Diplomatie im Auftrag seiner Majestät von fastcaranbethrem ================================================================================ Kapitel 36: Geliebtes Frankreich -------------------------------- Drei Mächte prallten aufeinander. Der offizielle Träger der Staatskrone und Macht, der Mann auf dem Thron. Ihm zur Seite sein Schatten, sein Mentor, sein Gewissen und der wahre Tonangebende im Räderwerk der Herrschaft, Vertreter des Klerus und doch so irden festhaltend, an allem was Gottes Geboten widersprach. Zu Guter letzt, als Bewahrer des Thrones, Beschützer seines Repräsentanten die Militärmacht. Der Kapitän der Leibgarde. Die Atmosphäre im Raum fühlte sich an wie dickflüssiger Sirup, so zäh floss sie, gespeist mit Macht. Der eine verkörperte sie aufgrund des richtigen Blutes, der zweite aus krankhaften Ehrgeiz und berechnender Intelligen, der dritte aus Kraft und Grundsätzen. Fünfzig Prozent der Bevölkerung Frankreichs erhoben ihr Glas auf Ludwig XIII, lediglich dreißig Prozent auf den Kardinal und 1. Minister Frankreichs. Die Musketiere tranken im Andenken an ihren Kapitän und der Rest prostete sich selbst zu. Richelieu hatte mit seinem Ansturm zur Eroberung von La Rochelle begonnen. So schnell, dass Ludwig die Ereignisse immer noch nicht ganz begriff. Wie eine Lawine setzte alles, was Richelieus unmittelbarer Befehlsgewalt unterstand in Bewegung und riss mit sich, was ihm in seine militanten Fänge geriet. Einer gefräßigen Krake gleich, verschlang es die Steuergelder, Güter und Vieh, Waffen, Werkzeug, Ausrüstung, Pulver und nicht zu letzt Menschen. Bald würde der Krieg seine ersten Witwen, Waisen, Krüppel und Veteranen fordern. "Für ein paar Sous angeworben", kritisierte D'Treville Richelieus Kriegsmaschinierie sarkastisch. "Ein Haufen Bauernlümmel rekrutiert Ihr da, die keine Mistgabel von einer Muskete unterscheiden können. Im besten Fall ergreifen sie die Flucht, im wahrscheinlichsten Fall verliert Frankreich seine Söhne. Bauernlümmel und zwangsrekrutierte Verurteilte aus der Bastille oder Vincennes, ist es nicht so, Kardinal?", fragte er scharf. "Eminenz?" Ludwig wollte es genau wissen. "Dienst in der Armee, gegen die Freiheit. Entlasst Ihr hinter meinem Rücken Strafverurteilte?" "Natürlich nicht", bekannte er entrüstet. "Gott bewahren, dass ich als Diener der Kirche und unseres wunderbaren Staates, zu derartigem fähig bin." Der Kardinal schlug das Kreuzzeichen. "Diese Männer haben alle Verbrechen begangen, zu denen Adams Nachkommen fähig sind. Nicht auszudenken, was sie machen würde, ließe man sie frei. Vergewaltigungen, Raub und Plünderungen wären die Folge. Als nächstes wollt Ihr mir nachsagen, ich würde aufgelesene Huren statt sie in eine Besserungsanstalt zu stecken, in den Gewölbe der Bastille für mich arbeiten lassen", fuhr er doppelschneidig fort, "während ich den Teufel unter meiner Robe versteckt halte." In den Augen des Kapitäns flammte es gefährlich lodernd auf. "Nein, dass sicherlich nicht. Es wäre nicht Euer Niveau", erwiderte er zynisch. Der Kardinal war sicherlich fähig die Akten in den Gefängnissen samt Insassen verschwinden zu lassen, ohne das jemals etwas davon ans Licht drang. Richelieus Bestreben war es, Frankreichs Macht zu vergrößern. Er war letztendlich Frankreichs ergebenster Diener. War er da zu so etwas fähig? Die Arroganz der Macht wurde überboten durch ihre Ignoranz, dachte D'Treville bitter. Er sah das Flackern der Beunruhigung in Ludwigs Augen. "Ich werde der Sache nachgehen", prophezeite er düster, während die wachsende Empörung in seinen Augen der Verachtung wich. Ludwig nickte unmerklich. "Die Musketiere hätten für die Armee einen unschätzbaren Wert als Offiziere." D'Treville zog scharf die Luft ein. "Die Musketiere seiner Majestät sind einzig und allein für seinen Schutz da." "Meine Garde und die Pariser Polizei garantieren für den Schutz des Königs." Die Furche auf D'Trevilles Stirn wurde noch tiefer. Anmaßend widerlegte er: "Ihr glaubt doch nicht allen ernstes, dass ich mein Vertrauen auf die Pariser Polizei lege?" Oder auf den Eurer Garde, was aber ungesagt blieb. "Die Polizei versieht ihren Dienst lediglich als Broterwerb. Der Schutz des Königs ist für die Musketiere ein Privileg, etwas wofür er sein Leben ohne zu zögern gibt." Der Kardinal lachte freudlos. "Genau dieses kann er für seinen König und Vaterland geben ..." Ludwig seufzte schwer. "Warum ist gerade der Kapitän meiner Musketiere, unser schärfster Gegner, was die geplante Eroberung La Rochelles betrifft?", sagte er ruhig. D'Treville sah in Ludwigs Augen, dass der König wirklich hinter dem Kardinal stand. "La Rochelle ist eine Stadt voller Aufrührer, welche die autoritäre Macht des Königs anzweifeln. Wir können nicht dulden, dass La Rochelle weiterhin ihre Unabhängigkeit behält, da es uns schadet. Und nun will es sich mit den Engländern zusammenschließen. Andere würden seinem Bespiel gleich ziehen. Wollt Ihr als einer meiner vertrautesten Untergebenen für diese Aufrührer verwenden?" "Natürlich nicht, Eure Majestät", wandte der Kapitän kleinmütig ein. "Nur die Musketiere ..." "Die Musketiere bleiben weiterhin unsere Leibgarde und Beschützer unserer Person!", unterbrach der König hin. "Nichts soll sich daran ändern." Ein strenger königlich-autoritärer Seitenblick auf den Kardinal, ließ diesen das Haupt demütig sinken. "Was ist mit Aramis?" Mit gewölbter Braune registrierten König und Kardinal den Themawechsel. "Was soll mit ihm sein?", fragte der Kardinal lakonisch. "Habt Ihr Nachricht aus England?" Das Gesicht des Kardinals blieb weiterhin unbeteiligt. Als wäre Aramis aus seiner Erinnerung getilgt. "Nein." "Graf de Meyé ist ins Ausland geflohen", verriet der König. "Also kann Aramis zurückkehren und seinen Dienst als Musketier versehen?", hackte der Kapitän nach "Ja", entschied Richelieu. "Es liegt natürlich in unserem Interesse, dass er aus dem Interesse des englischen Königs verschwindet. England darf nie erfahren, wen wir wirklich zu ihnen schickten." Das Interesse an dem verräterischen Diplomaten war erloschen, seit dieser geflohen war. Richelieus Beachtung galt jetzt wichtigeren Dingen. "Kein Dank, keine Anerkennung?", verlangte der Kapitän zu wissen. Ludwig sah unbehaglich zu D'Treville auf. "Wir werden uns zu gegebener Zeit, etwas einfallen lassen", sagte er vorsichtig. "Zweifellos", bestätigte Richelieu. Befangen und von der Erziehung zu falscher Zurückhaltung verdammt, saßen sie dicht beieinander und hielten sich verstohlen an der Hand. Wenn sie es zuließen, berührten sich ihre Schenkel. Und während sie sich tief in die Auge saßen, ab und zu verzückt seufzten, um die Leidenschaft zu einander zu schüren, hörten sie Schritte auf der schmalen Stiege. Als Jean in die Dachkammer stürmte, die erst Constance und nun von ihm und D'Artagnan bewohnt wurde, saßen beide eine Handbreit voneinander entfernt. "Was ist?" "Nichts!" Kinder mögen zwar an Geister und den erfundenen Ammenmärchen ihrer Eltern glauben, aber instinktiv wissen sie, wenn Erwachsene an der Wahrheit vorbeischlittern. Mit dem Laufe der Jahre verliert sich diese Eigenschaft. Der Erwachsene weiß, dass unter seinem Bett kein flauschiges Monster lauert, aber er erliegt falschen Liebesschwüren, Betrügern, falschen Freunden und der katholischen Kirche. Mit zusammengekniffenen Augen musterte der Junge das Pärchen, während seine Beine gleichmäßig, in der Luft baumelnd, gegen den Bettkasten schlugen. "Jean, ich brauche deine Hilfe." Nur Moses Blick vom Berge Abarim in das gelobte Land, lässt sich gleichsetzen mit dem, was Jean bei dieser Bitte empfand. Nichts wünschte er sich sehnlichster, inniger, als es seinem älteren Freund und Vorbild an Abenteuer gleichzutun. Viel zu oft musste er bei den vergangen Abenteuern der Musketiere die bittere Erfahrung machen, aufgrund seiner Jugend ausgeschlossen zu werden. Eifrig nickte er und die riesigen Kinderaugen leuchteten verheißungsvoll. "Was soll ich tun." Dankbar nickte D'Artagnan. Jean mochte zwar klein und noch ein Kind sein, aber auch sein treuster Verbündeter. Noch am selben Abend verließ ein kleiner Junge, bequem verborgen zwischen den Kisten eines Fuhrwerkes, Paris in Richtung Normandie. Mit ihm reisten, zwei dutzend leerer Kisten, 40 übrig gebliebene Eier und zwei verstörte Hennen. Aufatmend stemmte Aramis beide Hacken in den Boden und klemmte die Daumen in den Gürtel. Zufrieden ließ sie ihren Blick über die den Hafen wandern. Die Stadt lag, eingetaucht in geschäftiger Hektik, zu ihren Füßen. Am Kai wimmelte es von Menschen. Schiffe wurden be- und entladen. Begeistert sog Aramis das Bild in sich auf. Fuhrleute bahnten sich ihren Weg, Reisende irrten suchend umher, Matrosen, Knechte, Arbeiter rannten beladen umher oder wurden wegen ihrer Faulheit angeschrieen. Drei Monate war sie fort gewesen. In Le Havre erwartete sie, der gleiche Lärm, mit dem ohrenbetäubenden Stimmengewirre vieler Reisender aus aller Welt, derselbe Gestank einer überfüllten Stadt mit unzulänglichem Kanalisationssystem und Handelhafen, dasselbe Stadtbild aus Steinbauten, Lehmhütten und Holzhütten, die sich eng an die Stadtmauer schmiegten, wie in England. Aber Le Havre war Frankreich und Frankreich roch für den zwangsausquartierten Heimkehrer nach Heimat. Zudem kehrte Aramis als Mann zurück. Alles in ihr sang, weil sie wieder ein Musketier war. Freiheit gegen die Zwänge ihres Geschlechts. Stärke und Kraft gegen die Schwäche der Weiblichkeit. Selbstständigkeit, gegen die Abhängigkeit vom Mann. Hinter ihr kämpfte sich Sophie über den Landungssteg, mit zwei Taschen und den lüsternen Händen der Matrosen, die viel zu oft unter ihrem Rock verschwanden. Sie stöhnte und rieb sich ärgerlich das Schmerzgepeinigte Hinterteil. Ihr letzter Verehrer hatte zu hart zugekniffen. Die Zudringlichkeit der Seeleute ärgerte sie nur, dass Aramis beschlossen hatte, zwei Reisetruhen voller prächtiger, kostbarer Roben und Accessoires an Bord zurück zu lassen, schmerzte. Unbemerkt waren drei Kleider in ihrer Tasche gelandet, die sie nun nicht mehr hergab. Ganze vier Matrosen mühten sich fluchend ab, Aramis Pferd über den schmalen Steg zu bringen. Genüsslich atmete Aramis tief den salzig, faulen Geruch des Hafens ein. Wie würde es erst sein, wenn sie in das vertraute Paris zurückkam. "Komm, Sophie!" Sie nahm ihr Pferd am Zügel und schritt zielstrebig und weit ausholend voraus. Sophie seufzte bitter und zuckte die Schultern. Was blieb ihr anders übrig, als Aramis zu folgen, aber welch eine Verschwendung, welch Schande. Das Zeitalter des späten Mittelalters brachte für Frankreich die Form der organisierten Post. Von früh bis spät, von Nord nach Süd, von Ost nach West waren tagtäglich Boten unterwegs, um Tausende von Briefen zu befördern. Dank einem ausgeklügelten System erreichten Briefe den Empfänger in kürzester Zeit. Gespickt mit Grüßen, Informationen, Berichten, Bekanntmachungen, durchdrungen von Liebe, Leid, Hass oder Gleichgültigkeit, sparten sie viel Zeit, ersetzte manch hinderlichen Weg, lästige Besuche und verhinderte, dass man sich umsonst auf den Weg machte. Ein solch kleines Billett erreichte Kapitän D'Treville und informierte ihn, dass Aramis England verlassen wollte und auf den Weg nach Hause war. D'Treville wusste von D'Artagnan, dem das schlechte Gewissen, belastet mit Geheimnissen, gepeinigt hatte, dass Portos und Athos von Aramis wahrer Identität wussten. Er kannte den Ärger und die Wut, die auf seinen beiden Musketieren lastete. In weiser Voraussicht ersonnen D'Artagnan und er einen Weg um Aramis zu warnen. Da beide nicht Paris verlassen konnte, verließ man sich auf einen siebenjährigen Jungen und dessen Pfiffigkeit. Anhand Aramis Briefs kannten sie ihre Reiseliste. Sie würde in Le Havre eintreffen, den Postroutenweg bis zur Stadt Breteuil nehmen, um dort die Nacht zu verbringen. Jean hatte seine Mitfahrgelegenheit gewechselt. Nun reiste er im Gepäckteil einer Postkutsche, um vor Aramis in Breteuil einzutreffen. Aramis ritt in Hochstimmung neben der Postkutsche her, in dessen inneren Sophie, eingekeilt zwischen ihren Mitreisenden, saß und für die gesamte Reise wenig Hochgefühl aufbringen konnte. Für sie würden in Paris jegliche Abenteuer enden und die Tage als Magd im Haus des Kapitäns beginnen. In dem engen Klappenkasten entfaltete sich eine Vielzahl von Gerüchen. Beißender Schweißgeruch, abgestandener Knoblauchatem vermischte sich mit süßlichem Parfümgeruch. Gegen späten Nachmittag erreichten sie Breteuil. Für heute reichte den Fahrgästen das Durchgeschüttel auf den harten Bänken. Die Pferde bedurften Ruhe und der Magen ein ausgedehntes Mahl. Der Gastwirt von Breteuil empfing sie vor seinem Gasthaus und geleitete seine aufgeregten Gäste in den Schankraum. Der Koch heizte schon die Öfen an und bereitete die ersten Teigspeisen zu. Aramis floh vor dem ohrenbetäubenden Lärm, der im Schankraum herrschte. Sophie hatte sich auf ihr Zimmer begeben und döste bis zum Abendessen vor sich hin. Sie lief durch die Straßen der Stadt. Es war ungewöhnlich still und menschenleer, selbst für einen so kleinen Ort wie Breteuil. Von der nachmittäglichen Geschäftigkeit war nicht zu spüren. Warm sendete die Sonne ihre Strahlen und erwärmte die Erde. Aramis hatte mindestens zwei Stunden für sich, bevor sie den Rückweg antreten musste, um rechtzeitig beim Abendmahl zu sein. Plötzlich waren Stimmen vieler Menschen zu hören. Ein Markt musste in der Nähe sein. Neugierig ging sie näher, bis sie die Menschen sah, die sich dicht auf dem Platz zusammendrängten. Aramis prallte erschrocken zurück. Der Atem stockte ihr. Auf einem kleinen Stück abgesperrten Platzes, stand eine Frau gefesselt zwischen zwei finster dreinblickenden Wächtern, den kahl geschorenen Schädel demütig gesenkt. "Los hin da!" herrschte sie jemand an. Aramis drehte sich um und erblickte einen grob schlägigen Mann in Wächterkleidung. Er stieß sie an und drängte sie, vorwärts zu gehen. Ihr,- dem vermeindlichen Mann, die log und betrog, ihre Mitmenschen, den König, die Kirche,- ihr wurde vor Angst und Unbehagen der Mund trocken. Die gelösten Fesseln, die Aramis empfunden hatte, als sie von Renée wieder zu Aramis wurde, schnürten sie nun ein. Sie nahm nur noch schemenhaft die anderen Menschen wahr, während sie zu der Menge stolperte. Der jungen Frau, die nur noch einen dreckigen Unterrock trug, liefen blutige Peitschenstriemen über den bloßen Rücken. Ihr Gesicht zeigte keine Regung, nichts deutete auf ihre Gefühle hin. Sie starrte nur, wie hypnotisiert vor sich hin. Hinter ihr loderte ein riesiges Feuer in den trüben Himmel auf, als würden die Flammen das Firmament verzerren wollen. Aramis Magen zog sich zusammen, als sie die Blut erwartende Stimmung der Menge gewahrte. Das ganze Dorf schien sich auf dem Marktplatz versammelt zu haben. Jung, wie alt, Reich, wie Arm, Frau wie Mann, selbst Kinder schreien ungestüm dazwischen. "Hure", "Hexe", "Dirne", ereiferten sie und reckten die Hälse. Aramis wollte weitergehen und blieb dennoch wie angewurzelt stehen. "Ruhe", rief jemand. Schlagartig wurde es still. Ein Mann in der samtenen Robe eines Stadtoberhauptes, mit schweren Goldindizien, seiner Macht trat vor. Er entrollte ein Dokument und las das Vergehen der Angeklagten mit gewichtiger Stimme vor. Sein eckiges, stumpfes Gesicht schien vor Erregung erstarrt, wenn auch in den Winkeln seins Mundes ein klammheimliches Vergnügen zu erkennen war. "... visibilus omnium et invisibilium ..." Aramis Ohren waren zu taub, um die Punkte der Anklage überhaupt zu hören. "Patrem omnipotentem, factorem coeli et terrae ..." Wie ohnmächtig sah sie zu, wie ein halb nackter Riese, mit der Kapuze des Richters, zu der Frau trat und ihr die Schlinge um den Hals zog. Aramis spürte, wie eine eigenartige Lähmung ihren Körper ergriff und sie in eine Salzsäule verwandelte. ".. schwarze Magie, Giftmischerin, Hure, Buhlschaft ..." Die Frau verlor den Boden unter den Füßen, ein Aufschrei ging über den Platz, dann zog sich das Seil straf und mit einem plötzlichen Ruck ging das Leben aus ihrem Körper. Der leblose Körper schwenkte über dem Feuer, dessen Flammen an ihrem Unterrock zu lecken begannen. Wie eine Erlösung erschallte der Ruf aus unzähligen Kehlen. Übelkeit ergriff Aramis, als sie davon stürzte und sich ihren Weg durch die murrende Menge bahnte. Aramis lief langsam zurück, tief aufgewühlt und in Gedanken versunken. Das Herz schlug laut in ihrer Brust. Vor ihrem inneren Auge stand keine Fremde auf dem Blutgerüst, sondern sie,- gedemütigt und entblößt. Irgendwann, als die Strahlen der Sonne langsam am Versinken waren und die Dächer dieser blutgierigen Stadt vergoldete. Ihr rotes Abendlicht färbte die Stadt in sein passendes Antlitz. Sie beobachtete das Treiben vor und in dem Gasthaus, ohne sich entschließen zu können, dort hineinzugehen und sich den anderen Reisenden zu stellen. Plötzlich hatte Aramis das Gefühl beobachtet zu werden. "Claude?" Überrascht sah sie ihren Kollegen an, der aus dem Schatten der Häuser trat. Ein breites Grinsen zeichnete sein Gesicht. "Wieder in Frankreich, Aramis? Es überrascht mich, dich gerade hier anzutreffen." Das Lächeln seiner Lippen, welches nicht die Augen erreichte, war beunruhigend und ungewohnt für Aramis, die ihre Kollegen teils kameradschaftlich, unterwürfig oder einfach nur gleichgültig kannte. Woher wusste er, dass sie Frankreich verlassen hatte? Sie nickte trotzdem. "Mich erst und was machst du hier?" Er zuckte die Achseln und strich mit einem seltsam wissenden Blick um sie herum. "Meine Familie wohnt hier und ich bin auf Heimurlaub. Denn während du dich herumtreibst, schieben wir Doppelschicht für Doppelschicht für Doppelschicht. Das ist wirklich ein merkwürdiger Zufall, dass wir hier aufeinander treffen." "Was meinst du mit herumtreiben?", fragte sie ärgerlich. "Und hör endlich auf, um mich herumzustreichen, als hätte ich einen Hundeknochen für dich!" Welch merkwürdiger Zufall des Schicksals, dass sie in dieser unbedeutenden kleinen Stadt, den größten Neider und Intriganten des Musketierchors antreffen musste. Aramis stutzte zurecht, wenn sie sein feistes Grinsen sah. Schadenfreude verhieß bei Claude nichts Gutes. Sie kniff warnend die Augen zusammen. "Aber es freut mich, dich hier zu treffen." Diese Worte mochte sie ihm so recht nicht glauben. Warum war auch Athos nicht bei ihr geblieben. Bisher hatte sie ihre verletzten Gefühle, weil er einen anderen Weg eingeschlagen hatte, verdrängt. Viel besser wäre es gewesen, einem Streithahn wie Claude zusammen zu begegnen. Stattdessen ging Athos auf Brautschau und ließ sie alleine zurückkehren. Bitterkeit schmeckte Aramis auf ihrer Zunge. Er lachte leise. "Oh, Aramis, dein kleines Geheimnis ist aufgeflogen." "Wovon sprichst du?" Aramis war kurz davor von ärgerlicher Ungeduld zu ausgewachsenem Zorn überzugehen. Mit sichtlicher Genugtun sah sie Claude an ... Jean rannte den Rest der Landstraße entlang. In der Ferne sah er schon das Gasthaus. Sein letztes Transportmittel war kurz vor Breteuil abgebogen und er hatte den Rest des Weges zu Fuß zurücklegen müssen. Doch nun war er am Ziel. Unbemerkt von allen schob er sich in den Schankraum. Er war voll von Menschen. Einige Reisende saßen auf ihren Reisetruhen, weil kein Platz an den Tischen frei war. Bedienstete eilten durch die Reihen. Wie sollte er Aramis finden? Gäste nahmen Bestellungen auf, schlossen neue Bekanntschaften, unterhielten sich lautstark, während Mägde mit vollen Krügen und Schüsseln durch den Schankraum eilten. Niemand beachtete den kleinen Jungen. Jean schob sich zwischen den Menschen hindurch zur Theke der Schankstube, hinter der der Wirt seine Becher putzte. "Monsieur?" Der gutbeleibte Mann stutzte als er in Augenhöhe keinen Ansprechpartner gewahrte. "Monsieur?" Er senkte den Blick tiefer und sah in zwei naseweise Kinderaugen. Abschätzend musterte er den barfüßigen Jungen in der zerschlissenen Kleidung und hob fragend eine Braue. "Ja?" "Ich suche einen Mann. Er ist sehr jung und hat blonde lange Haare." "Ich habe viele Gäste", gab der Wirt gelangweilt zurück. "Er hört auf den Namen Aramis ..." "Hör mal, Kleiner? Was ist denn das für ein Name?" "Der Name von einem Musketier." Die Auskunft erzielte nicht die gewünschte Reaktion. Er zuckte die Schultern und polierte weiterhin sein Geschirr. "Kann ich dir helfen?" Bei der jungen Frauenstimme fuhr Jean herum und blickte zu dem jungen Mädchen auf. Er kannte sie nicht, aber das musste wohl Sophie sein. Braune, freundliche Augen blickten ihn aufmerksam an. "Du suchst Aramis?" Eifrig nickte Jean und zog Sophie zu sich herunter. "Ich habe Nachricht für sie von D'Artagnan", flüsterte er in ihr Ohr. Mit Absicht wählte er die weibliche Form. "Aramis ist schon sehr lange weg. Ich weiß nicht, wann ,Aramis' zurückkommt.", erwiderte sie vorsichtig. Leise berichtete Jean, weshalb ihn sein Freund geschickt hatte. Als er endete, war Sophie blass im Gesicht. "Geh schnell raus und fang sie ab, wenn sie kommt!", wisperte sie. "Du musst sie warnen!" Wenige Augenblicke später betrat Aramis, ebenso blass wie Sophie, das Wirtshaus. "Oh, Aramis." Fürsorglich eilte Sophie zu ihr und sah in die ernsten blauen Augen. Aramis zog sie beiseite. "Ich werde nicht mit nach Paris kommen." Sophie nickte. "Ich weiß und ich verstehe das gut. Wir sollten ..." "Wir?" "Natürlich", erwiderte sie wie selbstverständlich, "ich lasse dich nicht im Stich. Wir gehen zusammen fort", erklärte sie in ihrer Großzügigkeit. "Sophie, wo ich hingehe, kannst du nicht mit!" "Warum denn nicht?" "Es geht nicht!" "Wo willst du denn hin?" "Das kann ich dir nicht sagen und mach es mir bitte nicht so schwer. Morgen nimmst du die Postkutsche auf den direkten Weg nach Paris." Fassungslos sah das Mädchen, wie sich Aramis umdrehte. Tränen schimmerten in ihren Augen. "Was ist denn, Kindchen." Sie blickte in das gutmütige Gesicht der Wirtin, die betroffen mit ihrem Schürzenzipfel die Tränen von ihrer Wange wischte. "Alles in Ordnung?" "Wir wollen heiraten!" Mit einem hinreißenden Seufzer umklammerte Sophie Aramis Arm und sah Wimpernklimpern zu ihr auf. Die dicke Wirtin schob sich dazwischen und strahlte. Schwärmerisch drückte sie die gestärkte Schürze an ihren nicht unerheblichen Busen. "Das hört man gern. Junges Glück." Ihr Mondgesicht leuchtete, während sie an längst vergangene Zeiten zurück dachte, als sie vor dem Traualtar stand. Ihr Mann stöhnte, als er daran dachte, was vor dem Traualtar an seiner Seite gestanden hatte und dafür jetzt neben ihm stand, fast drei Jahrzehnte später. Aramis schüttelte unwillig das Mädchen los. Sie umfasste Sophies Arme und drückte diese von sich. "Du kannst nicht mit! Glaub mir!" Es war still in der kleinen Gaststube geworden. Die Wangen der Wirtin blähten sich vor Entrüstung. "Sie können die Kleine doch nicht zurücklassen. Erst verführen und dann abschieben." Ihre Augen glänzten feucht im mütterlichen Mitgefühl. Aramis stöhnt, als wenn sie nicht mit Sophie genug zu tun hätte. "Es ist zu gefährlich für dich", sagte sie zu Sophie. "Es ist zu gefährlich für sie", fauchte sie der Wirtin ins Gesicht. "Ich komme doch wieder zurück." Sophie verstand nicht und sah sie fragend an. "Aber wo willst du denn hin?" "Nun nehmen Sie sie schon mit!", mischte sich der Wirt ungehalten ein. Hilflos blickte Aramis zur Decke und sandte ein Stoßgebet zum Himmel. "Ich kann überall da mit hin, wo du auch bist." Sophie blieb stur und stemmte die Hände in die Hüften. Man hätte eine Stecknadel fallen lassen können und es gehört. Aus dem offenen Mund eines Gastes tropfte Milch, das Brot zerkrümelte ungegessen in der Hand eines Händlers. Aramis zählte 1, 2, 3, trat auf Sophie zu und hob sie über ihre Schultern. Augenblicklich löste sich deren Erstarrung und sie fing wild zu strampeln und zu zetern an. "Wo du hin kannst, da kann ich auch hin", schrie sie immer wieder. "Ich bin ich und du bist du", sagte Aramis und sperrte sie in der Kammer unter der Treppe ein. Zu ihrem Glück steckte der Schlüssel außen. Sophies Fäuste hämmerten hilflos gegen das Holz. Aramis konnte sie schluchzen hören und es brach ihr das Herz. Mit unbeweglichen Gesichtszügen ging sie zum Wirt, der sie mit offenem Mund anstarrte. Aramis packte seinen Kragen und zog ihn über die Theke zu sich. "Zu ihrer eigenen Sicherheit bliebt sie einen Tag da drin!" Ihre Augen funkelten kalt und unnachgiebig. "Ich gebe Ihnen alles Geld, was ich habe. Das geben Sie ihr und schicken sie nach Paris zurück." Der Wirt beeilte sich zu nicken, als ihre Faust seine Luft abschnürte. Seine Frau stand leichenblass neben ihm und hickste ängstlich. "Wehe Ihnen, ich erfahre, dass Sie ein Teil des Geldes einbehalten haben." Wieder erfolgte eiliges Bestätigen durch Nicken. Ihre Augen nagelten ihn ein letztes Mal fest, dann ließ sie ihn los und kehrte dem Wirtshaus den Rücken zu. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)