Diplomatie im Auftrag seiner Majestät von fastcaranbethrem ================================================================================ Kapitel 18: Die Geliebte des Grafen ----------------------------------- Der Regen rann ihm über das Gesicht. D'Artagnan konnte die Tropfen auf den Lippen schmecken. Es war ein warmer Sommerregen. Vielmehr ein sanftes Streichelten, als störend. "Auf wen wartest du, dass du so geduldig ausharrst, junger Mann?" D'Artagnan bekam den Schreck seines Lebens, als er die zarte, unendlich weiche Stimme unmittelbar hinter ihm vernahm. Abrupt drehte er sich herum und stand der schönsten Frau gegenüber die er jemals gesehen hatte. Ein zauberhaftes Lächeln lag auf ihren engelsgleichen Zügen. Er geriet sichtlich aus der Fassung. Sein Herz begann schneller zu schlagen. "Aaauf einen Freund", stotterte er, während sein Gesicht sich mit Röte überzog. "Wie unhöflich von deinem Freund, dich so lange warten zu lassen", sagte die Frau lächelnd und ihre melodische Stimme streichelte seine Ohren, wie die zarte Briese eines Sommerwindes. D'Artagnan Mund wurde trocken. Seine Kehle versagte jegliche Erwiderung. "Und das im Regen." Ihre Finger fuhren fast wehmütig, über die noch weiche Haut auf seiner Wange und wischten einzelne Tropfen fort. Er spürte wie seine Knie versagten, als er ihren zarten Duft roch. Vor seinen Augen sah er die vertrauten Züge seiner geliebten Constance und dennoch reagierte sein Körper wie der eines Mannes. "Wie heißt du, junger Freund?" "D'Artagnan." Seine Stimme gewann wieder an Festigkeit. "Es regnet", sagte sie sanft. "Das ist nicht schlimm. Sehen Sie dort!" D'Artagnan drehte sich um und blickte zum Himmel. Er sah nicht mehr, wie die junge Frau neben ihm sich in die Haare griff und eine Haarnadel aus den Locken zog. Eine lange scharfe Silberspitze, die spitz und lang genug war, dass Herz eines Menschen zu durchbohren. Die junge Frau hob den Arm und betrachtete den Rücken des abgewandten Musketiers. "Sehen Sie nur den Himmel! Wie die Sonne am Horizont untergeht und die Wolken in Rotgold taucht." Sie verharrte still und blickte dem Himmel entgegen. "Sehen Sie den Regenbogen? Ist er nicht wunderschön?", flüsterte er. >Schön<, dachte sie, >das meinen die Menschen, wenn sie schön sagten?< Sie selbst nannte man schön, aber wenn sie in den Spiegel sah, dann erblickte sie nur das entstellte Antlitz einer Fratze. Sie hatte nie die Assoziation von dem Wort ,Schön' begriffen. Viel besser kam sie mit ,Schmerz' zurecht. Das Wort mit dem sie alle Empfindungen verband. Selbst der Mann, der ihre Mutter aufnahm. Er war erst freundlich gewesen, dann launisch und später gewalttätig. Sein Gespenst fuhr schwarz an ihr vorüber. Ihr Blick glitt unschlüssig von dem jungen Mann zu der zarten Farbenpracht des Sonnenuntergangs. Der Dämon in ihr zischte und fauchte. Das war also mit schön gemeint. "Genauso schön wie Sie", sagte D'Artagnan und brach den Bann. Blitzschnell sprang sie auf ihn zu und schwang den Doch. D'Artagnan spürte die Bewegung mehr, als das er sie sah und ließe sich ließ sich rückwärts fallen. Mit einem wilden Fauchen setze seine Angreiferin ihm nach und hob erneut den Dolch. Vor Schreck nicht fähig schnell genug zu reagieren, starrte er sie einfach nur an. Entschlossen ließ sie die tödliche Spitze erneut niedersausen. D'Artagnan sah wie die Waffe näher kam und auf sein Herz zielte. Schützend riss er die Arme vor die Brust. Eine starke Hand umfasste das schmale Handgelenk der Frau und hielt es fest. Unnachgiebig drückte Athos den Arm der Frau nieder und zwang sie den Dolch loszulassen. Wie eine Wildkatze wand sie sich unter seiner Umklammerung. Wut verzerrte ihre schönen Züge. "Warum liegst du im Dreck, D'Artagnan? Komm wieder hoch!" Benommen rappelte sich der junge Musketier auf. "Danke Athos", murmelte er verlegen. "Warum drehst du ihr den Rücken zu? Habe ich dir den gar nichts beigebracht?", fragte dieser. "Ich war ... ich", stotterte er. Athos seufzte und blickte auf die tobende Frau nieder. "Lass dich nie von einer schönen Frau täuschen!" "Sie ist so schön wie ein Blume", sagte D'Artagnan schlicht. "Aber ihre Seele ist krank und verkümmert." Athos hatte sie in der letzte Nacht, unmittelbar nach ihrem letzten Mord gesehen. Die Gesichtszüge entstellt von Blutgier und Wahn. Die Wirklichkeit hatte die Maske des Scheins zerrissen. "Ist das nicht ungerecht?" fragte D'Artagnan. "Ist es gerecht, dass manche unscheinbare Frau ein viel besserer Mensch ist, als eine Frau, die wunderschön ist?" "Was machen wir jetzt mit ihr?" "Wir werden sie ..." "Gar nichts werden Sie!" Unterbrach ihn eine herrische Stimme hinter ihnen. Als Athos sich umdrehte fand er Graf d'Arennes und vier weitere Männer vor sich. "Lassen Sie sie sofort los, Musketier!", blaffte er, während er das Wort "Musketier" ausspie wie eine Krankheit. "Mademoiselle hat sich des Mordes schuldig gemacht", wandte Athos ruhig ein. "Sie gehört eingesperrt und verurteilt werden. Das wisst Ihr ebenso wie ich." "Gar nichts gehört sie. Sie steht unter meinem Schutz. Also lassen Sie sie augenblicklich los!" "Sie ermordet Menschen, Graf d'Arennes" "Lassen Sie sie los!", knurrte der Graf zwischen zusammengepressten Zähnen. "Übergebt sie uns und wir halten Euren Namen aus der Sache heraus!" "Sie gehört mir." Der Graf sah ihn blasiert an. Athos tat wie ihm geheißen und der Graf riss seine Mätresse hoch, um sie an einen seiner Männer weiterzureichen. "Graf?" Athos hielt ihn zurück. "Madeleine Devon hatte eine Tochter, wusstet Ihr das? Sie ist jetzt Anfang 20." "Eine Lüge", presste er Graf hervor. Doch die junge Frau schrie schrill auf und versuchte sich aus der hartem Umklammerung von D'Arennes Gefolgsmann zu befreien. Wie eine Schlange wand sie sich, während die wahnsinnigen Schreie aus ihre Kehle immer höhere Töne erklommen. Graf d'Arennes erwachte aus seiner Erstarrung. Mit blutleeren Lippen und zu Fäusten geballten Händen trat er auf das Mädchen zu, durch dessen Adern sein Blut und sein Verderben floss. Sie wurde schlagartig still. Schaum hatte sich vor ihrem Mund gebildet. Die kümmerliche Gestalt seiner Mätresse sah in diesem Augenblick weder schön noch gefährlich aus, sondern einfach nur bemitleidenswert. Ängstlich sah sie zu der unnahbaren Gestalt ihres Herrn auf. Mit deutlich blasseren Gesicht wandte sich der Graf zum Gehen. "Es ist wirklich bedauerlich." D'Artagnan beobachtete, wie die Gruppe sich entfernte. "Halte dich lieber weiterhin an Frauen, die ehrlichen Herzens sind, wie deine Constance!" Athos hatte die Arme in die Seite gestemmt und seine Enttäuschung und Wut hinter einer Maske aus ruhiger Gleichgültigkeit versteckt. "Du bist zu nachgiebig, was sie betrifft. Schon Milady konnte dich um den kleinen Finger wickeln." "Konnte sie nicht." "Konnte sie. Pass auf, dass dich die Frauen nicht zum Narren halten, mein Freund!" "Nicht nur mich", behauptete dieser stur und schob die Unterlippe vor. "Und ist es nicht ungerecht, dass man manche Frauen gar nicht sieht?" Die grauen Augen von Athos suchten seine. "Willst du mir irgend etwas sagen, D'Artagnan?" "Nein", erwiderte dieser ausweichend und sah sich interessiert in der Gegend um. "Wer war der Mann?", fragte er stattdessen. "Graf de Arennes, ihr Geliebter." "Aber er ist auch ihr Vater? Also schützt er sie und weil er mächtig, können wir sie nicht verhaften? Dann hat sie unverschämtes Glück." Athos seufzte. "Ich glaube nicht, dass sie Glück hat. Hast du die Augen des Grafen gesehen. Sie wäre bei uns sicherer aufgehoben gewesen." "Was machen wir jetzt?" "Wir beobachten und warten!" Seine Robe stand in Flammen. Die heißen Flammenzungen fraßen sich rasch den schweren Samtstoff hinauf. Der Kardinal schrie. "Eure Eminenz, aufwachen!" Der Kardinal öffnete schlagartig die Augen. "Alessandro, ich stehe in Flammen! Ich sterbe!" Der alte Diener sah in nüchtern an. "Fürr mich seht Ihrr äußerst lebendig aus. Ihrr müsst in den Palast! Ein Eilgesuch des Königs." "Eilgesuch, Eilgesuch", echote Richelieu gereizt. "Dieser ungezogene Bengel entwächst mir." "Von welchem Bengel Ihrr sprecht, Eure Eminenz?" "Der König." "Derr König ist Anfang 30." "Paplapapp", entfuhr es dem Kardinal. "Letztendlich ist er noch der kleine Junge, den ich in Staatskunde unterrichtete." Er schürzte herablassend die Lippen. "Es ist an der Zeit, dass er das wieder einsieht. Ich bin Frankreich." "Wie Ihrr meint." Alessandro zuckte gleichmütig die Schultern. Wer Frankreich regierte war im letztendlich egal, solang der Kardinal sich nicht anmaßte den Papst ersetzten zu wollen. Sein graues Gewand gerafft eilte der Kardinal, so schnell wie ihn seine alten Knochen trugen, durch den Palast. Missmutig gesellte er bald darauf zum König und dem Kapitän der Musketiere. "Wir haben die Mörderin." Erstaunt sah der Kardinal seinen König an. "Wer?" "Angelique Denon, eine Hure. Sie wird gerade von meinen Männern überwacht", erklärte der Kapitän. Richelieu wartete auf weitere Erklärungen, aber die beiden Männer schwiegen. Man verschwieg ihm etwas. Um das zu wissen, benötigte Richelieu kein besonderes Gespür. "Und?" "Verhaftet sie, Richelieu!", erklärte der König schlicht und faltete erhaben die Händen zusammen. "Wir wollen keinen Aufstand. Wir wollen, dass unser Volk erfährt, dass die Mörderin gefasst ist, aber nicht mehr." "Wir wollen keinen Aufstand, Richelieu, wir wollen, wir wollen, wir wollen ..." Der Kardinal knirschte mit den Zähnen vor Wut. Wann immer er in Rage war, vergaß er das Alter und den Schmerz seiner Knochen. Von unglaublicher Vitalität erfasst, jagte er durch die Gänge des Louvre. Sein oberster Gardist hatte Probleme ihm zu folgen. "Wie kann er es wagen?" Richelieu ballte die Hände zur Faust und stoppte derart unvermittelt, dass Rochfort auf ihn prallte. Erschrocken über die Zerbrechlichkeit von Richelieu's hagerer Gestalt, taumelte dieser einen Schritt zurück und sah den Kardinal unsicher an. Noch nie hatte er seinen weltlichen und geistlichen Herrn berührt. Ihm war, als hätte er eine unsichtbare Grenze überschritten, etwas Heiliges verletzt. Richelieu's Menschlichkeit zu spüren, hieß auch er war verletzbarer, denn seine Macht baute auf der Unsterblichkeit von Richelieu's uneingeschränkte Macht. Der Kardinal selbst spürte gerade seine Menschlichkeit und Machtlosigkeit um so deutlicher. Schon wieder war er wie ein Untertan behandelt worden. Ein Untertan und das ihm, dem obersten Staatsdiener Frankreichs. "Da steckt etwas dahinter, Rochfort. Bekommt über diese Angelique Denon alles heraus, was herauszubekommen ist. Nehmt sie in Gewahrsam und Rochfort ..." "Ja, Eure Eminenz?" "... lasst sie notfalls unsere spezielle Befragung spüren!" Rochfort knallt schneidig die Hacken zusammen und verschwand. Es war frühe Abendzeit. Die Männer von d'Treville standen im Schatten des gegenüberliegenden Hauseinganges und unterhielten sich leise. Der warme Nachmittag und der feine Geruch nach Essen, der sirenenhaft aus den Küchen stieg, machte es nicht gerade leicht zu warten. Ein Musketier fächerte sich mit seinem Hut genügend Frischluft zu, während der Zweite angestrengt auf seine Schuhspitzen starrte. Sie sahen nicht, wie auf dem obersten Dachfirst die Gestalt einer Frau erschien. Der leichte Frühlingswind zerrte an ihrem Kleid, die sanfte Briese spielte mit ihrem Haar. Kein Schrei ertönte, kein Dachziegel zerbrach. Sie fiel vom Himmel herab und beendete ihr Leben unrühmlich innerhalb weniger Sekunden. Wie wurde man eine Sirene? Während die Musketiere im Schatten auf ihre Füße starren, die Hausfrauen ihre Suppe rührt, zwei Händler sich an der Ecke stritten und ein Pfarrer, über seinen Theologiefragen brütend, des Weges ging, sah nur eine Frau das Unglück und öffnete die Schleusen ihres Stimmvolumens. Ein Schrei, so schrill ertönte. Die Menschen ringsum erhoben sich aus ihrer Routine und lauschten verwundert, denn niemand anderes hatte sie vom Himmel herabgeschrieen. Als Rochfort zeitgleich mit Athos, Porthos und D'Artagnan eintraf grellten ihre Schreie noch immer die Straße entlang. Passanten hatten eine dichte Traube um die tote Frauengestalt gebildet. "Jussac, prügle dir den Weg frei!", bellte Rochfort seinen Adjutanten an, der sich schonungslos durch die Menge schob. Die drei Musketiere nutzten die entstandene Schneise, um ihm zu folgen. Pflichtbewusst setzte Jussac Ellenbogen und Fußtritte ein, um zu der Leiche zu gelangen. "Hier gibt es nichts zu sehen, Leute! Rein gar nichts. Geht nach Hause!", schrie er, während seine Stiefel in einer Lache aus Blut wateten und die Leiche ein Stückchen zur Seite schoben. "Bei allen Heiligen, die ist hinüber", entfuhr es Porthos. "Him ... mel", würgte D'Artagnan. "Selbstmord", diagnostizierte Athos. Die Frau schrie weiterhin. Ihr üppiger Busen wog. "Himmel Herrgott, HALT endlich das Maul!", brüllte Rochfort sie an. "Jussac, gibt ihr eine Ohrfeige!" Sie verstummte augenblicklich. Ihr Brustkorb kam zum Stillstein. "Ja, Herr." Ein böses Lächeln auf den Zügen trat Jussac vor und ohrfeigte sie. Die Menschen ringsum erstarrten. Die Augen der Frau weiteten sich entrüstet, sie quiekte, sog orkangleich die Luft ein, der Busen blähte sich, ihre Hand hob sich und klatschte mit der Kraft einer gestandenen Hausfrau, der Wucht eines Amboss gleich, auf Jussac's Wange und riss ihn von den Füßen. Leises Lachen ertönte. "Wer ist das?", verlangte Rochfort herrisch zu wissen, ohne seinen Adjutanten zu beachten. "Angelique Denon", erklärte Athos. "Die Hure?" "Na, jetzt nicht mehr", kommentierte Porthos. "Sie ist die Mörderin!", stellte Athos richtig. Die Menge rückte interessiert näher. "ATHOS!" Atemlos bahnte sich einer, der zur Überwachung abkommandierten Musketiere den Weg zu ihnen und rang mühsam nach Luft. Der Ring aus Schaulustigen schloss sich noch enger um die Gruppe. "Sie sind tot. Zwei Männer. Sie liegen oben an ihrer Tür." "Ich nehme an ihre Wächter", mutmaßte Athos. "Mit einem langen Dolch erstochen, der wie eine Haarnadel verziert ist?" Sein Kollege nickte fassungslos. "Woher ..." "Kann mir endlich jemand sagen, was hier los ist?" unterbrach ihn Rochfort brüllend. Er tobte und wütete. "WER ist sie? WOHER kommt sie? WER waren die Männer? Redet endlich ihr verdammten Musketiere!" Auf eine Antwort warteten auch alle anwesenden Pariser. "Sie heißt Angelique Denon und ist eine Hure", erklärte Porthos ruhig. Der Koloss wies großzügig von dem lädierten Schädel der Toten zu dem zeternden Rochfort. "Mademoiselle Denon, Lord Rochfort! Lord Rochfort, Mademoiselle Denon." Was die Situation keineswegs entschärfte. Rochfort spie Gift und Galle. "REDET ENDLICH! ICH BIN DAS GESETZT!" "Schönes Gesetz! Wo wart Ihr, als die anderen Morde passierten?", mischte sich einer der Passanten ein. "Ihr Ausbeuter!", schrie ein Anderer. "Steuernschlucker!", brüllte ein Dritter. "Besoffene Taugenichtse." Überall wurden Stimmen laut. "STILL!" Die raue Stimme einer Greisin fuhr dazwischen. Ihr Krückstock stieß die Menge beiseite. Ihren Weg aus Flüchen und schmerzlichen Ausrufen, bahnend erreichte sie Rochfort. Graues krauses Haar sah unter einer Haube aus dreckigem, zerschlissenen Stoff hervor. Der Mund fiel faltig um einen zahnlosen Mund, dessen Unterkiefer in einem fort zitterte. Aber in den Augen stand ein Feuer, dem die Jahre nichts anhaben konnten. Ihr Mund sonderte reichlich Speichel ab, während sie auf die Leiche wies. Ihr Krückstock stach hart in die leblose Seite der Leiche. "Sie ist die Hure von dieses Grafen, diesem Ar ....ar..." "Graf de Arennes!", half ein anderer weiter. "Graf de Arennes", die Alte nickte wissend und spie auf Angelique Denon's Leiche. "War fast jede Nacht bei ihr und trieb es mit ihr bis in die Morgenstunden. Verdammtes Protestantenpack, alle beide. Sie beteten den Teufel an." Ein Raunen ging durch die Menge. Die Alte und mehrere der Anwesenden bekreuzigten sich sogleich. "Sünder! Satansjünger! In der Hölle sollen sie schmoren, bis in alle Ewigkeit!" Erneut spuckte sie auf die Tote, dann schlug sie sich laut zeternd den Weg zurück durch die Menge. "Aus dem Weg!" Dem Weg ihres Krückstocks folgten erneut Schreie, Schmerzlaute und Flüche. Rochfort grinste bösartig und sah überheblich auf die schweigenden Musketiere, dessen Gefühle nur Athos richtig zu verbergen wusste. "So so, Graf de Arennes. Mercie Madam, Sie haben uns sehr geholfen." Er verbeugte sich spöttisch. "Ihr entschuldigt mich, meine Freunde. Soll ich Euch die Leiche zur Untersuchung hier lassen." Er lachte dreckig. Seine Stiefelspitze stieß den weißen Arm der Toten an. Erneut hielt Athos' Arm Porthos davon ab eine vorschnelle Dummheit zu begehen. Noch in der selben Abend verbreitete sich die Nachricht wie der Wind. Es waren die Männer des Kardinals. Unscheinbar und anonym saßen sie in den Tavernen und flüsterten es in jedes willige Ohr. Bei Bier und Rum fand sie Einlass. Die Angst und Unsicherheit der letzen Wochen hieß sie willkommen. Von den Tavernen trugen sie die Männer mit nach Hause. Sie begleitete sie wie ein unsichtbarer Gast und aß mit ihnen im Kreise der Familie zu Abend. Sie wehte durch die Straßen und Gassen, durch Fensterläden und Türspalten. Ließ die Tür in ihrer Angel knarren, die Vorhänge tanzen und die Fensterläden klappern. Angst machte sich unter der Bevölkerung breit und sie hielt weder vor den katholischen Seite, noch vor der protestantischen Seite. Sie fand auch Einlass im Hause Bonaxieus. D'Artagnan saß schweigend am Tisch und stocherte lustlos in Marthas köstlichen Hasenbraten. Das saftige rosafarbene Fleisch der Keule, dass den Knochen bloßlegte, erinnerte ihn zu sehr an das Geschehende. "Kein Hunger, D'Artagnan?" Mit dem Kopf schüttelnd, verneinte D'Artagnan Monsieur Bonacieux Frage. Fragend sah Jean von seiner Keule auf. Fett tropfte ihm vom Kinn. Es zutschte, als er die Soße von den Lippen sog. "Komm, ein junger Musketier muss essen, damit er bei Kräften bleibt!" Aufmunternd schob ihm Martha die Fleischplatte näher, aber D'Artagnan schüttelte abermals den Kopf. "Gehe doch zum Louvre und treffe Constance", wandte Bonacieux mitfühlend ein und griff nach dem Laib Brot. "Ich kann sie jetzt nicht sehen", sagte D'Artagnan, verständnissuchend. "Ich sehe dauernd die tote Angelique Denon." "Aber Constance ist doch keine Mörderin", rief Jean entrüstet. "Aber Jean ..." Magda sah ihn tadelnd an. "Ist doch wahr." Schmollend beugte sich der Junge über seine Fleischkeule. "Aber es sind beides junge Frauen", erwiderte D'Artagnan leise, "und ich frage mich die ganze Zeit, was hätte passieren können, wenn nicht Graf de Arennes ihr Vater gewesen wäre." Bonacieux sah von seinem Brot auf. "Graf de Arennes sagst du? Ich war heute beim Grafen, weil er neue Kleidung benötigte. Man schickte mich weg und ich musste unverrichteter Dinge wieder heimkehren." Er brach sich ein Brocken Brot und tunkte ihn in die Soße. "Wenn ich gewusst hätte ...", er senkte verschwörerisch die Stimme. "Die Dienstboten erzählten, dass der Graf wahnsinnig geworden ist. Er hätte sich selbst besudelt und so wild gewütet, dass ihn sein Verwalter schließlich einsperrte. Seit dem würde er in Wahnanfällen laut in seinem Zimmer toben oder weinend wie ein Kind zusammenbrechen." "Verständlich", erwiderte D'Artagnan. War es ein Wunder, dass der Graf nach dem Freitod seiner Tochter zusammenbrach? War der Wahnsinn nicht schon längst in ihm gewesen? Angelique war wahnsinnig gewesen. Musste sich nicht zwangsläufig ein Teil ihres kranken Geistes auf ihn übertragen, da er ständig ihr Nähe suchte und das gleiche Blut durch seine Adern floss? Zu wissen, dass seine Geliebte des Nachts mordend durch die Gassen zog und seine Tochter war, zerbrach jeden morbiden Geist. Wieder schwiegen sie. Schlürf- und Schmatzgeräusche unterbrachen das leise Klirren der Teller und das Klappern der Knochen. "Was ist das für ein Lärm?" Neugierig hielt Jean im lautstarken Säubern seiner Finger innen. Von draußen erschallte der gedämpfte Lärm mehrere Menschen in weiter Entfernung. Ahnungslos zuckte Bonacieux die Achseln. "Ich weiß nicht. Vielleicht eine Feier?" Nein, dass war es nicht. Dazu waren die Stimmen zu wütend, der Unterton von Gewalt unüberhörbar. Alarmiert ließ D'Artagnan alles stehen und liegen. Griff nach seinem Degen und lief zur Tür hinaus. Das vibrierende Türblatt kündete von seinem abrupten Fortgang. Der Mond stand längst am Himmel, als er durch die Straßen hetzte. Schlimmes schwante ihn. Der Lärm schien sich zu entfernen. Viele Fenster waren hell erleuchtet. Verängstigte Menschen verbargen sich hinter Vorhänge oder im Dunkel der Zimmer. D'Artagnan verdoppelte seine Anstrengungen und erhöhte das Tempo. Die Rue de Saint Sulpice entlang, in die Rue de Honoré. Doch zu spät. Er war gerannt, als säße ihm der Teufel im Nacken, aber das Geschehene konnte er nicht verhindern. Am leerstehenden Markt an der Rue de Revoline hatte die aufgebrachte Menge einen Protestanten erhängt. Der Wind spielte mit seinen Füßen, die 5 Zoll über dem Boden hingen und zerrte an der Kleidung des erschlafften Körpers. Fassungslos sank D'Artagnan auf die Knie und starrte zu der fanatischen Menge. Er schluckte die Tränen der Wut und des Zorn hinunter. Die Abendluft schmeckte fahl in seinem Mund, der Lärm der tobenden Menge hallte in seinen Ohren wieder, der Wind brannte in seinen tränenden Augen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)