Norikos Tagebuch von Kenja ================================================================================ Kapitel 1: Die Farbe Gelb ------------------------- Hastig rannte er die Treppe hinauf. Seine Eile hätte ihn fast ins Straucheln gebracht, die Schüsseln in seinen Armen gerieten gefährlich ins Wanken. Mit einem Aufschrei versuchte Naruto den Turm aus Gefäßen auszubalancieren und schaffte es mit einem Ausfallschritt die größte Katastrophe zu vermeiden. Seufzend setzte er seinen Weg fort, nur dieses Mal mit etwas mehr Vorsicht. Naruto erreichte den Gang, in dem ihn das gleiche finstere Gesicht wie jeden Tag anblickte. Der Mann seufzte und musterte die Lieferung aus Essen in seinen Armen, dann tippte er auf ein Blatt. „Würden Sie bitte meinen Namen eintragen, ich habe die Hände etwas voll“, bat Naruto. Sein Gegenüber gab ihm keine Antwort, rollte mit den Augen und kritzelte Narutos Namen auf das Besucherformular. „Danke!“ Grinsend schob Naruto sich durch die Tür und fand schon bald sein Ziel. Auf einer Bank stellte er die Schalen ab und stellte erstaunt fest, dass er nicht allein war. „Nanu? Sakura, du bist ja auch hier.“ Sakura schenkte ihm ein Lächeln, doch es erreichte ihre Augen nicht. Naruto kratzte sich unbeholfen am Kinn. „Soll ich wieder gehen? Wollt ihr allein sein?“ Sakuras Augenbrauen schoben sich eng zusammen. „Nein“, sagte sie hastig und Naruto verstand nun gar nichts mehr. „Sie ist nicht meinetwegen hier“, mischte sich eine Stimme ein. Naruto riss seinen Blick von Sakura los und betrachtete Sasuke durch das Gitter einer Zelle. „Hm?“, machte Naruto verwirrt. „Ich wollte mit dir sprechen, Naruto. Aber du warst nie in deiner Wohnung ... Lee erzählte mir, dass du hier jeden Abend herkommst.“ „Mit mir?“, fragte Naruto, setzte sich nun jedoch in Bewegung. Er schnappte sich drei der Schüsseln und schob sie durch die Klappe in die Zelle. Sasuke seufzte, doch Naruto ignorierte es, wie jeden Abend. „Es gab heute drei unterschiedliche Ramen im Angebot, ich wusste nicht, welche du magst, also hab ich sie dir alle mitgebracht.“ „Wie oft soll ich es dir noch sagen? Ich bekomme hier genug zu Essen.“ „Na ja, aber dieses Zeug kann man sich ja wirklich nicht antun. Sakura, möchtest du auch eine Portion? Ich habe genug mitgebracht.“ Für einen kurzen Moment hatte Naruto das Gefühl, Sakura würde ihn gleich anschreien, doch sie lächelte milde. „Ja gern“, sagte sie und überforderte Naruto damit kurz. Er fing sich und beschrieb Sakura die verschiedenen Sorten an Nudelsuppen, die er mitgebracht hatte. Sie schnappte sich eine und öffnete den Deckel. Narutos Magen knurrte und er setzte sich auf die Bank neben seine Kameradin, die sich an die Wand gelehnt hatte. Sie saß in Narutos Richtung und schien Sasuke keines Blickes zu würdigen. Schon seitdem Ende des 4. Shinobi Weltkrieges hatte Sakura kein Wort mit Sasuke gesprochen und ihn auch nicht in seiner Zelle in der Verhöreinheit Konohas besucht. Naruto tauschte einen kurzen Blick mit Sasuke, dessen Gesicht emotionslos wirkte. Naruto wusste jedoch, dass es seinen Freund durchaus belastete. Trotz all seiner Reue-Bekundungen, hatte Sakura es nicht geschafft, Sasuke zu vergeben. „Also, worüber wolltest du mit mir sprechen Sakura?“ Sakura hatte ihre Suppe zur Hälfte gegessen und stocherte nur noch darin herum. Sasuke hatte sein Essen noch nicht angerührt. Naruto wusste jedoch, dass er dies tun würde, sobald sie fort waren. Die Stäbchen fielen aus Narutos Hand, der sie mit einem Fluchen wieder aufhob. Sakura betrachtete seinen bandagierten Arm mit offenem Interesse. „Wie kommst du mit der Prothese zurecht?“ Naruto betrachtete seine Hand und grinste: „Es wird langsam besser.“ „Du solltest deine Termine bei Tsunade-Sama wirklich einhalten, Naruto. Die Krankengymnastik ist wichtig, damit du die Prothese komplett zu beherrschen lernst.“ Naruto zuckte mit den Achseln und aß den Rest seiner Suppe auf. Sein Blick fiel erneut auf Sasuke und die Erinnerung an ihren Kampf zuckte durch seinen Kopf. Im Gegensatz zu ihm hatte Sasuke es abgelehnt, eine Prothese zu tragen. Naruto verstand nicht genau warum. „Also gut, es gibt da etwas, das ich dir zeigen wollte.“ Sakuras Worte rissen Naruto aus seinen Gedanken. „Was ist es?“, fragte er neugierig und beobachtete, wie Sakura ein Buch aus einer Tasche zog. Er runzelte die Stirn. „Es ist ja nett, dass du an mich denkst, Sakura, aber ich war noch nie der große Leser.“ „Die ist kein gewöhnliches Buch. Ich habe es gefunden ... auf dem Schlachtfeld. Kurz nachdem Kaguya besiegt wurde ... ich hatte es schon fast vergessen, aber nun ist es mir wieder eingefallen und ich habe es mir genauer angesehen.“ „Hmhm“, machte Naruto, immer noch nur mäßig interessiert. „Lass uns irgendwohin gehen, wo wir ungestört reden können.“ Naruto starrte Sakura für einen Moment an und schenkte ihr dann ein Lächeln. „Nein. Ich weiß, dass es dir schwerfällt, Sasuke zu verzeihen, nach allem, was geschehen ist. Aber er ist mein Freund und er wird hier den ganzen Tag allein eingesperrt. Ich werde hier bei ihm bleiben und Zeit mit ihm verbringen. Du musst also entweder warten, bis ich bereit bin zu gehen oder es hier besprechen.“ Sakura runzelte die Stirn. „Schon gut Naruto. Geh ruhig“, brummte Sasuke, doch Naruto dachte gar nicht daran. Auch wenn es den Anschein hatte, Sasuke genieße es, allein zu sein, wusste Naruto, dass dem nicht so war. Er wusste, dass Sasuke von seinen Schuldgefühlen übermannt wurde, sobald er auf sich gestellt war. Obwohl es gut war, wenn er seine Taten reflektiert und wahrhaft bereute, wusste Naruto doch, dass es Sasuke erneut zurück in die Dunkelheit ziehen konnte, zu viel in schlechten Gefühlen zu verweilen. Naruto erwartete fast, einen Protest von Sakura zu hören, doch sie seufzte lediglich und schlug das Buch auf. „Nun gut. Also dieses Buch ... es ist eine Art Tagebuch. Ich wollte es schon wieder weglegen, da fiel es mir aus der Hand und ich las einen ganz bestimmten Absatz, der mich etwas stutzig machte.“ Naruto schob die leere Schüssel von sich weg und zog sich die zweite Portion Ramen heran. „Was für ein Absatz?“, fragte er, um Interesse zu heucheln und machte sich über das Essen her. „Der Absatz lautete: Denn was nur die wenigsten wussten, war, dass der vierte Hokage, neben seiner Frau Kushina, zwei Schwächen hatte. Die eine war seine Vorliebe für Schokolade in allen Variationen, die ich schon oft ausgenutzt hatte. Minato ließ sich wirklich lächerlich einfach bestechen, wenn man ihm dafür seine Lieblingssüßigkeit bot. Die andere Schwäche hingegen, würde mir an diesem Tag besonders nutzen. Es war seine tiefverwurzelte Angst vor Spinnen.“ Hustend versuchte Naruto, etwas zu dem eben gehörten zu sagen. Der kitzelnde Schmerz in seiner Atemröhre hinderte ihn jedoch daran, auch nur einen Satz zu formen. Sakura klopfte ihm beschwichtigend auf den Rücken, bis er sich endlich gefangen hatte. „Mein Vater ... hatte Angst vor Spinnen? Wer zum Henker hat dieses Buch geschrieben und woher kannte er meinen Dad so gut?“ Sakura grinste nun breit und Naruto hatte das Gefühl, das erste Mal seit Tagen das alte Feuer in ihren Augen zu erkennen. „Genau das sollten wir herausfinden. Ich wollte das Buch weiter unter die Lupe nehmen, war dann jedoch den ganzen Tag in der Klinik beschäftigt und habe dann beschlossen, es mir mit dir gemeinsam anzuschauen. Wenn diese Person irgendetwas mit deinen Eltern zu tun hatte, wäre das nur fair, nicht?“ Ein warmes Gefühl durchströmte Naruto und er nickte dankbar. „Und jetzt was, willst du ihm das Buch vorlesen? Müsst ihr das wirklich hier machen?“, fragte Sasuke genervt und zwischen Sakuras Augenbrauen bildete sich eine kleine Zornesfalte. „Willst du deinem Freund wirklich so auf die Nerven gehen, Naruto? Wir sollten woanders hingehen. Dann erzähle ich dir noch von dem anderen interessanten Satz, den ich gefunden habe.“ „Welchem anderen interessanten Satz?“ Sakura rieb sich nachdenklich an ihrem Kinn. „Ich sah es, als ich das Buch grob durchblätterte. Es war so etwas wie: Und obwohl der Junge talentiert war, wie kein anderer, gab es doch eine Sache, die Itachi so gar nicht konnte. Er war furchtbar schlecht darin, witzig zu sein. Aus irgendeinem Grund versuchte er es jedoch seit einigen Tagen, was oft in seltsamen Situationen endete. Irgendetwas sagte mir, dass Shisui dahintersteckte.“ Sakura hatte sich von der Bank erhoben und zuckte mit den Schultern. Sie entfernte sich von der Zelle. Sasuke sprang auf. „Warte!“ Stille machte sich breit. Naruto erhob sich langsam von der Bank, bereit, einen aufkeimenden Streit zwischen seinen Kameraden zu schlichten. Sakura schnaubte auf, machte kehrt und setzte sich zurück auf die Bank. „Also, hat nun noch irgendjemand Einwände dagegen, dass ich das Buch hier vorlese?“ Naruto schüttelte den Kopf. Er sah aus den Augenwinkeln, wie Sasuke sich entspannte und zurück auf seine eigene Sitzgelegenheit innerhalb seiner Zelle setzte. „Gut. Ich fange aber ganz vorn an ... vielleicht erfahren wir dann auch den Namen des Autors, oder der Autorin dieses Buches ... -- Ich starre seit Stunden auf die weißen Seiten dieses Buches und finde keine Worte. Obwohl mein Kopf voll ist, mit all den Dingen, die geschehen sind und all den Sachen, die ich sagen will, findet nichts davon einen Weg hinaus. Nie hätte ich gedacht, dass mir der Anfang dessen am schwersten fallen würde. Die ersten Worte, die ich an dich, lieben Leser oder liebe Leserin richte. Ich weiß nicht, in wessen Hände diese Aufzeichnungen fallen werden, doch ich habe eine bitte an dich. Falls nicht schon geschehen, sorge bitte dafür, dass diese Schrift nach Konohagakure kommt. Sie soll ihren Weg finden in die Hände der Menschen, die mir einst so viel bedeutet haben. Ich hoffe aus der Tiefe meines Herzens, dass sie noch immer dort sind und so eines Tages diese Worte lesen, die ich für sie niederschrieb. Denn es ist nun fast sieben Jahre her, dass ich meine Heimat verließ. Ohne den Hauch einer Spur zu hinterlassen. Ich werde meine Geschichte von Anfang an erzählen, doch muss ich etwas vom Ende vorwegnehmen, um meine Glaubwürdigkeit nicht schon in den ersten Zeilen zu verlieren. Denn solltest du, lieber Leser oder liebe Leserin, aus Konoha stammen und die Menschen, die ich erwähne, vielleicht kennen – oder gar einer von ihnen sein, wirst du mich für eine Betrügerin halten. Eine Geschichtenerzählerin, die Märchen schreibt. Es ist jedoch die reine Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Nicht die Geschichte hier ist gelogen. Es sind die Erinnerungen, die verdreht und verbogen worden sind. Wenn du es bis zum Ende liest, wirst du es verstehen und mir vielleicht glauben. Aber bevor ich nun beginne, wunderst du dich sicher: Wozu das alles? Nachdem jeder Mensch, der mir einst wichtig war, meine Existenz vergessen hat, fühle ich mich, als würde ich nicht existieren. Das ist in Ordnung, ich habe mich für diesen Weg entschieden. Doch ich ertrage den Gedanken nicht, dass sich niemand jemals an mich erinnern wird, wenn ich eines Tages nicht mehr bin. Auch wenn es egoistisch von mir sein mag, wünsche ich mir, dass irgendjemand weiß, wer ich war und was ich getan habe. Mein Name ist Noriko und meine Geschichte beginnt am Tag meines sechsten Geburtstages. Es war der Tag, an dem meine Heimat zerstört wurde. Ich erinnere mich kaum noch an den Tag. Alles, was ich noch weiß, lässt sich in wenigen Sätzen zusammenfassen. Am Morgen meines sechsten Geburtstages besuchten wir das Grab meines Vaters, den ich nie kennengelernt hatte. Auf seinem Grab prangten gelbe Sonnenblumen – der Grund, warum ich die Farbe abgrundtief hasste. Alles Gelbe erinnerte mich durchgehend an die Trauer meiner Mutter, wann immer wir Vaters Grab besuchten und das bohrende Gefühl von Wut. Darüber, dass er gestorben war und uns zurückgelassen hatte. An diesem Tag waren wir jedoch nur kurz da und ich konnte meinen Groll beiseiteschieben. Die Vorfreude auf Kuchen tat den Rest. Meine Mutter hatte gebacken, meine Großmutter besuchte uns und schenkte mir ein neues Kleid in dunklen Blautönen, das gut zu meinem auffällig roten Haar passte. Ich aß Kuchen, spielte mit einer neuen Holzeisenbahn und meine Welt wurde mit einem Knall auseinandergerissen, der alles um mich herum in Schutt und Asche zu legen schien. Keuchend kam ich zu mir. Alles war so schnell gegangen, dass ich es kaum begreifen konnte. Meine Mutter hatte versucht, mich zu schützen, was ihr gelang. Eingeklemmt unter dem alten Esstisch war ich mit wenigen Kratzern davon gekommen. Ich zitterte am ganzen Körper. Kletterte aus meiner kleinen Schutzhöhle hervor und fand alles um mich herum zerstört. Der Körper meiner Mutter lag seltsam verdreht unter einem Balken, ihre Augen waren starr in die Ferne gerichtet. Ich begriff nicht sofort, was geschehen war, doch durchaus, dass es furchtbar war. „Noriko! Hör mir gut zu!“ Meine Großmutter tauchte hinter mir auf. Blut klebte an ihrem Körper und sie wankte gefährlich. „Hinter dem Haus, in der Klappe zum Keller, ist ein Rucksack. Geh dorthin, nimmt den Rucksack und laufe in den Wald. Hörst du?“ Ich weinte, schüttelte den Kopf, wollte nicht hören, was sie zu sagen hatte. Mit einer kleinen Ohrfeige brachte meine Großmutter mich zur Ruhe, packte mich an den Schultern und sah mir tief in die Augen: „Noriko, tu was ich dir sage, sonst wirst du sterben. Ich kann dich nicht begleiten, mein Bein ist gebrochen. Geh!“ „Aber wo soll ich denn hin?“, jammerte ich kläglich. „Geh in den Wald und versteck dich dort. Kehre zurück, sobald die Angreifer vertrieben wurden.“ „Und wenn sie nicht vertrieben werden?“ Meine Großmutter strich mir sanft über die Wange. „Dann nimmst du dir ein Boot und fliehst aufs Festland.“ „Aber-“ ein Beben unter uns ließ mich taumeln. Die Augen meiner Großmutter füllten sich mit Tränen. „Bitte, Noriko. Du bist noch klein, aber du bist schnell und hast das Talent deines Vaters. Du kannst das, ich glaube an dich.“ Noch während das nächste Beben die Reste meines Hauses zum Einsturz zu bringen drohte, hörte ich auf die Worte meiner Großmutter. Mit klopfendem Herzen und voller Furcht kletterte ich durch die Ruinen meines Zuhauses und schaffte es schließlich nach draußen. Was ich dort erblickte, überschattete die Furcht in meinem Herzen mit etwas anderem. Mir wurde schlagartig bewusst, dass ich im Wald nicht würde warten müssen, dass die Angreifer verschwanden. Unzählige Rauchsäulen schraubten sich in die Höhe und die Schreie der Menschen bildeten ein Orchester. Ich versuchte, all dies auszublenden, denn ich begriff eins: Mein Dorf war verloren. Wie meine Großmutter mich angewiesen hatte, schnappte ich den Rucksack, der als Notfalltasche immer am Eingang unseres Kellers deponiert war, um im Fall des Falls eine schnelle Flucht zu ermöglichen. Immerhin befanden wir uns seit vielen Jahren in einem Weltkrieg. Einem Weltkrieg der Shinobi. Ich kämpfte mich durch die Wälder, lief so lange, bis die Nacht über mich hereinbrach und in völlige Finsternis hüllte. Ich erlaubte mir keine Pause, denn ich wusste, wenn sie mich fanden, war das mein Ende. Ich fand den kleinen Hafen, schlitterte und fiel die Hügellandschaft hinab und entdeckte die kleinen Boote unserer Fischer. Mit einem Triumphgefühl eilte ich zu einem kleinen Segelboot hinüber, obwohl ich keinerlei Ahnung hatte, wie ein solches Boot zu steuern war. Das Gefühl, den ersten Schritt meiner Flucht erreicht zu haben, ließ mich unvorsichtig werden. Wie aus dem Nichts tauchte ein Fremder vor mir auf. Er trug kein Stirnband, war jedoch unverkennbar ein feindlicher Shinobi. „Was haben wir denn hier?“ Grob packte er mich. Ich versuchte mich mit allem, was ich hatte zu wehren. Kratzte, schlug um mich und biss ihm in die Hand, woraufhin er mich fluchend losließ. Doch er stürzte sich auf mich und drückte mich zu Boden. All meine Angst und Verzweiflung platzten aus mir heraus. „LASS MICH LOS!“ In diesem Moment geschah ein Wunder. Zumindest glaubte ich, es sei eins. Der Angreifer ließ mich los. Ohne zu zögern, sprang ich auf und rannte an ihm vorbei. Ich sprang in das kleine Fischerboot und versuchte, mit zitternden Händen das Seil zu lösen, doch mein Angreifer war mir nun wieder auf den Fersen. „Komm ja nicht näher!“, schrie ich und der Mann hielt inne. „Was wird hier gespielt?“, fragte er mit unterdrückter Wut in der Stimme. Doch ich hörte noch etwas anderes aus seinen Worten. Eine gewisse Unsicherheit hatte ihn gepackt. Ich kann im Nachhinein nicht sagen, woher ich den Mut nahm, zu tun, was ich jetzt tat. Aus irgendeinem Grund spürte ich, dass irgendein seltsames Jutsu am Werk war. Obwohl ich es nicht begriff, musste ich es ausnutzen. „Binde das Boot los“, befahl ich und beobachtete mit aufgerissenen Augen, wie mein Angreifer das Schiff losband. Er fluchte und warf seinen Kopf dabei nach links und rechts, als suche er nach einem versteckten Angreifer. Der Knoten war offen, das Seil fiel lose ins Meerwasser und ich hatte nur einen kurzen Moment, um zu entscheiden, was ich tun sollte. Ich starrte auf das dunkle Meer hinaus und fällte eine Entscheidung. „Komm in mein Schiff und bringe mich sicher zum Festland! Tu nichts anderes, nur das und gehorche mir, bis wir angekommen sind!“ „Was zum- was soll das- was passiert hier?“, schrie er, sprang in das Fischerboot und begann, die Segel zu spannen. Mit einer Mischung aus Furcht und Dankbarkeit beobachtete ich, wie mein Feind das kleine Fischerboot aufs Meer hinaus segelte, direkt auf die Küsten des Feuerreiches zu. Das Sonnenlicht weckte mich. Ruckartig setzte ich mich auf und brachte das kleine Fischerboot so ins Wanken. Ich erkannte das Festland, dass sich nur noch wenige Meter vor uns befand, und stellte dankbar fest, dass mein Feind noch immer unter dem Jutsu zu stehen schien. Wer auch immer ihn damit getroffen hatte, hatte so mein Leben gerettet. Wir legten an und mein Angreifer sprang aus dem Boot. Ich kletterte hinterher und sah mich kurz um, bis mir auffiel, dass ich überhaupt keine Ahnung hatte, wie ich an mein Ziel kommen konnte. Es gab nur einen einzigen Ort, an den ich gehen konnte. Der Ort, an dem meine einzige mir bekannte Verwandte lebte: Konoha. „Bring mich nach Konohagakure“, sagte ich zu meinem Feind, schon damit rechnend, dass er sich weigern und mich angreifen würde. Doch er begann stumm einen Fuß vor den anderen zu setzen. Ich folgte ihm, Stunde um Stunde, bis wir in ein bewaldetes Gebiet vordrangen. Wie aus dem Nichts kippte mein Führer mitten auf dem Weg um. Furchtbar erschrocken darüber, stupste ich ihn mit dem Fuß an, doch er regte sich nicht. Ein unangenehmer Geruch ging von ihm aus und ich begriff, dass er seine Hosen benässt hatte. Langsam wich ich ein paar Schritte von ihm zurück. Ich hatte ihm gesagt „Tu nichts anderes, nur das und gehorche mir, bis wir angekommen sind!“ Und begriff, dass ich ihm somit verwehrt hatte, sich zu erleichtern. Aber auch, zu Schlafen und zu Essen. Offensichtlich war ihm die Energie ausgegangen. Seit Brustkorb hob und senkte sich und ich überlegte für einen Moment, ihm etwas zu essen zu geben. Ich brauchte immerhin jemanden, der mich an mein Ziel brachte. Noch immer mit mir selbst ringend, hörte ich auf einmal Geräusche. So schnell, wie ich konnte, versteckte ich mich in einem Gebüsch und konnte nur beobachten, wie weitere Shinobi auftauchten. Sie trugen Stirnbänder und ich erkannte sofort, dass sie keine Konoha-Shinobis waren. Mein Herz begann zu rasen und erneut spürte ich Angst in mir hochkriechen. Sie fanden den am Boden liegenden Mann und mit einem Fußtritt drehten sie ihn auf den Rücken, um sein Gesicht zu sehen. „Hey, sieh nur! Das ist doch-“ „Er gehört zu unseren ANBU.“ „Was ist mit ihm?“ „Wirkt, als sei er nicht ganz bei sich.“ „Wie kommt der hierher? Ich dachte, die ANBU haben andere Missionen bekommen, die sich nicht im Feuerreich abspielen.“ „Hinterfrag doch nicht immer alles. Wir nehmen ihn mit und fragen ihn später. Los, kommt. Wir müssen weiter, hier ist es nicht sicher. Wir sind zu nah an Konoha.“ So schnell wie sie gekommen waren, verschwanden die feindlichen Shinobis wieder. Ich atmete erleichtert auf, doch mein Glücksgefühl schwand sofort. Obwohl sie gesagt hatten, dass wir nah an Konoha waren, hatte ich absolut keine Ahnung, ob ich es allein fände. „Du schaffst das, Noriko“, schwor ich mir selbst und machte mich auf den Weg. Fast drei Tage irrte ich durch die Wälder. Die wenigen Vorräte begannen bald zu schwinden. Der Rucksack war immerhin nur mit einer Notration ausgestattet und nicht für längere Fluchten geeignet. Am vierten Tag stolperte ich fast nur noch durch den Wald. Das Gefühl, im Kreis zu laufen, festigte sich in mir und ich gab mich meiner Verzweiflung hin. Mit angewinkelten Knien saß ich im Schutze einer großen Eiche und weinte leise vor mich hin. Ich verfluchte den Krieg, verfluchte all die Machtkämpfe der Reiche, verfluchte die Shinobi und weinte mich schließlich in einen unruhigen Schlaf. Als ich wieder zu mir kam, war ich nicht allein. Panik ergriff mich, denn vor mir loderte ein Feuer. Nur langsam begriff ich, dass es ein Lagerfeuer war. „Hallo“, begrüßte mich eine Stimme und ich presste mich an den Baum hinter mir. Meine Augen fanden den Mann, der am Feuer saß. Er wärmte seine Hände daran und sah mich mit einem freundlichen Lächeln an. „Es schien, als würdest du frieren, darum habe ich ein Feuer angemacht“, erklärte er, doch mein ganzer Körper zitterte vor Angst. Mir schoss der Gedanke durch den Kopf, dass er mich hereinlegen wollte, doch dann begann ich zu begreifen, dass ich nur ein kleines, unbedeutendes Kind war. Hätte dieser erwachsene Mann mich töten wollen, so hätte er dies längst getan. Meine Panik legte sich und ich beruhigte mich. „Danke“, murmelte ich ganz leise, ließ den Fremden jedoch nicht aus den Augen. Er trug eine Shinobi Uniform mit einer grünen Weste. Sein Stirnband reflektierte das Feuer und ich atmete erleichtert auf. Es trug das Zeichen Konohas auf der Stirn. Des Dorfes, mit dem wir seit langer Zeit eine Allianz hatten. Dem Ziel, meiner Reise. „Du bist ein Ninja aus Konoha“, stellte ich verwegen fest. Er lächelte. „Das ist richtig. Und wer bist du?“ „Noriko“, murmelte ich. „Hallo Noriko. Ich heiße Sakumo. Darf ich fragen, warum du hier ganz allein mitten in der Nacht im Wald bist?“ Seine Augen waren freundlich und doch schien er mich genau zu mustern. Mir war klar, dass ein geschulter Shinobi wie er, erkennen konnte, dass ich eine Flüchtige war. Doch war ich nicht bereit, ihm zu sagen, wo ich herkam. Es gab nur eine Person, mit der ich bereit war zu sprechen. „Ich suche jemanden“, antwortete ich also, was nicht ganz gelogen war. „Ich verstehe“, antwortete Sakumo. Sein weißes Haar wirkte durch das Licht des Feuers rötlich. „Soll ich dir vielleicht auf deiner Suche helfen, Noriko?“ Ich schluckte und nickte ganz langsam. Sakumo lächelte. „Es ist jemand, der in Konoha wohnt“, sagte ich, bevor ich es mir anders überlegen konnte. „Darf ich auch wissen, wer es ist?“ Ich antwortete nicht und Sakumo drängte mich nicht. „Auch in Ordnung. Ich bringe dich nach Konoha und dann schauen wir weiter, ja?“ Kurz vor Sonnenaufgang setzten wir unseren Weg fort. Sakumo ging ein Stück vorweg und versicherte sich stetig, dass ich noch hinter ihm war. Ich war dankbar, für seine vorsichtige Art und dass er mich nicht drängte, obwohl er sicher Besseres zu tun hatte, als ein Kind im Schneckentempo durch den Wald zu führen. Wir waren etwa zwei Stunden unterwegs, da blieb Sakumo stehen. „Wir betreten nun die Ausläufer des Dorfes. Es kann also sein, dass wir schon bald Menschen begegnen werden“, bereitete er mich vor und ich holte ein wenig zu ihm auf. Wir kamen an einem Platz vorbei, an dem ich mehrere junge Menschen erkannte, die mit Wurfmessern übten. Sakumo blieb stehen und ich beobachtete, wie ein Junge auf uns zuhielt. Er hatte dieselbe Haarfarbe wie Sakumo und sein Gesicht war durch ein Tuch bis über die Nase bedeckt. Sein Blick wirkte wesentlich weniger freundlich als Sakumos, der unverkennbar der Vater des Jungen war. „Vater! Du warst lang fort“, begann er in mürrischem Ton und warf dann einen seltsamen Blick auf mich. „Kakashi, wie ich sehe, trainierst du fleißig“, lobte der Vater, doch Kakashi schien dies nicht zu beeindrucken. „Wer ist das?“, fragte Kakashi mit Blick auf mich. „Ein Gast“, erklärte Sakumo schlicht. „Ah, Sakumo, du bist zurück. Hey, Kakashi, wer hat gesagt, du sollst aufhören zu trainieren? Immerhin willst du doch deine Abschlussprüfung noch dieses Jahr machen.“ „Ja, Sensei.“ Kakashi warf mir einen abschätzenden Blick zu und widmete sich seinem Wurfmesser-Training. Ich schaute ihm hinterher und bemerkte den jungen Mann, der sich nun mit Sakumo unterhielt, kaum. Erst ein Satz ließ mich aufhorchen: „Nein, ich hab Kushina versprochen, nachher noch mit ihr zu üben, deshalb komme ich erst später dazu.“ „Du kennst Kushina!“, rief ich überrascht auf. Sakumo und sein Gegenüber wendeten sich an mich. „Nanu? Wer bist denn du?“ Ich erstarrte. Bis zu diesem Tag hatte ich nie verstanden, was Mädchen an Jungs fanden, doch hatte ich auch bis zu diesem Tag nie einen so schönen Mann gesehen. Seine blauen Augen strahlten mich funkelnd an und sein Gesicht war umrahmt von goldenem Haar. „Bring mich zu Kushina“, sagte ich kleinlaut und er zog eine Augenbraue hoch. Sakumo legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Das ist Noriko, ich traf sie im Wald. Ich glaube, sie hat einen langen Weg hinter sich. Noriko, ist es Kushina, die du hier in Konoha suchst?“ Ich nickte und spürte einen Kloß in meinem Hals. „Hallo Noriko. Mein Name ist Minato und ja, ich kenne Kushina. Ich bringe dich gern zu ihr. Aber vorher musst du mir bitte eine Frage beantworten.“ Minatos Gesichtsausdruck wurde ernst und der Kloß in meinem Hals verfestigte sich. „Es reicht, wenn du nickst oder mit dem Kopf schüttelst, in Ordnung?“, sagte Minato mit ruhiger Stimme. Einer der Schüler wollte etwas von ihm, doch Sakumo winkte den Schüler fort und ich war dankbar dafür. „Du kommst aus Uzushiogakure, nicht wahr?“ Ich nickte. „Dein Dorf wurde angegriffen, nehme ich an.“ Wieder ein Nicken. „Kannst du mir sagen, wie lange das her ist?“ Ich hob eine Hand und zeigte 5 Finger. „Fünf Tage?“ Ich nickte. Minato seufzte und eine kleine Falte bildete sich zwischen seinen Augenbrauen. „Du bist Hikaris Tochter, nicht wahr?“ Tränen verschleierten mir die Sicht, doch ich nickte. Vor meinem inneren Auge sah ich das Bild meiner toten Mutter, in den Trümmern unseres Hauses. „Schon gut.“ Minato schnappte mich, hob mich auf seine Arme und ich ließ es zu. Ließ mich von ihm umarmen und weinte an seine Brust. „Ich bringe sie zu Kushina. Sakumo, kannst du mir einen Gefallen tun und den Hokage informieren, dass unsere Verbündeten in Uzushio angegriffen wurde?“ Sakumo nickte und warf mir einen letzten Blick zu. „Auf Wiedersehen, Noriko.“ Minato zögerte nicht lang. Schneller, als ich es für möglich gehalten hätte, sprang er durch die Luft und ich auf seinem Arm mit ihm. Innerhalb weniger Minuten standen wir vor einem großen Haus und er rannte die Treppen hinauf. Er hob eine Hand, um an die Tür eines Appartements zu klopfen, doch diese wurde bereits aufgerissen: „Minato, wo- huch?“ Ich löste mein verweintes Gesicht von Minatos Schulter und neue Tränen bildeten sich in meinen Augen, als ich Kushina erblickte. Sie sah meiner Mutter zum Verwechseln ähnlich. „Hallo, Tante Kushina.“ Ihre Augen weiteten sich im Horror. „No-Noriko, bist du das?!“ Ich streckte die Arme aus. Kushina nahm mich an sich und wie ein Wasserfall, lösten sich die Worte aus meinem Inneren. „Sie haben unser Dorf zerstört. Mama ist tot. Oma war verletzt, sie hat mich weggeschickt. Da war überall Rauch und die Erde hat ständig gebebt und-“ Kushina strich mir übers Haar und drückte mich fester an sich. „Du bist jetzt in Sicherheit, Noriko“, sagte Minato und schenkte mir ein Lächeln. Erst viel später begriff ich, dass dies der Moment war, in dem ich die Farbe Gelb zu mögen begann. Sie erinnert mich nun nicht mehr an das Grab meines Vaters und die ewige Trauer, die seine Erinnerung zu bringen schien. Nein, jedes Mal, wenn ich etwas Gelbes sah, erinnerte es mich an Minato. An sein freundliches Gesicht und die Wärme, die er ausstrahlte. Zwischen Kushina und Minato fühlte ich mich das erste Mal seit Tagen wieder sicher. -- Sakura blickte von dem Buch in ihren Händen auf. Naruto konnte nicht glauben, was er soeben gehört hatte. „Das kann doch nicht wahr sein“, rief er aus. „Wir sollten mit Kakashi-Sensei sprechen, er kam immerhin auch drin vor, vielleicht weiß er-“ „Nein, er würde nichts davon wissen, Naruto. Sakura hat es doch am Anfang vorgelesen. Die Erinnerungen wurden verdreht, alle Menschen, die sie kannte, haben sie vergessen.“ „Aber wir können das doch nicht einfach so alles ignorieren?“, brauste Naruto auf. „Da seid ihr ja! Wir haben euch schon überall gesucht.“ Naruto fuhr herum. Hinter ihm, in der Tür zu Sasukes Besucherraum, stand Shikamaru, direkt neben ihm erkannte Naruto seinen guten Freund Lee und den etwas unbeholfen wirkenden Sai. „Warum habt ihr uns denn gesucht?“, fragte Sakura. Sai schob sich an Lee und Shikamaru vorbei und winkte Sasuke freundlich zu, der mit hochgezogener Augenbraue kurz zurückwinkte. „Gai-Sensei hat uns alle dazu beauftragt, die Feierlichkeiten für die Ernennung des neuen Hokage übermorgen vorzubereiten.“ „Feierlichkeiten? Wir sind schon total überfordert mit den ganzen Aufräumarbeiten!“, platzte es aus Naruto heraus. „Und warum sollen wir das überhaupt machen, es gibt doch genug Frischlinge von der Akademie-“ „Man Naruto, ihr seid Team Kakashi. Wer wäre wohl besser dafür geeignet, seine Ernennung zum Hokage vorzubereiten, als ihr? Warum ich allerdings mit von der Partie sein muss, hab ich noch nicht so ganz durchschaut“, grummelte Shikamaru. Seine Hände steckten in den Hosentaschen und er wirkte genervt. „Also, wir treffen uns morgen am Büro des Hokage und beginnen mit den Vorbereitungen. Seid besser alle pünktlich, ich habe keine Lust auf euch zu warten.“ „Wer hat dich zum Boss ernannt, Shikamaru?“ „Gai-Sensei hat mich zum Boss ernannt, Naruto. Und jetzt hör auf zu Meckern. Die Zeremonie ist wichtig für die Menschen von Konoha. Es wird ihnen Mut geben, den neuen Hokage zu sehen. Also dann.“ Shikamaru drehte sich gerade herum und wollte gehen. „Was macht ihr hier eigentlich? Liest Sakura euch ein Buch vor?“, fragte Lee. Naruto und Sakura tauschten einen Blick aus. Sie wirkte skeptisch, seufzte jedoch. „Wenn ihr euch ruhig verhaltet, dürft ihr mit zuhören. Aber nun lasst mich weiterlesen, wir haben gerade erst herausgefunden, wo Noriko herkam.“ „Wer ist Noriko?“ „Sie hat dieses Buch geschrieben“, erklärte Naruto. Sakura griff nach ihrer Tasche und gönnte sich einen Schluck Wasser aus einer Trinkflasche. Naruto nutzte die Zeit, um die anderen kurz in das einzuweihen, was sie soeben erfahren hatte. „Das klingt kurios“, sagte Shikamaru, machte jedoch nun keine weiteren Anstalten, den Raum zu verlassen. Sakura runzelte die Stirn. „Noriko hat den Abschnitten Namen gegeben, so wie Kapiteln in einem Buch“, erklärte sie mit dem Blick auf die nächste Seite. „Der nächste Abschnitt heißt: Neue Freunde und ein Rivale zum Abgewöhnen“. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)