Diplomatie im Auftrag seiner Majestät von fastcaranbethrem ================================================================================ Kapitel 32: Hiltruds Schrecken ------------------------------ Ludwig erschrak heftig, als der Kardinal plötzlich in sein Büro stürzte. Angesichts der Heftigkeit Richelieus Auftritts, stand der König sofort auf. "Kardinal ..." "Majestät, eine Katastrophe." Derart hatte Richelieu noch nie die Etikette missachtet. Ludwig, der seinen 1. Minister steht's beherrscht kannte, setzte sich entsetzt wieder. Der Kardinal kam sofort zur Sache und reichte ihm ein Schreiben, dass er umgehend erklärte. "Ein Skandal, ein Desaster, ein nicht wieder gut zu machender Eklat für Frankreich." Der Kardinal schüttelte den Kopf. Tiefe Ringe zogen sich unter seinen Augen lang. Die Haut klebte pergamentartig am hageren Schädel. Sorge zerfurchte das ohnehin altersbedingte Faltental seines Gesichtes. "Ein Fiasko von dem sich Frankreich so schnell nicht mehr erholen wird. Eine Blamage für Euch, mein König. Nicht nur, dass man Aramis in Männerkleidung erwischt, nein, er muss sich auch noch in den Gemächern der Königin befinden! Wenn er nicht in England wäre, " zischte Richelieu, "und sich ohnehin im Kerker befinden würde, würde ich ihn sofort hinrichten lassen. Vorher vierteilen und dann Kopf ab!" Ludwig lehnte sich zurück. Er hatte noch nie, unverhüllten Zorn in den Augen des Kardinals gesehen. Die geballte Ladung seiner Wut, ließen seinen Blick an den Höllenschlund erinnern. "Kann es sich nicht um einen Irrtum handeln?", fragte er, blass vor Sorge. Seine Finger bogen sich krampfhaft, um das kostbare Kristall seines Weinpokals. Hastig nahm er einen Schluck. "Nein, Eure Majestät, es war eindeutig. Dieser Wüstling war gerade dabei, Eure Schwester zu besteigen." Das Glas in der Hand des Königs zersprang. "Satan, Belzebub, Teufel." Richelieu nickte weise. "Ganz genau, Eure Majestät und das aus unseren eigenen Reihen. Man ist nirgends sicher vor ihm. Höchst wahrscheinlich ist das ganze Musketierregiment infiziert. Man muss sie unverzüglich ...." "Gemach, Kardinal. Ihr könnt nicht meine ganze Garde wegsperren!" "Hier geht es auch um die Staatssicherheit, mein König. Aramis, Porthos, Athos, D'Artagnan ... alle gleich, der ganze Haufen. Sie schaden Euch. Denkt an Frankreich, Eure Majestät und an Eure Schwester in England. Wer weiß, was der Teufel ihr angetan hat", sagte er. "Und was nützte es uns, dass wir Athos nach England geschickt haben? Hat er etwas unternommen? Nein, seht Ihr! Das ist doch der beste Beweis. Zieht der Status eines Musketiers nicht einher mit Trinksucht und Hurerei?" Richelieu versprühte sein Gift, jetzt, da er seine Chance kommen sah. "Wenn Majestät die Dienste meiner Garde in Anspruch nehmen würden und die Musketiere nach La Rochelle ..." Der König unterbrach ihn. "Was ist mit Athos?" "Der sitzt ebenfalls im Tower vom London. Das Unglück ist, dass Eure Schwester die Vorwürfe nicht entkräftet, sondern zugibt, dass es sich um ein amouröses Zusammentreffen handelte." Ludwig zeigte sich besorgt. "Henrietta gibt es zu? Hat sie uns geschrieben?" Richelieu räusperte sich betreten und zog ein weiteres Dokument aus seinem Stapel. "In unserer Sorge um Frankreich, habe meine Sekretäre das Schreiben abgefangen. Verzeiht ihnen." Erneutes Räuspern, dann reichte er es dem König. "Sie haben es gelesen. Wir werden sie selbstredend bestrafen ... auf das Härteste", fügte er hinzu. "Was passiert jetzt", fragte der König bedrückt. "Ich kann es mir nur mit Schrecken ausmalen, Eure Majestät. Bis jetzt sitzt Aramis noch im Tower von London. Karl I. ist mit Irland, dem Parlament und La Rochelle vorerst beschäftigt. Hat er Zeit, wird er sich Aramis annehmen. Dann wird er diesen Verurteilen und Hinrichten. Athos Kopf wird folgen. Entweder wird Karl Frankreichs Schmach öffentlich machen und uns Eure Schwester mit Schimpf und Schande zurückschicken oder die ganze Affäre vertuschen. Wir können nur auf Letzteres hoffen." Ludwig schüttelte missbilligend den Kopf. "Oh, Henrietta, wie konntest du nur?" "Aramis muss sie behext haben. Es geht noch weiter, Eure Majestät." "Noch weiter? Welche Schreckensmeldungen habt Ihr noch für uns, Kardinal?" "Aramis schwor dem englischen König, dass sein Name Renée de Herblay sei. Wir wissen, dass Karl Erkundigungen eingezogen hat. Zu allem Unglück gibt es bereits eine Renée de Herblay. Waise eines kleinen Landadligen und diese ist keine andere, als diese aufdringliche, scharmlose Schauspielerin, die sich Nana Bernard nennt und mit aller Macht am Hofe auftreten möchte." "Nana Bernard?" Ludwig riss erstaunt die Augen auf. Von ihrer ersten und einzigen Begegnung konnte er sich nur an den Ausblick ihres großzügigen Dekolletes erinnern, nicht aber an ihr Gesicht. Diese Frau war zu ungeheuer tiefen Hofknicksen fähig und sehr zum Ärger der Königin, war es ihm einfach nicht möglich, nicht ins Tal der Versuchung zu sehen. Wehleidig sah der König auf. "Was machen wir?" "Leugnen!" "Leugnen?" "Egal was kommt, wir leugnen!", erwiderte Richelieu resolut. "Ich spüre großen Zorn in mir, Majestät." "Oh, dass sehe ich Kardinal. Was gedenkt Ihr zu tun?" "Jemand muss zur Rechenschaft gezogen werden!" Ludwig rückte seinen Gürtel gerade und holte Luft. "Jemand muss zur Rechenschaft gezogen werden!" Nana Bernard war in Hochstimmung. Sie schenkte jedem, der ihren Weg kreuzte, ein zauberhaftes Lächeln. Manch glückseliger Page konnte sein Glück kaum fassen und verbrachte den Rest des Tages in entrückter Ekstase. Ihr Blick glitt berechnend über den Prunk des Louvre. Ein Palast, der ihrer würdig zu sein schien. Als man vor dem Arbeitszimmer des Königs angekommen war, überprüfte sie ein letztes Mal den Sitz ihrer goldenen Locken, rückte den Busen nach oben, das Mieder nach unten und betrat mit einem sorgsam einstudierten Lächeln das Zimmer. Der König saß hinter seinem Schreibtisch, seine Eminenz der Kardinal stand neben ihm, mit freudlosem Gesichtsausdruck. Frankreichs Staatssouveräne begrüßte die Schauspielerin mit einem frostigen Lächeln. Noch verwunderte dies Mademoiselle Bernard nicht. Neigten doch die Herrscher eines Landes wenig zum Lächeln. "Setzt Euch", sagte Richelieu, in einem überraschend liebenswürdigen Ton. Ratlos musterte Nana die beiden Furcht einflößenden Männer, hinter dem Schreibtisch und fragte sich, worum es eigentlich ging. "Sagt mir, werte Mademoiselle Bernard, wer seid Ihr?" "Ich versteh nicht ganz", setzte sie zögerlich an und rutschte nervös auf ihrem Stuhl umher. "Nana Bernard, die Schauspielerin, jeder in Paris k..." "Ja, ja", unterbrach sie der König unwirsch und verzog die Lippen zu einem freudlosen Lächeln. "Dann frage ich anders. Als 'Wer' seid Ihr geboren?" "Ich verstehe noch immer nicht, Eure Majestät." Hilflos glitt ihr Blick zu den beiden Männern. Ihre Gesichter wirkten durch die Glut des Sonnenuntergangs hindurch regungslos. "Renée de Herblay?" "Ja, ja", eilfertig nickte sie und griff in ihr Mieder, um D'Trevilles Schreiben herauszuziehen. Warm von ihrem Busen, abgegriffen, weil sie sich so oft an ihrem neuen Stand geweidet hatte. Der Kardinal hob abwährend die Hand. Das Schreiben verharrte auf halbem Weg. "Ihr nennt Euch indes nun schon seit einem halben Jahrzehnt Nana Bernard. Warum tragt Ihr auf einmal Euren 'wahren' Namen", an dieser Stelle hob sich beredend die gebogene Braue des Kardinals, "derart leichtfertig auf der Zunge?" Nana begann zu zittern. "Nun ja", begann sie, aber eine rechte Erklärung wollte sich nicht finden. Überhaupt fiel ihr das Denken, angesichts des Gesprächsverlaufs schwer. "Der Name Aramis sagt Euch etwas?" Ludwig ließ den Namen unheilsvoll im Raum stehen und auf die verängstigte Schauspielerin wirken. Sie nickte. "Aramis sollte bei Euch höfisches Benehmen lernen und wie ein Frau aufzutreten. Korrekt?" Nana spürte ihr Herz in die wackligen Knie rutschen. Wieder nickte sie schwach. "Ihr habt versagt!", sagte Ludwig knapp. "Warum erklärt Aramis, besagte Renée de Herblay zu sein?", fuhr der Kardinal schneidend mit der Befragung fort. Nana befand sich am Rande der Ohnmacht. "Während Ihr diesen Namen gleichzeitig gebraucht?" "Ich weiß nicht", stotterte sie mit gebrochener Stimme und fuhr sich wiederholt mit der Zunge, über die trockenen Lippen. "Ihr braucht nicht zu erklären, Mademoiselle! Wir wissen genügen über Euch." Er klopfte leicht auf eine dünne Schriftmappe aus Leder. "Dies sind Akten, wie wir sie viele haben, über bestimmte Bürger dieses Landes. Wir pflegen sie sorgfältig und bemühen uns, alles zu wissen. In Eurem Fall, wissen wir alles." Hypnotisch starrte Nana auf die Akte. Man wusste über den Betrug ihrer Cousine Bescheid? War jetzt sie dran, weil sie von dem Possenspiel wusste und Aramis zur Abgabe ihres Namens und ihrer Rechte als Adlige genötigt hatte? Die spieredünnen Finger des Kardinals trommelten leise auf die Oberfläche der Mappe. "Aber so lasst mich ..." "Genug! Wir wissen ebenso über Aramis wahrer Natur bescheid. Aramis sitzt indes schon im Tower von London. Und säße Aramis nicht dort, dann bei sicherlich in Paris hinter Gittern, um auf die Hinrichtung zu warten. Vielleicht wollt Ihr das Los teilen?" Renée im Tower? Hinrichtung? Nana glaubte sich übergeben zu müssen. Nicht aus Mitgefühl für Aramis, lediglich aus Selbstmitleid. Wie vom Donner gerührt, hörte sie das Schicksal ihrer Cousine und meinte ihr eigenes Todesurteil zu hören. "Ihr könnt gehen, aber haltet Euch bereit, wenn wir Euch erneut befragen wollen!" Halb von Sinnen stürzte sie aus dem Zimmer. Als die Schauspielerin ging, rannen ihr Tränen über die bleichen Wangen. Richelieu hatte sich sichtlich an der zitternden Frau geweidet. Es entrüstete den Kardinal, so ohnmächtig, so völlig hilflos zu sein. Das Hochgefühl, das er bei der lang ersehnten königlichen Genehmigung zur Eroberung La Rochelles empfunden hatte, war weg, angesichts des Drucks, der auf ihm lastete. Sollte es zum öffentlich Eklat durch den Skandal in England kommen, würde er umso verbissener um ein protestantenfreies Frankreich kämpfen. La Rochelle sollte zum Höhepunkt seiner Laufbahn werden. Vorerst musste er seine Wut an jemanden anderes auslassen. Er nahm die Ledermappe auf, entfernte die weißen, unbeschriebenen Blätter daraus und warf die Mappe in den Müll. Energisch hämmerte Nana Bernard auf das schwere Eichentor ein. Tränenblind und fast hysterisch bearbeitete sie die Türblätter. Auch als Minuten des Schweigens folgten, ließ sie sich davon nicht entmutigen. Endlich gaben seine Bewohner, angesichts ihrer Beharrlichkeit auf. Hiltruds mürrisches Gesicht erschien in der Türfüllung. "Das darf doch nicht wahr sein ...", fing sie an, brach aber abrupt ab, beim Anblick der aufgelösten Nana Bernard. Tränen schimmerten in den blauen Augen. Der Busen hob und senkte sich heftig unter dem Spitzenmieder. Mit der richtigen Dramatik im kummervollen Seufzer, rauschte die Schauspielerin erhobenen Hauptes an der verdutzten Wirtschafterin vorbei, um D'Trevilles sorgsam geführten Haushalt zu erstürmen. Seine Junggesellendenfestung, hielt nicht länger stand, angesichts einer hysterischen Ikone aus der Theaterwelt. Schnell schloss Hiltrud das Tor. Die späte Stunde zog Bettler an und mit dem schwülen Sommer, Krankheiten und Epidemien. Das enge, dreckige, menschenüberfüllte Paris bot in der Sommerhitze den idealen Nährboden für Keime und Seuchen. Nachdem eine Fleckenfieberepidemie Hiltruds gesamte Familie innerhalb weniger Wochen dahingerafft hatte, nahm sie es sehr genau. Nana Bernard, duftdurchtränkt und seidenumwandelt, sah nicht wie eine mögliche Brutstätte von Seuchen aus und wurde damit vorgelassen. "Wo ist er?", fauchte die große Diva blasiert. "Monsieur D'Treville? Kapitän der Musketiere seiner Majestät, des erhabenen Ludwig XIII? Freund und Ratgeber des Königs?" Hiltrud ließ sich jedes Wort auf ihrer Zunge zergehen, als wolle sie erst den Geschmack probieren. "Der Kapitän geruht sich auszuruhen, nachdem er einen anstrengenden Tag bei Hofe gehabt hatte. Ich weiß nicht, ob er jemanden wie Ihnen Zeit gewährt." Wie 'Ihnen' tropfte vor Abfälligkeit. "Ich weiß, was 'anstrengender Tag bei Hofe' bedeutet. Das Volk ist hitzig, wegen der Morde und seine Männer sind unruhig, weil es heißt, dass die Musketiere für den bevorstehenden Kampf in La Rochelle zwangsrekrutiert werden." Nana trat ganz nahe an die untergesetzte Wirtschafterin heran, dass ihr Parfüm diese sprichwörtlich einhüllte. "Ich habe einflussreiche Gönner und Verehrer. Ich weiß, womit Kapitän D'Treville beschäftigt ist und er wird mich vorlassen, weil ich noch viel mehr weiß und ihm das Genick brechen kann." "Was ist hier los?" Der Kapitän war auf dem obersten Treppenabsatz erschienen. "Mademoiselle Bernard?", rief er verwundert aus. "Lass sie zu mir, Hildtrut!", befahl er. Hiltrud widersprach nicht, legte aber in ihr Schweigen, bemerkenswert viel Missbilligung und Widerstand. Ihre drei Kinne zitterten empört und die gestärkten Unterröcke raschelten, als sie hocherhobenen Hauptes davon stapfte. Hochmütig ließ sich Nana von D'Treville in sein Wohnzimmer führen. Beide nahmen vor einem riesigen Kamin in bauchigen Sesseln platz. Nana starrte ihn mit unverhohlener Herablassung an. Der Kapitän rutschte unbehaglich in seinem Sessel hin und her. Außer seiner hauseigenen Espada mit Staublappen und Bürste, ließ er nie ein weibliches Wesen in seine Wohnstube. "Und?", begann er näselnd. Der Kapitän legte die Fingerspitzen aneinander. Nana holte das Schreiben des Kapitäns hervor, dass sie damals erhalten hatte. "Dies hier, ist null und nichtig." Aufgebracht wedelte sie damit. "Renée hat es doch Tatsache geschafft, selbst als Frau zu versagen und als wenn das noch nicht genug wäre, besitzt sie die Frechheit ihren Namen zu benutzen, wo sie diesen doch an mich abgetreten hat." "Ich bin sicher, Aramis musste dies tun, um sich zu retten", erklärte der Kapitän vernünftig. "Mir ist egal, was Renée oder Aramis oder wie immer sich diese Verrückte nennen mag, tun musste. Sie hat ihn mir gegeben. Ich bin jetzt Renée de Herblay und ich beabsichtige es auch zu bleiben. Ich will das Ansehen, die Prestige und die Vorteile einer Adligen. Gott hat auf mich herabgesehen und mein Schicksal begünstigt und ich bin zu allem bereit, dem Schicksal hilfreich unter die Arme zu greifen." "Sorgen Sie sich gar nicht, um ihre Cousine?" Nana schnaubte abfällig. Der Kapitän wurde laut und baute sich mit der gesamten Autorität, die sein Amt innehatte, vor der Schauspielerin auf. Er war wütend und zu Recht zornig. Die letzten Nächte hatte er vor Sorge kein Auge zugemacht. "Aramis sitzt im Tower von London, Madam und wartet auf ihre Verurteilung. Ich muss in Paris bleiben, um seine Bewohner und meine Musketiere zu beruhigen, da ein Krieg bevorsteht, sonst würde ich mich augenblicklich nach London begeben, um das Mädchen zu retten. Jeden Tag hoffe ich auf Nachricht, aber da selbst mein anderer Musketier im Kerker sitzt, bin ich auf die Informationen des Kardinals angewiesen. Ich SORGE mich, Madam und mir steht nicht im Mindesten der Sinn danach, mich mit einer hysterischen Xanthippe abzugeben!" Hiltrud lächelte hinter der Tür, ihrem Lauschposten, sichtlich zufrieden. Jetzt zeigte es der Herr dieser aufgeblasenen Schauspielerin. Monsieur D'Treville war schließlich nicht irgendwer, sondern der Kapitän der Musketiergarde und unterstand direkt dem König. Was glaubte eigentlich diese Frau, wen sie vor sich hatte? "Ich ein Xanthippe?", würgte die Schauspielerin hervor. "Sie habe die Frechheit mich zu beschimpfen, während Sie eine Wahnsinnige, ein elendes Mannesweib unterstützen? Hat man je von einem Kapitän gehört, der ein Mädchen unter seine Männer mit aufnimmt?", höhnte sie. "Ich hatte meine Gründe und ..." "Würde ich nicht Renée ihr ganzes Leben lang kennen, müsste ich meinen, Ihr habt sie zu Eurem perversen Vergnügen dort. Aber vielleicht ist das so?" D'Treville, der sich nicht einmal gewagt hätte, auch nur im entferntest daran zu denken, erlaubte sich ein Blick ernster Entrüstung. "Sie wagen es? Elendes Weib!", bellte der Kapitän los, wurde aber abermals von ihr unterbrochen. "... Perversling! Großtuerischer, aufgemotzter, unausstehlicher Laffe. Aufgeblasenes ..." Hinter der Tür wurde Hiltrud kreidebleich und drückte ihrem Besen an den Busen. "Damit nicht genug. Der König zitierte mich zu sich und droht mir an, mich in den Kerker zu werfen", wetterte sie. "Er weiß alles über Aramis." "Das bezweifle ich." "Ach ja? Er wusste, dass Aramis den Namen gegenüber dem englischen König benutzt hatte", kreischte Nana. "Ich lasse nicht zu, dass dieses unnatürliche Weib mir alles kaputt macht." Der Kapitän sah sie mit hartem, kaltem Blick an. "Sie haben Ihre Cousine in Gefahr gebracht und das nur, Ihres verdammten Ehrgeiz wegen. Ich wette, Sie würden Ihre eigene Mutter für Ihre Karriere opfern. Sie werden nie verhindern können, dass Sie eigentlich aus der Spülküche kommen und ein Bankert sind." Auf dem Flur sprang Hiltrud in die Luft. Es war nur ein zu kurz gekommener Hüpfer, weil sie ein erhebliches Maß an Eigengewicht mitbrachte, aber immerhin Ausdruck ihrer Freude. Hab ich es doch gewusst, dachte sie triumphierend, dass diese Frau nicht in den Salons des Adels geboren ist. Hiltrud erkannte ihresgleichen. Als sie ihren Herren sagen hörte, dass diese unmögliche Person ihm die Zeit stahl, stärkte sie ihm, heftig nickend den Rücken. In seiner Wohnstube wusste der Kapitän nicht, was er von Nana Bernard halten sollte. Im Gegensatz zu Hiltruds herben Aussehen, mit dem Gesicht einer Bulldoge und einer Stimme, die ihrer Statur entsprach, war Mademoiselle Bernard mit ihrem geschmeidigen Körper, mit dem schwellenden Busen, der aufreizende Gegensatz. Sie hatte volle Lippen, betörend lange Wimpern und sie verströmte einen weiblichen Duft, der ihn schwindlig machte. Er schluckte schwer. Ihre pralle Weiblichkeit verunsicherte ihn. "Entschuldigen Sie mich!", murmelte er und stürzte davon. Aber so schnell gab sich Nana nicht geschlagen. Da Hiltrud bei weitem nicht reaktionsschnell und beweglich genug war, landete die Tür in ihrem Gesicht und drückte sie gegen die Wand. Sie röchelte gequält. D'Treville und Nana waren viel zu sehr mit Streiten beschäftigt, als das sie das verstörte Kieken hinter der Tür gehört hätten. Ein neuer Tag brach an. Das apriko farbene Licht der Morgensonne verbreitete sich über die Stadt und entfaltete langsam ihre volle Wärme. Seit den frühen Morgenstunden war Hiltrud Schättiger schon auf den Beinen. Zu ihren Aufgaben als oberste Kommandantin der Bediensteten des Kapitäns, musste sie als erstes Aufstehen, um das Gesinde vor dem ersten Hahnenschrei aus den Betten zu jagen. Jetzt waren die anstehenden Aufgaben an das Personal verteilt worden und Hiltrud machte sich daran dem Kapitän sein Frühstück zu richten. Das Spülmädchen begann die ersten Töpfe zu schrubbte, als der Knecht die Küche betrat. "Warst du schon oben und hast die Nachttöpfe geleert?" Über das ganze Gesicht grinsend, nickte er. "Warum grinst der Bengel so unverschämt?" Hiltrud nahm das schwere Tablett mit dem Frühstück des Kapitäns auf. Das Spülmädchen zuckte die Schultern und streute Scheuersand in den Topf. Hiltrud steuerte das Schlafzimmer ihres Herrn an. In der Eingangshalle stutzte sie je. Vor wenigen Minuten noch frisch gewischt, verunzierte neuer Schmutz den gefliesten Boden. Der Geschirrberg auf dem Tablett zitterte merklich. Ihr Blick folgte den Spuren und blieb auf einen jungen Mann haften. "Halt", brüllt sie. Der junge Mann erschrak und drehte sich kreidebleich um. "Was ist das? Mein frisch gescheuerter Boden", rief sie mit bebender Stimme und sandte ihn mit einem einzigen vernichtenden Blick in Grund und Boden. "Ich muss ... ich muss zum Kapitän", stotterte der junge Mann und zog den Kopf zwischen den Schulterblättern ein. Nur zu gern, hätte er die Flucht ergriffen und vergessen jemals ein Musketier gewesen zu sein. "Zu dieser Stunde?" Der Musketier nickte hilflos. Da die Musketiere für Hiltrud, ungeachtet ihres Alters, Kinder waren, befahl sie ihm im barschen Ton, hinter ihr zu bleiben. "Wir werden sehen, ob er wach ist und dich empfangen will!" Er beeilte sich wieder zu nicken und folgte demütig der runden Gestalt. "Kommt ihr Jungs denn gar nicht ohne ihn klar?", fragte Hiltrud kopfschüttelnd. Sie hielt ihre Nase in die Luft und schnupperte. Irgendetwas stimmt hier nicht. Die Tür des Schlafzimmers ging auf und die halbe Gestalt von Nana Bernard erschien, die ihnen den Rücken zuwandte, weil sie noch sprach. Ihr Duft aus großzügigem Parfüm und Badeölen eilte ihr voraus. Wie erstarrt blieb Hiltrud stehen. "Es war der Einfall des Kardinals. Ich tat nur mein möglichstes, um aus Aramis eine Frau zu machen, wie man es mir befohlen hatte. Wenn Aramis in England mit Seidenkleid und Korsage versagt, dann ist das beim besten Willen nicht mein Problem." Sie lachte glockenhell. "Wenn ihr selbst Athos als Verlobten hinterschicken musstet." D'Treville erschien mit Unterhose und bitterbösem Blick in der Türfüllung. Hiltrud rutschte das Tablett aus der Hand und das Geschirr zerbrach klirrend am Boden. Triumphierend betrachtete Nana das schreckensbleiche Gesicht der Haushälterin. "Merci, aber ich esse so früh nichts", säuselte sie und rauschte lachend davon. D'Treville wich stur dem anklagenden Blick seiner Wirtschafterin aus und zuckte die bloßen Schultern. "Ich kann sie nicht leiden", brummte er und rückte seine unförmigen Beinkleider zurecht. "Viel zu affektiert für mein Geschmack." Sie saßen an einem Tisch im hinteren Teil der Taverne. Die Atmosphäre war raucherfüllt, der herbe Duft nach Zwiebeln, Fett und menschlichem Schweiß lag in der Luft. Porthos und D'Artagnan saßen vor Krügen mit dunklem, schaumigem Bier. D'Artagnan grub das Kinn in die Hände und träumte vor sich hin. Porthos schaute finster in sein Glas. Beide schwiegen. Ihr Tisch war angesichts der lärmenden, jodelnden und rülpsenden Gäste eine Oase der Ruhe. Offensichtlich hatte sich in ihrer Tagesroutine nichts geändert. Nur hatte sich Verbissenheit und Schweigen zum ständigen Begleiter gemacht, wo früher Vergnüglichkeit, Kameradschaft und Witz gewesen waren. Am Nebentisch lachte laut eine Gruppe angetrunkener Musketiere auf. "Es scheint, sie lachen über uns?" "Wer lacht über uns?", fragte Porthos seinen jungen Begleiter. D'Artagnan wies mit einem knappen Nicken in die Richtung der Gruppe. Claude, nicht gerade beliebt bei Porthos und seinen Freunden, stolzierte mit provozierendem Blick zu ihnen auf und ab, wie ein aufgeplusterter Hahn. Auf seine Bemerkung lachte erneut der ganze Tisch. Im dämmrigen Licht der wenigen Öllampen, die in der Spelunke brannten, war es schwierig in den Gesichtern zu lesen. "Porthos, dein Freund sieht aus, wie ein verdammtes Weib. Eine Schande für uns Musketiere", rief er hinüber. "Jetzt haben sie Aramis wohl die passenden Kleider verpasst?" Angestachelt durch den betrunkenen Zuspruch seiner Kollegen, spottete Claude weiter. "Schaffen du und Athos ihm seine Liebhaber heran, wenn ihr nicht mehr könnt oder muss der Grünschnabel hinhalten?" Porthos stützte die Hände auf der Tischplatte ab und erhob sich angemessen. Claude verstummte und sah dümmlichen zu dem Koloss auf. Irgendwo in seinem alkoholumnebelten Gehirn schrie seine Vernunft um Hilfe. Porthos ließ die Handknochen knacken, dann schlug er zu. Seine Faust landete in Claudes Gesicht. Dieser wurde von den Füßen gerissen und fiel wie ein gefällter Baum um. Plötzlich war es mucksmäuschen still im Schankraum. Niemand wagte es zu sprechen oder jemanden anzusehen. Draußen in der Nachtluft atmete Porthos tief durch. "Was?", fragte er, als er das zufriedene Grinsen in D'Artagnans Gesicht bemerkte. "Es freut mich, dass du für Aramis eingetreten bist. Das heißt, du hast ihr vergeben." "Gar nichts habe ich", erwiderte Porthos grimmig und starrte in den sternenklaren Himmel. "Sieh, was sie uns hat! Was scheint es sie zu interessieren, dass sie uns der Lächerlichkeit preisgibt?", schrie er bitter in die Nacht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)