Sherlock Holmes - Das verschwundene Haus in Sussex von kentasaiba2 ================================================================================ Kapitel 1: In der Baker Street ------------------------------ Anmerkung des Autors John H. Watson: Folgende Erzählungen finden im Frühjahr 1886 statt und schildern jene Ereignisse, die ich bereits in der Geschichte 'Die indische Kette' referenziert habe und auf einen späteren Zeitpunkt verschob. Dies ist nun chronologisch gesehen bereits die zweite Reise mit Holmes nach Sussex, 6 Monate nach unseren letzten Erfahrungen dort, welche ich unter dem Titel 'Der Vampir von Sussex' festhielt. Zusätzlich gebe ich mit dem Ende dieser Geschichte etwas mehr Kontext zu Holmes' zukünftigen Plänen, welche ich bereits zu Beginn des Abenteuers 'Der zweite Fleck' offenbarte und einen großen Einschnitt im Leben des Meisterdetektivs darstellen. Zunächst möchte ich meinen Lesern eines versichern. Es war natürlich nicht meine Intention, die Baker Street an diesem Freitag Abend aufzusuchen, in der Erwartung Mrs. Hudsons Kochkunst genießen zu dürfen. Nachdem ich bereits vor einigen Monaten unsere gemeinsame Wohnung verlassen hatte, hatte ich Anfangs noch unbemerkt meine gesamte Ernährung umgestellt. Nicht, dass meine liebe Frau Mary eine schlechte Köchin gewesen wäre, das Gegenteil war der Fall. Sie versuchte sich in immer neuen Gerichten und war täglich früher auf dem Markt, als ich in meiner Praxis. Dies schlug sich jedoch in dem Fakt nieder, dass sie es vorzog nur möglichst gesunde Gerichte zuzubereiten. Ich konnte mich nicht entsinnen, wann ich zuletzt ein großes Stück Schweinefleisch, oder eine Hühnerbrust auf den Teller bekommen hatte. Natürlich war mir bewusst, dass ich keinerlei Recht zu einer Beschwerde besaß. Als Arzt konnte ich meiner Gattin nur rechtgeben, dass eine gesunde Ernährung ein wichtiges Element darin war, für seine Gesundheit zu sorgen. Dennoch verging der Wehmut nicht, fetthaltige und schmackhafte Gerichte zu verköstigen. Mrs. Hudson hatte nie derartige Gedanken verschwendet, weswegen es sehr selten vorkam, dass Holmes und ich auswärts Essen warten, als ich noch in unserer gemeinsamen Wohnung residierte. Mir der Annahme meiner Frau, ich würde mich nur einmal wieder zum gemeinsamen Zigarren rauchen zu meinem alten Freund begeben, betrat ich die nächste Droschke und erreichte eine halbe Stunde später die Baker Street 221B. Als ich eintrat, begrüßte mich die betagte Haushälterin bereits überschwänglich und wollte wissen, ob ich denn zum Essen bleiben würde. Ich bejahte. Ich verzichte darauf sie zu fragen, in welchem Zustand Holmes denn an diesem Abend sein würde. Ich würde mir gleich selbst ein Bild davon machen. Ich fand den Detektiv wie meistens in seinem Arbeitszimmer, die neueste Ausgabe der Times studierend. Dies verriet mir, dass er den Tag über wohl auswärts verbracht hatte und erst nun dazu gekommen war. Er murmelte einen kaum verständlichen Gruß und verzichtete auch darauf, zu mir herüberzusehen. Ich setzte mich ihm gegenüber und berichtete ihm, dass das Abendessen bald bereitstehen würde. „Sie kommen gerade recht, Watson. Ich verspüre ohnehin keinen großen Hunger, Sie können sich nach Herzenslust bedienen.“, bot der Detektiv an. Ich räusperte mich hörbar. „Holmes, wie oft haben wir das schon diskutiert? Als Ihr Arzt muss ich Sie stets daran erinnern, wie wichtig Kalorien für Ihr Denkvermögen sind. Und auf jenes wollen Sie ja wohl kaum verzichten, nehme ich an.“ Mit diesem Argument hatte ich eigentlich so gut wie immer Erfolg. Vielleicht lag es daran, dass Mrs. Hudson mich in letzter Zeit des Öfteren einlud. Holmes wirkte auf mich wirklich etwas abgekämpfter als sonst und etwas Erholung würde ihm bestimmt gut tun. Doch mir war klar, dass er viel zu beschäftigt war, um auch nur an das Wort zu denken. „Und, Holmes? Irgendwelche neuen Klienten?“, wollte ich von ihm wissen. Der Detektiv klappte die Zeitung zu und richtete sich auf. „Fragen Sie mich doch bitte in den nächsten Minuten noch einmal, guter Doktor.“ Ich wollte bereits nachhaken, worauf er sich damit bezog, da vernahm ich bereits Schritte im Treppenhaus. Holmes hatte sich mit seine ausgezeichneten Gehör natürlich wie immer zuerst bemerkt, auch wenn sie diesmal etwas lauter klangen als sonst. „Ich nehme stark an, dass es sich um einen neuen Klienten handelt. Aufgrund der Lautstärke lässt es sich auf einen etwas korpulenteren Mann schließen. Doch diese Abstände lassen darauf schließen, dass er sich bereits im sehr fortgeschrittenen Alter befindet. Dennoch ist eine gewisse Eile zu vernehmen, was für einen neuen Klienten spricht.“ Ich konnte kaum etwas erwidern. Wenig später wurde bereits die Tür geöffnet und ein ergrauter Mann mit korpulenter Statur stand im Arbeitszimmer. Er keuchte geradezu und rang damit einen Gruß auszustoßen. „Guter Mann, unsere Haushälterin soll Ihnen sogleich ein Wasser bringen.“, hatte ich mich erhoben um Mrs. Hudson zu verständigen. Der Mann wehrte aber ab. „Schon in Ordnung, dies bot sie sofort an, als sie mich vor wenigen Momenten einließ. Auch wenn ich zugeben muss... einen Whiskey besser gebrauchen zu können.“, gestand er. Sofort bot ich dem Mann meinen Stuhl an, welcher dieser dankbar annahm. „Mr. Holmes, nehme ich an? Ich habe bereits viel über Sie gehört. Und ich hoffe inständig... dass Sie auch mir helfen können.“, sagte er nun, seine Fassung wiedererlangt. Der Detektiv nickte. „Ich möchte es zumindest versuchen. Immerhin haben Sie einen weiten Weg hinter sich. Sie kommen vom Land, vermutlich aus Süd-Sussex. Da Sie sich bereits seit nun längerer Zeit im Ruhestand befinden, sind Sie solch längere Reisen wahrscheinlich auch nicht mehr gewohnt und es hat Sie einige Mühe gekostet.“ Der Mann verharrte einen Moment. „Das trifft alles zu. Aber... woher wissen Sie das? Immerhin habe ich Ihnen zuvor kein Telegramm zukommen lassen“, wand er ein. Holmes winkte ab. „Ihre legere Kleidung verrät bereits, dass Sie keinen großen Wert mehr geschäftliche Termine legen. Ihr Auftreten hingegen ist immer noch jenes eines erprobten Geschäftsmannes. Ihre Konstitution auf der anderen Seite zeigt eindeutig, dass Sie bereits seit Jahren dem Müßiggang verfallen sind. Aufgrund Ihrer Bräune stelle ich fest, dass Sie sich auf dem Land niedergelassen haben und aufgrund des Grades käme der Süden Sussex' dafür am ehesten in Betracht.“, erklärte sich der Detektiv. Der Mann nickte langsam. „Mein Name ist James Whitmore. Bis vor einigen Jahren war ich der Direktor der Shore & Cline Bank hier in London. Ich war überaus erfolgreich muss ich gestehen und habe noch heute Beziehungen zu der Bank und lasse meine Aktien über sie verwalten. Doch vor einigen Jahren war es dann endlich so weit und ich wurde in den wohlverdienten Ruhestand entlassen. Meine Frau und ich entschieden uns für die Abgeschiedenheit Sussex', ein ruhiges Anwesen, nahe Brighton. Nichts aufwendiges, keine Tiere, keine Felder oder dergleichen. Meines Frau kümmerte sich leidenschaftlich um ihren kleinen Garten, bevor sie vor zwei Jahren von uns ging. Seitdem verlasse ich nur noch selten das Anwesen. Ein Junge fährt zweimal die Woche bei mir vorbei, dem ich eine Liste mit Waren überreiche, welche er mir dann aus der Stadt mitbringt. Eigentlich habe ich nicht viel Kontakt zu anderen Leuten, mit einer Ausnahme. Und dies ist auch der Grund meines Besuchs. Ich fürchte, dass es ein Menschenleben in Gefahr ist.“, schloss er seine Vorstellung. Holmes konnte dies keine merkliche Reaktion abringen. Immerhin hatte er es stets mit solchen Fällen und Gefahren zu tun. Nachdem Mrs. Hudson ihm ein Glas Wasser gebracht und ihm außerdem eine Einladung dem Abendessen beizuwohnen abrang, bat Holmes den ehemaligen Banker dann, weiterzuerzählen. „Wie bereits erwähnt, ich hatte nicht viel Kontakt zu anderen Personen. Die einzigen Ausnahmen sind der Junge, der die Einkäufe für mich erledigt... und Mr. Harryman, mein direkter Nachbar. Wir teilen eine Leidenschaft für das Schach spielen, auch wenn ich zugeben muss, ihn bisher kein einziges Mal schlagen gekonnt zu haben. Jedoch... befürchte ich dass diese gemeinsame Vergnügung ein jähes Ende gefunden hat. Heute Morgen wollte ich sein Haus aufsuchen, da ich am selben Tag etwas bei ihm vergessen hatte. Allerdings... nein, würde ich meinen Satz beenden, würden Sie mich sofort als Verrückten abstempeln.“, kam er zu dem Schluss. Ich konnte Mr. Whitmore aber versichern, dass weder ich, noch Holmes so reagieren würden. Immerhin hatte sich mein Freund dem Lösen der abstrusen und irreführendsten Rätseln verschrieben. Doch der Banker im Ruhestand ließ sich nur schwer besänftigten „Fort... einfach fort! Ich kann es immer noch nicht fassen.“ Ich runzelte die Stirn. „Ihr Freund, Mr. Harryman? Sie denken, ihm könnte etwas zugestoßen sein? Eine Entführung sogar?“, wollte ich wissen. Mr. Whitmore brauchte eine Weile für Antwort, da er mit sich rang. „Nein... das hießt... ja. Auch er ist verschwunden. Aber ich meine... sein Haus! Sein Haus ist weg! Als wäre es aus dem Boden gerissen worden und ins Nirgendwo verschwunden!“, wurde er konkreter. Holmes und ich warfen uns skeptische Blicke zu. „Sein... Haus? Sie sagen also, das Haus des Mannes befindet sich nicht mehr an Ort und Stelle?“, hakte ich nach und erwartete, ihn falsch verstanden zu haben. Doch Mr. Whitmore bestätigte es. „Als ich am selben Tag noch einmal zum Anwesen meines Nachbars ging, war das Haus verschwunden! Eine kahle Stelle prangte auf dem Grund, auf dem es gestanden hatte. Ich rief nach meinem Freund, doch keinerlei Antwort. Seine private Kutsche, selbst der Briefkasten, alles verschwunden! Einzig und allein der Zaun befand sich noch dort, wo er immer stand.“ Ich räusperte mich. „Sie sagen also, nicht nur Mr. Harryman wäre verschwunden, sondern... auch gleich sein gesamtes Anwesen? Es soll sich buchstäblich in Luft aufgelöst haben? Also wäre es sich in sich zusammengestürzt... oder sogar abgerissen worden?“, verlangte ich nach mehr Informationen. Holmes tadelte mich sofort. „Aber Watson, haben Sie dem guten Mann nicht zugehört? Er erwähnte, noch so gleich am selben Tag zu jenem Anwesen gegangen zu sein. In dieser Zeit ist es unmöglich, die Trümmer eines Gebäudes wegzuräumen, unabhängig ob es durch einen natürlichen Grund einstürzte oder abgerissen worden wäre.“ Dies wollte ich natürlich nicht auf mir sitzen lassen. „Aber Holmes! Ein Haus besteht immer noch aus Stein und anderem festen Material. Dieses kann sich nicht einfach so in Luft auflösen.“ Der Detektiv seufzte. „Mr. Whitmore. Darf ich Sie bitten alles von Anfang an zu berichten? Ich denke, so können wir uns am besten ein Bild der Ereignisse machen.“, bat er seinen Klienten. Der ältere Herr nickte und überlegte einen Moment, wo er anfangen sollte. „Also gut. Ich erzähle Ihnen am besten, wie es zu der Bekanntschaft mit Mr. Harryman gekommen ist. Dann verstehen Sie meine Sorge bestimmt besser.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)