Diplomatie im Auftrag seiner Majestät von fastcaranbethrem ================================================================================ Kapitel 24: Freunde aus Kindertagen ----------------------------------- Coday war wohl das, was man eine gute Partie nennen konnte. Auf der Negativseite stand: Sie liebte ihn nicht! Aber es war abzusehen, dass sie nicht immer den Musketier spielen konnte. Entweder verriet sie sich oder ein anderer sie. Vielleicht öffneten ihre Mitmenschen irgendwann ihre Augen und sahen, was offensichtlich war. Bereute sie ihre Entschluss nach Paris zu gehen? Überlegte sie sich, in den seltenen Augenblicken, in denen sie zurückdachte, wie sie anders gehandelt hätte? Was nützte die Frage? Sie hatte es getan, weil sie nicht zu den Menschen gehörte, die ihre Hände in den Schoß legten und den Schmutz nahmen, den ihnen das Schicksal vor die Füße spülte. Ein vernünftiger Mensch bedachte immer die Folgen seines Tuns,- zum Glück verfügte sie nicht über diese Eigenschaft. Ja, Corday war eine gute Partie. Der einzige bei dessen Anblick ihr Herz schneller schlug, hielt sie noch immer für einen Mann. Sie wurde nicht jünger und irgendwann verlor sie den Kampf gegen die Zeit. Aramis mochte Corday. Ein Punkt für die positive Seite. Der Kuss hatte ihr gezeigt, dass er ihr mitnichten gleichgültig war. Was wichtiger war, er schien auch sie zu mögen. Bei Gott, bei dem gesamten Repertoire an Peinlichkeiten, welches sie ihm geboten hatte, musste er entweder davon laufen oder sich verlieben. Warum sollte sie ihn nicht nehmen? Jeder musste sehen, wo er blieb. Die Welt stand nicht still und war mit Menschen bevölkert, die sich mit Dreck und Ellenbogen durchschlugen. Vielleicht wurde aus bloßer Zuneigung im Laufe der Jahre Liebe oder gemeinsame Kinder schufen ein Band der Verbundenheit? Wer wusste das schon? "Zeit unter die Haube zu kommen", knurrte sie, wohlwissend, dass sie es nicht konnte. Sophie kam herein und unterbrach ihre grüblerischen Gedanken. "Oh, Sie sind wach. Wie fühlen Sie sich?" "Ich lebe", entgegnete Aramis und richtete sich mühsam auf, "aber auch nicht mehr. Was ist eigentlich passiert? Und was machte Corday an meinem Bett? "Im Wein war Gift", erklärte Sophie gleichmütig. Aramis murrte leise. "Wenn ich das vorher gewusst hätte, hätte ich mehr Sold verlangt". Sie fuhr sich mit den Fingern durch das verfilzte Haar und blieb drin stecken. "Broussard begann hier herumzuschnüffeln, wie ein hungriges Tier das sich die Lefzen schleckt. Er hat etwas von einem räudigen Straßenköter, finden Sie nicht? Wahrscheinlich wollte er selbst überzeugen, ob Sie tot sind. Also hab ich ihm gesagt, dass Sie mit dem Tod ringen und zwang ich ihn mit mir zum Kapitän der Palastwache zu kommen." Sie grinste schelmisch. "Wir haben Anzeige erstattet. Schließlich muss es hier ja einen englischen Kapitän de Treville geben, der etwas unternehmen sollte. Broussard war natürlich ganz der fürsorgliche Sekretär. Ergebener Diener seiner Comtesse. Zum Glück kam gerade Lord Corday und ich bat ihn über Euch zu wachen." Aramis schwang die Beine über das Bett. "Ja, das hat er", erwiderte sie trocken. "Und warum lebe ich noch?" "Dafür müssen Sie Athos danken." "ATHOS?" Der Rest des Körpers folgte, -schmerzhaft. Es rummste kurz, als rund 100 Pfund Körpergewicht auf das Parkett aufschlugen. "Athos ist hier?", krächzend sie und blieb liegen. "Ja, er ist hier", erklärte Sophie nach unten. "Er hat Sie das ganze Zeug ausspucken lassen. Jetzt ist er in irgend einem Gasthaus abgestiegen." Mit einem Satz war Aramis wieder oben. "Er ist hier?" Der Schrecken half ihr schneller auf die Beine, als es 12 Stunden Ruhe zu tun vermocht hätten. Nervös lief sie umher, befingerte hektisch den zerknitterten Stoff ihres Rockes und murmelte leise vor sich hin. Rote Flecken hatte sich auf ihren Wangen gebildet. Unverständlich sah ihr Sophie bei ihrer rastlosen Wanderung zu. "Ist das nicht gut?" fragte sie zaghaft. "Nein ... ja ... Nein, Himmel!" Aramis raufte sich die Haare. Nie wollte sie in dieser Verkleidung einen ihrer Freude unter die Augen treten. Dabei übersah sie großzügig, dass Frauenkleider eigentlich zu einer Frau gehörten, die sie zweifelsfrei war. Aramis hielt so abrupt, wie sie ihre Wanderung begonnen hatte. Jetzt stand sie mit nervös geweiteten Augen und zerrauften Locken vor Sophie. Diese verdrehte die Augen. Ihre Herrin erinnerte sie eher an eine Opiumsüchtige, nach einer Nacht Exzesse, als die rationale Person, die sie eigentlich war. Von Überlegenheit und unerschütterlicher Ruhe war keine Spur mehr zu sehen. Sie sah erschreckend aus und auch ein wenig lächerlich. Aus Loyalitätsgründen verkniff Sophie sich das Grinsen. Warum führte sich Aramis derart auf? "ER hätte nicht herkommen dürfen." "Wer?" "Athos", erklärte Aramis dumpf. "Man hat mir versprochen, dass niemand mein unrühmliches Dasein hier sieht." "Tja, Staatsmänner und ihre Versprechen." "Arrg." Wieder ging es in die Locken und den Haaren an den Kragen. "Dreht sich das Zimmer?" Aramis begann zu schwanken und umklammerte hilfesuchend Sophies Arm. "Vorsicht du fällst!" "Nein, Sie fallen. Nicht ohnmächtig werden!" Fürsorglich legte Sophie Aramis auf das Bett zurück. "Ich hole Ihnen etwas zu essen! Sie sind vollkommen geschwächt!" Aramis sank in die Kissen zurück. Schliere tanzten vor ihren Augen. Ihre Magenwände hoben und senkten sich. "Versprich mir, dass wenn ich ohnmächtig werde, du mich aus dieser Scheußlichkeit von Kleid befreist und mir Hemd und Hose anziehst!", flehte sie. Ihre Augen schimmerten dunkel und fiebrig. "Warum denn?" "Er darf mich nicht so sehen. Was wenn er die Frau in mir sieht?" "Wäre das nicht das beste?", erwiderte Sophie sanft und löste die verkrampften Finger von ihrem Arm. "Er hat Sie längst im Kleid gesehen und rein gar nichts gesagt." Seinen Gesichtsausdruck verschwieg sie lieber. Sie lag noch immer auf dem Bett und starrte den Damasthimmel über sich an. Die Haare gebändigt, den Körper und ihren Stolz hinter Hemd, Hose und einer Lage festgezogenen Brustband verpackt, die Gedanken ruhelos auf Reisen. Die Abenddämmerung warf ihr rotgoldenes Licht durch das hohe Fenster. Ihre letzten Sonnenstrahlen malten Schattenkringel auf die Decke. Ein heißes Bad, einen Priester oder einen schnellen Ritt gegen den Wind, dass war es, was sie jetzt brauchte. Es klopfte, ihr Herz stand still und gleichzeitig mit der Tür setzte ihr wildrasender Herzmuskel ein. Athos betrat das Zimmer. Noch immer tiefe Augenringe unter den Lidern. Aramis setzte sich auf und schwang die Beine über die Bettkante, äußerlich gefasst und ruhig. "Salute Aramis." "Salute Athos." "Du bist noch immer leichenblass im Gesicht." Athos zog sich einen Stuhl heran. Es knallt in seinem Rücken zweimal, als hätte jemand eine kräftige Ohrfeige verteilt. "Was war das?" "Was?", fragte Aramis mit leuchtenden Wangen. "Der Klatsch?" "Oh, dass", raunte sie betont unschuldig. "dass ist nur mein Handgelenk. In letzter Zeit knacken die Knochen ein wenig. Man wird alt." Als er sich wegdrehte, verzog sie das Gesicht schmerzhaft. Er setzte sich ihr gegenüber und verschränkte die Arme vor der Brust. "Man hat mich hergeschickt, um dir zu helfen. Wie ich sehe, steckst du in argen Schwierigkeiten", erklärte er sachlich. "Schwierigkeiten?" "Erst der Schuss, dann das Gift!" "Nicht von belang," behauptete sie. Seine hochgezogene Augenbraue sprach anders. "Erzähl mir alles!" Kein Wort zu dem Kleid, kein Wort wie es ihm ergangen war oder wie sie sich fühlte. Dies war keine Wiedersehen unter Freunden. Was war mit "Einer für alle und alle für einen?" Ihr Leitspruch der Freundschaft gefror gerade. Gut sah er aus und zugleich beängstigend ruhig und distanziert. Schweigen senkte sich über den Raum. Jeder war auf seiner Seite des Zimmers geblieben. Während ihre Füße fahrig gegen den Bettrahmen trommelten, zuckten lediglich seine Kiefermuskeln leicht. Der Rest blieb unbeweglich. Sie spielte unentwegt mit einem Apfel, er hielt die Arme als Barriere vor der Brust verschränkt. Die Sonne war untergegangen, aber noch gab der Tag der Nacht nicht den Vorrang. Es war diese Zeit zwischen Tag und Nacht, die den Himmel in milchgrau tauchte. "Was ist Heydon für ein Mensch?" "Ein Feigling, ein Schwächling. Selbstverliebt, charakterschwach, aber machtgierig", zählte Aramis auf. "Warte!" Athos duckte sich, um dem fliegenden Apfel auszuweichen. "Aramis?" fragte er verwirrt. "Nur ein kleiner Test." "Habe ich ihn bestanden?" "Oh, ja. Behalte den Apfel! Soll sehr gesund sein." "Nicht unter diesen Umständen. Wir sollten vorerst nichts gegen Broussard unternehmen!" Aramis verschluckte sich. "Wie bitte? Er hat mich versucht zu töten." "Trotzdem." Es klopfte an der Tür und mit einem geübten Knicks kündete Sophie Lord Corday an. Der Lord trat ein. Er sah lediglich Aramis. Überhaupt fiel es ihm schwer in letzter Zeit etwas anders zu sehen. Besonders wenn er die Augen schloss. Er geriet geringfügig ins Stolpern, als er sie in Männerkleidung sah, fasste sich aber kurz darauf wieder. Aramis stand auf. "Lord?" "Renée, bin ich froh, dass es Euch wieder besser geht. Habt Ihr über mein Angebot ..." "Charles?" Corday wandte sich zu Athos um, welcher rechts von ihm stand und den er bisher nicht gesehen hatte. "Olivier?" Seine Augen wurden groß und traten fast aus den Höhlen. Beide Männer traten auf einander zu und umarmten sich innig, Freude und Zuneigung auf ihren Gesichtern. Aramis Blick flog zwischen ihnen hin und her. Was geschah hier? Warum kannten sich beide und begegneten einander wie Brüder? "Was machst du hier?, fragte Corday. "Seit Jahren haben wir nichts mehr von dir gehört. Was ist passiert?" "Ich bin Musketier geworden, Charles." "Das ist nicht dein Ernst. Das bei deinem Titel? Du bist ein de La Fère de Bragelonne", rief er erstaunt und Aramis verstand immer weniger. Hier spielte sich irgend etwas außerhalb ihres Begreifens ab. "Doch, Charles. Olivier gibt es nicht mehr, nur noch Athos den Musketier", erwiderte Athos ruhig und drückte seinen Freund erneut. "Also, was machst du in England?" "Arbeiten!" "Verstehe. Dann bist du zur Sicherheit der Comtesse hier." "Wer?" "Na, der Comtesse." Sein Blick glitt zu Aramis und ihrem verständnislosen Gesicht, zurück zu Athos, nicht weniger verstehenden Gesichtsausdruck. Endlich begriff Athos. "Ja, so ungefähr." Corday verbeugte sich entschuldigend. "Entschuldigt, Comtesse, Ihr versteht sicherlich nicht. Olivier und ich sind Freunde seit Kindertagen und durch unsere Mütter miteinander verwandt." Sophie holte laut Luft und erinnerte an ihre Anwesenheit. Aramis krächzte heiser? "Verwandt?" "Cousin. Meine Mutter ist Engländerin", erklärte Athos. Corday nickte bestätigend und fuhr fort, ihr Wiedersehen zu preisen und entrüstete sich, über das Unvermögen der Engländer, die nicht in der Lage waren, den Schuldigen zu finden. "Und deshalb habe ich der Comtesse angeboten in mein Stadthaus zu ziehen", schloss Lord Corday seine Ausführungen. Athos runzelte verwundert die Stirn. "Ach so, wie großzügig von dir." Sein Vetter lächelte leicht und sucht das Gesicht seiner Angebeteten, bevor er feierlich gestand, was so mühsam den Weg durch Aramis Bewusstsein gefunden hatte. "Und ich habe sie um ihre Hand gebeten." Corday lächelte verzückt. Athos viel der Apfel aus der Hand, Aramis die Kinnlade herunter, während Sophie einen Hustenanfall erlitt. Sie bemühte sich den Blick auf einen Punkt an der Wand zu richten. Irritiert sah Aramis zu Sophie und klopfte ihr auf den Rücken, bis sie sich wieder einigermaßen beruhigt hatte. Tränen rannen ihr über das Gesicht. Das grau in Athos Augen verfinsterte sich in tiefes Dunkel. Schatten umwölbten seine Stirn. "Charles, er ist ein Mann." Niemals in ihrem Leben sollte Aramis Charles Corday's Gesichtsausdruck vergessen. Jegliche Kraft war aus seinen Glieder gewichen, sein Gesicht hatte sämtliche Farbe verloren, seine Gesichtsmuskeln der Kontrolle des Gehirns entsagt. "Renée ... Re ...", stotterte er. "Nein, Aramis." Athos war unerbittlich. "Er ist ein usketier, wie ich." Aramis hatte den Kopf gesenkt und biss sich auf die Unterlippe. Sie wollte dem Entsetzen in Corday's Augen nicht begegnen. "Ist das dein ernst?", keuchte dieser erstickt. "Ich meine es vollkommen ernst", entgegnete Athos. "Er meint es immer ernst", bestätigte Aramis und seufzte. "Seid ihr verrückt?" "Ich bin verrückt", sagte Aramis "Er ist verrückt", bestätigte Arthos. "Das kann nicht sein", flüsterte Corday kaum hörbar. "Das Aussehen, das Haar, das Gesicht ... Seine Stimme brach. Die Stimmenbänder vibrierten im Unglauben und zerrissen. Er sah sie an, als hätte sie ihm einen Dolch in das Herz gestoßen und qualvoll herumgedreht. Sie hatte schlimmeres getan, - es herausgerissen und zerquetscht, wie eine überreife Pflaume. "Doch, dass kann es, fuhr Athos fort. Alles in Aramis wollte schreien: Hör auf, hör auf! Aber kein Laut kam über ihre Lippen und kein Erbarmen in Athos Worten. "Hör zu, Charles. Der französische Diplomat betreibt Bestechung, Korruption und Spionage. Frankreich muss dem Einhalt gebieten." "De Meye", sagte Corday tonlos. "Das erklärt einiges." Seine Augen ließen Aramis nicht los. Beide dachten an die Wirtshausschlägerei und die Fassadenkletterung. "De Meye." Athos nickte."Frankreich musste im Geheimen vorgehen und deshalb schickten sie Aramis. Es wäre zu gefährlich für eine Frau gewesen und ein Mann hätte zuviel Aufsehen erregt." Aramis ertrug es nicht mehr. Noch während seiner letzten Worte murmelte sie eine knappe Entschuldigung, griff ihren Umhang und ergriff die Flucht. Sie stolperte blindlings vorwärts. Tief im Schatten der Kapuze verborgen eilte sie durch die Gänge. Draußen hatte der Wind aufgefrischt, Vorbote eines kommenden Gewitters. Adlige rannten vor den ersten Tropfen ins das Palastinnere, bevor der Regen kunstvolle Pudermasken und kostbare Seidenstoffe zerstörte. Die Dienerschaft folgte hektisch mit dem notwenigen Accessoire einer höfischen Grundausstattung. Ein dunkelblau livrierter Page trug an ihr eine frisch frisierte Promenadenmischung auf einem Samtkissen vorbei. Aramis wandte sich nach rechts und rannte los.Keuchenden Atems die Parkanlage entlang, durch das breite Tor hinaus, in das wirkliche Leben, hinter dem goldverzierten Eisenzaun. Ihre Beine trugen die Wut und die Demütigung, die Schande und den Schmerz mit sich fort. Der stoßweise Atem mischte sich mit dem Gefühlsgewirr in ihrem Inneren. Warum? Immer wieder diese eine Frage. Am Ende der Straße stand eine kleine Kirche. Einer der wenigen, recht spartanisch ausgestatteten Vertreter der katholischen Kirche. Erst auf den breiten Portalstufen verlangsamten sich ihre Schritte und sie hielt vor der prächtigen Eichentür. Im Kirchenschiff war es leer. Tröstlich umstrahlte das Licht zweier zwei Fuß hoher Kerzen das Bildnis des gekreuzigten Heilands. Der Künstler hatte Jesus Abbild in Holz leidensgetreu nachempfunden. Die Rippenbögen des asketischen Körpers traten hervor, die Wundmale von Nägel, Dornenkrone und Peitschenhieben liefen dunkle Blutspuren aus. Aramis setzte sich in eine der hinteren Kirchenbänke und sank auf der harten Bank zusammen. Tränenlose Tränen erstickten ihre Kehle. Es hatte eine Zeit gegeben, da waren zu viele Tränen geflossen. Jetzt waren ihre Augen leer. Was war mit Athos? Was war in drei Monaten Trennung passiert? Warum zerschlug er ihre letzte Brücke zurück in eine normales Frauendasein? Es würde keine eigene Familie mehr geben? Vielleicht der einsame Tot im Waffenrock am Ende ihres Lebens oder schändliche Demütigung am öffentlichen Pranger. Wie lange sie dort gesessen hatte, wusste sie nicht. Aramis stand auf, als wiederholt Donner und Blitz den Himmel zerrissen. Ihre Beine fühlten sich bleischwer an, weil sie den Rückweg antreten mussten. Aramis trat aus der Kirche und schrie gellend auf. Blitz und Donner fuhren zeitgleich zur Erde nieder und schlugen unmittelbar vor ihr ein. Sie taumelte gegen die Kirchentür. Ihre Ohren schrillten von dem ohrenbetäubenden Donner, hinter ihren geschlossenen Lidern flimmerte noch immer das grelle Licht des Blitzes. Wieder und wieder fuhren Donner und Blitz zur Erde nieder. Der Regen peitschte nahtlos grau zur Erde, der Wind trieb ihn ihr fast waagerecht entgegen. Obgleich sie nie Angst vor einem Gewitter gehabte hatte, erschütterte sie die Heftigkeit und die unmittelbare Nähe des lichtgeladenen Firmaments. Sie kniff die Augen zusammen und hielt sich die Hände vor die Ohren, aber Donner und Blitz malträtierten ihre Sinne. Wind und Regen trieben sie zur Tür zurück. Den Kopf hilflos in den Armen verborgen stand sie ungeschützt der Naturgewalt gegenüber. Der Regen fuhr durch ihre Kleidung und peitschte ihr Haut. Sie hatte weder die Kraft vorwärts zu gehen, noch nach der Klinke der Kirchentür zu tasten. Zeitgleich mit einem erneuten Blitzeinschlag berührte jemand ihren erhobenen Arm. Wieder schrie Aramis auf und schlug mit geschlossenen Armen um sich. Der Unbekannte zerrte an ihrer Kleidung und hielt gewaltsam ihren Arm fest. Panisch fuhr im Aramis mit den Fingernägeln durch das Gesicht und wand sich verzweifelt in seiner Umklammerung. Ohne auf ihren Widerstand zu achten zog er sie mit sich in das Kircheninnere. Benommen und schwer atmend, starrte sie durch die nassen Haarsträhnen in Athos Gesicht. Sein Arm lag noch immer um ihre Schultern, seine Hüfte an ihrer. Sie konnte seinen Atem spüren. Er sagte irgendetwas, seine Lippen bewegten sich, aber sie hörte nichts. Ein Gespräch war gerade im Gang, aber es ging nicht über Worte, sondern über ihre Körper und machte ihr es verdammt schwer, den Sinn seiner Worte zu begreifen. "Setzt dich!" "Was?" "Du sollst dich setzen, oder willst du wieder da hinaus?" Sie saßen so eng beieinander, dass sich ihre Knie fast berührten, aber sie sahen sich nicht an und in Wahrheit waren sie weiter von einander entfernt, als jemals vorher in der langen Zeit ihrer Bekanntschaft. "Woher wusstest du wo ich bin?" "Ich habe dich vom Fenster aus in diese Richtung gehen sehen und hier gibt es nicht viel, was sich lohnt aufzusuchen." "Es ist schon merkwürdig", begann Aramis. "In einem Land, dass meine Glaubensrichtung ablehnt, gehe ich mehr in die Kirche, als Zuhause." "Wolltest du beichten?" Sie lachte bitter. "Was sollte ich denn beichten? So Graf de La Fère de Bragelonne, was haben wir weiter vor? Wie sieht dein Plan aus?" "Wir ziehen zu Charles. Im Königspalast wird es zu ungemütlich für dich. Ich werde als dein Verlobter auftreten und die Gerüchte zum Verstummen bringen. Obgleich für dem Posten sich schon ein anderer beworben hatte." Er ließ offen Hohn und Missbilligung im Stakkato seiner Worte mitschwingen. Aramis wurde so zornig, dass ihr stoßartiger Atem schmerzhaft gegen die Brusteinschnürung stieß. Der Blick in sein abweisendes Gesicht ließ ihren ganze Körper erzittern. "Nimm das zurück!", stieß sie zwischen zusammengebissenen Vorderzähnen hervor. "Glaubst du vielleicht ich habe ihn verführt?", kam sie im scharfen Ton auf die unselige Szene mit Lord Corday zurück. "Bei Gott, ich weiß noch nicht einmal, wie das geht. Seit ich hier bin tue ich alles, um deine geliebten Cousin fernzuhalten, aber er taucht ständig und überall auf. Wie die Motte das Licht. Ich bin nicht freiwillig hier, vielleicht hast du das in deiner Ereiferung ganz zufällig vergessen. Was soll ich denn tun, du Vorzeigemusketier?" Athos wechselte elegant die Haltung und sah sie an, als hätte sie kein Grund sich zu ereifern. Am liebsten hätte sie ihn Gegriffen und den überheblichen Gesichtsausdruck aus seinem Gesicht geschüttelt. "Gar nichts weißt du! Was glaubst du eigentlich, wie leid ich das Ganze hier bin?" Ihr Arm vollführten einen Halbkreis der die ganze Welt einzuschließen schien. Sie ließ ihn kraftlos wieder sinken. Ihrem Gesicht sah man die letzten Monate an. Unzählige einsame Stunden mit Heimweh, Selbstzweifel und tiefer Unzufriedenheit waren nicht unmerklich an ihr vorübergegangen. Die Spuren waren nicht auf den Gesichtszügen abzulesen, nur in der Tiefe ihrer Augen. "Wozu der ganze Aufwand? All dieses höfische Geplänkel, der Prunk, die Intrigen? Was geht mich die Politik an? Was hab ich von de Meyé, außer das er auf mich schießen lässt und mir Gift in den Wein rührt? Eine kurze Lebensspanne, mehr nicht. Er verkauft Informationen weiter. Na, und das tun genügend Höflinge an anderen Königshöfen auch. Wegen mir können sich alle zum Teufel scheren." Athos schwieg. Sah sie nur mit merkwürdig, undefinierbarem Gesichtsausdruck an. Der letzte Blitz verhallte, dann wurde es still und die Wolken gaben der Nacht den Sternenhimmel zurück. Am darauffolgenden Tag erschien in angemessener Kleidung und mit prestigefestigender Dienerschaft, Leihgabe des Hauses Corday, Graf de la Fère de Bragelonne am Hof, um seine Verlobte die französische Comtesse ohne Namen und Vergangenheit aufzusuchen. Beide zogen in das staatliche Anwesen der Familie Corday um. Verwundert registrierten all diejenigen, die dem Gerücht glauben geschenkt hatten den neuen Mitspieler im Schachspiel der Intrigen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)