Diplomatie im Auftrag seiner Majestät von fastcaranbethrem ================================================================================ Kapitel 30: Eine Frage des Auftretens ------------------------------------- Eine Hand griff unsanft am Aramis Oberarm und zog sie mit sich. Sie raffte ihre Röcke, um nicht über den langen Saum zu stolpern. Die Königin versuchte mit tippelnden Schritten aufzuholen. Ihre Hofdamen folgten ihr, wie ein aufgeregter Schwarm Hühner. Die Köpfe gingen emsig vor und zurück, um ja nichts zu verpassen. Leise wisperten ihre Stimmen. Hohl klangen die Schritte in den hohen Plateauschuhen über dem steinernen Marmorboden, in den weiten Fluren. "Ihr hättet bei den Cordays bleiben sollen", raunte die Königin ihr kaum hörbar zu. Ihre Augen irrten nervös über den Gang. Der Brustkorb senkte sich hektisch unter dem steifen goldbestickten Mieder, so sehr strengte sie sich an, mit der Geschwindigkeit Schritt zu halten, die Aramis mit ihren langen Beinen vorlegte. Wurde Aramis langsamer, bekam sie einen groben Schubs von noch gröberen Händen. Mit gewichtiger Miene schob sie der königliche Sekretär unbarmherzig vorwärts. Sein Gesicht sprach aus, was alle dachten. Hier fiel das Henkersbeil. Zack und ab der Hals. Henrietta atmete schwer. "Ich kann Euch nicht schützen, aber die Cordays sind mächtig, sie könnten." Aramis schwieg. Die Zeit hatte ihr den unschätzbaren Wert des Schweigens und der Verstellung gelehrt. Die hohen Spiegel in Goldfassung warfen ihr Bild zurück. Eine andere Frau, als der Musketier der letzten Jahre, blickte ihr entgegen. Jung, hoch gewachsen und schön. Sie hatte ein dunkelblaues Kleid gewählt, so dunkel, dass es fast schwarz wirkte. Ihre Körpergröße und das hochgeschlossene Kleid, gaben ihr in dieser Traube aus bunt gekleideten blassen Engländerinnen etwas aus dunklen Vermutungen und unergründlichen Geheimnissen. Der stolze Gang und der klare Blick verrieten nichts von ihrer Anspannung. Wie oft hatte sie schon ihre Angst bezwungen, um trotz der Gefahr der schändlichen Aufdeckung, Verurteilung und dem Tot weiterzumachen. Sie hatte eine Mission und sie würde diese erfüllen. Frauen mochten ein anderes Ehrgefühl als Männer haben. Ein Stolz und eine Ehre, welche in der Welt der Männer als charakterlos und wankelmütig bezeichnet wurde, doch darum nicht weniger bindend. Sie waren vor der großen Flügeltür zum Thronsaal angelangt. "Madam, Ihr tretet vor dem König, wahrt die Etikette!" Sir Mattwig Fitzsimmson, Sekretär seiner Majestät, wollte dem Gardist zunicken, aber die Königin unterbrach ihn und zog Aramis beiseite. Aramis musste sich herunterbeugen. "Comtesse, ich weiß, wir kennen uns erst kurze Zeit", hauchte Henrietta kaum hörbar in ihr Ohr und lächelte unsicher. "Aber was Ihr für mich getan habt, kann ich Euch nie vergelten. Ihr seid ein Segen für mich, so wie dieser Mann", sagte sie bitter, mit einem Blick, der sich auf die Tür richtete, hinter der der König wartete, "ein Fluch ist. Passt auf Euch auf!" Ein letzter fast liebevoller Blick, dann trat sie zurück. Mit einem letzten grimmigen Blick in den Spiegel betrat Aramis hinter Fitzsimmson den Thronsaal. Jetzt galt es Contenance zu wahren. Karl thronte erhaben auf dem rot gepolsterten Thron auf dem Podest. Er war alleine. "Henrietta?" Die königliche Braune hob sich pikiert. "Majestät!" Henrietta hickste aufgeregt und wurde rot. Ihr Hofstaat war draußen geblieben. Stumm und aufgeregt lauschend. "Ihr wollt sicher die Andacht nicht verpassen!" Karl ließ in seiner Stimme keine andere Auslegung, als die eines Befehls, möglich. Henrietta holte Luft, wagte es aber nicht dem König zu widersprechen. Widerstandslos verließ sie den Saal. Karls Augen waren so hart und starr, wie das kalte Metal seiner Würde. Unverblümt taxierte er die vermeintliche Comtesse mit einem unergründlichen Blick über die Länge des Saals hinweg. Aramis musste sich zusammennehmen nicht zurück zu starren. Demütig hielt sie die Lider gesenkt. Seine Stimme klang scharf und schneidend, wie ein Schwert. "Nun, Ihr seid am Hof zurück, Comtesse und gesund!" Eine Feststellung, keine Frage. Aramis versuchte das Zittern zu unterdrücken. Die dunklen Augen durchbohrten sie. "Warum seid Ihr aus dem Zelt verschwunden?" Der große Saal warf das Echo seiner Stimme zurück. "Nun, ich konnte doch nicht ..." Aramis befeuchtete die trockenen Lippen, "ich konnte doch nicht ...." "Ja?" "Er ist Leibarzt seiner Majestät. Ihr seid von Gott als Herrscher eingesetzt und ich nur eine unvermögende Adlige vom Land." Ihre Stimme erstarb. "War dies Eurer einziger Grund?" "Ja, natürlich." Sie hatte keine Ahnung, wie ihr diese Lüge über die Lippen kam, aber sie schien Karl zu gefallen. Kein Herrscher war gegen Schmeicheleien unempfänglich. Demütig senkte sie das Haupt. "Also ist an den Gerüchten nichts dran?" "Nein, Eure Majestät. Ich weiß nicht, wie sie zustande gekommen sind." "Aber Eurer eigener Sekretär hält Euch für einen Mann." Aramis zitterte unmerklich. Sie hatten Broussard verhört? "Sire, mein Sekretär hält Flohpuder für die größte Erfindung der Menschheit, obwohl selbst Flöhe vor ihm Reißaus nehmen." Der König lachte lautlos für den Zehntel einer Sekunde, dann thronte er wieder erhaben und unterkühlt auf seiner Königswürde, wie das jüngste Kind auf dem viel nachgiebigen Herzen einer Mutter. "Wie heißt Ihr? Keine Verstellung, keine Lügen!" "Reneé de Herblay, Eure Majestät." "Ich weiß wer ich bin! Seid Ihr eine Frau!" "Ja!" "Eine Adlige?" "Ja!" "Schwört es, bei allem was Euch heilig ist!" "Ich schwöre es auf alles, was Ihr wollt." "Warum seid Ihr dann inkognito hier?" "Ich bin von zu Hause fortgelaufen, Eure Ma ... Ich bin von zu Hause fortgelaufen." Karl entspannte sich merklich und rutschte tiefer in das steife Polster. "Also eine Rebellin? Da habt ich einer Rebellin Einlass an meinem Hof gewährt! Warum?" "Man wollte mich verheiraten, gegen meinen Willen!" Das war der Trick an der ganzen Sache. Man hielt sich weitestgehend bei der Wahrheit, der Rest war lediglich eine Interpretationsfrage dieser. "Die Flucht scheint Euch nicht geglückt zu sein, Mademoiselle. Verdanken wir Graf de la Feres Anwesenheit dem Umstand, dass er seine entflohene Braut zurückholen will?" "Ja, Eure Majestät!" "Graf de la Fere scheint mir eine gute Partie zu sein. Jedenfalls ist der restliche weibliche Hof davon überzeugt, die ihm scharenweise hinterher rennen. Er wird Euch vergeben, dass Ihr ihm dem Spott ausgesetzt habt und zur Gräfin de la Fere machen." Das hieß soviel, dass der König Athos befahl, sie zu nehmen. Bei dem Satz schwang ein Stolz in seiner Stimme, als sei er für das Phänomen Athos verantwortlich. Karl stutzte. Sah er sie grinsen. Er hegte den starken Verdacht, dass die junge Frau vor ihm gar nicht zu warten gedachte, bis ein Mann sie wählte, sonder sich den Mann selber aussuchte. Und wenn sie eine alte Jungfer war, dann gewiss nicht, weil keiner sie gefragt hatte. Das durfte nicht sein. Die Frau bedurfte einer starken Hand durch ihren Ehegatten. "Nun heiratet ihn endlich, dann hat die ganze Unruhe ein Ende! Mein Kind, Ihr braucht jemanden, der auf Euch achtet. Graf de la Fere scheint uns der Richtige zu sein", befahl er schließlich gutväterlich und entließ sie. Aramis widersprach nicht, knickste und verschwand mit ihrer Erheiterung. Gemeinhin erzog der Landadel seine Kinder mehr in Gottesfurcht, als die hohen Adelshäuser. Aramis Erziehung hatte alles beinhaltet, was eine junge Adlige mit Hinblick auf ihren eigenen Haushalt wissen musste, mit Anstand und Manieren, hatte sie gelernt Gottes Wort zu befolgen. Sie glaubte buchstäblich jedes Wort der Bibel, sah nur die Interpretation etwas freier. Natürlich war der Mann zu erst erschaffen worden, aber sie glaubte nicht, dass Gott ihn klüger geschaffen hatte. Vielleicht konnte sie im Park ausreiten gehen, dachte sie, als die Tür hinter ihr schloss. Ihr Blick trübte sich finster, angesichts der Höflinge, die sich eingefunden hatten. Die Gespräche erstarben und alle Augen wendeten sich Aramis zu. Ihre Gesichter waren starr vor Neugier und Sensationslust. Die sexuelle Erfüllung ihres Trieblebens reichte längst nicht aus, ihre Lüsternheit zu befriedigen. Intrigen und Missgunst, hemmungslose Neugier und die Sucht nach Gerüchten nahmen einen viel höheren Stellenwert ein. Sie hielten die gepuderten Nasen hoch und witterten. Keine Palastwache, die sie in Ketten fortführte. Zu ihrer Überraschung zerteilte sich die Menge, wie das rote Meer unter Moses Stab und das Ende spülte Athos und seinen Cousin aus. Die Blicke folgten den beiden, die sich mit sorgevollen Gesichtsausdruck Aramis näherten. Schweigend standen sie sich die beiden Musketiere gegenüber und wussten sich nichts zu sagen. Schweigend beobachtete der Hofstaat jeden ihrer Bewegungen ohne den Anstand zu besitzen zu gehen. Hier und da dachte einer verstohlen an die ein oder andere Karikatur, die er in einem Werk Homers oder Shakespeare versteckt hatte. "Geht nach Hause!", rief Aramis in die Stille und sah sie herausfordernd an. "Das Schauspiel ist vorbei. Heute wird keiner geköpft." Man tuschelte aufgebracht, rümpfte pikiert die Nase und eilte erhobenen erhaben Hauptes davon. Ein zufriedener Ausdruck erschien auf Aramis Zügen. Athos blickte auf und erwiderte ihr Lächeln, erleichtert, dass es ihr gut ging. "Und?" Aramis grinste sichtlich erheitert. "Ich soll dich heiraten." Er kannte Aramis Meinung zu der Ehe. Nachdem ihr Verlobter starb, man sie um eine Trauung und ein trautes Familienleben gebracht und sie den Geschmack der Freiheit gekostet hatte, hielt sie die Ehe für eine künstlich erschaffene Institution, von den Männern erdacht, um die Frauen zu knechten. Er konnte sich vorstellen, wie erheiternd sie die ganze Sache fand. Er grinste zurück. "Ich werde nachsehen, wann ich Zeit habe. Was sagt der König? Keine Verurteilung, kein Verhör?" Aramies sah die Fassungslosigkeit auf seinem Gesicht. Sie genoss die Verwirrung, die sie stiftete. Deshalb bekam sie das Grinsen nicht mehr aus ihrem Gesicht. Lächelnd schüttelte sie den Kopf und zuckte nichtssagend die Schultern. Es ist unglaublich, dachte Athos ungläubig, sie ist wieder einmal davon gekommen. Skeptisch schwankte er zwischen Verbissenheit und Erleichterung. Die Erleichterung gewann. "Kannst du zaubern?" "Nein", sagte Aramis leichthin. "Vielleicht ein wenig bezirzt." "Warum hast du deinen Scharm nie beim Kardinal eingesetzt." "Hab ich doch", erwiderte sie trocken. "Deshalb bin ich ja hier." Beide grinsten sich im stillen Einvernehmen an. Er sah das Funkeln ihn ihren Augen. Seit einiger Zeit dachte er immer häufiger an Marie zurück. So zog er direkte Vergleiche zwischen beide Frauen. Ihm ging auf, was für eine leidenschaftliche Person Aramis war. Das zeigte sich nicht nur, in dem Feuer, mit dem sie zurück schoss, sondern auch wie sie lachte, litt und einfach lebte. Ihn durchzuckte der unziemliche Gedanke, dass sie auch in der Liebe leidenschaftlich sein musste. Er fand ihr Lächeln plötzlich sehr anziehend. Charles runzelte leicht die Stirn. Er spürte die Befangenheit seines Cousins. Gegensätzlich zu seinem sonstigen Verhalten sah man ihm das an. Er selbst sagte sich, Aramis war ein Mann und es durfte nicht sein. Ein Engländer tat so etwas nicht. Jedenfalls keiner aus dem Hause Corday, dessen Blaublütigkeit man bis in die frühen Jahrhunderte zurückverfolgen konnte. Einer dessen Vorväter dem Oberhaus unterstanden und enge Freundschaften mit den jeweiligen Herrschern pflegten. Die jeweilige Dame des Hauses war ein Musterbeispiel an höfische Manieren und kannte ihren Platz in der Gesellschaft. Ein Corday tat so etwas nicht. Er atmete tief durch, seufzte schwer und sah sie sehnsüchtig an. Liebkoste mit den Augen ihre Züge. Die Mimik ihres Gesichts, die Sprache ihrer Augen. Sein Kopf sagte das eine, seine Drüsen befanden sich in Überproduktion und sprachen etwas ganz anderes. Nein, keine schlaflosen Nächte und kein Körper der ihn verriet. Im Nebel hörte er, wie Athos neben ihm sagte. "Wir haben deinen Sekretär mitgebracht. Broussard schien wenig erfreut, dich wieder im Palast zu wissen." Als ihr "Verdammte Scheiße!", entfuhr, geriet er in Verzückung. Er sah das Lächeln von ihrem Gesicht verschwinden. Verstört musterte sie die beiden. Mit einer gemurmelten Entschuldigung zog Aramis sich zurück und mit ihr verschwand das Gefühl von Leichtigkeit. Enttäuscht und bedauernd sah er ihr nach. Ärgerlich rückte er seinen Rock zurecht. Hinter der langen Fensterreihe zum Park, tanzten die Sonnenstrahlen auf der Teichoberfläche, die Vögel zwitscherten vergnügt und die Bäume standen im satten Grün. Für die gesamte sommerliche Szenerie von Frohsinn und Harmonie hatte Frederik Broussard nicht einen Blick, geschweige denn einen Gedanken übrig. Er hatte es eilig in sein Zimmer zu kommen. Wie konnte diese Dirne es wagen ihn abzuweisen? Das Sophie ihn zugunsten des Hermaphroditen verschmähte, hatte sein Selbstbewusstsein nicht im Mindesten geschmälert. Irgendwann würde sie zu ihm kommen. Er konnte warten. Ihren Widerwillen übersah er geflissentlich. Ihr Missfallen war letztendlich nur gespielt, um sein Interesse zu wecken. Frauen taten letztendlich das Gegenteil von dem was sie sagten. Das lag in ihrem leicht beeinflussbaren, niederen Wesen. Aber das die Bedienstete einer nichts sagenden Lady ihn auch wegstieß, überstieg sein Fassungsvermögen. Die Hure hätte ja nicht gleich zu Schreien beginnen müssen und gekratzt hatte sie ihn auch. Broussard dem sein Ärger noch im Gesicht geschrieben stand, stolperte zu seinem Zimmer. Während er lief, richtete er sich seine Hose. Endlich hatte er die Tür erreicht. Vor knapp zwei Monaten musste er viel zu schnell umziehen. Er hatte nicht mehr die Zeit gehabt sein Versteck auszuräumen und zu dem Stadthaus der Cordays zu schmuggeln. Hoffentlich befanden sich seine geheimen Aufzeichnungen noch an Ort und Stelle? Gut, dass der Mädchenjunge an den Hof zurückgekehrt war. So befand sich Broussard wenigstens in unmittelbarer Nähe seines zweiten Auftraggebers. De Meyé zahlte für seine Dienste wesentlich besser, als der Kardinal. Seine Ergebenheit galt dem Geld, damit dem Grafen. Aramis hatte einen großen Fehler begangen, als er sich verwunden ließ. Ganz London sprach über die Frage seines Geschlechtes. Sollte er sich doch beim König den Schädel einrennen und weiterhin als Gespött des Hofstaates dienen. Nach Broussards Meinung war er ohnehin eine Witzfigur. Als Mann mit der glatten, bartlosen Haut, dem blonden Haar sowieso kaum zu gebrauchen. Lachhaft, dass er ein Musketier war. Neigte der Kapitän zu Knaben? Hatte Aramis das Bett des Kapitäns geteilt? Er zuckte die Schultern. Das wäre eine Erklärung, aber was ging es ihn an. Broussard war es unverständlich, wie sich Aramis aus dem Gespräch mit dem König herauswinden konnte, aber dem elenden Musketier würde ein weiterer Fehler unterlaufen. Das war gewiss. Er schloss die Tür hinter sich und sah sich um. Dann rollte er den Teppich beiseite und ließ sich auf Knien nieder, um die Dielenbretter abzuklopfen, bis das Geräusch ihm den Hohlraum verriet. Ein Buch traf ihn am Hinterkopf. "Suchst du das hier?" Aramis trat aus dem Schatten der Tür hervor. Broussard ächzte. "Unter den Dielen. Also wirklich, dort wo man zu erst sucht. Das ist nicht sehr einfallsreich". Sie schnalzte missbilligend mit der Zunge. "Eine nette Lektüre." Die Waffe glänzte frisch poliert in ihrer Hand. "Willst du mich umbringen", fragte Broussard mit belegter Stimme, den Blick hypnotisch angezogen von dem dunklen Holz der Schusswaffe. "Aber nicht doch. Ich habe das Buch kopiert. Es ist schon auf dem Weg zum Kardinal." Broussard entfuhr ein Schrei. "Du Kastrat, du Hurensohn, Bastard einer ...", schrie er mit so schriller Stimme, als wäre er eine Frau und wollte sich auf sie stürzen. "Vorsichtig!" Aramis Waffe und der kalte Glanz ihrer Augen stoppte ihn. "Nicht so übereifrig, Broussard. Was hat de Meyé vor?", fragte sie mit distanzierter, lediglich von beruflichem Interesse zeugender Stimme. Sprachlos vor Hass starrte er sie an. Speichel lief aus seinen farblosen Lippen und tropfte auf den schwarzen Wams. "Ich schieße", sagte Aramis, "wenn Ihr es mir nicht sagt!" Ihre Augen berichteten ihn nichts gegenteiliges, zu ihrer Aussage. Noch immer schwieg er. Sie zog einen schmalen Dolch aus ihrem Gürtel, warf die scharfe Waffe in die Luft. Der Dolch drehte sich, landete sicher mit der Schneide in ihrer Hand und wirbelte mit schnellen Drehung auf ihn zu. Der Wurf kostete Broussard einige Lebensjahre, mehrere Haare und das halbe Ohr. Er quiekte, als das Blut seitlich an seinem Nacken herunter rann. Vor Schrecken spürte er den brennenden Schmerz nicht gleich. "Ich weiß kaum etwas", presste er hervor. In ihrem regungslosen Gesicht zuckte es kurz. "Erzählen Sie mir alles!" Broussard wusste wirklich wenig. Er war ein kleiner Informant, der mit mittelmäßigen Informationen handelte. Aramis verstand, warum Athos Broussard nicht für handlungsnötig hielt. Er richtete kaum Schaden an und war zu bedeutungslos. "Der Graf trifft sich heute Abend mit David Heydon, um ihn ihm neue Informationen für den Informanten zu übergeben. Aber weder Heydon noch ich wissen, wer das ist, noch woher er kommt und die Informationen bringt. Der Graf würde uns näheres nie anvertrauen", schloss er tonlos. Broussard war zweifellos ein guter Schauspieler, aber so hätte es vollendeter Kunst bedurft, um sein Aussehen anzunehmen. Er war aschfahl, Schweiß lief ihm über das Gesicht. Er presste die Hand an die Seite, um das Zittern zu unterdrücken. Die Augen schienen ihm aus den Höhlen gequollen zu sein. Sie nickte nachdenklich. "Also wieder Heydon. Wenn etwas funktioniert, warum dann ändern." Aramis dachte ärgerlich jenen unseligen Abend zurück, wo sie das Treffen zwischen Heydon und dem Informanten nicht verhindern konnte. Ein weiteres Mal durfte das nicht passieren. Nicht wenn sie endlich nach Hause zurück wollte. Es schien ihr eine Ewigkeit her. Athos war noch nicht in England und kein de la Ferè. Der Mond schien hell, sein kaltes Licht tanzte über das Wasser. Die Ruderblätter tauchten gleichmäßig unter. Corday, der sich näher beugte. Seine Augen glimmten, sie roch ihn, fühlte sein Knie an ihrem, dass Kribbeln in ihrem Bauch, dann den Kuss. Ein kurzer Augenblick und schon vorbei. Nicht der Kuss an sich hatte sie erregt. Sein Kuss vermochte nicht einmal ein Teil des Feuers einfangen, den eine bloße Berührung von Athos in ihr entfachte, aber für diesen kleinen Moment gab er das Gefühl zurück eine Frau zu sein. Begehrenswert, schön und jung. Ein Gefühl, dass sie seit sieben Jahren misste und weder Kleider, noch höfisches Benehmen zurückholen vermochten. Dieser kurze Kuss hatte es vermocht, trotz dreckiger, blutbesudelter Männerkleidung, zerzausten Haaren und blessiertem Gesicht. Von ihren Erinnerungen abgelenkt, bemerkte Aramis nicht, wie Broussard den Stuhl griff und ihr entgegenschleuderte. Sie hob die Hand, um sich zu schützen und sprang zur Seite. Schmerzhaft landete sie auf dem Boden. Broussard sah sie am Boden liegen, bekam den nächsten Stuhl zu fassen und war blitzschnell über ihr. Seine Furcht verlieh ihm ungeahnte Kräfte. Aramis sah eher ärgerlich, als wütend zu ihm auf. "Was soll das?" fauchte sie. Dann schlug er zu. Dunkelheit umfing ihre Sinne. Broussard sah Aramis zusammenbrechen und die Sinne verlieren. Schwer atmend stand er über der reglosen Gestalt und hielt noch den Stuhl in den Händen. Vor Hass unfähig einen klaren Gedanken zu denken, sah er auf den Körper und der Waffe in der Hand nieder. Aramis hatte ihn seine monatelange Arbeit, zwischen Kardinal und Grafen, gekostet. Der Musketier war vom ersten Moment an ein ständiges Ärgernis gewesen und nun würde er dafür sterben. Er hob die Waffe auf und spannte den Abzug. Dann überlegte er es sich anders und legte sie wieder beiseite. Die Geräusche eines Schusses wären zu laut und auffällig gewesen. Er griff nach dem Dolch in seinem Stiefel. Er hob den Dolch und stieß zu. Die Schneide prallt auf Widerstand und rutschte ab. Irritiert betrachtete Broussard die Waffe und strich prüfend mit dem Finger über die Klinge. Der Stoff war zerschnitte. Weiter schien die Klinge nicht gekommen zu sein. War der Kerl aus Eisen? Wieder hob er den Dolch und stieß zu, wieder stieß er auf Widerstand. Schließlich erinnerte er sich an das Korsette, dass Aramis zu tragen pflegte. Aramis war noch nicht erwacht. Broussard's Blick glitt zu der rechten Hand, an dessen Mittelfinger einen großen Tintenklecks aufwies. Die dunkle Farbe sagte ihm, dass er frisch war. Also wurden seine Aufzeichnungen gerade erst abgeschrieben. Folglich musste Aramis sie noch bei sich tragen. Bloß wo? Der Rock besaß keine Taschen. Broussard ließ sich auf die Hacken fallen und überlegte angestrengt. Sie mussten im Korsette stecken, aber durch den engen Halsausschnitt kam er nicht heran. Er drehte die leblos Gestalt auf die Bauch und öffnete mit der Dolchklinge die Verschnürung des Kleides am Rücken und die oberen Schnüre des Korsetts, dann drehte er den Körper zurück. Die Panzerung darunter ging bis zum Schlüsselbein. Er griff an der Oberkante, unter Miederwäsche und Korsette hinein. Da waren die Papiere. Mit der Fingerspitze fühlte er ihre Ränder. Seine Finger tasteten weiter. Er stutzte. War das ein Verband? Seine Hand glitt über den festen Stoff und die runden Formen einer Frauenbrust. Er drückte und zog wie verbrannt die Hand zurück. Was war das? Broussard schob erneut seine Hand hinein und tastete die Wölbungen ab. Eindeutig, unter dem Verband befand sich, wenn auch gepresst die Brüste einer Frau. Dann war er wirklich ein Mädchenjung, der die Laune der Natur hinter Binden und Kleidung verstecken musste. Broussard kam es gar nicht in den Sinn, dass Aramis eine ganz normale Frau sein könnte. Vorsichtshalber fühlte er noch einmal. Ob Kontrolle oder einfach nur Lüsternheit? Broussard hätte wohl nie gedacht, dass er, als er vor einer Stunde auszog einen willigen Frauenkörper zu finden, seine Formen bei einem Mann am nächsten gekommen zu sein. Aramis stöhnte und bewegte den Kopf leicht. Er schob die Hand tiefer, griff nach den Papieren und zog sie heraus. Ein letztes Mal blickte er auf die ohnmächtige Aramis nieder, dann ergriff er die Flucht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)