Abseits der Wege von Ana1993 (Eine kleine Vorweihnachtsgeschichte) ================================================================================ Kapitel 4: ----------- Je länger ich es durch persönliche Probleme und leider auch Schicksalschläge nicht schaffte, die eigentlich fertigen Texte ein letztes Mal zu überarbeiten, desto schuldiger fühlte ich mich und umso schwieriger fiel es mir. Ich möchte mich bei allen Leser:innen entschuldigen, aber es war einfach nicht machbar.     ~ 4 ~   „Nochmal von vorn, die Geschichte klingt zu spannend, um sie so abzukürzen”, forderte Markus Amir auf und sprach damit aus, was alle zu denken schienen. Dieser seufzte. „Ich habe innerhalb meines Unternehmens eine Versetzung auf eine Bürostelle beantragt, bislang bin ich im Außendienst. Ab Februar ist eine Stelle in Aachen frei, die und das Team sollte ich gestern kennenlernen. Auf dem Rückweg bin ich mit meinem Wagen halb im Graben gelandet, Jakob kam vorbei und hat mich rausgezogen und anschließend zur Werkstatt geschleppt. Als Dank hab ich ihn gestern im Fuchs zum Essen eingeladen”, er nickte kurz in Annes Richtung, deren Schwester Lisa sie dort bedient hatte, „und er wiederum hat sich angeboten, mir hier den Weihnachtsmarkt zu zeigen”, gab er die Kurzfassung der bisherigen Ereignisse zum Besten. „Klingt nach einem Abstieg, von Berlin nach hier”, kommentierte Patrick und erntete dafür einen Allbogenstubser von Sabine. „Ey, lass das! Stimmt doch, oder nicht? Normalerweise ist es doch andersrum?” „Kann ich so nicht sagen.” Amir zuckte mit den Schultern. „Bislang bin ich wie gesagt Außendienst, die Stelle wäre als Teamleiter. Karrieretechnisch schon ein Aufstieg. Und ein Ortswechsel wäre auch in meinem Sinne.” Er wollte nur ungern vor einer Gruppe Fremder weiter ins Detail gehen, sein Privatleben ging niemanden etwas an. Dass er sich bei Jakob wohl genug dafür gefühlt hatte, verdrängte er geflissentlich. „Also bleibst du hier?”, stellte Markus die alles entscheidende Frage, auf die Amir selbst noch keine Antwort hatte. „Ich-”, setzte er an, wurde jedoch von Jakob und Stefan unterbrochen, die mit den Getränken kamen. Der Bauer trug einen fragenden Ausdruck im Gesicht, den er nicht deuten konnte und der seinen Magen nervös kribbeln ließ. Schnell schloss er die Hände um seine frische Tasse Glühwein. „Habt ihr ihn jetzt genug ausgequetscht?”, fragte Jakob ironisch in die Runde. „Hm...”, nachdenklich tippte Patrick sich an die Lippe. „Nein. Sorry, du musst nochmal gehen.” Er machte eine scheuchende Handbewegung in die Richtung des Blonden und half damit nicht Amirs inneres Bild eines kleinen Twinks zu verscheuchen, was ihn wieder unterdrückt grinsen ließ. Zum Glück nicht weiter schlimm, der Rest der Freunde lachte herzhaft über Jakobs sprachlos beleidigtes Grummeln. Das Grinsen verging ihm recht schnell wieder. Der Tisch war klein, gerade groß genug für sie alle und dank der umliegenden Fress- und Saufstände drängte sich eine nicht unerhebliche Masse Menschen auf dem kleinen Platz. Kurzum, Jakob wurde zwangsläufig eng an seine Seite gedrückt, wie gefühlte Stunden zuvor im Bus, und auch jetzt schien sich jede Faser seines Körpers auf die eingebildete Körperwärme. Himmel, er war doch keine Vierzehn mehr! Er war so abgelenkt, dass er das Gespräch erst wieder verfolgte, als es bereits um andere Themen ging. Die örtliche Politik und dörflicher Tratsch interessierten ihn herzlich wenig, doch er beteiligte sich, wo es sich eben anbot. Die ungleiche Gruppe war ihm sympathisch und er fühlte sich von allen mindestens mal akzeptiert, was mehr war, als er anfangs zu hoffen gewagt hatte. Nachdenklich betrachtete er die Lampen im Tannenbaum gegenüber, während der Alkohol begann, seine Gedanken ein bisschen dumpfer werden zu lassen. „Alles klar?”, fragte Jakob nach an seinem Ohr und Amir zuckte erschrocken zusammen. „Sicher”, antwortete er reflexartig. „Wir können auch weiter, wenn du dich langweilst.” Schelmisch zwinkerte der Blonde. „Nein, ich habe dich schon genug beansprucht. Du warst für heute mit ihnen verabredet, nicht mit mir.” Er meinte es ernst. Dass er überhaupt eingeladen worden war, war schon viel verlangt von einem quasi Fremden. „Ach, die sehe ich ständig, du... bist nur jetzt hier.” Amir konnte den Ausdruck in den dunklen Augen weder deuten noch länger ertragen und so richtete er seine eigenen auf die leere Tasse in seinen Händen. Er seufzte und fasste einen egoistischen Entschluss. „Okay. Lass uns weiter, wenn du soweit bist.” „Wie, ihr wollt abhauen?” Ihre Fluchtpläne waren nicht unbemerkt geblieben, Markus neben ihnen hatte wohl trotz der allgemeinen Geräuschkulisse zugehört. Auch der Rest der Gruppe sah sie mit unterschiedlichen Gefühlen in den Gesichtern an, von fragend bis hin zu wissend grinsend. „Ja, ich wollte Amir noch den Rest zeigen, wir haben eben nicht alles geschafft”, erklärte Jakob. „Ach, wie Schade. Aber vielleicht sieht man sich ja später oder die nächsten Tage nochmal”, sagte Sabine und kam um den Tisch rum, um sich von ihnen beiden mit einer Umarmung zu verabschieden. Die anderen taten es ihr gleich. Es wurden Verabschiedungen und Wünsche ausgetauscht, dann endlich konnten Amir und Jakob sich lösen und aus dem immer noch stetig wachsenden Pulk entkommen. Der Schwarzhaarige war große Menschenansammlungen gewöhnt, trotzdem war er froh, sich wieder frei bewegen zu können. „Und das ist wirklich in Ordnung für dich?”, fragte er sicherheitshalber nach, denn ein wenig schuldig fühlte er sich dennoch. „Sicher. Ehrlich gesagt mag ich es ohnehin nicht, wie die Sardinen in der Büchse dazustehen und ständig fremde Ellbogen im Rücken zu haben”, versicherte der junge Bauer grinsend. „Okay, das kann ich voll verstehen”, lachte Amir. Sie schlenderten weiter durch die engen Gassen. An einem Juwelier blieben sie stehen und der IT-ler schaute sich die ausgestellten Uhren an, Jakob dicht neben sich. Sie sprachen nicht viel, auch nicht, als der Blonde sie in ein verstecktes Gebäude führte, wo sich weitere Stände befanden. Er wartete, während der andere hausgemachten Likör in hübschen Fläschchen erwarb. Amir musterte eine der Flaschen näher und las das Etikett. Mirabellen-Schnaps. Als hätte er sich verbrannt, stellte er die Flasche zurück, wich einige Schritte vom Stand weg. Verdammt, warum griff er von allen Sorten ausgerechnet die, die- „Alles okay?”, fragte Jakob neugierig und ein bisschen besorgt, ob seines ungewöhnlichen Verhaltens. Amir atmete tief durch, fuhr sich mit einer Hand durch die Haare und nickte schließlich. „Unangenehme Erinnerungen”, stieß er zusammen mit der angehaltenen Luft aus, ohne es bewusst zu wollen. Jakobs Ausdruck wechselte zu verständnisvoll. Er lächelte kurz aufmunternd und wandte sich dann dem Ausgang zu. „Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich könnte einen Happen zu Essen vertragen.” Dankbar für den Themenwechsel folgte der Schwarzhaarige ihm. „Essen klingt gut.” Sie holten sich zwei Portionen Pommes an einem ziemlich überfüllten Stand. Die Wartezeit nutzte Amir, um ihnen zwei neue Getränke zu holen. Als er gerade zurückkam, schaute sich Jakob bereits vergeblich nach einem freien Platz an einem der Tische um. „Hm, sieht schlecht aus”, konstatierte er. „Ich hab eine Idee, komm mit.” Und schon drängte er sich an weiteren Menschen vorbei, nur um an der lustigen Statue mit der Weihnachtsmütze scharf links abzubiegen. Er führte sie beide auf eine schmale Brücke, deren anderes Ende an den halboffenen Türen einer Kirche endete. Chorgesang drang hinaus und bildete mit dem Rauschen des Flusses unter ihnen eine ganz eigene Atmosphäre. „Hier. Vorsicht, nicht dass du aus Versehen die Fische fütterst.” Grinsend stellte Jakob die Pommes vor ihn auf das Geländer und erhielt im Gegenzug seine Tasse. „Gilt für dich aber genauso”, erwiderte Amir und schob sich genüsslich ein frittiertes Kartoffelstäbchen zwischen die Zähne. „Und, was sagst du jetzt zu unserem beschaulichen kleinen Städtchen?”, fragte Jakob nach einer Weile, den Arm mit der Fritte in einem großen Bogen schwenkend. „Wirklich nett hier, passt zu Weihnachten.” Wie zur Bestätigung, hob der Chor m Hintergrund zu einem neuen Gesang an. „Wie ist es denn im Sommer?” „Keine Ahnung”, antwortete der Blonde ehrlich und lachte ansteckend. „Ich komme eigentlich immer nur im Winter hier runter.” „Wie, erst einen auf Kulturkenner und Fremdenführer machen und dann das?”, warf ihm Amir wenig ernst und selbst lachend vor. Der zuckte nur mit den Schultern. „Für jetzt reicht es doch. Ich weiß, dass auch im Sommer viele Touristen kommen, muss also auch hübsch sein. Auch wenn durch das Tal gefühlt schon um fünf die Sonne untergeht.” Der Schwarzhaarige ließ seinen Blick über die teilweise sehr steil ansteigenden und nur diffus von unten beleuchteten Berghänge wandern. „Das kann ich mir sogar beinahe vorstellen.” „Wie sieht es in deiner Heimat aus? Was ist da schöner? Berlin im Sommer oder Winter?” Amir hatte sich reflexartig schon seine übliche Rede ala 'Ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen!' zurechtgelegt, die er in seinem Leben eindeutig zu oft gehalten hatte und wurde so durch Jakobs Zusatz ordentlich aus der Bahn geworfen. Er starrte ihn vermutlich einige Sekunden an, räusperte sich peinlich berührt und gab vor, sich mit dem immer noch viel zu heißen Glühwein den Mund spülen zu müssen. „Hm. Ich glaube, weder noch. Ich mag den Frühling am liebsten”, antwortete er schließlich, knüllte die leere Pappschale mitsamt Serviette zusammen und lehnte sich mit den Ellbogen auf das Geländer, die Tasse fest in den Händen. Der Fluss unter ihnen rauschte hypnotisch und die bunten Lichter des Marktes spiegelten sich als tanzende Flecken auf der unruhigen Oberfläche. „Ja, der Frühling ist wirklich schön. Viel zu tun für mich, aber alle Male besser als im Herbst oder Winter”, stimmte Jakob zu. „Gibt es denn eine Jahreszeit, in der du nicht viel zu tun hast?”, erkundigte sich Amir ehrlich interessiert und wandte den Kopf doch wieder nach links. „Auch wieder wahr. Irgendwas ist immer, aber wenn ich es mir aussuchen dürfte, dann lieber im Frühjahr oder Frühsommer, wenn es wärmer und halbwegs trocken ist, als jetzt in der Kälte, im Matsch oder brüllender Hitze”, brummte Jakob erheitert. „Gib mal her, ich bring's weg.” Ohne auf Bestätigung zu warten, nahm er den Müll an sich und brachte ihn zum Mülleimer am Anfang der schmalen Brücke. Amir richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf das Wasser und sog die klare, kalte Luft tief in seine Lungen. Es war kalt, aber dank seines spontanen Shoppingtrips war er bestens gerüstet. Doch trotz der dicken Jacke und des Pullovers aus unanständig weicher Wolle, fühlte er regelrecht die Körperwärme des anderen, als dieser zu ihm zurückkehrte und sich dicht – sehr dicht - neben ihn stellte, seine Pose mit den aufgestützten Ellbogen und den Tassen umklammernden Händen imitierend. „Es ist wirklich schön hier”, meinte Amir nach einiger Zeit, drehte den Kopf zur Seite, nur um zu merken, dass ihn Jakob wohl schon einige Zeit beobachten musste, ein verträumtes Lächeln in den Mundwinkeln. „Finde ich auch”, hauchte der Blonde, über das Rauschen des Flusses kaum zu verstehen. Er wusste nicht, wer sich zuerst bewegte, wer zuerst eine Hand von der nur noch lauwarmen Tasse nahm, wer sich schneller und doch wie in Zeitlupe umdrehte. Es spielte keine Rolle. Warm trafen sich ihre Lippen, wie Magnete fanden sie einander. Amir hatte diesen Ausdruck immer belächelt, doch jetzt gerade fiel ihm keine passendere Phrase ein. Jakobs Wange fühlte sich kühl unter seinen Fingerspitzen an, sein Atem dafür umso heißer. Die schmalen Lippen, etwas spröde von der vielen Kälte, bewegten sich gegen seine, testend, spielend. Amir hätte ewig so stehenbleiben können, auf dieser kleinen Brücke, im Zugwind des Gewässers, fernab und doch inmitten des Trubels. Aber es war ihnen nicht vergönnt. Ein schriller Ton zerriss die Stille und die Blase um sie herum. Ertappt stoben sie auseinander, starrten sich für einen Augenblick unsicher an, jeder auf die Ablehnung des anderen gefasst, die zu oft nach dem ersten Schock folgte. Als dieser auf beiden Seiten ausblieb, griff Jakob wie auf Autopilot nach seinem Handy, ohne den Blick für länger als eine Sekunde von dem Schwarzhaarigen zu nehmen. „Shit, da muss ich rangehen”, sagte er mit entschuldigender und leicht genervter Miene. Amir nickte nur. „Ja?”, fragte der Bauer ohne Begrüßung in sein Smartphone. Er lauschte, die aufgeregte weibliche Stimme war als sinnfreies Gebrabbel bis zu Amir zu hören. „Bitte was?” Er wirkte erschrocken. „Ja. ... Nein. Der Hauptwasseranschluss vom Stall ist in der alten Melkkammer. Dreh ihn ab. … Nein, da ist nur einer. Ein großes Ventil. … Alles klar, ich komme so schnell ich kann. Wird aber dauern, ich bin unten in Monschau. … Nein, schon okay. … Ja, bis dann.” Er legte auf, richtete seinen bedauernden Blick zurück auf sein Gegenüber. „Shit, eins der Viecher hat die Selbsttränke mit dem Arsch abgerissen und der halbe Stall steht unter Wasser. Ich muss hin.” „Ich kann helfen”, purzelte es aus Amir heraus.   Jakob hoffte, dass er ihn nicht so zweifelnd anstarrte, wie Amir gerade ihn, erschrocken über seine eigene Courage. Er überlegte nicht lange, unwillig die gemeinsame Zeit so abrupt enden zu lassen, nicht nach den letzten Minuten. „Okay”, sagte er nur, streckte die Hand nach dem anderen Mann aus, zögerte. Unsicher, wie der andere Mann reagieren würde. Doch der ergriff seine Hand, schlang ihre Finger umeinander und folgte ihm. Sie sprachen nicht, jeder zu sehr damit beschäftigt, die plötzlichen Ereignisse einzuordnen. Jakob hatte nichts dergleichen geplant, auch wenn er Amir von Anfang an anziehend fand. Er hatte sich einer vermeintlich aussichtslosen Schwärmerei hingegeben, einfach, weil er das Gefühl in seiner Magengegend genoss und der Schwarzhaarige eine angenehme Gesellschaft war. Aber eben auf der Brücke... er hatte wie ferngesteuert gehandelt, aus einem Instinkt heraus. Vielleicht hatte er unbewusst Signale von Amir empfangen, die er sich nicht eingestehen wollte. Oder es war hormongesteuerte Dummheit gewesen, wie er sie zuletzt mit sechzehn begangen hatte. Glücklicherweise war es heute glimpflicher ausgegangen als damals. Die Menschen um sie herum schenkten ihnen ebenso wenig Aufmerksamkeit, wie die beiden Männer ihnen. Es war ein ständiges Spiel aus Ausweichen und Durchquetschen, doch irgendwann wurde die Menge lichter und sie konnten nebeneinander gehen. Den Halt ihrer Hände hatten sie zwischenzeitlich verloren und Jakob traute sich nicht ihn zu erneuern. Sein Geist blieb leer, das statische Grundrauschen seiner Gedanken drängte er weg, so gut er konnte, unwillig sich mit den tausend Fragen zu beschäftigen, die dort auf ihn lauerten. Dafür bliebe später noch Zeit. „Weißt du, wann der nächste Bus kommt?”, kam eine Frage aus dem Nichts heraus. „Äh, ne. Die kommen etwa alle zwanzig Minuten, aber wann genau, keine Ahnung.” Er blickte den kleinen Anstieg zur Bushaltestelle hinauf. Es standen schon einige Wartende dort, doch der Erfahrung nach nicht genug, als dass der letzte Bus schon lange abgefahren sein könnte. „Wir sind ja schnell da”, befand Amir. „Ja, aber was-” Weiter kam er nicht. Erstaunlich kräftig zog der Geschäftsmann ihn zwischen zwei parkenden Autos durch in eine etwas dunklere Ecke. Er ächzte, als sein Rücken auf die grobe Bruchsteinmauer traf. Sein Laut wurde von einem anderen Mund verschluckt, der sich verlangend auf seinen presste. Schlanke Finger, ohne die schwieligen Anzeichen körperlicher Arbeit, hielten sein Kinn und legten die Spitzen bis an seinen Hals. Jakob schmunzelte, halb in sich hinein, halb in den Kuss, den er nun ebenso leidenschaftlich erwiderte. Scheinbar war er nicht der einzige, dem gerade die Gefühle durchgingen und das war wirklich beruhigend. Er saugte an seiner Unterlippe, tippte mutig mit seiner Zungenspitze dagegen und bat um Einlass. Gerade, als er seine Arme um den anderen schlang und ihn näher an sich zog, öffneten sich die verführerischen Lippen und ließen ihn ein. Amir verschränkte die Finger in seinem Nacken als hätte er Angst, dass Jakob plötzlich zurückweichen könnte. Als ob ihm das jetzt einfallen würde. Was hektisch begann, wurde ruhiger, sanfter. Sie neckten sich, schmusten und knutschten so ausgelassen, dass sie beinahe die Ankunft des Busses verpasst hätten. Sie grinsten sich verschwörerisch an, Jakob klaute sich einen letzten, eher keuschen Kuss, ehe sie sich beeilten und gerade so noch einen Stehplatz ergattern konnten. Hier benahmen sie sich, abgesehen von dem ungebetenen Publikum waren mehr als kleine Berührungen bei der Fahrweise des genervten Busfahrers ohnehin nicht möglich, ohne einen Unfall zu provozieren. Sie wurden aus der stickigen Wärme ausgespuckt und eilten Richtung Auto, ehe die Gehwege von schlendernden Touristen verstopft werden konnten. Jakob schloss seinen Pickup auf und sie steigen ein. Warm legte sich Amirs Hand auf sein Bein, knapp unterhalb des Knies. Er warf einen Blick zur Seite und erwiderte das Lächeln. Kaum auf der Hauptstraße, legte er seine Hand über die von Amir. Es kribbelte aufgeregt in seinem Körper, nur langsam begriff er, was passierte und konnte es doch nicht glauben.   Der Hof, auf den Jakob sie lenkte, lag ein Stück eine schmale Straße voller Schlaglöcher entlang. Einige Lampen brannten und beleuchteten die Einfahrt und einen Teil der Gebäude. Amir hatte kaum Zeit, sie zu betrachten, denn schon sprang Jakob aus dem Wagen, von einer plötzlichen Eile erfasst. Ach ja, da war ja ein Grund für ihren plötzlichen Aufbruch gewesen und der war nicht auf die aufgeladene Spannung zwischen ihnen zurückzuführen. Schnell folgte er dem Blonden zum Haupthaus und durch die grüne Holztüre in einen hellen, in Beige gehaltenen Flur hinein, wo dieser hinter einer weiteren Türe verschwand und nur noch rief: „Keine Sorge, Paula liebt Menschen.” Mehr Vorwarnung bekam er nicht, da stand schon ein verdammt großer, schwarz-brauner Hund mit weißem Brustfell vor ihm. Den großen Kopf mit den runden braunen Augen fragend schiefgelegt, die Rute unsicher von links nach rechts pendelend. „Huch, du musst dann wohl Paula sein”, stellte Amir nach dem ersten Schreck fest und hielt dem Tier seine Hand zum Schnüffeln hin. Die Hündin stupste sie mit ihrer feuchten Nase an und wedelte dann deutlich aufgeregter mit der Rute. Vorsichtig strich er ihr über den Kopf, was noch mehr Begeisterung hervorrief. Scheinbar hatte sie das gleiche aufgeschlossene Gemüt wie ihr Herrchen. Apropos? „Jakob?”, rief er fragend. „Moment. Welche Schuhgröße hast du?” „44, warum?”, fragte er skeptisch zurück, während er weiter den Hund kraulte. Doch da kam der Blonde schon in einer grünen Latzhose und dicken Socken zurück. „Weil du dir deine Schuhe wohl kaum im Stall versauen willst.” Er hielt ihm nicht nur ein Paar eingestaubter Gummistiefel, sondern auch eine wasserfeste Überziehhose und eine Jacke entgegen. „Oh, das macht Sinn. Danke.” Etwas beschämt, dass er sich darüber keine Gedanken gemacht hatte, nahm er die Sachen entgegen und zog sich um, die Nase von Paula ständig im Weg. „Komm, wir gehen hier hinten raus.” Jakob verschwand wieder durch die gleiche Tür wie zuvor, doch diesmal folgten ihm Amir und Paula. Der kleine geflieste Raum beherbergte einige ordentlich aufgereihte Paar Arbeitsschuhe und Stiefel, wovon sich Jakob direkt ein Paar anszog, diverse Jacken und eine alte Waschmaschine, von der Amir hoffte, dass Jakob sie nicht auch für seine guten Klamotten verwendete. Der Geruch nach Tier hing hier deutlich in der Luft. Der Blonde schloss eine weitere Tür auf und schon waren sie wieder im Freien. Die Hündin ergriff sogleich die Gelegenheit und stürmte voraus, doch ihr Herrchen schien das nicht weiter zu beunruhigen. Vermutlich war es für einen Hofhund auch durchaus üblich frei herumlaufen zu können. Sie steuerten auf ein offenes Tor zu, durch das Licht nach draußen fiel und Stimmen zu hören waren. Jakob bog hinein und wurde sogleich begrüßt und bestürmt. Amir blieb verdutzt im Eingang stehen. Er hatte fest mit einem Kuhstall gerechnet, so einen, wie er ihn als Kind im Urlaub manchmal gesehen hatte. Doch das Tier, welches die große Schnauze neugierig in seine Richtung streckte, soweit es seine Stalltür zuließ, war selbst für einen Städter wie ihn eindeutig keine Kuh. „Pass auf, der knabbert dir an der Jacke, wenn du ihn lässt”, warnte Jakob, der wieder zu Amir getreten war. Der Schwarzhaarige trat vorsichtshalber einen Schritt zurück und sah den anderen mit großen Augen an. „Du hast einen Pferdehof?”, bekam er ganz perplex raus. „Ja? Hatte ich das nicht erwähnt?” Der nicht ganz so bauerige Kerl kratzte sich am Kopf und grinste schief. „Nein, hast du nicht. Ich dachte du hast Kühe oder so.” „Ups. Kam wohl einfach noch nicht zur Sprache.” Er zuckte mit den Schultern, drehte sich um und winkte Amir, ihm zu folgen. „Der Hof war früher von meinen Eltern, die hatten tatsächlich mal Rinder und nebenbei immer eine kleine Pferdezucht. Das Geschäft mit Rindern lohnt sich aber heute nicht mehr, nicht bei unserer kleinen Größe und wenn man halbwegs artgerecht halten will. Also bin ich direkt in die Pferdewirtschaft gegangen.” Während er redete, gingen sie an einigen Boxen vorbei, bis sie an drei offenen Türen ankamen. Amir kannte sich nicht aus, das Wasser auf dem Boden sah aber nicht aus, als gehöre es hierhin. Statt der erwarteten Huftiere befanden sich die zwei junge Frauen im Inneren, die Jakob eben schon begrüßt hatten. „Kann ich irgendwie helfen?”, fragte der Schwarzhaarige mutig in die Runde und bekam sogleich eine Mistgabel in die Hand gedrückt. „Wir können das komplette Stroh entsorgen, das ist nicht mehr zu retten. Einfach in eine der Schubkarren rein. Ich kümmere mich mal um die kaputte Leitung.” Jakob nickte zu einer halbvollen, grünen Schubkarre und ging selbst in die mittlere der drei Boxen. Von der Decke kam ein dünnes Rohr die Wand hinab, nur um auf Hüfthöhe abrupt zu enden. An der Wand war noch zu erkennen, dass dort eigentlich noch etwas angebracht worden war. Ein Blick in die linke Box zeigte an genau dieser Stelle eine kleine runde Schale mit einem silbernen Hebel. Wie auch immer, dies schien eine Art Tränke zu sein. Unter den neugierigen Blicken der Damen begann er damit, mit der übergroßen Gabel in das goldgelbe Stroh zu stechen. Gar nicht so einfach, die Hälfte rutschte ihm direkt wieder herunter und es brauchte einige Versuche, bis die erste nennenswerte Ladung auch in der Karre landete. Das leise Kichern von nebenan überhörte er lieber. Blöde Weiber, was gab es da zu lachen? Konnte ja nicht jeder auf einem Bauernhof aufwachsen und die Handgriffe kennen. Energisch förderte er eine weitere klägliche Ladung Stroh hinaus und stach die Zinken anschließend erneut in das nasse Pferdebett. In seinem Nacken begann es zu kribbeln, noch bevor er die Präsenz des anderen Mannes an seinem Rücken spüren konnte. „Halt den Stil so”, erklärte Jakob nah an seinem Ohr und schob Amirs Hände mit den eigenen am Holz entlang. Der konnte nicht widerstehen und lehnte sich unauffällig ein Stück zurück, bis er an der Brust hinter ihm lehnte. Jakob brummte leise und drückte ihm einen Kuss auf den Kieferknochen, knapp unterhalb des Ohrs. Überrascht blickte der Geschäftsmann hinter sich in ein verschmitztes Grinsen, was völlig unbeeindruckt von ihren Zuschauerinnen schien. Das entlockte auch Amir ein Schmunzeln. Dass der andere aus seiner Orientierung keinen Hehl machte, überraschte und beeindruckte ihn auf gewisse Weise sogar.   Wie auch immer er sich den Abend vorgestellt hatte, über eine Stunde mit dreckigen Gummistiefeln in einem Pferdestall zu stehen, während ein verdammt heiß aussehender Bauer, äh, Pferdewirt mit diversem Werkzeug eine Wasserleitung flickte, war in seinen Fantasien nicht vorgekommen. Wenigstens waren die beiden kichernden Frauen irgendwann unter viel Tamtam und verschwörerischen Blicken verschwunden und bedrängten ihn nicht weiter mit neugierigen Fragen, sobald Jakob außer Sicht war. Waren die immer so aufdringlich? Erschöpft lehnte er sich auf den Besen in seiner Hand und starrte wenig subtil auf Jakobs Hintern, der sich in halb kniender Position besonders hervortat. Nein, er könnte sich wirklich schönere Dinge vorstellen, aber wenn er Hilfe anbot, zog er die nicht zurück, nur weil es ungemütlich wurde. „So, ich glaube das war's”, verkündete Jakob die erlösenden Worte, erhob sich und streckte den Rücken durch. Amir wollte sich keine Blöße geben und seine Erleichterung nicht zu offensichtlich zeigen. Möglichst lässig verlagerte er sein Gewicht zurück auf beide Füße und seinen Blick weiter nördlich. „Hilfst du mir noch die Pferde wieder reinzuholen?”, fragte der Blonde weiter und sah ihn abwartend an. „Ich?” Jakob lachte. „Natürlich du. Oder siehst du hier sonst noch wen?” Amir schnaubte. „Außer deinen Hund? Ne. Na gut, ich versuch's. Aber ich warne dich, ich kenne Pferde nur aus dem Streichelzoo.” Er stellte den Besen zum restlichen Kram und ging hinter Jakob her in die Dunkelheit, Paula neben sich. Der Hund schien einen Narren an ihm gefressen zu haben und Amir konnte nicht leugnen, den großen braunen Augen nicht zumindest ein bisschen verfallen zu sein. Nach nur wenigen Metern kamen sie zu einem Holzgatter, über welches sich gleich drei Pferdeköpfe mit gespitzten Ohren in ihre Richtung streckten. Jakob redete auf die Tiere ein und schickte sie mit einem einfachen Handzeichen auf Abstand, sodass er das Tor ein wenig öffnen konnte. Wie durch Zauberhand erschienen drei Stricke in seiner Hand, die er geübt an den Tieren befestigte. „Du kannst Bruno nehmen, der ist totenbrav. Lauf uns einfach nach und gleich dann in die rechte Box.” Bruno, ein kräftiges Tier mit einem gigantischen Kopf und ebenso treudoofen Augen wie Paula, drückte seine große Schnauze prompt in Amirs Gesicht, kaum dass der den Strick übernommen hatte. „Bah, lass das Junge, ich will deinen Sabber nicht!” Mit der freien Hand wischte er sich über die Wange und sah das große Pferd gespielt böse an, was dieses herzlich wenig beeindruckte. Ebenso die Tatsache, dass da ein Mensch am anderen Ende der Leine hing. Bruno stiefelte wie selbstverständlich hinter Jakob und den beiden deutlich edleren Tieren her und machte sich nicht viel aus Amir. Der war darüber insgeheim sogar ganz froh und tat so, als wäre es irgendwie doch sein Verdienst, das Pferd in seinen Stall zurückbefördert zu haben. Jakob half ihm noch, das Halfter abzunehmen, dann schlossen sie gemeinsam die letzte Boxentür. Unschlüssig standen sie voreinander. Der gemeinsame Abend schien vorbei, Abschied hing in der Luft. Amir wollte noch nicht gehen, nicht nur, weil er sicherlich roch, als wäre er einmal durch den Misthaufen gerollt. Als hätte Jakob seine Gedanken gelesen, setzte er an: „Du kannst gerne hier duschen, wenn du willst...” „Gern”, stimmte Amir zu, traute sich nicht, zu laut zu sprechen. „Und, wenn du magst...” Der Blonde beendete seinen Satz nicht, wirkte plötzlich unsicher, obwohl er noch kurze Zeit zuvor offen mit ihm vor Zeugen geflirtet hatte. Doch für Unsicherheiten war heute kein Platz, befand Amir. „Ich mag”, sagte er. Fest. Entschlossen. Überwand die kurze Distanz zwischen ihnen, legte eine Hand in den Nacken des anderen und zog ihn in einen Kuss, der keinen Raum mehr für Spekulationen ließ. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)