeutende Banalität.
 

Ein leises Zucken um seine Mundwinkel, kaum zu bemerken, verriet, dass er ihre brennende Neugierde dahinter dennoch erkannt hatte. Unwahrscheinlich, dass er es ihr nun einfach sagte. Also schürzte sie ihre Lippen, während er die Schiebetüre schabend ins Schloss führte. Ihr Blick hielt dem seinen Stand, als er vor sie kam. Wieder erschauderte sie vor der unheimlich machtvollen Wirkung seines raubtierhaften Goldes auf sich. An seinem Blick erkannte sie, dass es ihm nicht entging.

Ihre Atmung war längst abgeflacht, ihre Pupillen mit hoher Wahrscheinlichkeit merklich geweitet. Das verräterische Pochen in ihrer Brust musste einem Donnergrollen in seinem feinen Gehör gleichkommen. Ihr entglitt ein Schmunzeln, als sein Dämonengold ihre bemüht ungerührten Züge abwanderte. Der Versuch ihm standzuhalten scheiterte kläglich – und trieb seine Braue triumphierend in die Höhe.
 

„Ich kann das besser“, wisperte sie trotzig, ehe seine Klaue ihr Kinn auf seine ganz eigene Art behutsam umfasste.
 

„Offensichtlich“, verriet ihr, dass seine Farce geklappt hatte.

Dennoch wanderte ihr Blick längst unverhohlen seine konzentrierten Züge ab. Wieder lag in ihnen diese Anspannung, welche sie noch heute Nachmittag nicht recht zu deuten gewagt hatte.

Wieder schwankte sie zwischen völliger Ahnungslosigkeit und intuitiver Faszination.
 

„Was hat er gesagt?“, war nur ein Flüstern, als sein Daumen hauchzart über ihre Lippen streichelte.

Das altvertraute Feuer der Erregung in ihren gespannten Sinnen damit allein entzündend.

Er schien in Gedanken, ehe sein Augenpaar sich von ihren Lippen löste, um ihrem bewegten Götterblau zu begegnen. Da keimte in ihr eine Ahnung. Sie kannte dieses verhaltene Flackern in seinem Blick. Es hatte sich ihr nicht recht erschlossen - heute Nachmittag im Gang. Zu sehr hatte sie seine Anordnung überrascht. Es war zu spät gewesen, um sich unbemerkt zu distanzieren. Also hatte sie sie befolgt – überrascht über ihre eigene Entschlossenheit. Im ersten Moment hatte sie eben diese Überraschung auch auf seinen Zügen vermutet. Doch jetzt war sie sich gar nicht mehr so sicher damit.
 

„Es war nicht zu fest“, sinnierte sie bewusst laut vor ihm.
 

„Es empfiehlt sich, die Wirkung der eigenen Attacke abschätzen zu können, Megami“, war hochnäsig wie immer.
 

Sie tat den Schritt zurück instinktiv- ohne sich dessen auch nur bewusst zu sein, wich sie zurück und entkam seiner elektrisierenden Gegenwart doch nicht.

Heftig stieß sie den Atem aus, als ihre Kehrseite wenig später überraschend mit dem Holz der Wand kollidierte. Erst da offenbarte sich ihr, dass sie ihm automatisch gefolgt war. Es erhob ihr lebendiges Götterblau in sein nach wie vor ungerührtes Dämonengold. Sein Blick stach fest in den Ihren, als sie sein warmer Körper gänzlich dagegen drängte.

Ihr entwich ein Keuchen. Es verklang nicht ungehört in ihm. Sie spürte ihn leise erzittern, sah es in seinem Blick, noch während ihre Hände seine Schultern hinauf über seine Wangen in sein flüssiges Silber fanden. Ihre schlanken Fingern verfingen sich in der seidigen Struktur. Er spürte den leisen Zug, während ihre Stupsnase neckisch seinen Nasenrücken entlangfuhr, sobald er sich zu ihr hinabsenkte. Sein Raubtiergold fest verankernd in ihrem Meeresblau. Sie spürte seine vertraute Berührung an ihrer Hüfte, die erregende Nähe, erfühlte das geschmeidige Spiel seiner Muskeln unter dem dünnen Stoff gegen die Kühle ihres Yukata. Die Rüstung hatte er abgelegt, noch ehe er sie aufgesucht hatte. Ihre Zufriedenheit darüber spiegelte sich in ihrem Grinsen an seinen Lippen wider.

Kribbelnd verklang das leise Heben und Senken seiner gestählten Brust in ihrem zierlichen Körper. Es erfolgte längst nicht mehr so ruhig und gelassen wie er sich gab- und ließ sie gegen ihn erbeben.
 

Das leise Vibrieren seines Knurrens sammelte sich direkt vor ihr in seiner Brust, ehe er ihr Gesäß unterfasste und sie mit einem Ruck auf seine Hüfte lud. Sie begrüßte es aufkeuchend. Die Erregung, welche sie allein damit in ihm entfachte, vermeinte sie in seinem Blick mitverfolgen zu können. Seinen herrischen Kuss erwartete sie längst mit leicht geöffneten Lippen direkt über den seinen, sodass ihr Atem heiß gegen sie prallte. Immer noch ließ sein Blick sie nicht aus. Mit halbgesenkten Lidern verfolgte sie das lebendige Flackern in seinem funkelnden Raubtiergold. Das leise Zucken um seine Mundwinkel spürte sie direkt an ihren Lippen, noch ehe sie es im Augenwinkel erfasste. Es bereitete sie darauf vor.

Sie reagierte aus einem Instinkt heraus, als ihre flache Hand erneut seine Wange in einem hellen Klatschen traf, sobald seine Klauen sich auf ihren Obi senkten.

Diesmal belohnte er sie mit seinem schmalen Lächeln, als sein Rot wild um seine spitzen Pupillen entflammte. Sein Knurren vibrierte durch ihren zierlichen Körper und sammelte sich in einem unerbittlichen Kribbeln in ihrer Mitte.
 

„Dein Zauber“, grollte er rau gegen ihre leicht geöffneten Lippen.

Es raubte ihr ein süffisantes Grinsen, welches er in einem begierigen Kuss einfing.
 

„Ist längst aufrecht“, war nur mehr ein heiseres Flüstern.
 

Es ging fast unter, als seine Kralle den ersten Stoff geräuschvoll von ihrem erhitzten Körper trennte.

Wieder durchzuckte ihren zarten Arm die seit heute vertraute Bewegung - um abrupt von dem seinen gestoppt zu werden, als er ihr Handgelenk unter seinem schmalen Lächeln umfasste. Ihr entwich ein Stöhnen an seinen Lippen - zwischen Protest und Lust. Eine Nuance, die ihm unmöglich entgehen konnte.
 

„Geduld, Ishizu“, färbte seinen Tenor dunkel.
 

Diesmal spürte sie seinen Atem heiß gegen ihre Lippen prallen. Sie hörte das Knurren hintergründig in seinem Brustkorb vibrieren, sah die pure Angriffslust in seinem Dämonenrot aufflammen. Als er ihren Arm in Zeitlupe über ihrem Kopf festpinnte, verfolgte ihr Meeresblau eine jede Regung in seinem dämonischen Rot. Sie sah, wie sehr es ihm gefiel, spürte die Erregung durch seinen als auch durch ihren Körper peitschen, als seine Klaue knisternd über den Stoff ihren Arm entlang über ihre Seite hinab bis an ihre Mitte fuhr.
 

„Ich will hören, wie sehr es dir gefällt“, war ein Befehl.

Der Triumph spannte seine schmalen Lippen dabei direkt über den ihren, als er den nächsten Stoff unter ihrem Blick geräuschvoll zerschnitt. Ihren Protest schluckte er in einer harschen Zärtlichkeit, sodass sie ihn kurz darauf in einem heiseren Keuchen empfing.
 

Die ersten rötlichen Strahlen der Sonne langten gerade nach ihrer Welt, als sie wie gewohnt ihren Tag einläutete. Gemächlich und doch in der gewohnten ruhigen Eile überquerte sie den Hof im schummerigen Zwielicht der Dämmerung. Der Dampf entwich den hölzernen Bauten mit den ausladenden Dächern in ihrem Rücken gut sichtbar, als sie sich zurück zum Haus machte, in dem ihre junge Herrin untergebracht war. Unwillkürlich schlang sie ihren pelzigen Überwurf enger um ihre Schultern. Der Morgentau kristallisierte unter der Kälte um sie herum und umspannte die Welt schon eine ganze Weile mit dem typischen weißen Flaum. Ob sie ihr noch eine weitere Decke hätte holen sollen? Sie fror sehr leicht. Allgemein schien sie zur Zeit vermehrt zu frösteln, zumindest wählte sie die dickeren Stoffe und oft bemerkte sie die Gänsehaut, welche sich tagein tagaus über ihre dünne Haut spannte. Wäre sie ein Mensch, sie hätte gefürchtet, dass sich eine ernste Erkrankung ankündigte. Doch ihr Schützling war kein Mensch. Mochten ihre Kräfte auch versiegelt sein, hilflos war sie nicht. Umso erstaunlicher, dass ihr Herr ihr jedweden Schutz angedeihen ließ, den ihre Welt bieten konnte. Selbst der Kronprinz folgte der väterlichen Anordnung ausgesprochen pflichtbewusst. Natürlich war es nicht anders zu erwarten, von dem stolzen Sohn und Erben, dennoch hatte sie seit einer geraumen Weile ein seltsames Empfinden dabei, ein jedes Mal, wenn sie darüber nachdachte.

Ein knappes Nicken grüßte die Kolleginnen, welche den Morgen mit den alltäglichen Hausarbeiten begannen, als die Braunhaarige in die Ecke zu den privaten Gemächern bog.

Seltsam. Alles war erwacht, doch Ai hatte noch kein Signal verlauten lassen. Nozomi war ihr noch nicht begegnet. Zu Anfangs war die Prinzessin der Götter mit den ersten Strahlen, welche die Sonnengöttin gen Erde gesandt hatte, zuverlässig erwacht. Mit der Zeit aber hatte sich dies gewandelt. Sie erwachte zur Zeit etwas später, nicht nur, weil es später hell wurde. Dennoch war ihre Wölfin um diese Zeit für gewöhnlich bereit, sie zu grüßen. Doch heute schien eine jede Spur von der Hundeartigen und der dämonischen Zofe zu fehlen.

Sie erschrak, als sie um die letzte Ecke zum Vorzimmer bog und die Tür weit offen vorfand. Der Rahmen lag in Trümmern wüst verstreut. Mal hier mal dort verteilten sich die kleinen bis mittelgroßen Holzstücken im kurzen und schmalen Gang, welcher im hintersten Eck des Gebäudes den alleinigen Zugang zum Schlafgemach der Göttertochter darstellte.

Sie übergab die lupenreinen Stoffe augenblicklich der Schwerkraft.
 

„Keiko!“, sandte sie noch geistesgegenwärtig in die Empfangsräume, ehe sie hineineilte.
 

Sie fand Nozomi an ihrem Platz vor. Vor dem, was ursprünglich einmal die Schiebetüren zum Schlafgemach ihrer Herrin gewesen waren. Auch sie waren ausgesprengt wie schon die Türen zum Vorzimmer. Das schwarze Haar lag offen verteilt um die schlanke Gestalt der jungen Dämonin. Sie war bewusstlos, atmete jedoch noch. Ihr Herz schlug ihr längst bis zum Hals, als sie die schneeweiße Gestalt der Wölfin unweit entfernt der Türen zur Veranda in ähnlich gebrochener Haltung erkannte. Sie nahm sich nicht die Zeit, sich darüber zu wundern, was Ai vor den Türen machte.

Rasch bestätigte ihr das Nicken der Anderen, die vor ihr kniete, dass die Wölfin noch lebte- auch sie schien ohne Bewusstsein. Damit tat sie einen tiefen Atemzug und erhob sich, um mit zittrigen Schritten durch die Trümmer des ehemaligen Rahmens in das Schlafgemach zu treten.

Angstvoll geweitet erfasste ihr braunes Augenpaar die schier wüste Zerstörungswut, welche sich auf dem Boden vor ihr entfaltete. Sie wagte noch nicht den Blick zu erheben. Es sah aus als hätte ein Winddämon im Gemach ihres Zöglings gewütet. Wie hatte ihnen das entgehen können?

Mit lautem Pochen trieb ihr Herzschlag ihr Blut rauschend durch ihre Blutbahn, als sie über die unzähligen Splitter und Trümmer über den Yukata, welchen sie gestern noch an Ishizu gesehen hatte, glitt. Er lag in Fetzen am Boden – einzig an seiner Farbgebung zu erkennen. Kein Blut war daran. Rasant überwand ihr rundes Augenpaar da die restliche Distanz über die drei Treppenstufen hinauf zur Bettstatt. Der erlösende Schrei hatte rein gar nichts Erlösendes an sich, als er sich laut über die Geräusche der langsam erwachenden Natur hob.
 

Es riss ihn förmlich in die Senkrechte. Wie betäubt brauchten selbst seine Sinne einen Moment um sich zu orientieren.
 

>Warum muss dieses Menschenweib so schreien?<, verklang in ihrem Kopf, als wäre es ihr ureigenster Gedankengang.
 

Nur, dass Ishizu niemals ihre Zofe und Vertraute als Weib oder gar nur als Mensch angesprochen hätte. Der Schrei zerrte ungewöhnlich schmerzhaft auch an ihrem Trommelfell.

Es musste von ihm kommen. Er hatte tatsächlich den Weg in ihren Kopf gefunden- ganz von allein. Sie hätte sich wesentlich erstaunter gezeigt, fühlten sich ihre Glieder nicht butterweich und zugleich schmerzhaft breiig an.

Wie flüssiges Magma brannte sein Blut in seinen Adern, als sein Raubtiergold die Menschenfrau nur zu deutlich erzürnt in seinen verengten Fokus nahm.
 

„Geh!“, war nahe des Gefrierpunktes.

So hatte sie ihn schon lange nicht mehr gehört.

Yoko zuckte angsterfüllt zusammen - und sah sich doch außer Stande, sich auch nur zu bewegen. Was machte nur der Kronprinz hier - und noch dazu auf ihrem Futon mit entblößter Brust. Sie wollte gar nicht erst wissen, was sich unter der Decke verbarg, welche neckisch über seine Hüfte drapiert war.

Ishizus schmerzerfülltes Aufstöhnen an seiner Seite lenkte sein Augenmerk unumwunden zurück zu ihr. Sie hatten verschlafen. Nur am Rande registrierte er die Splitter, in welchen das Holz des Bodens und der Wand um sie herum gebrochen war.

Wie ein Schwerthieb durchzuckte ihn der Schmerz, als sie sich mühsam neben ihm zu regen begann. Sie schaffte es dennoch nicht in die Senkrechte. Wie Blei beschwerte das befremdliche Empfinden eine jede ihrer Bewegungen. Es war, als ob Pfeile ihre Muskeln durchstießen bei jedem Versuch, sie anzusprechen. Sie hatte Kopfschmerzen, ihr war übel- und der Schwindel drohte sie zu überfallen.

Da ereilte sie seine maßlose Überraschung und öffnete ihre Augen. Sein Raubtiergold lag schockgeweitet auf ihrer Stirn.
 

>Sesshōmaru?<
 

>Dein Gottesstein hat die Form geändert<, unverkennbar was geschehen war.
 

>Was redet der Dämon für einen Unsinn, das kann er nicht<, schimpfte sie einem Automatismus folgend.
 

Es verengte ihm die Dämonenaugen noch in derselben Sekunde zu Schlitzen.

Diesmal fuhr er sie an: >Wenn du dem Dämon nicht glaubst, Megami, dann geh und sieh selbst nach!<
 

>Was ist nur los? Mir tut alles weh<, war mit Sicherheit nicht an ihn gerichtet.

Dennoch hörte er ihre Stimme klar und deutlich in seinem Kopf, als wäre es seine eigene Erkenntnis. Er wusste, was sie meinte. Er spürte das Selbe. Wohl der Einfluss ihrer gegensätzlichen Energien.
 

>Wieso sollten sie sich ausgerechnet jetzt abstoßen? Mir ist schlecht. Ob der Tee seine Wirkung verliert?<, begleitete ihr Bemühen, sich in die Senkrechte zu stemmen.

Er fühlte die Welt sich einmal um seine eigene Achse drehen – viel zu schwungvoll. Automatisch wanderte seine Klaue an seinen Kopf, als könnte er diesen so am Abheben hindern.
 

>Welcher Tee?<, klärte ihre Gedanken schlagartig und wischte ihre Beschwerden beiseite.

Unter der ängstlichen Musterung ihrer Zofe fand Ishizu mühevoll auf die Beine.
 

>Ich bin nackt!<, zuckte ihre schockierte Erkenntnis in einem schmalen Lächeln über seine Lippen.
 

>Reichlich überflüssig, Megami<, kommentierte er in genüsslicher Ruhe; hatte die Zofe sie doch tagtäglich an- und entkleidet.

Es bewahrte ihn selbstverständlich in keiner Weise vor dem giftigen Blick aus Götterblau. Natürlich ignorierte er es in gelassener Ausdruckslosigkeit, ehe sie sich in die Decke gehüllt daran machte, sich einen Weg durch die Holzsplitter am Boden in ihr Ankleidezimmer zu bahnen.
 

„Muss ich nachhelfen, Yoko?“, folgte ihr seine geknurrte Drohung nur hintergründig.

Er war nun alles andere als in Stimmung seine Krallen zu wetzen.

Ishizu war zu abgelenkt, um darauf angemessen reagieren zu können, sobald sie ihren Spiegel zur Hand nahm. Nicht, dass sich das Spiegelbild groß änderte, nur weil sie ihn näher heranholte. Fassungslos ob der Unmöglichkeit. Unverkennbar, auf ihrer Stirn prangte seine Sichel.

Wie paralysiert streichelten ihre Fingerkuppen über die beiden rötlichen Punkte knapp über ihrem Schlüsselbein. Kein Wunder, dass ihr Schlafgemach verwüstet war. Dass ihr Blut in ihren Adern brannte wie Feuer. Sie sich fühlten wie gerädert. Ihre Körper kämpften gegen die gegensätzlichen Energien an. War es ein hoffnungsvolles Zeichen, dass sie sich in ihrem Irrsinn nicht ausgelöscht hatten?
 

>Ein Zeichen wofür, Ishizu?<, kam ganz wie erwartet, ehe sich die machtvolle Präsenz beiden ankündigte.
 

>Oh nein, jetzt ist alles aus<, ereilte ihn ihre Verzweiflung, noch während die Statur seines Vaters im zersprengten Türrahmen erschien.
 

Eigentlich war es ein ruhiger Tagesanbruch. In der Luft lag die Frische des anbrechenden Tages und der letzte Schnee des neuen Jahres tunkte die Welt in sein dämmriges Licht. Die Schritte der Waldbewohner knirschten gedämpft um sie herum. Dampfend stieß Myōga seinen Atem in einer winzigen Wolke aus, ehe er sich mit beiden Armen umschlang und tiefer in das Fell seines Meisters einmummelte. Zugegeben, es war kalt, aber ungemein friedlich. Nicht mal der Wind pfiff zu ihnen in luftiger Höhe von dem schneebedeckten Waldgrün der Nadelwälder unter ihnen hinauf. Kein Wunder, dass sein Meister sich gerne hierher zurückzog, ehe der Tag mit all seinen Verpflichtungen auf ihn hernieder ging. Der Sohn schien heute spät dran mit seinem allmorgendlichen Ritual, bemerkte Myōga gerade bei sich. War doch sonst seine Yōki längst entflammt.
 

„Ich werde nach ihr schicken“, lenkte Myōgas Augenmerk interessiert in die Züge seines Meisters.

Er schien eine Entscheidung getroffen zu haben. Es war ihm nicht einmal aufgefallen, dass er darüber lange nachgedacht hatte. Ob das gestrige Gespräch mit der Göttin der Grund war? Warum sonst wünschte er die Herrin in seinem Schloss, wenn nicht um ihre Meinung zu erbitten. Sie war erst vor weniger Zeit zu Besuch gewesen. Was war es also, worin er die Gefährtin erfahrener wähnte?
 

„Oyakata-sama?“, offenbarte die Irritation des Flohgeistes.
 

„Sie kennt ihren Sohn, weit besser als ich in manchen Belangen“, also die Ohrfeige, erkannte der fingergroße Berater da, ehe sich ein Schwarm Raben krähend in die Lüfte erhob.

Etwas nahe des Schlosses hatte sie aufgescheucht, dämmerte dem Flohgeist, dessen Gehör weit schlechter ausgebildet war, als das seines hundeverwandten Herrn. Als sich sein Meister in Bewegung setzte, ahnte er, dass ihm etwas entgangen war.
 

„Oyakata-sama?“, krallte er sich in das Fell, während der Daiyōkai sich in seiner wahren Form die Klippen hinabstürzte und den Weg Richtung Schloss antrat.
 

Der Aufruhr ereilte ihn, kaum, dass sie den innersten Hof betreten hatten. Es war ein kurzer Weg, voller Anspannung. Die Nervosität lag förmlich in der Luft. Myōga ging die Möglichkeiten durch – nicht mal eine handvoll Dämonen wollte ihm einfallen, die einen solchen Angriff auf ihren seltsamen Gast auch nur wagen würden. Er war zu schockiert von der Zerstörungswut, welche sich vor ihnen ausbreitete, kaum, dass sie den privaten Trakt ihrer Unterkunft erreicht hatten. Ihm entging, was seinem Meister dämmerte, je näher sie dem Epizentrum kamen. Kein Winddämon, kein Angriff von außen trieb das Holz in ein und dieselbe Richtung - von innen nach außen. Er erkannte die Explosion, wenn ihm sich der Ursprung auch erst mit der Witterung zu erschließen begann. Umso verengter traf sein Gelbgold auf den Sohn, der in diesem Bereich so ganz und gar nichts zu suchen hatte. Die Göttin fehlte. Yokos zittrige Verbeugung ignorierte er, als er stattdessen seinen Blick über die Verwüstung schickte. Wie hatte ihnen das entgehen können? Die Front an Türen, welche ihr Ankleidezimmer vom Schlafgemach trennte, bot einen Hinweis. Sie waren intakt – weitestgehend. Die machtvolle Entladung der gegensätzlichen Energien hatte sich lediglich eingedrückt auf ihrem Weg hinaus. Ein Zauber, der sie verborgen hatte. Auf ihrem Yukata verweilte er dann einen kurzen Moment. Unverkennbar, dass dieser Krallen zum Opfer gefallen war. Es trieb sein rotumringtes Gelbgold zurück zum Sohn, der gerade in seine Hakama stieg.
 

„Wo willst du hin?“, ging wie Donnergrollen auf ihn hernieder.
 

Umso erstaunter war Myōga, als Sesshōmaru sich aufrichtete und mit festem Blick dem Vater begegnete: „Zu meiner Gefährtin.“
 

Neugierig sprang der Floh daher von der Schulter seines Meisters, um dem Prinzen nachzusetzen, während sein Herr die zitternde Bedienstete in Augenschein nahm.
 

Es hätte keiner Worte bedurft, um das Ausmaß seines Zorns zu erfassen. Seine Yōki elektrisierte die Luft und surrte in ihren zum Bersten gespannten Sinnen. Die schiere Verzweiflung schnürte ihr die Kehle zu. Geräuschvoll schöpfte sie nach Atem, während das so wohlgehütete Bild sich vor ihrem inneren Auge entfaltete. Sie konnte es nicht verhindern, wollte es auch gar nicht, als sein Silber sich von der Dunkelheit abhob. Das helle Grün funkelte in ihrer ererbten Finsternis, während die spitzen Pupillen ganz weit in den Hintergrund gedrängt wurden. Als seine Sichel in ihr Gedächtnis schnitt, erfasste sie sein Griff um ihre zarten Oberarme. Sie riss die Augen auf und tat einen kräftigen Atemzug. Sein Raubtiergold begegnete ihr längst schockgeweitet. Sie sah die Erkenntnis darin, vor der sie ihn so lange schützen hatte wollen.
 

„Wer war das?“, verwunderte sie.

Sie brauchte einen Moment, ehe sich ihr erschloss, dass er es hören musste.
 

„Ich bin schwanger“, tat genau den Abgrund vor ihnen auf, den sie so sehr gefürchtet hatte.
 

Quietschend stemmte sich diesmal die Tür gegen ihre Angeln. Es verriet ihr, dass diese aus Metall war. Rasch senkte sie ihre Energie, sodass das Wasser langsamer über ihren Handinnenflächen zu fluktuieren begann, ehe es in feinen Tröpfchen auf die immer noch rotpochende Erhebung zwischen dem weißen Fell niederging. Es half nicht viel, musste sie sich geknickt eingestehen, als das leise Winseln zwischen den Schritten verklang. Sie erkaufte ihnen ein wenig mehr Zeit, mehr vermochte sie so nicht auszurichten.

Ein breiter und schwerer Gang kündete ihr davon, dass sie diesem Fremden noch nicht begegnet war. Noch einmal streichelte ihre krallenbesetzte Hand über den Kopf der Wolfartigen, ehe sie sich von deren goldenen Raubtieraugen verfolgt erhob, um an das Gitter aus Holz zu treten.

Das Erste, was ihr auffiel, war sein Geruch. Es war ein Gemisch, nicht eindeutig zuordenbar, aber dem Hexenmeister ähnlich. Ob sie das Wesen nur einfach nicht kannte? Dann erhaschte sie einen Blick auf die seltsame Ansammlung unterschiedlichster Gliedmaßen, welche scheinbar seinem Rücken entwuchsen. War das eine Rüstung? Auch seine Pupillen waren rund, mochte ihn auch eine befremdlich magische Aura umgeben.

Ein durchaus hübsches Lächeln, lockend, umspielte seine schmalen Lippen, als der Schwarzhaarige an das Gitter kam. Sie reckte das Kinn, als er ihre schlanke Gestalt abwanderte. Es raubte ihm ein diebisches Grinsen.
 

„Hm, es mag Euch nicht bekannt sein, dennoch vermag ich, die Ähnlichkeit zu erkennen. Mir kam zu Ohren, Ihr verkennt eure Lage?“
 

„Ah, dann seid Ihr für diesen Unfug verantwortlich“, schien sein Lächeln im Triumph zu erweitern.
 

„Gut, dann will ich wissen, was mit meiner Begleiterin ist - und, falls Euch Euer Laufbursche noch nicht ins Bild gesetzt hat, was auch immer Ihr Euch hiervon versprecht, ich tue gar nichts, ehe Ihr nicht meiner Wölfin geholfen habt“, raubte ihrem Gegenüber einen Laut der puren Belustigung.

Es trieb ihre Augenbrauen verärgert zusammen. Das war nicht lustig. Sie meinte das bitter ernst!
 

„Wie mir scheint, ist der Hochmut erblich, Ayumi“, urteilte es hochnäsig vor ihr.
 

Sie sah, wie sein Augenpaar zu ihrem Geburtsmal über ihrer Stirn wanderte um dort für den Moment zu verweilen. Es ließ sie stutzen. Irgendwas wusste der und viel wichtiger, woher kannte der ihren Namen. Sein Lächeln verriet, dass er den Anflug ihrer Unsicherheit genüsslich verfolgte.
 

„Ein interessanter Name, den Euer Vater da wählte. Wisst Ihr, was er in unserer Sprache bedeutet?“, säuselte es dann vor ihr mit verschwörerischem Lächeln.
 

Sie schüttelte den Kopf- instinktiv. Zu überrascht war sie darüber, tatsächlich einen Vater zu haben. Nie hatte ihre Mutter von ihm gesprochen, sodass sie bereits gefürchtet hatte, einem ihrer Gedanken entsprungen zu sein. Worin das enden konnte, sah sie ja an dem ein oder anderen Kind ihrer Verwandten. Sie verbat sich jegliche Regung, wusste sie sich doch unter den Argusaugen ihres Peinigers, der erstaunlich viel wusste. Ob er ihren Vater kannte? Sonderlich interessiert konnte der ja an ihr nicht sein.
 

„Ihr geht Euren eigenen Weg. Nur habt Ihr keine Ahnung, welcher das sein könnte, nicht wahr?“
 

Als sie darauf keine merkliche Regung zeigte, sondern stumm verharrte, erklärte er in weiser Erfahrung weiter: „Lasst mich Euch Folgendes darlegen. So wurde Eure Wölfin von den Saimyōshō vergiftet - Bienen einzig dazu geschaffen die Schwachen zu peinigen und Euresgleichen in die Finsternis zu treiben. Wir beide wissen, was das für das Gefäß Eurer Mutter und damit für sie bedeutet. Und glaubt mir, ohne mein Heilmittel kann nicht mal Eure verehrte Frau Mutter ihr noch helfen. Glaubt Ihr Euch also immer noch in der Position zu verhandeln?“
 

„Was wollt Ihr also?“, fragte sie daher vorsichtig nach.

Es erstaunte sie, was der Dämon wusste. Niemand ging mit der Funktion ihrer Bediensteten hausieren.
 

„Sagen wir, ich wäre bereit dazu, Euch das Heilmittel zur Verfügung zu stellen, wenn Ihr mir den Gefallen erwidert.“
 

„Einen Gefallen?“
 

„Ich habe da unliebsame 'Freunde', die ich für eine Weile nicht in meinen Aufenthaltsort einweihen möchte“, trieb ihr die Augenbrauen in Skepsis unter den glatten Pony.

Der und Freunde? Wohl kaum.
 

„Also wollt Ihr, dass ich Euch verstecke“, schlussfolgerte sie.
 

„Ihr habt Zugang zu Welten fern meiner Sphären“, lächelte es dann listig ihr gegenüber.
 

„Meine Mutter“, verlangte sie zu wissen.
 

„Entzog sich meiner Kontrolle, bedauere“, entbehrte jeglicher Unehrlichkeit.

Wie ein jedes seiner Worte. Bis jetzt konnte sie keine Lüge darin erkennen, auch wenn ihr alle ihre Sinne zur Vorsicht rieten. Sie war am Leben, das verriet ihr ihre einzigartige Verbindung. Sie hatte ihr sogar vermocht, eine Erinnerung zu zeigen. Nur warum?
 

„Ihr helft zuerst meiner Wölfin“, resultierte in einem Nicken, das den jungen Schönling mit dem schwarzen Zopf, welchen er hoch an seinem Hinterkopf gebunden trug aus seinem Schatten lockte.
 

Er hatte eine Blume in der Hand, auf die der Fremde deutete.
 

„Ich sollte wissen, mit wem ich mich einlasse“, schließlich war er ihr diesbezüglich ja im Vorteil.
 

„Naraku ist mein Name. Wer weiß, am Ende vermag auch ich Euch bei Eurer Suche zu helfen. Haben wir eine Vereinbarung?“, funkelte sein Augenpaar listig in ihr Smaragdgrün.

Die Unmöglichkeit

T

rennung ist für die Liebe, was der Wind für das Feuer: das schwache löscht er aus, das starke facht er an. (Unbekannt)


 

„Also willst du damit andeuten, dass Sesshōmaru eine solche Bindung eingegangen ist – und ihre Auren verschmolzen sind?“, brach Shippōs kindliche Stimme die prasselnde Stille.
 

„Nun“, räusperte sich der Flohgeist verlegen – es war eine Mutmaßung, nicht mehr, mochte sie auch von seinem so verehrten Meister höchstselbst stammen.
 

„Zumindest ging der Oyakata-sama davon aus in Anbetracht der Verwüstung, die er der freigewordenen Energie der beiden zuschrieb. Er nahm ferner an, dass diese wohl einzig von dem Zauber gebändigt worden war, den die Göttin wirkte, sodass ihre nächtlichen Aktivitäten so lange unbemerkt blieben.“
 

„Und des veränderten Gottesteins auf ihrer Stirn“, ergänzte Inu Yasha, sodass Kagomes Blick pfeilschnell zu ihm hinaufschoss.

Nach wie vor hatte er seine Arme in seinen Ärmeln verschränkt. Sein Gelbgold ruhte allerdings auf dem Flammenspiel, welches über seine Züge tanzte und seinem so anziehenden ernsten Ausdruck etwas Gespenstisches verlieh. Sie war, wie so oft, fasziniert von dieser einzigartigen Mischung der unterschiedlichen Merkmale, welche ihr Hanyō zeigte.
 

„Ja, natürlich, Inu Yasha-sama“, bestätigte Myōga nickend.
 

„Erstaunlich“, lenkte Kagomes Dunkelbraun hin zum Mönch - im Einklang mit Sangos.

Miroku schien reichlich verblüfft. Die angehende Miko verstand auch sofort warum.
 

„Sie hätten sich auslöschen müssen, nicht?“

Miroku nickte und gewährte sich noch einen weiteren Moment des Sinnierens, ehe er bestätigte: „Das erscheint zumindest wahrscheinlich, Kagome-sama. Beide Energien sind so geschaffen, dass sie einander bekriegen; der Kampf, der auch im Shikon no Tama ewig währt – und nur dank Narakus Wirken ins Ungleichgewicht gestürzt wurde. Nur, dass eine göttliche Macht…“
 

„… Nicht der einer menschlichen Miko entspricht. Midoriko-sama in allen Ehren“, endete Sango, was von Miroku mit einem abwesenden Lächeln goutiert wurde.
 

„Ich hatte Sesshōmaru nicht für so mächtig gehalten“, löste ein empörtes Schnauben aus, auf das der Mönch mit einem listigen Lächeln unumwunden reagierte - eine erneute Kopfnuss in Aussicht stellend, die den treuergebenen Diener in sich zusammenschrumpfen ließ.
 

Das war es nicht wert, befand Jaken. Zumal sein Meister ja bereits Gegenteiliges bewiesen hatte. Die Göttin trug sein Zeichen.
 

„Nun, ihre Macht war ja begrenzt auf Erden, nicht?“, wandte Shippō mit Blick zum Flohgeist ein.
 

„Nicht wirklich, Shippō. Wenn sie in Gefahr war, dann konnte sich ihre Macht durchaus zeigen, um sie zu schützen. Und das war nicht ohne. Sie langte sogar nach der Macht Eures ehrenwerten Herrn Vaters, Inu Yasha-sama. Das war etwas, was der Oyakata-sama und ich auch nicht recht verstanden haben.“
 

„Und, wenn sie es einfach nicht wollten?“, erhob Inu Yashas Gelbgold vom Feuer direkt in Kagomes leuchtende Züge.

Nach wie vor hatte sie sich etwas von ihrer Unschuld und Gutmütigkeit bewahren können, die ihn zu anfangs vor Unverständnis regelmäßig toben hatte lassen, hatte sie sie doch in unzählige unfreiwillige Abenteuer gestürzt, allen voran wohl auch das Zersplittern des Juwels. Wie auch immer sie das geschafft hatte. Zuweilen war sie immer noch das unschuldige Mädchen aus der Zukunft, das einfach nur helfen wollte und an das Gute glaubte.
 

„Es braucht den Willen zur Bindung, Kagome-chan. Das ist wohl wahr“, traf Sangos Blick Inu Yashas undeutbare Züge.
 

Er schien keinen Einspruch erheben zu wollen, als bereits Miroku den für ihn wesentlich interessanteren Punkt ansprach.
 

„Dennoch war diese Bindung noch gar nicht geschlossen, als die Göttin wohl schwanger wurde. Das ist kein reiner Willensakt. Irgendetwas gibt es da, was uns noch entgeht. Wissen wir, was aus diesem Kind geworden ist“, richtete aller Aufmerksamkeit zurück auf den Zeitzeugen.
 

„Mein ehrenwerter Meister gab den beiden die darauffolgende Nacht, um sich zu verabschieden. Das war das letzte Mal, soweit mir bekannt, dass Sesshōmaru-sama etwas von seiner Gefährtin hörte.“
 

„Also weiß Sesshōmaru nicht einmal, ob es lebt“, beorderte Kagomes Dunkelbraun schockiert auf ihre Freundin an ihrer Seite.
 

Es fiel ihr erst jetzt wie Schuppen von den Augen. Kein Wesen konnte solch eine Gegensätzlichkeit in sich vereinen, nun, zumindest hatte sie von noch keinem gehört. Und als ihr Blick den nicht minder mitleidsvollen ihrer Freundin traf, wusste sie, dass auch die Dämonenjägerin um keine Ausnahme wusste. Das war grausam, befand sie.

Mirokus Miene war angespannt. Er wirkte nervös, fast schon beunruhigt, als sein Blick den Flohgeist maß.
 

„Nein, natürlich war das auch den beiden klar. Solch ein Wesen hatte es noch nie gegeben - und die Chancen standen denkbar schlecht, dass die Seele der Gegensätzlichkeit, welche ihr naturgegeben innewohnte, standhalten konnte. Dennoch mussten Vorbereitungen getroffen werden – für den Fall. Eine Größe, welche euer verehrter Vater, Inu Yasha-sama, nur den wenigsten Dämonen zutraute.“
 

Alle wussten, wen das unumwunden mitausschloss.
 

„Und warum hat Sesshōmaru sie dann gehen lassen?“, platzte Shippō mit dem Offensichtlichen heraus.
 

„Weil ein solches Mischwesen nirgendwo sicher ist. Wir sehen bereits, was das Shikon no Tama anrichtet. Dieses Kind stellt den Zugang zur Macht der Götter dar - und die Möglichkeit, sie zu vernichten“, erklärte Miroku so nüchtern, dass es Kagome eisig den Rücken hinabrann.
 

„In der Tat. Nicht einmal der Oyakata-sama maß sich an, es schützen zu können. Zumal diese Macht den Sehnsüchten aller Yōkai hilflos ausgeliefert war. Durch den dämonischen Vater wurde sie zugänglich für alle Wesen der Dunkelheit.“
 

„Er schickte sie also bewusst zurück?“

Es war für Kagome unvorstellbar, wie hart diese Entscheidung gewesen sein musste. Ohne zu wissen, ob das Ungeborene leben durfte. Sie hatte es nie für möglich gehalten, dass Sesshōmaru darauf verzichten konnte, ein Wesen zu schützen, das ihm wichtig war. Unwillkürlich überflog ihr dunkles Braun die schlafende Mädchengestalt. Längst ging sie nicht mehr davon aus, dass sein Ungeborenes ihm nicht wichtig gewesen war. Solch eine Größe hatte sie dem Inuyōkai, der Inu Yasha aufgrund Tessaigas nicht nur einmal nach dem Leben getrachtet hatte, wirklich nicht zugetraut.
 

„Ja, Kagome. Euer verehrter Vater, Inu Yasha-sama, konnte Sesshōmaru-sama letztlich verdeutlichen, dass einzig der Gott der Götter die Macht besaß, sie aus der Reichweite aller, die nach der Macht der Götter strebten, herauszuhalten.“
 

Jakens gelbe Glubschaugen wanderten derweil verstohlen die im flackernden Feuerschein friedlichen Züge Rins ab. Das warf alles natürlich in ein etwas anderes Licht. Einzig Rin und das väterliche Erbe vermochten es, bei seinem stolzen Meister so manch befremdlichen Sinneswandel hervorzurufen. Sesshōmaru-sama hörte auf Tenseiga. Es hatte ihn dazu gebracht, Rin, ein Menschenmädchen, wiederzuerwecken. Etwas, das dem Inuyōkai, der ihn damals so beeindruckt hatte, nie in den Sinn gekommen wäre. Und noch weitere solcher Seltsamkeiten, die sich häuften, kaum hatte sein Meister begonnen, dem väterlichen Erbe zuzuhören.

Selbst er hatte Tenseigas Macht diesmal vernommen – und die befremdliche Reinheit, welcher seinem Yōki anhaftete.

Auch Inu Yashas Gelbgold verweilte längst wieder auf dem Menschenmädchen seines Bruders.

Und da machte der es ihm zum Vorwurf, sich von Kikyō an den Heiligen Baum gebannt haben zu lassen. Dabei hatte der da längst die Weltordnung gefährdet, indem er mit der Göttin das Unmögliche schuf.

Automatisch entkam ihm sein so charakteristisches „Keh!“
 

Es beorderte sogleich Kagomes Dunkelbraun misstrauisch verengt auf ihn, sodass er wie gewohnt mit einem reichlich verwirrten „Kagome?“ in Deckung ging.

Sofort sprang Sango auf und eilte unter der verwirrten Musterung Kohakus an Kagomes Seite, um ihre Freundin zu beruhigen.

Die hatte sich mittlerweile erhoben, die Arme in vertrauter Pose zu ihren Seiten gestreckt fuhr sie den Halbdämon in alter Manier an: „Wie kannst du nur so wenig Mitgefühl zeigen, Inu Yasha!“

„Kagome-chan“, bemühte die Dämonenjägerin.

Doch als sie ihre Hände um die vor Zorn bebenden Schultern der Mikoanwärterin in dem befremdlichen Gewand legte, entwand die sich ihr und stapfte wütend gen Ausgang. Natürlich war auch ihr klar, dass die Erschütterungen eines Befehls kaum der Stabilität der Höhle zuträglich sein konnten.

Inu Yasha entspannte sich merklich und erhob sein Gelbgold fast schon dankbar zu Sango hinauf. Deren Züge spiegelten jedoch einen solchen Vorwurf wider, dass er sich doch dazu entschied, Kagome nachzusetzen, ehe die sich wieder in Schwierigkeiten brachte. Er hatte nicht die Zeit gefunden bei ihrer raschen Suche nach einem Unterschlupf, die nähere Umgebung abzusichern.

Miroku kam gerade an ihre Seite, als das altbewährte „Inu Yasha, Osuwari!“ nur mehr Kohaku überrascht blinzeln ließ, während Shippōs „Oh Mann“ -Stoßseufzer allen anderen aus der Seele sprach.
 

Unweit entfernt rauschten die Wassermassen wieder ungestört an ihm vorbei. Eine stete hintergründige Untermalung damit bietend, an welche sich sein Gehör längst gewöhnt hatte. Also erreichte ihn die vertraute Stimme klar und deutlich, mochte er auch für den ersten Moment abgelenkt gewesen sein; von der vertrauten Zartheit ihrer Erscheinung; dem so lange schon vermissten Herzschlag, welcher sich mit dem Tag ihrer Bindung an den seinen angepasst hatte. Ihr Herz schlug nun schneller, lebendiger. Ihre Körperwärme hatte sich der seinen angenähert, mochte sie auch nach wie vor noch beängstigend kühl sein für ein diesseitiges Wesen. Er hatte die Bandbreite in ihrer Temperatur nie vergessen, wusste, dass sie sich dem normalen Bereich annähernd zugewandt hatte- vor einer geraumen Weile bereits. Er kannte einen jeden Rhythmus, welchen ihr Puls annehmen konnte. Demnach war ihm die Veränderung in ihrer Atmung sofort aufgefallen. Und doch hatte ihn das zarte Rot ihrer Wangen für den Moment gefangen gehalten.

Diesmal war sie wirklich hier. Wie oft sie diesen Moment bereits gesehen haben mochte?

Genau so oft, wie ihm seine Sinne die üblichen Streiche gespielt hatten oder er dem dunklen Firmament eine Reaktion andichten hatte wollen?

Und wieder hatte ihn nichts darauf vorbereiten können, wie es sich anfühlte, sie nach all der Zeit einfach nur im Arm halten zu können.

Sein Raubtiergold funkelte charakteristisch im fahlen Licht seines Himmelskörpers, als ihr schattenhaftes Götterblau ihn von Neuem zu verschlingen drohte. Er fühlte sich wie gelähmt- unfähig dazu, eine Regung zu zeigen.
 

„Mir geht es gut, verzeih“, entsprach nicht den Tatsachen.

Er vernahm deutlich die Unruhe in ihrer Aura, spürte das Flackern ihrer nur allmählich zurückkehrenden Lebensenergie. Es steigerte nur die Vorfreude auf den Moment in ihm, an dem ihm dieser Abschaum eines niederen Dämonenhaufens das nächste Mal zwischen die Klauen kam.

Als die Unsicherheit in ihrem unergründlichen Blau aufflammte, wagte er keinen Einspruch, sondern bemühte sich um Ausdruckslosigkeit. Sie hatte ihn nicht sorgen wollen.

Er ahnte, dass sie glaubte, keinen anderen Weg gesehen zu haben. Was auch immer dies zu bedeuten haben mochte, es hatte ihm einen Moment mit ihr geschenkt – so wenig er auch noch daran geglaubt hatte.

Er beschloss also, nicht weiter darauf einzugehen, sondern sich drängenderen Fragen zu widmen.
 

„Ich spüre nichts“, hätte eine jede andere falsch verstanden.

Natürlich wusste sie, was er meinte. Er vermisste ihre einzigartige Verbundenheit, welche sie nach wie vor nicht gewohnt waren, oder besser, an welche sie sich bis jetzt nicht hatten gewöhnen können. Umso heftiger war ihre letzte Konfrontation erfolgt.

Ishizu entglitt ihr nachsichtiges Lächeln, während sie instinktiv den Blick senkte, sobald sie sich an die Wucht erinnerte, mit welcher seine Gegenwart auf sie hereingebrochen war.

Auch jetzt war ihm wieder, als verlöre er jegliche Bodenhaftung – als wären die letzten 4 Jahrhunderte der Trennung bedeutungslos.
 

„Ich wirkte einen Zauber. Dieses Mal. Er wird sich allmählich verflüchtigen.“

Er meinte zu verstehen, konnte er sich doch noch an die mächtige Empfindung erinnern, welche ihm das letzte Mal beinahe die Luft zum Atmen genommen hatte, kaum, dass sich ihre Energie auf ihre Welt gesenkt hatte.
 

„Tessaiga“, schien nüchtern.

Zu nüchtern. Es offenbarte unverhohlen den Vorwurf - und lenkte ihren Blick schuldbewusst ab auf sein Fell, welches sie in so lange ersehnter Weichheit umschlang.

Natürlich hatte sie damit gerechnet, seitdem sie ihr Schutzversprechen gegeben hatte. Nichtsdestotrotz fiel es ihr schwer, weil sie nicht nur um den empfundenen Verrat an ihm wusste. Er war lange Zeit sein einziger Sohn gewesen. Müßig, auf sein Verständnis zu hoffen.
 

„Es war sein letzter Wunsch. Ich hatte gehofft, du könntest versuchen, es zu verstehen“, erhob ihr Götterblau dennoch hoffnungsvoll in sein unnachgiebiges Dämonengold.

Wie hätte sie es dem väterlichen Freund und Mentor ausschlagen können, hatten sie doch ähnliche Überlegungen damals zu ihrer Entscheidung bewogen.

Es lag ihm fern, es auch nur im Ansatz verstehen zu wollen. Inu Yasha war der Hanyō seines Vaters – und ganz und gar nicht ihr Belang. Ob er lebte oder starb, oblag dessen Vermögen allein. Hielten es die Götter nicht für gewöhnlich ähnlich mit weltlichen Belangen?

Ihr nachsichtiges Lächeln, welches sein raubtierhaftes Gold daraufhin auffing, verengte seine Augen in Skepsis.
 

„Dazu muss ich deine Gedanken nicht lesen können. Was mir übrigens genauso wenig möglich ist, wie dir derzeit. Allerdings habe ich dieses Gespräch gefühlt bereits unzählige Male mit dir geführt – bitte, lass es uns vertagen.“
 

Als sich ihre Hand nach seiner Wange zu strecken begann, fühlte er sich wie erstarrt ob der so lange schon nicht mehr vertrauten Berührung. Im Augenwinkel registrierte er ihr Erzittern, ehe er sie kurz davor stocken sah. Ein unliebsamer Verdacht keimte in ihm, während er die wenige Restdistanz einem inneren Impuls folgend überwand. Wie ein Stromschlag senkte sich ihre federleichte Berührung über sein Sinnesnetz, als sein geweitetes Gold bewegt in ihr unergründliches Meeresblau stach. Er sah die Überraschung aufflammen - neben der Ruhe, welche sich auch endlich über sie breitete; spürte wie sie sich in seinem Arm entspannte, genauso, wie die Entspannung sich auch wohlig seines Körpers bemächtige. Es war müßig, sich jetzt zu streiten.

Sie fühlte sein eigenes Erschaudern unter ihren Fingerkuppen, erstaunt ob der leisen Gänsehaut, welche sie zuerst nicht recht mit ihm in Verbindung zu bringen vermochte. Nie hatte sie erwartet, dass er so reagieren konnte. Ihr Lächeln verbreiterte sich mehr und mehr, während sie sich in kleinen Schritten an die alte Vertrautheit herantastete. Sie genoss die Weichheit seiner Wange, die so lange schon vermisste Intimität, welche im Augenhintergrund für sie immer noch verborgen lag. Mochte er sie auch noch so tief in sich vergraben haben.
 

„Was tust du hier, Ishizu?“, trieb ihr einen traurigen Zug über ihre zartrosanen Lippen.

Allein ihr Name von seinen Lippen jagte ihr einen Schauer den Rücken hinab, von solcher Heftigkeit, wie selbst sie ihn nicht erwartet hatte. Es ließ sie leise in seinem Arm erbeben, sodass er seine Umarmung wohl instinktiv festigte.

Selbstverständlich kam es nicht überraschend. Es war nur natürlich, dass er fragte. Dennoch entwich ihr ein leiser Atemzug, hauchzart, als hätte der Wind auf seinem Weg in die angrenzende Finsternis des Waldes lediglich über den Stoff gestreichelt, welcher ihre Brust bedeckte.

Um ihre wild auflodernden Gefühle letztlich in beruhigtere Bahnen zu führen, an verstummen lassen, war nicht zu denken, legte sie ihre zierliche Hand knapp über seinem Harnisch ab, suchte so den Kontakt, der ihr über Jahrhunderte hinweg unmöglich gewesen war. Dann erst erhob sie ihren Blick abermals zu ihm hinauf.
 

„Ayumi. Sie muss wissen, wer sie ist“, ließ seine Miene erstarren - von einem Wimpernschlag auf den nächsten.

Sie glaubte fast selbst mit hinein in das Wechselbad an Empfindungen gezogen zu werden, in das ihn allein die Gewissheit zu stürzen vermochte.

Er hatte ihr ihre Existenz gestattet. Seine Tochter durfte atmen. Sie ging, sie sprach - höchstwahrscheinlich. Nahm er an.

Nach wie vor ruhte ihre zierliche Hand auf seiner Brust, während sie das Flackern in seinem dämonischen Raubtiergold aufmerksam verfolgte. Stumm gewährte sie ihm die Zeit, sich an den Gedanken zu gewöhnen. Fasziniert von der Unruhe, welche einzig in seinem so fremdartigen Gold loderte. Nicht einmal sie wagte, zu mutmaßen, was genau nun in ihm vorging.

Als sie sein Raubtiergold wieder annähernd beruhigt auf sich glaubte, begegnete sie ihm mit ihrem offenen Lächeln. Unsagbar dankbar für den endlich vergönnten gemeinsamen Moment.
 

„Willst du sie sehen?“, entriss ihm seine Fassung von Neuem.

Nicht, dass ihm die Züge entglitten wären. Einzig ihr abermaliges Erstarren bezeugte das tiefe Ausmaß seiner bodenlosen Überforderung.

Er brauchte tatsächlich einen Moment, ehe er begriff, dass sie ihn erwartungsvoll anschwieg – und einen weiteren, bis sich ihm erschloss, dass er die Augen schließen sollte. Ihr zartes Schmunzeln war von liebevoller Nachsicht gezeichnet, bevor auch sie leise Atem schöpfte und begann, ihre Augenlider zu senken. Ihre Energie prickelte angenehm über seine Haut, als sie sie in ihrer Hand auf seiner Brust sammelte - angenehmer als er es erinnerte.

Dann hellte sich bereits die Dunkelheit unter seinen Augenlidern immer stärker auf. Zuerst war es ein kleiner heller Punkt, der sich immer mehr vor ihm ausbreitete, um sich schlussendlich zu einer Art verschwommener weißer Wand vor seinem Sichtfeld zu entfalten. Die Helligkeit pikste in seinen spitzen Augen, sodass er die reine Magie dahinter erahnte, auch wenn sie nicht nach ihm langte.

Er erkannte sein feines Silber, bestaunte das kleine noch rundliche Gesicht, welches dick umhüllt einzig seine Sichel deutlich auf ihrer Stirn offenbarte. Noch waren ihre Proportionen so kindlich, dass die dämonische Zeichnung unverhältnismäßig riesig auf ihrer Stirn thronte. Wie ein Mahnmal ihrer so einzigartigen Abstammung.

Der Hintergrund war von unnatürlicher Leuchtkraft und wirkte verschwommen, ganz so, als rann Wasser an dessen Helligkeit hinab.

Dennoch glaubte er die vielen Lagen an Stoff, in welche ihre winzig kleine Gestalt gewickelt war, weich aufgrund der Mattierung. Lange dunkle Arme schoben sich in sein Blickfeld, sodass er alsbald erkannte, dass sie ihr in die Arme gelegt wurde. Sie zeigte ihm den Moment ihrer Geburt? Seine Tochter erschien ruhig, ihre Augen waren vor Neugier weit aufgerissen und zeigten die harmonische Vermischung ihrer gegensätzlichen Merkmale. Ihre Pupillen waren spitz - wie die Seinen, jedoch weit von der smaragdgrünen Iris in den Hintergrund gedrängt - ganz so, wie es die Eigenart ihrer Art war.
 

Als der Hintergrund in Schwingung geriet, wusste er, dass sich das Bild änderte. Jetzt vermeinte er die leuchtende Helligkeit stechender, als sich vor ihm ein Raum in befremdlichem Weißgrau auftat. Diesmal trat die Wand klar hervor. Sie war deutlich gewachsen, ihre Proportionen die eines kleinen Dämonenmädchens. Das Haar trug sie zu einem Zopf hoch über ihrem Hinterkopf gebunden. Es war geflochten und schwang im Rhythmus ihrer verspielten Bewegungen, als sie an der Hand einer fremden Frauengestalt Richtung Türen schritt. Ihr Gesicht hatte sie mit einem breiten Lachen hinter sich gerichtet - wie er annahm zu ihrer Mutter, welche erneut ihre Perspektive mit ihm teilte. Er hörte nicht, was sie sagte, sah einzig ihre schmalen Lippen sich zu einer hastigen Erwiderung spannen und entspannen. Sie schien fröhlich – und hatte die Schönheit ihrer Mutter geerbt.
 

Diesmal vermeinte er mehr als eine Schwingung beobachten zu können. Es glich mehr einer neumodischen Buchseite, welche reichlich zittrig umgeblättert wurde. Kurz überkam ihn wieder die vertraute Dunkelheit, ehe sich das grelle Weiß vor ihm erneut auftat. Erst verschwommen dann immer klarer hoben sich alsbald die vertrauten Konturen vor ihm ab. Sie musste jetzt so alt sein, wie Ishizu sie ihm einst gezeigt hatte. Ai meinte er sofort wiederzuerkennen. Wieder überstrahlte ihre Fröhlichkeit ihr so feinzügiges Gesicht. Ihre Gliedmaßen waren lang, der Körper schmal, sodass ihn ihr raubtierhafter Gang nicht überraschte. Dennoch fehlten ihr jegliche dämonischen Zeichnungen. Sie kam auf Ishizu zu, die Wolfartige an ihrer Seite. Als die leuchtend helle Waldlichtung wellenartig zu knittern begann und immer mehr an Schärfe verlor, erahnte er längst den Grund. Schlagartig öffnete er die Augen, während ihre Magie ihn nur mehr unruhig umfloss.

Sie begegnete dem nur allzu vertrauten Tadel in seinem Gold mit einem um Verzeihung heischenden Zug um ihre zartrosa Lippen. Zu lange hatte sie darauf gewartet, als dass sie sich der Vorsicht ergab, welche er so rigoros einforderte.
 

„Wo ist sie?“, war nur allzu natürlich.
 

„Hilfst du mir auf?“, erkaufte ihr Zeit.

Er ließ es zu. Mit einem reichlichen Unwohlsein im Magen.

Behutsam fühlte sie sich da bereits von seinem Arm in die Senkrechte gestützt – unter seiner aufmerksamen Musterung, ehe er sich mit ihr erhob.

Sie spürte den leisen Zug, folgte ihm unter dem altbekannten Kribbeln, welches sich wohlig in ihrer Mitte sammelte, als ihre Hände automatisch an seine Brust fanden.

Laut rauschte ihr Blut in ihren Spitzohren, als ihr Herz einen drängenderen Rhythmus aufnahm – deutlich unterscheidbar von dem festen und gleichmäßigen Schlag, welchen sie noch unter ihrer einen Hand erfühlte. Längst existierte einzig wieder sein dämonisches Gold für sie. Sein so einzigartiges Funkeln in seiner ererbten Finsternis. Wieder verdrängte es jede andere Wahrnehmung aus ihren Gedanken. Als der altbekannte Schwindel sie zu überkommen drohte, brach sie den intensiven Moment unter einem Blinzeln und senkte den Blick.

Wieder war da dieser entschuldigende Zug um ihre Lippen, als sie sich von ihm löste. Unverkennbar, sie wich ihm aus.

Aufmerksam folgte er ihren noch unsicheren Bewegungen ins Wasser, bot ihr Halt, sobald ihre Hand nach eben diesem verlangte und wartete doch erst einmal stumm ab.

Sobald sie knietief im Wasser stand, hielt sie an, um in einem tiefen Atemzug die Augen zu schließen. Er registrierte den leisen Anstieg ihrer Aura, hörte das sie umspülende Wasser erneut die Strömungsrichtung anpassen und beobachtete das erwartete Aufglühen seiner Sichel an ihrer Stirn.

Diesmal spürte er ihr Erstarken in sich widerhallen. Es entspannte auch seine Züge kaum merklich, mochte sein Augenmerk sie auch ungerührt fest erwarten, sobald sie ihr göttliches Blau wieder aufschlug.

Eine nur zu deutliche Forderung.

Er hegte längst wohl seine Befürchtungen – nicht zu Unrecht. Ob Inu Yasha gar? Sie tat den Gedanken rasch ab. Es spielte keine Rolle. Sie wollte vorsichtig sein – um seiner Nerven willen. Doch schätzen tat er einzig Tatsachen. Wer wusste das besser als sie.
 

Also verließ es ihre Lippen nüchtern: „Ich weiß es nicht genau. Euer Hanyō hat sie.“
 

Und als sich sein Blick merklich verengte, sah sie sich doch wie zu erwarten dazu gezwungen, zu beruhigen: „Ai ist bei ihr. Und ich kenne jemanden, der sie finden kann.“
 

Es entspannte seine Miene kein bisschen, glaubte er doch, sich zu verhören. Genau aus diesem Grund hatte er sie gehen lassen!

Also hatte Inu Yashas Nase sich nicht geirrt.

Sein Blick war vernichtend, der sie nun traf. Unmöglich, den Vorwurf darin auch nur zu verkennen.
 

„Sie war damit einverstanden- und wollte helfen“, verhärtete seine Züge nur noch mehr.

Ihr entwich ein leises Seufzen.
 

„Sie weiß, dass sie ruhig bleiben muss“, ergänzte sie daher bemüht um Besänftigung.

Es bescherte ihr eine argwöhnische Musterung ihrer Züge.

Was für ein göttliches Spiel sollte das sein?

Jetzt kräuselte die Göttin ihr Stupsnäschen im alten Argwohn. Sie nahm einen tiefen Atemzug, um weit mehr als nur ihre Miene zu ordnen.

Nicht, dass sie je angenommen hätte, dass das leicht würde.

Dennoch, wie konnte er es nur wagen, ihr zu unterstellen, sie spielte mit dem Leben ihrer gemeinsamen Tochter?
 

„Es kann unmöglich dein Ernst sein, mir das vorwerfen zu wollen. Dein Volk hat es zum Initiationsritus erhoben, euren Nachwuchs allein in die Wildnis zu schicken, um sich zu bewähren, nicht meines.“

Ihre Empörung prallte förmlich an seiner kühlen Fassade ab. Also hatte sein Vater ihr auch das letztlich erklärt. Wo lag der Unterschied?
 

„Wobei helfen?“, erfolgte eisig.
 

„Magatsushi und Midoriko, die beiden gegensätzlichen Energien im Juwel der vier Seelen, bringen ein Ungleichgewicht in diese Welt. Ähnlich wie Ayumi, nur wesentlich anfälliger. Erst recht in den Händen eines Halbwesens wie Naraku eines ist.“
 

„Es wäre Euresgleichen ein Leichtes gewesen, sein Entstehen zu verhindern“, schnitt sein Tenor grausam nüchtern dazwischen.
 

„So gehen wir das nicht an - und das weißt du auch. Wir hatten gedacht, Inu Yasha und Kikyō, die Miko“, ergänzte sie mit vorsichtigem Blick in seine nach wie vor ausdruckslosen Züge.

Er zeigte mit keiner Regung, ob es ihn überhaupt kümmerte, wer sie war.
 

„Jedenfalls kam euer Hanyō dazwischen.“
 

Es genügte ihm, um zu verstehen. Sie hatten sich seinen Halbbruder und diese wandelnde Tote zu Nutze machen wollen. Ihm wäre ein Seufzen entkommen, stünde ihm dies zu.

So wahrten sie den Schwur, indem sie sich mit dem indirekten Eingreifen in die Geschicke mittels ihrer Schützlinge begnügten. Der Grund also, wieso seine Gefährtin darin überhaupt verwickelt worden war - und mit der Hauptgrund, warum sein Volk den Weg der Götter ablehnte und die Dinge lieber in die eigenen Klauen nahm. Seine Ausdruckslosigkeit mutete fast etwas Beleidigendes an, mit der er ihr daraufhin begegnete.

Es erklärte noch immer nicht zufriedenstellend, warum sie ausgerechnet ihre Tochter mit auf ihren Alleingang hatte nehmen müssen. Es war offenkundig, dass ihr Vater hiermit nicht übereinstimmte.
 

„Ihr wird nichts geschehen. Der Schutz des Palastes verbietet eine jede Handlung gegen eine der Unsrigen. Mein Vater hat sie unter seinen persönlichen Schutz gestellt.“
 

„Was will er von ihr?“, klang mehr nach einem Befehl an seinen grünen Gnom denn der Frage an die ebenbürtige Gefährtin.

Wieder bedurfte sie eines tiefen Atemzugs. Es war es nicht wert, darüber zu streiten. Für Grundsatzdiskussionen musste sich ein anderer Moment finden, einer, in dem sie besser beieinander waren.
 

„Erinnerst du dich an die Nacht nach dem Mondfest. Ich hatte einen seltsamen Traum.“

Und als ihm die Erinnerung den Blick verengte, erläuterte sie sehr zu seinem Unwohlsein: „Es war kein Traum.“

Mehr wagte sie nicht. Die Andeutung musste genügen - und sie sah, dass sie ausreichte, um ihm die Züge in Ekel zu verhärten. Es hatte sie in Erstaunen versetzt, dass seine ungeborene Tochter ihm tatsächlich die Kräfte gebannt hatte. Heute wusste sie, dass sie sich nach Ausgleich und Harmonie sehnte. Es entsprach ihrem Wesen. Ein Charakterzug, der den Dämonen weniger entsprach- und dem Vater damit kaum gefallen würde. Kurz legte sich ihre Miene in Sorgenfalten, ehe sie seine Züge abwanderte, während sich die Erkenntnis auch in ihm an die Oberfläche kämpfte.
 

„Ayumi“, kam fast an eine Frage heran – wenn er sie auch einer Schlussfolgerung gleich unerschütterlich fest ausformulierte.
 

Sie nickte knapp: „So offenbarten sich wohl ihre Kräfte.“
 

„Demnach verfügt sie über die Zeit?“
 

„Nicht ganz, aber sie kann sich zwischen den Welten bewegen“, vermeinte Ishizu kurz die Anerkennung im väterlichen Raubtiergold aufblitzen zu sehen.

Ihr entglitt ein leises Schmunzeln, welches sie besser unter ihrem gesenkten Blick verbarg. Es gab natürlich auch Dinge, die den Dämonenvater platzen lassen würden vor Stolz. Zu ihrer großen Erleichterung.
 

„Deshalb kannst du sie nicht finden“, bestätigte ihm Ishizu nickend.

Demnach nutzte der Hanyō seine Tochter dafür, um sich in den Dimensionen zu verstecken, wie dieser Feigling es stets zu tun pflegte, um sich zu regenerieren.
 

„Woher weiß er davon?“, erhob ihr Götterblau in sein verengtes Raubtiergold.

Er erkannte die Anerkennung darin, wenn er sie auch noch nicht recht verstand. Worauf war er gestoßen?
 

„Er dürfte es nicht wissen- niemand außer den Meinigen weiß von unserer Tochter. Ich durfte ihr nicht einmal sagen, wer du bist. So schützt mein Vater sie - und mit ihm sein Palast.“
 

Also vermutete sie einen der Ihrigen hinter der Sache. Und Ayumi diente freiwillig als Köder, um den Verräter zu entlarven. Wieso ließ sie das zu?
 

„Ihr kann nichts geschehen - Vaters Schutzversprechen verbietet Meinesgleichen auch nur irgendetwas preiszugeben, was sie gefährdet.“

Das war keine Sicherheit. Wer wusste schon, was der Hanyō diesmal wieder für Wege fand.

„Ai?“

Immerhin war sie ungewöhnlich stark geschwächt – Saimyōshō hin oder her. Ob ihr Gefäß zu weit entfernt war?
 

„Sie wurde ebenso vergiftet“, lenkte ihren Blick beschämt auf das Wasser.

Natürlich wusste sie, dass ihm diese Schutzlosigkeit ganz und gar nicht genügte. Sein Schweigen lastete zentnerschwer auf ihr, dennoch musste sie ihn erinnern.
 

„Auch wenn ich froh bin, dass er dich gekränkt hat“, erhob ihren Blick in seine nach wie vor ungerührten Züge.

Es hob nicht einmal mehr seine Augenbraue. Sogar in seiner Mimik war er minimalistischer geworden. Was hatte ihm Tessaiga noch alles genommen?

Innerlich seufzte die Göttin schwer, ehe sie sich dazu durchrang fortzufahren: „Er ist nicht dein Gegner.“
 

Den vernichtenden Blick aus zu Schlitzen verengtem Raubtiergold hatte sie dagegen erwartet. Sie verbat es sich auch nur in ihrer Mimik zu wanken – und begegnete ihm unnachgiebig fest.

Müßig ihr zu erklären, dass der Hanyō damit für ihn eine Grenze überschritten hatte, die sie letzten Endes ihn hatte überschreiten lassen. Es gab einen Grund, warum Seinesgleichen die Götter mied.
 

„Es bedroht deine Existenz“, lenkte er schlussendlich ein.

Und damit die seiner Tochter.
 

„Unser aller“, verbesserte sie.

Das war ihm Einerlei. Damit hatte er nichts zu schaffen. Wenn sich die Götter nicht selbst helfen wollten, war ihm das gleich.

Als sie den Schritt aus dem Wasser auf den Rand tat, reichte er ihr seine Klaue. Es schenkte ihm ihr bezauberndes Lächeln, als sie die Hilfe dankbar annahm.

Überrascht entwich ihr ihr Atem, als er sie behutsam an sich zog. Wieder wich sie ihm aus, als ihr Blick auf ihre Hand in seiner Klaue glitt. Ihre andere Hand legte sie auf seiner Brust ab und genehmigte sich unter seiner akribischen Musterung einen weiteren Atemzug, ehe sie ihr unergründliches Blau zurück hinauf in sein geklärtes Gold erhob.
 

„Hilfst du mir?“, war nur ein Wispern.

Jetzt genehmigte er sich den Moment, um ihre Züge ausgiebig abzuwandern. Nicht, weil er überlegte. Er suchte nach einem Anhaltspunkt für ihre Distanz.

Sie wappnete sich, als sie die Ahnung in seinem raubtierhaften Gold auflodern sah, wenn auch noch verhalten im Hintergrund.

Er nickte, kaum merklich, wie er es stets getan hatte. Eine vertraute Geste, die sie schmerzte und ihr Herz mit Sehnsucht überschwemmte. Wieder musste sie sich ihm entziehen, als sie die Last der Schuld zu überwältigen drohte. Es war nicht der rechte Augenblick dafür. Nicht jetzt.
 

Sie erzitterte kaum merklich, als seine Klaue sie auf eine einzig ihm innewohnende Art und Weise zärtlich am Kinn unterfasste und ihren Blick behutsam in sein Raubtiergold erhob. Sie genoss seine Berührung ebenso sehr, wie sie seine prüfende Musterung lange bereits gefürchtet hatte.

Mochte er ihr auch regungslos begegnen, so erahnte sie das leise Funkeln in dem so lange vermissten Raubtiergold. Wie sollte sie ihm das erklären? Ihre Tochter kannte nichts Dämonisches, wusste nichts von der Dunkelheit, nichts über ihre Seltsamkeiten. Natürlich hatte sie die Gelegenheit herbeigesehnt, ihr seine Welt zu zeigen und hatte allen Grund, den Vater aufzusuchen. Der Hanyō mit dem Shikon no Tama bedrohte sie und ihre Welt- und anders als ihr Vater, wollte sie dagegen vorgehen.

Dennoch, war sie ehrlich, so war dies nur die halbe Wahrheit. Damit entzog sie sich seiner ausdruckslosen Musterung. Er hatte es längst erkannt. Die Scham, welche ihren Blick nun senkte.
 

„Verzeih mir“, überraschte ihn trotz allem.

Nur weil sein Augenmerk auf ihrem Pechschwarz ruhte, vermochte er es, den Blick an sein Schwert aufzufangen. Der Verdacht verdichtete sich.
 

„Tenseiga“, suchte nach Bestätigung.
 

„Ich bat um eine Verlängerung ihres Lebens“, irritierte ihn.

Was auch immer sie da zugab, er wusste zuerst nicht, auf wen sie sich bezog.

Doch als diesmal sie ihren bewegten Blick in sein Dämonengold erhob, erkannte er die Regung darin.
 

„Rin“, schloss ihr die Augen vor Scham und senkte ihren Kopf.

Ein eindeutiges Schuldeingeständnis damit ablegend. Deshalb paktierten Dämonen nicht mit Göttern.
 

„Sie starb mit ihrer Familie“, erreichte ihn längst wie durch einen Schleier aus Wut und bitterböser Empörung.

Sie wusste genau, was sie da getan hatte.
 

„Ich bin dein Gefährte“, war eisig.

Er war keiner ihrer Schützlinge. Sie hatte sich nicht in sein Leben einzumischen. Nicht so. Natürlich entging ihm die leise Regung, welche über ihre gesenkten Züge huschte. Es geschah zu schnell, als dass sie es noch aufhalten konnte, sodass es ihre Lippen einem Flüstern im Wind gleich und dennoch messerscharf in seiner Klangfarbe verließ: „Tatsächlich.“
 

Auch wenn es nur ein einziges Wort war, so war es doch von so vielen Nuancen gefärbt, dass es einer Bestätigung gleichkam, die ihm die Augen für den Moment schloss. Jetzt endlich verstand er ihr Zögern, ihre Zurückhaltung, die Distanz.

Umso mehr erstaunte ihn ihr leiser Laut der Resignation an seiner Brust. Es lenkte seinen Blick interessiert auf ihren schwarzen Schopf.
 

„Entschuldige, es steht mir nicht zu“, erschloss sich ihm nur, weil er sie gut kannte.

Weil er ihre Art kannte - und den irrsinnigen Anspruch, sich aus allem Irdischen rauszuhalten, sich neutral zu verhalten.

Als ihr Meeresblau bewegt sein Gold suchte, brauchte er längst keine Erklärung mehr. Dennoch ließ er es ihr.
 

„So funktioniert das nicht. Du kannst wählen. Immer. Tenseiga nimmt einzig Rücksicht auf meine Empfindungen“, ermöglichte ihm eine Ahnung darüber, warum sein Schwert an der Windherrscherin gescheitert war.
 

„Ich sah mich nicht im Stande dazu, einzugreifen. Verzeih mir“, offenbarte und bestätigte, was tatsächlich zentnerschwer auf ihren zarten Schultern wog.

Ein jedes Wort bezeugte die tiefe Reue, die sie darüber empfand.

Er war fassungslos. Auf welche seltsame Art und Weise Tenseiga und ihr Wille auch aneinandergebunden waren. Nur Götter waren so weltfremd, ein Schutzversprechen derart auslegen zu wollen. Eine jede Dämonin hätte ihre Krallen an der Windherrscherin allein für ihre erste Schutzforderung an ihn gewetzt. Dem Schwert also den Dienst an Kagura zu verwehren, wäre nur allzu natürlich gewesen. Doch seine Göttin entschuldigte sich bei ihm dafür, Tenseiga die Rettung eben dieser nicht befohlen zu haben, als eben dieses Schwert sich verweigert hatte - aus Rücksicht auf ihre Gefühle. Damit unterfassten seine krallenbesetzten Finger ihr Kinn erneut auf diese nur ihm eigene Art und erhoben ihren Blick in sein ausdrucksloses Spitzaugenpaar. Absolute Ruhe lag in seinem schimmernden Gold.
 

„Ich gab dir ein Versprechen, Ishizu.“

Eigentlich konnte sie sich selbst gratulieren für ihren Zauber. Eigentlich - würde sie ihn nicht so schrecklich vermissen. Natürlich konnte er das jetzt sagen. Jetzt, wo der Zauber noch wirkte und ihre Schuld unter sich vergrub. Doch wie lange konnte das gut gehen? Sie wollte ihn doch nicht damit belasten.

Denn natürlich wusste sie genau, was er meinte – und begrüßte es insgeheim.

Mochte er es auch nicht spüren, so sah er es doch in ihrem flackernden Meeresblau. Ganz so, wie es die Eigenart der Götter war, drängte es ihre runden Pupillen fast gänzlich in den Hintergrund und wirkte so unergründlicher als alles, was er je erblickt hatte. Und ganz so, wie vor all der Zeit drohte er von Neuem haltlos darin zu versinken.
 

„Und ich nahm es bewusst nicht an“, war längst nur mehr ein Flüstern.

Sie hatte ihn freigeben wollen, soweit es eben möglich war, ihm ein Leben zugestehen wollen. Und die Kazeyōkai war eine reelle Chance gewesen.

Es würde nur ihr Gewissen erleichtern – und ihm alles nur noch mehr beschweren.
 

„Irrelevant, Megami“, begegnete er ihrer Farce ungerührt.

Er hatte es ihr längst erklärt. Unnötig sich zu wiederholen.

Wem wollte sie da etwas vormachen? Sie hatte doch weiterhin existiert, ihre Verbindung war untrennbar aufrecht gewesen, aller Distanz zum Trotz. Er hatte es nie vergessen.

Es raubte ihr ihr so bezauberndes Lächeln. Natürlich schmeichelte es ihr – und legte sich wie Balsam über ihre geschundenen Nerven. Für den Moment wusste sie seine gesamte Aufmerksamkeit allein auf ihren gespannten Lippen. Das altbekannte Kribbeln erfasste ihre Haut und elektrisierte ihre Sinne. Umgehend erinnerte sie die Weichheit der seinen, die Forschheit seiner Küsse, das unbändige Feuer, welches sich erneut in ihren Venen zu sammeln begann – und ließ es diesmal zu. Ihre Blicke hatten sich längst ineinander verankert. Ihre Lippen sich einander angenähert. Sie konnte seinen Atem warm gegen die Ihren prallen spüren, wie Feuer langte er nach ihr und setzte ihre Sinne augenblicklich in Brand.
 

„Ich markiere nicht“, ließ die zierliche Göttin erzittern und senkte ihre Lider auf Halbmast.
 

„Ich gab dich frei“, war reiner Trotz – und verdiente keiner weiteren Erwiderung.

Es wurde einzig von seinem schmalen Lächeln gönnerhaft zur Kenntnis genommen, ehe seine Hand ihr Kinn bestimmt, jedoch nicht grob umfasste und er sie endlich an sich zog. Einem Feuerwerk gleich explodierten ihre Sinne, sobald er seine Lippen damit nach all den Jahrhunderten endlich wieder auf ihre senkte.

Wenn sich alle einig sind,...

W

ahre Liebe heißt nicht, Schmetterlinge im Bauch, sondern Respekt vor dem anderen und absolute Akzeptanz der Souveränität des anderen. (Unbekannt)


 

Der Wind rauschte durch das dichte Blätterdach und riss am dünnen Stoff ihrer Kapuze. Wie Feuer tanzte das Mondlicht über die Falten seiner seidigen Struktur. Lange, schlanke Finger umgriffen den Saum und zwangen ihn unerbittlich zum Widerstand. In der Finsternis der Nacht gab es keine Farben. Selbst die Blätter waren schwarz. Ganz so, wie es einst vereinbart worden war zwischen den ungleichen Brüdern. Einzig Feuer vermochte es, sein Rot über seine Düsternis erstrahlen zu lassen.

Nur vereinzelt warf das Mondlicht seinen milchigen Abklatsch auf das sonst so saftige Grün des Walddachs. Aschfahl raubte sein Licht den Maserungen der alten Baumstämme jegliche Lebendigkeit. Wie Ungetüme ragten sie breit und unweit über der zarten Gestalt in die Höhe empor - ein Bollwerk längst vergangener Tage.

Hier galt noch die alte Ordnung; man zahlte die alte Währung.
 

„Ich habe ein Angebot zu unterbreiten“, vertraute die helle Stimme der nächsten Böe an, als der Wind diesmal heftiger durch das Blätterdach raschelte und die hünenhafte Gestalt zum Gehen drängte.
 

Es verklang scheinbar ungehört im Unterholz, welches sich über die Äonen so tief mit der Magie ihrer Welt verflochten hatte, dass es kein Sterblicher ungestraft zu durchdringen vermochte. Mit der Zeit hatte die Magie ihrer Vorväter jedes noch so unbedeutend kleine Körnchen seiner Erde durchdrungen, jede noch so winzige Wurzel mit ihrer Macht getränkt, sodass sie das Raunen, welches ihre Worte in der scheinbaren Stille hervorriefen mehr erspürte, denn mit ihren spitzzulaufenden Ohren unter der Kapuze vernahm. Sie fühlte, wie es sich einem Lauffeuer gleich rasant durch das weitverzweigte Netz ihrer Wurzeln verbreitete. Der Wind ebbte ab. Ein Lächeln, nicht mehr als ein Zucken über makellosen Alabaster, dann zog die hünenhaft schlanke Gestalt den Stoff tiefer vor ihr Gesicht, ehe sie dem Rascheln folgte, das die unsichtbare Barriere einem Vorhang gleich vor ihr aufzog.
 

Weiter im Landesinneren rappelte sich derweil Inu Yasha missgelaunt zurück auf die Beine. Der tiefe Graben im Erdboden vor sich zeugte noch von der Empörung seiner Mikoschülerin. Die stand am Rand, immer noch die Arme in ihre Hüfte gestemmt und begegnete seinem missmutig verengten Gelbgold nicht minder angriffslustig. Er wollte gerade zur üblichen Meckerei ansetzen, als der Wind eine ungewohnte Heftigkeit annahm. Von jetzt auf gleich war die Luft erfüllt vom Surren der Magie. Wie elektrisch aufgeladen umschmeichelte Kagome ihre Wärme in demselben Ausmaß, wie sie auf ihrer Haut pikste, ganz so, als ob sich das Yōki eines sehr mächtigen Wesens auf sie senkte. Seltsamerweise ging es Inu Yasha ähnlich, nur dass er sich an das reinigende Reiki so manch einer Miko in seiner Kindheit erinnert fühlte. Irritiert suchte sein Blick den Ihren. Sie konnte sich auch keinen Reim darauf machen. Mittlerweile schwoll das Dröhnen in ihren Sinnen zu einem schmerzhaften an, sodass Kagome die Arme um ihre zarte Gestalt schlang.
 

„Was ist das?“, wollte sie wissen.

Miroku schnappte es gerade noch so auf, als er mit Sango dicht gefolgt von Kohaku zu seinen Freunden hinauseilte.

Auch sie hatte dieselbe Seltsamkeit hinausgetrieben. Der Mönch hielt sich wie Inu Yasha die Hand umgehend über die Augen, während er in der Ferne nach dem hellen Leuchten spähte, welches alsbald zu einem grellen Lichtkegel auswuchs.
 

„Es kommt vom Fluss“, konstatierte Inu Yasha und lenkte auch Kagomes Aufmerksamkeit dorthin.

Natürlich dachte die angehende Miko sofort an ihre Patientin.
 

„Wir müssen nach ihr sehen“, überraschte daher weder den Mönch noch seinen halbdämonischen Freund.

Dennoch trafen sich ihre Blicke in Skepsis. Sollte etwas vorgefallen sein, so stand es außer Frage, dass sie ihr halfen. Jedoch war allen klar, wie wenig Sesshōmaru eine Einmischung zu schätzen wüsste.
 

„Kagome-chan“, gab Sango daher sachte zu bedenken.

Doch deren Blick hatte sich längst in vertrauter Entschlossenheit auf ihren Hanyō geheftet. Also konnte ihr Sango lediglich noch ihren Bogen und den Köcher reichen, während Miroku Inu Yasha mit einem Nicken versicherte, hier mit den Dämonenjägern derweil die Stellung zu halten. Immerhin war davon auszugehen, dass der Herr Vollblutdämon zumindest seine menschliche Begleiterin wohlauf vorfinden wollte. So schulterte der sich seine angehende Miko und sprang verfolgt von den sorgenvollen Blicken seiner Freunde gen Ursprungsort, der heftigen Energieanamolie entgegen.
 

Zuerst war da nur die solange schon vermisste und nie vergessene Weichheit. Dicht gefolgt von der vertrauten Forschheit und Bestimmtheit seiner Zärtlichkeit, welche ihr die Hitze in die Wangen trieb. Instinktiv suchte sie Halt und legte ihre Hände über seinem Harnisch ab. Sie erspürte einen jeden seiner geschulten Muskelstränge darunter arbeiten, als er seinen Arm um ihre schlanke Mitte schlang, um sie enger an sich zu ziehen. Sie genoss die Wärme, welche sie gedämpft durch den seidigen Stoff erreichte, seine Herbheit – und seinen kräftigen Herzschlag, welcher im Gleichklang mit dem Ihren unter ihrer Hand pochte.

Das altbekannte Kribbeln bemächtigte sich ihrer und zitterte ihre Glieder hinauf. Es dauerte eine Weile, ehe ihr die Hitze seltsam aufstieß. Bis sie wahrnahm, dass das Kribbeln zu einem Piksen angeschwollen war. Dass die Hitze ihre Venen zu verbrennen drohte. Mehr und mehr Druck türmte sich in ihr auf, sodass sie alsbald fürchtete zu zerbersten. Sie sah sich längst außer Stande einzugreifen. Sekunden zogen sich wie Minuten dahin, in welchen einzig sein Arm um ihre schlanke Taille den nötigen Halt versprach. Die Energie bäumte sich zu unerträglichen Ausmaßen in ihr auf, ehe sie urplötzlich wie eine Welle unaufhaltsam über sie hinwegbrach – sie so schlussendlich befreite. Als treffe der Tropfen auf die gespannte Wasseroberfläche entlud sich die gegensätzliche Energie explosionsartig um sie herum. Von ihnen ausgehend fegte sie wie ein Windstoß über die umliegende Natur hinweg, bog die Äste wild nach ihrem Willen und beließ die Welt ihrer Vorväter dieses Mal dennoch fast unberührt. Einzig einige wenige Blätter wurden frühzeitig vom nährenden Stamm getrennt und wirbelten unbeachtet zu Boden. So manche Strähne seines silbernen Haars peitschte in ihr Gesicht; ihre Haut wie sanfte Trommelschläge liebkosend.

Erschöpft sank sie gegen ihn, Stirn gegen Nase. Heftig spürte sie ihr Herz gegen ihre zarte Brust poltern, in demselben Rhythmus wie das Seine. Der Stoff ihres Gewands spannte unter ihren nicht minder heftigen Atemzügen. Dass es ihm ebenso ergangen war wie ihr, erkannte sie nicht zuletzt daran, dass sein Brustkorb sich nicht minder merklich unter ihren zierlichen Händen hob und senkte. Sie behielt die Augen geschlossen, während sein Atem zur gewohnten Ruhe zurückkehrte. Automatisch beruhigte es auch den Ihren.

Instinktiv führte sie ihre Nase an seiner entlang, suchte die Zärtlichkeit, die ihnen gerade eben noch so rabiat geraubt worden war.
 

„Ist das ab jetzt regelmäßig zu erwarten?“, war tatsächlich eine Frage.

So unpassend es war, es entlockte ihr ein zartes Lächeln nah über seinen schmalen Lippen.
 

„Ich hoffe nicht“, war eindeutig nicht, was er zu hören wünschte.

Das hätte sie auch gewusst, ohne ihren Blick in sein ausdrucksloses Raubtiergold zu erheben.

Denn natürlich war es alles andere als erfreulich, wenn sich ihre gegensätzlichen Energien frei brachen, kaum, dass sie sich küssten. Jetzt, da die Energie sie verlassen hatte, konnte sie die Ruhe förmlich in sich zurückkehren vernehmen. Sie fühlte sich einer zentnerschweren Last enthoben. Weit stärker ausgeprägt als es das Wasser je vermocht hätte. Dass das ihnen möglich war, war erschreckend.
 

„Fühlst du dich anders?“, fragte sie vorsorglich nach; nicht, dass sie eine ernstliche Schwächung seinerseits tatsächlich annahm.
 

Sie ging also eher davon aus, dass dies ihrem geschwächten Zustand geschuldet war. Ihr Herzschlag war zur gewohnten Stärke zurückgekehrt, ihre Atmung hatte zur beruhigenden Regelmäßigkeit zurückgefunden. Ihre Körperwärme glich sich an die Seine an.

Sie ließ ihn, als sein Blick ihre Züge eingehender abwanderte.
 

„Es hat dich gestärkt“, konstatierte er nüchtern.

Natürlich strafte er ihre offenkundige Sorge um ihn mit Nichtachtung. Was hatte sie auch erwartet. Er dagegen schien doch tatsächlich erwartet zu haben, dass sie ihm ihre einzigartige Verbindung erklären konnte, bei dem Blick, mit dem er sie daraufhin bedachte.

`Bedauere, auch 4 Jahrhunderte ermöglichten es mir nicht, darauf eine hinlängliche Antwort zu finden´, hätte sie ihm am liebsten entgegnet.

Zumal sie ja auch noch anderes zu tun gehabt hatte. Seine Tochter erziehen, ohne ihn dabei je auch nur zu erwähnen, zum Beispiel. Doch als er sein Raubtiergold in die scheinbare Finsternis über sie hinweg erhob, wusste sie, dass der Moment vorüber war.

Sie war gerade dabei auf eine weniger verfängliche Distanz zu weichen, als der Windzug sie im Rücken erhaschte. Wie ein Kribbeln durchfuhr sie ihre eigene Anspannung. Sie kannte diesen Moment, erwartete ihn bereits schon so lange – und doch waren ihre Empfindungen frei von jedweder Nüchternheit.

Sesshōmarus Augenmerk war längst starr hinter sie gerichtet – ausdruckslos und doch so voller Missfallen. Es konnte sie nicht überraschen. Sie wusste, sie musste vorsichtig sein. Dennoch kam sie nicht umhin, unter einem leisen Atemzug ihre Miene zu richten – und beorderte so sein argwöhnisch verengtes Augenmerk zielsicher auf sich.

Natürlich traf es ihn, mochte er es auch so lange bereits geahnt haben – und nun sicher wissen. Und doch konnte sie darauf keine Rücksicht nehmen. Es würde sich ein Moment finden, um auch das in Wohlgefallen aufzulösen, da war sie zuversichtlich.

Als sie sich umwandte, ließ Inu Yasha Kagome gerade an sich hinabgleiten. Sein Blick war gesenkt, den erschrockenen der Miko ignorierte sie. Zu sehr nahm die jugendliche Erscheinung ihre Aufmerksamkeit gefangen. Er war wesentlich kleiner als Sesshōmaru oder ihr gemeinsamer Vater. Das hatte sie gewusst. Dennoch war es seltsam, es jetzt vor Augen zu haben. Seine Statur war die eines Halbwüchsigen, obwohl sie nicht ganz zu Unrecht eine gewisse antrainierte Stattlichkeit unter dem feuerroten Gewand vermutete. Die stärkere Haarstruktur hatte sie nie vergessen. Als er den Kopf hob, glitt ihr Meeresblau unumwunden an den Hundeohren hinab und traf das väterliche Gelbgold.

Ob er wissen wollte, wie sehr sein Blick so manch Verhaltenem des Vaters ähnelte?
 

„Reg´ dich ab, wir wollten nur nach dem Rechten sehen“, pflaumte Inu Yasha zur Antwort und trieb Ishizu so ein verstohlenes Lächeln über die Lippen.
 

Es senkte ihren Blick, sodass Kagome sich nicht recht sicher war, ob sie es sich nicht nur eingebildet hatte.
 

„Geht es Euch gut?“, wagte sie an ihre Patientin zu richten die üblichen Feindseligkeiten der Hundbrüdern ignorierend.
 

Inu Yasha hielt eisern dem vernichtenden Blick aus verengtem Raubtiergold stand. Sesshōmaru war definitiv nicht erfreut über ihr Aufkreuzen – wenig überraschend, noch schien er jedoch auch nicht eingreifen zu wollen. Die Göttin stand verräterisch nahe bei ihm, und Inu Yasha wollte lieber gar nicht erst wissen, wobei sie die beiden da gerade gestört hatten. Die Energie schien jedenfalls keinen Schaden angerichtet zu haben, zu ihrer beider Überraschung. Sie störten also unverkennbar. Hatte er es nicht gesagt.

Er beobachtete, wie die Göttin zuerst ihren Blick hinauf in die angespannten Züge seines Bruders erhob. Zu seiner Überraschung vermochte sie es damit, dessen Augenmerk von ihm ab hin auf sich zu lenken. Seine Gefährtin traf ein völlig anderer als Inu Yasha zuvor, ehe ihr befremdliches Tiefblau seine Begleiterin in seinen Fokus nahm.

Ihr Lächeln erfüllte Kagomes Herz mit einer seltsam wohligen Wärme. Es schien einzig ihr allein zu gelten und sorgte in ihr für ein Gefühl der Geborgenheit, fast wie Zuhause.
 

„Es geht mir gut, habt Dank für eure Fürsorge und Hilfe, Kagome. Es lag fern meiner Absicht, euch zu sorgen, verzeiht“, verklang wie ein sanfter Regenschauer im Spätsommer, angenehm und beruhigend.
 

Es galt wohl auch Inu Yasha, da ihr fremdartiges Augenpaar daraufhin auf ihm lag.

Das Missfallen, das die Züge seines Bruders darüber befiel, entging ihm dabei völlig, als in ihm eine seltsame Empfindung keimte. Ihm war, als kramte er in seiner Erinnerung nach etwas, das seinen Klauen permanent wieder entglitt. Eine rätselhafte Vertrautheit regte sich in ihm, die er sich nicht erklären konnte.
 

Also verließ es ihn automatisch, schneller als er darüber noch einmal hatte nachdenken können: „Wieso kenne ich Euch?“
 

„Unwissend bist du zur Welt gekommen, unwissend bist du geblieben, Hanyō“, überrollte alle in seiner schneidenden Kälte.
 

Es beorderte Ishizus Meeresblau noch einmal schräg hinauf zu ihrem Hundedämon. Wieder spannte das Missfallen seine so ansehnlichen Züge. Wollte er das jetzt den ganzen Weg über so beibehalten? Dabei hatten die beiden sich doch angenähert, hatten es sogar vermocht, Sou'unga zu versiegeln. Nicht zuletzt, dank seiner Überwindung. War es wirklich so schwer zu akzeptieren für ihn? Und warum hatte sie das nicht gesehen?
 

„Das soll wohl wiedermal heißen, dass ich etwas wissen sollte, was mir unmöglich ist zu wissen, nicht?“, kam prompt die patzige Antwort zurück, sodass diesmal Kagome es für besser hielt, sich ihres Hanyōs anzunehmen.
 

Auch Ishizus kleine Frauenhand fand im Schutz ihres eigenen Rückens an den Ärmel ihres Gefährten, der ihr einen seiner legendären Seitenblicke zugedachte. Offensichtlich war das Thema für ihn noch lange nicht beendet. Ob er sie zuvor recht verstanden hatte? Der Göttin schwante Übles. Dennoch, da musste sie jetzt durch.
 

„Es zeugt davon, wie stark dein väterliches Erbe in dir ist, dass du dich erinnert fühlst. Als wir uns begegneten, warst du kaum wenige Tage alt“, konnte sich Ishizu dann doch nicht die Ehrerbietung an den Vater der beiden verkneifen.
 

Denn natürlich fußte auch diese Stärke auf der des mächtigen Vaters.

Die Empörung zuckte für den aufmerksamen Beobachter für einen so kurzen Moment über die angespannten Züge des Älteren, dass selbst Ishizu nicht mit Sicherheit wagte zu urteilen, ob sie es sich nicht nur eingebildet hatte. Sie riskierte ein zaghaftes Lächeln, das wohl einer Entschuldigung oder Besänftigung gleichkommen sollte, in dem erfahrenen Gefährten jedoch nur eine unliebsame Ahnung weckte.

Damit wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder Kagome und Inu Yasha zu. Die Miko war längst an seine Seite getreten und bemühte sich ihrerseits darum, ihren Halbdämon in Zaum zu halten. Es war kein leichter Moment – für keinen der Hundebrüder.

Kagome war überrascht, war die Göttin etwa hier, um die beiden weiter zu entzweien?
 

„Es war einer der letzten Wünsche deines Vaters, dich beschützt zu wissen, Inu Yasha“, erklärte Angesprochenem unumwunden die miese Stimmung des Älteren, während Kagome in sich ging.
 

Kaede hatte da einmal etwas erwähnt, Götter konnten Lieblinge erwählen; sie schützten sie dann. Ob Inu Yasha gar…?
 

„Also ist Inu Yasha einer Eurer Lieblinge?“, lenkte beide goldenen Augenpaare in selten gekannter Einigkeit auf die Mikoschülerin.
 

Das Eine nur zu deutlich aus weit mehr als bloßer Empörung verengt; Derartiges verbat er sich auch nur anzudenken.

Das Andere von Verblüffung gezeichnet. Sein entsetztes „Was?“, stand ihrem Hanyō förmlich ins Gesicht geschrieben.

Die Göttin dagegen reagierte mit einem Lächeln; es war schwer zu sagen für sie, ob es von Nachsicht oder Belustigung zeugte. Es veranlasste Kagome jedenfalls dazu, verlegen den Blick zu senken und puterrot anzulaufen. Da hatte sie wohl was missverstanden.
 

„Es handelt sich lediglich um ein Schutzversprechen“, erfolgte mit Bedacht.

Wenn überhaupt, dann warf ihr ihresgleichen dies in Bezug auf ihren Gefährten vor, jedoch ganz gewiss nicht auf seinen Bruder. Nichtsdestotrotz war Vorsicht geboten, hierbei durfte sie ihre Schützlinge nicht allzu stark involvieren. Es zählte nicht zu ihren Aufgaben, ihre Missinterpretationen zu korrigieren.

Doch als sie auf die ärgerlichen Züge ihres Schützlings traf, wusste sie, dass er einer Erklärung bedurfte.
 

„Das schmälert deine Leistung ganz gewiss nicht, Inu Yasha. Es bedeutet nur, dass ich an deinem Leben Anteil nahm, dir zuweilen eine Wahl unterbreitete, jedoch verblieb die Entscheidung stets bei dir.“
 

Mit anderen Worten also, warum der Hanyō gar so viel Glück gehabt hatte und die ersten Lebensjahre allein als Halbwesen überlebt hatte; ein Schicksal, das nur wenigen zuteilwurde. Doch selbst für diese Erkenntnis schien Inu Yasha ungewöhnlich lange zu brauchen. Zumindest dauerte es viel zu lange, bis sich seine Miene wieder entspannte, ging es nach Sesshōmaru. Ganz zu schweigen davon, dass er die Dankbarkeit nach wie vor vermissen ließ. Den Blick, welcher sich erneut warnend zu ihm hinauf verirrte, ignorierte er geflissentlich.

Natürlich übersah der große Bruder mal wieder, wie stark das väterliche Erbe in Inu Yashas Stärke verankert war.
 

„Ähm“, lenkte sein Räuspern nicht nur ihr Augenmerk zurück auf Inu Yasha.

„Dann bin ich Euch wohl zu Dank verpflichtet“, bezeugte die gute Kinderstube und ließ dennoch in dem Älteren den Drang gefährlich stark aufkommen, die Augen in einem tonlosen Seufzen zu schließen.

Was eine selten lange Leitung.
 

„Wohl kaum“, wiegelte Ishizu sehr zum Missfallen ihres Gefährten ab.

Sie hatte schließlich ein Versprechen gegeben.
 

„Allerdings hoffe ich nun auf deine Unterstützung“, fügte sie in ihrer melodischen Stimme hinterher.

Selbst auf ihn wirkte ihr Klang beruhigend wie das Plätschern von Wasser über Stein.
 

Sesshōmarus warnender Blick pikste Ishizu längst unangenehm im Nacken. Jetzt ignorierte sie es – und vermied es ihm auch nur irgendwie zu begegnen. Nicht, dass sie etwas Anderes erwartet hatte. Er bat nicht um Hilfe. Sie dagegen sehr wohl. Ob es ihm passte oder nicht.
 

„Ähm, inwiefern“, setzte da Kagome vorsichtig an und gewährte so Inu Yasha den Moment, um blinzelnd sein Augenmerk von der unnatürlichen Anmut der Göttin zu nehmen.
 

Ein Glück hatte sein Bruder gerade andere Sorgen. Ihm entglitt ein teuflisches Grinsen, gut verborgen hinter seinem weißen Haar. Das konnte dem so ganz und gar nicht schmecken. Umso freudiger erhob er sein Gelbgold zurück in dieses befremdliche Tiefblau.
 

„Das Shikon no Tama bedroht das empfindliche Gleichgewicht. Ayumi, meine… unsere Tochter, ist bei eurem Halbdämon, um Informationen zu sammeln. Er benutzt sie, um sich zu verstecken. Um das zu beenden, muss ich dich um deine und Tessaigas Hilfe bitten.“
 

„Also lebt Eure Tochter?“, zeigte sich Kagome verwundert, während Inu Yasha sich bestätigt sah.

Seine Nase hatte sich nicht getäuscht.
 

„Naraku“, ergänzte Inu Yasha in diesem gefährlichen Unterton, der zwischen teuflischer Freude und Erbostheit schwankte – und Kagome ein jedes Mal eiskalt den Rücken hinablief.

Auch jetzt beorderte es ihr Rehbraun zu ihrer Seite auf das leise Lächeln ihres Halbdämons, das seine spitzen Eckzähne dem Mondlicht preisgab.

Ishizus Nicken löste in Inu Yasha ein befremdliches Empfinden aus.

Es hatte sich bereits seltsam angefühlt, zu erfahren, dass er einen Halbbruder besaß. Dennoch war das Gefühl, das ihn nun erfasste, damit nicht vergleichbar. Jetzt hatte er eine Nichte.

Noch wagte der Halbdämon zwar nicht, es einzuordnen; dennoch erkannte er das unbändige Verlangen wieder, welches fast augenblicklich von ihm Besitz ergriff. Er wollte helfen – egal, was Sesshōmaru dazu zu sagen hatte.

Also verlangte er nur zu wissen: „Wie finden wir sie?“
 

Ishizus Augenmerk wanderte daraufhin endlich zurück zu Sesshōmaru in ihrem Rücken.

Dessen Raubtiergold begegnete ihr eisig, wenn auch nicht minder aufmerksam. Offensichtlich hatte seine Göttin die Wahrscheinlichkeiten gesehen – und glaubte nur so an einen Erfolg. Oder warum sonst sollte sie ihm ausgerechnet das abverlangen?
 

Äußerlich blieb er die Ruhe selbst, als sie erläuterte: „Es gibt einen alten Diener meines Volkes, der meiner Tante noch einen Gefallen schuldet. Er kann sie finden. Wir finden ihn auf dem Tai Shan.“
 

Sie konnte ihn wieder einmal nur für seine geschulte Disziplin bewundern, mochte es sie auch längst unter dem Einfluss seiner Dämonenenergie frösteln, als sein Yōki die Umgebungstemperatur, wie gewohnt, hinabzwang. Selbst Kagome wagte nicht mehr weiter nachzufragen.

Es war selbst für sie unverkennbar, dass Sesshōmaru das so ganz und gar nicht passte. Und, dass es da wohl noch Klärungsbedarf gab. Nichts, wobei sie anwesend sein mussten, befand die angehende Miko.
 

„Nun, dann sollten wir wohl aufbrechen. Ich wollte noch rasch zum Teich zurück. Inu Yasha! Wir treffen uns dann bei der Höhle“, druckste Kagome etwas unbeholfen herum, sodass sie sogar ausgerechnet das goldene Augenpaar misstrauisch auf sich lenkte, dem sie eigentlich entgehen hatte wollen.

Natürlich war davon auszugehen, dass er ihre Freunde ohne Probleme fand.

Inu Yasha zeigte sich nicht minder irritiert, als es ihm so gar nicht hilfreich entfuhr: „Hä, was? Was willst du denn noch dort?“
 

„Das erzähle ich dir, wenn wir dort sind“, zischte sie ihrem Halbdämon noch über die Schulter zu, der sich mal wieder gar so schwer von Begriff zeigte.

Sie trat derweil hinter ihn und machte Anstalten, sich auf seinen Rücken schwingen zu wollen, sodass er sich mehr oder minder dazu genötigt sah, sich zu bücken.
 

„Wir sehen uns dann bei Miroku-sama und den anderen“, verabschiedete sie sich noch, während ihr Hanyō mürrisch zum Sprung ansetzte.
 

Für den Augenblick genoss sie das Schweigen, während sie dem ungleichen Paar hinterhersah. Nie hatte sie einen Dämon springen sehen. Dann überwog das Stechen in ihrem Nacken.
 

„Es mag dir nicht gefallen, dennoch ist es der sicherste Weg, um sie zurückzubekommen“, warb um sein Verständnis, noch ehe sie sich zu ihm umwandte.
 

Er strafte es mit verletzendem Schweigen, sodass ihn ihr Meeresblau lebendig flackernd ereilte.

Natürlich erkannte er die inständige Bitte darin. Er hielt dem einen weiteren Moment eisern stand, ehe er sein Augenmerk kommentarlos gen Nachthimmel hob. Auch, dass sie leise den Atem ausstieß, nur zu offenkundig also vor ihm resignierte, ignorierte er.

Ohne ein weiteres Wort fand sein Arm um ihre Hüfte, sein Fell begann bereits sich charakteristisch in die Länge zu ziehen, als sie endlich begriff. Sie schlang ihre zierlichen Arme so ruckartig um ihn, dass ihm ein verräterischer Zug über die Lippen huschte, den sie gerade noch so im Augenwinkel aufschnappte. Augenblicklich gab sie dem inneren Drang nach und boxte mit ihrer winzigen Faust gegen das erstbeste Stück ungepanzerten Stoffs, das sie vorfand: seinen Arm. So wenig es auch auszurichten vermochte, so lenkte es zumindest sein Augenmerk auf sie, wenn auch ohne den Kopf zu neigen.
 

„Du fliegst absichtlich“, warf sie ihm vor.

Schließlich stand ihm längst weit mehr zur Verfügung, um sich rasch fortzubewegen. Und er wusste um ihre Abneigung.
 

„Kennt Ayumi die Furcht?“
 

„Ich fürchte mich nicht, ich bevorzuge nur andere Wege…“, bemühte sich die Mutter vergeblich um ihren Ruf.

Sein Augenmerk verblieb ungerührt auf ihr – eine verlockend-anziehende Art der Enttarnung.

Seufzend gab sie daher auf und räumte mehr gegen seine Brust ein: „Sie hat es nicht so mit Spinnenwesen.“
 

Den Blick gesenkt schloss sie die Augen, um den Flug auszublenden – und sich auf seine Nähe zu konzentrieren, welche er ihr alsbald in seinem Zorn entsagen würde. So entging ihr der leise Anflug von längst verloren Geglaubtem, als die Augenbrauen des Dämons ein leises Zucken darüber erfasste.

Sie öffnete ihre Augen erst wieder blinzelnd, als sich der Sinkflug durch die Aufregung in ihrem Inneren brach. Instinktiv krallten sich ihre schlanken Finger in den seidigen Stoff seines Kimonos, während sie seine Nähe auskostete, welche er ihr gerade noch notgedrungen gestattete.

Natürlich hatte sie erwartet, ihn zu erzürnen. Dennoch war der gemeinsame Moment viel zu kurz gewesen, als dass die Sehnsucht nach seinen Lippen nicht immer noch lichterloh auf den Ihren brannte. Also verharrte sie noch für einen verräterisch langen weiteren Augenblick eng an ihn geschmiegt. Längst spürte sie sein Raubtiergold auf sich gerichtet – und doch genehmigte sie sich den nächsten Atemzug, ehe sie ihr bewegtes Meeresblau in sein dämonisches Gold erhob. Wie die Welle sich am Felsen brach, schlug ihm ihre Sehnsucht erbarmungslos entgegen.

Erst als der Ast unter dem ungewohnten Gewicht geräuschvoll vor ihnen durch die atemlose Stille brach, realisierte er, dass sie ihn mit hinfort gerissen hatte.
 

Miroku hatte am Höhleneingang gewartet, während Sango mit Kohaku zurück zu Shippō mit Myōga und den Begleitern des Hundedämons an das Feuer gefunden hatten.

Stets ein wachsames Auge hinaus gerichtet war ihm der leise Windzug, welcher seine dämonische Aura begleitet hatte, sofort aufgefallen. Er war ohne ein weiteres Wort ins Freie getreten, seinen Mönchsstab sicherheitshalber fest umfasst, war er dennoch nicht darauf gefasst gewesen, was ihn dann erwartet hatte.

Er hatte Sesshōmaru oft genug erlebt, kannte dessen dämonenhaft-distanziertes Auftreten und wusste nicht zuletzt dank der wenigen Erläuterungen des Flohgeistes, warum dem die menschliche Netiquette derart zuwider war. Es ziemte sich einfach nicht für einen Dämon, der er ja unbestreitbar war. Umso mehr entgleisten ihm seine eigenen Züge nun, da er die beiden schlanken Gestalten von der abebbenden Zirkulation seiner Magie umgeben auf dem Erdboden aufsetzen sah.

Nicht nur, dass ihre Patientin wohlauf schien. Ihre zarte Gestalt war eng an den Hünen von Dämon geschmiegt, dessen Fell und Arm fest um sie geschlungen waren. Ihre Blicke waren so tief ineinander verankert, dass Miroku nicht sicher war, ob der Hundedämon ihn überhaupt wahrnahm. Alles, was Myōga erzählt hatte, war wahr.

Er war zu geplättet, um die Gefahr zu erkennen, als er mit vor Verblüffung entrückten Zügen die des Hundedämons abwanderte.

Keine Abscheu, nicht einmal den leisesten Anflug von Anspannung, einfach nichts, was er bis dato von dem gekannt hatte, fand er darin noch vor. Ganz im Gegenteil glaubte der Frauenliebhaber eine selten gekannte Hingabe darin wiederzuerkennen, die er dem Älteren der beiden Hundebrüder gerade einmal für sein Streben nach Macht zugetraut hatte, jedoch niemals auf dessen Zügen erwartet hatte.

Als Sango eilends an seine Seite fand, zerplatze der intime Moment wie eine neuzeitliche Seifenblase, als sich das goldene Spitzaugenpaar zielsicher auf die Verursacherin senkte. War doch das Holz zu gut vergraben gewesen selbst für die erfahrene Jägerin. Besser, sie störten das Paar so wenig wie nur irgendwie möglich.

Automatisch tat der Mönch den Schritt vor die Dämonenjägerin – und vermeinte ein leises Zucken über die schmalen Lippen des Dämons huschen zu sehen, so dezent, dass er nicht recht sicher war, ob er es sich nicht nur erdacht hatte. Die Miene verblieb ausdruckslos.
 

„Sesshōmaru-samaaa!“, erschreckte ihn auf vertraute Art und Weise und blieb dem Grünling doch im Halse stecken, als er die Göttin so nahe an seinen Meister geschmiegt vorfand, wie noch kein Wesen jemals zuvor.

Im Augenwinkel schnappte der Angesprochene das entzückte Schmunzeln auf, noch während Ishizu den Blick senkte. Je mehr sein Fell von ihr abließ, desto mehr wich sie auf eine annähernd ziemliche Distanz.

Mit Jaken hatte er einen seltsamen Weggefährten gewählt, den sie zuerst nicht recht verstanden hatte. Doch jetzt diente er ihr zum Beweis, dass ihr Gefährte sich schlussendlich der Nützlichkeit ergeben hatte, sich der Sprache bedienen zu können.

Der Froschdämon war sein Sprachorgan, mochte er auch zuweilen etwas übertreiben, so erlaubte er dem hochgeborenen Dämonensohn doch, sein elitäres Schweigen aufrecht zu erhalten und nur den mit seiner Erwiderung zu entlohnen, der es seiner Meinung nach auch verdiente. Ganz zu schweigen von dem Fußabtreter, den er sich in dem winzigen Grünling zur Seite gestellt hatte. Und so trafen Ishizus vor Amüsement leuchtende Züge wenig später die tennisballgroß erweiterten Glubschaugen des Froschwesens.

Jaken schluckte, als ihn das Raubtiergold seines Meisters für den Augenblick abschätzend aus den Augenwinkeln maß. Er wusste Bescheid. Also hatte der alte Flohgeist den Mund nicht halten können.
 

Seine Lichtpeitschte schwoll noch in dem Moment zum altvertrauten Surren neben Ishizu an, in dem Myōga unter einem nicht minder freudigen „Ishizu-sama“, ganz wie Jaken noch wenige Augenblicke zuvor, auf seine Gefährtin zuhielt.

Die Göttin kam gerade noch dazu, zu blinzeln, ehe der Flohgeist sich mit einem Hechtsprung aus der Gefahrenzone errettete und statt auf Ishizu schnaufend auf Mirokus Schulter landete.
 

„Hey, das war aber nicht nett“, von Shippō rang dem Hundedämon lediglich einen seiner legendären Schulterblicke ab, während das Meeresblau seiner Gefährtin ihn mahnend erreichte.

Seine Lichtpeitsche hatte die Flugbahn des Flohgeists früh genug gekreuzt, um ihm ausreichend Zeit zum Rückzug zu gewähren. Also begegnete er ihr in grausam ausdruckloser Nüchternheit. Sein Blut sollte der sich bei seinem halbdämonischen Meister holen.
 

„Es ist schön, Euch wieder wohlauf zu sehen, Ishizu-sama“, räusperte sich da Myōga, was der betörenden Schönheit ihr dankbares Lächeln entlockte.
 

„Sesshōmaru-sama?“, lenkte dann letztlich aller Aufmerksamkeit auf die Jüngste im Bunde.
 

Rin schien tatsächlich etwas irritiert zu sein, die Göttin an seiner Seite zu sehen. Unmöglich, dass ihr seine Vertrautheit mit ihr entging. Sie hatte eine so außergewöhnliche Beziehung zu ihrem verschlossenen Gefährten knüpfen können, dass es selbst Ishizu zu überraschen vermocht hatte. Nie hatte sie erwartet, dass sie so weit über Tenseiga hinauswachsen würde – und doch hatte es sie mehr und mehr begeistert, ihr dabei zu sehen zu dürfen, wie sie auf ihre ganz eigene, vorsichtige Art, diese zarten Bande zwischen ihnen gesponnen hatte.

Sie spürte seine aufmerksame Musterung, wusste, dass er einen jeden ihrer Schritte verfolgte- und doch fühlte sich seine Aufmerksamkeit vertraut an, als sie Rins unsicher flackerndem Blick mit ihrem gütigen Lächeln begegnete.

Ah-Uhn im Rücken hielt das Menschenmädchen einzig seine Zügel in ihrer linken Hand, während sie die Rechte nachdenklich an ihre Wange erhoben hatte. Sie schien noch zu überlegen, als der alte Weggefährte längst die Höhle in seinem Rücken beinahe zum Einsturz brachte, weil er den Drachenschwanz freudig von einer Wandseite zur anderen schwang.
 

„Ah-Uhn!“, schimpfte Rin, während ihr bereits Kohaku hilfreich zur Hand ging.

Es raubte der Göttin einen Laut der reinen Verzückung. Rasch hatte sie da zu dem alten Weggefährten aufgeschlossen und ihre zierliche Frauenhand auf die erste Stirn gelegt, welche ihr begegnet war, während sich der zweite Kopf sogleich an ihren Rücken schmiegte.
 

Einzig Jaken sah seinen Meister nun doch endlich die Augen in einem kurzen tonlosen Seufzen schließen ob der „Schoßhund“allüren seines Reitdrachens.

Rin ließ gemeinsam mit Kohaku die Zügel los, während die Freunde verwirrt die zierliche Frauengestalt zwischen den Drachenköpfen beäugten.
 

„Ah-Uhn mag Euch“, konstatierte Rin freudestrahlend, sodass Ishizus Meeresblau zuerst das ausdruckslose Raubtiergold ihres Gefährten suchte, ehe es sich leuchtend vor Begeisterung auf das Menschenmädchen senkte.
 

Mit einem sanften und dennoch bestimmten „genug“ an den Drachen, trat die Göttin dann schließlich vor die Jüngste in der Runde.

Sesshōmaru griff nicht ein, als seine Gefährtin vor Rin auf Augenhöhe sank, um ihr wie unter ihren Schützlingen üblich zu begegnen: „Wir sind alte Freunde. Mein Name ist Ishizu, Rin-chan, und es ist mir eine große Freude, dich endlich kennenzulernen.“
 

„Hai, das hat Myōga-o-ji-sama schon erzählt. Es ist mir auch eine große Freude, Ishizu-sama“, entgegnete das Menschenmädchen in engelsgleicher Wahrhaftigkeit.
 

Während sich nicht nur auf Ishizus Zügen die Entzückung abzeichnete ob der entwaffnenden Unschuld des Kindes, traf Myōga der zu erwartend vernichtende Blick aus Raubtiergold. Unverkennbar, was ihm blühte – und erst als Ishizu sich mit Blick zu Sesshōmaru in die Senkrechte erhob, ließ dessen Fokus von dem Kleinsten unter ihnen ab, sodass Myōga erleichtert ausatmete.
 

„Ishizu-sama, wenn Ihr erlaubt, so sind wir natürlich erfreut, Euch wohlauf zu sehen, fragen uns jedoch, was Euch nach all der Zeit hierher zurückführte“, wagte sich letztlich Miroku vor.

Sango behielt dabei den Gefährten im Auge. Sesshōmaru schien nicht einzugreifen, sondern richtete sein Augenmerk sogleich hinter die ungleiche Truppe, und als der Windzug auch an Sangos Zopf riss, hatte auch sie den Grund dafür längst erkannt.
 

„Weil wir meine Nichte vor Naraku retten müssen – und dazu müssen wir zuvor einen alten Tattergreis auf dem Tai Shan nach dem Weg fragen“, beantwortete Inu Yasha die Frage lapidar, noch während er Kagome gewohnt sachte auf die Beine hinabgleiten ließ.
 

Sesshōmarus verengtem Blick begegnete Inu Yasha dabei mit einem provozierend gehässigen Grinsen, das sich erst aus Sesshōmarus Wahrnehmung schlich, sobald seine Gefährtin an seine Seite zurückkehrte. Ihr Meeresblau dabei eine einzige mahnende Bitte um Nachsicht.
 

„Ja, wenn sich alle einig sind“, frohlockte Miroku mit Blick von einem zum anderen Hundebruder, ehe er sich verlegen am Hinterkopf zu kratzen begann, „dann lässt sich sogar der Tai Shan auf dem Festland bezwingen.“

…lässt sich sogar der Tai Shan bewegen

I

m edlen Zorn ist keine Rachsucht, sondern nur reiner Schmerz aus Kraft und Liebe. (Franz Horn)


 


 

Ihre Energien stabilisierten sich nach und nach, je weiter sich ihre Lippen von den seinen lösten. Es erschien ihr bereits rascher abzuflauen als noch am Morgen, während ihr Meeresblau sein verhalten flackerndes Gold erfasste. Noch genoss sie die Geborgenheit seiner schützenden Umarmung. Die trügerische Sicherheit, die sie ihr vorgaukelte. Geschmeidig glitten ihre zierlichen Finger von seinem Nacken an seine Schultern, während er sich zu voller Größe aufrichtete – ein helles Geräusch dabei nach sich ziehend, sobald sie über den seidigen Stoff fuhren. Sie konnte spüren, wie machtvoll der Widerhall ihrer zarten Berührung durch seinen Körper bebte. Nie wollte sie vergessen, wie sich seine Zuneigung, der Schutz, welchen sie mit sich brachte, anfühlten.

Als der Windzug sie sachte im Rücken erfasste, hatte sie seine Ankunft lange schon bemerkt, noch ehe sich ihr das vertraute Yōki erschlossen hatte. Seine Anspannung übertrug sich augenblicklich auch auf sie – und so tat sie mit Bedacht einen leisen Atemzug, der sein vor Zorn stechendes Raubtiergold für den Moment auf sie ablenkte. Sie begegnete ihm mit dem liebevollen Lächeln, das er längst bei sich beschlossen hatte, tief in sich einzuschließen. Es vermochte die Anspannung in seinem Blick zu lösen, als ihre Hand beinahe entschuldigend an seine Wange glitt. Für den Moment war die Präsenz, welche geräuschlos vor ihnen aufsetzte, selbst für ihn Nebensache, ehe sich Ishizu umwandte seine Umarmung dabei beinahe abstreifend.

Sein dunkles Gold lag lauernd auf ihnen, das Raubtier vor ihr entfaltend, das auch er unverkennbar war. Sie war froh darum, das rote Erbe seines Schöpfers diesmal nicht darin verborgen aufglimmen zu sehen. Sein Blick war fest hinter sie gepinnt und bewegte sie dazu, sich nach Sesshōmaru umzusehen, nur um festzustellen, dass er ihm mit genau derselben stoischen Verdrossenheit standhielt – wieder.

Damit trat sie vor, wagte eine angedeutete Ehrerbietung gegen den Daiyōkai und beendete so das ungleiche Kräftemessen zwischen Vater und Sohn.
 

„Einen Moment Eurer Zeit, allein“, galt ihr.

Natürlich suchte ihr Meeresblau sein Raubtiergold. Ebenso natürlich: Er war alles andere als erfreut. Dennoch überließ er es ihr, als sein Gold in nur ihr vertrauter Zärtlichkeit ihre Züge abwanderte. Er entsprach nicht dem Ersuchen des verehrten Vaters; er fragte sie.

Sie nickte, kaum merklich, aber dennoch fest in ihrem Entschluss. Es blieb vom Vater nicht unbemerkt, die Fürsorge, die er so niemals erwartet hatte - und die ihn nach wie vor mehr als nur verblüffte.

Nicht der Sohn, sondern der Gefährte erhob da seinen Blick in seinen – ein Versprechen damit wahrend, das älter war als ihre Welt.
 

„Es wird nicht lange dauern, Sesshōmaru“, verklang ohne Reaktion, ehe der sich kommentarlos in die Lüfte erhob.
 

Für den Moment riss einzig der Wind an den Verbliebenen. Es trieb ihr seinen silbernen Zopf entgegen. Sie kam an seine Seite, wenn auch mit deutlicher Distanz, als seine Aufforderung sie vertraut ereilte, ehe sein Augenmerk von ihr abließ und sich der Balustrade ihrer Veranda zuwandte. Seine Aufmerksamkeit schien auf die schneebedeckte Weite unter ihnen gerichtet, als Ishizu ihre Hände auf das kühle Holz legte.

Das Brennen in ihren Venen war kaum noch vernehmbar und hatte deutlich abgenommen im Vergleich zum Morgen – bei ihnen beiden. Ihre Energien schienen sich miteinander anzufreunden. Nichtsdestotrotz blieb es surreal: Zu fühlen, was er fühlte, zu hören, was er dachte und umgekehrt. Noch schien es oft unmöglich, einen Verursacher ihrer Empfindungen auszumachen. Somit genoss sie den Moment der Distanz, mochte sie auch die Nervosität, ob der wenigen gemeinsamen Zeit, welche ihnen noch blieb im Hintergrund spüren. Wie der Sand ihres untergangenen Reichs vermeinte sie sie zwischen ihren schlanken Fingern zerrinnen zu fühlen - mit jedem ihrer sonnengelben Arme, welche sich nach und nach dem Abendrot ergaben. Der Tag hatte den Standpauken gedient, wenig verwunderlich und keine Überraschung; dennoch nicht minder ärgerlich, hatte ihn der Vater doch gefühlt gerade erst entlassen. Sodass sie beide die Unruhe lange schon erfasst hatte. Unwillkürlich glitt ihr Meeresblau hinauf zur mütterlichen Scheibe, welche sich erbarmungslos gen Horizont neigte. Sie hatten nur mehr diese Nacht.
 

„Nichts ist so sichtbar als das, was man zu verbergen sucht“, brach die Stille, welche wie ein Damoklesschwert drohend über ihnen geschwungen hatte.

Es klang ganz nach einem Vorwurf an sich selbst und vermochte den Blick der nach wie vor überraschenden Schwiegertochter betroffen zu senken.

Letztlich hätte er es erkennen können. Schon beim Turnier. Das war kein aufgezwungener Gehorsam gewesen, kein Schutz der Ehre und des Ansehens mehr. Er hatte seine erwählte Gefährtin ganz klar vor dem Wolf verteidigt. Wie blind war er doch gewesen, den verliebten Sohn zu verkennen in seinem Idealbild über dessen Gehorsam und dem Irrglauben, alles möge seiner Kontrolle unterstehen. Es hatte bereits zuvor Anzeichen gegeben; die Zwistigkeiten, die nach und nach an Aggressivität verloren hatten, die zum Spiel geworden waren -vor seinen Augen-, die überraschend auftretende Einsicht und erwachsende Nachsicht im unnachgiebig ehrgeizigen Erben, bis hin zum Verständnis, das den Vater so sehr überrascht hatte; alles fügte sich nun nahtlos zu einem in sich passenden und schlüssigen Bild zusammen. Er konnte nur staunen.
 

„Ich hoffe, Ihr versteht den Grund, warum ich Euch allein zu sprechen wünsche“, senkte das vertraute Gelbgold ungerührt auf ihr flackerndes Meeresblau.

Da sie es diesmal nicht gewagt hatte, auf die gewohnte Nähe heranzukommen, musste er den Kopf leicht zur Seite neigen, um sein Raubtiergold über seine Schulter auf ihre vor Unsicherheit und Scham bewegten Züge werfen zu können. Er musste es einfach wissen. Und an ihrem leisen Lächeln erkannte er, dass sie es wusste – und verstand.

Er war sein Sohn. Natürlich verlangte es ihn da nach einer Form von Sicherheit, hatte er doch nichts weniger als den Gott der Götter, ihren Vater, zu fürchten. Er wollte wissen, ob sie ihn liebte, so sehr, dass es gar den väterlichen Zorn gegen sein Kind im Zaum zu halten vermochte.

Nur, wie fasste sie etwas in Worte, für dessen Beschreibung nicht ausreichend viele vorhanden waren?
 

„Wenn Ihr erlaubt, so kann ich es Euch zeigen“, bot sie daher an.

Es weitete sein Raubtiergold kaum merklich in Verblüffung.

Sie war sich sicher, dass er sich der Ähnlichkeit mit dem Sohn in diesem Moment nicht einmal bewusst war. Unweigerlich entglitt ihr ein zartes Schmunzeln. Es huschte so schnell über ihre rosa glänzenden Lippen, dass er glaubte, es sich eingebildet zu haben. Dennoch ließ er sie vor sich kommen, beäugte einzig ihre zierlichen Hände, welche sich nach seinen Wangen streckten - und griff doch nicht ein, als die unendliche Weichheit ihrer hauchzarten Berührung wie ein Schauder über ihn hereinbrach. Instinktiv schloss er die Augen, folgte ihrem sanften Zug und ließ seine Stirn gegen ihre kippen, während ihre Finger sich einen Weg – hauchzart, wie ein Sommerregen, hinauf an seine Schläfen tupften.

Ihm entwich sein Atem stockend, als diese befremdliche Wärme sich seiner bemächtigte. Ganz so, als schlichen sich die fremden Empfindungen hinterrücks an ihn heran, überflutete ihn die so andersartige Welle an Gefühlen. Er erkannte die Geborgenheit, die Sicherheit darin neben der Unsicherheit und Aufregung, die sie empfand. Die Furcht vor der Heftigkeit hatte er erwartet; jedoch niemals das berauschende Glücksgefühl, auf dem sie fußte. Das Wechselbad an Hochs und Tiefs, dem sie ausgesetzt war, eine nie gekannte Fallhöhe damit dem Dämon offenbarend, die ihm in all den Jahrtausenden seiner Existenz doch verborgen geblieben war. Und er erkannte, dass ihm diese Tiefe an Verbundenheit und die damit einhergehende Sicherheit noch völlig unbekannt waren.

Der Übergang von der Finsternis seines Augenhintergrunds hin zum bunten Farbenmeer seiner Welt erfolgte so fließend, dass es ihm erst bewusst auffiel, als die Brandung des Meeres in sein Sinnesnetz schwappte.

Er wusste Sesshōmaru in seinem Rücken, fühlte die fatale Verletzung – und irgendwoher kannte er den Drachendämon als Ursprung. Dann flogen die Bilder nahezu an seinem geistigen Auge vorbei, wie der schneebedeckte Wald an seiner wahren Form. Am Rande verklang der vertraute Zug Myōgas an seinem Fell piksend durch sein Sinnesnetz, als er der mächtigen Attacke beiwohnte, welche ihm den Weg freibrach in eine Menschenfestung. Er spürte den vertrauten Zug seiner Armmuskulatur, welche sein Schwert schwang, erfasste den altbekannten Widerstand des menschlichen Fleischs, als er den Arm vom Körper trennte. Längst hatte ihn diese unbändige Unruhe erfasst, welche ihm unmöglich war abzuschütteln. Er war von bodenloser Furcht ergriffen, erkannte er da. Ihre regungslose Erscheinung zerbrach etwas in ihm. Er konnte es spüren, tief in sich, mochte er sie auch noch nicht kennen. Aber er erkannte diese Verbundenheit wieder, deren Durchtrennung er mehr fürchtete, als alles, was er je gefürchtet hatte. Fassungslos war er zurückgeworfen auf seine Position als bloßer Zuschauer, als ein Schwerthieb ihre Brust zu einem tiefen Atemzug hob. Er hing noch dem Blick nach, welchen er auf das Bündel in ihren Armen erhascht hatte. Waren das Hundeohren gewesen? Da senkte sich die wohlvertraute Präsenz Sō‘ungas auf ihn hernieder.
 

Als sie ihre Hände in einem Ruck zittrig von seinen erkalteten Schläfen löste, wusste er, dass er seinem Tod beigewohnt hatte. Erstarrt lag sein dunkles Raubtiergold auf ihrem nicht minder schockiert flackernden Meeresblau. Das hatte sie nicht gewollt. Ob ihre seltsame Bindung an seinen Sohn ihr ihre Fähigkeiten entfremdet hatte, immerhin hatten sie ihre Energien vermischt?
 

„Glaubt Ihr, eure Verbindung gefährdet ihn?“, fand der Herrscher zurück zu seiner Fassung.
 

Sie genehmigte sich noch einen weiteren tiefen Atemzug, der die Lagen an Stoff über ihrer Brust merklich spannte. Natürlich fürchtete der Vater die Konsequenzen der Unmöglichkeit, die mit ihrer Verbindung dennoch wahr geworden war – und sie beide gefährden könnte.
 

„Nein, ich denke nicht“, schüttelte Ishizu den Kopf.

Es wurde besser, erträglicher – für sie beide.
 

„Es ist eine Variante“, musste er einfach wissen.

Diesmal nickte sie, ehe ihr Blick fest in seinen noch immer bewegten stach.
 

Es tat wohl seine beruhigende Wirkung auf ihn, als sie dem väterlichen Freund erklärte: „Es ist noch zu weit entfernt, um irgendeine Gewissheit zu beinhalten. Dennoch hängen die Ereignisse in einer Kausalität zusammen. Wie und ob sie ineinandergreifen werden, obliegt euren Entscheidungen.“
 

Letztlich hatte er es doch akzeptiert und die Liebe zu einer Menschenfrau gewagt – und sein Schicksal gewählt. Sie bewunderte ihren väterlichen Freund nach wie vor für seinen Mut, als sie ihren Blick vom Feuerrot des Fells, welches seither seinen Sohn begleitete hinüber zu der stattlichen Rückenansicht ihres Gefährten in einiger Entfernung gleiten ließ. Natürlich ging er voran, in seinen langen getragenen Schritten, welche ihn in nahezu majestätischer Art und Weise und doch geräuschloser als den Geübtesten seiner Dienerschaft über den Waldboden trugen – und, mit deutlichem Abstand zu Inu Yasha und seinen Freunden. Sie konnte es nicht verhindern, dass ihr darüber ein trauriger Zug über die zart rosa Lippen zuckte, welche sie hinter dem Stoff, der ihr Gesicht umschlang, verbarg.
 

Man hatte beschlossen, keine weitere Zeit zu verlieren und so war die zusammengewürfelte Gemeinschaft noch vor dem Morgengrauen aufgebrochen.

Ishizu saß auf Ah-Uhn, dessen watscheliger Trott die Welt in einer Berg- und Talfahrt an ihr und der kleinen Rin, welche vor ihr auf dem Sattel Platz genommen hatte, vorbeitrug.

Es war fast wie einst auf dem Weg gen östliche Grenzfestung. Nur, dass sie dieses Mal in Begleitung mehrerer ihrer Schützlinge waren – und es statt des übermächtigen Vaters, den doch beachtlich widerstandsfähigen Halbbruder gab. Inu Yasha ging mit verschränkten Armen neben seiner Miko, welche ihren gelben Rucksack geschultert hatte und den Kitsunenjungen im Arm hielt. Ishizu war sich sicher, dass sein Blick mürrisch auf der Rückenansicht des Älteren haftete, während Sesshōmaru sich nicht minder eisern darum bemühte, seine Anwesenheit zu ignorieren.

Ob er ihr noch lange zürnen wollte?

Die Distanz, welche er auch bewusst hielt, fraß sich in bitterer Kälte immer tiefer in ihr Herz, je weiter der Vormittag voranschritt. Mochte sie diesen Moment auch schon so lange herbeigesehnt haben, es war, als hätten die 4 Jahrhunderte eine Wand aus Glas zwischen ihnen errichtet. Dicker als so manches altertümliche Mauerwerk. Die Sehnsucht mochte für den ersten Moment die Türen geöffnet haben, doch allmählich schmerzte sie. Sie wusste nicht recht, wie diese zu überwinden war. Je länger sein Schweigen anhielt, er die Distanz zwischen ihnen aufrecht hielt, desto unüberwindbarer schien die Barriere zu werden. Kein Blick über die Schulter, nicht mal im Ansatz die Bemühung um irgendeine Verbindung zu ihr. Unverkennbar, er war damit überfordert. Natürlich, sie brachte sein Leben ordentlich durcheinander – in nur einer einzigen Nacht hatte sie alles, was er 4 Jahrhunderte gewohnt gewesen war, auf den Kopf gestellt – allein mit ihrem Erscheinen hier. Nichts, was er zu schätzen wusste. Er hasste Überraschungen, die er nicht erahnte oder deren Möglichkeit er nicht zumindest eingeplant hatte. Also Überraschungen im eigentlichen Sinne ganz allgemein. Zudem hatte er viel zu verdauen, und war doch noch bei Weitem über so vieles unwissend. Etwas, was er ebenso wenig zu schätzen wüsste.

Dennoch hatte sie sich ihr Wiedersehen doch irgendwie anders erhofft. Manches vermochte selbst sie nicht mit Sicherheit zu sehen, dafür genügte ihr Blick einfach noch nicht.
 

Sango und Miroku unterhielten sich mit Kohaku in ihrem näheren Umfeld, wobei Kohaku die Zügel Ah-Uhns in der Hand hielt. Und so brach auch jetzt wieder das Murmeln ihrer Unterhaltung durch ihre betrübten Gedanken.

Jaken trottete direkt vor dem Drachenwesen, wobei einzig der Kopfstab im Takt seiner Schritte hin und her wippend seine Position verriet.

Myōga hatte die Chance genutzt und sich mit einer raschen Entschuldigung an sie, er würde erwartet, verabschiedet. Sie nahm an, um dem Zorn ihres Gefährten zu entgehen. Wie stets blieb sie verwundert, ob des eigentümlichen Verhaltens des Geistwesens. Was hatte er sich denn gedacht, was seine Erzählungen für Konsequenzen nach sich zögen?
 

Ab und an erreichte sie das strahlende Kinderlächeln, welches sich zuerst noch verhalten zu ihr umgedreht hatte, um sich nach und nach immer mehr zu verbreitern. Sie begegnete ihr stets gütig lächelnd, sodass Rin sich immer strahlender umwandte, ehe das Menschenmädchen den Blick wieder nach vorne richtete. Es glich längst einem Spiel, obgleich es auch so schien, als wollte sie sich ihrer Anwesenheit immer wieder auf ein Neues versichern, wie jetzt gerade wieder.

Also kam ihr Meeresblau alsbald erneut auf dem braunen Schopf zum Ruhen. So sehr hatte sie gehofft, dass er sie annahm. Und doch hatte sie sich nach wie vor noch nicht daran gewöhnen können. Denn Rin war einzigartig. Eine unter wenigen ihrer Schützlinge, deren Wesen so nahtlos zu dem seinen passte, dass es eigentlich nur so hatte kommen können. Dennoch hielt die Überraschung die Freude noch verhalten zurück.

Er würde ihrer noch weitaus mehr zürnen, mochte sie ihr Zauber auch noch davor bewahren. Auch das war ein zu starker, respektloser Eingriff in sein Leben gewesen, welcher ihr natürlich nicht zustand, ging es nach ihm. Dennoch hatte sie diese einzigartige Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lassen können. Ob ihre Verbindung ihm ermöglichte, sie irgendwann verstehen zu können?
 

Sie glaubte nicht, dass eine Markierung auch nur im Ansatz Ähnliches je vermocht hätte.

Dennoch wäre sie auch dazu bereit gewesen, in der Hoffnung, ihrer Tochter die Existenz irgendwie zu ermöglichen.

Die Markierung stellte das Kind mit einer anderen als der Gefährtin unter den Schutz des dämonischen Vaters, hatte ihr väterlicher Freund ihr einst erklärt. Es wurde als eigen angenommen von der Gefährtin. Sie hatte es zuerst nicht recht verstanden, doch mittlerweile war sie ihm umso dankbarer, sie nie markiert zu haben. Denn wer wusste schon, ob dieses alte Ritual der Dämonen nicht sogar vermocht hätte, ihre so einzigartige gemeinsame Tochter ihres Schutzes zu berauben. Und, war sie ehrlich, so schmeichelte es ihr nach wie vor, dass er sie erwählt hatte, so, wie sie ihn. Das letzte Wesen, das ihre Welt an ihrer Seite wohl erwartet hatte. Sie senkte den Blick, als ihr darüber wieder ihr verzücktes Lächeln entkam. Wieder verbarg der Stoff es, welchen sie um ihr Antlitz geschlungen hatte. Wer wusste schon, wann sie den ersten ihrer Schützlinge begegnen würden.

Nichtsdestotrotz hatte er sie dennoch an sich gebunden – auf eine Art und Weise, wie nicht einmal ihre Art sie je gekannt hatte. Mochte es auch einem jeden Anspruch ihres Volkes, jedes Wesen zu respektieren, widersprechen.

Nicht umsonst richteten sich ihre Schützlinge in Form von Gebeten an ihresgleichen.

Es galt auch unter ihresgleichen als respektlos, die Gedanken Fremder zu lesen – ohne deren ausdrücklichen Wunsch. Mochten sie ihnen auch oft naturgegeben zugetragen werden wie der Wind das Blatt dem Boden nach und nach entriss – sie hatten sie zu ignorieren.

Ihre Verbindung jedoch ging weit darüber hinaus.

Wie intensiv sie auch nach einem Indiz für ihre seltsame Verbundenheit gesucht hatte, sie war erfolglos geblieben. Niemand kannte so eine Bindung wie die Ihre. Nicht einmal die Ältesten und längst Vergessenen, welche bereits ihren gemeinsamen Vorfahren gedient hatten.

Zudem trug sie sein Zeichen. Keine bloße Markierung, an welcher Körperstelle auch immer, das hatte er ihr nie genau erklärt.

Doch allein das hatte ein jeder für unmöglich gehalten. Ebenso wie ihre gemeinsame Tochter die Sichel trug. Ein Umstand, der ihr die Missgunst und Verachtung vom Tag ihrer Rückkehr eingebracht hatte. Das Flüstern und die Distanz waren nicht nur ihre steten Begleiter geworden. Nichts, was sie mit ihm teilen wollte - und doch würde er davon erfahren, wenn nicht durch ihren nachlassenden Zauber, dann dennoch früher oder später. Manches konnte auch nicht die Zeit mit sich hinfort tragen. Sie konnte einzig hoffen, dass beiden Zeit füreinander gewährt würde, sobald sie einander endlich gefunden hatten.

Und doch war die Sichel längst viel mehr als nur sein Zeichen für sie. So befremdlich und unschicklich es für eine der ihren auch sein mochte; es hatte sie stets mit Stolz erfüllt – auch in dem Moment, in dem sie ihre Bindung und die Trennung gleichermaßen geschmerzt hatten, weil er der Kazeyōkai zur Hilfe geeilt war. Denn natürlich hatte sie nie vergessen, wie er Zuneigung ausdrückte.

Und doch hatte es sie von Beginn an stets gestärkt, fast als wäre er bei ihr gewesen. Ganz so, wie es sie dieses Mal tatsächlich physisch stabilisiert hatte. Sie kannte keine Verbindung, die das vermochte. Was hatten sie da nur getan? Wäre sie sich nicht längst sicher gewesen, dass das ihrer Tochter den Halt gegeben hatte, um der unvereinbaren Gegensätzlichkeit in sich standzuhalten: Sie wäre es spätestens jetzt. Es band sie an seine Stärke ebenso wie an die ihre, von der sie auch heute noch zehrte.
 

Wieder fand ihr Meeresblau instinktiv an seinen Rücken, als es sie unverhofft von der Seite ereilte: „Wenn Ihr erlaubt, Kami-sama, Ishizu-no-mikoto, meine Neugier zu stillen, Euer Name ist uns unbekannt.“

Diesmal trat ihr Lächeln offen zutage. Inu Yashas Freunde kannten die atemberaubende Schönheit der Kinder des dunklen Schöpfers, so waren sie ihrer nicht schutzlos ausgeliefert. Und in der Tat konnten Sangos Adleraugen keine verräterische Regung, denn der reinen Wissbegier, in den Zügen ihres Hōshis entdecken.
 

„Das liegt daran, dass ich in eurer Kultur, Hōshi Miroku, noch keinen Kult besitze. Deshalb dürft ihr mich auch als Megami ansprechen, wenn es euch beliebt; was mich jedoch anbelangt, so genügt mir der Name“, fügte Ishizu mit einem raschen Blick nach vorne hinzu.

Er entging Inu Yasha nicht. Ganz im Gegenteil befand er Sesshōmarus Schweigen angespannter als sonst; konnte er auch nicht recht sagen, woran er das festmachte.

Jedenfalls, sofern Ishizu eine Reaktion erwartet hatte, so wartete sie vergebens. Er zeigte auch jetzt keine Regung. Ob er wieder in Gedanken war?

Ishizu dagegen war sich sicher, dass er jedes Wort akribisch verfolgte – und über ihre Stellung wachte. Es war zu wichtig. Gerade in ihrer Situation. Ihr feines Lächeln verblieb diesmal für eine geraume Weile auf ihren Lippen, als sie die vertraute Wärme ob seiner Fürsorge erfasste, um dann nach und nach vom traurigen Glanz in ihrem Meeresblau von ihnen hinfort gewischt zu werden. Für Manches brauchte wohl selbst sie Zeit.
 

Damit stoppte Ah-Uhn urplötzlich. Ishizus Augenmerk glitt fast unbemerkt hinauf zur hellen Scheibe, welche längst ihren höchsten Punkt erreicht hatte. Es hatte also nicht unbedingt mit ihrer Äußerung zu tun.
 

Inu Yasha dagegen pflaumte nicht gerade ungefährlich nach vorne: „Was ist, warum hältst du mitten im Nirgendwo an?“

Kagomes warnend gezischtes „Inu Yasha“, verklang nahezu unbeachtet, als sich das vertraute Gold eisig über die Schulter auf den Halbbruder senkte.
 

„Es ist Mittag. Zeit, etwas zu essen. Danke, Sesshōmaru-sama“, erklärte da Rin, während sie freudestrahlend von Ah-Uhn sprang.
 

Natürlich hatte er sich mittlerweile an ihre Zeiten gewöhnt, ebenso wie Jaken, der sogleich seiner Aufgabe als wachsamer Begleiter nachzukommen gedachte.
 

„Rin-chan, ich habe Proviant, wenn du möchtest“, bot Kagome mit vorsichtigem Blick zu ihrer neusten Begleiterin auch Ishizu an.
 

Der entglitt ein leises Schmunzeln ob der freundlichen Einladung, während sie von Ah-Uhn auf ihre Füße glitt. Was hatte der Flohgeist bloß alles erwähnt?

Miroku machte sich mit den Dämonenjägern daran, einen geeigneten Rastplatz zu finden. Inu Yasha und Kagome mit Rin und Shippō schlossen sich alsbald an – Ah-Uhn im Schlepptau. Ishizu verfolgte die Freunde einen Moment aufmerksam dabei. Sie schienen erfreut über die kleine Rast und hielten bereits zielstrebig auf die Wiese in einiger Entfernung zu. Kein Wunder, kannte sie doch Sesshōmarus erbarmungslos lange Schritte, als sie ihn im Augenwinkel den Weg gen Wald demonstrativ einschlagen sah. Ihr entwich doch tatsächlich ein Seufzen. Hatte sie etwa erwartet, er ließe sich dazu herab?
 

Als der Ast laut unter ihrer leichten Last brach, zog die Megami ärgerlich zischend die Luft ein. Da er den Blick von ihr abgewandt hatte, entging ihr der leise Zug, welcher über seine ansehnlichen Züge huschte. Als sie an seine Seite getreten war, war seine Miene längst zur Ausdruckslosigkeit zurückgekehrt. Intuitiv schlug sie den schweren Stoff zurück, ehe sie ihr Meeresblau hinauf in seine angestrengten Züge wagte. Nahezu konzentriert richtete sich sein Dämonengold in die Ferne über die Schlucht hinweg, welche sich vor ihnen auftat – und an dessen Klippe er ausgerechnet beschlossen hatte, auf sie zu warten. Sie widerstand dem Drang, mit ihren großen Augen zu rollen, während sie die Entfernung zu den Baumwipfeln unter ihnen tapfer zu ignorieren versuchte und stattdessen in die weitere Ferne blickte.
 

„Es ist nicht tief“, bezeugte, dass er ihre Abneigung bewusst in Kauf genommen hatte.
 

„Mir gefiele es besser, wir ließen das das nächste Mal mich entscheiden“, schnaubte sie wenig entzückt.

Es bescherte ihr seinen gefürchteten Seitenblick, wenn auch aus einem völlig anderen Grund.
 

„Und mir, du überließt mir die Entscheidung, wen wir involvieren, Megami“, war eisig.

Wenn auch nahezu nachsichtig, weil es erfolgte, fast schon ausführlich und ohne Knurrlaute. Ob ihr die jahrhundertelange Trennung noch zu Gute kam?
 

„Wenn du dich erinnerst, hatte ich versucht…“
 

„Wie?“, durchschnitt einen jeden Versuch ihrerseits, ihn an ihre Motive zu erinnern.

Sie nahm einen leisen Atemzug, um sich zu beruhigen. Ihrem Verstand die Chance einzuräumen, um über ihren Stolz zu obsiegen.
 

„Du meinst, wie sie an Naraku kam?“, bescherte ihr eine unmissverständliche Warnung aus verengtem Raubtiergold.

Offensichtlich war seine Stimmung derart im Keller, dass selbst sie ihre Nachfragen einzuschränken hatte.
 

„Dazu werde ich dir wohl besser erläutern, wie wir auf die Insel kamen“, trug seinen strapazierten Nerven Rechnung, indem sie ihn ausdrücklich um Geduld bat.
 

Da er schwieg, wusste sie um sein Bemühen, eben diese aufzubringen.
 

„Es hat lange gedauert, bis mein Vater nachgab und mir erlaubte, ihr das Diesseits zu zeigen. Japan gehörte nicht dazu. Wir setzten vor drei Nächten dennoch vom Festland über – sie war neugierig, sonst hätte ich die Insel nicht betreten dürfen“, senkte ihren Blick auf die silbrige Haarsträhne, welche sich vom Wind getragen vor ihr erhob.

Es demaskierte die Fesseln, welche ihr das Schutzversprechen des mächtigen Vaters über ihre gemeinsame Tochter auferlegt hatte. Götter gaben nur gegen Versprechen, hatte sie ihm einst erklärt. Also hatte sie endlich einen Weg gefunden, um das Ihre zu umgehen. Er konnte sich nicht wirklich darüber freuen.
 

„Ich wusste, dass es die Möglichkeit gab und sie, dass das Juwel mir Sorgen bereitet. Also bemerkte sie die Veränderung. Manchmal neigt sie dazu, deine Spürnase in den ungünstigsten Momenten zu zeigen…“
 

„Weil sie dich kennt“, sein Einwurf erhob ihren Blick überrascht in sein Raubtiergold.

Für gewöhnlich war es ein Zeichen von Intimität, wenn er sie unterbrach. Es geschah nur höchst selten. Ihr Lächeln wuchs zu einem vorsichtigen als sie für den Augenblick seinen Blick aus den Augenwinkeln hielt.

Er dagegen glaubte weniger an sein Erbe in seiner Tochter, kannte er doch Ishizus Verhalten, wenn sie nervös wurde. Es war nicht zu verkennen, in seinen Augen. Ganz ohne seine dämonischen Sinne.

Damit lenkte Ishizu ihr Augenmerk wieder vor sich gen blauen Horizont, ehe sie fortsetzte.
 

„Ich weihte sie ein. Sie kennt unsere Welt, und natürlich erkannte sie die Gelegenheit, also wollte sie helfen. Danach war es nur ein Auffinden von Kanna, was dank des Yorishiros, den ich seit meiner Ankunft erspürte, nicht schwer war.“
 

„Und du ließt sie, weil du eine der Möglichkeiten gesehen hast, in der es gelingt“, war wieder seine ihm eigene Art, Fragen zu stellen, ob nun rhetorisch oder nicht, ohne diese auch nur je auszuformulieren.

Jetzt knurrte er es fast zwischen den Zähnen hervor. Die Diskussion war gefährlich nahe am empfindlichen Punkt.
 

„Sesshōmaru, Ayumi ist eine Halbgöttin und deine Tochter, sie ist nicht hilflos“, erwehrte sich Ishizu dennoch des erneuten Vorwurfs.

Und genau darin stimmte er mit ihr eben nicht überein. So ganz und gar nicht. Schließlich hatte sie seine Tochter demjenigen zugespielt, der schlau genug war, sich selbst ihm immer wieder zu entwinden. Und jetzt hatte er auch noch einen göttlichen Verbündeten neben diesem vermaledeiten Juwel.

Ayumi dagegen wusste nichts über ihr dämonisches Selbst. Kannte den Ursprung ihrer weltlichen Kräfte nicht und konnte ihren Gegner nicht einmal einschätzen.
 

„Und deshalb wähnst du sie im Vorteil gegenüber einem Gegner, den du so töricht bist, gnadenlos zu unterschätzen, Ishizu?“
 

Sie kannte den Blick aus verengtem Raubtiergold, der sie nun traf nur zu gut – und begegnete ihm längst in altbekannter Manier nicht minder feurig.
 

Vergessen schienen alle guten Vorsätze, als sie ihrem Temperament letztlich nachgab: „Und du wähnst sie gerne schwächer als dich?“
 

„[style type="italic"]Meiner[/style] Tochter wäre es nie eingefallen, sich in eine Gefahr zu begeben, ohne deren Ausmaß abschätzen zu können, Megami“, entsprang weit mehr als nur dem Faktum, dass es darum bei Weitem nicht ging.

Es erinnerte an die naturgegebene Abscheu, die er vor ihrer Art empfand. Auch, weil sich ihr sofort erschloss, was er unausgesprochen ließ.

Dennoch hing es für den kurzen Augenblick eines Wimpernschlages zwischen ihnen, als Dämon und Göttin einander anfunkelten.

Sie wäre das Risiko so nicht eingegangen, hätte [style type="italic"]er[/style] sie erziehen dürfen.

Es traf sie, und er erkannte es. Also zuckte er nicht zurück, hielt sie nicht auf, als ihre flache Hand seine Wange nach all der Zeit in so völlig konträrer Absicht hellklatschend traf.

Sie war längst im Schatten der angrenzenden Baumreihe verschwunden, als er sich noch den Unterkiefer zurechtrückte, während die letzten Vögel erschrocken die Baumkronen protestierend aufgaben. Wenn sie in Stimmung war, konnte sie durchaus austeilen. Das hatte er nicht vergessen. Offensichtlich sogar noch mehr, wenn sie dazu Grund sah.

Er schloss die Augen zu einem tonlosen Seufzen und tat einen kaum merklichen Atemzug. Ihre Hilflosigkeit in ihrem momentanen Zustand erinnerte stark an Rin, nur dass seine Gefährtin dazu neigte, sich auch noch absichtlich in Schwierigkeiten zu bringen in ihrer zuweilen gefühlsbetonten Art – ganz anders als das Menschenmädchen.

Also zuckte lediglich sein schmales Lächeln über seine Lippen, als ihr erschrockener Aufschrei, wie zur Bestätigung, sein Trommelfell wenig später erreichte. Eine dämonische Gefahr konnte er ausschließen, außer ihm und Inu Yasha war weit und breit nichts wahrzunehmen, ebenso wenig lag etwas Bedrohliches in der Luft.

Umso beruhigter machte er sich auf den Weg, der Nase nach.
 

Unterdessen öffnete Kagome freudestrahlend eine weitere ihrer seltsamen Boxen, die so herrlich bunt und mit allerlei Schriftzeichen versehen waren, dass Rin allein schon der Optik halber ihre Kinderaugen nicht von der Obskurität lassen konnte.

Die Truppe hatte es sich auf der Decke der Mikoschülerin, wie stets, gemütlich gemacht. Jaken mit Ah-Uhn etwas abseits, um den Reitdrachen etwas Gras fressen zu lassen. Dass Sesshōmaru verschwunden war, wunderte niemanden. Ishizus Abwesenheit genauso wenig.

Als das nächste Ratschen durch die sonnenbeschienene Idylle brach, weiteten sich Rins Augen zum wiederholten Male, verblüfft über den reichen Fundus an allerlei Köstlichkeiten, die die Miko da mit sich herumtrug.
 

Wieder hielt sie es der Jüngeren mit ihrem so freundlichen Lächeln hin, sodass Rin mit einem „Arigato gozaimasu, Kagome-sama“ in gewohnt höflicher Manier zulangen wollte, da intervenierte ausgerechnet Inu Yasha.
 

„Sind das nicht die Letzten, Kagome?“, jammerte er mit halbem Gesicht bereits im sonnengelben Ungetüm der Neuzeit.
 

„Mit Freunden teilt man auch noch sein letztes Hemd“, trällerte die junge Frau vergnügt, während Shippō in Inu Yashas Jammern lautstark miteinfiel.
 

„Ach, jetzt regt euch ab, es wird ja nicht ewig dauern, bis wir wieder nach Hause kommen“, zeigte sich Kagome unerbittlich.
 

Und als sie Rin im Augenwinkel schuldbewusst die Stäbchen senken sah, versicherte sie sogleich: „Nein, nein, Rin-chan, es ist noch genug anderes da. Die beiden sind nur verwöhnt, das ist alles.“

Der Blick hätte nicht giftiger sein können, den sie damit an ihre beiden Begleiter sandte, die sich bereits im Ringkampf um eine ihrer knisternden Chipstüten befanden.
 

Sango entglitt ein Schmunzeln, während sie ihre Freundin dazwischen hechten sah. Kirara miaute auf ihrem Schoß und genoss die Streicheleinheiten der Dämonenjägerin, die mit Kohaku und Miroku zur anderen Seite Rins saßen.
 

„Das beruhigt sich gleich wieder“, versicherte sie Kohaku auf seinen irritierten Blick hin, sodass er eine weitere Portion zwischen die Stäbchen nahm.
 

„Was ist der Tai Shan?“, lenkte Rin ihre Aufmerksamkeit auf sich.
 

„Einer der fünf heiligen Berge auf dem Festland, Rin-chan. Auf ihm opfern die Kaiser des Reichs der Mitte dem Himmel und der Erde“, erklärte Kohaku mit vollem Mund, sodass ihn ein mahnender Blick der älteren Schwester ereilte.

Nachdem er seinen Nahrungsbrei hinuntergeschluckt hatte, tat er es mit dem charmanten Kleiner-Bruder-Lächeln ab, das der Älteren noch stets den Wind aus den Segeln zu nehmen vermocht hatte, was auch immer er zuvor angestellt hatte.
 

„Ich frage mich nur, wie Inu Yasha und Sesshōmaru-sama damit umgehen werden. Es ist nicht gerade ein Ort mit wenig heller Magie“, sinnierte Sango laut.

Miroku pflichtete dem nickend bei, während Rin freudig erklärte: „Oh, das macht nichts, Sesshōmaru-sama war selbst am Berg Hakurei und der hat ihm nichts ausgemacht.“
 

„Was glaubt Ihr, Miroku-sama, wie gedenken sie, das Meer zu überqueren?“, fragte sie ihren Mönch, wobei sie ihre Stimme über Kagomes „Inu Yasha, Osuwari“ erheben musste.
 

Kohaku stoppte für den Moment auf dem Weg gen Mund, nicht minder verblüfft und irritiert darüber, den Hanyō den Boden küssen zu sehen.

Sango und Miroku ignorierten es gelassen.

Natürlich wusste auch Letzterer, was die Tayija ansprach. Es gab einen Grund, warum mächtige Wesen, wie Sesshōmaru, das Meer nur höchst selten überquerten. In der magischen Welt gab es eine Absprache. Das Meer war das Territorium der Wasserdrachen, nicht zuletzt Watatsumis. Sie brauchten seine Erlaubnis. Menschen brachten dem Drachen Opfer dar, allen voran die Fischer. Doch was taten Magiewesen wie die Göttin oder ihr Gefährte?
 

„Jedenfalls scheint er bewusst solange wie möglich auf der Insel bleiben zu wollen. Wir wandern entlang des Meeres gen Süden, dort ist die Distanz zum Festland am geringsten.“
 

„Wohl eher will der seinen Einflussbereich möglichst lange nicht verlassen“, konstatierte da Inu Yasha, während er sich zurück in den Schneidersitz aufrappelte.

Immerhin konnte der Herr Vollblutdämon weit mehr als nur fliegen. Es leuchtete allen ein. Auf dem Festland waren sie Fremde – und, schlimmer noch, völlig Fremdem ausgesetzt.
 

„Naja, dann bleibt zu hoffen, dass er es durchhält. Es gibt nichts Entspannenderes als die Onsen um den Sakurajima“, flötete da Kagome hoffnungsvoll, während sie verträumt ihre bloßen Essstäbchen gen Lippen hielt.
 

Niemand, nicht einmal Miroku, wagte es nun der jungen Mikoschülerin die Hoffnung zu rauben mit dem wohl yōkaitauglicheren, da vernünftigeren, Argument, dass eine Überquerung Richtung Festland weiter westlich weitaus mehr Sinn machte als fast bis zum südöstlichen Zipfel durchzumarschieren.
 

Unweit entfernt war besagter Yōkai derweil nicht erstaunt, die Waldlichtung scheinbar verlassen vorzufinden. Also traf Ishizu sein Blick aus belustigt funkelndem Rautiergold, sobald er sein Augenmerk zielsicher zur ihr erhoben hatte.

Sie hing gut nochmal eine weitere Armlänge über ihm in der Luft, gefangen in einem Netz, das ihre Menschenkinder zur Jagd auslegten. Ob er denen die Ehre zuteilwerden lassen sollte, ihre Göttin zu treffen für ihren geglückten Fang?
 

„Wag es ja nicht, auch nur zu erwägen, mich hier oben hängen zu lassen, Sesshōmaru!“, war giftig.

Noch verdrängten wohl die Aufgebrachtheit und Empörung die Scham, mochten ihre Wangen auch längst brennen vor Aufregung.
 

„Und mach dich gefälligst nicht lustig“, wetterte sie weiter, während sie mit ihren schlanken Beinen, welche durch die Maschen hindurchhingen, zu strampeln begann.

Manches änderte sich nie; schimpfen tat sie immer noch gerne mit ihm. Erst recht, wenn sie sich in der ungünstigeren Position sah.

Sein Gold wanderte derweil in nahezu grausamer Gelassenheit das Seil hinauf zur Anbringung am dankbarerweise dicken Ast.
 

Dennoch konstatierte der Dämon genüsslich nüchtern: „Das würde ich unterlassen.“

Der Sturz war tief und er hatte nur mehr den einen Arm. Sie aufzufangen war also weniger eine Option – Fliegen hin oder her. Sie sollte ruhig bleiben, wollte sie möglichst sanft zurück auf den Boden finden.

Tatsächlich folgte sie dem Rat; nachdem sie seinem Blick gefolgt war.

Dann legte sich sein Dämonengold wieder allein auf ihr lebendig flackerndes Meeresblau.

Es überraschte weder ihn noch sie, dass sie derart aus der Haut gefahren war. Er hatte sie getriggert, genau dort, wo es stets weh getan hatte – und immer noch weh tat.

So wie sie ihn, wenig verwunderlich also. Und natürlich entsprach es nicht dem, was er wollte.
 

„Keine Alleingänge mehr, Megami“, kam er daher unumwunden zum Punkt.

Sie wusste, was er meinte: Keine Entscheidungen mehr über seinen Kopf hinweg. Ein Miteinander statt eines allmächtigen Götterspiels über sein Leben. Ein Glück schloss das Ehemaliges nicht mit ein. Natürlich wusste er um die Dinge, die sie nicht mit einem sterblichen Wesen teilen konnte. Darum ging es ihm nicht. Auch darum wusste sie. Also nickte sie zaghaft – nach einem leisen Atemzug.

Als sein Raubtiergold ihre gerade eher klägliche Erscheinung, wie sie peinlich berührt fand, daraufhin noch einmal gedankenschwer abwanderte, meinte sie auch diese unausgesprochene Überlegung zu erkennen.
 

„Solange du dich bemühst, meine Erziehung und Herkunft entsprechend zu respektieren, bemühe ich mich, meine Hand nur dann zu erheben, wenn du es wünscht.“

An seinem Blick erkannte sie, dass ihm der leise Schauer, welcher ihr ausgerechnet jetzt den Rücken hinabrann, als sie ihre Erinnerung so unweigerlich wachrief, nicht entging. Es schmeichelte ihrem angekratzten Ego, dass es auch in ihm nicht ohne Effekt verklang, während er mit seinem kaum merklichen Nicken sein Einverständnis dazu gab.
 

Also begegnete sie ihm mit einem versöhnlichen Zug um ihre zart rosa Lippen, während sein Tenor sie in einer solchen Sanftheit anwies, wie sie neben ihr wohl einzig noch Rin bekannt war: „Halte dich fest.“
 

Umgehend wickelte sie ihre langen schlanken Finger damit um die dicken Verstrebungen des Netzes über ihrem Kopf. Ihr Augenmerk lag einzig auf seinem ruhigen Gold, als sich die typische Wolke zu seinen Füßen auszubreiten begann und ihn ihr alsbald entgegen hob. Sie spürte nicht mehr als den leisen Windzug, verfolgte jedoch mit gespitzten Ohren das schneidende Geräusch, mit dem seine messerscharfen Krallen bedachtsam die Seilverstrebungen unter ihrem Gesäß zu lösen begannen – ohne ihren Blick von seinem zu nehmen. Aus einem Reflex heraus wurde ihr Griff sogleich fester, sobald der Freiraum ihr Leichtgewicht entlang der Schwerkraft nach unten zog.

Instinktiv glitt sein Raubtiergold an ihre zierlichen Hände, aus denen alles Blut wich unter der ungewohnten Belastung.

Es überraschte ihn nicht, dass ihre Beine rasch und geschickt den Weg um seine Taille fanden und sich in lange schon vermisster Festigkeit um sie wanden. Dennoch ließ sie von den dicken Seilen erst ab, als sein Arm ihren Rücken stabilisierte. Noch während er bedachtsam gen Boden sank, fanden ihre Hände in nie vergessener Zartheit an seine Wangen. Das Aufsetzen wurde zur Nebensache, als sie ihre Fingerkuppen auf diese einzig ihr eigene Art hauchzart über seine weichen Dämonenstreifen zu tupfen begann. In diesem Augenblick existierte nichts um sie herum, als ihr Meeresblau sich auf sein Raubtiergold senkte. All ihre Zuneigung lag in dem Blick, mit welchem sie seine Züge nahezu akribisch unter sich abwanderte. Er hatte es nie vergessen, die Wärme, die sich einer Liebkosung gleich Zelle für Zelle um sein Herz legte.

Genauso wenig, wie sie sein Antlitz je vergessen hätte können. Die Zeit ging nicht spurlos an seinesgleichen vorbei. Natürlich war das er. Dennoch waren seine Züge prägnanter, seine Konturen geschärfter. Er war gefährlich schön. Als ihr Meeresblau auf seinem Raubtiergold zum Liegen kam, versank er haltlos in dessen Unergründlichkeit.

Es war eine vorsichtige Begegnung. Als fürchtete sie gar seine Zurückweisung, stupste ihre Nasenspitze zuerst nur federartig die seine an. Nach wie vor sein raubtierhaftes Gold nicht auslassend, sodass sie die Anspannung, welche seine Augen kaum merklich weitete, genau mitverfolgen konnte. Er erwartete längst die Weichheit ihrer Lippen, ehe diesmal sie die Ihren ganz zart auf seine tupfte, mehr einer Feder gleich denn einer leidenschaftlichen Berührung. Jedoch ein Kribbeln damit in ihrem Inneren entzündend, das sich in dem leisen Erzittern gegen ihre Lippen widerspiegelte. Ihre ersten Küsse erfolgten in solch einer quälend bedachtsamen Langsamkeit, dass allein ein jeder davon einem Öltropfen im Feuer glich, deren Zischen sein Begehr dabei aufpeitschte wie das Prasseln der Flammen.

Sie war nicht überrascht, dass er alsbald die Führung übernahm und ergab sich aufseufzend seinem immer drängenderen Tempo. Ihre Arme hatte sie längst besitzergreifend um seinen Nacken geschlungen – einzig der Dornenaufsatz seines Harnisch hielt ihren zarten Oberkörper noch auf Distanz. Das leise Keuchen, das über ihre Lippen glitt, kaum erspürte sie die Maserung des Baumstammes in ihrem Rücken, war Musik in seinen spitzzulaufenden Ohren. Also begrüßte er es mit einem zarten Biss in ihre Oberlippe. Eine Intensität damit schlagartig zwischen ihnen einläutend, die ihr den Atem stahl. Die anfängliche Bedachtsamkeit wich immer mehr der ausgehungerten Sehnsucht. Als seine Küsse darüber an Forschheit immer mehr zunahmen, erspürte sie das vertraute Kribbeln leise in sich erwachen, sobald seine spitzen Reißzähne sie immer öfter neckten. Jede weitere zärtliche Begegnung steigerte die Heftigkeit zwischen ihnen, die Gier nacheinander. Sodass es alsbald schien, als ob sie mit einer jeden davon gedachten, die Distanz, die die Jahrhunderte zwischen sie gelegt hatten, mit reiner Willenskraft zu vertreiben.

Sie kannte die schier grenzenlose Ohnmacht, als die Jahrhunderte voller Entbehrung auf sie herniederbrachen wieder; wusste um die eisige Kälte der Einsamkeit um sein Herz, von der er sich hiermit so vehement zu befreien suchte, ebenso wie sie. Und doch schien die alte Verbundenheit noch so schmerzhaft weit entfernt.

Erst als sie sich der Notwendigkeit, Atem zu schöpfen, ergeben mussten, lösten sie ihre Lippen voneinander. Schweratmend sank seine Stirn gegen ihre. Sie behielt die Augen noch geschlossen, während sie die Heftigkeit, mit der ihre Brust sich hob und senkte, zu bewältigen suchte. Natürlich war er erfolgreicher und schneller darin. Und so traf ihr bewegtes Meeresblau sein warmes Gold, sobald der verräterische Zug an ihrer Seite sie dazu veranlasste, die Augen zu öffnen. Seine Krallen verursachten ein charakteristisches Geräusch, je nachdem auf welchen Stoff sie trafen. Niemals würde sie diesen Klang vergessen.
 

„Du hast keine Ahnung, was ich dafür eintauschen musste, um an diesen Baumwollmantel zu kommen“, warnte sie mit einem süffisanten Zug um ihre belebt glänzenden Lippen.
 

Unverkennbar, dass sie der Verlust nach wie vor schmerzte.
 

„Offenkundig ein wenig vorteilhafter Tausch, Megami“, kommentierte er in diebischem Genuss.

Diesmal vergönnte er es ihr, einen Blick auf sein gefährliches Lächeln zu erhaschen. Es amüsierte ihn diebisch. Zumal auch ihr klar war, dass er sie nicht mehr lange in der einfachen Kleidung herumlaufen ließe, sobald die Vorteile vernachlässigbar gering geworden waren.
 

„Es erlaubt mir eine Unauffälligkeit, die uns auch jetzt zu Gute kommt, wenn du dich erinnern möchtest“, lächelte sie bereits wieder verzückt gegen seine Lippen, als ihr Dämon die Verschnaufpause wohl für beendet befand.
 

Sie erspürte seinen bestimmten Griff um ihren Schenkel, mit dem er ihren Halt um seine Hüfte festigte und sich damit enger zwischen sie bugsierte. Wusste sein raubtierhaftes Gold auf sich festgepinnt, noch während sich das verräterische Keuchen über ihre Lippen davonstahl und erkannte die Gier darin wieder, als sie so unweigerlich ihre von seinen Küssen glänzenden Lippen für ihn öffnete.

Noch bevor er sie erneut mit den seinen verschließen konnte, schwappte der Schauder ihrer Erregung wie eine Welle bereits über sie hinweg. Sie erzitterte merklich gegen ihn, sobald sein Atem heiß über ihre Lippen streichelte – und fuhr umso heftiger zusammen, als das gequakte „Sesshōmaru-samaaa?“ durch die gebannte Stille brach.

Die Regung erstarb noch darunter auf seinen Zügen, während Ishizu sich darum bemühte, ihre Erregung ebenso hinweg zu atmen, nicht jedoch, ohne dabei ihrem Gefährten einen Blick zuzusenden, der ihm unmissverständlich ihr Missfallen zum Ausdruck brachte. Er war nahe dran, sein schmales Lächeln darüber zu wagen, als die helle Stimme der Miko seine Züge verdunkelte. Sie suchte natürlich nach Ishizu, scheinbar gedachten sie aufzubrechen.

Unverkennbar, dass diesmal Ishizu das Missfallen ihres Gefährten traf.
 

„Dein Kröterich hat zuerst gestört“, begegnete sie seinem Blick betont gelassen.

Sie spürte die Anspannung, die es ihn kostete, seine Züge darüber ausdruckslos zu belassen, als sie ihn noch einmal in einen sinnlichen Kuss an sich heranzog, noch während er sie bereits an sich hinab auf ihre Füße gleiten ließ.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ja, manchmal muss man auch mal einfach was ausprobieren- ein kleiner Appetizer. Raten erst nach einigen Kapiteln empfohlen... Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Und, war wer überrascht? Zu gewagt? Zu schnell gar? Zu OoC?

Ich war ehrlich gestanden ein wenig unsicher, wo ich schneide. Was meint ihr?
Ich muss gestehen, dass ich nicht widerstehen konnte, euch einfach nächstes Mal gerne bereits in die erdichtete Vergangenheit zu entführen. Ich hoffe, das glückt mir. Erwartet also die nächsten Kapitel mit Erinnerungssequenzen bestückt^^

Begriffe wie Yorishiro oder Shintai erklärt der Mönch dann gerne beim nächsten Mal Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Wen er da wohl sucht?...
Danke für dein Interesse und deine Zeit. Ich hoffe, sie war gut genutzt.
Eine angenehme Woche.

Es grüßt
A.-chan Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ob man sich das Tanabata* zur damaligen Zeit so vorstellen darf wie im heutigen Japan ist meiner bescheidenen Meinung nach fragwürdig. Dennoch konnte ich mir diese Referenz zum “Fest der Liebe“ nicht entgehen lassen und hoffe, es vermochte ein wenig Stimmung aufkommen zu lassen ;).
Man mag erahnen, warum?
Die erste Erwähnung im Ryô no Gige datiert, soweit meine bescheidenen Quellen es hergaben, ins 9. (7.?) Jahrhundert, die Edo-Zeit (Tokugawa Shogunat) macht es dann zu einem der fünf fixen saisonalen Feste (gosekku), die wir heute noch aus Japan kennen. Wie so oft stammt es ursprünglich aus China und ist dort als “Quixi-Fest“ bekannt. Gebt es doch einfach mal im Internet ein, wenn ihr wollt.

Ereignisse aus diesem Kapitel beziehen sich auch auf Geschehnisse aus Unmei no Akai Ito- “Das Ritual der Macht (2/3 und 3/3)“
Ab jetzt kann man dann wohl auch die Kapitel Neugier 1-3 und Tenseigas Schutz lesen ;). Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Na, was wurmt den Herrn Hochwohlgeboren jetzt wohl nur so?
Und, mal ehrlich, hatte wer mit einer anderen Weiterführung der Ereignisse gerechnet? ;) Komplett anzeigen

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