Diplomatie im Auftrag seiner Majestät von fastcaranbethrem ================================================================================ Kapitel 25: Spott ----------------- Man zog also um. Das Stadthaus der Corday's lag am Ufer der Themse, auf der dem reichen Adel vorbehaltenen Seite, mit einem bezaubernden Blick auf den Fluss und die fernen Dächer der Stadt. Ehrfürchtig blieb Aramis stehen und hob den Kopf, um die ganze Größe des Raumes zu erfassen. Das die Corday's zu dem gehoberen Adel gehörten, bemerkte man spätestens hier, in ihrer Eingangshalle, die den gesamten rechten Flügel des kleinen Herblay Landschlosses aufnehmen konnte. Der Wert des überdimensionalen Krohnleuchters in der Mitte der Halle entsprach ungefähr den Pachteinnahmen ihres Onkels in einem Jahr. Entweder kamen die Corday's in der Rangliste direkt hinter dem Königshaus, oder sie konnten verdammt gut mit Geld umgehen. Ihr Blick verdüsterte sich, als sie den säulengesäumten Wänden folgte. Athos stieß sie am Rücken an. "Versuche dich zu benehmen und zeige Dankbarkeit! Schließlich nimmt Charles uns auf." Aramis verschränkte trotzig die Arme vor der Brust. "Du wolltest, dass wir zu deinem Cousin ziehen", zischte sie. Er lächelte betont freundlich, der ungeduldig wartenden Haushälterin zu und zog sie unsanft mit sich. "Nachdem sie dir an den Kragen wollten, mein Freund und nicht mir, will ich meinen, dass sich der Aufenthalt hier für dich lohnt. Also sei artig!" Wieder ein Stups in den Rücken. "Und was macht er dann hier?" Ihr Kopf wies auf den verdrießlich folgenden Broussard, der für sie den Rang einer Scheißhausfliege einnahm. "Er ist dein Sekretär und folgt dir ergeben überall hin", erwiderte Athos. "Sei zufrieden damit! Hier kann er wesentlich weniger Unsinn anstellen." Aramis schnaubte verächtlich. Athos Stimme wurde lauter und er lächelte spröde. "Haben Sie schon die schriftliche Bestätigung des Kardinals, dass ich hier über die volle Handlungsfreiheit verfüge, Monsieur Broussard?" "..." war Broussard's Antwort. Ein Zugeständnis an eine andere Person, was in seinem sehr begrenzten sozialen Vokabular >Respekt< bedeutete, den er widerwillig Athos einräumen musste. Nichts hasste er so sehr, wie an seinen eigenen unzulänglichen Status erinnert zu werden, den untersten Sprossenbereich der weltlichen Hierarchieleiter. Athos ließ sie unvermittelt los und verschwand wortlos. Zurück blieb sie mit Monsieur Broussard und Madam James, dem mürrischen Feldwebel des Personals. Er hatte ihr keineswegs vergeben. Das gesamte Leben eines Mannes bestand aus Frauen. Ammen, Gouvernanten, Kindermädchen, Mütter, Ehefrauen, Haushälterinnen, Mätressen. Wenigstens beim Militär wähnten sie sich in einer frauenfreien Zone. Aramis belehrte sie eines besseren und dafür musste sie büßen. Noch immer verspürte er die Lust, den Dolch in Aramis Brust noch weiter umzudrehen und sich an ihrem sichtlichen Unwohlsein zu laben. Verbal rächte er sich für jedes Jahr, in dem sie ihn, unter dem Deckmantel der Freundschaft, zum Narren gehalten hatte. Aramis indes, verzieh ihm nicht, dass Athos Corday in ihre Pläne mit einbezog und ihm alles berichtete. Das war für sie Verrat, da er gleichzeitig sie ausschloss. Für sie gehörte Corday zu den Engländern und damit zur Gegenseite. Das andere Ärgernis war seine mangelnde Bereitschaft Broussard zur Rede zu stellen. War das doppelte Spiel von Richelieu's Gefolgsmann nicht längst aufgedeckt? Es konnte keine Einbildung sein, dass er sich anders verhielt. Da war eine Kälte, eine Bissigkeit, die sie vorher nicht gekannt hatte, nicht einmal als Bestandteil von Athos Wesen vermutet hätte. Aber sie war zu stolz, um ihn nach dem Grund zu fragen. Und Corday? Zu jedem guten Drama gehörten drei Akteure. Corday begegnete ihr nach wie vor freundlich und beobachte sie aus dem Gefühlsvakuum eines typischen englischen Genthelments heraus. Höflich, aber distanziert, - Ergebnis einer gutgeschulten Gouvernante und den Genen mehrerer blaublütiger Generationen, seit ein normannischer Bauer samt Heer und Holzspeer auf die britische Insel einfiel. Die Tage vergingen und Aramis Selbstwertgefühl rutschte langsam die Treppe hinunter und landete im Kellergewölbe, wo es einige Mäuse aufschreckte. "Comtesse." Das liebevolle Lächeln von Lady Elisabeth Corday begrüßte sie zum Dinner. Als Einzige in diesem Bühnenstück wusste sie nicht, wer wer war und vorgab zu sein. Aramis mochte sich gar nicht ausdenken, wie Lady Corday ihr begegnen mochte, wenn sie die Wahrheit wüsste, oder das Bruchstücken an Tatsache, dass ihr Sohn für die Wahrheit hielt. Ein missglücktes Lächeln antwortete ihr. Die Hände erwiderten kaum den zärtlichen Druck ihrer Hände. "Welch ein Glück, dass Euch nichts geschehen ist. Aber nun seid Ihr bei uns in Sicherheit." Der Kloß in Aramis Hals wollte nicht rutschen. "Und Olivier, mein lieber Junge ...". Die Hände wanderten weiter zu dem 30jährigen Jungen. Lady Corday drückte den lang verlorenen Grafen liebevoll an sich. Nun hieß es ,reizend' zu sein. Aber Aramis wollte nicht ,reizend' sein. Es fiel ihr unendlich schwer in Athos Gegenwart die Comtesse zu spielen. Hatte sie sich schon vorher unwohl in den Kleidern gefühlt, so hielt sie es unter Athos Blicken kaum in der samten-, seidenen-, goldverzierten-, spitzengeschmückten Verkleidung aus, dessen fischbeinverstärkte Korsette den krönenden Höhepunkt ständigen Unwohlseins bildete. Diverse Gänge an der langen, weißbeleinten, silbergeschmückten Tafel, blieb sie still, - eine verdrießliche, absichtliche Stille. Ihre drei Tischnachbarn unterhielten sich währenddessen prächtig, mit der Verbundenheit einer gemeinsamen Vergangenheit und verwandtschaftlichen Blutes. Und das schloss sie aus. Dabei hatte sie keinen Grund zur Beschwerde. Ihr Zimmer in Whitehall wurde zu einer wahren Zimmerflut. Das Essen war eines französischen Hofkochs würdig, auch wenn sie so gut wie keinen Bissen herunterbrachte und die Dienerschaft erfüllte alle ihre Wünsche, bevor sie diese aussprach. Corday's Anwesen verhieß mehr Freiheiten, als der englische Königspalast. Nach dem dritten Gang zog sich Lady Corday zurück. Nun hielt es Aramis nicht mehr aus. "Warum sind wir eigentlich hier? Das ist doch taktisch unklug." Beide Männer sahen sie an. Der eine verblüfft, der andere unwillig. Athos seufzte. Die Flammen des riesigen Leuchters warfen graue Schatten auf sein Gesicht. "Du bist seit über zwei Monaten hier, aber bisher hast du nur eine Schlägerei angezettelt, bei der sich beide Mittelsmänner trotzdem trafen." "Ich habe Broussard entlarvt, gegen den du ja nichts unternehmen möchtest", stieß sie bitter hervor, weil die Achillesferse ihrer Mission noch immer an ihr klebte. "Reicht dir nicht, zweimal einem Mordanschlag entgangen zu sein?" "Ich habe keine Angst", widersprach sie stur und starrte bewusste auf ihr Spiegelbild im dunklen Fenster hinter ihm. Athos sah sie so eindringlich an, dass sie nicht fortsehen konnte. "Aramis," Bei ihrem angenommenen Musketiernamen zuckte Corday unmerklich zusammen. "bei allem Respekt, aber wir schützen damit dich. Außerdem wiegen wir de Meye in Sicherheit. Vielleicht schaffst du es so, das Ziel deiner Mission zu erreichen, ohne vorher das Zeitliche zu segnen." "Aber wenn mich die Königin zu sich ruft, muss ich ohnehin in den Palast." Athos lächelte undurchsichtig und wischte sich mit der Serviette den Mund ab. "Sicherlich wurst du in den Palast gehen, wenn die Königin dich ruft. Es sind kaum 15 Minuten zu Fuß dorthin. Deinen Teestunden im königlichen Salon soll unser Umzug nicht im Wege stehen. Er gab seine Geringschätzung durch die hochgezogenen Brauen und die nach unten gezogenen Mundwinkel zu erkennen. Am liebsten hätte sie die Weinkaraffe gepackt und ihm an den Kopf geschleudert. "Ich kann noch immer nicht glauben, dass Ihr ein Musketier seid." Coday schüttelte bedauernd den Kopf. Seine Fingerkuppe fuhr gedankenverloren über den schmalen Rand des Weinglases. Ein melancholischer, sanfter Klang in einem Zimmer, in dessen Atmosphäre Eisen schwimmen konnte. "Nicht wahr? Kein Duell, keine Rauferei ohne ihn." Spott blitzte in Athos Augen, die Aramis musterten, deren Gesichtszüge immer mehr gefroren. Sein Cousin lächelte verhalten. "Ja, das habe ich schon zu spüren bekommen." "Unser Aramis steckt voll ungeahnter Fähigkeiten." "Randvoll", knurrte diese grimmig. Sie verbiss sich eine scharfe Erwiderung, als eine Dienerin mit der Fleischplatte erschien. Das zierliche Mädchen balancierte unsicher die viel zu schwere Silberplatte. Der Lord hüstelte verlegen, als sie wieder alleine waren. "Nun, Ihr habt etwas ... nun ja weiches, ich meine ... ich habe nie bemerkt, dass Ihr ein Mann seid und ... selbst als die Gerüchte aufkamen ... nie hätte ich sonst." Er brach hilflos ab. Aramis schüttelte heftig den Kopf. "Ihr müsst Euch nicht entschuldigen, Lord Corday. Darauf haben der König und der Kardinal gehofft. Genau deshalb wurde ich ja hergeschickt. Mir gefällt die ganze Sache genauso wenig und ich wollte Euch nicht bloßstellen." Er zuckte hilflos die Achseln und lächelte schief. "Reden wir nicht weiter davon! Ihr werdet mit genügend Schwierigkeiten zu kämpfen haben." Athos hob den Kopf. "Oh, die Frauen stört es nicht." "Viele Bewunderinnen?", erkundigte sich Corday interessiert. "Unzählige, aber sie haben es nicht leicht. Bisher interessieren sie Aramis nicht ... aber ich erinnere mich da an ein Mädchen, das arme Ding ..." Aramis bedachte Athos mit einem mörderischen Blick. "Ach, sei still!", donnerte sie. "Was ist mit Sophie", fragte Corday. "Was soll mit Sophie sein?" Der Lord hüstelte verlegen. "Nun, dass Mädchen ist ständig um Euch. Sie kleidet Euch an. Man sieht, dass sie Euch zugetan ist ... Ihr wollt mir doch nicht im Ernst weismachen, dass sie nicht Eure Geliebte ist?" "Ist sie nicht!" "Nun, wenn es Euch dann unangenehm ist, dass Euch das Mädchen beim Umkleiden hilft, dann stelle ich Euch gerne meinen Kammerdiener zur Verfügung. Er ist sehr vertrauenswürdig." "Nein Danke. Ich komme zurecht." Corday blieb beharrlich zuvorkommend, "Wirklich, Ihr müsst Euch nicht zieren. Ein Mann sollte über einen Diener und keine Zofe verfügen. Er ist überaus diskret und schweigsam", und so freundlich. Ein Muskel unter Aramis Augenlid begann zu zucken. "Nein, wirklich. Ich benötige keine zusätzliche Hilfe." "Aber ein junger Mann ..." "Nein ..." " .... Eurer Rolle angemessen ..." "Wirklich nicht ..." "... ungewohnte Frauenkleidung ..." "Bitte, Lord, ich benötige nicht ..." Athos Mundwinkel zuckten verräterisch. "Du solltest aufgeben Charles! Aramis ist da sehr eigen." "Nun ja ...", begann Corday zögerlich und sah nicht ein, warum seine Hilfe auf Ablehnung stieß. "Selbst vor uns, seinen Freunden", Aramis schnappte erstickt nach Luft. Wie konnte er es wagen? "Das ist mein gutes Recht", beschied sie kühl. "Er hat viele schrecke Narben, der Gute?", erklärte Athos eifrig seinem Cousin. "Oh", erwiderte Corday interessiert und beide starrten sie an. "Ich hoffe, Ihr habt keine Beeinträchtigungen dadurch. Haltet Ihr Euch deshalb von Frauen fern ... weil ... seid ihr dort?" Athos hatte Mühe, seine Heiterkeit zu verbergen "Weißt du noch Charles, der arme Armand? Böse Sache, der Sturz vom Pferd, es schlug aus ... verdammt auf ewig Junggeselle zu bleiben." Aramis starrte sie entgeistert und schüttelte benommen den Kopf. "Bisher habe ich noch nie gesehen, dass du dir ein Weib genommen hast." "Danke für deine Ehrlichkeit, Athos und Eure Sorge um mein Wohlergehen." Sie schluckte die Tränen herunter, die in ihrer Kehle brannten. Athos wandte sich erneut mit einem hinterhältigen Lächeln an sie. "So schlimm kann es doch nicht sein, oder Aramis? Wie gut kennen wir uns eigentlich, frag ich mich? Es würde einiges erklären." "Was würde es erklären?" Corday zeigte eine Mischung aus Mitgefühl und unverhohlener Neugier. Athos merkte, wie Aramis zum Sprechen ansetzte, aber kein Wort herausbrachte. Ihr Gesicht wirkte verkrampft. Wortlos machte sie kehrt und warf mit einem lauten Krachend die Tür hinter sich ins Schloss. Die Türblätter vibrierten leicht. "Vielleicht wollt Ihr wissen, wofür ich Euch halte, ihr ...." An dieser Stelle mussten zwei Käfer vor der Wucht ihres Absatzes das Leben lassen. "Ihr ...." Aramis neigte zum Eigensinn, war sturköpfig und unberechenbar. Das Fluchen war ein weiteres ihrer Laster und sie verfügte über eine recht ansehnliche Auswahl an passenden Ausdrücken. "Was ist denn passiert", wollte Sophie flüsternd von einer der Zofen im Hause Corday wissen. Das Mädchen zuckte unwissend die Achseln, verstand aber ohnehin kein Wort, da sie nur der englischen Sprache mächtig war. Sophie schüttelte bedauernd den Kopf. "Ich glaube Lord Coday, Graf de la Fere und Monsieur Broussard sind zuviel für die Comtesse." Die junge Zofe machte, dass sie schleunigst aus der Schusslinie geriet. Sophie hielt es für besser ihrer Herrin zu folgen. "Ich hoffe, wir haben es nicht übertrieben", bemerkte Charles mit einem Grinsen. "Mit ihm ist nicht zu spaßen, wenn er wütend ist", sagte Athos und erwiderte dieses. "Vielleicht leidet er wirklich an einer körperlichen Entstellung, ein Unfall in der Jugend und es kann leicht passieren ..." Athos strich sich verlegen über das Kinn. Er war zu weit gegangen, um einfach einzulenken. Gleichzeitig empfand er sogar Anzeichen von Mitleid für Aramis. Aber zu viel Mitgefühl trübte die Sinne und so begnügte er sich mit einem wagen Schulterzucken. "Was sollte man sonst annehmen", fuhr sein Freund fort. "Hast du ihn dir näher angesehen? Er ist schon Mitte 20 und weißt nicht den geringsten Bartwuchs oder eine tiefe Stimme auf. Was schließt man daraus?" Athos wusste, dass Charles nur nach einer Entschuldigung suchte, weshalb er Aramis als das gesehen hatte, was sie ohnehin war, aber nicht zu sein vorgab. Er konnte es ihm nicht einmal verdenken. Die Erkenntnis musste für Charles genauso ein Schlag gewesen sein, wie für ihn, als er erfuhr, dass sein Freund eine Frau war. Auch er hatte nach Ausreden gesucht, warum er die ganze Zeit über blind gewesen war. "Du siehst sicher schwarz", wandte er ein. "Früher oder später wird sicherlich noch seine Stimme tiefer. Ich habe einmal von einem Mann gehört, der bis zu seinem dreißigsten Lebensjahr bartlos und von hoher Stimme war. Wenige Wochen später hatte er ein Vollbart und eine Stimme im tiefsten Bariton." Charles seufzte. "Vollbart, wie? Das passt nicht ganz in meine Vorstellungen von deinem Freund." Beide Männer lachten. Auf dem Gang polterte es, jemand schrie verschreckt auf. Überrascht verstummte ihr Lachen. Die Tür wurde aufgestoßen und Broussard stolperte ins Zimmer. Er hielt sich die Nase mit beiden Händen und durch seine Finger rann Blut die Wangen hinunter. "Äh had mi die nache bebochen." "Was?", fragte Athos. "Äh had mi die nache bebochen." "Mein guter Broussard, so verstehen wir Sie nicht. Warum blutet Ihre Nase?" "ER HAT MIR DIE NASE GEBROCHEN", schrie Broussard verzweifelt. "Wer?" Aufgelöst erschien Sophie im Zimmer. "Aramis ...", keuchte sie erstickt. Athos umfasste beunruhigt ihre Arme. "Was ist passiert?" "Aramis stürmte ins Zimmer, zog Männerkleider an und stürmte wieder heraus." "Dann hat er MIR DIE NASE GEBROCHEN", jammerte Broussard erneut. "Aramis?", fragte Athos ungläubig. "Wirklich?", rief Charles sichtlich fasziniert von dem Blut auf Broussards Wange. Der Sekretär nickte heftig. "Monsieur Broussard reizte ihn und da schlug er zu", verteidigte Sophie Aramis. "Aramis?" "Wirklich?" Sophie nickte unglücklich und zuckte die Achseln. "Jemand sollte die ganze Sache der verschreckten Miss James und dem Zimmermädchen erklären!" "Wir müssen Aramis finden, bevor er eine Dummheit begeht!" wandte sich Athos an Charles. Dieser nickte. "Wo wird er hingelaufen sein?" Der Musketier zuckte die Schultern. "Ich weiß es nicht, aber wir sollten uns auf die Suche begeben." "ER HAT MIR DIE NASE GEBROCHEN", schrie Broussard außer sich, weil keiner ihm zuhörte. Nur war da niemand, der ihn noch hören konnte. Stunden waren vergangen und noch immer fehlte von Aramis jegliche Spur. Betreten saßen sie beisammen und hörten dem rhythmischen klicken der Zeiger zu. Der zu tiefst gekränkte Broussard unter ihnen, die besorgte Sophie nervös an ihren Nägeln kauend. Die Dienerschaft hatte sich schon zu Bett begeben. "Es ist schon weit nach Mitternacht. Gnade ihm Gott, wenn er Engländern begegnet ist, die herausbekommen haben, dass er Franzose ist ..." sagte Charles alarmiert. "Aramis spricht kein richtiges Englisch", wandte Athos ein. Wieder verstrichen die Minuten. Endlich schwang die Tür auf und eine dümmlich grinsende Aramis erschien am Türrahmen. Das Hemd steckte lose im Hosenbunde, das Haar hing wirr um ihren Kopf und über der Wange zeichneten sich mehrere Kratzer ab. Ihr Hemd war mit Flecken und Blutspritzern überseht und sie umwehte eine Wolke aus billigem Alkohol. Ein Mädchen in der fadenscheinigen Kleidung einer kleinen Straßenhure stützte sie. Beiden Männern war nicht klar, welche Lawine sie losgetreten hatten. Wut und Zorn wüteten in Aramis Magen, der sich vor Demütigung und Erniedrigung zusammenzog und sich an ihrem verletzen Stolz labte. Nicht die Worte an sich hatten sie verletzt, sondern Athos Verrat an der Freundschaft zu ihr. "Isch habe gewonnen", erklärte sie sichtlich angetrunken. "Und das ist ..." Sie überlegte angestrengt. "What's your name?" "Molly", erklärte die Kleine mit der kränklichen Haut. Aramis strahlte. "Molly! Molly war so nett mir zu helfen." Athos hatte sich von dem Stuhl erhoben, auf dem er bisher gewartet hatte. Seine Lippen waren zu einem wütenden Strich zusammengepresst. "Wobei gewonnen?" fragte Charles neugierig und wiederholte die Frage auf englisch, als er keine Antwort erhielt. "Monsieur hat alle beim Trinken besiegt", erklärte die junge Hure stolz. "Und er hat sich mit Henry geschlagen." Molly hing voll Bewunderung an Aramis Gesicht. Sie hatte es in ihrem Leben nicht leicht gehabt und sie würde weit vor ihrer Zeit sterben. Die wenigen Freier, die sie gut behandelten, befanden sich in der Minderheit. Bis sie den schmalen Franzosen mit dem schlechten Englisch, aber den schönen blauen Augen getroffen hatte, hielt sie sich von Gefühlen gefreit. Er hatte ihr Geld gegeben, viel Geld, weil sie ihm aus dem bisschen Nächstenlieb half, dass noch in ihr war und er wollte nicht mehr, als ihr sein Leid zu erzählen. Sie hatte nichts von dem Verstanden, dass was er ihr in seiner wohlklingenden Muttersprache erzählt hatte, als seine Sinne schon lange den nüchternen Zustand hinter sich gelassen hatten, aber sie glaubte, dass es tausend Liebesschwüre waren. "Ihr hätten ihn sehen müssen", wandte Aramis ein und übersah den zornig schweigenden Athos großzügig. "Sah er schlimmer aus, als Ihr?" fragte Charles. Aramis schüttelte nachdenklich den Kopf. "Nein, Ihr hättet ihn einfach nur schehen müssen. Sehr großch und breit!", sagte sie und zog mit den Händen einen imaginären Gegner nach. Broussard schob die kleine Hure von ihr weg und fauchte sie böse an. Dabei wies er auf sein blutunterlaufendes Nasenbein. "Sie Irrer haben mir das Nasenbein gebrochen!" Aramis sah ihn giftig an. "Seien Sie froh dasch es nur das Naschenbein war!" Ohne sie weiter zu beachten schwankte Aramis an ihnen vorbei und begab sich ins Schlafzimmer. Charles sah dem vermeintlichen Mann fasziniert hinterher. Molly schwebte im siebtem Himmel. Wieder hatte sie kein Wort von dem Wortwechsel auf französisch verstanden, aber sie war sich hundertprozentig sicher, dass ihr Angebeteter für sie gegen den dünnen Monsieur mit dem Rattengesicht Partei ergriffen hatte. Aramis war fortgegangen um sich zu betrinken, mit der ernsten Entschlossenheit der Nüchternheit für immer zu entkommen. Betrunken und verletzlich lag sie auf dem Bett und hickste leise. Sophie setzte sich bedächtig auf die Bettkante und tupfte ihrer Herrin die Kratzer im Gesicht mit klarem Wasser ab. Charles war dem verschlossenen Athos nach draußen gefolgt. "Ich weiß nicht mehr wer und was ich bin." Sophie beugte sich bei den leisen Worten näher. Eine glitzernde Tränenspur bildete sich unter den dichten Wimpernkranz auf dem bleichen Antlitz. "Ich will nicht mehr", flüsterte Aramis und weinte still. Das Mädchen strich der jungen Frau über das wirre Haar. "Ihr leidet wohl unter einer Identitätskrise, Monsieur Aramis?", sagte sie tröstend und beugte sich runter, um die schmalen Schultern der Liegenden zu umarmen. Monsieur Broussard hatte am Türrahmen gestanden. Der Schmerz in seiner Nase pochte und betäubte seine Gesichtszüge. Er ballte die Faust zusammen, als er sah, wie sich Sophie zu dem Musketier niederbeugte und zärtlich drückte. Zähneknirschend verließ er das Zimmer. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)