Diplomatie im Auftrag seiner Majestät von fastcaranbethrem ================================================================================ Kapitel 4: Treffpunkt Pont Neuf ------------------------------- Aramis hatte eine äußerst unruhige Nacht hinter sich. Sie war erst in den Morgenstunden eingeschlafen und erwachte, als jemand laut mit Fäusten an ihre Tür hämmerte und ihren Namen rief. Es fiel ihr ungewohnt schwer in die Gegenwart zurückzufinden. Benommen stolperte sie aus dem Schlafzimmer. "Was?" rief sie unwillig. "Hier ist Porthos, mach auf!" brüllte er durch die dünnen Türblätter. "Warte!" Hastig lief sie in ihr Schlafzimmer, warf sich einen schweren Wollmantel über, unter dem alle verräterischen Körperformen verschwanden und hastete zur Tür. "Hatte ich es doch geahnt, dass du verschläfst." Lässig am Türrahmen gelehnt, begrüßte Porthos sie mit selbstgefälligem Lächeln. "Du hast Glück, dass du mich hast. Weißt du das?" Hierbei fuhr er sich mit gespreizten Fingern durch die wirren Locken und gähnte so ausgiebig, dass seine Kiefergelenke knackten. Aramis runzelte übellaunig die Stirn und trottete in ihr Schlafzimmer zurück, um sich umzukleiden. Sie fühlte sich matt und übermüdet. Der Spiegel zeigte ihr, dass unter ihren Augen dunkle Ringe lagen. Bevor das laute Hämmern ihre Träume zerrissen hatte, erinnerte sie sich an einen Alptraum, in dem sie vollständig unbekleidet einer riesigen Menschenmenge ausgesetzt war. Menschen eilten geschäftig an ihnen vorbei. Fuhrwerke und Kutschen fuhren vorüber, Boten bahnten sich schreiend ihren Weg. "Du bist ungewohnt schweigsam", bemerkte Porthos, als beide in Richtung Hauptquartier ritten. Aramis zuckte die Achseln und behielt ihre Schweigsamkeit bei, bis sie das Gelände der Musketiere erreichten. Die meisten Musketiere waren schon eingetroffen und standen in einzelnen Gruppen zusammen, um sich lautstark zu begrüßen. Die gesamte Szenerie erinnerte eher an eine Gruppe ungebändigter Klosterschüler, als an auf Disziplin gedrillte Soldaten auf einem militärischen Gelände. Schwungvoll ließ sich Aramis aus dem Sattel gleiten. Dunkle Wolken umschatteten ihr Antlitz, als ihr Blick finster über die schwatzhaften Musketiere glitt. In ihrem Selbstmitleid gab sie jedem einzelnen von ihnen die Schuld an ihrer Misere, den jungen Männer, die ganz sie selbst sein konnten und nicht jede Geste, jedes Wort überdenken mussten, um sicher zu gehen, dass sie sich nicht verrieten. "Gib mir die Zügel von deinem Pferd!" Porthos fing Aramis übellaunigen Blick auf und beeilte sich, ihr die Zügel zu reichen. Wortlos verschwand sie in Richtung Stall. Athos trat mit besorgtem Gesichtsausdruck an Porthos heran. "Wie geht es ihm heute?" "Sehr übel gelaunt. Mir tut derjenige schon jetzt Leid, der sich heute seinen Zorn zuzieht." Athos nickte ernst. "Was hast du erwartet?" "Bei allen Heiligen, sie haben vor ihn zu kastrieren. Ein herber Rückschlag für seine Männlichkeit." "Wir können nur hoffen, dass niemand davon erfährt. Du weißt, was hinter seinem Rücken erzählt wird." Porthos grunzte, " ... und ich kann nicht alle niederschlagen. Verdammter Kardinal!" "Amen!" "Wie geht es Aramis?" fragte D'Artagnan, der gerade eben erst eingetroffen war. "Schlecht", meinte Athos und verschränkte die Arme vor der Brust. "Schlecht", bestätigte Porthos und klemmte die Daumen in seine Schärpe. "Er scheint kein Auge zubekommen zu haben." "Hätte ich auch nicht, wenn man mich in Weiberkleidung stecken und nach England schicken wollte." "Armer Kerl." D'Artagnan sah die beiden älteren Musketiere, selbsternannte Mentoren seines Erwachsenwerdens, verdutzt an. "Gestern habt ihr euch noch über ihn lustig gemacht." "Das war um ihn abzulenken ...", erklärte Porthos gedehnt. "So drücken wir unser Mitgefühl aus." "Ihr zeigt ihm Euer Mitleid, indem ihr über ihn Witze reißt?" fragte D'Artagnan zweifelnd. "Das ist wahre Freundschaft. Ich erkläre es dir ... ." Porthos legte seinen mächtigen Arm um die viel schmalere Schulter des jungen Musketiers und drückte diese väterlich. Mit einem schmerzerfüllten Gesichtsausdruck erschien der Kapitän in der Türfüllung und schickte seinen, durch Prellungen lädierten Körper an, die Vordertreppen hin ab zusteigen. "Musketiere!" Er hatte nicht besonders laut gesprochen, aber der Tonfall seiner Stimme duldete keinen Widerspruch. Es wurde schlagartig still. "Die Inspektion heute fällt aus. Ihr kennt Eure Aufgaben und die Schichteinteilung. Ich ziehe mich zurück und unterbiete es jedem, mich zu stören! Verstanden?" Die Bestätigung kam einstimmig. De Treville machte kehrt und verschwand im Hauptgebäude. Als er außer Sichtweite war, erlaubte er sich zu humpeln. Was hätte er als junger Mann nicht alles für einen guten Kampf gegeben. Jetzt wünschte er sich nur seine Ruhe und bei Bedarf einen Ausflug zu den warmen Schwefelbädern, um die Wunden aus jüngeren Tagen zu heilen. "... also, du hast es verstanden? Da kommt Aramis." D'Artagnan nickte. "Salut Aramis ..." Er versuchte zu lachen, doch es misslang, "soll ich ... brauchst du ... wie wäre es mit einem Kleid?" Aramis erstarrte mitten in ihrer Bewegung und sah ihn verstört an. Ihr Blick verfinsterte sich unter den zusammengezogenen Brauen. Einige näherstehende Musketiere lachten und begannen höhnisch zu grinsen. "Danke, D'Artagnan", erwiderte sie schneidend und ging mit schnellen Schritten davon. Porthos schüttelte mitleidsvoll den Kopf. "Nun gut. Das war wohl nichts. Ich hatte vergessen zu erwähnen, dass man solche Bemerkungen möglichst vor anderen Musketieren unterlässt. Vor allem dann, wenn jemand wie Aramis hart um sein Ansehen kämpfen musste. Das kann einem Mann das Genick brechen ..." Aramis ergriff die Flucht. Jeden anderen hätte sie zum Duell fordern müssen. Nicht weil sie es wollte, sondern weil es gewisse Regeln im Musketierdasein gab, die nirgends niedergeschrieben, aber umso gültiger waren. Wütend hieb sie sich mit mordslustigem Gesichtsausdruck und spitzen Ellenbogen ihren Weg durch die Menge, bis sie zum Theater gelangte. Die Tür fiel mit einem lauten Krachen ins Schloss. Nana Bernard kreischte erschrocken auf und brach sich den Fingernagel ab, den sie gerade bearbeitete. Erbost hob sie zur Antwort an, schloss aber wohlüberlegt den Mund, als sie Aramis Gesichtsausdruck sah. "Bonjour, Aramis", sagte sie spröde und richtete ihr Augenmerk wieder auf die traurigen Überreste monatelanger Maniküre. Ohne ein Wort zu sagen, ließ sich Aramis wuchtig auf Nana's Garderobensofa nieder. "Welche Laus ist dir über die Leber gelaufen, mh?" Nana hob fragend eine Augenbraue und zupfte ihr Kleid zurecht. "Doch nicht noch immer, weil du als Frau auftreten musst?" Sie lächelte nachsichtig. "Engelchen, du wirst nach London gehen und den König sehen. Außerdem werden sie für all deine Kleider und deine Ausstattung aufkommen. Weißt du, was für ein Glück du hast?" Aramis bedachte sie lediglich aus grimmig zusammengekniffenen Augen. Nana wäre keine Ikone in der Theaterwelt geworden, wenn sie die Launen anderer neben ihren eigenen, recht wechselhaften, akzeptiert hätte. "Auf auf, Mademoiselle Übelgelaunt, wir müssen üben!" Aramis verschränkte trotzig die Arme vor der Brust. "Was soll ich üben, ich bin eine Frau." Das Lächeln ihrer Lehrmeisterin blieb unbeeindruckt. "Also du gebärdest dich seit mehreren Jahren als Mann und erwartest, Karl I. als Frau ohne entsprechende Vorbereitung unter die Augen treten zu können? Tztztzt!" Nana schnalzte missbilligend die Zunge. "Aber nicht doch, Schätzchen. Er ist noch ein sehr junger König, dass erfordert Übung. Als Musketier kannst du vielleicht mit einem zackigen Hackenschlag beeindrucken, aber als Frau und das bei Hofe, wirst du jämmerlich versagen. Niemand soll mir nachsagen, ich hätte meine Aufgabe schlecht erfüllt, also ... heute üben wir einzelne Bewegungen, morgen Konversation und so weiter und so weiter ..." Immer noch übel gelaunt verließ sie eine gute Stunde später die Schauspielerin. Stirnrunzelnd und desinteressiert hatte Aramis ihren Ausführungen gelauscht und wäre beinahe eingeschlafen, hätten sich nicht mahnend Nana's lange Fingernägel in ihren Unterarm gebohrt. Diese Krallen waren sicher als äußerst wirksame Waffe zu gebrauchen. Trotzdem musste sie sich eingestehen, dass Nana Bernard nicht Unrecht hatte. Sie benötigte Übung. Das Parkett der Hofwelt und der Politik war spiegelglatt und gefährlich. Man benötigte Selbstvertrauen, Wortwitz und Charme, um nicht in dem wogenden Meer aus Intrigen, Neid und Missgunst unterzugehen. Aramis war ziemlich abgeschieden auf dem Land groß geworden. Hofetikette und höfisches Gehaben hatten sie schon damals nicht interessiert. Dann hatte sich in einer einzigen Nacht ihr Schicksal entschieden und weitreichende Konsequenzen mit sich gebracht. Sie hatte das Leben einer Frau aufgegeben, um das eines Mannes zu führen. Für ihre Rache und die Aussicht, die ungewohnten Freiheiten eines Mannes ausleben zu können, hatte sie Kapitän de Trevilles unnachgiebige und strenge Hand über sich ergehen lassen. Die Frau in ihr litt unter Vernachlässigung. Sie hatte noch eine Menge zu lernen. "Aramis?" Erschrocken erwachte sie aus ihrer Melancholie. Atemlos bahnte sich Jean den Weg zu ihr. Er schnaufte heftig und stützte, nach vorn gebeugt, seine Hände auf den Oberschenkeln ab, während er nach Luft rang. "Alle suchen dich schon", erklärte er keuchend. "Ich möchte allein sein." "Dann solltest du nicht zu dir nach Hause gehen. Dort tauchen sie in regelmäßigen Abständen auf." Aramis nickte. "Gut", und lief davon. "So warte doch! Aramis?" Sie ließ Jean's Rufen außer acht und begann ihren Streifzug durch die Straßen von Paris. Letztendlich war ihr Ziel Pont Neuf. Sie suchte die große Steinbrücke, welche die Ile de City mit dem Festland verband, nicht vorsätzlich auf, aber ihre Schritte lenkten sie dorthin. Lange stand Aramis am Brückengeländer, den Oberkörper auf das Geländer gestützt und sah auf den glitzernden Strom der Seine nieder. "Aramis?" Eine leise Stimme näherte sich ihr vorsichtig. Sie unterdrückte ein Aufseufzen. "Es tut mir leid. Ich wollte dich auf keinen Fall bloßstellen." D'Artagnan suchte in ihrem Gesicht den Zorn, aber da war nur verrauchte Wut und große Traurigkeit. "Schon gut", erwiderte sie, ohne ihren Blick vom Wasser zu lösen. "Ich kann gut nachvollziehen, was ..." "Nein, dass kannst du nicht!" unterbrach ihn Aramis. Sie hob den Kopf. Die blaue Iris ihrer Augen schimmerte sturmgrau. "Meine ganze Existenz steht auf dem Spiel." "Glaubst du nicht, dass alles gut gehen wird?" fragte D'Artagnan unbeholfen. "Du wirst schließlich in England sein." "Und was, wenn nicht?" "Vielleicht wäre es besser, Athos und Porthos die Wahrheit zu erzählen. Ich kenne sie doch auch und nichts hat sich zwischen uns geändert." Aramis lachte heiser auf. "Dich habe ich nicht über ein halbes Jahrzehnt belogen." Sie schüttelte den Kopf. "Nein, ganz ausgeschlossen." Aramis seufzte und stützte sich schwer auf das Geländer. "Du bist jung, D'Artagnan. Wenn man jung ist, verzeiht man schnell und sieht alles ein bisschen leichter. Athos und Porthos sind gestandene Männer. Sie werden niemals verzeihen, dass ich sie belüge, ihre Blindheit ausnutze und als Frau in ihre Welt eingreife." "Aber wenn sie deine Gründe kennen ..." "Nein, auch dann nicht. Von zu Hause weglaufen, gut ... mit einem Mann durchbrennen, auch gut ... seinen Körper an Männer verkaufen, auch das wird akzeptiert, aber nicht eine Frau, welche die Dreistigkeit besitzt, sich als Mann zu verkleiden und an ihrer Seite ihr Leben zu führen. Glaube mir, ich weiß, wie sie denken." Sie hatte sich oft genug alle erdenklichen Situationen ausgemalt, in denen sie ihren beiden Freunden die Wahrheit gestand, aber es würde zu keiner kommen. Notfalls starb sie mit ihrem Geheimnis. "Lass mich bitte noch ein wenig allein!" D'Artagnan nickte, mit einem angedeuteten Achselzucken. "Ist gut, Salut, Aramis." D'Artagnan hatte sie verlassen, doch wieder war ihr die Einsamkeit nicht vergönnt. Notre Dame schlug zur 4ten Nachmittagsstunde und ganz Paris schien sich über Pont Neuf zu bewegen. Sie wollte gerade die Flucht ergreifen, als ihr Blick auf ihren kolossalen Freund fiel. Porthos fiel in der Menge nicht auf, weil er die Menge war. Die Leute sahen ihn nicht, weil er ihnen den Blick versperrte. "Ah, hier bist du. Habe ich es doch geahnt", begrüßte er sie. "Wir kämmen schon ganz Paris nach dir durch. Lauschiges Plätzchen hast du dir hier ausgesucht, so ruhig und abgeschieden", schrie er gegen den laut schwatzenden Strom der Pariser an. "Komm, lass uns gehen!" Er nickte in Richtung Festland. "Wir gehen ins 'La Hirondelle' und genehmigen uns einen schönen Braten, während du und ich ein wenig plaudern, nicht wahr?" "Nein, ich will nicht." "Klar willst du! Einer für alle und alle für einen. Du darfst auch die Rechnung übernehmen!" "Nein", beharrte Aramis stur. "Ach, natürlich willst du! Du weißt es nur noch nicht." Sie schüttelte eigensinnig den Kopf. "Porthos, ich will einfach nur alleine sein." Porthos nickte wohlwollend. "Kannst du, kannst du!" Er legte seinen Arm um ihre Schulter und schob sie von der Brücke. Ihre in den Boden gestemmten Hacken leisteten soviel Widerstand, wie ein einzelnes Blatt gegen einen ganzen Orkan. "Du wirst MIT MIR allein sein und wir plaudern etwas! Allerdings beschränke ich mich auf die Rolle des Zuhörers, dass musst du verstehen, weil ich den Mund voll haben werde." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)