Die Kinder von Captain Waylon von Mondpiratin (Die Geschichte von Sabrina und Berthold) ================================================================================ Kapitel 1: Auf den Straßen Port Royals ist es niemals still ----------------------------------------------------------- „Sabrina, es ist Zeit. Zeit aufzustehen.“ Catherine kam in das Zimmer und lichtete die langen Vorhänge. Die Sonne schien herein und erhellte das möblierte kleine bescheidene Zimmer der Ziehtochter der Stuarts. Sabrina streckte sich zu allen Seiten und gähnte beherzt und ausgiebig. „Weißt du eigentlich, wie spät es ist? Ich bin hundemüüüüüde.“ „Schau mal aus dem Fenster, die Sonne wandert bereits in den Süden und ich habe dir schon oft genug gesagt, bleib nicht immer so lange auf, um mit dem Hund zu spielen.“ Der besagte weiße Schäferhund am Bettende murrte nur tief als Antwort und machte keine Anstalten, sich zu bewegen. Bertholds kleine Schwester, die nun den Namen Sabrina trug, richtete sich auf und kraulte verschlafen dem Hund verschlafen hinter den weichen Ohren. „Guten Morgen, Ava“, lächelte sie liebevoll ihren vierbeinigen Freund an. Ava grummelte nur als Antwort. „Sabrina, du musst nun wirklich aus den Federn. Dein Vater wartet unten auf dich. Er muss die Waren auf den Markt bringen und braucht deine Hilfe.“ Sabrina schlug ihre weißen Beine über die Bettkante. Viele blaue Flecken und schrammen zierten die weiche Haut. Grinsend erinnerte sie sich daran, wie sie gestern wieder die Bäume hochgeklettert war, um das Treiben der Stadt von oben zu betrachten, ganz zum Leidwesen ihrer Mutter Catherine Stuart. Sie hatte ihre Tochter schon oft genug ermahnt, dass dies viel zu gefährlich sei. Aber das war ihr Wesen, sie liebte das Risiko. Frei tuen und lasen können, was sie wollte. Grenzen zu überschreiten, die andere nicht wagten. Sabrina wollte wissen, wozu sie und ihr Körper fähig waren. Was es noch so alles gab, was nicht getan wurde aus Zweifel oder Furcht. Sie war ein ausgesprochen mutiges Mädchen. Sabrina griff sich ihren grünen Morgenmantel, warf ihn sich über die Schultern und stapfte ins angrenzende Badezimmer, um sich frisch zu machen. Im Spiegel sah sie das Gesicht einer bereits jungen Frau, welches gerade mal ihn ein paar Tagen ihre zarten achtzehn Jahre erreichen würde. Rotblondes Haar fiel ihr weich über den Rücken, ein kleiner frecher Pony lag fransig über ihren Augenbrauen und machten ihr Gesicht noch jünger und jugendlicher. Haut war im Gegensatz zu vielen anderen in der Gegend eher blass, was sie deutlich von den einheimischen unterschied. Mit ihren zierlichen Fingern strich sie sich über die Narben am Hals. Striemen zierten sie, rote Furchen, die schon von Klein auf in ihre Haut eingebrannt waren. Narben, die eine Geschichte erzählten, an welche sie sich selbst nicht erinnern konnte. Nicht selten wurde sie von anderen Kindern dafür verspottet, denn doch jedem war bekannt, dass ihre eigentliche Herkunft nicht edler Abstammung war. Sabrinas Eltern waren Piraten. Kaperer, Freibeuter, Korsar, Verbrecher. Sie plünderten, mordeten, lebten auf der See unter ihren eigenen Gesetzen, eigenen Werten. Unzivilisierte Wilde, so nannten ihre Eltern sie. Sarah Groves, die Schwester von James Norrington, einem hoch angesehenen Mann hier in Port Royal, hatte Sabrina eines Tages an Land gefunden und sie unter ihren Schutz gestellt. Wäre Sarahs Güte und unbändiger Entschluss nicht gewesen, dann wäre Sabrina wie alle anderen am Galgen gelandet. Oder sie wäre in die tiefsten Kerker gekommen, wo sie ihr gesamtes Dasein gefristet hätte, bis sie alt und krank wurde und irgendwo in einer Ecke im Dreck dahinsiechte und ihr toter Körper von Ratten zerfressen wurde. Stattdessen war sie nun die Ziehtochter von zwei sehr netten geschätzten und klugen Kaufleuten, die sie aufgenommen hatten wie ihr eigenes Kind. Catherine und Richard Stuart kümmerte es nicht, dass Sabrina von Piraten abstammte. Eltern verboten ihren Kindern, mit Sabrina zu spielen, befürchteten sie doch ihren schlechten Einfluss auf sie. Jungen verspotteten sie und Mädchen sahen sie abschätzend an, wenn sie nur die Straße betrat. Ständig spürte sie die Blicke, man könnte meinen, Sabrina hätte sich bereits daran gewöhnen sollen wie ein Zootier betrachtet zu werden, doch nach all den Jahren war ihr das Starren und Glotzen immer noch unangenehm. Sie war scheu, verspürte immer noch den Drang, zu fliehen wie ein junges Reh. Wäre da nicht William Turner, der Sohn des Schmieds, der es immer wieder schaffte, Sabrina aus diesen ausweglosen Situationen zu befreien. William, von meisten nur Will genannt, lebte neben den Stuarts in John Browns Schmiede und war, wie auch Sabrina, nicht bei seinen leiblichen Eltern aufgewachsen. Er hatte das Schmiedehandwerk bei seinem Meister gelernt und sie waren dafür bekannt, für die Navy die edelsten und schärfsten Schwerter herzustellen. Will war eine Augenweide, egal, wo er hinging, schmolzen die Augen der Frauen dahin. Mütter tuschelten mit ihren Nachbarn darüber, dass sie sich genau so einen Jungen als Schwiegersohn wünschten und gab es Anlässe, dann konnte jeder Bursche sich sicher sein, dass die meisten Mädchen doch lieber mit Will tanzen wollten. William Turner war aber nicht nur gut aussehend, er war auch talentiert, bescheiden, stets höflich und vor allem sehr einfühlsam. Sabrina konnte sich immer auf ihren Freund aus Kindertagen verlassen. Wenn es ihr zu viel wurde, Will war da. Wenn sie geärgert wurde, Will war da. Wenn sie mit Steinen beworfen wurde oder man sie in Pferdemist schubste, Will war da. Er erkannte ihre großen ängstlichen Augen, ihre zittrigen Hände, ihren schnellen hektischen Atem, wenn ihr alles zu viel wurde und sie drohte, zusammenzubrechen. Dann nahm er vorsichtig ihren Arm und zog sie in eine eher unbelebtere Ecke, damit sie sich von den ganzen Reizen und der ganzen sozialen Überforderung erholen konnte. Ja, William war Sabrinas bester Freund, den sie hier in Port Royal und neben Ava auch der einzige menschliche Kumpane. Aber sie wusste, dass seine Treue und sein Interesse jemandem anderen galt. Der Tochter des Gouverneurs, Elisabeth Swann. Eines Tages, da war sich Sabrina sicher, würde William nicht mehr bei den einfachen Kaufleuten sein Dasein fristen. Er würde aufsteigen und für die edleren Leute in Port Royal arbeiten. Dort war er hoch geschätzt und sie gönnte ihm das auch, er arbeitete hart und so konnte er auch Elisabeth öfter sehen. Sie wusste als einzige Vertraute, was er für Elisabeth empfand und ein Teufel konnte jeder tuen, sie deswegen auszufragen. Alles, was Will Sabrina anvertraute, war bei ihr sicher. Sie schwieg darüber, wie ein Grab. Behütete Geheimnisse wie wertvolle Schätze. Und das wusste auch Will und schätzte diese Eigenschaft sehr an seiner besten Freundin aus Kindertagen. Sabrina seufzte und band sich gedanklich abwesend die roten Haare zu einem Zopf. Dieser Tag war hoffentlich noch weit entfernt, denn wenn Will nicht mehr hier war, dann würden sie sich nicht mehr sehen. Und sie hatte niemanden mehr, dem sie sich anvertrauen konnte, geschweige denn auf sie aufpassen würde. In diesem Moment kam Ava ins Bad getapst und wedelte mit dem Schwanz. Sabrina lächelte. „Hast du etwa schon wieder meine Gedanken ausspioniert, Seelenhund?“ Ava wedelte noch doller mit dem Schwanz und leckte sich über die Nase. Sabrina hockte sich runter zu ihm und kraulte ihm das weiche schneeweiße Fell. Er war da. Ava war auch für sie da. Ava würde da sein, wenn alle Kerzen erstickten und die Welt dunkler wurde. Ava würde ihr den Weg weisen. Es war bereits volles Leben in Port Royal. Überall tummelten sich die Menschen. Kinder spielten auf den Straßen mit Stöcken und kämpften gegeneinander, einige Marktschreier boten ihre Waren an und Reisende von weit her vertraten sich die Beine und tauschten ihre erschöpften und viel zu übermüdeten Pferde an der Kutsche aus. Eigentlich ein ganz gewöhnlicher Morgen, wären da nicht die Soldaten, die patrouillierten. Mit ihren auffälligen roten roten Uniformen und ihren Hüten. Sabrina trug gerade eine schwere Kiste heraus, dabei schritt sie vorbei an Whale and Waterspout, eine Taverne, welche von Sir Garrett 1704 eröffnet wurde und nicht nur Matrosen eine Unterkunft gab, und bekam einen starken Alkoholgeruch in die Nase. Dumpf hallte leise Musik aus dem Inneren des Gebäude. „Wahnsinn, man könnte meinen, sie ersetzen ihren Schlaf mit sinnloser Trinkerei“, murmelte Sabrina zu sich selbst. Langsam taten ihre Finger weh und ihre Muskeln ließen nach. Tief atmete sie aus, als sie in die Hocke ging und die Kiste abstellte. Noch 16, sie musste sich ranhalten. Gerade wollte sie sich umdrehen, da lief sie in einen fremden Mann hinein. „Oh Entschuldigung“, stotterte sie und wollte sich gerade wieder aus dem Staub machen, als der Mann ihr Handgelenk festhielt. Sabrina wurde panisch. Es war der Ehegatte von Winnifred, der Nachbarin. Sabrina wusste bis heute seinen Namen nicht, sie nannte ihn still und heimlich immer den Karpfen, weil er so große Lippen wie ein Fisch hatte. Mit ihren Nachbarn aus der Weberei Sheep’n’cotton hatte die Familie Stuart nie eine gute Beziehung gehabt. Immer gab es irgendetwas, weswegen sie sich in die Haare bekamen, deswegen zog Sabrina es vor ihnen aus dem Weg zu gehen. Dass sie gerade in ihn hineingelaufen war, das war das gefundene Fressen für eine neue Streiterei. Au Backe! „Dieser Mantel hat ein Vermögen gekostet“, knurrte das „Fischmaul“ Sabrina von oben herab an. Sie konnte die Wulst unter dem engen Kragen an seinem Hals erkennen, ein großes Doppelkinn hatte er und Schweiß stand ihm auf der Stirn. Sabrina mochte seinen Geruch nicht und wich ihm aus. „Mach verdammt nochmal deine Augen auf, dummes Mädchen.“ Er schubste Sabrina von sich. Sie stolperte und fing sich gerade noch so auf den Beinen. In ihrem Magen machte sich ein Knoten bemerkbar. „Bloß nicht zu Herzen nehmen, Sabrina. Tief atmen. Er hat nur einen schlechten Tag“, wiederholte sie leise ihr Mantra und konzentrierte sich wieder auf ihre Tätigkeiten. „Sabrina beeil dich“, rief Richard von weit her seine Ziehtochter. Sabrina legte einen Zahn zu, doch ihre Wahrnehmung war durch diese ungeplante Situation immer noch ein wenig verschwommen. So lief sie erneut in eine Person hinein. Diesmal war es nur Sir Nelson, der um einiges netter war, aber die plötzliche Berührung brachte Sabrina aus der Ruhe, sie wurde hektisch und ehe sie sich versah, tänzelte sie auf die Straße. Lautes Wiehern, eine Kutsche, sie lief direkt vor ein Pferd. „Aus dem Weg, Fräulein!“, brüllte jemand, vermutlich der Kutscher. Sabrina konnte es nicht mehr ausmachen. Alles um sie herum war zu viel. Die Geräusche prasselten auf sie ein, Stimmen, Schritte, Quietschen von Rädern, Klirren von Geschirr, nichts konnte sie herausfiltern. Sie zitterte und verfiel in Panik, verlor ihre motorischen Fähigkeiten und fiel auf die Knie. Das Pferd stieg wiehernd, auf der anderen Seite kam eine andere Kutsche zum halten. Sie hielt sich die Ohren zu. „VORSICHT!“ „AUS DEM WEG!“ In diesem Moment lief ein Soldat auf die Straße, der den Vorfall mitbekam, ein Lieutenant der Royal Navy. Ein Mann mit einer blauen Uniform, einer weißblonden Perücke und einem Hut. Er hatte eigentlich gerade mit einem Schankwirt gesprochen und ihm ein Pergament gezeigt, doch als er aus dem Augenwinkel das rothaarige Mädchen vor die Kutsche stürzen sah, eilte er ohne nachzudenken los. Der Soldat machte eine Handgeste und positionierte sich mit gehobenen Armen direkt neben Sabrina, um die Kutschen und anderen Gefährten davon abzuhalten, das Mädchen anzufahren. Es gab Empörung und Notbremsungen, die mit viel aufgewühltem Staub und Sand endeten. Der Soldat aber schaffte es. Als die Situation nicht mehr so gefährlich war, hockte er sich zu Boden. „Miss, sind sie verletzt? Geht es Ihnen gut?“, erkundigte er sich lautstark und fasste sie an den Schultern. Als Sabrina nicht reagierte, half er ihr auf und brachte sie zur anderen Straßenseite. Mit wackeligen Beinen hatte sie Mühe, sich auf dem Bordstein hinzusetzen. Die anderen Soldaten kamen hinterher, einer nach dem anderen. Auch Richard eilte herbei, voller Sorge um seine Tochter. „Was ist passiert? Sabrina? Oh mein Gott, nicht schon wieder.“ „Sie hat wohl einen Schock erlitten aber sonst fehlt ihr nichts“, gab der Lieutenant zur Antwort. Sabrina reagierte jedoch immer noch nicht, sie war noch immer wie gelähmt durch den Vorfall und schämte sich, dass sie ohne Will wieder die Fassung verloren hatte. In Schockstarre saß sie da. War sie denn für gar nichts zu gebrauchen? Dieses Leben in Port Royal war zu viel für sie. Diese Stadt, diese vielen Menschen, der Lärm, die Hektik, das bunte Treiben. Nur ein ungeplantes Ereignis brachte sie durcheinander „Miss, schauen Sie auf meinen Finger“, befahl ihr der Lieutenant. Sabrina tat es. Es fiel ihr erst schwer, dem Finger mit dem Auge zu folgen, aber dann gelang es ihr. Es brachte ihr den Fokus zurück, allmählich kam sie wieder an im hier und jetzt. Sie sah alles wieder klarer, der Schleier lichtete sich und vor ihr war das Gesicht des Lieutenants deutlich erkennbar. „Da haben Sie aber nochmal wirklich Glück gehabt, Miss“, meinte er diesmal ein wenig ruhiger. „Sie müssen auf den Straßen besser aufpassen.“ Sabrina war zu überrumpelt. „Haben Sie großen Dank, Lieutenant Groves“, bedankte sich Richard bei dem Retter seiner Ziehtochter. „Sie hat das leider öfter diese Zusammenbrüche. Aber wir arbeiten daran.“ Gemeinsam halfen sie Sabrina auf. Sabrinas Beine waren noch ein wenig wackelig, aber mit der Zeit ging es. „Was machen Sie hier eigentlich auf den Straßen, Lieutenant Groves? Ist etwas vorgefallen?“, fragte Richard neugierig. „In Port Royal wurde ein gesuchter Piratenjunge gesichtet, den wir finden müssen. Haben Sie ihn vielleicht gesehen?“ Er holte ein Stück Pergament aus seiner Uniformtasche heraus. Es zeigte einen jüngeren Kerl mit einem schiefen Kiefer und einer ebenso leicht schiefen Nase. Er hatte eine Glatze, dafür aber einen gepflegten leichten Drei-Tage-Part. Darunter stand der Name Berthold. „Nicht das ich wüsste, was soll er denn hier in Port Royal suchen?“, fragte Richard und kratzte sich am Kinn. „Nun, das fragen wir uns auch“, gab Theodore Groves nur sachlich zurück. „Wenn Sie ihn sehen, geben Sie uns unverzüglich Bescheid. Dieser Mann ist ein schwerer Verbrecher. Jeder, der mit ihm in Verbindung steht oder verdächtigt wird, ihm geholfen zu haben, wird ebenfalls mit dem Tode bestraft. Anordnung von Sir Lieutenant Norrington.“ „Das werde ich tuen, Sir“, versicherte Richard. „Gut. Soldaten?“ Die Soldaten formatierten sich gehorsam vor Groves. Er gab ihnen ein Zeichen und sie stolzierten davon. Groves drehte sich noch einmal um, sah zu Sabrina und Richard, tippte höflich auf seinen Hut und marschierte dann mit den Händen hinter den Rücken hinterher. „Ich habe den Lieutenant noch nie so aufgebracht erlebt“, murmelte Richard. Sabrina hatte noch nie viel zutun gehabt mit der Royal Navy, geschweige denn mit dem Sohn von Sarah Groves. Der hatte bestimmt auch viele Verehrerinnen, so wie William. Wie er wohl mit Vornamen hieß? „Ach Sabrina, hör auf zu träumen“, schellte Sabrina sich selbst in ihren Gedanken. „Komm Sabrina“, sagte Richard. „Wir müssen weiter machen.“ Sabrinas Retterin von damals, Sarah Groves, war zu ihrer Zeit nicht nur eine hoch angesehene Frau in Port Royal, sie war auch vor allem für ihre Gutherzigkeit bekannt und dass sie Kinder über alles liebte. Mit ihrem Mann Terence Groves hatte sie nur einen Sohn, aber diesen liebte sie über alles. Vater und Mutter waren sehr stolz darauf, was Theodore Groves in so kurzer Zeit in seinem Alter alles erreicht hatte. Schon als kleiner Junge war Theodore sich sicher gewesen, dass er unbedingt der Royal Navy dienen wollte. Sarah machte sich immer noch Sorgen. Es war ein hartes Stück Arbeit gewesen. Nicht wegen Theodores Fähigkeiten, der Junge war überaus intelligent, konnte schon mit fünf Jahren lesen und schreiben, sein Gedächtnis und Erinnerungsvermögen war überaus hervorragend und im Schwertkampf stellte er sich überaus geschickt an. Man könnte meinen, er wäre perfekt für die Navy, aber da gab es ein kleines Problem. James Norrington war der Meinung, Theodore war für einen Soldaten zu freundlich und zu vorkommend. „Wenn du Soldat werden willst, musst du auch Leben nehmen. Du kannst nicht zögern. Denn ehe du dich versiehst, hast du selbst ein Schwert im Rücken.“ Das hatte James Norrington zu seinem Neffen gesagt. In seiner harten Ausbildung war Theodore das Gespött der anderen Jungs. Theodore, der nicht den Mumm dazu hatte, zu töten. Theodore, der Gefangene entwischen ließ. Theodore der Feigling, der sich vor einem Kampf scheute und die Auseinandersetzungen lieber diplomatisch beenden wollte. All das machte ihn anders, unterschied ihn stark von all den anderen Jungen. Sarah hatte ihm immer wieder tröstend über das Haar gestrichen, wenn Theodore nach Hause kam und seine Gedanken kundtat, was er alles nicht richtig fand und dass er, wenn er könnte, das Gesetz ändern würde. Durch harte Arbeit war es ihm gelungen, heute zum Lieutenant aufzusteigen. Ab da hatte sich das Blatt gewendet. Die anderen jungen Männer, die ihn damals gehänselt hatten, sahen nun zu ihm auf und nahmen seine Befehle entgegen. Bis jetzt war Theodore derjenige, der noch nie getötet hatte. Und er wünschte sich auch, dass dies eine Weile so bleiben würde. Doch natürlich war er nicht dumm. Er wusste, eines Tages würde es dazu kommen. Dann war er gezwungen die Waffen zu benutzen, und sei es nur, um jemanden zu beschützen, den er liebte. Die Welt da draußen war hart und gnadenlos. „Sir, wir haben den gesamten Anleger abgesucht, dort ist keine Spur von Berthold.“ Groves nickte als Bestätigung, dass er verstanden hatte. „Gute Arbeit, stellt Wachen an jeden Steg und jede Planke. Er darf auf keinen Fall entkommen. Um von hier wegzukommen, brauch er ein Schiff oder ein Boot. Sobald ihr jemanden Verdächtigen am Wasser seht, möchten ich und Lieutenant Norrington umgehend davon erfahren.“ Die Soldaten verteilten sich am ganzen Hafen. Es wurden stetig mehr, denn sie hatten es immerhin mit einem gefährlichen Mann zutun. „Was sollen wir tuen, Sir, wenn wir ihm begegnen?“ „Wir brauchen ihn lebend, schießt nur auf seinen Oberschenkel. Wenn er nicht laufen kann, ist er hoffentlich nur halb so gefährlich. Trotzdem ist höchste Vorsicht geboten. Die Piraten der Mondsenate sind bekannt für ihre rabiate und brutale Vorgehensweise. Sie sind weniger klug, dafür gefährlicher.“ Die ganze Nacht würde die Wache hier stehen, doch ohne Berthold zu Gesicht zu bekommen. Nicht weit vom Hafen entfernt, geschützt im Schatten, auf einem Gebäude hoch oben unter einem Sims, da versteckte sich Berthold. Er trug einen schwarzen Mantel und hatte die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Lediglich die Pfeife, die er rauchte, erhellte kurz seine Augen durch die Flamme. Zwei graublaue Augen, die so wachsam waren wie die Späher eines Seeadlers und die Ohren gespitzt, so wie die Lauscher eines Luchses. Jede noch so kleine Regung, noch so kleines Geräusch, Berthold nahm alles genauestens wahr. Ihm entging nichts, er war ein sehr guter Beobachter, der die Risiken genauestens abschätzte und sich alternative Szenarien bereits ausmalte, sollte etwas nicht nach Plan funktionieren. Das machte ihn auch gerade so gefährlich. Doch auch Berthold hatte eine Schwäche, so wie jeder Mensch irgendwo eine hatte, sei er noch so ein erfahrener Freibeuter. Spontanität. Er hockte sich instinktiv hin, als Theodore mit einigen Gefolgsleuten dicht unter ihm durch die Gasse marschierten. „Sir, was meinen Sie? Warum ist dieser Piratenjunge gerade jetzt, zu dieser Zeit, hier in Port Royal? Was mag er hier suchen?“ „Die Frage kann ich Ihnen leider nicht beantworten, Gilette. Da müssen Sie ihn bei Gelegenheit schon selbst fragen.“ Bertholds schiefer Kiefer verzog sich zu einem hinterhältigen Grinsen. „Theodore, da bist du ja endlich. Mein Augenstern.“ Sarah eilte in ihren Abendgewändern die Treppe hinunter, um ihren Sohn in der riesigen Eingangshalle in Empfang zu nehmen. Die Dienstmädchen senkten ihr Haupt, so wie es sich gehörte und eine von ihnen war dabei, Theodore den Mantel abnehmen zu wollen. „Alles gut, Hannah. Ich schaffe das schon, mach lieber Feierabend, es ist schon spät“, redete er der Bediensteten gut zu. „Wie Sie wünschen, Lieutenant.“ Hannah knickste und zog sich zurück. Sarah Groves hatte ihren Sohn nun erreicht und schloss ihn freudig in die Arme. Dabei gab sie ihm einen Kuss auf die Wange. „Ich bekomme dich nur noch so selten zu sehen. Man könnte meinen du bist mit deiner Arbeit verheiratet“, witzelte sie und strich Theodore über die Wange. Darauf konnte Theodore nur mit den Schultern zucken und verlegen seufzen.  Er dachte sich schon, worauf diese Anmerkung bezogen war. „Hast du Mary bereits getroffen und ihr unsere Einladung zum Essen übergeben?“ „Noch nicht, ich bin noch nicht dazu gekommen, sie einzuladen“, gab Theodore zu und wurde ein wenig rot um die Nase. Frauen anzusprechen, wenn sie ihm gefielen, fiel ihm nicht so leicht. Mary Beckett war aus gutem Hause, eine wirkliche Augenweide und sie hatte offensichtlich großes Interesse an Theodore. Schon eine ganze Weile machte er ihr den Hof. Er könnte sich gut vorstellen, sich mit ihr zu vermählen, sollte es so weit kommen. Wenn sich Familie Groves, Norrington und Beckett zu einer Einheit bildeten, konnte das sehr gut für die Politik und ihren Stand sein. Doch zurzeit bereiteten Theodore andere Geschehnisse Kopfschmerzen. Er legte seine Waffen ab und begab sich mit Sarah in Richtung des Wohnzimmers, welches rechts lag. Ging man links ab, erreichte man das Arbeitszimmer und die Bibliothek. Oben in der ersten Etage waren die Gemächer und ein paar Badezimmer, ging man die Treppe hinunter, fand man Küche, die Vorratskammer, die Abstellräume und die Gemächer der Bediensteten. Im Wohnzimmer, wo Theodore und seine Mutter jetzt waren, war ein großer Kamin, ein roter Perserteppich, zwei Tische, ein Schaukelstuhl, ein Sessel und ein Sofa mit edlen Stickereien. Die Wände waren in einem cremefarbenen weiß bestrichen und dort hingen einige Portraits der Familie, sowie diverse Landkarten. Einige davon hatte Theodore selbst angefertigt. Sarah nahm Platz im Sessel und nahm ihr Strickzeug in die Hand, während Theodore sich auf dem Sofa niederließ. Der Mutter entging nicht die nachdenkliche Mimik ihres Sohnes. „Beschäftigt dich etwas, mein Lieber?“ Theodore überlegte eine Weile. Sollte er wirklich aussprechen, was er gerade dachte? „Das Mädchen, welches bei den Stuarts wohnt, sie hat doch dasselbe Tattoo wie die Piraten der Mondsenate“, begann er zögerlich und sah dabei angespannt ins Feuer. „Berthold ist ebenfalls ein Teil dieser berüchtigten Bande. Könnte es sein, dass er hier ist wegen dem Mädchen?“ Sarah fiel das Strickzeug aus der Hand. Hektisch sammelte sie es wieder auf. „Du meinst, dass er hinter ihr her sein könnte?“ „Nicht direkt, vielleicht sind sie auch Verbündete. Piraten sind ja äußerst gerissen.“ Dabei blitzte etwas in seinen Augen auf, was seiner Mutter überhaupt nicht gefiel. „Theodore, ich weiß deine Begeisterung über die Welt da draußen zu schätzen. Aber deine Bewunderung gegenüber der Piraterie bereitet nicht nur meinem Bruder sorgen.“ „Ja Mutter“, gab er kleinlaut bei. Ja, Theodore konnte seine Anerkennung und seinen Respekt gegenüber den Piraten nicht so gut verbergen und gerade James Norrington ging das ziemlich auf den Keks. „Du solltest dich etwas hinlegen und schlafen, das war sicher ein harter Tag für dich. Geh nach oben“, lächelte Sarah und gab ihrem Sohn die Erlaubnis, zu gehen. Als ihr Sohn aufstand, konnte sie sich allerdings kein „und lade morgen endlich deine Freundin ein, du gefährlicher Soldat“ verkneifen. Theodore machte sich gleich auf. Er merkte erst jetzt, wie müde er bereits war und wie sehr seine Glieder an Erschöpfung litten. Gähnend schritt er die Treppen hinauf. Als ihr Sohn weg war, wurde Sarahs Gesicht wieder ernst. Sie legte ihr Strickzeug beiseite, legte sich einen Mantel um und ging aus dem Haus, ohne das einer der Bediensteten etwas davon bemerkten. Sie musste unbedingt zu den Stuarts und es war besser, niemand würde etwas davon mitbekommen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)