Diplomatie im Auftrag seiner Majestät von fastcaranbethrem ================================================================================ Kapitel 1: Treffen der Mächtigen -------------------------------- Es war für diese Zeit ungewohnt windig. Ein strahlend blauer Himmel und blendendes Sonnenlicht täuschten darüber hinweg. Der Wind drang durch Ritzen und Spalten und pfiff durch die langen Gänge des Louvre. Wenn für kurze Zeit Stille in den von Menschen bevölkerten Palast einkehrte. Sich das Geschwätz und Herumhantieren im Hofstaat des Königs und den noch zahlreicheren Bediensteten legte, dann hörte man sein Lied. Rein gar nicht zu musikalischen Schwingungen aufgelegt war seine Eminenz, der Kardinal. Erster Minister des Königs und mächtigster Mann im Staat. Mächtiger als der König, den Frankreich war Richelieu. Ludwig XIII. galt lediglich auf Grund seines Blutes als offizieller Herrscher. Alles was Frankreich in dieser Zeit prägte und später seinen Platz in den Geschichtsbücher fand, war Richelieu's Wirken. Beide Männer befanden sich im Arbeitszimmer des Königs. Das Licht fiel vom Osten her durch die hohen Fenster und malte seine Lichtkringel auf des Königs Schreibtisch. "Und wenn, Sire, bitte hier und dort seine königliche Unterschrift setzen würden!" Richelieu beugte seine Habichtsnase tiefer und legte dem König einige Schriftstücke vor. Sobald der König seinen Namen unter einen der Dokumente setzte und ihm sein Siegel aufdrückte, zogen die gichtgekrümmten Finger das Papier erstaunlich schnell wieder zurück. "Was habe ich gerade unterzeichnet, Richelieu?" Fragend sah der König den schwindenden Dokument nach. "Staatsgeschäfte, Sire. Kleinigkeiten, nichts worüber sich Majestät den Kopf zerbrechen müssen." Sein Raubtierlächeln entblößte die obere Zahnreihe. Der Ziegenbart rutschte tiefer. Die Augen funkelten beunruhigend unter den dichten grauen Braunen, wie ein Raubtier auf Beutefang. "Zeigt sie mir, Richelieu!" Ärgerlich entriss ihm Ludwig das Pergament. Er stöhnte gepflegt, als er den Inhalt las. "Schon wieder eine Steuererhöhung und dann noch ausgerechnet auf das Korn?" Stirnrunzelnd erhob sich der König, schlenderte zum Fenster und sah auf das glitzernde Wasser der Seine nieder. "Wir müssen unsere Kriegsflotte aufrüsten, Sire. Sie hat vor Belle-Isls-en-Mer arge Verluste erlitten. Ihr entsinnt Euch? Die Rettung Eures Bruders?" "Natürlich entsinne ich mich," antwortete Ludwig ärgerlich. "Nun," fuhr der Kardinal fort. "Wir können es uns nicht leisten hinter Englands Armader zu liegen. Wir dürfen uns, gerade was unser militärisches Arsenal betrifft gegenüber England keine Blöße geben. Auch Spanien hat aufgerüstet." Der König wandte sich wieder vom Fenster ab und sah seinen 1. Minister an. "Um Spanien brauchen wir uns nicht zu sorgen. Wir haben Anna, als Frankreichs Königin." "Ach, Sire," der Kardinal seufzte. "Heiratsbündnisse sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren." Ludwig runzelte verärgert die Stirn. "Wollt Ihr schon wieder gegen meine Gatten intrigieren, Richelieu?" "Aber nein, nicht liegt mir ferner, Eure Majestät." Der König wanderte weiter. "Jedenfalls wird das Volk eine neue Steueranhebung nicht verstehen," fuhr er fort. "Sie werden mich hassen. Meine Informanten berichteten mir von Unruhen." Ludwig hielt vor einem Spiegel mit breitem Holzrahmen in üppiger Blattgoldverzierung inne. Geübt rückte er die gepuderte Perücke zurecht und strich den Kragen aus feinster Spitze glatt. "Nicht Euch hassen sie, Eure Majestät," wandte Richelieu ein. "Es hasst mich. Euch liebt es. Auch dafür habt Ihr einen 1. Minister." Ludwig XIII. nickte nachdenklich. Er beobachtete Richelieu durch sein Spiegelbild. Der alte Minister ließ sich ächzend auf einen der Stühle nieder. Erst vergangene Nacht hatte ihn wieder ein Gichtanfall geplagt. "Wo wir gerade bei England sind, Sire." "Setzt Euch doch, Kardinal!" Seine Eminenz geriet geringfügig ins Stolpern. "Ähm ja ...danke, Eure Majestät. Es gibt etwas, was ich noch mit Euch bereden muss!" "Ja?" "Es geht um Graf de Meyè" Der König stöhnte. "Nicht schon wieder Graf de Meyè." "Nun, die Anschuldigungen gegen ihn häufen sich. Man berichtete mir, dass de Meyé seine Stellung als Diplomat am englischen Hof missbraucht, um seine Macht zu stärken." "Richelieu, alle meine Adligen tun nichts weiter, als eigennützig ihre Macht zu stärken. Wollt Ihr sie alle deswegen verurteilen?" "Nein, Sire, aber de Meyé schadet Frankreich," sagte Richelieu langsam. "Seine Intrigen stören Karl I. und drohen ihn zu beleidigen und wenn ein Diplomat einen König beleidigt, auf wen fällt es letztendlich zurück, Sire?" "Wollt Ihr damit sagen ..." Ludwigs Stimme verklang, als sich die Ohren mit dem Mund synchronisierten. "Er würde es nicht wagen, oder?" fragte er. "Karl I. zu beleidigen und damit Frankreich zu schaden?" "Und wenn doch?" Der König zögerte. "Wir können ihn nicht absetzen und aus England zurückrufen. Seine Familie, er, ist zu mächtig." "Nein, ausgeschlossen," fügte Richelieu hinzu. "Was tun wir? Absetzen können wir ihn nicht, anklagen können wir ihn nicht ... können wir doch nicht, oder?" "Nein, Eure Majestät, können wir nicht. Unsere Vorwürfe stützen sich nur auf Gerüchte und Vermutungen." Hilflos setzte sich Ludwig wieder hinter den schweren Eichentisch und stützte den vor königlichen Kopfschmerzen und Sorgen geplagten Kopf in beide Hände. "Wenn nun, Ihre Majestät jemanden, nach England sendet, um ihn zu überwachen?" Ludwig hob neugierig den Kopf. "Ja?" "Nun, jemanden bei dem de Meyé keinen Verdacht schöpft. Der völlig unbekannt ist und dem wir unser Vertrauen schenken könnten?" "Und wisst Ihr so jemanden, Richelieu?" fragte Ludwig. "Würde de Meyé nicht bei jedem Mann, den wir nach England entsenden, misstrauisch werden?" "Ja, Eure Majestät," lenkte der Kardinal en. "Bei jedem Mann, aber bei keiner Frau." "Habt ihr eine solche Frau, Richelieu?" fragte der König mit misstrauisch zusammengekniffenen Augen. "Ist Euch nicht Eure letzte Spionin abhanden gekommen, Milady? Wir haben ihre Leiche auf der Insel gefunden. Deswegen sollte ich eigentlich mit Euch hadern. Immerhin stand sie in Euren Diensten und trachtete danach, mir meinen Thron zu rauben ... Tat sie das nicht, Eure Eminenz?" >Kleiner verzogener, durch Inzucht verkommender Dummkopf. Schwefel und Fegefeuer auf dich, dass ich mich vor dir verneigen muss,< dachte Richelieu, während er sich verbeugte und mit zusammengebissenen Zähnen sein falsches Lächeln zu einem gezwungenen falschen Lächeln zwang. "Verzeiht, mein König! Sie stand zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in meinem Dienst. Ich würde Euch nie Schaden zufügen." Ludwig lächelte breit und gönnerhaft. "Vergessen, mein lieber Kardinal. Vergeben und Vergesse!" >Ja, und bei Belieben erinnert Ihr Euch wieder daran,< antwortete Richelieu wortlos, während er dankbar nickte. >Und wieder, und wieder, und wieder.< "Habt Ihr nun jemanden, Richelieu?" fragte der König. "Nein, leider nicht. Kennt Ihr eine Dame, die dafür infrage kommt?" "Ah ha!" Der König lächelte falsch. "Deshalb besprecht Ihr die Sache mit mir. Hättet Ihr längst einen Mann ... Verzeihung, Frau für diese Mission, säße sie schon längst in England. Habe ich nicht Recht?" >Intriganter alter Fuchs,< dachte der König. >Eingebildeter, Affe,< widersprach der Kardinal, >Was glaubst du eigentlich, wer diesen Staat aufrecht erhält, aber ich brauche dich, du hast das Blut.< >Deine Klugheit festigt meinen Staat,< räumte selbst sein Gegenspieler ein. Peinliche Stille erfüllte den Raum und gesellte sich zu der knisternden Macht, die beide Männer umgab. Sie wurden von der schändlichen Pflicht enthoben, die unangenehme Stille zu brechen, als es an der Tür klopfte. "Herein!" Mit einem diskreten Räuspern trat der zuständige Page ein. "Monsieur Aramis," kündigte er an. "Soll hereinkommen!" Der Page trat beiseite und ließ Aramis vor. Mit einem letzten kontrollierenden Blick strich Aramis über den faltenfreien Stoff ihres Waffenrocks und rückte den blütendweißen Kragen ihres Wams zurecht. "Majestät! Eure Exzellenz!" Aramis verbeugte sich und sah ihre Staatsführer zurückhaltend an. Sie schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter. Wie immer fühlte sie großes Unbehagen, wenn man sie einer Musterung unterzog. Wenn nicht schon Panik, wie in diesem Fall. Wenn diese gnadenlos war, wie bei diesen beiden Männern. "Kapitän de Trevillé schickt mich, königliche Hoheit," begann sie zögernd, besann sich aber wieder, welche Aufgabe sie hatte und welche Position sie bekleidete und fuhr mit fester Stimme fort. "Der Kapitän ist beim Reiten verunglückt und liegt mit Prellungen im Bett. Deshalb schickt er mich, um mit Euch den Ablauf des morgendlichen Almosengangs zu besprechen." "Wie bedauerlich. Wir werden unserem guten, alten Freund unsere Genesungswünsche übermitteln," erwiderte der König freundlich. "Wegen morgen, wende er sich an meinem Sekretär! Er hat die zeitlichen Abläufe." Aramis verbeugte sich, strich den tadellos sitzenden Waffenrock mit dem silbernen Emblem erneut glatt und ging zur Tür, um diese hinter sich zu schließen. "Eine Schande," murmelte Richelieu leise und ließ den Blick weiter auf die geschlossene Tür verweilen, als studiere er eingehend das Blattgold am Türrahmen. "Was meint Ihr?" interessiert beugte sich der König näher. Vergessen war das Streitgespräch vor Aramis Eintreten. "Ich sagte, es ist eine Schande ...," begann der Kardinal. "Ja?" "Solch herrliches Haar bei einem Mann, einem Musketier, einem Soldaten zu finden." "Bekommt Euch Euer Zölibat in letzter Zeit nicht, Richeulieu?" stutzte der König. Verärgert wandte Richelieu seine Raubtieraugen dem König zu. Hinter der faltenzerfurchten Stirn arbeiteten die Gedanken. "Hört mir zu, Eure Majestät, wir brauchen jemanden, den wir nach England senden können. Eine Frau sollte es sein, damit de Meyé keinen Verdacht schöpft, aber sie ist seinen Intrigen und seiner Missgunst auszusetzen, was für unsere Beobachterin gefährlich wird. Eine solche Frau haben wir nicht, aber wir haben einen Musketier ..." Richelieu ließ eine schöpferische Pause. "Musketier? Ich kann Euch nicht folgen, Richelieu?" "Seht Ihn Euch doch an, Majestät!" "Wen, Aramis?" Ludwig litt noch immer unter Verständnisproblemen. "Ja, Aramis. Mein König, selbst seine Kollegen machen sich darüber lustig, dass dieser Mann wie eine Frau aussieht. Er hat etwas weiches, feines, feminines Ansicht. Diese blonden Haare, die großen blauen Augen, dass könnt Ihr nicht abstreiten." "Ich glaube, Richelieu, Euch bekommt das Zölibat wirklich nicht." Der Kardinal zwang sich zur Ruhe. "Meinem Zölibat geht es ausgezeichnet, Sire. Glaubt mir, wenn ich Euch sage, Aramis ist die Lösung unserer Probleme!" "Aramis? Aber ich denke, wir suchen eine Frau? Richelieu, Eure Hormone treiben Euch zu zu große Gedankensprünge." Richelieu stöhnte innerlich. "Aramis," fuhr er weinerlich fort. "Wird von uns als Frau nach England geschickt." "Aber Aramis ist ein Mann." "Ja und ein Musketier, deshalb wird er den Gefahren von Graf de Meyé trotzen." "Aber er ist doch ein Mann." Richelieu begann langsam bis 10 zu zählen. 1,2, 3 ... "Sein Geschlecht will ihm ja auch keiner aberkennen, er soll sich nur für unsere Majestät verkleiden, um nach England zu gehen." "Ach ..." ...4, 5, 6 "Ja! Hört zu. Aramis ist ein Musketier Eurer Majestät, dadurch ist er uns zu Treue verpflichtet." "Mir!" "Euch!" ... 7, 8, 9, 10 "Manieren und das nötige Auftreten an einem königlichen Hof hat er, sonst hätte ihn Kapitän de Treville nicht zu Euch geschickt. Wir kleiden ihn in Frauenkleidern, geben ihm die nötige Schulung und schicken ihn nach England." Es arbeitete hörbar hinter Ludwigs Stirn. "Und Ihr glaubt das klappt und niemand merkt den Schwindel?" fragte er vorsichtig. "Es muss, Eure Majestät!" "Wird er sich einverstanden erklären?" "Er muss, Eure Majestät!" Ludwig überlegte. "Nun gut, ich werde eine Nacht darüber schlafen, dann gebe ich Euch bescheid, Richelieu. Außerdem werde ich Treville dazu befragen." "Tut, das Eure Majestät, aber bedenkt, dass ... auch im Sinne dieses jungen Mannes, sowenig Menschen wie möglich davon Kenntnis haben sollten. Der König nickte. Richelieu erhob seine Gichtgebeugten Glieder und verließ mit einer angedeuteten Verbeugung den König. Langsam wanderte er durch die Flure. Es war egal, zu welcher Erkenntnis Ludwig über Nacht gelangte. Die Sache war schon beschlossen. Der treue Musketier seiner Majestät würde zu seinem Werkzeug, Richelieus Werkzug werden und de Meyé in England überwachen. Richelieu stöhnte, als der kalte Wind um seine Glieder strich und ihm schmerzhaft in Erinnerung rief, wie begrenzt seine Zeit auf Erden doch war. Kapitel 2: Plan der obersten Geheimhaltungsstufe ------------------------------------------------ Auf dem Platz zwischen Rue Grégoire de Tours und Rue Saint Sulpice begann ein ganz normaler Markttag. Die Sonne hatte gerade ihre Reise über den Zenit begonnen. Mit dem ersten Tageslicht standen die Händler mit ihren Waren bereit, doch der wirkliche Kundenansturm würde erst mit den Mittagsstunden kommen. Am Ende der Rue Saint Sulpice, vor dem niedrigen Vorbau eines baufälligen leerstehenden Handelsgebäudes, stand Aramis auf einem wackligen Bretterhaufen und drehte der allgemeinen Öffentlichkeit nur ihr wohlgerundetes Hinterteil entgegen. "Von hier aus hast du den optimalen Überblick", sagte sie. "Siehst du?" "Ja!" antwortete eine leise Stimme auf dem Dach des Vorbaus. "Sehr schön!" Sie nickte zufrieden. "Und wenn Tumulte auf dem Marktplatz entstehen oder jemand entsetzt aufschreit, dann machst du was ...?" "Ich beobachte jeden der sich ungewöhnlich benimmt oder schnell flüchtet und merke mir sein Gesicht und alle körperlichen Merkmale", erklärte die leise Stimme. "Ausgezeichnet. Du verstehst die Notwendigkeit?" "Ja." "Von dort oben hast du einen ausgezeichneten Blick." "Ich habe Höhenangst", räumte die Stimme ein. "Sei keine Memme man! Du bist ein Musketier!" wies sie ihn ärgerlich zurecht. "Musketieranwärter!" "Gut, Musketieranwärter! ... nur heute ...?" "... nur heute bin ich inkognito hier." Aramis nickte wohlwollend. "Darf ich als zivile Person Höhenangst haben?" "Mach dich nicht lächerlich. Ich würde ja selbst Stellung beziehen, wenn man mich nicht zum Kapitän gerufen hätte. Dir sollte klar sein, welche verantwortungsbewusste Aufgabe du übernimmst!" "Du kannst mich doch nur deshalb hier oben einsetzen, weil ich noch in der Probezeit bin!" brummte die körperlose Stimme. Aramis flößte den anderen Musketieren Respekt ein. Nachdem sich herumgesprochen hatte, dass sie sich nur zu bereitwillig auf Duelle einließ und die ungesunde Angewohnheit hatte, diese auch zu gewinnen, rief sie jene Art von harntreibender Furcht hervor, die bei entsprechenden Gelegenheiten den Platz von Respekt einnahm. Und genau deshalb konnte sie ihn dazu beordern. "Hast du was gesagt?" fragte Aramis. "Nichts, Aramis." "Aramis? Was bedeutet das?" mischte sich eine dritte Stimme ein. Aramis senkte den Blick, sah auf Athos fragendes Gesicht und lächelte. "Oh, Salut Athos." Leichtfüßig kletterte sie den wackligen Bretterberg hinunter. "Was du hier siehst ist der erste Schritt zur Revolutionierung in der Verbrechensbekämpfung", erklärte sie. "Revolutionierung der Verbrechensbekämpfung?" "Ja, ich hatte eine ausgezeichnete Idee, wie wir die Verbrechensbekämpfung in diesem Teil der Stadt eindämmen. In dieser Gegend sind jetzt vermehrt Taschendiebstähle aufgetreten. Piere, dort oben, ..." sie wies auf ihren unfreiwilligen Mitarbeiter. "... behält den Markt im Auge und merkt sich detailliert jeden Besucher, der sich auffällig benimmt. Danach sammeln wir die Informationen, erstellen Profile und können effektiver nach unseren Dieben suchen", erklärte sie stolz. "Da fällt mir ein ... Piere?" rief sie hinauf. "Kannst du zeichnen?" "Nein." Schallte es hinunter. "Schade." Aramis grinste dennoch selbstzufrieden. "Stell dir nur vor, Suchbilder würden überall in der Stadt aushängen. Ein herber Rückschlag für diese Branche." "Und das ist deine Idee?" fragte Athos skeptisch und kratzte sich an der Nase. "Ja", strahlte Aramis, "ich wollte es eigentlich selbst übernehmen, bin aber in das Hauptquartier beordert worden." Es schnaubte abfällig von oberhalb. "Hast du irgendetwas gesagt, Piere?" "Nein, Aramis!" ertönte es vom Vorbau. "Aramis", wandte Athos ein, "für solche Aufgaben sind wir nicht zuständig." "Siehst du dort?" Aramis zeigte nach Westen. "Der Louvre. Damit ist es unser Zuständigkeitsbereich ... damit dämmen wir die Gefahr eines Aufstandes gegen den König ein. So, nun muss ich aber los. Grüß mir die anderen, wenn du sie siehst. Hast du alles was du brauchst, Piere?" "Ja, Aramis." "Ausgezeichnet", erwiderte sie und ging zufrieden davon. Athos sah zweifelnd zu seinem jungen Kollegen nach oben. "Du tust mir leid, Junge", erklärte er seufzend. "Er will den gesamten Musketierdienst revolutionieren." "Aber dafür sind wir Musketiere nicht zuständig", jammerte es von oben. Athos schüttelte mitfühlend den Kopf. "Wehre dich nicht, mein Junge!" Trotz seines Status als Schneider der Königin konnte es Monsieur Bonacieux nicht vermeiden, dass er, wann immer er den Louvre betrat feuchte Handteller bekam. Viele Adligen aus der unmittelbaren Umgebung des Königspaares waren Teil seiner Kundschaft und dennoch, - das Meer aus Eleganz, Erhabenheit, Arroganz und Hochmut, durch das der durchschnittliche Adlige schwamm, spülte ihn an den Strand zurück. An ihm haftete der Geruch des gewöhnlichen Mannes. Zwei Schritte hinter ihm folgte Jean, manierlich in ein Pagenkostüm mit Perücke gekleidet. Der 8-jährige Junge war zwangsverpflichtet worden Bonacieux bei seiner Arbeit zur Hand zu gehen. Marthas fester Handgriff brannte noch immer auf seinem Oberarm. Die rabiate Fürsorge von Bonacieux's Magd würde die einzige mütterliche Zuwendung bleiben. Jeans Mutter blieb weiterhin unauffindbar. Die Reise in die Normandie war umsonst gewesen. Sie hatte ihn nur älter werden lassen und eine Hoffnung mehr zerschlagen. "Sehr schön. Er hat genau unsere Vorstellungen umgesetzt." Anna von Österreich, Königin von Frankreich, ranghöchste Frau des Palastes, strich mit einem zufriedenen Lächeln über den schweren Brokatstoff und drehte sich im halbfertigen Kleid vor dem riesigen Spiegel. Der Rest blieb Bonacieuxs Kenntnissen und Fertigkeiten, sowie einer handvoll Stecknadeln überlassen. Anna brauchte lediglich still zu stehen. "Wunderschön, Eure Majestät", bestätigte Constance, die ihrem Vater über die Schulter sah. Anna gehörte zwar nicht zu den Herrscherinnen, die von ihren Untergebenen permanente Bestätigung erwarteten, aber ein angemessenes Lob zur rechten Zeit stand einer Kammerzofe durchaus gut. Die drei Personen beachteten Jean nicht weiter. Gelangweilt sah er sich in den Gemächern der Königin um, doch diese hatten seit seinem ersten Besuch erheblich an Faszination verloren. Sein Blick fiel auf das geöffnete Fenster. Der Schmucksims in der Außenfassade, unter der Fensterreihe, war für einen schmalen und geschickten Kletterer eine direkte Verbindung zu den Gemächern des Königs. Jean warf einen letzten Blick auf Bonacieux und die beiden Frauen, dann schwang er ein Bein über die Fensterbank und schob sich eng an die Mauer gedrängt langsam vorwärts. Einige Zimmer weiter war über Nacht zu Aramis Ungunsten entschieden worden. Ludwig der XIII. hatte sich der Notwendigkeit gebeugt, Graf de Meyé's Intrigen Einhalt zu gebieten. Noch immer lag der Schatten jahrelanger Belagerung durch die englischen Unterdrücker im Hundertjährigen Krieg über der Beziehung zwischen Frankreich und England. Das fadenscheinige Band der Diplomatie wurde zusätzlich geschwächt durch die religiösen Unstimmigkeiten und die Ermordung des obersten Ministers Englands, dem Duke of Buckingham. Frankreich vergaß den vulgären Engländern nicht ihre Besetzung französischer Gebiete und England vergaß den verweichlichten Franzosen nicht ihr Bündnis mit Maria Stuart, der Königin Schottlands, der Hintertür zu England. Ludwig konnte sich einen Graf de Meyé einfach nicht leisten. Trotz Richelieus Einwänden hatte der König Kapitän de Treville dazugebeten. Immerhin war der Kapitän der direkte Vorgesetzte von Aramis und letztendlich sollte es ihm überlassen sein, Aramis' Bereitschaft für die Mission zu gewinnen. Beide Männer hatten sich in seinem Arbeitszimmer eingefunden und stritten heftig miteinander. Bisher nahm der König nur die Rolle des unbeteiligten Zuhörers ein. Er war hinter den Schutz seines Schreibtisches zurückgewichen. "Nein, nein, nein!" rief de Treville und wandte sich dem König zu. "Majestät, dass könnt Ihr nicht tun! Ihr gebt meinen Mann der Lächerlichkeit preis!" Der König hob abwehrend die Hände, hielt die Luft an und schob seinen Stuhl einen weiteren Zentimeter zurück, um Abstand zwischen sich und dem wütenden Kapitän seiner Musketiere zu bekommen. "Kapitän de Treville", unterbrach ihn der Kardinal. "Niemand außer uns wird davon erfahren. Schließlich liegt es gerade in unserem Interesse, dass es niemand erfährt." "Kardinal, er ist Musketier, Soldat. Von Diplomatie hat er keine Ahnung!" "Kapitän de Treville, mit Diplomatie wird er nichts zu tun haben. Wir schicken ihm jemanden mit, der sich in diplomatischen Fragen auskennt und dementsprechend handelt", erklärte Richelieu mit der nötigen Arroganz. "Aramis soll lediglich Graf de Meyé beobachten, Augen und Ohren offen halten und uns Bericht erstatten, und Ihr wollt ihm sicherlich nicht die Fähigkeit aberkennen, Anweisungen zu befolgen, beobachten zu können und die entsprechenden Rückschlüsse zu ziehen. Denn dann wäre er als Musketier gänzlich ungeeignet." "Kardinal ...," "Kapitän de Treville ...," Der König atmete still aus. Die Streitigkeiten betrafen ihn gerade nicht unmittelbar. Verhalten irrten seine Augen zwischen dem jeweiligen Wortführer hin und her. "WAS? Ich kann nicht!" "Du musst! Der König hat mir unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass dir keine Wahl bleibt. Aber seine königliche Hoheit sähe es lieber, wenn du dich bereitwillig erklärst nach England zu reisen", erklärte Kapitän de Treville sichtlich unangenehm. "Und wenn ich den Dienst quittiere?" "Auch dann bleibt es ein Befehl." Aramis hätte es vorher wissen müssen. Wenn der Kapitän einen seiner Musketiere bat vor seinem Schreibtisch Platz zu nehmen, dann bedeutete dies Unheil. Sie sprang auf. "Aber meine Verkleidung ist in Gefahr." Der Kapitän schlug mit der Faust auf den Tisch. "Unsinn. Du schaffst es, den Franzosen glaubhaft einen Mann vorzutäuschen. Dir sollte es keine Probleme bereiten den Engländern das Gegenteil zu beweisen." Aramis starrte ihn schweigend an. "Mir bleibt keine Wahl?" "Nein, die bleibt dir nicht." De Treville stand von seinem Schreibtisch auf und drehte sich dem Fenster zu. Trotzdem spürte der den fordernden Blick der blauen Augen in seinem Rücken. Als einer der wenigen Eingeweihten wusste er, was er ihr antat. "Ich bin doch kein Diplomat", wandte sie hilflos ein und verkrampfte die Finger um die Tischkante. "Es ist nicht erforderlich, dass du diplomatisches Geschick anwenden musst. Du bist so reizend wie möglich." "So reizend wie möglich?" De Treville sah sie wieder an. "Du versuchst so weiblich wie möglich zu sein und behältst den französischen Botschafter im Auge. Natürlich wird dich ein Gefolge begleiten. Mitarbeiter", fügte der Kapitän hinzu, als er die Verwirrung in ihrem Gesicht bemerkte. Er seufzte. "Einige Personen werden dich begleiten." "Wie bitte?" fragte Aramis. "Ich glaube, ich habe gerade einen Teil des Gespräches verpasst, Kapitän." "Du wirst jemanden an deine Seite bekommen, der als dein Sekretär auftritt und eine Zofe. Ich habe mich durchsetzen können, dass ich mich um eine geeignete Dienerin für dich kümmere. Sophie wird mit dir reisen. Du weißt, dieses reizende Ding, dessen Mutter ich das Leben rettete!" Aramis nickte. "Natürlich werden wir Sophie einweihen", erklärte der Kapitän weiter. "Aber wir brauchen jemanden, dem wir vertrauen können, damit sie den Engländern erklärt, dass du eine Frau bist und Frankreich versichert, dass du ein Mann bist und wie gesagt, sie ist mir treu ergeben, weil ich ihrer Mutter das Leben rettete. Armes Ding ..." Er lächelte versonnen. "Weißt du, dass sie eigentlich in dich verliebt ist? Es wird ihr das Herz brechen." Aramis rutschte langsam die Kinnlade aus dem Gesicht. "Warum ist Graf de Meyé so gefährlich?" fragte sie, um ihre Verlegenheit zu unterdrücken. "Weißt du, es kommt darauf an, wo er sich aufhält ... und welchen Aktivitäten er nachgeht." Sie musterte de Treville verwirrt, bis alle Teile ihres Gehirns schalteten. "Spionage?" "Informationsgewinnung, so kann man es nennen. Letztendlich sind alle damit beschäftigt." "Und Graf de Meyé geht zu weit?" "So ungefähr und wenn ein Diplomat dabei ertappt wird, wie er zu weit geht, dann wird er nicht mit einem Beschwerdebrief nach Hause geschickt. Es kann, gerade bei einem gespannten Verhältnis wie das zwischen Frankreich und England, einer Kriegserklärung gleichkommen. Immerhin ist nicht mehr der Duke of Buckingham oberster Regierungsbeamter." "Warum wird er nicht nach Frankreich zurückbeordert?" "Niemand spielt mit offenen Karten", erwiderte de Treville. "Ein Wort hier, ein Gerücht da, ein diskreter Mord oder eine Beschuldigung." "Mord?" Der Kapitän nickte. "Du siehst ein, dass man bestrebt ist, keine wehrlose Frau nach England zu schicken!" Der Kapitän hielt ihr ein mit dem königlichen Wappen versiegeltes Schreiben entgegen. "Es wurde dafür gesorgt, dass du die entsprechenden Unterweisungen erhältst." erklärte er. "Unterweisung in was?" fragte Aramis verblüfft. De Treville räusperte sich verlegen. "Um dich entsprechend als Frau zu benehmen. Spiel das Spiel mit", fügte er hinzu, als er ihr Gesicht sah. "Dir bleibt keine andere Wahl. Der Kardinal schlug die Schauspielerin Nana Bernard vor." "Wie kommt denn Richelieu auf eine Schauspielerin. Hat er Probleme mit seiner Abstinenz?" "Anscheinend", erwiderte der Kapitän. "Schließlich warst du ja auch sein Einfall." "Welch eine Ehre", erwiderte sie sarkastisch. De Treville seufzte. "Für die nächsten Tage bist du von deinen Schichten befreit, damit du .... mit Mademoiselle Bernard ... üben kannst. Und nun, Aramis ... bestimmt hast du noch einige Dinge zu erledigen." "Kapitän, ich ..." "Ich möchte dich nicht länger aufhalten." "Kapitän, ich ..." "Wegtreten, Musketier!" Im Vorzimmer blieb Aramis stehen, bis ihr Herz nicht mehr rasend schnell schlug, sondern nur noch ziemlich schnell. Etwa zur selben Zeit da Kapitän de Treville den König verließ, um Aramis zu sich zu beordern, kletterte Jean wieder in das Zimmer der Königin. Ein ungemein zorniges Augenpaar sah ihn an. "Jean." Die Arme in die Seite gestemmt sah Constance wütend auf ihn nieder. "Was hast du getan? Hast du den König belauscht? Wenn die Königin davon erfährt? Was ist nur in dich gefahren?" Jean sah spitzbübisch zu ihr auf und klopfte sich den Staub von der ungewohnten Kleidung. "Du wirst nicht mehr wütend auf mich sein, wenn du erfährst, was ich erfahren habe." Kapitel 3: Verkaufter Name -------------------------- Aramis tätschelte beruhigend den Kopf ihrer weißen Stute, schob den Fuß in den Steigbügel und schwang das Bein über den Sattel. Sie schnalzte leise und trieb das Tier mit leichtem Schenkeldruck an. Vorsichtig bahnten sich die Stute und ihre Reiterin den Weg durch die Menge in Richtung Theater. Angesichts der noch unverdauten Nachricht war Aramis zu verblüfft, um einen klaren Gedanken zu fassen. Sie kannte England nicht, weder seine Sitten noch die Gebräuche und nur Teile der Sprache. Als Franzose verließ man sich darauf, dass alle anderen französisch beherrschten. Sie wusste nicht wie lange sie in England bleiben musste, wie man sich als Hofdame benahm und was sie bezüglich Graf de Meyé unternehmen sollte. Alles worauf sie sich verlassen konnte, waren Intelligenz, Instinkt und eine Portion natürlichen Charme. Vor ihr lag das Theater. Aramis ließ den prächtigen Vordereingang mit seinen mächtigen Marmorsäulen hinter sich und bog zum rückwärtigen Teil des Gebäudes ab. Für alle öffentlichen Gebäude der Welt galt folgende Regel: Die Schauderhaftigkeit der rückwärtigen Architektur ist umgekehrt proportional zur Pracht der vorderen Seite. Vorn antiker Baustil im aufwendigen Marmor, Blattgold, großen Räumen mit hohen Fenstern. Hinten schmutzige Wände, dunkle Räume und Müll. Aramis band ihr Pferd fest und stieg über einige Kisten vergammelten Kohl, um zur Seitentür zu gelangen. Das Leben im Theater begann zu erwachen. Schneiderinnen, Gehilfen, Bühnenbildner, Mägde und Knechte eilten umher, laut, ruhelos und geschäftig. Anders als die Akteure, unsichtbar und ruhmlos, doch die wirklichen Gestalter der Traumwelt des Theaters. Unbemerkt von allen bahnte sich Aramis ihren Weg. Das goldene Schild an der Gaderobentür wies auf Nana Bernard's Räume hin. Sie klopfte kurz. "Entreé!" Nana Bernard saß an ihrem Schminktisch und drehte sich der Tür entgegen. Sie hob überrascht eine der sorgsam gezupften Brauen, als sie ihren ungewöhnlichen Besucher erblickte. "Du? Der große Aramis beehrt mich? Ein Musketier seiner Majestät des Königs?" Dabei verzog sie die Mundwinkel spöttisch. Aramis zog abwehrend die linke Augenbraue hoch. Wenn das ihre Vorstellung von einer humorvollen Begrüßung war, dann würde das Gespräch nicht lange dauern. Nana Bernard wandte sich wieder ihrem Spiegel zu und beobachtete ihre Besucherin vom Spiegel aus. "Nun?" Die langen Finger fuhren den Haaransatz entlang und brachten einzelne Strähnen in ihre richtige Lage. Schweigend sah Aramis den blonden Hinterkopf an, dann trat sie näher und zog das königliche Dokument aus ihrem Gürtel. Nana erkannte das Siegel und wandte sich um. Neugierig hob sie die Brauen und streckte die manikürten Finger nach der Schriftrolle aus. Ihre langen Fingernägel brachen das Siegel. "Weißt du, was drin steht?" fragte sie. Aramis schüttelte den Kopf. "Aber ich kann es mir denken!" Nana war aufgestanden und lief um Aramis herum. Das Schriftstück war wieder zusammengerollt und trommelte rhythmisch gegen das rechte Handgelenk. "Der König bietet mir an, Mitglied der königlichen Schauspieltruppe zu werden." Sie lächelte süffisant, als sie fortfuhr. "Weißt du, wie lange ich mich schon danach verzerre der Star der königlichen Schauspieltruppe zu werden?" "Du wirst es mir sicher gleich verraten", warf Aramis ausdruckslos ein. "Seit ich denken kann. Unzählige Male habe ich beim König, beim Kardinal, bei seinen Höflingen vorgesprochen ... aber sie wiesen mich ab. Mich, die große Nana Bernard. Alle lieben mich ...," Nana zuckte die Achseln, "aber meine Berühmtheit ändert nichts an meiner Herkunft." Sie umkreiste Aramis weiterhin. Lauernd und jede Geste genau abgestimmt, um die größtmögliche Wirkung zu erzielen. "Und nun bietet man mir an, sofern ich einem gewissen Musketier helfe, dessen Name ich hier nicht zu nennen brauche, dass ich aufgenommen werde. Was soll ich dafür tun?" Aramis erklärte es ihr. Die folgenden Minuten verbrachte Nana damit zu lachen. Kein Lachen, das man normalerweise bei Paris beliebtester Schauspielerin erwartete. Lauthals, ungezügelt und rauh, das Lachen der Person, die sie war, bevor sie den Namen Nana Bernard annahm und auf den Pariser Theaterbühnen ihr Glück versuchte. "Fertig?" Aramis verlagerte gelangweit das Gewicht von einem Bein auf das andere. "Weißt du, was du mir damit in die Hände spielst?" fragte Nana herausfordernd. Ihre Stimme klang noch immer heiser vor Belustigung. Ihre Augen musterten den Musketier spöttisch. "Ich weißt nicht, was du meinst", erwiderte Aramis. "Wir hatten eine Vereinbarung. Ich erzähle niemanden, woher du stammst und du verrätst im Gegenzug mich nicht." "Jetzt höre mir mal zu, Renée!" Nana's Atem strich ihr Gesicht, als diese sich vor Aramis aufbaute und mit bebendem Dekolleté ihren Zeigefinger in Aramis Brust bohrte. "Der Preis für mein Schweigen ist gestiegen", fuhr sie fort. "Was willst du?" "Ich will deinen Namen. Deinen Namen und alle Vorteile, die mit deiner Herkunft verbunden sind." Aramis riss überrascht die Augen auf. "Dieses Angebot ...", Nana wedelte aufgebracht mit dem königlichen Dokument, "... ist so gut wie ungültig. Man wird mit Bedauern ablehnen, aber man habe ja nicht gewusst, dass mir die richtige Herkunft fehlt. Als Bastard deines Onkel werde ich nie dahin gelangen, wo ich hin möchte ... aber mit deinen Namen, steht mir alles offen." "Die Herblay's sind niederster Landadel", wandte Aramis ein. "Ja, aber sie gehören zum Adel. Wozu brauchst du ihn denn noch? Glaubst du, dass du je wieder in dein altes Leben zurückkehren könntest?" fragte sie mit geheucheltem Bedauern. "So dumm bist du nicht. Aber ich kann ihn, dank deines abgeschiedenen Lebens auf dem Land, hervorragend gebrauchen. Nun?" "Nun? Bleibt mir wohl keine Wahl." "Nein, die bleibt dir nicht, Cousine. Es ist Pech für dich in Paris ausgerechnet auf mich zu stoßen und nun gehe bitte. Ich bekomme bald Besuch." Nana wedelte unwirsch mit ihrer Hand und wandte sich wieder ihrer Frisur zu. "Komm aber morgen wieder, gleiche Uhrzeit! Wir wollen das Spiel aufrecht erhalten." Aramis öffnete leise die Tür und drehte sich ein letztes Mal um. "Weißt du, Bernadette", sagte sie leise und seufzte, "du hättest dir von Anfang an meinen Namen nehmen können. Und ich hätte rein gar nichts dagegen tun können." Aramis schloss die Tür. Nana Bernard stach sich vor Verblüffung den Wimpernpinsel in die Augen. Tief in Gedanken versunken betrat Aramis die Taverne, in der sie sich üblicherweise mit ihren Freunden nach gemeinsamem Dienstschluss traf. Schummriges Wirtshauslicht empfing sie. Die Abendstunden waren schon längst angebrochen, dementsprechend dicht waren die Plätze an den langen Holztischen besetzt. Viele der Besucher waren schon bei ihrem zweiten Krug Bier nach beendeter Arbeit. Die langen Holztische glänzten ölig von fettigem Essen, Bierspritzern und den unzähligen Händen, die über die raue Oberfläche fuhren. Mägde mit vollen Krügen eilten geschäftig durch die Reihen. Kräftige Oberarmmuskeln verbargen sich unter Blusenärmeln aus grobem Leinen. Porthos erhob seine beträchtliche Gestalt und winkte seinen Freund zu sich. Der Lärm ringsum war ohrenbetäubend. Aramis begrüßte ihre Freunde mit einem kurzen Nicken, dann setzte sie sich. "Du kommst spät!" Porthos gewaltige Pranke landete hart auf ihrem Schulterblatt. Sie untersagte ihren Gesichtsmuskeln sich schmerzerfüllt verziehen zu dürfen. So etwas behielt sie sich für später vor. Ein Bierkrug wurde Aramis entgegengeschoben. Drei Augenpaare sahen sie erwartungsvoll an. "Was hat dich so lange aufgehalten?" fragte Athos, ein beunruhigendes Glitzern in seinen Augen. Aramis zuckte mit den Achseln und enthielt sich einer Antwort, in dem sie einige Schlucke trank. "Warst du zu beschäftigt, die passende Frisur zu deinen Kleidern zu finden, Aramis? Was trägt eigentlich eine englische Lady von heute?" Das breite Grinsen in Porthos Gesicht nahm die gesamte Spanne seiner unteren Gesichtshälfte ein. Aramis verschluckte sich und spie einen Teil des Biers wieder in den Krug zurück. Alle Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen. "Ihr wisst es?" Sie versuchte in den Gesichtern der anderen zu lesen. Sie feixten und der Ausdruck in ihren Gesichtern war reine Neugier. Athos und D'Artagnan grinsten, wobei zu D'Artagnan's Verteidigung angeführt werden musste, dass er gleichzeitig versuchte, sie mitfühlend anzusehen. "Ja, Jean hat zufällig den König bei seinem Gespräch mit dem Kardinal und dem Kapitän belauscht", gestand er. "Wie kann man zufällig den König belauschen?" D'Artagnan grinste. "Jean kann es." "Wie konnte der Kardinal nur auf diese Idee kommen? Warum gerade du, Aramis?" fragte Athos. Aramis schüttelte kummervoll den Kopf. "Ich weiß es nicht." Porthos Faust schlug so laut und kraftvoll auf die Tischfläche, dass die Bierkrüge tanzten. "Das können wir nicht zulassen!" Zustimmendes Gemurmel folgte. "Richelieu kann unseren Aramis nicht einfach entmannen!" Alle nickten bejahend. "Einen Musketier des Königs, einen der besten Kämpfer, einen Mann mit Ehre steckt man nicht einfach in Frauenkleider!" Vier Bierkrüge schlugen bestätigend aufeinander. "Andererseits ...", Porthos lehnte sich näher zu Aramis, "ach, komm gib mir einen Kuss, ma petite!" Er spitzte die Lippen und schloss genüsslich die Augen. Selbst Aramis musste lachen. "Halt die Klappe!" "Womit hast du den Kardinal nur betört, Aramis?" fragte Athos im allgemeinen Gelächter. "War es Aramis Charme? Seine glutvollen Augen? Seine Jugend, seine Kraft oder die lange priesterliche Enthaltsamkeit?" fragte Porthos im gutmütigen Spott, den Aramis selbst jedem anderen in ihrer Situation entgegengebracht hätte. "Auf den Kardinal und seine Abstinenz", rief Athos. Zustimmend klirrten vier Bierkrüge aufeinander und füllten vier Kehlen mit der kalten Flüssigkeit. Das Lachen befreite Aramis. Sie fühlte, wie sich die Fesseln der letzten Stunden lösten. Es war nicht das erste Mal, dass sich einer von ihnen für einen Auftrag verkleiden musste. Deswegen galt man nicht als unmännlich. Ihre "Männlichkeit" hatte sie als Musketier oft genug bewiesen. Sechs Bierrunden später hatte die Stimmung etwas an Schwung verloren und man war der Lösung des Problems nicht näher gekommen. "Also, was wollen wir?" fragte Athos. "Eine Frau für den Kardinal und ein Protestschreiben an den König", erklärte Porthos und sah genussvoll auf die weichen Formen in den tiefem Ausschnitt der Schankmagd, während diese, sein Lächeln erwidernd, neue Krüge auf den Tisch stellte. Aramis hatte den rechten Ellenbogen auf die Tischplatte gestützt, den alkoholschweren Kopf auf der Hand und hörte träge zu. D'Artagnan hob die Hand. "Er ... Er scholl jemand andere schschhhicken." Seine Lider wurden schwer. "Richtig", bestätigte Athos. "Da die Geheimhaltung der Mission nicht mehr gewährleistet und die betreffende Person, also Aramis, dem Spott preisgegeben ist." "... die Absetzung des Kardinals!" "... das Recht den Auftrag abzulehnen!" "Noch ein Bier!" Die Forderung stieß auf allgemeine Zustimmung. "Wir wollen, dass ein Musketier ein Musketier bleibt, ein Mann ein Mann bleibt ..." "... und noch ein Bier!" Die gelbliche Flüssigkeit in den Krügen schwappte, als die Krüge erneut aufeinander klirrten. Die kalte Abendluft trieb den Alkoholnebel hinfort. Das Pflaster glänzte nass vom letzten Regenschauer. Sterne glitzerten am Himmelszelt. Sie standen einige Minuten reglos vor dem Gasthaus, genossen die abendliche Stille, zogen die klare Luft ein und warteten, dass die Welt sich nicht mehr drehte. Porthos gähnte herzhaft. "Ich sehe euch morgen, schlaft gut!" Er stutzte, als er Aramis sorgevolles Gesicht sah. Die Nüchternheit brachte die Erkenntnis, dass ihre gesamten stichhaltigen Argumente nicht ausreichen würden, den König umzustimmen. Er schlug ihr freundschaftlich gegen die Schulter. "Kopf hoch! Schlaf eine Nacht darüber!" Aramis nickte und rieb sich die Schulter. Zweimal am selben Abend Porthos Freundschaftsbekenntnisse zu erfahren war zuviel für ihren schmalen Körperbau. Auch Athos nickte und gab ihr den Rat, den Morgen abzuwarten. Kurz darauf war Aramis mit D'Artagnan allein. Der jüngste Musketier sah sie an. "Liegt es am Bier oder hört sich eine Frau, die vorgibt ein Mann zu sein, der vorgeben muss eine Frau zu sein, für mich verwirrend an?" "Ja, dass liegt am Bier," erwiderte Aramis. "Nüchtern hört es sich schlichtweg bescheuert an." D'Artagnan nickte und tätschelte mitfühlend ihre Schulter. "Viel Glück!" Äußerst verwirrt ließ er sie alleine. Aramis reckte sich und betrachtete das endlose Sternenmeer am Firmament. Sie seufzte. Es war Zeit ins Bett zu gehen und den morgigen Tag mit einem anständigen Kater und vielen Sorgen zu beginnen. Kapitel 4: Treffpunkt Pont Neuf ------------------------------- Aramis hatte eine äußerst unruhige Nacht hinter sich. Sie war erst in den Morgenstunden eingeschlafen und erwachte, als jemand laut mit Fäusten an ihre Tür hämmerte und ihren Namen rief. Es fiel ihr ungewohnt schwer in die Gegenwart zurückzufinden. Benommen stolperte sie aus dem Schlafzimmer. "Was?" rief sie unwillig. "Hier ist Porthos, mach auf!" brüllte er durch die dünnen Türblätter. "Warte!" Hastig lief sie in ihr Schlafzimmer, warf sich einen schweren Wollmantel über, unter dem alle verräterischen Körperformen verschwanden und hastete zur Tür. "Hatte ich es doch geahnt, dass du verschläfst." Lässig am Türrahmen gelehnt, begrüßte Porthos sie mit selbstgefälligem Lächeln. "Du hast Glück, dass du mich hast. Weißt du das?" Hierbei fuhr er sich mit gespreizten Fingern durch die wirren Locken und gähnte so ausgiebig, dass seine Kiefergelenke knackten. Aramis runzelte übellaunig die Stirn und trottete in ihr Schlafzimmer zurück, um sich umzukleiden. Sie fühlte sich matt und übermüdet. Der Spiegel zeigte ihr, dass unter ihren Augen dunkle Ringe lagen. Bevor das laute Hämmern ihre Träume zerrissen hatte, erinnerte sie sich an einen Alptraum, in dem sie vollständig unbekleidet einer riesigen Menschenmenge ausgesetzt war. Menschen eilten geschäftig an ihnen vorbei. Fuhrwerke und Kutschen fuhren vorüber, Boten bahnten sich schreiend ihren Weg. "Du bist ungewohnt schweigsam", bemerkte Porthos, als beide in Richtung Hauptquartier ritten. Aramis zuckte die Achseln und behielt ihre Schweigsamkeit bei, bis sie das Gelände der Musketiere erreichten. Die meisten Musketiere waren schon eingetroffen und standen in einzelnen Gruppen zusammen, um sich lautstark zu begrüßen. Die gesamte Szenerie erinnerte eher an eine Gruppe ungebändigter Klosterschüler, als an auf Disziplin gedrillte Soldaten auf einem militärischen Gelände. Schwungvoll ließ sich Aramis aus dem Sattel gleiten. Dunkle Wolken umschatteten ihr Antlitz, als ihr Blick finster über die schwatzhaften Musketiere glitt. In ihrem Selbstmitleid gab sie jedem einzelnen von ihnen die Schuld an ihrer Misere, den jungen Männer, die ganz sie selbst sein konnten und nicht jede Geste, jedes Wort überdenken mussten, um sicher zu gehen, dass sie sich nicht verrieten. "Gib mir die Zügel von deinem Pferd!" Porthos fing Aramis übellaunigen Blick auf und beeilte sich, ihr die Zügel zu reichen. Wortlos verschwand sie in Richtung Stall. Athos trat mit besorgtem Gesichtsausdruck an Porthos heran. "Wie geht es ihm heute?" "Sehr übel gelaunt. Mir tut derjenige schon jetzt Leid, der sich heute seinen Zorn zuzieht." Athos nickte ernst. "Was hast du erwartet?" "Bei allen Heiligen, sie haben vor ihn zu kastrieren. Ein herber Rückschlag für seine Männlichkeit." "Wir können nur hoffen, dass niemand davon erfährt. Du weißt, was hinter seinem Rücken erzählt wird." Porthos grunzte, " ... und ich kann nicht alle niederschlagen. Verdammter Kardinal!" "Amen!" "Wie geht es Aramis?" fragte D'Artagnan, der gerade eben erst eingetroffen war. "Schlecht", meinte Athos und verschränkte die Arme vor der Brust. "Schlecht", bestätigte Porthos und klemmte die Daumen in seine Schärpe. "Er scheint kein Auge zubekommen zu haben." "Hätte ich auch nicht, wenn man mich in Weiberkleidung stecken und nach England schicken wollte." "Armer Kerl." D'Artagnan sah die beiden älteren Musketiere, selbsternannte Mentoren seines Erwachsenwerdens, verdutzt an. "Gestern habt ihr euch noch über ihn lustig gemacht." "Das war um ihn abzulenken ...", erklärte Porthos gedehnt. "So drücken wir unser Mitgefühl aus." "Ihr zeigt ihm Euer Mitleid, indem ihr über ihn Witze reißt?" fragte D'Artagnan zweifelnd. "Das ist wahre Freundschaft. Ich erkläre es dir ... ." Porthos legte seinen mächtigen Arm um die viel schmalere Schulter des jungen Musketiers und drückte diese väterlich. Mit einem schmerzerfüllten Gesichtsausdruck erschien der Kapitän in der Türfüllung und schickte seinen, durch Prellungen lädierten Körper an, die Vordertreppen hin ab zusteigen. "Musketiere!" Er hatte nicht besonders laut gesprochen, aber der Tonfall seiner Stimme duldete keinen Widerspruch. Es wurde schlagartig still. "Die Inspektion heute fällt aus. Ihr kennt Eure Aufgaben und die Schichteinteilung. Ich ziehe mich zurück und unterbiete es jedem, mich zu stören! Verstanden?" Die Bestätigung kam einstimmig. De Treville machte kehrt und verschwand im Hauptgebäude. Als er außer Sichtweite war, erlaubte er sich zu humpeln. Was hätte er als junger Mann nicht alles für einen guten Kampf gegeben. Jetzt wünschte er sich nur seine Ruhe und bei Bedarf einen Ausflug zu den warmen Schwefelbädern, um die Wunden aus jüngeren Tagen zu heilen. "... also, du hast es verstanden? Da kommt Aramis." D'Artagnan nickte. "Salut Aramis ..." Er versuchte zu lachen, doch es misslang, "soll ich ... brauchst du ... wie wäre es mit einem Kleid?" Aramis erstarrte mitten in ihrer Bewegung und sah ihn verstört an. Ihr Blick verfinsterte sich unter den zusammengezogenen Brauen. Einige näherstehende Musketiere lachten und begannen höhnisch zu grinsen. "Danke, D'Artagnan", erwiderte sie schneidend und ging mit schnellen Schritten davon. Porthos schüttelte mitleidsvoll den Kopf. "Nun gut. Das war wohl nichts. Ich hatte vergessen zu erwähnen, dass man solche Bemerkungen möglichst vor anderen Musketieren unterlässt. Vor allem dann, wenn jemand wie Aramis hart um sein Ansehen kämpfen musste. Das kann einem Mann das Genick brechen ..." Aramis ergriff die Flucht. Jeden anderen hätte sie zum Duell fordern müssen. Nicht weil sie es wollte, sondern weil es gewisse Regeln im Musketierdasein gab, die nirgends niedergeschrieben, aber umso gültiger waren. Wütend hieb sie sich mit mordslustigem Gesichtsausdruck und spitzen Ellenbogen ihren Weg durch die Menge, bis sie zum Theater gelangte. Die Tür fiel mit einem lauten Krachen ins Schloss. Nana Bernard kreischte erschrocken auf und brach sich den Fingernagel ab, den sie gerade bearbeitete. Erbost hob sie zur Antwort an, schloss aber wohlüberlegt den Mund, als sie Aramis Gesichtsausdruck sah. "Bonjour, Aramis", sagte sie spröde und richtete ihr Augenmerk wieder auf die traurigen Überreste monatelanger Maniküre. Ohne ein Wort zu sagen, ließ sich Aramis wuchtig auf Nana's Garderobensofa nieder. "Welche Laus ist dir über die Leber gelaufen, mh?" Nana hob fragend eine Augenbraue und zupfte ihr Kleid zurecht. "Doch nicht noch immer, weil du als Frau auftreten musst?" Sie lächelte nachsichtig. "Engelchen, du wirst nach London gehen und den König sehen. Außerdem werden sie für all deine Kleider und deine Ausstattung aufkommen. Weißt du, was für ein Glück du hast?" Aramis bedachte sie lediglich aus grimmig zusammengekniffenen Augen. Nana wäre keine Ikone in der Theaterwelt geworden, wenn sie die Launen anderer neben ihren eigenen, recht wechselhaften, akzeptiert hätte. "Auf auf, Mademoiselle Übelgelaunt, wir müssen üben!" Aramis verschränkte trotzig die Arme vor der Brust. "Was soll ich üben, ich bin eine Frau." Das Lächeln ihrer Lehrmeisterin blieb unbeeindruckt. "Also du gebärdest dich seit mehreren Jahren als Mann und erwartest, Karl I. als Frau ohne entsprechende Vorbereitung unter die Augen treten zu können? Tztztzt!" Nana schnalzte missbilligend die Zunge. "Aber nicht doch, Schätzchen. Er ist noch ein sehr junger König, dass erfordert Übung. Als Musketier kannst du vielleicht mit einem zackigen Hackenschlag beeindrucken, aber als Frau und das bei Hofe, wirst du jämmerlich versagen. Niemand soll mir nachsagen, ich hätte meine Aufgabe schlecht erfüllt, also ... heute üben wir einzelne Bewegungen, morgen Konversation und so weiter und so weiter ..." Immer noch übel gelaunt verließ sie eine gute Stunde später die Schauspielerin. Stirnrunzelnd und desinteressiert hatte Aramis ihren Ausführungen gelauscht und wäre beinahe eingeschlafen, hätten sich nicht mahnend Nana's lange Fingernägel in ihren Unterarm gebohrt. Diese Krallen waren sicher als äußerst wirksame Waffe zu gebrauchen. Trotzdem musste sie sich eingestehen, dass Nana Bernard nicht Unrecht hatte. Sie benötigte Übung. Das Parkett der Hofwelt und der Politik war spiegelglatt und gefährlich. Man benötigte Selbstvertrauen, Wortwitz und Charme, um nicht in dem wogenden Meer aus Intrigen, Neid und Missgunst unterzugehen. Aramis war ziemlich abgeschieden auf dem Land groß geworden. Hofetikette und höfisches Gehaben hatten sie schon damals nicht interessiert. Dann hatte sich in einer einzigen Nacht ihr Schicksal entschieden und weitreichende Konsequenzen mit sich gebracht. Sie hatte das Leben einer Frau aufgegeben, um das eines Mannes zu führen. Für ihre Rache und die Aussicht, die ungewohnten Freiheiten eines Mannes ausleben zu können, hatte sie Kapitän de Trevilles unnachgiebige und strenge Hand über sich ergehen lassen. Die Frau in ihr litt unter Vernachlässigung. Sie hatte noch eine Menge zu lernen. "Aramis?" Erschrocken erwachte sie aus ihrer Melancholie. Atemlos bahnte sich Jean den Weg zu ihr. Er schnaufte heftig und stützte, nach vorn gebeugt, seine Hände auf den Oberschenkeln ab, während er nach Luft rang. "Alle suchen dich schon", erklärte er keuchend. "Ich möchte allein sein." "Dann solltest du nicht zu dir nach Hause gehen. Dort tauchen sie in regelmäßigen Abständen auf." Aramis nickte. "Gut", und lief davon. "So warte doch! Aramis?" Sie ließ Jean's Rufen außer acht und begann ihren Streifzug durch die Straßen von Paris. Letztendlich war ihr Ziel Pont Neuf. Sie suchte die große Steinbrücke, welche die Ile de City mit dem Festland verband, nicht vorsätzlich auf, aber ihre Schritte lenkten sie dorthin. Lange stand Aramis am Brückengeländer, den Oberkörper auf das Geländer gestützt und sah auf den glitzernden Strom der Seine nieder. "Aramis?" Eine leise Stimme näherte sich ihr vorsichtig. Sie unterdrückte ein Aufseufzen. "Es tut mir leid. Ich wollte dich auf keinen Fall bloßstellen." D'Artagnan suchte in ihrem Gesicht den Zorn, aber da war nur verrauchte Wut und große Traurigkeit. "Schon gut", erwiderte sie, ohne ihren Blick vom Wasser zu lösen. "Ich kann gut nachvollziehen, was ..." "Nein, dass kannst du nicht!" unterbrach ihn Aramis. Sie hob den Kopf. Die blaue Iris ihrer Augen schimmerte sturmgrau. "Meine ganze Existenz steht auf dem Spiel." "Glaubst du nicht, dass alles gut gehen wird?" fragte D'Artagnan unbeholfen. "Du wirst schließlich in England sein." "Und was, wenn nicht?" "Vielleicht wäre es besser, Athos und Porthos die Wahrheit zu erzählen. Ich kenne sie doch auch und nichts hat sich zwischen uns geändert." Aramis lachte heiser auf. "Dich habe ich nicht über ein halbes Jahrzehnt belogen." Sie schüttelte den Kopf. "Nein, ganz ausgeschlossen." Aramis seufzte und stützte sich schwer auf das Geländer. "Du bist jung, D'Artagnan. Wenn man jung ist, verzeiht man schnell und sieht alles ein bisschen leichter. Athos und Porthos sind gestandene Männer. Sie werden niemals verzeihen, dass ich sie belüge, ihre Blindheit ausnutze und als Frau in ihre Welt eingreife." "Aber wenn sie deine Gründe kennen ..." "Nein, auch dann nicht. Von zu Hause weglaufen, gut ... mit einem Mann durchbrennen, auch gut ... seinen Körper an Männer verkaufen, auch das wird akzeptiert, aber nicht eine Frau, welche die Dreistigkeit besitzt, sich als Mann zu verkleiden und an ihrer Seite ihr Leben zu führen. Glaube mir, ich weiß, wie sie denken." Sie hatte sich oft genug alle erdenklichen Situationen ausgemalt, in denen sie ihren beiden Freunden die Wahrheit gestand, aber es würde zu keiner kommen. Notfalls starb sie mit ihrem Geheimnis. "Lass mich bitte noch ein wenig allein!" D'Artagnan nickte, mit einem angedeuteten Achselzucken. "Ist gut, Salut, Aramis." D'Artagnan hatte sie verlassen, doch wieder war ihr die Einsamkeit nicht vergönnt. Notre Dame schlug zur 4ten Nachmittagsstunde und ganz Paris schien sich über Pont Neuf zu bewegen. Sie wollte gerade die Flucht ergreifen, als ihr Blick auf ihren kolossalen Freund fiel. Porthos fiel in der Menge nicht auf, weil er die Menge war. Die Leute sahen ihn nicht, weil er ihnen den Blick versperrte. "Ah, hier bist du. Habe ich es doch geahnt", begrüßte er sie. "Wir kämmen schon ganz Paris nach dir durch. Lauschiges Plätzchen hast du dir hier ausgesucht, so ruhig und abgeschieden", schrie er gegen den laut schwatzenden Strom der Pariser an. "Komm, lass uns gehen!" Er nickte in Richtung Festland. "Wir gehen ins 'La Hirondelle' und genehmigen uns einen schönen Braten, während du und ich ein wenig plaudern, nicht wahr?" "Nein, ich will nicht." "Klar willst du! Einer für alle und alle für einen. Du darfst auch die Rechnung übernehmen!" "Nein", beharrte Aramis stur. "Ach, natürlich willst du! Du weißt es nur noch nicht." Sie schüttelte eigensinnig den Kopf. "Porthos, ich will einfach nur alleine sein." Porthos nickte wohlwollend. "Kannst du, kannst du!" Er legte seinen Arm um ihre Schulter und schob sie von der Brücke. Ihre in den Boden gestemmten Hacken leisteten soviel Widerstand, wie ein einzelnes Blatt gegen einen ganzen Orkan. "Du wirst MIT MIR allein sein und wir plaudern etwas! Allerdings beschränke ich mich auf die Rolle des Zuhörers, dass musst du verstehen, weil ich den Mund voll haben werde." Kapitel 5: Badetag ------------------ Der Tag verging und wie es der Lauf der Zeit will, folgte ein Tag auf den Nächsten. Der Winter verging und Frankreich strebte dem Frühling entgegen. Die Vögel kehrten mit den länger werdenden Tagen aus dem Süden zurück, die unterschiedlichsten Grüntöne sprossen dort empor, wo vorher alles noch im tristen braun-grau war. Die Strahlen der Sonne gewannen an Kraft und den Menschen ging ihr Tagewerk etwas leichter von der Hand. Nach ihrem, für ihre Verhältnisse sehr untypischen Verhalten, besann sich Aramis wieder. Wenn auch die Sorgen und die dunklen Vorahnungen nicht verschwanden, so zeigte sie ihre Ängste nicht mehr. Niemand hörte ihre stummen Fragen und das Wunder, auf das sie hoffte, blieb aus. Nur die Menschen, die von ihrer bevorstehenden Reise, unter dem Deckmantel der Diplomatie wussten, konnten die versteckten Anzeichen der Anspannung sehen, die wie Gift in ihr wüteten. Alles vollzog sich nach gleichbleibenden Ritualen. Man traf sich bei den Schichten und bei den abendlichen Treffen in den Spelunken Paris, beim Pferderennen, beim Training, beim Ballsport. Die Gemeinschaft war laut, lustig, ab und zu zottig und immer war die gewünschte Ablenkung da. Der Witz, der Spott, die Anspielungen blieben mit einem gutmütigen Lächeln, einem Augenzwinkern und einem freundschaftlichen Schlag auf die Schulter. Ein tröstendes Wort hier, ein aufmunterndes Lächeln dort. Dann aber kamen die Nächte. Wenn die Stadt in den Schlaf sank, sich die Dunkelheit über das Land senkte und alle Geräusche ringsum erstarben, dann war sie allein und wälzte sich ruhelos im Bett herum. Sorgen, Zweifel und Ängste krochen mit den Dämonen der Nacht durch das Zimmer und harrten dort aus, bis der nächste Morgen anbrach. Kapitän de Treville stützte die Hände ins Kreuz und reckte sich. Wenig später verzog er schmerzhaft das Gesicht und wünschte sich, es nicht getan zu haben. Vor seinem Fenster breitete sich die Welt im düsteren Grau aus. Dicke Regenwolken hingen am Himmel und entleerten sich nun schon geraume Zeit auf der Erde. Der Regen prasselte an das Glas, der Wind rüttelte an den Fensterläden, die Kälte kroch in seine Glieder. Kapitän de Treville beschloss kurzer Hand, den Musketierdienst seinen fähigsten Mitarbeitern zu überlassen und seine Zeit mit einem schönen Moorbad zu nutzen. Erst neulich hatte ihm der Apotheker la Ferralè, unter dem Siegel der Verschwiegenheit, versichert, besten Naturschlamm für ihn zu haben. Kurzerhand beorderte de Treville seine Wirtschafterin zu sich und gab Anweisungen für das Bad. Die große Holzwanne für die monatliche Wäsche wurde hervorgerollt und das Wasser in riesigen Mengen erhitzt. Hiltrud Schättiger war eine Frau im mittleren Alter und schon seit mehreren Jahrzehnten de Treville's Wirtschafterin. Sie stammte aus Konstanz und war die einzige Person seines Haushalts, bei der de Treville ein loses Mundwerk duldete. Nicht, dass ihn Hiltrud nicht den Respekt zollte, der ihm gebührte, aber wenn nötig, wurde die Autorität des Kapitäns auf die eines Schuljungen herunterdegradiert. De Treville wollte sich gerade seiner Kleider entledigen, als ein Bote vorbei kam und ihm zum König beorderte. Seufzend kleidete er sich wieder an, hängte sich den Degen um und verließ die stirnrunzelnde Hiltrud und den heilsamen Bottich. Wenig später fand Kapitän de Treville sich im Vorzimmer des Königs wieder. Seine häufigen Unterredungen mit dem König hatten ihn schon oft in diesem Zimmer warten lassen. Mittlerweile kannte er das Stuckmuster am oberen Deckenrand auswendig und er bildete sich langsam ein, die gemalten Augen der Cherubinen verfolgten ihn. Wenn der Tag besonders lang und anstrengend war und die Wartezeit sich in unerträgliche Länge zog, dann kam es vor, dass er glaubte, leises Kinderlachen zu hören. "Kapitän de Treville, Ihr könnt jetzt zu seiner Majestät, dem König!" Der Page trat zurück und ließ ihm den Vortritt. "Ah, Kapitän de Treville", begrüßte ihn der König. Seine königliche Majestät stand hinter seinem Schreibtisch und ließ sich von einem Pagen Wein eingießen. Der Kardinal hielt sich dezent im Hintergrund. "Wie geht es unserem Musketier? Ist er bald bereit nach England zu reisen und auf unseren Diplomaten auf Abwegen zu treffen?" De Treville nickte unverbindlich. Seit dem denkwürdigen Tag, da Aramis Schicksal beschlossen war, trat er als Mittler zwischen seinem Schützling und Frankreichs Fürsten auf. "Schön, schön", fuhr der König fort. "Sagt ihm, er soll seine Anstrengungen verdoppeln. Die letzten Vorbereitungen werden gerade getroffen." Er setzte sich und beobachtete zufrieden, wie sich das Licht im Kristall seines Weinglases brach. "Um genau zu sein, wird er Frankreich in einem Monat verlassen", mischte sich der Kardinal ein. Die langen Finger spielten mit dem goldenen Kreuz auf seiner Brust. "England ist informiert. Wir werden eine Bezugsperson am Königshof für ihn finden. Genaue Instruktionen bekommt er vor Reiseantritt, bis dahin wird an seinen Kleidern geschneidert. Allerdings ...", Richelieu ließ eine bedeutsame Pause, "sollte in England herauskommen, dass er in Wirklichkeit ein Mann ist, dann wird Frankreich von ihm Abstand nehmen. Wir werden England gegenüber versichern, nichts von diesem Betrug zu wissen." Seine Habichtsaugen fixierten de Treville's Gesichtszüge. Der Kapitän hielt seine Gefühle hinter der Maske der Unbeteiligtheit verborgen. "Ich habe verstanden." De Treville verbeugte sich und verließ das Intrigenspiel. Erneut befanden sich Topf für Topf auf dem Herd, mit brodelndem Wasser, welches langsam den riesigen Bottich füllen sollte. De Treville rieb sich den verspannten Nacken und betrachtete das Leben außerhalb seines Fensters, während er auf sein Bad wartete. Es pochte und ein junger Musketier mit zittrigem Oberlippenbart betrat zögernd das Zimmer. Erbost drehte sich de Treville um und musterte den jungen Mann finster. "Hatte ich nicht darum gebeten, dass mich niemand stört?" wetterte er. Sein Besucher schluckte den Kloß der in seinem Hals steckte hinunter. "Verzeiht, Kapitän, aber wir ..." Der Kapitän unterbrach ihn ungeduldig. "Ihr habt doch eure genauen Anweisungen, weshalb werde ich gestört?" "Nun, wir haben drei Krankheitsfälle und der König hat seinen Plan zum Ausritt umgestellt und nun ..." Er stockte, als er de Treville's Zeigefinger sah, der ihn näher winkte. "Bin ich denn nur von Narren umgeben?" donnerte der Kapitän knapp vor seinem Gesicht. "Wenn Musketiere krank werden, dann springen andere für sie ein und wenn der König seinen Ausritt absagt, dann brauchen auch keine zusätzlichen Männer eingesetzt werden, verstanden!?" Der junge Mann nickte hastig und machte, dass er fort kam. Seufzend begann der Kapitän seine Kleidung abzulegen. Er stand schon halbnackt im zugigen Zimmer, als es erneut pochte und Frau Hiltrud das Zimmer betrat. Sie beachtete nicht die Schamröte, die de Treville's Gesicht durchzog, weil er ihren Blicken in Unterhose ausgesetzt war, sondern zeigte mit dem Daumen über die Schulter. "Da ist eine Dame für Euch." Ihr vor Empörung bebender Busen zeigte genau, was sie von dieser Dame hielt. "Eine Dame?" fragte de Treville verdattert. "Eine Dame", bestätigte Hiltrud, mit ihrem harten deutschen Akzent. "Sie sagt, sie sei Nana Bernard, die Schauspielerin und sie würde nicht eher gehen, bis sie Euch gesprochen hat." De Treville nickte und griff nach seinen Sachen. "Und was ist nun mit dem Bad?" Er hörte sie nicht mehr, als er sich in den Empfangsraum begab. Frau Hiltrud zuckte die mächtigen Schultern und seufzte resigniert. "Ah, Kapitän de Treville, mein Name ist Nana Bernard. Wir kennen uns nicht, aber Ihr habt sicher schon von mir gehört." Eigentlich hatte Kapitän de Treville das nicht. Viel mehr wusste er alles über die neusten Techniken beim Fechten, als über die Theaterwelt, dennoch nickte er. "Was kann ich für Sie tun?" "Es geht um Aramis." "Um Aramis?" De Treville hob erstaunt eine Augenbraue. "Ja", bestätigte Nana und begann im Zimmer umherzuwandern. "Wir beide wissen, dass es sich bei Aramis um eine Frau handelt." Sie ließ eine Pause und wartete auf de Treville's Reaktion. Als diese nicht erfolgte fuhr sie fort. "Ihr müsst wissen, wir sind beide miteinander verwandt. Es fiel mir nicht schwer, sie hier zu erkennen, da wir unsere Kindheit zusammen verbracht haben." Sie lachte gekünstelt. "Nun, zusammen verbracht ist falsch ausgedrückt. Wir sind durch Stände getrennt aufgewachsen. Ich in der Küche, sie im Salon." Ihre Stimme wurde schärfer. "Ich habe dies noch niemandem erzählt und ich erzähle Euch die Wahrheit nur deshalb, weil ich Eure Hilfe benötige." "Meine Hilfe?" "Ja! Reneè und ich sind darin übereingekommen, dass sie mir ihren Namen übergibt." "Ich verstehe nicht ganz, Mademoiselle." "Ganz einfach, so fern mich jemand nach meiner Herkunft fragt, heiße ich Reneé de Herblay. Reneé hatte in ihrer Jugend nur wenig Kontakt mit anderen Menschen, niemand wird wissen, dass ich es nicht bin. Von Euch brauche ich eine Bestätigung, dass ich die gesagte Person bin. Ich weiß, dass Ihr mit den Herblay's verwandt seid und ihren Vater gut kanntet." "Wie kommen Sie darauf, dass ich sie Ihnen gebe?" "Ich weiß von Reneè's kleinem Irrspiel und von ihrem bevorstehenden Auftrag in England. Nennt es Erpressung, aber wenn ich nicht meinen Mund halte, wird nicht nur Reneé's Kopf fallen, sondern auch Eurer, da ihr von dem Betrug all die Jahre etwas wusstet und ihr sogar geholfen habt. Leugnet es nicht, ich weiß alles!" "Verstehe ich richtig? Ich bestätige, dass Sie Reneé de Herblay sind und Sie bewahren Stillschweigen?" Nana nickte. "Meine Lippen sind versiegelt." "Ich lasse mich äußerst ungern erpressen." "Ich fürchte, Euch bleibt keine andere Wahl." Die blieb ihm tatsächlich nicht und wenig später überreichte ihr ein finster dreinblickender Kapitän ein Dokument. Nana Bernard schenkte ihm ihr strahlendstes Lächeln. "Ich danke Euch und wie gesagt, meine Lippen sind versiegelt. Wir kennen uns nicht." "Das tun wir auch nicht, Mademoiselle", brummte er finster und eskortierte sie zur Tür. Als er sich wieder umdrehte, stand Hiltrud hinter ihm. "Was ist mit meinem Bad?" Seine Wirtschafterin stemmte die Arme in die Hüfte. "Monsieur war ja beschäftigt und bevor ich das Wasser wieder erkalten lasse, weiche ich die Wäsche darin ein." "Was höre ich da, Wäsche in meiner Badewanne?" spie de Treville aus. "Räume sie sofort leer!" Hiltrud hob hochmütig eine Augenbraue. "Das wäre dann das dritte Mal, dass ich heute Wasser ansetze, aber bitte ... ich habe ja nichts besseres zu tun. Wisst Ihr eigentlich welche Mühe es bereitet, den Schlamm von den Wänden zu kratzen?" "Hol Wasser aus dem Brunnen", brüllte de Treville einen seiner Knechte an, der gerade zufällig vorbei kam. "Was hältst du noch Maulaffen feil? Mach das du an die Arbeit kommst!" schrie er dem verschreckten Jungen hinterher. Hiltrud schüttelte missbilligend den Kopf. "Schreit nicht den armen Jungen an! Er kann nichts dafür, wenn ihr zweifelhafte Damen einladet und nicht zum Baden kommt." "Ich habe mir diese Zacktippe nicht eingeladen, ich habe sie rausgeschmissen", brummte er, "und rede gefälligst nicht deutsch, wenn du über mich schimpfst. Spreche in einer Sprache, die ich verstehe!" Wütend stapfte er davon. Lange bevor Nana Bernard bei Kapitän de Treville eintraf, kamen Aramis und Athos von einer Nachtschicht nach Hause. Es war schon längst Mittag, doch bevor jeder schlafen ging, kamen sie überein, gemeinsam zu Mittag zu essen. Das Licht fiel spärlich durch das Fenster des tiefergelegten Küchenraums. Aramis rieb sich müde die Augen und ging in die Hocke, um Brot, Käse und alles, was sie an nahrhaften Vorräten fand hervorzuholen. Athos saß währenddessen am Küchentisch und beobachtete seinen Freund. Aramis schien sich wieder gefangen zu haben und gab sich nach außen hin so wie immer. Der junge Musketier gehörte nicht zu den Menschen, die ihre Sorgen und Launen auf ihre Mitmenschen übertrugen. Mit einem Ungetüm von Messer machte sich Aramis daran, einen Laib Brot zu schneiden. Die Kraft, mit der sein Freund durch das Brot fuhr, als sei es der Feind, zeigte, wie es in Aramis wirklich aussah. Laut polterten die Holzbretter auf den Tisch, als Aramis die geschnittenen Scheiben und den Käse wuchtig abstellte. Becher und Wein folgten mit dem gleichen Schwung. "Ist alles in Ordnung?" Aramis nickte. "Ja, natürlich!" Die Schüssel mit den Äpfeln landet derart hart auf dem Holztisch, dass einer heraushüpfte und davon rollte. "Das scheint mir nicht so. Willst du nicht mit mir reden?" "Ich rede doch mit dir. Hier stehen wir beide gemeinsam in meiner Küche und reden miteinander." Athos seufzte. "Mach es mir doch nicht so schwer, Aramis!" Aramis schüttelte unwillig den Kopf. "England bereitet dir mehr als nur bloßes Kopfzerbrechen?" mutmaßte er. Sein Gegenüber machte eine abwehrende Bewegung und beugte sich tiefer in den Schrank, um eine angemessene Weinflasche zu finden. Eigentlich genoss sie den Umgang mit Athos, wenn sie beide allein waren, er war vertrauter, als wenn die Anderen dabei wären. Wenn sie Athos doch nur alles erzählen könnte. Keine Lügen mehr, keine Geheimnisse, kein Verstecken, -aber sie konnte nicht, die Schatten waren zu groß. "Nun gut", sagte er, "du kannst jederzeit zu mir kommen, das weißt du?" Aramis nickte. In seiner Stimme schwang ein sanfter Unterton mit, der wie Seide über ihre Haut fuhr. "Ich bin sicher, dass du deinen Auftrag in England zur Zufriedenheit des Königs erfüllst. Wir mussten uns schon öfters verkleiden und du ..." Athos ließ den Rest des Satzes im Raum stehen, aber sie wussten beide, was er nicht aussprach, aber meinte. Seit Athos von Aramis Mission gehört hatte, befasste er sich viel öfters mit seinem Freund. Bislang hatte er nie genauer über Aramis Aussehen nachgedacht, nur Mitleid mit den sanften und zarten Zügen empfunden, die es seinem Freund so schwer machten, auf Anhieb Autorität auszustrahlen. Aramis' Gesicht und Gesten waren Athos zu vertraut, um auf ihn anders oder gar merkwürdig zu wirken. Seltsamerweise bereitete es ihm keine Probleme, sich Aramis in der Rolle einer Frau vorzustellen. Es schien noch nicht einmal befremdend zu sein, eher natürlich. Aramis stieß sich vor Schreck den Kopf an der Oberkante des Schrankes und tauchte unter stummem Wehklagen wieder auf. "Warum starrst du mich so an?" Athos schreckte auf und blickte wieder in das gewohnte Gesicht seines Freundes, in Augen, die in letzter Zeit ungewohnt traurig und entrückt aussahen. Leise in ihrer Muttersprache murrend, nahm Hiltrud erneut den Topf vom Herd und goss diesen in den großen Holzbottich. Dampfend füllte sich die Wanne mit Wasser. Hiltrud rann der Schweiß über das Gesicht. Schweißnasse Streifen zeichneten sich auf ihrem Kleid ab, wann immer ihr fülliger Körper Falten schlug. Unter ihrem strengen Blick schob der Knecht wiederholt Holzscheite in die Ofenklappe. Kapitän de Treville warf einen zufriedenen Blick in den brütend heißen Raum. Seine Stimmung begann sich zu steigern. Während Hiltrud den heilenden Schlamm in das kochendheiße Wasser einrührte, entledigte sich de Treville in seinem Schlafzimmer seiner Stiefel, des Wamses und der Beinkleider. Vergnügt vor sich hin pfeifend, stieg er die Treppe zum Erdgeschoss hinab, in Richtung Badehaus. Am Fuße der Treppe stellte sich das Badetaghindernis Nummer 4 in den Weg. "Ich muss mit Euch sprechen, Kapitän!" sagte Athos. "Geht das nicht morgen, Athos?" entgegnete de Treville's, nackt wie Gott ihn schuf, nur mit Handtuch und Holzpantinen bekleidet. Sein Blick ging provokant an sich herab, Athos überging ihn souverän. Er folgte den behaarten Männerwaden in Richtung Badehaus. "Ihr müsst etwas unternehmen, dass der König Aramis von seinem Auftrag entbindet!" Er drehte sich abrupt um. "Dann hat Aramis es euch also gesagt? Jetzt hör mir mal zu, Athos! Ich verstehe ja, dass du deinem Freund helfen willst, aber ich habe alles für Aramis getan, was in meiner Macht stand." "Aramis macht die Sache wirklich zu schaffen", wandte Athos ein. "Nun gut, ich werde morgen noch einmal mit ihm sprechen." "Aber ..." "Nichts aber, Athos. Morgen!" De Treville hob bedeutsam die Braue. "Du wirst sicher deinem Kapitän die Diskretion eines Bades gewähren!" "Natürlich, Kapitän." Athos trat schuldbewusst zurück und verabschiedete sich. De Treville schob alle Gedanken an Aramis beiseite und stieg in den dunkelgrün wabernden Inhalt des riesigen Holzbottichs. Er schloss genießerisch die Augen und lehnte sich zurück. Die Wärme vertrieb den Schmerz aus seinen Knochen. Er öffnete die Augen erst wieder, als er Schritte hörte, die vor seinem Bottich zum Stehen kamen. "Das darf doch wohl nicht wahr sein." Grimmig gruben sich Falten der Empörung in de Treville's Antlitz. "Wirst du wohl das Badezimmer eines Mannes verlassen! Das schickt sich nicht, junge Dame!" Aramis sah mit zusammengekniffenen Augen vorsichtig auf ihren nackten Vorgesetzten nieder. Sie öffnete erst beide Augen, als sie sicher war, dass die dunkelgrüne Masse alles wesentliche verbarg. "Habt ihr euch heute gegen mich verschworen?" rief der Kapitän erbost. "Redet noch einmal mit dem König, Kapitän. Redet ihm aus, mich nach England zu schicken, bitte!" Sie sah ihn flehend an. "Mädchen", sagte de Treville, der sichtlich mit seiner Geduld rang, "ich würde jeden zum niedrigsten, der niedersten Dienste beordern, wenn er mich so ansehen würde, wie du jetzt. Spar dir deinen Hundeblick! Du fährst nach England, dass bist du mir schuldig! Ich habe eine Menge riskiert, als ich dich bei den Musketieren aufnahm, obwohl du eine Frau bist." Er beugte sich mit hochrotem Gesicht vor, was einerseits an seiner Wut, andererseits an seinem sinkenden Blutdruck liegen konnte, angesichts des heißen Bades. "Gott weiß, dass ich eigentlich nicht in diesem Ton mit meinen Männern rede, aber den gesamten Tag über, hält mich jedermann von meinem Bad ab, also SCHIEB DEINEN KLEINEN HINTERN NACH ENGLAND!" "Aber ..." "Kein aber ..." De Treville wollte sich aufrichten. Die schwieligen Hände umfassten den Wannenrand, um sich hochzustemmen. "NICHT!" Er stoppte und ließ sich zurückgleiten. "Verstehst du denn nicht? Der Kardinal wiegt sich in Sicherheit. Er wird dich in angeblicher Verkleidung nach England schicken, um Graf de Meyé auszuspionieren, - er nennt es beobachten, aber wir wissen beide, dass Spionage gemeint ist. Sollte herauskommen, dass du keine Frau, sondern ein Mann bist ..." De Treville ließ eine bedeutsame Pause, "dann wird er England versichern, dass Frankreich von deiner Falschidentität nichts wusste und dich an den Prager stellen. Wärst du wirklich ein Mann, würde dir Auspeitschung, Deportierung oder ähnliches drohen, aber du bist kein Mann. Der Kardinal könnte nicht zwei Irrtümer zugeben, dann müsste er gestehen, dich unter falschen Vorsätzen nach England geschickt zu haben, um Karl I. zu täuschen. Das könnte er nicht und die Engländer würden dir ihren Schutz gewähren." Er suchte in den Augen seines Schützlings nach einem Zeichen des Verstehens. Noch war der beängstigend resignierte Ausdruck aus den blauen Augen nicht verschwunden. "Das ist das beste, was dir passieren konnte", fuhr er fort. "Wir beide wissen, dass du nicht auf ewig einen Mann spielen kannst. Ich hätte nie gedacht, dass du volle 7 Jahre durchhältst. Diese Mission ist vielleicht der Weg zurück!" Aramis verschränkte die Arme trotzig vor ihrer Brust. "Ich will gar nicht mehr zurück. Mir gefällt mein Leben, so wie es ist." "Gut, wenn dem so ist, dann sei jetzt ein braver Musketier und lass deinen Kapitän in Ruhe baden", erwiderte er. "Ach, Aramis, stimmt es, dass du mit dieser aufdringlich geschmückten Blondine, die sich Schauspielerin schimpft, verwandt bist und ihr deinen Namen abgetreten hast?" "Nana Bernard? Ja, sie ist die uneheliche Tochter meines Onkels und ja, ich habe es ihr zugesichert. Aber es ist nicht so, dass ich eine Wahl gehabt hätte. War sie denn hier?" "Ja! Dann ist also Reneé de Herblady für dich gestorben?" "Das ist sie schon vor langer Zeit, als ihr Verlobter starb und sie an den Meistbietenden verschachert wurde, Kapitän." De Treville nickt. "Salut Aramis!" "Salut Kapitän!" Aramis wandte sich zum Gehen und bemerkte nicht den Schatten, der hinter der Tür verborgen stand und ihr nachdenklich folgte. Kapitel 6: Abschied aus Paris ----------------------------- Ihre Finger fuhren liebkosend über den Stoff. Samt, so weich wie eine zarte Berührung; glatte Seide, die sich um die Finger schmiegte; filigrane Stickarbeit mit verschlungenen Mustern; Spitze, zart als würde sie zerbrechen; schweres Brokat und schimmerndes Atlas. Vor Aramis lag ein ganzer Schatz ausgebreitet, der jedes Frauenherzen höher schlagen ließ. Kleider des derzeitigen Modediktats mit Spitzenkragen, schmalen Taillen, bauschigen Ärmeln und weiten Röcken. Der König hatte sich nicht lumpen lassen, seine vermeintliche Abgesandte auszustatten. Das Licht der zahlreichen Kerzen, brach sich schimmernd auf den edlen Stoffen, die ihr ganzes Schlafzimmer einnahmen. Fensterläden und Türen waren verschlossen. Nur das Licht der Kerzen erhellte ihr Zimmer. Niemand sollte sie stören oder dabei ertappen, wenn ihr Blick ausgehungert über die Kleider glitt, als wären sie der Körper eines lang vermissten Geliebten. Entsprechend groß war der Schrecken als es plötzlich an der Tür klopfte. Sie schloss hektisch die Schlafzimmertür und sah sich nach verräterischen Spuren um. "Ja?" "Hier ist Sophie", ertönte eine junge Frauenstimme. "Kapitän de Treville schickt mich." Vorsichtig öffnete Aramis die Tür und beide Frauen starrten sich unangenehm berührt an. Jene Art von Stille trat ein, die fast greifbar ist. Sophie war 15 Jahre alt, weder besonders hübsch, noch besonders hässlich. Sie hatte ein angenehmes Gesicht mit neugierig funkelnden grünen Augen und braunem Haar. Mit einem bedauernden Blick sah sie zu Aramis auf und maß deren Gestalt. "Es ist wirklich bedauerlich", seufzte sie, "sie geben einen so schönen Mann ab." Aramis, der die Vorsicht als ständiger Begleiter im Nacken saß, zischte erbost, sah sich panisch um und zog sie ins Haus. "Huch, na wir leiden ja unter Paranoia", sagte Sophie erschrocken und übersah die gesellschaftliche Stufe, auf der sie stand. "Ohne Paranoia, wäre ich nicht da, wo ich jetzt bin", knurrte Aramis. "Ja?" Das Mädchen besann sich wieder und rief sich zur Ordnung. "Ich soll Ihnen helfe Ihre Sachen einzupacken, damit wir die Kutsche beladen ... oh warte, welch eine Pracht." Sie hatte die Kleider entdeckt und streckte ehrfürchtig die Finger aus, ohne sie jedoch zu berühren. Die jungen Augen leuchteten. "Ist das richtiges Atlas?" Aramis nickte lächelnd. "Nur zu!" Zögernd nahm Sophie eines der Kleider hoch und hielt es, wie zerbrechliches Glas vor ihrem schmalen Körper. Der Saum der Kleider bauschte sich am Boden. Aramis war um einiges größer als Sophie. Aramis überragte gemeinhin die meisten Frauen, um eine Haupteslänge. "Ich habe mich mit Adelè getroffen", erklärte sie, während sie alle Kleider begutachtete. "Sie müssen wissen, Adelè arbeitet als Zofe bei der Herzogin de la Ferre. Sie weiß alles über die neusten Frisuren ... " "Ah ha!" Aramis lauschte gleichgültig, während sie mit unterschlagenden Beinen auf dem Bett saß und ihr zusah, wie sie die Kleider sorgfältig zusammenfaltete und in die riesige Reisekiste packte. Sie selbst hätte die Kleider niemals so ordentlich zusammengelegt bekommen. " ... und welches Kleid wann getragen wird und wie ..." "Ah ha!" Aramis hatte den Kopf auf die Hand gestützt. Wann hatte sie sich das letzte Mal mit solchen Dinge befasst? " ... Kapitän de Treville hat mir erlaubt einige Modezeitschriften zu besorgen ..." "Ah ha!" "... natürlich werde ich mir noch die englische Mode ansehen müssen, wobei die Französischen immer an erster Stelle stehen wird ..." "Ah ha!" Es freute Aramis, jemanden wie Sophie für ihre Reise bekommen zu haben. Das Mädchen war umgänglich, aufgeschlossen und besaß eine gehörige Portion Wortwitz. Blieb nur noch der unbekannte Sekretär als offener Faktor in ihrer Gleichung. " ... ich selbst habe auch drei neue Kleider bekommen. Freilich nicht so prächtig, wie Ihre ..." "Ah ha!" Ihre einseitige Unterhaltung wurde gestört, als jemand an den Türrahmen pochte. Nana Bernard, ihres Erachtens nach, unerreichbar am Sternenhimmel des Theaters rauschte in einer Parfümwolke herein. Während sie von Aramis einen bitterbösen Blick erntete, rutschte Sophie vor staunen die Kinnlade herunter. "Sie sind Nana Bernard, die berühmteste Schauspielerin Paris", entfuhr es Sophie bewundernd. "Ja, mein Kind, die bin ich und mach den Mund zu!" erwiderte diese hoheitsvoll und erhellte mit ihrer erhabenden Anwesenheit Aramis schlichtes Heim. "Oh mein Gott!" Selbst jemanden wie Nana Bernard verblüffte die Pracht der Kleider. "Engelchen, hab ich dir nicht gesagt, dass sich die Reise für dich lohnen wird!" "Was willst du hier Nana?" fragte Aramis abweisend und verschränkte die Arme vor der Brust. "Ich will dir natürlich helfen. Du sollst nicht denken, dass ich nur schlechte Seiten an mir habe." Sie lachte gekünstelt. "Mir ist folgende Idee gekommen ..." Nana setzte zur bedeutsamen Pause aus, "wir könnten deine Person Exzentrisch gestalten." "Exzentrisch?" Aramis hob fragend eine Augenbraue. "Exzentrisch!" bestätigte Nana. "Du reiste doch inkognito nach England?" "Ja, der Kardinal kam auf die umwerfende Idee, dass ich unter falschen Namen nach England reise, die Engländer aber wissen, dass ich unter falschen Namen dort bin. Dann werden sie über die geheimnisvollen Umstände meiner Reise spekulieren, aber nicht nach meiner Herkunft fragen. Somit ist der Kardinal der Sorgen entledigt, mir einen falschen Titel und Stammbaum zu besorgen." "Schlauer Richelieu ... aber du siehst, du fällst so oder so auf! Also legst du dir bestimmte Eigenheiten zu, die als exzentrisch gelten. Gib den Leuten etwas zum Tuscheln und werde auffällig, dann bist du unauffällig. Nutze deine ungewöhnliche Größe, die hochgeschlossenen Kleider, deine Geheimnisse, das wenige Gefolge ... und so weiter!" Ihre Hände unterstrichen ihre Worte. Aramis nickte. "Ich verstehe." Nana lächelte gewinnend. "Sehr schön. Das wollte ich dir nur auf den Weg mitgeben, da du morgen abreist. Ich werde wieder gehen. Diese Gegend ist nicht gut für meinen Ruf, Adieu!" "Heilige Maria", entfuhr es Sophie, als Nana und ihr Glanz davon schwebten und die Realität wieder zurückkehrte. "Fertig?" Sophie strich den Truheninhalt noch einmal glatt und begutachtete die beiden Reisetruhen. "Den Rest müssen Sie selbst einpacken. Morgen früh kommen unsere Knechte mit der Kutsche und holen die Truhen ab, bevor es losgeht." "Gut", erwiderte Aramis. "Du wirst mit der Kutsche nach Le Havre vorreisen. Ich reite wenig später alleine los, dass ich in der Nacht in Le Havre eintreffe. Die Adresse des Gasthofes und den Namen des Schiffes hast du?" Sophie nickte heftig. "Im Gasthaus wechsele ich die Kleider und am Morgen stechen wir in See", fuhr Aramis fort. "Auf den Schiff wird Monsieur Madeleine zu uns stoßen, der als mein Sekretär uns nach England begleitet. Er hat alle weiteren Anweisungen an mich!" Sophie knickste gekonnt und kicherte. "Sehr wohl, Madame?" Sie betrachtete Aramis weiterhin neugierig. Die hochgeschossene Frau in Männerkleidung strahlte nach wie vor eine ungeheure Faszination für sie aus. Woher nahm sie die Courage sich als Mann auszugeben und als ihresgleichen aufzutreten? Es sogar bis in die Garde der Musketiere zu schaffen? Was, wenn der Betrug je herauskam? Beide Frauen fuhren erschrocken auf, als sich jemand hinter ihnen räusperte. Athos stand der Tür. Lässig und gutaussehend wie immer. "Stör ich?" Sophie atmete tief durch und ein versonnenes Lächeln glättete ihre Züge. "Nein", erwiderte Aramis und schob die stierende Sophie zur Tür raus, die gerade feststellte, dass es mehr als nur einen Musketier zum Anhimmeln gab. "So", Lächelnd drehte sich Aramis ihrem Freund entgegen und zog ihren Wams, unter dem Gürtel gerade, "dass war Sophie. Hast du sie erkannt?" Athos nickte, aber sein Gesicht blieb ungewohnt ernst und nachdenklich. Das war für Athos an sich nichts ungewöhnliches. Er zog sich oft in seine Gedanken zurück und beobachtete seine Mitmenschen still. Dieser wissende Blick, der alle Geheimnisse zu sehen schien. Als Musketieranwärter hatte Athos ihr nicht nur Respekt und Bewunderung eingeflösst, sondern schlichtweg Angst. Die grauen Augen folgte ihr bis in ihre Träume, wo sie anklagend bis in ihre Seele sahen und ihre Verkleidung durchschauten. Das taten sie heute immer noch, aber mittlerweile aus einem ganz anderen Grund. Obwohl sie ihm ihren Rücken zuwandte, spürte sie seinen Blick und nicht nur seinen. Seit dem Tag, da beschlossen wurde, sie als Frau nach England zu schicken, sah sie die versteckten Blicke, spürte sie die Augen, die sie musterten. Selbst bei denen, die von ihrer wahren Identität wussten. Es war als hätte jemand die Zeit zurückgedreht, als sie noch jeden neugierigen und schärferen Blick fürchtete. Die Selbstsicherheit der letzten Jahre war wie weggewischt. Als sie sich wieder umdrehte, merkte sie jedoch nichts davon in Athos Gesicht. "Hast du gerade Schichtende? Gibt es schon genauere Informationen über den Mord bei St. Michel?" fragte sie, ohne ihn richtig zu Wort kommen zu lassen. "In letzter Zeit bin ich kaum noch im Musketierquartier. Der Kapitän hat mich von allen Schichten entbunden. Ich bekomme gar nichts mehr mit. Möchtest du Wein?" Athos lächelte. "Ja und ja, wie bedauerlich und ja." "Welches 'ja' stand für den Wein?" "Das Letzte", erwiderte er, während er sich setzte, "und um deine Neugier zu stillen. Der Täter hat an die Hauswand, vor der die Leiche lag, mit Blut verkündet: Jetzt werde die Bartholomäusnacht abgerechnet. Niemand hat das Gekritzel gesehen, weil die Bewohner im Halbdunkel dort Kisten mit fauligem Obst abstellten. Erst als sich jemand über den penetranten Geruch beschwerten und sie weggeräumte wurden, sah man die Schrift." Aramis stellte Weinkrug und Becher auf den Tisch und sah ihn nachdenklich an. "Es soll den Protestanten in die Schuhe geschoben werden. Da nutzt jemand das Misstrauen und den Hass gegen sie, um die Situation explodieren zu lassen!" Athos zuckte die Schultern und seufzte. "Oder es handelt sich wirklich um einen fanatischen Rächer. Jedenfalls hat man schlauerweise versucht, die ganze Sache zu vertuschen, aber die Gerüchte sickern überall durch. Noch ein Mord von dieser Handschrift und die Bevölkerung schreit nach Blut." "Das wäre nichts Neues. Es wird in den nächsten Wochen viel Arbeit auf uns zukommen", erwiderte Aramis. "Falsch!" ertönte es hinter ihnen. "Auf uns wird viel Arbeit zukommen. Du setzt dich schließlich nach England ab." "Salut Porthos." Lächelnd begrüßten sie ihren riesigen Freund. Dieser schlug sich auf den grün gekleideten Bauch und lachte breit. "Lass diesen billigen Fussel, den du Wein schimpfst verschwinden, Aramis und wir gehen aus! Ich habe einen Mordshunger. Im "Grand Cochons" könnt ihr euch in Ruhe weiter über Leichen und Religion unterhalten. D'Artagnan kommt noch nach. Er will erst Constance zu ihrem Vater begleiten!" "Von wegen ,billiger Fussel'", murmelte Aramis kaum hörbar, räumte aber die Flasche Wein weg. Sie drehte sich wieder ihren Freunden zu und bemerkte deren Blicke. "Hört auf mich so anzusehen!" Sie explodierte. Schwer atmend, die Hände zu Fäusten geballt, die Augenbraue finster zusammengezogen, starrte sie die beiden finster an. "Ich weiß ganz genau, was ihr denkt und ich sage AUFHÖREN!" Schuldbewusst senkten beide den Blick. Porthos haute ihr kameradschaftlich auf die Schulter, das sie zwei Schritte vorwärts taumelte. "Sehr, heißblütig heute, was? Dann habe ich eine viel bessere Idee für heute Abend. Lass uns zu Madam Bofrait's Mädchen gehen!" Aramis sah noch immer schlecht gelaunt zu ihm auf. "Du weißt ganz genau, dass ich von käuflicher Liebe nichts halte!" Porthos grunzte. "Käuflicher Liebe? Das hast du sehr schön gesagt, aber ich rede eigentlich von einem Bordellbesuch." "Und ich von Syphilis und dem Ungeziefer anderen", blaffte sie zurück und gab damit dem eigentlich harmlosen Streitgespräch, welches schon immer Bestandteil ihrer Freundschaft war, einen scharfe Beigeschmack. Sobald die Rede auf Bordelle oder einen anderen Beweis männlicher Liebeskraft kam, reagierte sie nicht mehr ruhig und beherrscht. "Wer denkt denn schon bei einer schönen Hure an Syphilis und Madam Bofrait achtet darauf, dass ihre Mädchen immer sauber sind", warf Porthos sichtlich säuerlich ein und verzog das Gesicht beleidigt. "Lass, Porthos!" erwiderte Athos mit ruhiger Stimme. Es war nicht das erste Mal, der er Zeuge dieses Streitthemas wurde. "Warum sollte Aramis für einen Bordellbesuch zahlen, wenn sich ihm genügend Pariserinnen zum Vergnügen hingeben würden?" "Ich werde nie verstehen, was die Weiber an deinem Milchgesicht finden", brummte Porthos, ohne es erst zu meinen. Aramis entspannte sich und zuckte die Achseln. "Animalische Anziehungskraft! Gehen wir nun ins ,Grand Cochons'?" Ihre beiden Freunde nickten. Porthos Mundwinkel zuckten, als sie die Tür hinter sich schlossen. "Animalisch? Das ich nicht lache. Von einem Welpe, höchstens!" Sichtlich angeheitert kehrten sie lange nach Mitternacht zurück Noch ein Weinkrug mehr und der jüngste unter ihnen, hätte nicht mehr aufrecht stehen können. Lediglich der Respekt vor seinen älteren Kollegen, hielt D'Artagnan davon ab, in sich zusammen zu sacken. Porthos hatte sich schon längst über den Punkt hinaus getrunken, an dem die letzte Barrikade fiel, um unflätige Lieder zu singen. Gegenteilig zu ihrem sonstigen Trinkverhalten, schwankte auch Aramis. Eigentlich trank sie nie zu viel Alkohol, da sie alle ihre Sinne benötigte, aber diesmal hatte sie beide Augen zugedrückt. Sie fand alles unglaublich witzig. Ihr würden nur noch wenige Stunden Schlaf bleiben, bis sie ihr Pferd satteln und los reiten musste, um Frankreich vorerst den Rücken zu kehren. Athos war der einzige unter ihnen, auf dem Wein keine Wirkung zeigte. Vielleicht war der Gleichmut, mit dem er den fallenden Intellekt seiner Begleiter akzeptierte, ein Anzeichen dafür, wie viel Alkohol durch seine Blutbahn schwamm. Sie kamen durch die Rue de Revolin. Vor ihnen erstreckte sich ein kleiner Platz, an deren Ende eine schmucklose Kirche im romanischen Stil über das Seelenheil der umliegenden Gassen und Straßen wachte. Auf der Mitte des Platzes hielt Porthos plötzlich inne und stützte seinen schwankenden Körper am Brunnenrand ab. Helles Mondlicht tauchte sie ein. "Wartet hier!" lallte Porthos mit alkoholschwerer Zunge. "Aramis, ich habe ein Geschenk für dich." "Ein Geschenk? Für mich?" erwiderte sie überrascht. Er nickte heftig. "Ja, für dich. Ein Abschiedsgeschenk, ABER ..." Er hielt ihr mahnend seinen Zeigefinger vor das Gesicht und betrachtete diesen eine zeitlang fasziniert, bis er sich auf sein Präsent besann. "...aber du musst hier warten. Ich lauf nur schnell nach Hause und hole es. Warte hier!" "Ich warte hier!" Wie ein schwankender Bulle setzte Porthos seinen Körper in Bewegung. Aramis griff mühsam Athos Arm und klammerte daran fest. Sie grinste dümmlich. "Ist er nicht gerade in die falsche Richtung gelaufen, wenn er nach Hause wollte?" "Sieh da, wenn das nicht unsere Freunde die Musketiere sind!" Rochfort's Stimme hallte durch die nächtliche Stille und hinterließ den nervenaufreibenden Beiklang, den nur Feinde mit sich bringen konnten. "Was macht ihr hier?" fragte er, während er näher kam. Sein Adjutant Jussace folgte ihm kriecherisch. Der verständnislose Ausdruck auf seinem Gesicht ähnelte dem von Aramis, ohne das bei ihm Alkohol ins Spiel kommen musste. "Das ist ein öffentlicher Platz, Rochfort. Wir haben jedes Recht hier zu sein", erwiderte Athos ruhig und bedachte seine glucksenden Begleiter mit einem mahnenden Blick. Es war nicht gut Rochfort in ihrem Zustand zu reizen. "Wohl zu viel über dem Durst getrunken, was?" hackte Richelieus rechte Hand nach. "Auch das ist unser gutes Recht", erwiderte Athos etwas schärfer. "Ihr solltet euch lieber um den Mord bei St. Michel kümmern, bevor der Nächste passiert." Jussace lief, im Dunkel der Nacht verborgen, rot an. "Ihr aufgeblasenen Musketiere ..." "Na Jussace", unterbrach ihn Aramis und grinste provozierend. Nicht ganz abschätzend, welche Reaktion sie damit auslöste, "trittst du aus dem Schatten von deinem Herrchen und stehst deinen Mann oder versteckst du dich gleich wieder hinter seinem Rücken?" Die Farbe in Jussace's Gesicht verfärbte sich dunkelrot. Er griff nach seinem Degen. Das Geräusch von blankem Stahl, der aus der Lederschneide glitt, durchschnitt die Stille. "Ihr Musketiere habt doch nur eine großes Mundwerk, sonst nichts, ihr Schaumschläger. Wir können das gerne austragen. Jetzt und hier!" schrie er und trat näher. Aramis vergaß jede Vorsicht und zog gleichzeitig mit D'Artagnan ihren Degen. Athos hielt seinen Freunde am Arm fest. Beide hätte er nicht halten können und es hätten sich früher oder später die Degen beider Partein gekreuzt, wenn nicht in diesem Augenblick eine undefinierbare Gestalt, lachend und schwankend, aus der Dunkelheit erschien wäre. Rochfort quollen vor Entsetzen die Augen aus den Höhlen. "Ist das Porthos?" Ungläubig suchte er die Bestätigung in Athos Gesicht. "Trägt er ein Kleid?" Drei Gesichter nickten bestätigend mit fassungslos entglittenen Gesichtszügen. Wenn Mondlicht der Gestalt einer Frau schmeichelte, so tat sie es bei Porthos nicht. Das kalte Licht der Nacht enthüllte gerade soviel, dass man der Nacht dankte, weil sie kein helles Licht warf. Sein üppiger Leib war in ein übergroßes Kleid gehüllt. Sein Gesicht strahlte vor vergnügter Vorfreude. "Wenn das nicht Rochfort und sein stinkender Schatten sind", dröhnte er, durch die nächtliche Stille. Sein Körper bebte vor Lachen. Mit Beginn des neuen Tages und den ersten Nachwirkungen einer durchzechten Nacht, würde er sich für das, was er hier tat hasse, aber gerade amüsierte sich Porthos königlich. Seine Freunde rangen vor lauter Lachen mühsam nach Luft. "Ihr Musketiere seid alle Irre, Wahnsinnige, die nicht frei herumlaufen dürften." Entgeistert machte Rochfort kehrt und verschwand kopfschüttelnd vom Platz, seinen erstarrten Gefolgsmann hinter sich her ziehend. Das gerade erlebte, würde morgen die Runde durch die gesamte Stadt machen, dafür würde er schon sorgen. "Porthos, was soll das?" fragte Aramis mit erstickter Stimme. "Das", er klimperte kokett mit den Augen, "ist mein Abschiedsgeschenk an dich. Gefall ich dir?" "Sehr!" Athos schüttelt lächelnd den Kopf. "Kommt, lasst und nach Hause gehen, bevor Porthos nüchtern wird und sich vor Scharm in die Seine wirft!" Porthos drehte sich, ellenlange Rockbahnen folgte und er setzte sich schwankend in Bewegung. "Sie sollten dich nach England schicken, nicht Aramis", rief D'Artagnan, dem merkwürdig gewandeten Koloss hinterher. "Auf jeden Fall abe ich mehr Dekollete vorzuweisen, als Aramis mit seiner Hühnerbrust", grinste er und strich sich über den dunklen Flaum, der aus dem tiefen Ausschnitt spross. "Ich glaube, darauf ist er auch noch stolz", erwiderte Aramis spöttisch. Athos nickte. "Auf jeden Fall wäre er die Dame mit dem behaartesten Dekollete von allen englischen Lady's." "Und die hässlichste." Jodelnd traten sie den Heimweg an. Der Mond verschwand hinter den Wolken und verbarg für einige Minuten gnädig einen hüfteschwingenden, alkoholbenebelten Musketier, der mit seinen Freunden, laut die Nachtruhe störend, durch die Straßen zog. Kapitel 7: Straße nach Le Havre ------------------------------- VII. Straße nach Le Havre Je länger sie ritt, je weiter sie sich von Paris entfernte, desto enger rückten die Bäume am Straßenrand zusammen. Ein stummes Spalier aus uralten Wächtern der Reisenden. Die Meilensteine folgen dahin. Trockene Erde und Steine wirbelten unter den dahingaloppierenden Hufen auf. Einzelne Sonnenstrahlen tanzten durch das dichte Blätterdach, welches sich über den Weg wölbte und blendete, mit grellem Licht, ihre empfindlichen Augen. Kopfschmerzen hämmerten zermürbend und wütend hinter ihrer Stirn. Ihre Zunge klebte ausgetrocknet und pelzig an ihrem Gaumen. Aramis war seit mehreren Stunden auf der Straßen nach Le Havre unterwegs. Eine gnadenlose Mittagssonne, endlose Straßen und das stetige auf und ab des Reitens forderten langsam ihren Tribut. Noch zehrte ihr Körper von ihren Kraftreserven. Bis zum äußeren Stadttor hatten sie ihre Freunde begleitet, dann hieß es Abschied nehmen. Wie es sich unter Männer gehörte, verlief die Verabschiedung schnell und schmerzlos. Aramis wurde kraftvoll an die Brust ihrer männlichen Begleiter gedrückt, die Degen kreuzten sich ein letztes Mal im stillen Einverständnis, dann wurde sie mit einigen guten Ratschlägen auf ihre Reise geschickt. Sie hatte nicht oft die Gelegenheit gehabt, in die starken Arme ihrer Freunde zu sinken. Während Porthos ihr die Rippen zerquetschte, D'Artagnan sie eher unbeholfen und zaghaft drückte, fühlte sie um so genauer die kräftigen Muskeln unter Athos Wams und den angenehmen Geruch, der seinen Haaren entströmte. Obwohl sie fürchten musste, dass er stutzig werden konnte, weil ihr Körper weicher war, als er sollte, hätte Aramis ihn gern länger an sich gedrückt. Jetzt würde sie ihre Freunde für lange Zeit nicht mehr sehen. Bei Vermon hatte sie die Nase gestrichen voll. Sie war langes Reiten gewohnt, aber nicht unter Katerstimmung und so schwang sie an einem Gasthaus ihre schmerzenden Beine vom Pferd und humpelte steifbeinig zum Gasthaus. Drinnen empfingen Aramis Lärm und stickige Luft. Sie kniff die Augen zusammen, um sie an das Dämmerlicht zu gewöhnen, dass durch die mit dünn geschabten Kalbshaut bespannten Fenster fiel. Etliche Reisende waren in den Schutz des Gebäudes gewichen und stillten ihren Durst bei einem kühlen Bier oder verdünntem Wein. Sie schob sich an den vollen Tischen vorbei. Man rückte respektvoll zur Seite und machte der Autorität ihrer Waffe platz. Der Zustand ihres Degen zeigte, dass sie ihn nicht zur Zierde trug. Selbst für ein gut besuchtes Gasthaus zur Mittagszeit war es ungewohnt laut. Während eine Magd ihr Eintopf und Wasser brachte, hörte sie genauer zu. Nicht weit von ihr unterhielten sich mehrere Männer über den Mord bei St. Michel. Die blutige Botschaft des Mörders hatte Paris verlassen. Gerüchte blieben nie lange unter sich. Einige äußerten lautstark die Ansicht, dass die Protestanten viel zu billig bei wegkamen, der Rest nickte beifällig. Überall wurden die Köpfe zusammengesteckt und darüber gesprochen. Sie musste ihre Freunde unbedingt bitten, ihr per Brief alles über die Ermittlungen zu berichten. "Was meinen Sie?" fragte einer der Männer und beugte sich zu Aramis rüber. "Man sollte viel härter gegen diese Ketzer, die über unbescholtene Christenbürger herfallen, vorgehen. St. Michel ist sonst nur der Anfang." Er blechte grimmig eine Reihe fauliger Zähne. >Du bist bestimmt kein unbescholtener Bürger<, dachte Aramis. Ihr Blick zeigte ihm eigentlich deutlich, dass sie allein gelassen werden wollte. Er verstand nicht und der beharrliche Ausdruck auf seinem einfälligen Gesicht blieb. Sie zwang sich schließlich zu einem zustimmenden Lächeln, zuckte aber die Schultern. "Ich weiß nichts über St. Michel. Ich bin fremd hier." Streit wollte Aramis als einsamer Reisender nicht anfangen. Dummköpfe sollte man nicht reizen, da ihre Handlungen dumm und unvorhersehbar waren. "Welch ein Zufall, ich auch." Schon saß er ihr gegenüber und erklärte ihr lang und breit, was er aus zweiter Hand über den Mord in St. Michel erfahren hatte. Es war haarsträubend, wie wenig von dem wahren Tatbestand übrig geblieben war. Er endete schließlich mit seiner Meinung darüber, wie man mit den Ketzern verfahren sollte. "Brennen sollen sie!" Er blickte sie auffordernd an, als erwartete er großes Lob für seine Ausführungen. Mittlerweile hatten auch die anderen Männer ihre Aufmerksamkeit auf Aramis gerichtete. Was würde passieren, wenn sie jetzt etwas Falsches sagte? "Sie werden ihre gerechte Strafe erhalten", erklärte sie, mit einem widerstrebenden Lächeln auf den Lippen. Der Mann nickte zufrieden. Sie war froh, dass er ihre Gedanken nicht lesen konnte, denn Aramis hatte nicht die protestantischen Glaubensbrüder, sondern den abergläubischen Mob und die mordslustige Obrigkeit gemeint, die nach Blut schrieen und unschuldige Menschen einsperren, foltern und verbrennen ließen. Zu ihrer Erleichterung ließ er sie wieder zufrieden und sie konnte ihre erkaltete Suppe essen. Ihre Kopfschmerzen hatten sich mittlerweile verschlimmert. Es war, als würde der hämmernde Schmerz ihre Schädeldecke zertrümmern. Kurz nach Mitternacht kam Le Havre in Sicht. Von einer Anhöhe aus sah sie die dunkel, am Hafen liegende Stadt. Riesige Schoner und Großmasten lagen im Hafenbecken. Ein hoher Wall umschloss den inneren Ring. Drei Kirchturmspitzen erhoben sich im Dunkel der Nacht. Nach einem kurzen Ritt hatte Aramis eines der zwei Stadttore erreicht. Ein mürrischer Torwächter ließ sie nach Überprüfung ihrer Papiere passieren. Sein Kollege schlief lautstark auf seine Hellebarde gestützt. Das Gasthaus lag gleich hinter dem Stadttor. Es schmiegte sich eng an die Stadtmauer. Ein einfaches Gebäude im Fachwerkstil des 15. Jahrhunderts. Sie schlich zur Rückseite des Gebäudes und brachte ihr Pferd im Stall unter, um es schnell zu versorgen. In den oberen Stockwerken waren alle Läden geschlossen. Lediglich durch die dreckigen Butzengläser vom Schrankraum drang noch Licht. Der Wirt eskortierte gerade, unter Mithilfe zweier kräftiger Knechte, einige Betrunkene zur Tür hinaus. Der Alkohol hatte sie uneinsichtig und gewalttätig gemacht. Aramis nutzte die allgemeine Aufregung, um unbemerkt an den Männern vorbei zu huschen und in das zweite Stockwerk zu gelangen. Sophie hatte als Erkennungszeichen ein weißes Taschentuch um die Türklinke gebunden. Endlich konnte sie in ein Bett klettern und noch für die wenigen Stunden, die ihr noch blieben, Schlaf finden. Sophie war noch wach. Sie saß in Nachthemd und Schultertuch auf dem Bett und begrüßte ihren späten Gast mit einem unsicheren Lächeln. Vor Aufregung hatte sie ohnehin nicht schlafen können. "Wo ist mein Zimmer?" Sophie schüttelte bedauernd den Kopf und wies auf das zweite Bett. "Es waren nicht mehr Zimmer frei. Wir müssen uns ein Zimmer teilen." Aramis seufzte resigniert, hängte Degen und Hut über die Stuhllehne und zog die Stiefel aus. Gürtel und Wams folgten. Hoffentlich fühlte sich das Mädchen nicht peinlich berührt, weil sie das Zimmer miteinander teilen mussten. Anscheint nicht, als sie sich umdrehte saß Sophie noch immer unverändert auf ihrem Bett und schaute ihr ungeniert zu. Aramis verharrte in ihren Bewegungen und hob herausfordernd eine Augenbraue. De Trevilles Schützling zuckte schuldbewusst zusammen, sprang flick auf und holte ein langes Leinenhemd aus einer der Truhen, um es Aramis zu geben. Ihren Blick jedoch senkte sie nicht, sondern beobachtete sie weiterhin neugierig. Jetzt war es an Aramis sich unwohl zu fühlen. Beide Augenpaare fochten ein stummes Duell aus. Starrsinn gegen Starrsinn. Schließlich gewann Sophie den Kampf und Aramis entledigte sich zum ersten Mal nach über 7 Jahren vor einem anderen Menschen ihrer Kleidung. Sie hob ihr Hemd und wickelte den Verband ab. Aufatmend holte sie tiefe Luftzüge. Der kalte Nachtwind strich kalt über ihre nackte Haut, als Hemd und Hose folgten. Wasserkrug und Schüssel standen schon bereit. Ein eingetauchtes Tuch wischte den Staub des Tages hinfort, den Schweiß unter der engen Verschnürung, den Dreck eines langen Rittes. Sophie reichte ihr das Nachthemd. Immer noch wendete sie den Blick nicht ab, sondern beobachtete sie aufmerksam. Genug gesehen?" fragte Aramis. "Wie ..., aber ... warum sieht man nicht, dass Sie eine Frau sind?" Neugierig suchten Sophies Augen in ihrem Gesicht nach einer Antwort. "Nun, ich tue schließlich alles was ich kann, damit man es nicht sieht oder bemerkt", erwiderte Aramis. "Aber es ist nur so, dass ich in Ihnen jetzt keinen Mann mehr sehen kann und es ist mir schleierhaft, weshalb es niemand sonst bemerkt, obwohl ihre Freunde viel älter und erfahrener sind, als so ein junges Ding, wie ich." "Lass sie das bloß nicht hören", erklärte de Trevilles einziger weiblicher Musketier schmunzelnd. "Nun, ich nehme an, dass ist die Macht der Gewohnheit. Man denkt nicht darüber nach, ob ich etwas anderes bin, als ich vorgebe zu sein, weil man in mir nie etwas anderes gesehen hat." "Aber irgendwann waren Sie nicht Gewohnheit, sondern jemand Unbekanntes. Hat man Sie als Junge erzogen? Sind Sie nur unter Brüdern aufgewachsen?" Aramis lachte. "Nein, ganz bestimmt nicht." Sophie ließ nicht locker. Wissbegierig beugte sie sich vor. "Wie konnten Sie nur auf die Idee kommen?" Ihre neue Herrin räusperte sich verlegen und zögerte. "Ich wollte von zu Hause fort, aber eine Frau alleine, wäre unterwegs vor der Zudringlichkeit jedes besoffenen Kerls ausgesetzt gewesen. Ich war 16 und ... ich war schon damals sehr groß, fast so groß, wie ein Mann und ich besaß kaum weibliche Formen." Kopf, Bein, Arme und Rumpf waren bei Männern und Frauen gleichermaßen vorhanden. Die Feinheiten, die wirklichen Unterscheide, ließen sich mit der richtigen Kleidung entsprechend verbergen. "Ich war so blind anzunehmen, dass es mir leicht fallen würde", fuhr Aramis fort. Ein großer Irrtum, wie sie bald einsehen musste. Sophie nickte wissend. "Warum haben Sie das gemacht?" "Geh zu Bett! Wir müssen morgen früh raus und ich bin müde!" befahl Aramis mit einem Ausdruck, der keine Widerworte duldete. Das Gesicht des Mädchens zeigte, dass dies nicht die erhoffte Antwort war, die sie erwartet hatte. Seufzend schlüpfte Sophie unter die Decke und blies die Kerze aus. Das Bettzeug roch nach ungewaschenen Körper. Naserümpfend fragte sich Aramis, wann das letzte Mal Decke und Kissen gewaschen und die Federn erneuert wurden. Eigentlich wollte sie ihre Frage gar nicht beantwortet wissen. Aus Reflex begann sie sich zu kratzen. Sophie war schon fast eingeschlafen, als sie ein leises Flüstern hörte. "Sie haben meinen Verlobten umgebracht. Mein Hass auf dieses Ungeheuer in Menschengestalt, dass ihn niederstach hat alles Denken überschwemmt." Sie war mit einem Ruck wach und setzte sich auf. "Wirklich? Erzählen Sie mehr!" "Ich habe schon zuviel erzählt!" Sophie seufzte enttäuscht. Kapitel 8: Über den Kanal ------------------------- Der Himmel, bisher silbrig in der Morgendämmerung, nahm endlich ein zartes blau an. Der Abendwind verstummte und brachte das leise Wispern im Uferschilf und in den hohen Baumwipfeln zum Schweigen. Die Aprikosenfarbe des Himmels ging in Rotgold über. Im zweiten Stockwerk des Gasthauses, am südlichen Stadttor, waren Gewaltmächte am Werk. Manch ein verirrter Passant eilte schneller weiter, als er das Ächzen und Stöhnen aus dem geöffneten Fenster vernahm. In Le Havre, der Hafenstadt am Ärmelkanal, dem Tor zur Normandie für Reisende aus allen Herren Ländern, war es besser, nicht alles mitzubekommen. "Zieh!" presste Aramis gequält hervor und stöhnte unter dem Panzer, der ihren Oberkörper einschnürte. "Warum nehmen Sie nicht ein kürzeres Korsett?" ächzte Sophie, während sie das Knie in Aramis Kreuz stemmte und die Schnüre mit aller Kraft festzog. Schweißperlen liefen seitlich an ihren Schläfen hinab. "Rede nicht! Zieh!" zischte Aramis und atmete noch flacher. Es knackte. "Ich glaube, dass war meine Rippe. Jetzt ist sie gebrochen", japste sie, als sich die fischbeinverstärkte Rüstung enger zog. "So schnell, brechen sie nicht", erwiderte Sophie und drückte iher Knie fester in das Rückrat. Endlich war das Ungetüm verschnürt. Der zarte Stoff des Mieders war Schweiß durchtränkt. Die Haut unter der Verschnürung begann zu brennen und unangenehm zu jucken. Die Berührung des dicken, reißfesten Stoff, ihres dunklen Reisekleides empfand Aramis als zudringlich. Unbehaglich lockerte sie den engen Kragen und versuchte die drückenden Stäbe des Korsetts bequemer zurecht zu rücken. Die Verstärkungen schnitten in ihre Haut. Die Enge des Mieders nahm ihr die Luft zum Atmen und die Freiheit des Bewegens. Aramis glaubte sich zu erinnern, dass früher das Ankleiden nicht derart kompliziert und umständlich war. Ganz zu schweigen von den wenigen Minuten, die sie für ihre Musketieruniform benötigt hatte. Sie hätte diesen Brustpanzer liebend gern wieder gegen das einschnürende Brustband, welches ihre Brust flachdrückte, eingetauscht. Sophie sah sie noch immer zweifelnd an. "Es muss über die Brust reichen", erklärte Aramis und klopfte bestätigend auf ihre eiserne Jungfrau. "Verstehst du nicht? Ich darf keine weiblichen Formen haben, damit ich notfalls noch als Mann gelte. Ein ausgestopftes Dekollete wäre aber zu verräterisch. Eine unbedachte Berührung und die Wahrheit käme ans Licht. Dies hier ist ideal. Keine verirrte Hand spürt, was sich unter dem Kleid befindet." Innerlich grinsend gratulierte sie sich zu ihrer Idee, auch wenn sich ihr Körper anfühlte, als würde er durch die Streckbank gedreht werden. Unter diesem Korsett war nicht spürbar, ob sich der Körper eines Menschen darunter befand, geschweige denn, ob Mann oder Frau. Ihre suspekte Rolle jemanden zu spielen, der vorgab jemand zu sein, der man eigentlich schon war, - es hörte sich nach wie vor unsinnig an, - hatten Kapitän de Treville und sie im laufe der Vorbereitungswochen oft besprochen. Aramis wollte sich auf jeden Fall den Rückweg zu den Musketieren bewahren. Nicht mehr als Mann zu leben, dass konnte sie sich nicht vorstellen. Nicht weil sie vergessen hatte eine Frau zu sein, sondern weil ihr schlichtweg die Mittel fehlten, um respektabel leben zu können. Es blieben nur noch das Kloster, die niederen Dienste als Magd oder eine Heirat als Alternativen und zu keiner davon konnte sie sich entschließen. Das letzteres zustanden kam, bezweifelte Aramis ganz und gar. "Wenn ich damit hinfalle, stehe ich nie mehr auf", ächzte sie unter gepressten Atemzügen. Ihre Unterwäsche vertrat folgende Aussage: ,Allen Naturkatastrophen werde ich entgegentreten, ohne zu weichen. Dieses Mieder trotzt Stürme, Orkane und Gewitter. Ein Fels in der Brandung!' Sophie nickte. "Das entspricht aber nicht der heutigen Mode." "Soll es ja gar nicht. Außerdem bin ich ...?" "... exzentrisch", vervollständigte Sophie den Satz. Aramis nickte. "Und?" fragend sah sie vom Spiegel zu ihrer neuerworbenen Zofe. "Sehr elegant", bestätigte diese. "Nicht wahr? Monsieur Bonacieux hat gute Arbeit geleistet. Es ist ein Segen, dass dieser Mann Maß nehmen kann, ohne den Körper berühren zu müssen. Es wäre sonst peinlich für uns beide geworden", äußerte Aramis zufrieden. Das schmucklose Oberteil und der lange, glatt abfallende Rock aus dunkelblauem Stoff, betonten ihre lange Statur und gaben ihr mehr Eleganz. Die blonden Haare waren zu einem einfachen Knoten im Nacken zusammengesteckt und betonten die ebenmäßigen Gesichtszüge. Als junges Mädchen hatte sie sich, wie viele zu groß geratene Frauen, nach vorn gebeugt, um sich optisch kleiner zu machen. Die Jahre als Mann hatten sie gelehrt, gerade und selbstbewusst zu laufen, -etwas anderes ließ das Korsett ohnehin nicht zu. Die Frau im Spiegel war nicht mehr das 16-jährige Mädchen, auch nicht der Musketier Aramis. Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, wie die Reaktion von Athos sein würde, wenn er sie im Kleid sah. Hier bin ich! Das bin wirklich ich! Es gibt Frauen, die sind schöner als ich, um vieles eleganter, zarter, graziler, aber keine wird dich je so kennen, wie ich dich kenne. Aramis seufzte tief. Die Frau im Spiegel gab den resignierten Gesichtsausdruck zurück. "Lass uns herunter gehen und frühstücken! Monsieur Unbekannt, müsste noch zu uns stoßen. Ich würde England ungern ohne ihn und seine Instruktionen erreichen", entschied Aramis und begab sich, mit marionetteartigen Bewegungen, in den Schankraum, an einem reichlich verwirrten Gastwirt vorbei. Nachdem Aramis ihren unhandlichen Körper unter vielen Verrenkungen auf einen der spärlich besetzten Stühle platzierte hatte, eilte der verblüffte Wirt herbei und tischte das Frühstück auf. Sie saßen gerade bei Brot und Milch, als ein Mann, in unauffälligen gelehrtenschwarz gekleidet, sich unaufgefordert zu ihnen setzte. "Bonjour MADAME, mein Name ist Frederic Broussard." Seine wässrigblauen Augen musterten sie von oben nach unten. Der dünnlippige Mund zuckte unter verstecktem Ekel. Die Betonung von ,Madame', zeigte deutlich, was er von dem vermeintlichen Mann in Frauenkleidern hielt. Dabei vergaß er völlig, dass sie ihre Verkleidung nicht selbst gewählt hatte. Er war dünn und groß, außerdem gingen ihm allmählich die Haare aus. Den Rest versuchte er sorgfältig über der rosaroten Schädeldecke zu verteilen. Sein Alter ließ sich schwer schätzen. Ein verbrauchter 25-jähriger oder ein guterhaltender 40-jähriger. Aramis tippte auf ersteres, da er nicht die Toleranz des Alters, sondern die Arroganz der Jugend zeigte. "Ich wurde von Kardinal Richelieu beordert, Sie nach England zu begleiten", erklärte er und sein Blick gab deutlich zu verstehen, dass er nur Anweisungen von diesem Mann entgegennahm. Schon gar nicht von einem Nicht-Mann, wie sie es einer war. Aramis seufzte innerlich. Sie hatte es nicht anders erwartet. Eine positive Überraschung von Seiten des Kardinals grenzte an ein Wunder. "Sie haben alle näheren Instruktionen für mich?" Broussard nickte und reichte ihr einen wachsversiegelten Umschlag. Das Wachs des Siegel glich verschmiertem Blut. Blut das ihre Zukunft besiegelte. "In der Mappe finden Sie die Stammbäume und Funktionen der wichtigsten englischen Adligen sowie alle Informationen über Graf de Meyé. Außerdem befindet sich ein Schreiben des Königs unter den Unterlagen, in denen er bestätigt, dass Sie eine Person von Rang sind, auch wenn Sie unter falschen Namen auftreten. Der Kardinal entschied, dass Sie für die Dauer Ihres Aufenthalts die Comtesse de Mystérieuse*1 sein werden. Er hielt das für witzig." Seine Mundwinkel zuckten. "Nach meiner Meinung wären Madame Mystérieux*2, Madame Queue*3 oder gar Madame femme très masculine*4 besser gewählt." Aramis fand das weniger witzig. Unwillkürlich spannte sie ihren Körper an. Der bissige Ausdruck in Sophies Gesicht zeigte, dass sie mit ihrer Meinung nicht alleine stand. "Sie fragt nur niemand nach Ihrer Meinung", entgegnete sie scharf und sah ihm, unter Aufbringung all ihrer Autorität, in seine Augen. "Sie sollten sich besser zusammenreißen und mir, als mein Untergebener, den nötigen Respekt entgegenbringen, der mir als Comtesse zusteht oder wollen Sie, dass unsere Mission scheitert, nur weil Sie sich nicht entsprechen benehmen können. Ich glaube, der Kardinal wäre wenig erfreut darüber. Glauben Sie nicht, dass ich nicht ebenfalls mit dem Kardinal und dem König in Kontakt stehe." Aramis erstickte fast in ihrer Wut. Am liebsten hätte sie den nächstbesten Gegenstand gepackt und ihn dem aufgeblasenen Kerl entgegengeschleudert. Doch das geziemte sich, mit ihrer Rückkehr ins Frauendasein, nicht mehr. Broussard ballte drohend die Fäuste, besann sich aber wieder und nahm einen ausdruckslosen Gesichtsausdruck an. "Ich werde den Knechten Anweisungen geben, Euer Gepäck auf das Schiff zu schaffen und erwarte Euch an Bord, Comtesse! Das Schiff läuft in einer Stunde aus." Mit verkniffenem Gesichtsausdruck erhob er seinen schwarzgehüllten Klappmesserkörper und verneigte sich geziert. "Schwarzloser Bastard", murmelte er, während er ihr steif seinen Rücken entgegendrehte. Aramis knurrte gereizt und versuchte, ihren fischbeinstäbchen-gestützten Körper in eine bequemere Lage zu rücken. "Ein widerwärtiger Kerl", wandte Sophie ein. "Ich bekomme eine Gänsehaut, wenn ich ihn sehe. Mit ihm müssen wir es in England aushalten?" Aramis versuchte mit den Schultern zu zucken, worin sie angesichts ihres eingeschnürten Oberkörpers kläglich scheiterte. "Ihn sehen wir bestimmt nicht oft. Meine Anwesenheit ist ihm mehr als zuwider, dass hat er deutlich zu verstehen gegeben. Macht der unverschämte Kerl so weiter, wird es mir ein dringendes Bedürfnis sein, ihn bei unserer Rückkehr zum Duell zu fordern. Dann werde ich ihm sein schleimiges, modriges Grinsen in Stückchen von seinem Gesicht schneiden." Sophie sah sie erschrocken an. "Dürfen Sie ihn töten, wenn er ein Gefolgsmann des Kardinals ist?" Aramis zuckte die Schultern und grinste diabolisch. "Wer redet denn vom Töten, ich will ihm nur weh tun", erklärte sie grimmig. Die ,Black Lady' war ein altes Kriegsschiff und hatte schon längst seine besten Tage hinter sich. Jetzt diente es als Fracht- und Passagierschiff. Es lief unter englischer Flagge aus. Sein Bauch war gefüllt mit Handelswaren. Sie lag tief im Wasser. Der stetige Strom an Matrosen, die mit schweißtreibenden Lasten beladen in seinem Inneren verschwanden, riss nicht ab. Die Befehle des Kapitäns hallten über das Deck. Am Kai wimmelte es von Menschen. Ob arm oder reich, gut betuchte Kaufmänner oder Tagelöhner auf der Suche nach Arbeit, jeder eilte geschäftig umher. Das Geschrei der Seemöwen über der endlosen Weite des tiefblauen Meeres übertönte die Menschen an Land und an Deck der zahlreichen Schiffe. Um sein Profit zu vermehren, hatte der Kapitän der ,Black Lady' behelfsmäßige Passagierkabinen an Bord unterbringen lassen. Die Unterkünfte lagen gerade im Bereich des Annehmbaren und von Privatsphäre konnte auf dem Schiff nicht die Rede sein. Eine halbe Stunde lang hatte sich Aramis mit Monsieur Broussard lautstark herumgestritten, ob ihr Pferd mit ihr England bereiste. Monsieur Broussard war nun um zwei Erkenntnisse reicher, was seine widerstrebende Mitreisende betraf. Erstens, die neuernannte Comtesse de Mystérieuse war dickköpfiger und lautstarker als er und zweitens, die hellblaue Iris der Augen konnte sich in tiefes dunkelblau verwandeln, dass ihre Feinde bis in die Träume verfolgte. Zum Schluss kam der Gaul mit und war, unter Flüchen der getretenen Matrosen, an Deck gebracht worden. Monsieur Broussard lernte auch, was ihn selbst betraf, hinzu. Er war für die Seereise nicht geschaffen. Als die 'Black Lady' auslief, um Englands Künste anzusteuern und der Wind anfing, das riesige Schiff wie ein kleines Ruderboot auf dem Meer tanzen zu lassen, wünschte er sich nichts sehnlicher, als wieder festen Boden unter seinen Füßen zu spüren. Während das Schiff schlingernd und schaukelnd durch die Wellen steuerte, saß er hilflos am Boden seiner Kabine und erbrach alles, was der Magen hergab. Zwischen dem heftigen Gekotze erinnerte er sich, dass es einen Gott gab, den er seit Jahren nicht mehr beachtet hatte, aber an dessen Existenz er wieder inbrünstig zu glauben begann. Summend durchquerte Sophie den Lagerraum, nachdem sie sich versichert hatte, dass alle Gepäckstücke, samt Pferd gut versorgt waren. Erstaunt hielt sie vor dem würgenden Häuflein Elend am Boden der Passagierkabine inne. "Monsieur Broussard, alles in Ordnung?" Widerwillens brachte sie Mitgefühl für den grüngesichtigen Mann auf. Würgen und Spucken antwortete ihr. Monsieur Broussard hob das verschwitzte Gesicht empor und starrte ihr mit blutleeren Lippen entgegen. "Wo ist deine neue Herrin?" fragte er. Wieder waren seine Gesichtzüge angewidert verzogen. Es war Sophie unbegreiflich, wie jemanden unansehnliches wie Broussard, Abscheu gegenüber Aramis empfinden konnte. Er schien Aramis nicht zuordnen zu können und das bereitete ihm Angst. "An Deck", erwiderte sie. "Kriecht er immer noch in jede Ecke und läuft den Matrosen vor die Füße." "Sie ... er ist eben neugierig." "ER", spie Broussard aus, "ist jetzt eine Comtesse und sollte sich dementsprechend benehmen und gesittet in seiner Kabine bleib..." Der letzte Satz ging in einer neuen Übelkeitswelle unter. "Das ist die Strafe, weil Sie Arami... Verzeihung, Comtesse de Mystérieuse, beleidigt haben." "Warum diese Loyalität zu dieser Witzfigur? Ich weiß, dass ihr euch gestern ein Zimmer zusammen geteilt habt. Ist es das?", begehrte er auf. "Bist du die Geliebte von diesem Mädchenjungen?" Seine Hand umschloss ihr Bein. Speichel rann aus seinem Mundwinkel. "Du bist hübsch. Was er dir gibt, kann ich dir auch geben und ich bin ein richtiger Mann." Seine Hand fuhr ihre Wade empor. Sophie versuchte ihm das Bein zu entwinden und trat nach ihm. "Sie sind mir widerlich", keuchte sie, bekam ihr Bein frei und rannte mit gerafften Röcken die Treppe hinauf. "Denk an mich, wenn sein verweichlichter Körper dich langweilt und du dich nach einem Mann sehnst", rief er der flüchtenden Sophie hinterher. Anschließend beschränkte er sich darauf, den Kopf in den Eimer zu stecken. Für den Rest der Fahrt suchte das Mädchen Schutz in Aramis Schatten und wich ihrer neuen Herrin nicht mehr von der Seite. Ihre Begegnung mit Monsieur Broussard verschwieg sie, wohlwissend, wie der abberufende Musketier darauf reagieren würde. Aramis stand an der Heckreling, als das Schiff den Hafen von Le Havre verließ und verabschiedete sich von allem Vertrauten, bevor sie ihre Reise ins Ungewisse begann. Das riesige Schiff drehte bei und begab sich langsam aus dem Hafenbecken. Die riesigen wettergegerbten Segel entrollten sich, der Wind frischte auf und das Schiff begann an Geschwindigkeit zu gewinnen. Wellen peitschten gegen den Rumpf. Das Gekreische der Möwen vermischte sich mit dem Tosen der Meeresgischt. Am Vormittag des nächsten Tages lief die 'Black Lady' in Brigthon ein. Ein wolkenloser Frühlingstag mit strahlendem Sonnenschein und einer kräftigen, frischen Brise. Von Brigthon waren es nur noch wenige Meilen bis nach London. Zum ersten Mal in ihrem Leben betrat Aramis englischen Boden. Bisher unterschied sich die englische Küstenlandschaft nicht von der Französischen. Am Kai von Brigthon ging es ebenso laut und lebendig zu wie in Le Havre. Monsieur Broussard hatte sich auf den letzten Seemeilen von seiner Seekrankheit erholt. Mit dem ersten festen Stein unter seinen Füßen stieg seine Überheblichkeit und Streitsucht. Ihr lautstarker Streit fiel in dem allgemeinen Lärm kaum ins Gewicht. Alle erdenklichen Sprachen hallten über das Hafengelände. "Es ist mein Pferd und ich sehe keine Probleme, die mich daran hindern sollten nach London zu reiten." Wütend, die Arme vor der Brust verschränkt, stampfte Aramis mit dem Fuß auf und blies eine vorwitzige Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie war sogar bereit, mit einem Damensattel vorlieb zu nehmen, um nicht in der holprigen Klapperkiste, die sich Kutsche schimpfte, Meile für Meile eingepfercht zu sein. "Ihr werdet in der Kutsche reisen, einfach weil es sich für Euch als Comtesse gehört", behaarte Broussard stur. "Broussard, Sie wissen ebenso gut wie ich, dass adlige Damen zu reiten pflegen", verteidigte sie störrisch ihren Standpunkt. Broussard zog sie näher zu sich heran, dass sie seinen fauligen Atem riechen musste. "Jetzt hören Sie mir einmal zu, Sie tölpelhafter Musketier!" zischte er ihr kaum hörbar zu. "Sie werden den Weg in der Kutsche zurücklegen und mir Ihr Pferd überlassen, bevor Sie noch alles verderben!" Aramis spie vor Wut Gift und Galle. Sie wollte gerade zu einer scharfen Erwiderung ansetzen, als sich jemand in ihrem Rücken diskret räusperte. Beide drehten sich augenblicklich herum und sahen einen schlanken Mann Ende 20 vor sich, in der geckenhaft bunten Kleidung der englischen Obrigkeit. "Monsieur, Sie sollten einer schönen Dame nie widersprechen", erklärte er im akzentfreiem französisch, mit einem spöttischen Lächeln auf seinen Zügen. Die beiden Kontrahenten sahen ihn irritiert und verblüfft an, ohne Worte der Erwiderung zu finden. Aramis nicht sicher, worauf sich der Spott des Gecken bezog, Monsieur Broussard zu verblüfft seinem verkleideten femme très masculine als Synonym für ,schöne Dame' wiederzufinden. Der Unbekannte räusperte sich erneut, um das Schweigen zu brechen. "Lord Charles Corday", stellte er sich vor und deutete eine Verbeugung an. Noch immer lag ein spöttisches Funkeln in den hellgrauen Augen. "Comtesse de Mysteriéuse, Reneé de Mysteriéuse", erwiderte Aramis und nahm eine versuchsweise würdevolle Haltung an. Lord Corday runzelte erstaunt die Stirn, doch sein Lächeln strahlte um so heller. "Ich wette, Ihr seid eine begnadete Reiterin, voller Eleganz und Anmut." Aramis unterdrückte ein Lachen. Alle Adligen schärften ihre Sinne in Rhetorik und warfen mit leeren Phrasen um sich, aber angesichts ihrer eingeschnürten steifen Körperhaltung von Eleganz und Anmut zu sprechen, war doch zu abgedroschen. Immerhin war das Schauspiel vergnüglich. "Mylady wird die Kutsche nehmen!" stieß Monsieur Broussard ärgerlich hervor und maß seinen Gegenüber mit abweisendem Blick. Aramis schüttelte innerlich den Kopf. Sie wusste, dass sie selbst über keinen Sinn für Sitte und Anstand verfügte, aber für Frederic Broussard schienen keinerlei Grenzen zwischen seiner Selbstüberschätzung und höher gestellten Personen zu bestehen. "Mein SEKRETÄR hat recht. Es ist besser, in der Kutsche zu reisen", lenkte sie ein, um über sein ungebührliches Verhalten hinwegzutäuschen. Das Lächeln blieb, verlor aber etwas an seiner Natürlichkeit. Ihr Sekretär warf, von seiner herabgewürdigten Position aus, mit wütenden Blicken um sich. Corday nickte. "In einer Kutsche seid Ihr vor dem Staub der Straße und den grellen Strahlen der Sonne geschützt. Ihr wollt nach London?" fragte Corday. Aramis bejarte. "Ich reise ebenfalls nach London. Wenn Ihr erlaubt, biete ich Euch die Mitreise in meiner Kutsche an", bot er, mit einem galanten Lächeln, an und wies auf das nahestehende Gefährt hin, dessen goldverzierte Wappen die Sonnenstrahlen zurückwarfen. "Ich danke Euch, aber nein, wir haben unsere eigene Kutsche ..." Zischend unterbrach sie Broussard und zog sie beiseite. "Wir haben keine Kutsche." "Wie, wir haben keine Kutsche? Da steht sie doch." "Kardinal Richelieu hat mir nur geringe Geldmittel zur Verfügung gestellt. Wir könnten das Geld sparen und Lord Corday's weit aus bequemere Kutsche nehmen." "Das ist nicht Ihr Ernst?" "Ich habe den ausdrücklichen Befehl, die Kosten möglichst gering zu halten und die Überfahrt Ihres störrischen Gauls hat uns schon zuviel gekostet, nur weil Sie Ihren Willen durchsetzen mussten. Die Staatskassen sind leer." Beide drehten sich wieder Lord Corday entgegen und setzten zeitgleich ein zuvorkommendes Lächeln auf. "Die Comtesse wird Eure Einladung dankend annehmen", erklärte Frederic Broussard und bemühte sich um eine geistreiche Miene, doch ihm gelang nur ein bauernschlauer Ausdruck. "In diesen Zeiten ist es besser, wenn eine Dame unter dem Schutz eines Edelmannes reist", schloss er salbungsvoll. >Oh ha<, dachte Aramis. Broussard war durchaus fähig für seinen Vorteil zu Katzbuckeln. Sie hatte sich schon gefragt, wie er mit seinem herablassenden Verhalten die Gunst des Kardinals erringen konnte, der nur Schönredner in seiner Gegenwart duldete. Charles Corday enthielt sich einer Antwort. Er verneigte sich, mit einem spöttischem Zug auf seinen Lippen und winkte seinen Diener heran. *1 geheimnisvoll (weiblich) *2 geheimnisvoll (männlich) *3 Schwanz *4 Mannweib Kapitel 9: Ein König behauptet sich ----------------------------------- Schützend stellte sie sich vor ihm. Außer ihr hatte er niemanden mehr. Allein und ungeschützt stand er auf dem weiten Feld und wusste sich nur hinter dem zarten Rücken einer Frau zu verstecken. Doch das schwache Geschlecht, war um so vieles stärker und mutiger, als Mann ihr zustand. Sie wusste, wenn er fiel, war alles verloren und weil sie nur für ihn existierte, stellte sie sich dem Angreifer entgegen. Schwarz hüllte sie ein. Der Feind kam. Ängstlich sah sie ihm entgegen. Ein weißer Gegner, ein sich aufbäumender Schimmel, eine erhobene Waffe. Er kam von schräg rechts, berechnend und kaltblütig, rasend schnell Zwischen ihr und dem Angreifer befand sich nichts mehr. Sie war das letzte Hindernis, was er beseitigen musste, dann war sein Weg frei. "Springer schlägt Dame, Schach matt, Liebster!" Sichtlich irritiert sah der König auf das Spielbrett nieder. Anna lächelte siegessicher und sammelte ihre Figuren aus makellosem weißen Elfenbein ein. "Dreimal hintereinander Schach matt und das in so kurzer Zeit", tadelte sie sanft. "Wo seid Ihr nur mit Euren Gedanken, Liebster?" Der König seufzte auf. "Bei Frankreich, Liebste, bei Frankreich." "Noch eine Partie?" Er schüttelte den Kopf und erwiderte entschuldigend ihr Lächeln. "Es tut mir leid, Euch heute kein würdiger Gegner zu sein." "Oh, ich weiß, wo Eure Gedanken verweilen, Ludwig", erwiderte sie im gespielten Ernst. Die langen zarten Finger, verstauten bedächtig die feingeschnitzten Figuren im Spielkasten, als wären sie ein langgehüteter Schatz. "Bei einer Frau." Ihr Kopf blieb gesenkt, der Blick verborgen unter dem langen Wimpernkranz. Überrascht sah der König auf und warf seiner Frau einen langen Blick zu. "Ihr braucht es gar nicht abzustreiten. Ich weiß, dass sie Eure Gedanken beschäftigt." Anna schnalzte missbilligt mit der Zunge. "Glaubt Ihr wirklich, mir etwas verheimlichen zu können, Ludwig?" "Aber Anna ...", setzte der König an. "Leugnet nicht! Ich weiß, dass Ihr in England weilt." "Es ist nicht so, wie Ihr denkt ...", verteidigte er sich hektisch. "Ich weiß!" Der vorwurfsvolle Ausdruck auf ihrem Gesicht wurde sogleich schelmisch. "Ihr wisst?" fragte er verblüfft und kratzte sich irritiert unter der gepuderten Perücke. "Natürlich weiß ich von Aramis", gab Anna zu, als wäre es das selbstverständlichste der Welt. "Aber wie?" Sie rümpfte vorwitzig die Nase und drohte spielerisch mit dem Finger. "Ich werde doch nicht meine sorgsam gehüteten Quellen preisgeben. Ihr solltet Euch schämen, den armen Jungen in Frauenkleidern nach England zu schicken. Steht es so schlecht um Frankreich?" tadelte sie. "Wir haben ihm die freie Wahl überlassen." Anna lachte leise. "Seid wann ist ein Musketier frei, wenn der König eine Bitte an ihn richtet? Eure Männer folgen bedingungslos Euren Befehlen." Im selben Moment klopfte es an der Tür und erließ dem König die Antwort. Nach Aufforderung trat ein Page ein und kündigte zeremoniell den Kardinal an. Die Königin unterdrückte den Ausdruck des Widerwillens, erhob sich und strich den Brokatstoff ihres Kleides glatt. Sie sah sanft, aber bestimmt zu ihrem Gatten herab. "Ihr entschuldigt mich, Liebster, aber Ihr versteht, dass ich mich zurückziehe. Ich würde mich freuen, wenn Ihr mich bald wieder aufsucht." Mit einem letzten verheißungsvolles Glimmern in den grünen Augen, verließ sie den Raum mit der Würde, die einer Königin gebührte. Der Kardinal stand mit dem Gesicht zum Fenster. Das helle Tageslicht in Ludwigs Rücken zeichnete deutlich das tiefe Faltental im Gesicht des Kardinals nach. "Ein wunderschöner Tag, mein König. Haben Eure Majestät schon entschieden, was mit den aufrührerischen Protestanten von Auvergne geschieht?" Die Falkenaugen blieben ruhig, das asketische Gesicht unbeteiligt. Nur die weiß hervortretenden Fingerknöchel seiner Hand, die sich um das große goldverzierte Kreuz auf seiner Brust krampften, verrieten seine Anspannung. Das Niederzwingen der französischen Hugenotten, war sein Kampf. Philipp II. hatte seine Kreuzzüge, Katharina von Medici die Bartholomäusnacht. Richelieu würde La Rochelle bekommen. "Aufstand, Richelieu?" fragte Ludwig leicht ironisch. "Bisher sind mir nur einige heimliche Zusammenkünfte bekannt. Wobei von ,heimlich' nicht die Rede sein kann. Sie sind uns hinreichend bekannt und stehen unter unserer Beobachtung." Er wurde ernst. "Warum fordern Glaubensfragen soviel Blutvergießen? Ich weiß, dass Ihr ein Diener Roms seid, aber vergesst nicht, dass Ihr auch Frankreich dient. Mein Vater war ein kluger Mann und ein großer König. Ohne das Edikt von Nantes hätten die Protestanten Frankreich verlassen und mit ihnen geschickte Handwerker und Kaufleute. Und weil auch Ihr ein kluger Mann seid und Frankreich liebt, werdet Ihr verstehen, dass ich an dem Edikt von Nantes festhalte und deshalb darf es keine blutigen Auseinanderersetzungen zwischen Protestanten und Katholiken in Frankreich geben." Richelieu lachte bitter auf. "Was ist mit dem Mord von Saint Michel und seine Botschaft, mein König? Es floss Blut und das Volk wird unruhig. In dieser Zeit brauchen wir einen Beweis der königlichen, allesumfassenden Macht." "Wie konnte der Inhalt der Botschaft öffentlich werden?" Der Kardinal zuckte die hageren Schultern. "Verbotene Zungen sprechen flinker", äußerte er lapidar. "Eure Männer durchstreifen die Straßen von Paris, auf der Suche nach dem Mörder? Ich verstärke Eure Reihen durch einige meiner Musketiere!" befahl Ludwig, "und erst, wenn Ihr den Mörder habt und die Bestätigung, dass es ein Racheakt der Protestanten war, bekommt Ihr meine Zustimmung für Auvergne. Bis dahin sendet Männer nach Auvergne, um die Situation dort zu beobachten, aber kein Eingreifen, keine gewalttätigen Machtdemonstrationen!" Richelieu verneigte sich. Seine Gesichtszüge blieben unbeweglich. "Noch etwas", fuhr der König fort, berauscht von der Macht, die er gerade ausübte. "Mir ist zu Ohren gekommen, dass die Mission unseres Musketiers in England Dritten bekannt ist?" "Auch deshalb bin ich zu Euch gekommen, Majestät. Wir haben einen Doppelspion. Jemand kennt unsere Pläne und warnt de Meyé." "Seid Ihr sicher?" "Leider ja, Eure Majestät", bestätigte Richelieu bedauernd. Der Kardinal kannte das Phänomen der Doppelspionage. Er selbst war Meister in dieser Kunst. Um so gefährlicher, wenn sie gegen ihn und seine Pläne angewandt wurde. Irgendwer würde dafür sterben, auch wenn er noch nicht wusste wer. Die langen Verhöre ermüdeten ihn, das andauernde Wimmern und Geschrei in den Kerkerkatakomben widerten ihn an, das unverständliche Gestammel der Gefolterten langweilte ihn. Wobei das Widerstreben sich auf ihn selbst bezog. Der Mangel an Begeisterung betraf selbstverständlich auch das Opfer selbst. "Um so umsichtiger war es von uns, einen Musketier nach England zu senden und nicht eine hilflose Frau." "Zweifellos, da sich unter Euren Leuten Verräter befinden", erwiderte Ludwig scharf und lauerte auf eine unbedachte Reaktion des Kardinals. Allzu gern hätte er sein maskenhaftes Gesicht mit einer Schramme versehen. Der Kardinal las den Wunsch des Königs von dessen Augen ab und zog sich zurück. "Wir werden abwarten, welchen Bericht Aramis uns erstattet!" Richelieu verabschiedete sich mit einer angedeuteten Verbeugung und trat in das Vorzimmer. Jetzt erreichte sein innerer Zorn seine Gesichtszüge. Ludwigs Arroganz erzürnte ihn. Er spürte wie der König seinen Händen entglitt. Lord Charles Corday gähnte hinter vorgehaltener Hand und zwang sich seine Aufmerksamkeit weiterhin auf den Mann ihm gegenüber zu richten. Alles an seinem Gesprächspartner war farblos. Man sah Monsieur Broussard an und vergaß ihn. Die Farbe der Haut und das spärliche Haar strahlten eine ungesunde gelblichweiße Farbe aus. Sein Charakter und seine Persönlichkeit waren unvergleichlich fad. Seit drei Stunden schaukelte sie, sein gut gefederter Vierspänner, durch die englische Landschaften. Vorbei an gleichaussehenden Dörfern, Hügeln, Wäldern und Feldern. Neben der Kutsche ritt sein Kammerdiener auf dem Pferd der Comtesse, ein jämmerlicher Reiter, der im Sattel hin und her schwankte. Schon die erste Stunde hatte klargemacht, dass Broussard sehr gesprächsbereit war und reichlich Speichel absonderte. Corday war das selbstverliebte, aufgeblasene Gerede der Höflinge gewöhnt. Selten schenkte er einem Niedergestellten seine Aufmerksamkeit, wenn dieser ins schwafeln geriet. War es das wert gewesen? Monsieur Broussard's Anwesenheit, für die reizende Gesellschaft einer Dame? Sein Blick wanderte zum Auslöser seines Leidens. Ihr Blick war aus dem Fenster gerichtet. Viel hatte er über sie nicht erfahren. Die Unterhaltung bestritt ihr Sekretär. Seine Fragen hatte sie einsilbig beantwortet oder von Monsieur Broussard beantworten lassen. Er wusste nicht, ob sie verheiratet oder verwitwet war? Aus welcher Provinz Frankreichs kam sie? Was wollte sie in England? Warum trat sie inkognito auf? Das de Mysteriéuse ein Pseudonymname und noch dazu ein ziemlich schlechter war, bemerkte jeder, der halbwegs die französische Sprache beherrschte. Wenn sie überhaupt eine Comtesse war? Die Comtesse gab vor zu träumen und verbarg den gereizten Ausdruck ihrer Augen hinter niedergeschlagenen Lidern. Erneut fragte er sich, ob sich der Einsatz lohnte. Bisher hatte er nur seine Beobachtungen. Ihre Zofe, deren Kopf, mitsamt Monsieur Broussards missbilligendem Blick, schläfrig auf ihrer Schulter ruhte, behandelte sie liebevoll, nachsichtig und sanft. Das Mädchen sah bewundernd zu ihrer Herrin auf. Gegensätzlich war ihr Umgang mit Broussard. Warum duldete die Comtesse einen Mann in ihrer Gegenwart, der nur heiße Luft versprühte? Jedes Mal, wenn beide miteinander sprachen, endete es im Streit. Ihre gegenseitige Abneigung war fast greifbar. Es bereitete Corday Vergnügen zu sehen, wie der törichte Broussard den zornigen Blick zweier großer, hellblauer Augen in einem durchaus hübschen Gesicht herausforderte. Die junge Comtesse de Mysteriéuse hätte wohl nichts lieber getan, als ihm ihre weißen Zähne in die Kehle zu schlagen. Corday lächelte still in sich hinein, als er sich fragte, ob sie im Bett auch leidenschaftlich war und die Oberhand gewinnen wollte. In einer Welt beherrscht von adligen Parasiten, die sich auf den Zuwendungen des Königs und den vererbten Landgütern ihrer Vorväter ausruhten, die alles besaßen, was man an materiellen Gütern begehren konnte, war die Auslebung ihrer sexuellen Phantasie einfach notwendig, um die immerwährende Langeweile zu bekämpfen. Dies war keineswegs herabwürdigend oder respektlos gegenüber seiner neuen Bekanntschaft gemeint. Es gehörte einfach dazu, sie sich als potentiellen Bettpartner vorzustellen. Er war jung, sein Blut war heiß und er war mehr als empfänglich für das schöne Geschlecht. Wozu anders war eine Frau da? Sie war für ihn eine Art menschliche Katze, deren Körper etwas sehr angenehmes war und die unvergleichliche Lust bereiten konnte. Lord Corday's Blick verweilte auf ihrer seidigglatten, leicht gebräunten Haut und er fragte sich, wie wohl der Rest ihres Körpers auszusehen vermochte. Diese Frau steckte in einem Mieder, bei dem ein Architekt am Werk gewesen sein musste. Hier hatte sich jemand ausgetobt, bis man ihn überwältigen konnte. Wollte man ihre ungewöhnliche Größe noch weiter strecken? Auf der anderen Seite plapperte Broussard, in dem irrsinnigen Glauben, dass Corday ihm aufmerksam zuhörte. Er seufzte resigniert und sah wieder in den Schlafzimmerblick von Broussard. Corday entschied sich, auszusteigen und seine Karten zurückzuziehen. Bei der nächsten Gelegenheit würde er versuchen, seine Mitreisenden loszuwerden. Aramis stand auf dem staubigen Vorplatz des Wirtshauses und warf einen prüfenden Blick zum Himmel. Der Horizont hatte sich verdunkelt. Dunkelgraue Wolken zogen auf und verdichteten sich am Himmelszelt. Der Wind stand still, die Luft begann sich statisch aufzuladen. Bald würden die ersten Regentropfen fallen und das Gewitter würde über sie hereinbrechen. Sie holte einige tiefe Atemzüge Luft, soweit es ihr einengendes Kostüm zuließ. Es widerstrebte ihr, den anderen in das stickige, überfüllte Gasthaus zu folgen. Aramis lächelte still in sich hinein. Lord Charles Corday hatte die Kutsche fast fluchtartig verlassen. Obwohl er es gut zu verbergen verstand, war ihm anzusehen, wie nervtötend Broussard's Anwesenheit auf ihn wirkte. Sie würde Frederic Broussard beiseite nehmen müssen, damit er endlich Vernunft annahm. Außerdem missfielen Aramis die Blicke, mit denen er Sophie verfolgte. Warum stellte der Kardinal einen seiner unfähigsten Gefolgsleute an ihre Seite? Selbst Rochfort und Jussac verfügten über mehr Persönlichkeit und Feingefühl. Sophie zupfte an ihrem Ärmel und bat sie in das Gasthaus zu kommen. In diesem Moment brach das Unwetter los. Es wurde schlagartig dunkel, der Wind frischte auf und am Firmament zeichnete sich hell der erste Blitz ab. Sie flohen vor den heftig niederprasselnden Regen ins Gasthaus. Vor ihnen war eine Postkutsche und mehrere Fuhrleute eingetroffen. Zusammen mit einigen Einzelreisenden, einer Gruppe Mönchen und zwei fahrenden Händlern drängten sich alle im Schankraum zusammen und warteten das Unwetter ab. Der dumpfe Hall des Donners übertönte den allgemeinen Lärm. Aramis stand am Eingang und versuchte den Raum zu überblicken. Lord Corday war in der Menge verschwunden und sie bezweifelte, ihn noch einmal wieder zu sehen. Von allen Seiten drangen lautstarke englische Wortfetzen zu ihnen hinüber. Aramis zwängte sich an den anderen Wirtshausgästen vorbei, zuckte plötzlich zusammen und blickte sich misstrauisch um. Doch sie sah nur einen netten alten Mann, der fest zu schlafen schien. Sie seufzte still. Als Mann hatte man es unterlassen, ihr in den Allerwertesten zu kneifen ... spätestens nach dem ersten Duell. Bald standen Brot, Schinken und Käse auf ihrem Tisch. Sophie aß mit der Freunde eines Kindes, dem man seine Lieblingsspeise aufgetischt hat und musste sich mit Gewalt dazu zwingen, einen Rest für ihre neue Herrin übrig zu lassen. "Monsieur Mysteriéux!" Beide Frauen schraken auf, als die schleimige Stimme aus dem Nichts erschien und in ihrem Rücken ertönte. "Lassen Sie das, Broussard", wies ihn Aramis ärgerlich zurecht. Ihr Sekretär, Widerwillens, stierte sie missmutig an. "Benehmen Sie sich endlich! Sie sind mein Sekretär. Was fällt Ihnen ein, ununterbrochen auf den Lord einzureden?" Broussard's Körperhaltung versteifte sich. "Ich unterstehe Kardinal Richelieu und nicht Ihnen. Sie können mir keine Anweisungen erteilen!" Sophie hüstelte diskret, aber beide Streithähne überhörten sie. "Hier sind Sie aber mein Sekretär und mein Untergebener!" beharrte Aramis. Das Licht fiel in einem besonderen Winkel auf ihre Züge, die dadurch einen ebenso besonderen Ausdruck gewannen. Broussard schluckte. "Ich habe klare Anweisungen", wandte er ein. "Die habe ich auch. Ich glaube, wir haben einen toten Punkt erreicht, wie?" Broussard lächelte freudlos das Lächeln eines Mannes, der weiß, dass er kaum hoffen darf. Ein böses Lächeln erschien auf ihren Zügen. "Ich schlage vor, jeder hält sich an die seinen und Sie treten etwas zurück!" "Ich weiß sehr wohl, wie man sich bei Hofe benimmt," wagte er zu widersprechen. "Die letzten drei Stunden haben mir klar gemacht, dass Sie genau das nicht wissen", giftete sie zurück. Sophies Räuspern wurde lauter. Ihr Gesicht wurde rot vor Anstrengung, aber die beiden Kontrahenten nahmen sie einfach nicht wahr. "Comtesse?" Sie schmollte ein wenig. "Darüber werde ich dem Kardinal Bericht erstatten!" zischte Broussard zwischen zusammengepressten Lippen. "Tun Sie das!" knurrte Aramis, "und unterstreichen Sie die Zeile zweimal, in der es heißt, dass ich nicht freiwillig in England bin!" Sie verschränkte die Arme vor der Brust. Jemand zog an ihrem Ärmel. "Wir sollten uns so weit wie möglich aus dem Weg gehen!" schlug er vor. "Das wäre ein Punkt, der für Sie spricht." Das Ziehen an ihrem Ärmel wurde beharrlicher. Aramis Augen richteten sich fragend auf Sophie und folgten der Gestalt des Mädchens zu Lord Charles Corday, welcher mit nachdenklichem Gesicht hinter ihrer Zofe stand. "Nun ..." Eine taktvolle Pause folgte. Broussard starrte auf seine Stiefel. Aramis hüstelte leise und rang sich ein Lächeln ab. Lord Corday beendete schließlich die peinliche Stille. "Das Unwetter ist vorüber. Wir sollten aufbrechen .... meine Kutsche steht Euch noch immer zur Verfügung." Er hatte gerade beschlossen, dass sich eine Weiterfahrt mit seinen neuen Bekannten lohnen konnte. Vor dem Fenster war der Sturm vorbei. Unverständlich und töricht, wie alle Frühlingsschauer. Ein Regenbogen breitete sich vermessen in seinen sieben Farben nach Nordwesten aus. Ohne Zweifel glaubte der Himmel, eine Schlacht gewonnen zu haben und breitete nun triumphal seinen Banner aus. Kapitel 10: Botschaft aus Blut ------------------------------ An seinem Tod konnte kein Zweifel bestehen. Niemand konnte so viel Blut verlieren und dabei noch lebendig bleiben. Der große klaffende Spalt in seinem Schädel war ein deutliches Zeichen seines Ablebens. Die Augen starrten blicklos ins Leere, der Kiefer war heruntergesackt, die Farbe der Haut begann zu verblassen. Fliegen umschwirrten ebenso zahlreich und zwanghaft die Blutlache, wie die schaulustigen Pariser den Tatort. An der Rue St. Antoine hatte sich eine breite Menschentraube gebildet. Wachen des Kardinals hielten die zivile Bevölkerung zurück. Athos legte den Kopf schief und begutachtete die Leiche von einem anderen Blickwinkel aus. "Das lüsterne Grinsen auf seinem Gesicht ist äußerst unpassend für eine Leiche", kommentierte er, aber da war keiner mehr, an dem er die Information weiterreichen konnte. D'Artagnan hatte es gerade noch rechtzeitig um die Straßenecke geschafft, um sich zu übergeben. Sein Blick wanderte zu der beschmierten Wand. Wieder war eine Botschaft hinterlassen worden. Bemerkenswert war sie, weil der Autor die einzige Flüssigkeit, die an diesem Ort reichlich zur Verfügung stand, als Tinte benutzt hatte. Das geronnene Blut an der Hauswand begann langsam abzubröckeln. Athos lächelte wissend. Der Täter hatte unbewusst mehr über sich preisgegeben, als gut für ihn war. Hinter ihm wurde lautes Murren und Flüche laut. Porthos schob seine breite Gestalt rücksichtslos durch die Menge. "Warum hast du mich so früh von zu Hause fortgetrieben? Er hätte hier auch noch eine Stunde später gelegen", maulte er und betrachtete unbeteiligt den Leichnam zu seinen Füßen. Athos ging in die Hocke. "In einer Stunde hätten sich Rochfort's Pfuscher an der Leiche vergriffen und wir hätten keine Spuren mehr gehabt, denen wir nachgehen könnten." Er beugte sich näher und schnüffelte über den erstarrten Körper. Porthos verzog angewidert das Gesicht. Athos ließ sich wieder auf seine Hacken zurückfallen. "Er riecht nach billigem Parfüm, Opium und eine Mischung aus abgestandenem Schweiß und anderen Körperflüssigkeiten", erklärte er. "Außerdem ist das Hemd halb offen und nachlässig in die Hose gesteckt. Was sagt uns das?" "Er kommt aus einem Bordell." Athos nickte. "Das erklärt das breite Grinsen auf seinem Gesicht." Porthos sah versonnen in die Ferne. "Nichts ahnend, mit den letzten Gedanken an zwei dralle Schenkel und ihren Geruch in der Nase, das nenne ich sterben." "Rede nicht, hilf mir lieber Hinweise zu suchen!" Er schmollte ein wenig. Sein grüngesichtiger Kollege kam zurück. "Oh ha D'Artagnan, du bist etwas blass um die Nase. Nur nicht so schüchtern! Athos hat gerade seine Nase in die Leiche gesteckt. Beeile dich, sonst lässt er dir nichts mehr übrig!" Der Angesprochene richtete den Blick vorsichtig auf das Opfer und hielt die Augen standhaft auf den toten Körper gerichtet. Ein Junge von 8 Jahren tauchte unter den ärgerlichen Griffen der Wachleute hindurch. Schwer atmend rang er nach Luft. "Ihr müsst schnell kommen", keuchte Jean. "An der Point de Sully wollen sie jemanden aufhängen." Rochfort hatte sich zur Feier des Tages eine neue Wildlederaugenklappe geleistet. Nun traf er mit hocherhobenen Kinn am Tatort ein. In seinem Schatten, sein Adjutant Jussace. Rochforts Mundwinkel verzogen sich angriffslustig, als er die Musketiere sah. Er atmete tief durch. "Was macht ihr hier? Hier haben nur wir zu ermitteln!" Seine Stimme bekam einen bellenden Klang. "Macht das ihr hier ..." Weiter kam er nicht. Sein Kopf folgte den flüchtenden Musketieren. Er klemmte, äußerst zufrieden mit sich, die Daumen in seinen Gürtel. "Jussace!" Sein Schatten salutierte umständlich. "Siehst du, das ist Respekt! Respekt, der auf Furcht gründet, aber Respekt." Er schmetterte das Wort in seine Umwelt und drückte den Brustkorb durch. "Sieh nur, wie sie davon laufen." Eilfertig nickte Jusacce. "Wer sind sie und wen wollen sie aufhängen?" fragte Athos, während sie die Rue du Petit Musc entlang rannten. "Die Menge, mehrer Bürger ... Sie haben einen der Kaufleute vom Quai Saint Bernard ergriffen und behaupten er wäre ein heimlicher Protestant. Er soll etwas mit den Morden zu tun haben. Jetzt wollen sie ihn am Brückengeländer aufhängen." Endlich erreichten sie die Brücke. Mehrere Menschen hatten sich am Fuße der Brücke versammelt. Lautstark gaben die Glücklichen aus der ersten Reihe, detailgenaue Beschreibungen an die Unglücklichen der letzten Reihe weiter. Zwei Männer hielten einen Greis mit schütterem weißen Haar fest. Dem alten Mann schlotterten vor Angst die Knie. Er hockte zusammengesunken, mitleiderregend und angsterfüllt auf dem Boden. Ein Mann stand auf dem Geländerbogen der Brücke und sprach wichtigtuerisch zu der Menge. Als die Musketiere eintrafen, beschrieb er gerade lang und ausschweifend den letzten Mord. Zusätzlich gab er einen genauen und ziemlich weit hergeholten Bericht zum Besten, in welchem Zusammenhang der altersschwache Greis mit dem Opfer stand. Es ist ein Programmierfehler in der Grundkonstruktion der Menschen, sich mit Wonne um Schwachköpfe zu scharen, deren Reden nur Speichel, aber keinen Inhalt absondern. Die Menge schrie nach Blut. Tränen liefen über das faltige Gesicht des Alten, angesichts der tobenden Menge. Porthos presste die Hände aneinander, rammte sie zwischen zwei Männer und schob die Menge auseinander. Athos, D'Artagnan und Jean folgten dem breiten Kreuz. Er kam hinter dem Redner zum Stehen. Der Mann wollte gerade verbal ausholen, spürte wie jemand heftig an seinem Hemd zog und flog von der Brücke. Der Mann kam deutlich ins Stottern, als er auf dem Boden aufschlug. In der Menge wurde es augenblicklich still. "Was soll das? Wer bist du, Mann?" brüllte er. Zornrot sah er zu Porthos auf. "Ich bin ein Musketier seiner Majestät des Königs!" "Du bist Musketier?" Porthos antwortete nicht. Er sah keinen Sinn darin, die Tatsache zweimal zu bekunden. Aus irgendeinem Grund genügte ein Blick, um festzustellen, dass man einem Mann mit seiner Statur alles glaubte. "Was ihr hier tut ist widerrechtlich." Aufbrausend sprang der selbsternannte Richter auf. "Er ist ein Werkzeug des Teufels", wetterte er mit reichlich Speichel vorm Mund, aufgestachelt durch die aufgebrachte Menge. Er spuckte vor Porthos auf dem Boden. "Ein Jünger Satans, der den wahren Glauben bedroht, in dem er fromme Gläubi ..." Zu mehr kam er nicht, da Porthos ihn erneut am Hemd packte und über die Brückenbrüstung hielt. Rudernd und wie eine Frau kreischend, hing er etliche Meter über der trüb dahinfließenden Seine. "Dicker, lass ihn sofort los!" Seine Gefolgsmänner hatten den alten Mann beiseite gezogen und näherten sich dem Geländer mit gezückten Waffen. "Ach so?" Porthos schüttelte sein Opfer, worauf dieser schrill kreischte und seine Hose durchnässte. D'Artagnan's Degen bewahrte sie davor, den folgeschweren Fehler zu begehen, in das Geschehen einzugreifen. Die beiden Männer musterten sich gegenseitig - und sprachen dann gleichzeitig. "Das war nicht so gemeint. Wir bewundern Euch Musketiere." "Eine tolle Truppe." "Streng, aber gerecht." "Wir gehen besser." "Sehr schön", grunzte Porthos zufrieden. "Noch jemand Einwände?" "Nicht schlecht", murmelte Athos, hob die Waffe und brachte mit einem Warnschuss die schreiende Menge zum Schweigen. "Setz ihn wieder auf den Boden, Porthos, aber haltet ihn fest!" bat er. Der Mann hatte sich noch nicht ganz von der Überraschung namens Porthos erholt, doch es gelang ihm, sich zu fassen und mit bleichem Gesicht zu Athos aufzusehen. "Geht eure Arbeit nach!" "Er ist ein Ketzer und gehört auf den Scheiterhaufen!" rief jemand. "Verbrennt ihn!" "Erhängt ihn!" "Ihn zu richten obliegt den zuständigen Behörden", erklärte Athos ruhig. Die Bürger blieben still, wenn auch trotzig. Dem natürlichen Prestige Athos' konnte man sich nicht widersetzen. Er strahlte eine sanfte und unwiderstehliche Autorität aus. "Wir werden ihn den Kirchenoberhäuptern übergeben und sie werden entscheiden, was mit ihm passiert. Das ist weder die Aufgabe der Bürger, noch ihr Recht. Der König und die Kirche werden wenig erfreut sein, dass die Pariser Bürger ihre Ansichten über das Sachverständnis der Inquisition und der Regierung setzen." Murrend und missmutig zerstreuten sie sich und kehrten an ihre Arbeit oder in ihre Häuser zurück. Einige blieben noch, um zu sehen, ob noch etwas interessantes geschah. Da dem nicht so war, machten sie sich enttäuscht auf die Suche nach einer neuen Unterhaltung. Athos zog den alten Kaufmann am Arm hoch. Die in feines Faltengespinst eingebetteten Augen sahen flehend zu ihm auf. "Nicht die Inquisition, bitte Monsieur, habt Erbarmen, nicht die Inquisition." Noch immer liefen Tränen über das runzlige Gesicht. Wortlos schob Athos den Ärmel des Mannes zurück. Abgestorbene Hautfetzen über rosafarbener Haut kamen zum Vorschein. Der Mann war über das Feuer gehalten worden. Wie so viele Protestanten war er unter dem Druck der Folter konferiert. Jedenfalls für die Öffentlichkeit. Wenn man sich anpasst, eine Arbeit findet und sich der Allgemeinheit anschließt, dann muss man nicht damit rechnen, von einer aufgebrachten Menge mit Mistgabeln und brennenden Fackeln besucht zu werden. "Ketzer, Protestantenschwein!" Sein Ankläger schrie schmerzerfüllt auf, als Porthos ihm den Arm grob auf den Rücken drehte. "Soll ich ihn zum Schweigen bringen?" Athos nickte. Das Kreischen wurde schriller, dann raubte ihn der Schlag das Bewusstsein. "Nicht die Inquisition", wimmerte der Alte immer wieder mit erstickter Stimme. "Wir haben die Männer nicht ermordet. Das würden wir nie tun. Gottes Gebote verbieten es zu morden ... nein, wir morden nicht." "Die Schrift an der Wand behauptet etwas anderes", sagte Porthos. "Wir waren es nicht." Eine metaphorische Tür tat sich in Athos' Erinnerungsvermögen auf. "Ist euch etwas aufgefallen?" "Wo?" "Bei der Leiche?" "Äh nein ..." "Gar nichts?" D'Artagnan befeuchtete sich nervös die Lippen. "Nun, ich war beschäftigt, ich hab ..." "Ich hatte Hunger, mein ganzes Denken war auf Essen ausgerichtet", erwiderte Porthos ein wenig vorwurfsvoll. Athos seufzte gequält. "Ist Euch etwas an der Schrift auf der Wand aufgefallen?" D'Artagnan's Adamsapfel tanzte nervös. "Äh nein ... ich war wirklich nicht lange dort." "Ich kam doch gerade erst." Athos ließ den Kopf hängen. "Unser Mörder hat erhebliche Probleme mit Orthographie. Drei Fehler in nur einem Satz und Buchstaben, die wie gemalt wirken." Porthos zuckte die Achseln. "Ja und?" "Unser Täter könnte aus der Mittelschicht stammen. Er ist des Schreibens kundig, aber ungeübt." Die dürren Finger des Greises umschlossen schmerzhaft Athos Handgelenk. In den Augen des Mannes stand ein stummes Flehen und Betteln. "Wir waren es nicht ... Sie war es", stammelte er. "Sie, die Hure des Teufels. Mächtige Männer schützen sie." "Ist schon gut, Alter." Porthos tätschelte unbeholfen die altersgebeugten Schultern. "Nicht die Inquisition ... nicht die Inquisition!" Athos nickte und gab dem Mann einen sanften Stoß. "Gehen Sie! Packen Sie ein, was Sie tragen können und verlassen Sie Paris, so schnell wie möglich!" "Danke Monsieurs, danke." Die milchigen Augen irrten zwischen den Musketieren umher, dann lief er davon. "D'Artagnan?" Der junge Musketier nickte seinem älteren Freund verstehend zu und heftete sich unbemerkt an die Fersen des greisen Kaufmannes. Athos sah ihm geistesabwesend hinterher. "Ich muss wissen, ob in der Botschaft beim ersten Mord auch Fehler waren. Porthos, kannst du dich der Sache annehmen? Ich fürchte, die Leute von Rochfort werden nicht freiwillig mit ihrem Wissen herausrücken. Frage notfalls mit Nachdruck nach!" Sein Freund grinste. "Mit Nachdruck! Schon verstanden!" Er verschränkte die Finger ineinander und ließ die Knöchel knacken. Der Kapitän hob leicht den Kopf in seine Richtung, ohne von seinen Dokumenten aufzusehen. Er war Soldat, den ganzen umständlichen Papierkram hielt er für mehr als lästig. Er unterzeichnete, legte die Feder beiseite, streute Löschsand über das Papier und sah seinen wartenden Musketier an. Athos hatte über die Ereignisse am Point de Sully Bericht zu erstattet. Den geistlosen Redner vom Brückengeländer hatte er als unliebsames Souvenir seinen Kollegen mitgebracht und an einen anderen Musketier abgeliefert. De Treville hatte sich auf seinem Stuhl zurückgelehnt und die Hände vor dem Bauch verschränkt. "Das wären jetzt zwei Morde mit der selben Handschrift. Hinzu kommt der erstochene Fuhrmann aus der Rue de la Pépinière nach einer Tavernenschlägerei und die vergewaltigte Magd, dass macht dann vier. Vier Verbrechen, welche die Bevölkerung den Protestanten zur Last legen. Und heute den alten Bürger, den wir gerade noch vor der Erdrosselung am Brückenpfeiler bewahren konnten. Es darf nicht noch ein Mord passieren!" beendete Athos seine Ausführungen. "Kapitän?" "Ja?" "Bitte betraut mich mit dem Fall. Ich möchte zum zuständigen Arzt, der die Autopsie vorgenommen hat. Rochfort's Informationen traue ich nicht." De Treville lachte spöttisch. "Wir haben von Rochfort gar keine Informationen erhalten. Der Kardinal steht noch immer im Konkurrenzkampf mit uns." Der Kapitän betrachtete seinen Musketier und trommelte mit den Fingern nachdenklich auf die Tischplatte. Athos schien den Fall persönlich zu nehmen. Er hatte eine Schwäche für Benachteiligte und Hilflose. Noch ein guter Mann der wegfiel. Aramis war in England und wenn er Athos für die Mordfälle beorderte, würden D'Artagnan und Porthos das gleiche Recht für sich beanspruchen. "Was habt ihr mit dem Schwachkopf gemacht?" "Bernard hat ihn in Gewahrsam genommen." Der Kapitän nickte. "Ihr wisst, dass ihr euch falsch verhalten habt?! Wenn der Kardinal von dem Vorfall am Point de Sully erfährt ... und er wird davon erfahren, schwärzt er die Musketiere wieder beim König an." Er seufzte schwer unter der Bürde seines Amtes. "Ist gut. Ich entbinde dich von deiner regulären Pflicht." Athos sah ihn dankbar an und wandte sich zum gehen. "Und Athos ..." "Ja, Kapitän?" "Ein Musketier sollte den Fall aufklären." "Ja, Kapitän!" Der süßliche Geruch von Blut und verwesenem Fleisch erfüllte jeden Winkel des langgestreckten Gewölbes. Sie befanden sich im Kellergeschoss des Hospitals. Mit der ersten Sekunde im unterirdischen Reich des Hospitals, sehnte sich jede Faser des Bewusstseins nach dem Sonnenlicht. Das Schlachthaus der Toten. Der durchdringende Blutgeruch eines Schlachthauses, ein fensterloser Saal, wie ein Grab. Unwillkürlich hielt Athos den Atem an und die Hand vor die Nase. "Keine Sorge, bald gewöhnen Sie sich an den Geruch." Dr. Porte blieb vor einer der Pritschen stehen und schlug die Decke zurück. Mit Augen, die schon alles Grauen gesehen hatten, blickte er zu Athos auf. "Das ist der Tote von heute morgen." Athos nickte. "Er hat noch immer das Grinsen auf dem Gesicht." "Kein Wunder", erwiderte der Arzt. "Wir haben eingetrocknete Samenspuren auf seinem Unterleib entdeckt. Gestorben ist er durch die Schläge auf den Hinterkopf. Es gibt Anzeichen eines Kampfes. Ich vermute, der erste Schlag hat ihn nur benommen gemacht. Es kam zu einem Handgemenge und zu einem zweiten Schlag, der die Gehirndecke aufriss." "Handgemenge? Ist das nicht ein bisschen lapidar erklärt?" "Sehen Sie sich das hier an!" Der Arzt wies auf lange Kratzer am Handgelenk und Halsbereich des Opfers. "Was ist das?" Athos beugte sich näher. "Kratzer von Fingernägeln", kommentierte Porte emotionslos. "Außer den Kratzern befinden sich keine anderen Spuren eines Kampfes auf seinem Körper. Daher sage ich "Handgemenge". "Fingernägel?" "Die selben Fingernägel, die dies hier verursachten!" Er drehte den Leichnam um. Lange, oberflächliche Kratzer verliefen über die Schultern. "Kennen Sie solche Male?" Athos nickte. Welcher Mann kannte sie nicht. Es gab immer mal eine Bettgespielin mit langen Fingernägeln und den tiefen, instinktiven Drang, diese durch die weiche Haut der Männer pflügen zu wollen. "Muss der Mörder ein Mann mit Kraft gewesen sein?" "Nein", sagte Dr. Porte. "Es könnte eine Frau gewesen sein. Darauf richtete sich doch Ihre Frage? Ein schwerer Gegenstand genügte. Sehen Sie die Größe der Schädelfraktur. Der Durchmesser der Waffe muss beträchtlich gewesen sein. Außerdem war unser Opfer beeinträchtigt durch Alkohol und Opium. Monsieur, passen Sie bitte mit ihrem Degen auf! Hinter Ihnen steht Natronsalz." Vorsichtig brachte sich Athos in Sicherheit und begutachtete die Kratzspuren auf der farblosen Haut der Leiche. "Was ist mit der Leiche von St. Michel?" Der Arzt zuckte fragend die Schultern. "Zu dem Zeitpunkt war ich auf Reisen. Als ich wieder zur Arbeit kam, war sie schon begraben. Nach einer Woche ist der Verwesungsgeruch so durchdringend und gesundheitsgefährdend, dass wir sie begraben müssen, auch wenn wir sie kühl und sonnenlos lagern. Mein Kollege vermerkte nur einen glatten Messerstich ins Herz. Keine Besonderheiten." Nachdenklich verließ er Dr. Porte und das Hospital. Athos begab sich direkt auf die Suche nach Porthos. Was er über die Ermittlungen von Saint Michel erfahren hatte, gewann immer mehr an Wichtigkeit. Vor dem Hauptgebäude der Musketiere fand er ihn schließlich. "Und?" "Schweinehunde", knurrte sein Freund. "Freiwillig rücken sie wirklich nichts heraus. Nachdem ich etwas 'Nachdruck' einsetzte, gestand einer der Rotröcke mir, dass es die selbe Schrift und die selben Fehler waren." "Jungfrau Maria ... du stinkst, wie ein Rumfass." "Na ja, ...", ein Hauch von Trotz schwang in seiner Stimme, "nachdem ich sie einmal zum Reden gebracht hatte, waren sie richtig zutraulich. Wir sind in auf einen halben Humpen in die Taverne gezogen. Die Jungs von Rochfort werden erstaunlich gesprächig, wenn sie den Boden ihres Bierkrugs nicht sehen. Das nennt sich Beweisermittlung ... glaub ich wenigstens." Der Alkohol stieß ihm säuerlich auf und er verzog das Gesicht. "Was hast du erfahren?" "Die Saint-Michel-Leiche wurde in äußerst wüstem Zustand gefunden. Seine Hose hing in seinen Kniekehlen und sein Hemd stand offen. Es sah ganz danach aus, als wäre er ermordet worden, noch während er eine Frau nahm. Wahrscheinlich stand schon vor der Leichenstarre schon einiges." Porthos lachte wiehernd über seinen eigenen Witz. "Im Gegensatz zu unseren Saint-Antoine-Toten hat er sich nicht erst die Mühe gemacht, ein Freudenhaus aufzusuchen." Athos starrte vor sich hin. "Irgend etwas habe ich übersehen", murmelte er. "Auf jeden Fall bin ich mir sicher, dass es sich bei beiden Morden um ein und dem selben Täter und nicht einfach einen Nachahmer handelt." "Warum?" "Die Schrift, Porthos, die Schrift! Beim ersten Mord wurde die Botschaft zu spät entdeckt und gleich entfernt. Niemand konnte wissen, welche Orthographiefehler der Täter gemacht hatte." Athos Augen glänzten, das Jagdfieber hatte ihn erfasst. Kapitel 11: Tee bei Lady Cecil ------------------------------ Sophie sah Mrs. Hamilton an und versuchte, aus deren Mimik den Sinn der Wörter zu erraten. Mrs. Hamilton gehörte dem gehoberem Bürgertum an, die nicht über den Titel und einer eindrucksvollen Ahnenreihe verfügten, wie ein Adliger, aber über ebensoviel Stolz. Sie sprach ein gepflegtes Englisch in wohlformulierten Worten, die sie langsam aussprach, da nie ein Wort unbedacht ihren Mund verließ. Leider sprach sie nur Englisch. Sophie war eine Angehörige der unteren Bevölkerungsschicht. Aufgewachsen mit dem Französisch der Straße und vom Kapitän mit dem Französisch der oberen Schicht ausgestattet, verstand sie nur französisch. An diesem Punkt ihrer Unterhaltung wurde die Kommunikation holprig. Mrs. Hamilton war eine adrette 50-jährige mit gestärkter Schürze und blütendweißer Haube, - sicheres Erkennungszeichen einer Person, die den Staub auch von der Unterseite der Möbel wischte. Sie war die Ehefrau des Oberkämmers, was sie zur Wächterin der königlichen Wäsche befähigte. Da Whitehall, als Hauptsitz des Königs, nicht nur den König und seine Familie beherbergte, sondern auch zahlreiche Höflinge inklusive einen zahlenmäßig weitüberlegenden Teil an Bediensteten, war er hoffnungslos überfüllt. Gemeinhin das Problem aller königlichen Paläste. Für eine namenlose Comtesse ohne Herkunft, fanden sich nur zwei Zimmer zur Untermiete beim königlichen Oberkämmerer. Aramis neue Gemächer waren dunkel, lagen versteckt in einer Ecke des riesigen Palastes, blickten auf die Ställe und rochen nach Motten und Staub. Mrs. Hamilton war am Ende ihrer Ausführungen angelangt. Sie strich ihre Schürze glatt, dass der gestärkte Leinenstoff wegknickte und begab sich wieder an die Überwachung der königlichen Wäsche. Sophie zuckte die Schultern und begann vor Langeweile die Unterröcke ihrer Herrin neu zusammenzulegen. Gedankenverloren saß Aramis im Nachthemd am Tisch vor dem Fenster und kaute hingebungsvoll auf dem Stiel ihrer Feder. Ab und zu spie sie ein Stückchen Feder aus. Die Flamme der Kerze neben ihr flackerte unruhig und der kalte Nachtwind strich um ihre bloßen Beine. >Lieber Athos, lieber P...< Energisch strich sie die Anrede durch und nahm ein neues Blatt. Liebevolle Anreden waren echten Männern vorbehalten. Jemand der vorgab nur einer zu sein, musste sich mit einem knappen 'Salut' begnügen. Doch worüber schreiben? Ihre Zähne knirschten leise, als sie den viel zu dünnen Stiel zermalmten. Die bisherige Woche war im hauptsächlichen Nichtstun verstrichen. Nur ihre Wut auf Broussard, seine 'Diplomatie' und letztendlich dem Kardinal und seine Majestät dem König wuchsen. Als Aramis in Whitehall ankam, musste sie zur bitteren Erkenntnis gelangen, dass jemand ohne nennenswerte Verbindungen am englischen Königshof völlig verloren dastand. Der Brief des französischen Königs sicherte ihr zwar eine Unterkunft, aber keineswegs Prestige oder Privilegien. Ganz im Gegenteil, sie war genauso unsichtbar wie als Angehörige des Landadels oder der Musketiergarde. In Whitehall mangelte es nicht an Argwohn. Seine Bewohner waren Nachkommen von Menschen, für die Misstrauen und Paranoia überlebenswichtig gewesen waren. Anders ausgedrückt: Sie waren Aristokraten. Jeder kannte jeden, samt Stammbaum und der peinlichen Krankheit, an welcher der letzte Nachfahre starb. Eine unbekannte Comtesse wurde ignoriert. Mitleid oder Anteilnahme gehörten nicht zu den erforderlichen Eigenschaften, um überleben zu müssen. Um so erstaunlicher war die Einladung zum Nachmittagstee, die sie heute erhielt. >Salut, heute erhielt ich eine Einladung von Lady Cecil zum Tee in ihrem Salon. Ich wählte das dunkelrote Satinkleid, welches ...< Sie lächelte düster, zerknüllte das Blatt und warf es in die Ecke. Der Mond stand unbedeckt am dunklen Firmament und warf sein silbriges Licht in ihr Zimmer. Sie hob den Fuß und kratzte sich kummervoll an ihrer Wade. Es scharrte leise. Ihre Finger griffen nach einen neuen Bogen Papier. >Salut, seit knapp einer Woche befinde ich mich in London, genauer gesagt in Whitehall, der Residenz des englischen Königs. Dem Königspaar bin ich noch nicht näher gekommen, somit auch nicht Graf de Meyé und letztendlich meiner Aufgabe. Wie sich dieser Zustand ändern soll, weiß ich nicht. Ich bete zu Gott, dass sich bald etwas ereignet oder der Kardinal ein Einsehen hat, damit ich bald nach Hause zurückkehren kann. Das Leben von Whitehall unterscheidet sich im Grunde nicht von dem im Louvre. Auch seine Bewohner sind im Grunde gleich. Zu meinem Leidwesen bin ich zum Nichtstun verdammt. Wenn ich das Anmerken darf, die königliche Wache befindet sich im miserablen Zustand. Man hält in England nicht an den selben Werten fest, wie ein Musketier.< Ihre Stirn lag angestrengt in Falten, als sie nach geeigneten Worten suchte, die etwas positives aussagten. Sie stützte den Kopf auf den Ellenbogen und starrte träge auf das spärlich beschriebene Blatt. Aramis seufzte. >Die Reise verlief ereignislos. Von Le Havre fuhren wir nach Brighton, um bei ruhiger See direkt nach London zu gelangen. Selbst in der Normandie sprach man über den Mord bei Saint Michel. Die Gemüter der Menschen sind erhitzt. Monsieur Broussard stieß in Le Havre zu uns. Er ist der vom Kardinal ...< Sie überlegte und tippte nachdenklich mit dem zerkauten Federstil gegen ihre Unterlippe. Wenn sie den Brief Broussard gab, damit dieser ihn absendete, war abzusehen, dass er seinen Inhalt bald kennen würde und damit auch der Kardinal. Ihr Spiegelbild in der dunklen Fensterscheibe warf das breite Grinsen und das boshafte Glitzern in ihren Augen zurück. >... er ist der vom Kardinal mir zur Seite gestellte Mittelsmann für England. Es überraschte mich nicht, dass sich Monsieur Broussard als der erwies, den man bei einem Gefolgsmann Richelieu's erwartet. Die Reise nach England und sein bisheriges Auftreten haben meine Vermutung bestätigt. Dieser Mann ...< Sie hoffte sogar inständig, dass der Brief in die Hände des Kardinals geriet. >... ein kompletter Idiot ist, der über die Kompetenz einer Scheißhausfliege verfügt.< Aramis fügte dem Brief noch ein paar belanglose Details hinzu und schloss mit den Fragen nach den letzten Ereignissen in Paris. Zufrieden versiegelte sie das Schreiben und blies die Kerze aus. "Noch Gebäck, Liebes?" Aramis schüttelte verneinend den Kopf und wies Lady Cecil's zuvorkommende Geste ab. Der Innenraum ihres Korsetts bot nur einer begrenzten Anzahl an Fettzellen platz. Das kleine Gesicht unter der blütendweißen Haube war ein Abbild einziger Freundlichkeit. Die kleinen Augen sahen sie interessiert an. Aramis Blick glitt zu Miss Wood. Die intelligenten, in Runzeln eingebetteten Augen erwiderten ihren Blick. Sie wanderte zu Lady Corday, der Mutter von Lord Charles Corday. Aramis vermutete, dass Elisabeth Corday der wahre Grund für Lady Cecil's Einladung war. Sie wollte nicht, dass Corday ihr half. Jetzt da sie eingekeilt zwischen Langeweile und der Blasiertheit saß, hasste sei ihn beinah. Lady Elisabeth's einstige Schönheit war nicht verblasst, sondern mit ihr gealtert. Ihre dunklen Augen sahen sie mit demselben amüsierten Spott an, wie ihr Sohn. Wollte Lady Corday herausfinden, was ihr Sohn nicht erfahren hatte? Es sprach für Lady Cecil's Rang, dass sie über mehrere Räumlichkeiten verfügte. Die meisten Adligen bewohnten nur kleine Zimmer und mussten sich mit bemerkenswert wenig Wohnraum begnügen. Die drei Frauen waren im hinteren Drittel ihres Lebens angelangt. Aramis sah zu den letzten zwei Gästen der Teerunde. Lady Anabelle mit ihrer Tochter Clare. Lady Anabelle tunkte gerade, mit ihren plumpen, beringten Fingern einen Keks in die Tasse und besprach Earl of Raeburn's letzte Eskapaden. Sie plapperte unaufhörlich und übersah großzügig, dass die Konversation eher auf einen Monolog hinauslief, während auf dem Teller ihrer Tochter ein Tortenstück nach dem anderen verschwand. Wieder glitt ihr Blick zu den drei älteren Damen, die bemerkenswert die Kunst des Nicht-Zuhörens beherrschten, welche die meisten Ehemänner im Laufe der Jahre vervollkommenten. Ihre Aufmerksamkeit ließ nicht einen Moment von der vermeintlichen Comtesse Inkognito, während in ihren Gesichtern die unausgesprochenen Fragen standen, die ihnen die Regeln der Höflichkeit verbot zu fragen. Gleichzeitig achteten sie darauf, was ihr Gast ihnen erzählte. Das Zuhören war wichtig, denn sie musste jeder Zeit mit der Aufforderung rechnen, den letzten Satz zu wiederholen. "Sagt doch, Lady Cecil, war es nicht offensichtlich, dass der Earl of Raeburn beim letzten Ball seine Aufmerksamkeit bedeutend mehr meiner Clare schenkte?" fragte Lady Anabelle und glühte vor Stolz. Der Earl war das begehrteste Debütantenopfer am Hofe. "Aber ja, meine Liebe", erwiderte das rosige Gesicht, ohne Aramis aus den Augen zu lassen, "und er hätte sicher noch des öfteren mit Clare getanzt, aber Ihr wisst ja, der Earl muss jede der Damen seine Aufmerksamkeit schenken." Wirklich beeindruckend. Die vollständig im automatischen Modus funktionierenden Ohren hatten den Mund veranlasst, einen kleinen aber durchaus relevanten Diskussionsbeitrag zu leisten. Nach fünf Minuten verlor Aramis den Faden, nach zehn Minuten den Überblick. Nach fünfzehn Minuten überlegte sie, wie sie unauffällig einige der zahlreichen Haarnadeln lösen konnte. Nach einer halben Stunde zog sie ihre Schuhe aus. Nach einer Stunde wünschte sie sich, man hätte nicht, aus Höflichkeit, die französische Sprache gewählt. Es hatte etwas beruhigendes, hinter der Anonymität von Sprachkenntnissen fliehen zu können. Zwei Stunden später dividierte sie die Anzahl der Blumen auf Lady Anabelle's Robe mit allen zweistelligen Nennern und zählte alle Flüsse Frankreichs auf. "Was meint Ihr, Comtesse?" "Was?" Aramis tauchte verwirrt aus ihrem mentalen Tauchgang auf. Lady Anabelle runzelte missbilligt die Stirn. "Zu dem Bettlerpack?" Aramis war kurz davor zu fragen, was mit "Bettlerpack" war, doch wahrscheinlich handelte es sich dabei um das Thema der Konversation, mit der sie Lady Anabelle seit einer Viertelstunde beglückte. Sie zuckte wage mit den Schultern. "In letzter Zeit sind sie immer unerhörter geworden. Jetzt betteln sie schon unmittelbar vor den Parkanlagen von Whitehall und wir sind genötigt diesen Abschaum in Sack und Lumpen zu sehen." Sie rümpfte die Nase in ihrem Truthahngesicht. "Was Ihr nicht sagt!" sagte Aramis ohne die Ironie aus ihren Worten zu verbannen. "Man sollte dafür sorgen, dass sie dem Adel nicht unter die Augen treten! Was fällt ihnen nur ein, arm zu sein?!" sagte sie mehr oder weniger zu sich selbst. In den verwinkelten Gassen von Paris hockte soviel Elend. Hoffnungslose Augen in ausgezehrten Gesichtern. Was wusste eine Lady Anabelle mit ihrer gemästeten Tochter davon. "Ganz recht, man sollt ...", Ihre Ladyschaft sah den spöttischen Zug um die Mundwinkel der vermeintlichen Comtesse und schob ihren Stuhl so, dass sie Aramis nicht mehr ansehen musste, um zu schmollen. Verschämt biss sich Aramis auf ihre Unterlippe. Es stand ihr nicht zu, so mit Lady Anabelle zu reden, nicht wenn sie Fuß in Whitehall fassen wollte. Unter ihren halbgesenkten Lidern begegnete sie dem spöttischen Blick von Lady Elisabeth. "Meine Liebe, findet Ihr nicht, dass der Kleidersaum Eurer Tochter schlecht verarbeitet ist?" half ihr Lady Cecil über die peinliche Pause hinweg. "Wo? Seid Ihr sicher?" Und das Truthahngesicht verschwand unter dem Tisch. "Dort, seht Ihr das nicht?" "Nein, wo denn?" Das arme Mädchen wand sich verzweifelt unter den prüfenden Blick ihrer Mutter und der Gastgeberin. Verschämt verschwand das letzte Kuchenstück hinter ihrem Rücken. Sie kicherte nervös. "Die Naht ist dort viel gröber vernäht!" Sobald Mutter und Tochter beschäftigt waren, zog Miss Wood eine unauffällige Flasche ohne Etikett unter ihrem Rock hervor und gab davon reichlich in die Teetassen der drei älteren Damen, ohne eine Miene zu verziehen. Der starke Geruch von hochprozentigem Rum wehte Aramis entgegen. "Das ist doch Spitze aus New Hamton!" Lady Anabelle kreischte entsetzt unter dem Tisch auf. "Seid Ihr sicher? Man versicherte mir, dass sie aus Flandern stammt." Über dem Tisch sahen beide Frauen misstrauisch zu Aramis. Vielleicht musste eine Lady, um in dieser Gesellschaft zu überleben, abstumpfen oder zu Alkohol greifen. Wortlos schob ihr Aramis ihre Tasse entgegen. "Seht Ihr die Stickerei dort und dort? Ein sicheres Zeichen, dass ..." Lady Cecil war eine vollendete Schauspielerin. Die dunkelbraune Flüssigkeit landete in ihrer Tasse. "Tee?" Aramis schüttelte den Kopf und stürzte den Inhalt der Tasse mit einem Schluck hinunter. Miss Wood setzte ihre Teetasse vor Verblüffung mit einem lauten Klirren ab. Drei Köpfe tauchten wieder über der Tischoberkante auf. "Wonach riecht es hier?" Lady Anabelle rümpfte ihre Nase und schnupperte. "Ist Euch nicht gut, Comtesse? Ihr seid ganz rot und Eure Augen tränen." Aramis nickte gequält. Das Zeug brannte wie Essig in ihrer Speiseröhre. Das Blut rauschte in ihren Ohren. Ohne ihre Heiterkeit zu verbergen, beugte sich Lord Corday's Mutter näher. "Miss Wood braut in ihrer Freizeit den Rum selbst. Wir hätten Euch darauf hinweisen sollen. Der Prozentanteil beträgt fast 60 %." Wieder nickte Aramis gequält. Zu spät! Miss Woods Freizeitbeschäftigung hatte ihr die Stimmbänder verätzt. Bis Lady Anabelle und Tochter sich verabschiedet hatten, mussten die Damen dreimal nachschenken. Lady Corday blinzelte vergnügt. "Und Comtesse, wie war Euer erster Eindruck von Lady Anabelle? >Nicht die Wahrheit sagen, Renée! Eine Adlige gibt niemals ihre wahre Meinung preis< "Sehr ähm interessant." >Sehr schön, Renée. Das war diplomatisch.< "Eure Auffassung von dem Elend in unserem gelobten Land ist nicht dieselbe, wie die von ihrer Ladyschaft", erklärte Lady Corday. "Lady Anabelle würde das Elend nicht erkennen, wenn es sie verfolgen würde. Sie würde immer schneller sein. Warum sollte sie sich den Problemen der Armen widmen, wenn der nächste Ball beim Earl of Raeburn ihre Aufmerksamkeit beansprucht? Sie muss eine Tochter auf den Heiratsmarkt werfen." >Mist< Miss Wood lachte leise. "Ladys, das Alter der Comtesse kann höchstens Mitte 20 sein. Ihr Alter in Zynismus und gemeiner Bosheit liegt bei 100. Zu Königin Elisabeth's Zeiten trug ein Teil der Gemeinschaft die Kosten für Obdach, Kleidung und Ernährung für die Armen der Ärmsten. Heute ist dem leider nicht mehr so. In Frankreich sieht es nicht besser aus?" "Nein, das tut es leider nicht", bestätigte Aramis. "Eine Baronette Leighton kann man nicht ausladen, Comtesse. Die Courtoisie und die Rangfolge am Hof verbieten es", sagte Lady Corday, als wolle sie sich entschuldigen. "Ich wusste nicht, dass sie eine Baronette ist." Miss Wood lächelte süffisant. "Sie wird von allen nur Lady Anabelle genannt, da sie in den letzten Jahren ihre Männer wie Gewänder wechselte." "Ihr seid noch neu in England. Wir werden Euch schon mit der Rangfolge vertraut machen", versprach Lady Cecil. "Und nun, Comtesse, warum verbergt Ihr Eure Vergangenheit?" mischte sich Miss Wood ein. "Ich sah in Ägypten Frauen bis auf die Augen verhüllt, schwarze Frauen mit gar nichts als einem Lendenschurz am Leib, exotische Inderinnen und Spanierinnen mit gigantischen Halskrausen, aber noch nie eine Französin, mit solch einem Ungetüm unter ihrem Mieder. Versteckt Ihr das Flaggschiff der französischen Armada?" Miss Woods offenherzige Reden brachten Lady Cecil an den Rande der Ohnmacht. "Aber Mary, das ist indiskret. Die Comtesse wird schon ihre Gründe haben. Liebes, beachtet Miss Woods Frage nicht weiter. Ihre Neugier überwiegt manchmal ihr Feingefühl." Aramis lachte leise. Die drei älteren Damen begannen sich in ihr Herz zu schleichen. Sie kehrte reichlich spät zurück. Miss Woods Reiseberichte und die angenehme Gesellschaft der beiden Lady's hatte die Zeit im Flug vergehen lassen. Der Rum war ihr zu Kopf gestiegen und ihr Körper lechzte nach der Freiheit aus ihrer Korsage. Aramis Gesichtszüge verfinsterten sich, wie eine aufkommende Gewitterwolke, als sie Monsieur Broussard erblickte. Das Gewitter wurde zum Orkan, als sie sah, wo Broussard seine Hände hat. "Hände weg von meiner Zofe!" knurrte sie im tiefsten Bariton. Die wässrigen Augen sahen sie hämisch an. "Sie wollen wohl ihr Liebchen nicht mit mir teilen? Wollen die kleine Hure ganz für sich allein?" "Nein, das will ich nicht Broussard. Wenn Sie Sophie noch einmal als Hure bezeichnen, spüren sie meine Degenspitze. Kommen Sie ihr zu nahe, kastriere ich Sie, das schwöre ich Ihnen bei meinem Blut!" Hasserfüllt strich Broussard hyänengleich um sie herum. "So wie Sie, Kastrat? Der Kardinal wird davon erfahren. Wo waren Sie überhaupt?" "Das geht Sie gar nichts an!" Sorgsam entfernte Sophie die zahlreichen Haarnadeln aus den blonden Locken. Aramis schüttelte den Kopf und die letzten Nadeln fielen zu Boden. "Ihre Arroganz wird Ihnen Ihr Genick brechen. Sie haben sich be...." Broussard war verstummt und starrte sie verblüfft an. Seit zwei Monaten hatte Aramis ihre Haare nicht mehr geschnitten. Die honigblonde Haarpracht fiel ihr über die Schultern. "Was?" Die blauen Augen sahen ihn unwillig an. "... be-bereit ... Sie haben sich bereitzuhalten, wenn ich Sie brauche. Sie müssen meinen Anweisungen folgen!" "Ihren Anweisungen?" ereiferte sich Aramis. "Den Teufel werde ich tun." "Ich werde den Kardinal ..." "... den Kardinal informieren", äffte seine Kontrahentin ihm nach. "Dann informieren Sie Ihren Kardinal und ich kann nach Hause. Soll ich Ihnen Papier und Feder bringen?" Broussard begriff, dass er die Kontrolle verlor. Er versuchte es mit schmeichlerischer Diplomatie. "Hören Sie! Ich stelle für Sie die entsprechenden Kontakte her, mit meiner Hilfe ..." Aramis atmete tief durch. Ihre Brust hob sich unter dem fischbeingestärkten Panzer und stieß an ihre Grenzen. "SIE", unterbrach sie ihn. Ihr Finger landete hart auf seiner Brust, "finden nicht einmal Ihren eigenen Hintern mit Hilfe eines Atlanten." Sophie hatte mittlerweile hinzugelernt. Sie hielt sich nicht mehr mit diskreten Räuspern auf, sondern zog gleich am Rocksaum ihrer Herrin. Aramis wirbelte herum und erblasste. "Lord Corday?!" Sie schluckte schwer und versuchte zu lächeln. Es funktionierte nicht. "Ihr Diener, Comtesse!" Corday's Miene blieb unbeteiligt, als er sich kurz verbeugte. Es folgte eine kurze Pause, in der alle Anwesenden ihre Gesichter neu programmierten. "Bevor Ihr Euren Sekretär einen Kopf kürzt, solltet Ihr mich auf einen Ausritt begleiten." "Vielen Dank, Mylord, aber ich reite schon am Morgen aus", entgegnete Aramis reserviert. "Ich weiß, Madam und Ihr sitzt wunderbar im Sattel, gute Haltung und Führung. Auch sonst scheint Ihr die Führung übernehmen zu wollen." Wieder dieses spöttisch-amüsierte Lächeln auf den jugendlichen Zügen des Lords. "Sie sollten der Comtesse nicht so häufig widersprechen, Monsieur Broussard!" "Ich habe Euch auch gesehen, Lord Corday. Ihr führt EUCH spazieren. Ihr reitet nicht, Ihr stolziert. Ich ziehe es vor alleine auszureiten", grollte Aramis verärgert. Warum musste dieser Mann immer zur falschen Zeit aufkreuzen? Der Lord verbeugte sich erneut. Sein Lächeln blieb. "Dann Madam, werde ich wieder bei Euch vorsprechen, wenn meine Reitkenntnisse Euren Anforderungen genügen. Ich wünsche Euch einen angenehmen Abend", sagte er und verschwand. Mit einem verärgerten Fauchen stürzte sich Broussard auf sie. "Sind Sie von Sinnen, den Lord zu verärgern? Wissen Sie nicht, wie hoch die Corday's in der Gunst des Königspaars stehen? Charles Corday ist mit dem König befreundet. Soweit sich ein König herablassen kann, mit einem Höfling Freundschaft zu schließen." Mit einem lauten Knall fiel die Tür ins Schloss. Aramis saugte an ihren Fingerknöcheln. "Was hat er mitbekommen?" "Keine Angst, Madam. Nur den letzten Satz", erklärte Sophie gleichmütig und begann die Bänder des Mieders in Aramis Rücken zu öffnen. "Ich fürchte, ich habe einen Fehler begangen. Bald können wir unsere Sachen wieder packen und nach Hause reisen. Corday hätte für seine Arroganz noch viel schlimmeres verdient, aber es war unklug. Das er auch immer so zuvorkommend sein muss. Ich fühle mich am ersticken." "Das ist das Korsette, Madam. Gleich sind Sie befreit!" >Wie Broussard, bin ich ein Sklave von Richelieus Plänen. Ein privilegierter Sklave, aber dennoch ein Sklave<, dachte Aramis missmutig. Sie hatte das untrügliche Gefühl, keineswegs den Erfordernissen leichter Artillerie im Krieg der Geschlechter gerecht zu werden. Kapitel 12: Verschwörung der Leichen ------------------------------------ Das Licht flackerte in den Kerzenhaltern entlang der Wand, doch ihr Schein bot der Dunkelheit keinen Widerstand. Der Schankraum des 'Le Equites' lag immer im Halbdunkel verborgen. Das war der Grund, weshalb seine Gäste das 'Le Equites' aussuchten und keines der anderen zahlreichen Spelunken Paris. Hier vermied man es von seinem Bier aufzusehen, wenn die Tür aufging oder Stimmen laut wurden. Wer etwas zu verbergen hatte, der verbarg es hier. Wer etwas verbotenes tat, der tat es hier. Männer des Schattens und der Unterwelt kehrten hier ein. Um so irritierter sah Athos auf D'Artagnan's Begleiter nieder. Seine Verblüffung wich der Erschütterung, als dieser sich auf die lange Sitzbank setze und mit großer kindlicher, völlig unangebrachter Neugier umsah. Die kurzen Beine baumelten gute zwei Fuß über dem Boden. "Was machst du hier, Jean?" fragte Athos. "Er wollte nicht bei Monsieur Bonacieux bleiben. Ich hab wirklich alles versucht", warf D'Artagnan hilflos ein. "Warum denn nicht?" fragte Jean stur und verschränkte die Arme. Bei D'Artagnan läuteten die Alarmglocken. Bei Athos nicht. "Hör mal, Jean! Du bist noch ein Kind und ..." "Stimmt nicht!" "Stimmt doch!" "Ich habe euch die ganze Zeit geholfen! Das habe ich doch!? Sag ihnen, D'Artagnan, dass ich euch geholfen habe!" sagte Jean grollend. "Ja, das hast du", räumte Athos ein, "aber ..." "Und auf Bell-il-on-mer? War ich nicht auch auf Bell-il-on-mer?" "Ja, du warst mit uns auf der verfluchten Insel." "Und als D'Artagnan nach Calais wollte? Habe ich da nicht Milady die Papiere gestohlen?" "Ja, das hast du!" Athos warf ihm einen bitterbösen Blick zu. Diesem Jungen fehlte eindeutig eine Mutter. "UndhabichnichtAramisausdemGefängnisgeholfen undhabichnichtmitgegenMiladygekämpft undhabich..." "In Ordnung!" wandte er ein und bedachte ihn mit einem durchdringenden Blick. Jean's Gesicht lag im Halbdunkeln verborgen, aber es gelang ihm, der wortlosen Unterdrückung mit einem bemerkenswerten Maß an Trotz zu begegnen. "Dann bleib hier!" "Was machen wir hier?" "WIR treffen uns hier mit einem Arzt. DU solltest im Bett liegen!" sagte Athos schneidend. Jean holte Luft ... "Ich weiß, ich weiß, ohnedichhättenwirdasallesnichtgeschafft und jetzt Schluss!" ... die Luft entwich pfeifend. "Außerdem sind wir hier ungestört", erklärte Athos weiter. "Überall wimmelt es von Rochforts Rotröcken, bei denen zur Zeit die Ohren immer länger werden. Es herrschen Zustände, wie bei der Verfolgung des Eisenmanns. Jeder will zuerst den Fall lösen." Der Wirt kam. "Ein Bier bitte!" sagte Jean. Athos klappte der Kinnladen runter. Der Wirt hob eine Augenbraue. "Kinder sind hier nicht gern gesehen, Kleiner!" sagte er, während er mit seiner speckigen Schürze einen Becher polierte. Im ,Le Equites' besiegten sich die Bakterien gegenseitig. Die Mägen seiner Gäste brauchten für seine Getränke Übung, für seine Speisen eine extra Ausbildung. "Ich bin kein Kind." "Kleine Mensche sind hier nicht gern gesehen, Kleiner!" sagte er, ohne das Polieren zu unterlassen. Der Wirt verstand sich auf Diplomatie ... "Sie werden hier meist nicht mehr größer!" ... oder das, was er für Diplomatie hielt. Porthos erhob sich. "Werden sie schon, wenn sie große Freunde haben", sagte er und blickte auf den Wirt runter. "Vier Bier, kommen sofort!" "Also, wer ist dieser Arzt?" fragt Porthos. "Dr. Porte, der Arzt, der die letzte Leiche untersuchte. Er bat mich, ihn heute Abend hier zu treffen", erklärte Athos und zuckte die Schultern. "Warten wir ab, was er uns zu erzählen hat." Der Wirt kam, stellte die vier Bierhumpen auf den Tisch. Er betrachtete nochmals den Jungen, der mit glänzenden Augen vor einem der Krüge hockte, zuckte die Achseln und wischte den Dreck auf der Tischplatte gleichmäßig breit. "Da ist Dr. Porte." Der Mediziner war gerade hereingekommen und setzte sich zu Athos. Das Gesicht mit der arbeitsbedingten ungesunden Farbe sah misstrauisch Athos Begleiter an. Seine Augenbrauen zogen sich ärgerlich zusammen. "Ich bat Sie doch, mich alleine zu treffen!" "Das sind auch Musketiere. Sie können ihnen vertrauen", sagte Athos ruhig. "Seit wann nehmen die Musketiere Kinder in ihren Reihen auf?" fragte der Arzt. Jean rutschte schmollend tiefer in die Sitzbank. "Auch Jean können Sie vertrauen, Dr. Porte", erklärte D'Artagnan und klopfte seinem kleinen Freund mitfühlend auf die schmale Schulter. Dr. Porte sah sich ruckartig um. Seine Pupillen waren in ständiger Bewegung, dass sein Gegenüber in nervöse Zuckungen verfiel. Das Wort ,Schizophrenie' stand in Großbuchstaben auf seiner schweißnassen Stirn gedruckt. "Hören Sie zu", flüsterte er nervös, "vielleicht riskiere ich hier Kopf und Kragen." Die Akustik seiner Stimme sank noch tiefer. "Ab und zu treffe ich mich mit Monsieur Fuelly, um einen zu trinken. Er gehört zu den Leichengräbern des städtischen Friedhofes. Es gibt Sachen, die Arzt und Leichengräber im Alkohol vergessen müssen. Der Alkohol hat schon immer die Zunge meines Freundes Fuelly gelockert und bei unserem letzten Treffen trank er einiges mehr als sonst. Er erzählte, dass der Tote von Saint Michel schon Aufgebahrt in der Kapelle bereit lag, als unbekannte Männer kamen und den Leichnam mitnahmen." "Wie könnten sie die Leiche einfach mitnehmen?" fragte Porthos. Der Arzt zuckte die Schultern. "Männer kommen mit den zuständigen Papieren, sie kommen mit dem entsprechenden Auftreten, sie kommen zur richtigen Zeit. Die Anweisung soll direkt von Kardinal Richelieu gekommen sein. Gut, der Kardinal lässt öfters einmal seine dreckige Wäsche durch seine Handlanger verschwinden. Nachdem die Leiche verschwand und auf keinem anderen Friedhof auftauchte, wurde Fuelly's Kollege misstrauisch. Er fragte zu viel ... Fuelly warnte ihn noch, seine Nase dort zu behalten, wo sie hingehört, aber er wollte nicht hören ... jetzt ist er verschwunden, ebenso wie Fuelly. Auch bei mir tauchten Männer auf und als ich am nächsten Tag zum Dienst antrat, war auch der Tote von Saint Antoine verschwunden. Wieder waren Männer mit den nötigen Papieren dort gewesen." "Angebliche Verschwörung der Protestanten, Selbstjustiz am Brückenpfeiler, Korruption, verschwundene Leichen", sagte Athos. "Was ist bloß los in dieser Stadt?" "Es war pures Glück, dass ich einen Tag früher zum Dienst zurück war. Sonst hätte auch die letzte Leiche mein Kollege untersucht." "Offenbar erhielt Ihr Kollege von jemanden Anweisungen", sagte Athos. "Wir sollten ihn befragen." "Das ist keine gute Idee, Monsieur", erwiderte der Arzt mit fester Stimme. "Er hat nichts gesehen und nichts gehört." Athos hob eine Augenbraue. "Woher wollen Sie das wissen, Sie haben ihn doch gar nicht befragt?" "Ich bin mir ziemlich sicher. Er hat nichts gesehen und nichts gehört." "Obwohl man ihm Anweisungen gab, den Bericht zu fälschen?" "Ja, Monsieur." "Ich verstehe. Niemand ist so taub wie derjenige, der nicht hören will." "So ungefähr. Leichen müssen nun einmal so bald wie möglich beerdigt werden und nicht jeder Arzt fasst Indizien mit der gleichen Gründlichkeit auf. Fuelly ist noch immer nicht aufgetaucht und ..." "... und Sie haben Angst?" "So ist es Monsieur. Wenn der Kardinal seine Finger im Spiel hat, dann ist mir die Sache zu heiß." Athos nickte. "Ich werde den Kapitän bitten, Sie durch die Musketiere im Auge zu behalten." Dr. Porte nickte dankbar. Er hüllte sich in seinen Mantel und verschwand in die Nacht. "Was haltet ihr davon?" fragte Athos, als sie wieder alleine waren. Der Wirt servierte noch eine Runde Bier. "Jemand ist mächtig damit beschäftigt die ganze Sache zu vertuschen", sagte Porthos finster und sah düster von seinem Bier auf. "Jemand, der Dr. Porte's Kollege entweder verschrecken oder bestechen konnte und vier Menschen verschwinden ließ. Ob zwei davon noch am Leben sind, bleibt Spekulation." "Wer weiß, ob es nicht bald fünf sind. Wir sollten Dr. Porte wirklich im Auge behalten", fügte D'Artagnan hinzu. "Der Kardinal könnte für das Verschwinden der Leichen verantwortlich sein", erklärte Athos. "Wie du schon sagtest, Porthos: Jemand will etwas vertuschen. Der Kardinal hasst die Protestanten und das Edikt von Nantes hat für ihn keine Bedeutung. Das Volk glaubt, dass der Mörder ein Protestant war. Das passt wunderbar in seine Pläne und Richelieu möchte nur zu gerne, dass es das weiterhin glaubt. Was aber, wenn die Indizien zeigen, dass die Handschrift eine andere ist? Erst dachte ich, der alte Protestant von der Brücke redet nur wirres Zeug, aber jetzt bin ich ganz anderer Meinung." "Du meinst ,die Hure des Teufels' ..." "... Fingernagelspuren auf dem Rücken des Toten, die offene Hose des anderen." "'Mächtige Männer schützen sie' ..." "... Leichen verschwinden und Ärzte werden bestochen." "Wir können den alten Mann nicht mehr fragen", wandte D'Artagnan ein. "Er hat die Stadt verlassen." Athos nickte. "Die Protestanten wissen etwas, aber aus Angst Schweigen sie. Gut ...", seine Augen funkelten angriffslustig. Er spürte, dass er sich in Richtung Lösung bewegte, auch wenn sie noch nicht da war. Seine Instinkte waren freigeschaltet. "Leiche eins wurde mit heruntergelassener Hose gefunden, bei Leiche zwei können wir sicher sein, dass er in einem Freudenh...," Sein Blick fiel auf Jean. "... Haus der käuflichen Zuneigung war", verbesserte er sich, "Porthos du siehst dich in den Borde ... Häusern der käuflichen Zuneigung um und zeigst das Profilbild des Toten." Porthos rieb sich die Hände. Ein Auftrag nach seinem Geschmack. Er wandte sich an D'Artagnan. "Wir versuchen Monsieur Fuelly und sein Kollege zu finden und Dr. Porte vor einem frühzeitigen Tod zu bewahren." Jean rutschte langsam von der Bank unter den Tisch. D'Artagnan sah in Jean's Krug. "Nach nur zwei Schluck Bier. Das machen wir das nächste Mal gleich!" Madam Bofrait gähnte hinter vorgehaltener Hand und fächerte sich träge etwas Luft zu. Es war schon zwei Stunden nach Mitternacht und die meisten ihrer Kunden hatten sich zu ihren Ehefrauen zurückgezogen. Man sah es dem schlichten Gebäude von außen nicht an, aber die Innenausstattung entsprach in allen Details den allgemein gültigen Vorstellungen der Kundschaft im Horizontalen Gewerbe. Das Tageslicht hätte abgenutzte Polster, fadenscheinige Vorhänge, zerkratztes Holz und Goldrahmen mit grüner Patina offenbart. Das Kerzenlicht tauchte Madam Bofrait's Räume in sinnenbetäubende Farben und Bilder. Gemälde mit nackten Göttinnen in zartem Hellrosa, satte Dunkelrottöne in den Polstermöbeln, glänzendes Gold als Stuckverkleidung und dunkles Braun in den Möbeln. Aus der Tiefe der Räume klang helles Mädchenlachen, gedämpftes Stöhnen und das rhythmische Quietschen von Bettgestellen. Zu Madam Borfrait's Betten gehörte das metallene Quietschen zur serienmäßigen Ausstattung. Wegen der späten Stunde und der wenigen Kundschaft war der übliche Geräuschpegel gesunken. Das einzelne Stöhnen der Hure auf Zimmer drei hörte sich eher verloren, als stimulierend an. Wieder gähnte Madam Bofrait, schlenderte träge zur Tür. Die Hand auf die herausgeschobene Hüfte gestützt, den spärlich verhüllten Busen vorgereckt, stand sie am Türrahmen und starrte in die Dunkelheit. Das leise Tröpfeln des nächtlichen Regens schläferte ihre Sinne ein. Ihre Kasse hatte schon bessere Abende gesehen, aber alles in allem zog die Nacht keine schlechte Bilanz. Sie beobachtete unter halbgesenkten Lidern den dunklen Schatten, der die wenigen Stufen zu der Tür hochstieg. Licht gab der dunklen Gestalt Konturen und ein Gesicht. Ein sehr müdes Gesicht, mit dunklen Augenrändern und ungeordnetem Haar. "Willkommen bei Madam Bofrait's Töchtern", begrüßte sie ihn und hakte sich unter. "Wenn ich das sagen darf, Süßer, Ihr seht furchtbar aus. Kommt setzt Euch." Madam führt die nicht unbeträchtliche Gestalt zu einem der Sofa's und ließ sich neben ihm nieder. Was dieser Mann brauchte war ein tiefer Einblick in ihr Dekollete, ihr Knie dicht bei seinem Knie und eine flinke Hand, die wie zufällig über die richtigen Stellen strich. Ihr Gast saß mit zusammengesunkenen Schultern neben ihr und sah müde in ihr Dekollete. "Wie heißt Ihr, Monsieur?" Ein feines Lächeln zeichnete sich auf seinen gutmütigen Zügen ab. "Porthos", erklärte er den weichen Formen im Spitzenausschnitt. Er schnüffelte leicht. Der Geruch nach süßlichem Parfüm und schwerem Opiumduft, welches er mit einem Freudenhaus assoziierte, war bei Madam Bofrait besonders ausgeprägt. "Oh, Porthos", hauchte sie und riss die Augen in gespieltem Erstaunen auf, ohne das es der Mühe wert gewesen wäre, da der Musketier ihrem Gesicht keine Aufmerksamkeit schenkte. "Der Musketier Porthos?" Porthos nickte. "Mit wem kann ich Euch dienlich sein?" Ihre Hand tätschelte zuvorkommend sein Knie. "Mit niemanden, Madam, ich bin nur zur Ermittlung hier." "So, so, zum Ermitteln." Pothos nickte. "Und für was ermittelt Ihr, Monsieur Porthos?" "Wegen des Mordfalles am Saint Antoine." Sie lächelte spöttisch. "Schlimme Sache, aber da ermittelt Ihr bei mir?" sagte sie und kicherte. Porthos zuckte die breiten Schultern. "Wir müssen jedem Indiz nachgehen, Madam!" "Seid Ihr sicher, dass Ihr nicht doch ... praktisch ermitteln wollt?" Porthos zögerte und räusperte sich schließlich. "Nun ... ich hatte eine sehr anstrengende Nacht hinter mir ..." "... vom vielen ermitteln?" "Ja, vom vielen ermitteln. Ich fühle mich ... erschöpft , wenn nicht gar ... ausgelaugt." Bei diesen Worten hoben und senkten sich seine Brauen mehrmals. Mit erwartungsvoller Hilfsbereitschaft hatte er sich auf ,Indizsuche' begeben. Leider hatte er die männliche Kondition überschätzt. Ein Fehler, der allen Männern früher oder später unterlief. "Nun, ich weiß nicht, ob unter unseren Kunden ein Mörder ist", erklärte sie kummervoll. "Bisher wurde meinen Mädchen kein Leid zugefügt." "Es geht uns auch eher um eine Frau, Madam." Madam Bofrait zog entrüstet ihre Hand zurück. "Monsieur Porthos, ich kann Euch versichern, dass meine Mädchen niemanden etwas zu leide tun. Bei uns wird der Kunde zuvorkommend behandelt", betonte Madame Bofrait gekränkt "Es sei denn, es entspricht den persönlichen Wünschen des Betreffenden. Dann scheuen wir keine Mühen, um unsere Gäste zufrieden zu stellen." Bevor Porthos weiterfragen konnte, ertönten laute Stimmen und Poltern aus der oberen Etage. Männer stritten miteinander. Es krachte, Holz splitterte, eine Frauenstimme kreischte auf. "Oh, nicht schon wieder", jammerte Madam Bofrait und eilte in Richtung Treppe. Eines der Mädchen kam halbnackt heruntergeeilt. "Madam, sie streiten sich um Angelique. Sie zertrümmern die Einrichtung." "Aber Angelique ist doch gar nicht hier", gab Madam zurück. Porthos schob die beiden leichtbekleideten Damen beiseite und stapfte die Treppen hinauf. Er traf gerade ein, als einer der Männer einen Stuhl auf den Rücken des anderen zertrümmert. Stöhnend krümmte er sich am Boden und versuchte langsam aufzustehen. Die blutunterlaufenen Augen zeigten, dass dem hochprozentigen Alkohol schon reichlich zugesprochen war. Schwankend standen sich beide gegenüber und starrten sich hasserfüllt an. Wie ein verwundeter Stier brüllend, rannte der vom Stuhl getroffene los und rammt seinen Kopf in den Magen seines Gegners. Beide Männer prallten gegen einen mannshohen Spiegel, der splitternd zersprang. Madam Bofrait kreischte auf. Mehrere Mädchen hatten sich hinter ihrem Rücken versammelt und starrten fasziniert in das zertrümmerte Zimmer. Einer der Männer rappelte sich unter dem Scherbenregen auf und zückte mit zittrigen Händen ein Messer. "Aufhören", brüllte Porthos und seine Stimme hallte im Zimmer wieder. Die Kontrahenten glotzten ihn mit dumm-idiotischen Ausdruck auf den Gesichtern an. "Wer b-bbbist du?" fragte einer von ihnen lallend. "Dein schlimmster Alptraum, Freundchen", gab Porthos wieder. "Isch b-bbin nischt dein Freund." "Er ist Musketier", wagte Madam Bofrait, angesichts ihrer zertrümmerten Einrichtung, einzuwenden. Der Gedanke, das Ende der Nacht in einer Arrestzelle verbringen zu müssen und die noch erschreckendere Erkenntnis, dies ihren wütenden Ehefrauen erklären zu müssen, wirkte ernüchternd, wie ein Fass Wasser und ein dunkelschwarzer Kaffee. Die Gegenwart der Musketiers bewirkte, dass der Kampf allmählich nachließ und die Teilnehmer versuchten möglichst unschuldig zu wirken. "Messer? Welches Messer? Oh, dieses Messer? Ich wollte es nur meinem Freund hier zeigen, nicht wahr ... Freund?" Unter Porthos strengen Blick, ließen sie bei Madam Bofrait alles zurück, was sie an Barschaft besaßen und versprachen wiederzukommen, um den Schaden zu bezahlen. Sichtlich bedrückt zogen sie ab. Strahlend schmiegte sich die Bordellmutter an ihren starken Helden. Porthos konnte es nicht vermeiden, wie ein Honigkuchenpferd zu grinsen. "Ich danke Euch, Monsieur." Ihre manikürten Finger strichen bewundernd über Porthos Oberarme. Mit anerkennend hochgezogener Braue maß sie die Muskelschicht unter dem dünnen Stoff seines Wams. Wenn Porthos die Oberarme anspannte, mussten die oberen Bizeps beiseite weichen, um den unteren Platz zu lassen. "Dafür sind wir Musketier da, Madam." Die herumstehenden Mädchen kicherten. "Aber sind Musketiere nicht für den Schutz des Königs verantwortlich?" "Der König schützt sein Volk, Madam und damit letztendlich auch wir", sagte Porthos und sonnte sich in der Woge der weiblichen Aufmerksamkeit. "Wer ist denn nun Angelique?" Madam Bofrait seufzte schwer. "Sie ist nicht direkt eines meiner Mädchen", erklärte sie. "Angelique arbeitet nur ab und zu in meinem Bordell." Sie rang hilflos die Hände. "Der Teufel weiß, wo sie sich sonst herumtreibt. Vielleicht ist sie bei Tage eine brave Bürgerfrau oder die Mätresse eines Mannes. Vielleicht will sie ihre Haushaltskasse aufbessern oder benötigt mehr als nur die Zuwendung EINES Mannes. Mir soll es recht sein. Dieses Mädchen hat das Gesicht eines Engels und den Körper einer Göttin. Ihr seht, wie tollwütig sich die Freier wegen ihr benehmen. Sie bringt mir gutes Geld. Selbst in den wenigen Stunden, die sie hier arbeitet." Die Hure tätschelte Porthos Hintern. "Glaubt mir, Monsieur Porthos, wenn Ihr sie sehen würdet, würdet Ihr schon wieder zu Kräften kommen. Kein Mann kann ihr widerstehen." Porthos seufzte und entsann sich an einen Freund, der im anderen Land verweilte. "Darauf würde ich es gerne ankommen lassen, Madam", sagte er. "Seid Ihr fertig mit Euren Ermittlungen, Monsieur?" "Eins noch, Madam!" Porthos zog ein arg in Mitleidenschaft genommenes Blatt Papier hervor und entfaltete es. "Kennen Sie diesen Mann, Madam." Madam Bofrait kniff die Augen zusammen und beugte sich näher. Sie nickte. "Er war öfters hier. Ist er das, der Tote von Saint Antoine?" "Ja. Ich danke Ihnen. Sie sind die erste Spur, die wir haben." Madame Bofrait lachte leise und senkte die Stimme verheißungsvoll. "Ich danke Euch, Monsieur. Ich danke Euch! Seid Ihr sicher, dass Ihr zu erschöpft seid? Ich verspreche Euch Entspannung in höchsten Maßen. Ihr müsstet rein gar nichts tun." "Ich nehme Sie beim Wort, Madam!" Wenig später quietschte eines der Bettgestelle sein gewohntes Lied in höchst entspannender Weise und Madam Bofrait bewies, dass sie Wort hielt. Porthos dachte noch daran, dass er mit seinem Kapitän über die Rückerstattung seiner Spesen sprechen musste, dann gab er das Denken auf. Kapitel 13: Ball in Whitehall ----------------------------- Die aberhundert Kerzen in den schweren Goldleuchtern erhellten den langen Saal in seiner ganzen Pracht. Der Parkettboden, durch unzählige Hände auf Hochglanz poliert, glänzte. Gestalten in farbenprächtigen Stoffen wie Brokat, Atlas, Seide und Damast wirbelten durch den Raum, redeten und lachten. Im Schatten der riesigen Säulen aus importiertem roten Marmor warteten aufmerksam und schweigend die Dienerschaft, im einheitlichen Livree, bereit den Gästen jeder Zeit, jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Auf einer Plattform ruhten die Throne ihrer Majestäten. Karl I. hatte ein Bein angewinkelt, dass andere ausgestreckt und sah gelangweilt auf seinen tanzenden Hofstaat nieder. Er war unverkennbar ein Stuart. Die gleiche dunkle Haut, das gleiche dunkle Haar, dazu das typische Stuartkinn. Eigensinnig, stolz und engstirnig. Neben ihm saß seine Frau Henrietta, Schwester von Ludwig XIII; ehemalige französische Prinzessin. Sie war jung, gerade erst vermählt, in einem fremden Land und der Verhandlungsgegenstand eines Länderbündnisses. Verloren und unsicher saß sie neben ihrem kraftstrotzenden Gatten, umgeben von Angehörigen eines Volkes, welches 100 Jahre lang Krieg gegen das ihre geführt hatte. Neben dem leblosen Abbild einer barbusigen Göttin in Marmor stand Aramis. Schweigend beobachtete sie die Tänzer. Ihre blonden Locken waren mit unzähligen Nadeln auf dem Kopf gesteckt worden, die ihr jetzt entsetzlich zu schaffen machten. Als eine der wenigen Frauen verbarg sie ihren Körper hinter einem hochgeschlossenen Kleid, aus nachtblauem Bokat mit goldener, silberdurchzogener Spitze an Kragen und Ärmeln. Selbst ältere Matronen zeigten faltige Dekolletes, umrahmt von kostbarer Spitze. Im Saal war es erdrückend heiß und laut ... und dennoch, die Eleganz des Adels, die Anmut der Tänzer, das Gelächter und die heitere Stimmung nahmen sie in ihren Bann. Mit ihrem Stil, ihrer Bildung und ihrem Reichtum machte der Hofadel das Leben zu einem strahlenden Fest, bei dem ihre Gäste nur darauf achten mussten, den Giftbecher zu meiden. Aramis stand alleine. Die anderen Höflinge behielten immer einige Meter Abstand zu ihr. Wenn sie sich ihnen näherte, schwiegen sie und verbargen die gepuderten Gesichter hinter breite Fächer oder einer Maske aus Ablehnung. Man maß ihre Gestalt mit scheelen Blicken. Sie sei komisch flüsterte man und dann vergaß man sie. Ihr Fuß klopfte den Takt der Musik mit. Bisher hatte sie niemand zum Tanzen aufgefordert, was Aramis keineswegs bedauerte. Sie war eine ausgezeichnete Reiterin, sehr gut im Umgang mit dem Degen und außergewöhnlich mit Bogen und Schusswaffe, aber es mangelte ihr an Talent zum Tanzen. Aus irgendeinem Grund bewegten sich ihre Füße beim Fechten selbstsicher und anmutig. Beim Tanzen waren sie sich selbst im Weg. Das Flüstern ringsherum verstummte. Die Augen der Höflinge starrten der eleganten Gestalt Lord Corday's hinterher, welche mit federnden Schritten auf Aramis zusteuerte. Ein anziehendes Lächeln lag auf seinen Zügen und es galt keiner der umstehenden Frauen, sondern ihr, der Unbekannten aus Frankreich. "Comtesse!", Corday verbeugte sich knapp. "Lord!" Sie sahen einander wortlos an. Aramis Augen folgten den Höflingen, die noch immer mit offenen Mündern dastanden wie vom Donner gerührt. Lord Charles Corday bekleidete anscheinend eine sehr hohe Position am Hofe. Sie wollte sich mit einem letzten Nicken zum Gehen abwenden, als sie ein Ziehen am Rocksaum spürte. Corday stand auf ihrer Schleppe. "Ihr steht auf meiner Schleppe." "Ich weiß!", erklärte er gleichmütig. "Ich möchte gehen! Nehmt Ihr gütigst Euren Fuß herunter", stieß sie erbost hervor. "Nein, deshalb stehe ich ja auf Eurer Schleppe. Ah ...", Corday's Augen glitzerten beunruhigend, "der Tanz ist zu Ende! Kommt und tanzt mit mir!" Er umfasste ihr Handgelenk. Aramis schnappte erschrocken nach Luft. "Oh nein, das könnt Ihr nicht von mir verlangen!" "Ich fürchte, liebste Comtesse, so großzügig bin ich nicht." "Aber ich tanze nicht, Sire. Ich habe niemanden einen Tanz versprochen." Aramis wand sich wie eine Schlange in seinen Armen. "Natürlich nicht", erwiderte Lord Corday ruhig, "sonst könntet Ihr ja nicht mit mir tanzen", sagte er und steuerte, ohne ihr Widerstreben zu beachten, die Tanzfläche an. Einen Moment lang gab es ein Durcheinander. Die Höflinge sprangen hektisch beiseite oder versuchten unbeteiligt zu wirken. "Ich habe mich vielleicht nicht verständlich genug ausgedrückt, Euer Gnaden, aber ich möchte wirklich nicht tanzen", flehte Aramis, doch Lord Corday lächelte nur unergründlich und führte sie mit seiner gewohnten Überheblichkeit an die Spitze der Formation. "Wollt Ihr diesen wundervollen Ball hinter einer Statur verbringen? Merkt Ihr es nicht? Es liegt etwas Unergründliches in der Luft!" "Es wird Kälte genannt", erwiderte Aramis bissig. Ihr blieb nichts anderes übrig, als zu bleiben. Lord Corday allein zurück zu lassen hätte nur bewirkt, dass das Geflüster zunehmen würde. Sie zwang ihre verkrampften Gesichtszüge zu einem Lächeln. Die ersten zarten Töne der Violine ertönten. Vor Wut innerlich kochend knickste Aramis. Lord Corday verneigte sich spöttisch. Seine Lippen zuckten amüsiert. Er lächelte immer noch, als die Schritte des Tanzes sie zusammenführten. Aramis erwiderte sein Lächeln und trat ihm mit aller Kraft auf den Fuß. Sein Grinsen verschwand. Sie trennten sich. Aramis tippelte um ihn herum und trat ihm geschickt gegen das Schienbein. Lord Corday zog hörbar die Luft ein. "Das habt Ihr mit Absicht getan!", zischte er. Aramis lächelte süß, senkte verführerisch die langen Wimpern und trat erneut zu, direkt ans Fußgelenk. Corday's Miene verzog sich finster, aber Aramis war viel zu wütend, um Vernunft anzunehmen. Sie drehten sich gemeinsam. Lord Corday umfasste ihre Hand, zog sie näher und trat ihr wuchtig auf die Zehen. Ihr Lächeln gefror. Sie unterdrückte einen Aufschrei, versetzte ihm aber geistesgegenwärtig einen weiteren Tritt gegen das Schienbein. Der Lord ächzte und trat ihr erneut auf die Zehen. Der wilde Ausdruck in seinem Gesicht verhieß nichts Gutes, doch zur Aufgabe oder Einsicht, fehlten Aramis die nötigen Charaktereigenschaften. Sie hatte selten zuvor solch eine Genugtuung empfunden, wie das malträtieren von Charles Corday's Füßen. Als die Musik endlich verklang, herrschte im Saal Stille. Eine Stecknadel hätte herunterfallen können und jeder hätte es gehört. Alle Augen waren auf sie gerichtet. Ihre Mittanzenden sahen sie schockiert an. Jemand räusperte sich und das Leben floss zurück in die erstarrte Hofwelt. Mit dem verbliebenen Rest an Eleganz humpelten beide, im frostigen Schweigen, von der Tanzfläche. Wortlos ließ er sie wieder neben ihrer Statur stehen und verbeugte sich knapp, dann war er verschwunden. Verstohlene Augen hinter Fächern, heimliche Blicke über die Schulter, versteckte Augen aus dem Schatten folgten ihr. Aramis war es gleich. Sie zitterte vor Wut. Wie konnte er es wagen? Hatte sie nicht deutlich genug ihren Standpunkt vertreten und verneint? Die Fußtritte hatte er sich, anmaßend und selbstüberschätzend wie er war, selbst zuzuschreiben. Ihre Zähne knirschten leise. Sollten sie nur hinter vorgehaltener Hand tuscheln und flüstern, diese Adligen, ehrgeizigen Parasiten eines Königs und seiner Regierung. Sicher war es aufregend am Königshof zu sein. Jeder andere hätte seinen recht Arm dafür gegeben, in die schillernde und reiche Welt von Whitehall eintauchen zu dürfen, aber sie war nicht wie die anderen. Ihr Leben war bei den Musketieren. Was ursprünglich nur als Mittel zum Zweck für ihre Rache gedacht war, hatte sich als ihre wahre Berufung herausgestellt. Hier fühlte sich Aramis wie ein wildes Tier, das eingesperrt und von allen Seiten begutachtet wurde. Etikette, Vorschriften und Ethik waren die Stäbe ihres Käfigs. In Frankreich musste sie sich hinter Maskerade und Vorsicht verstecken, aber da war das Gefühl der Freiheit und Eigenständigkeit gewesen. Herrliche, köstliche Freiheit, auf die sie mehr wert legte, als auf Prestige und Vermögen. Der Preis war nicht zu hoch, das hatte sie die letzten 7 Jahre gelehrt. Ihre Wut auf den Kardinal wuchs. Sie fühlte sich verraten, - verraten und verkauft. Ihr Zorn auf ihn wurde fast übermächtig. Sie war wütend über sich selbst, wütend über ihre Machtlosigkeit und das Gefühl der Nutzlosigkeit. Schlimmer noch war die Einsamkeit. Außer Sophie hatte Aramis niemanden hier. Während ihre Zofe sich mit den zahlreichen Bediensteten des Hofstaates unterhielt, mied man die junge Comtesse. Aramis gehörte nicht nach England, nach London, mit seinem kalten Klima und seinen steifen Menschen. Sie war noch ein junger Mensch. Trotz großer Schicksalsschläge hatte der Schutzpanzer ihres Herzens noch nicht die Härte eines langen Menschenlebens und ihr Herz sehnte sich nach Hause. Eingezwängt in einem engen Paar unbequemer Damenschuhe, schmerzten ihre lädierten Füße unerträglich. Unbehaglich verlagerte Aramis das Gewicht von einem Bein auf das andere und fasste für sich den Entschluss England den Rücken zu kehren. Seit knapp einem Monat war sie hier, ohne Graf de Meyé überhaupt gesehen zu haben. Selbst wenn sie dem Diplomaten begegnete, wie sollte sie an ihn herankommen und ihn unschädlich machen? Was hatte sich der Kardinal dabei gedacht? Monsieur Broussard hatte sich als unfähig herausgestellt und das Schreiben des Königs als nutzlos. Der Graf war noch nicht einmal auf diesem Ball anwesend. Sie atmete tief durch und wurde sich den Grenzen ihres Korsetts erneut bewusst. Es wurde Zeit, dass sie zurück nach Hause fuhr. Unweit von ihr saß auf einem vergoldeten Thron ein junge Königin und teilte ganz ähnlich Gefühle, wie ihre zornige Untertannin. Aramis Blick glitt zu den beiden Thronsesseln. Graf de Meyé hatte doch noch den Saal betreten und näherte sich zielgerichtet dem König. De Meyé war ein untersetzter Mann von rund vierzig Jahren. Sein Ehrgeiz quoll ihm förmlich aus jeder seiner Poren. Seine dunklen Augen spiegelten den eisernen Willen wider, seine Macht und seinen Reichtum mit allen Mitteln der Macht zu vergrößern. Sein Weg nach oben war gepflastert mit Leichen, Lügen, Korruption, Amtsmissbrauch und Bestechung. Sein zielstrebiges Auftreten vor dem König, gab seine Selbstsicherheit zu erkennen. De Meyé hatte kein Gewissen, das ihn unnötig belastete. Aramis beobachtete ihn aufmerksam, als er mit dem König sprach und einige wenige Worte an die Königin richtete. Unbewusst näherte sie sich dem Thron. Vergessen waren die schmerzenden Füße und die Demütigung durch Corday. "Fasziniert Euch der König so sehr, dass Ihr es nicht wagt, für eine Sekunde die Augen von ihm zu wenden?", fragte ein allzu bekannter Männerbass in ihrem Rücken. Erschrocken fuhr Aramis zusammen. "Was wollt Ihr hier?" entfuhr es iher. Der Lord hob eine Augenbraue. "Ich bin auch geladen, schon vergessen?" "So meinte ich das nicht. Warum folgt Ihr mir?", wandte Aramis ärgerlich ein. "Ich folge Euch nicht. Ich stehe schon seit geraumer Zeit hier. Wenn Ihr Eure Aufmerksamkeit auf mehr als nur den König richten würdet, dann hättet Ihr mich gesehen." Aramis beachtete Corday nicht weiter und richtete wieder ihre Aufmerksamkeit auf den französischen Diplomaten. Dieser sprach gerade mit dem russischen Abgesandten. "Verzeiht, dass ich Euch zum Tanzen gezwungen habe, Renée!", sagte Corday und lächelte unglücklich, als er ihren unwilligen Gesichtsausdruck sah. "Schon gut", erwiderte Aramis und behielt weiterhin de Meyé im Auge. "Waffenstillstand, Comtesse?" Widerwillig löste sie den Blick und sah Corday an. "Vorrausgesetzt, Ihr zwingt mich nicht wieder zum Tanzen!" Seine Gnaden sah wissend auf seine Schienbeine herab. "Ganz sicher. Ich weiß jetzt, wie schmerzhaft es ist, Euch zu widersprechen. ... er ist auch nur ein Mann", sagte er leise, in der Annahme, Aramis beharrliche Aufmerksamkeit gelte dem König. "Zwar ein Mann mit erheblicher Macht, doch unter seiner Königswürde auch nur ein Mensch." Ärger und verletzter Stolz schwangen in seiner Stimme mit. Bisher hatte sich Corday noch nie um eine Frau bemühen müssen. Charles sonnt sich viel zu sehr im weiblichen Wohlwollen. Die Frauen kamen zu ihm, nicht er zu ihnen - nur diese nicht. War es das, was ihn zu ihr hinzog? Seine Eitelkeit erlitt einen herben Rückschlag. Noch immer beachtete die junge Comtesse ihn nicht, sondern verfolgte das Geschehen am Podest. "Ist es das was Ihr wollt? Wollt Ihr die Beachtung des Königs, Reneé?" "Wer ist der Mann, mit dem sich Graf de Meyé unterhält?", fragte Aramis, ohne ihm zugehört zu haben oder den Blick abzuwenden. "Der Herzog von Monmouth." "Und der andere Mann?" "Der Earl of Rochester", sagte Corday finster. Am Hofe gab es folgende Regel: Wer eine Dame zuerst sah und ihr den Hof machte, dem wurde der Vortritt gewährt. Im Straßenjargon ausgedrückt, vermittelt sie folgende Botschaft: dies ist meine und das ist deine; wenn du anrührst, was mir gehört, dann hau ich dir die Hucke voll. Nur das seine Herzensdame ihm weglief. Corday nahm an, dass Aramis am König interessiert war. Karl I. war jung, gutaussehend und besaß ein ganzes Königreich. Er war niemand, mit dem man konkurrierte. "Ist es das wirklich, was Ihr wollt?", fragte er erneut. Mit finster zusammengezogenen Augenbrauen umfasste er Aramis Ellenbogen und schob sie in Richtung Thron. Ehe Aramis sich versah, fand sie sich vor dem König wieder und versank in einem tiefen Hofknicks. "Charles!" Die dunklen Augen seiner Majestät sahen gutgelaunt den jungen Lord an, dann die unbekannte Frau an seiner Seite. "Majestät, dies ist Renée de Mystérieuse. Sie ist erst seit wenigen Wochen in England", stellte sie Corday seinem König vor und ließ endlich ihren Arm los. Karl I. musterte sie interessiert. "Willkommen an meinem Hof, Comtesse." Corday gab ihr einen Stoß. "Danke, Eure Majestät", erwiderte Aramis verhalten und wich wieder zurück. "Das war eine interessante Vorstellung, die Ihr uns gegeben habt." "Äh .... danke, Eure Majestät", erwiderte Aramis, ohne zu wissen, was sie mit der ungewollten königlichen Aufmerksamkeit anfangen sollte. Corday stieß sie ungeduldig im Rücken an, doch sie blieb weiterhin reserviert. "Pflegt Ihr immer so zu tanzen?" Die Augen blitzten spöttisch. Sie ruhten wohlwollend auf ihren Gesichtszügen, dann glitten sie ihren eingeschnürten Körper erhab und das Interesse erlosch. "Kommt Ihr aus Paris, Madam?", fragte eine zarte, aber melodische Stimme zu ihrer Rechten. Aufatmend wendete sich Aramis der eingeschüchterten Königin zu. "Ja, Majestät. Ich komme aus dem Louvre." Dies stimmte sogar, wenn auch anders, als es sich die Königin vorstellen konnte. "Wie geht es meinem Bruder", Henrietta räusperte sich betreten, "... Brüdern?" Aramis lächelte warm. "Euren Brüdern geht es sehr gut, Majestät. Als ich Frankreich verließ ... ." Sie sprach sehr lange mit der Königin und mit dem königlichen Interesse adelten sie die namen- und beziehungslose Comtesse. Die unsichtbaren Leitern der komplexen Hierarchiewelt des Adels hatten sich zu Aramis Gunsten verschoben. "Warum seid Ihr vor Karl zur Salzsäule erstarrt", fragte Corday. Die ersten Morgenstunden waren angebrochen, als der Ball endlich endete. Aramis unterdrückte ein Gähnen. Die Hoffnungslosigkeit der letzten Stunden war vorerst vergessen. "Es kam alles ein bisschen plötzlich", sagte sie und drehte sich weg, um dann doch zu gähnen. "Aber Ihr wolltet doch in seine Nähe? Warum habt Ihr nicht die Gunst der Stunde genutzt, um ihm schöne Augen zu machen?", sagte der Lord verärgert. Verwundert wendete sich Aramis ihm wieder zu. "Warum sollte ich das tun? Oh, ... ", sie lächelte wissend. "Ihr glaubt, ich will in das Bett des Königs? Vielleicht ein anderes mal. Gute Nacht, Lord", lachte sie und ließ den reichlich verdutzten Corday stehen. Sie hatten Waffenstillstand geschlossen. Hätte Aramis für Charles Corday ein zweites Wort benötigt, um ihn zu beschreiben, so hätte sie charmant oder sympathisch verwenden müssen, aber sie bedachte Corday nicht mit einer zweiten Beschreibung. Doch ohne Lord Corday hätte sie es nicht in die unmittelbare Nähe der Königin geschafft. Vielleicht kam sie ihrer Aufgabe doch etwas näher. Die Namen Monmouth und Rochester würde Aramis sich jedenfalls merken. Am nächsten Tag um die Mittagszeit erreichte die Nachricht die völlig verblüffte Sophie, dass ihre abwesende Herrin umzuziehen habe. Die Kammern beim Oberkämmerer sollten geräumt werden. Sophie schüttelte verständnislos den Kopf und beklagte den Umstand einer Herrin zu dienen, die ihr Temperament nicht zügeln konnte. Zwei Pagen betraten ihre bisherige Bleibe und nahmen die beiden schweren Reisetruhen auf. Jetzt hieß es Whitehall verlassen. Man würde sie mit Schimpf und Schande nach Hause schicken und dort unter dem Mantel der Demütigung empfangen. Dabei war Aramis doch von Adel und müsste wissen, wie man sich bei Hofe benahm. Als Musketier hatte sie schließlich auch steht's Diskretion bewahrt und sich durch ein souveränes Auftreten ausgezeichnet? "Au revoir Miss Hamitlon." "What?" Miss Hamitlon hob verständnislos den Kopf mit der weißen Leinenhaube. "AU REVOIR, MISS HAMITLON", schrie Sophie und ließ sich von dem allgemeinen Irrglauben leiten, wenn sie nur laut und langsam sprach, würde jeder Ausländer ihr Sprache verstehen. "WIR GEHEN LEIDER SCHON." Die Ehegattin des Oberkämmerers schüttelte verständnislos den Kopf und rieb sich das Ohr. Sophie's Fußtritte halten über den stillen Flur, als sie ihnen mit gesengtem Kopf folgte. Wehmütig dachte sie an ihre neuerworbenen Freunde zurück. Das Küchenmädchen, die Waschmägde, Lady Charlottes Zofe und zwei leuchtend braune Augen im bartlosen Gesicht des Stallburschens. Um so größer war ihre Verblüffung, als sie hinter den Pagen die zahlreichen Treppen von Whitehall erklomm und tiefer in den Palast vordrang. Vor ihr erstreckten sich die zahlreichen Zimmerfluten der Höflinge. Auch hier herrschte nur wenig Raum für den übergroßen Hofstaat des Königs, aber man lebte unter sich und nicht in der Nähe der Bürgerlichen. Achselzuckend schloss sie die Tür hinter sich und sah sich in ihrem neuen Zuhause um. Aramis schien doch etwas vom Leben am Hofe zu verstehen. Sophie grinste breit. Auf jedem Fall erreichte sie mehr, als Monsieur Broussard. Eins zu Null für den Musketier aus Paris. Kapitel 14: Die Frau auf dem Dach --------------------------------- Finster starrte Athos zu den Männern im roten Waffenrock des Kardinals vor der kleinen Kirche. Das schmucklose, heruntergekommene Gebäude fügte sich nahtlos in die Reihe der kargen Lehmziegelhütten entlang der schmalen Gassen, aus denen der Gestank nach Abfällen und menschlichen Exkrementen entgegenwehte. In den Randvierteln von Paris herrschte Armut, Hunger, Krankheit und Hoffnungslosigkeit. Das Elend, mit denen die Menschen Tag für Tag konfrontiert waren, ließ keinen Platz, um sich um einen Toten zu scheren. In jedem anderen Teil von Paris scharrten sich die Bürger neugierig und mit dem feinen Geruch von Blutgier und Sensationslust in der Nase um ein Mordopfer. Der Anblick des Gesetzes, durch die roten Uniformen, ließ die Menschen hier reißaus nehmen. Porthos knackte grimmig seine Handknochen. "Wie können sie uns ausschließen? Von wegen ,Zutritt verboten'! Aus dem Weg ihr Memmen!" "Genau", pflichtete ihm D'Artagnan bei und zog seinen Degen. "Kämpfen wir uns den Weg frei. Die Untersuchung ist unser", schrie er mit glänzenden Augen. "Nein!" Athos hielt sie zurück. "Das wird nur unnötig Ärger geben." "Schade!" Sichtlich bekümmert ließen seine Freunde die Schultern hängen. Es gab schon lange keinen guten Kampf mehr. "Wir wissen was wir sehen würden", fuhr Athos fort. "Ein Toter und jede Menge Blut. Nur dieses Mal kennen wir das Opfer." "Ich bin Dr. Porte gestern Abend gefolgt. Er ist sicher zu Hause angekommen", verteidigte sich D'Artagnan. Athos verschränkte die Arme vor der Brust und sein Gesicht verdüsterte sich noch mehr. "Das ist kein Zufall und es ist so sicher, wie das Amen in der Kirche, dass der Mörder von Dr. Porte ein anderer ist. Dr. Porte wusste zuviel. Man bringt ihn um und schiebt die Schuld dem Mörder von Saint Michel und Saint Antoine in die Schuhe." Stirnrunzelnd sah er den Wächtern zu, wie diese eine Kette bildeten und Eimer mit klarem Wasser durchreichten, während andere Eimer mit blutig-schmutzigem Wasser ihren Rückweg antraten. Die Botschaft war verwischt und unleserlich, aber immer noch da. "Allerdings haben sie die Orthographiefehler in den letzten Botschaften übersehen. Sie haben die letzten Morde nur nachgestellt und waren dabei besser, als der ursprüngliche Mörder." "Soll ich wieder ,mit Nachdruck' nachfragen?", fragte Porthos. "Nein!" Unbewusst nahm D'Artagnan die gleiche Haltung an wie sein älterer Freund und zog nachdenklich die Augenbrauen zusammen. Porthos grinste innerlich. Auch Aramis hatte zuweilen unbewusst die Haltung und Mimik von Athos angenommen. Sein Freund fehlte ihm. Er war das Bindeglied zwischen ihm und Athos. "Rochefort verweigert uns die Mitarbeit an Dr. Porte's Tod. Steckt der Kardinal wirklich hinter der Vertuschung der Morde?" Porthos nickte. "Wahrscheinlich. Sie strengen sich mächtig an, unsere Rotröcke. Hat er vielleicht die ersten beiden Morde beauftragt?" "Das glaube ich nicht", wandte Athos ein. "Soweit würde er nicht gehen. Lasst uns Dr. Porte's Haus ansehen! Der Kapitän muss mit dem König sprechen, dass wir die Mordfälle weiterhin untersuchen können." Also gut, noch einmal von vorn ... Athos begann die Fakten zusammenzufügen, bis sie ein einheitliches Bild ergaben. Darauf kam es an. Seine Puzzleteile bestanden aus drei Leichen, Botschaften aus Blut, den Spuren einer Liebesnacht sowie die wirre Aussage eines vor Angst halb wahnsinnigen Mannes. Erneut hatte er das Gefühl, vor einer wichtigen fundamentalen Erkenntnis zu stehen. Sie hatten Dr. Porte's Haus untersucht. Man hatte sie nicht an der Ermittlung gehindert, aber die Männer des Kardinals waren schon vor ihnen dort gewesen und hatten, wenn es jemals Spuren gegeben haben sollte, alles vernichtet. Unverrichteter Dinge kehrten sie zum Musketierquartier zurück. Zur rechten Seite erstreckte sich der Louvre an der Seine. Vor dem Haupttor herrschte eine dichtes Gedränge. Viele Menschen hatten sich vor dem Palast des Königs eingefunden. Eine Hälfte, um sich zu beschweren, die andere Hälfte, um die erste Hälfte zu beobachten. Das Geschrei hallte die breite Allee entlang. Angst und Unsicherheit sprach aus ihr. Vor dem Musketierquartier standen sie ebenfalls. Mit Mühe und Not hielten de Treville's Männer sie zurück. Die drei Freunde schoben sich durch die Menge und gelangten auf den Innenhof. Wütende Stimmen begleiteten ihren Weg. D'Artagnan stöhnte gequält. "Meine Güte, vor dem Palast des Kardinals wird es wohl ganz ähnlich aussehen." Unsicher sah sich der junge Mann um. Athos nickte nachdenklich und dachte finster daran, dass seine Eminenz, der Kardinal, mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit nicht unglücklich über die Entwicklung war. Richelieu würde alles nutzen, um eine Kriegserklärung gegen La Rochelle anzutreiben. Es war ein offenes Geheimnis, dass der Kardinal den letzten protestantische Fluchtpunkt als Schandfleck betrachtete. Würde der König einem Angriff stattgeben, jetzt da sich die Angst und der Zorn seines Volkes mit dem Machteinfluss des Kardinals vereinigte? Ludwigs Macht stand auf wackligen Beinen, unter dem zentnerschweren Gewicht von Richelieus Einfluss. Sie hatten gerade das Hauptportal passiert, als ihnen drei Musketiere entgegentraten. Die drei, eher mittelmäßige Musketiere, sofern man dies von de Treville's Elitetruppe sagen konnte, stellten sich vor die Haupttreppe und versperrten ihnen den Weg. "Wir wollen mit Euch sprechen." Ihre blauen Waffenröcke waren zerknittert und fleckig, die Gesichter wiesen Spuren von Schmutz und Kratzern auf. Auf ihren Zügen lag ein entsprechend grimmiger Ausdruck, der fast an Hass grenzte. "Was ist los, Claude?" Mit hochgezogener Braue maß Porthos seinen Gegenüber. "Warum übernehmt ihr die Ermittlung in den Mordfällen?" "Weil wir den Kapitän darum gebeten haben, die Ermittlung übernehmen zu dürfen", erwiderte Athos ruhig. "Das ist ziemlich anmaßend von Euch." "Das hat allein der Kapitän zu entscheiden", entgegnete Porthos und wollte den Musketier beiseite schieben. Claude schob ihm den Degen quer vor die Mitte. Um seinen Angriff zu entkräften, hielt er das Schwert an der Schneide und schob dem Koloss das Griffende entgegen. "Ihr spielt Euch schon wieder in den Vordergrund", klagte er und maß die drei mit provokantem Blick. "Warum glaubt ihr eigentlich, etwas besseres zu sein, als wir anderen, dass ihr euch dauernd zu Sonderaufträgen aus dem Staub macht? Das passt uns nicht, das passt uns ganz und gar nicht." "Darum du Streithammel!", knurrte der Koloss gereizt und wollte die Diskussion als beendet betrachten. "Wir sind doch alle Musketiere. Warum suchst du Streit, Claude?", warf D'Artagnan ein. "Sei still, Kleiner!" Der grimmige Ausdruck in den Gesichtern der Musketiere verstärkte sich. "Während ihr euch erdreistet Polizeiarbeit zu übernehmen, mussten wir uns der Menge stellen!" "Ihr tragt ja noch nicht einmal eure Uniform!" Athos hob beschwichtigend seine Hände. Es konnte nicht angehen, dass sich Musketiere untereinander stritten. Der Zusammenhalt war eines der größten Stärken der Musketiere. Einer der Gründe, weshalb sie der Garde des Kardinals überlegen waren. "Beruhigt Euch jetzt! D'Artagnan hat recht, wir sind alle Musketiere." "Anscheint einige bessere als andere", ereiferte sich ihr Wortführer. "Ganz recht, du Großmaul!" Wütend ballte Porthos die Hand zur Faust, dass die Handknochen knackten. Mahnend legte Athos seinem Freund die Hand auf den Arm und warf D'Artagnan, der seinen Degen ziehen wollte, einen unerbittlichen Blick zu. Durch den Lärm angelockt, kamen noch weitere Kollegen herbei. "Hört auf, keiner ist besser, als der andere! Wir alle stehen im Dienst ..." "Spar dir deine Reden, Athos!", unterbrach ihn Claude ungehalten. "Du, Porthos und Aramis, ihr habt euch schon immer ausgeschlossen und jetzt kommt der Grünschnabel hinzu ..." "... wen nennst du hier Grünschnabel?" "... jetzt arbeitet ihr nicht einmal mehr mit uns zusammen", fuhr er wütend fort. "Aramis ist schon weg und nun habe ich diese Woche schon zum dritten Mal eine eurer Schichten übernehmen müssen!" Betreten schwieg Athos. Sanft aber bestimmt drückte er Claude's Arm mit der Waffe nieder. "Der Kardinal hat alle Untersuchungen durch uns unterbunden. Es wird vorerst keine Ermittlungen geben!", sagte er. In Claude's Zügen rangen Einsicht und Trotz miteinander. Noch wollte er an seinen Zorn festhalten. "Was ist denn hier los?" Ehrerbietig erschien der Kapitän am Treppenende. "Was haltet ihr hier maulaffenfeil? Habt ihr nichts zu tun? An die Arbeit, aber schnell!", bellte er. Sekunden später hatte sich die Musketiertraube am Treppenfuß zerstreut. Nachdenklich sahen sich Athos, Porthos und D'Artagnan an. "Was soll das?" Die anderen zuckten verständnislos die Schultern. Piere, der junge Musketieranwärter, kam langsam um die Ecke. Sein bartloses Jungengesicht war zerkratzt und seine Stirn zierte eine frisch verarztete Platzwunde. Aramis ehemaliger, zwangsrekrutierter Sonderermittler schlürfte den Gang entlang, mit dem rückratlosen Gang der Halbstarken. "Piere, was ist hier los?" Fragend blickte er auf. "Oh, Athos? Hier war mächtig was los. Die Menschen sind wie wahnsinnig. Das hättet ihr sehen sollen! Sie hätten fast das Hauptgebäude gestürmt, wenn der Kapitän nicht in die Luft geschossen hätte." "Und das?" D'Artagnan wies auf die Blessur auf seiner Stirn. Der Junge seufzte. "Sie haben mich einfach überrannt. Wann kommt Aramis wieder?" "Bald, Piere." Piere nickte kummervoll "Es ist nur ... der Kapitän hat mir niemanden mehr zur Seite gestellt und ich ... meine Degenführung ist längst noch nicht ausreichend und ... der Kapitän verliert so schnell die Geduld mit mir." Seufzend und mit hängenden Schultern schlurfte er weiter, um sich um das Pferd des Kapitän zu kümmern. Seufzend, sich reckend und sein Kreuz durchdrückend, betrat Porthos einen der Musketierräume. Sein Unterkiefer knackte beim Gähnen. Schweigend betrachtete er seinen Freund. Athos saß, das Kinn aufgestützt, nachdenklich aus dem Fenster sinnend, am Tisch. Die Stirn des Musketiers lag in tiefen Falten. Porthos hatte seinen Freund in letzter Zeit zu häufig in dieser Pose angetroffen. Zwar zog sich Athos öfters in seine Gedankenwelt zurück und war der Ruhigste unter seinen Freunden, aber dieser Zustand weilte schon zu lange. Sofern die Leidenschaft für die Mordfälle ihn verließ und Ruhe einkehrte, fiel Athos in diesen schwermütigen Zustand. "Kommst du? Gehen wir nach Hause." Athos erwachte aus seiner Lethargie und schüttelte bedauernd den Kopf. "Doppelschicht." "Du nimmst dir doch nicht das dumme Geschwafel von Claude zu Herzen? Er ist ein Mistkerl." Athos schüttelte abermals den Kopf. "Ich gehe heute abend zu Madam Bofrait. Kommst du mit?", fragte Porthos. "D'Artagnan begleitet Constance zu ihrem Vater. Wir sind heute Nacht nur zu zweit." Athos zuckte unbestimmt die Achseln. Er hatte lange nicht mehr die Gunst einer Frau genossen, aber seine Gedanken weilten längst nicht mehr bei den namenlosen Schönheiten unter seinen Verehrerinnen oder den Damen des käuflichen Gewerbes. "Vielleicht hast du Glück und Madam Bofraits Schönheit, Angelique, ist dort. Bisher habe ich sie nicht angetroffen. Sie soll von unvergleichlicher Schönheit sein. Genau das richtige für dich. Ich halte mich eher an bodenständige Frauen, wie Madam", erklärte sein hünenhafter Freund. "Warum nicht. Wir treffen uns dort nach Schichtende." Porthos nickte zustimmend und machte sich auf den Weg nach Hause. Athos Blick glitt wieder nachdenklich aus dem Fenster. Er hörte Stimmengewirr aus dem riesigen Inneren des Hauptquartiers. Nach dem Zusammenstoß mit ihren Kollegen, schien die Kameradschaft wieder in die heiligen Hallen der Musketiere zurückgekehrt zu sein. Oberflächlich gesehen waren durch den kurzen, aber heftigen Zornausbruch die Wogen geglättet. Aber Athos spürte das noch längst nicht alles in Ordnung war. Eine Kluft, die vorher nicht da gewesen war, hatte sich aufgetan. Er spürte es in den Blicken und im Unterton der anderen. Was war es? Sie benahmen sich nicht anders als sonst. War es die Panik unter der Bevölkerung oder die Zersplittung ihrer Gruppe, da Aramis in England weilte? Aramis hatte sich um die Schwächeren und die Neuanfänger der Musketiere gekümmert. Sich selbst hatte er mit zusammengebissenen Zähnen und eisernen Willen an die Spitze gebracht. Verspottete man sein androgynes Aussehen hinter seinem Rücken, so kam doch jeder Musketier mit kleinen, persönlichen Problemen zu ihm. Unbewusst spürten die Männer, dass sie bei ihrem zerbrechlich wirkenden Kollegen ein offenes Ohr und in ihrer harten Männerwelt ein ungewohntes Maß an Feingefühl fanden. Zum ersten Mal erfasste Athos die ganze Tragweite, von Aramis Interesse und Anteilnahme an seinen Kollegen. Zum ersten Mal wurde ihm bewusst, wie wenig sie ohne Aramis mit den anderen Musketieren gemein hatten. Sichtlich angetrunken, sackte Porthos tiefer in das weiche Polster ein. Verärgert hob er den Blick. "Du bist spät!" Gleichmütig zuckte Athos die Schultern und sah sich um. Für einige Sekunden verharrten die Freudenmädchen still in ihren Bewegungen, ganz gleich ob sie mit Kunden beschäftigt waren oder nur zur Dekoration des Hauses beitrugen. Selbst das abgenutzte Herz einer Hure schlug schneller bei einem schönen Mann. Ihre Erfahrungswerte mit Kunden jeglicher Art ließ sie sofort erkennen, wann ein Mann ein guter Liebhaber war. Die Träger der zarten Mieder rutschten tief, das Gebärden wurde sinnlicher, der Blick unter den geschminkten Augenlidern lasziver. "Ist das Euer Freund, Monsieur Porthos?" Madam Bofrait strich wie eine Katze um den Musketier und schnurrte leise. Porthos nickte und bekämpfte eine aufsteigenden Alkoholwolke aus Richtung Magengegend. "Der beste Degenführer von ganz Paris, Madam und der Klügste unter den Musketieren", bestätigte er. Madame Bofrait nickte anerkennend. Ihr schmalen Finger strichen über Athos Schulterblatt, bevor sie vor ihm zum Stehen kam und ihm glutvoll in die Augen sah. Dieser hatte die Arme vor der Brust verschränkt und sah ernst auf die Bordellbesitzerin nieder. Seine Augen lächelten. "Er übertreibt, Madam!" "So, tut er das oder seid Ihr einfach nur zu bescheiden? Womit kann ich Euch dienen?", fragte sie. "Eine Erdbeere?" Athos verneinte. Weshalb war er eigentlich hier? Er hatte es in den langen Arbeitsstunden vergessen. War es die Sehnsucht nach einer Frau, die Neugier auf die Hure Angelique oder spürte er, dass hier ein weiteres Puzzleteil zu den Morden lag? Er sah sich erneut um. Auf einem der Sessel saß eine junge Frau. Sie war anfang 20, schlank und blondes Haar fiel ihr sanft über ihre Schultern. Er glaubte aus der Entfernung blaue Augen zu erkennen. Flüchtig stieg in ihm Verlangen hoch. Er sah noch einmal zu ihr und sie wurde wieder zu dem namenlosen Freudenmädchen, das es für ihn war. Die Sehnsucht nach ihren Diensten schwand. Eine Schicht aus kunstvoller Schminke lag über den zu früh gealterten Zügen. Athos war sich selbst gegenüber ehrlich genug, um sich einzugestehen, dass er hier keine Befriedigung finden würde. Im Gegenteil, Madam Bofrait Etablissements erregte fast seinen Widerwillen. Aber woher kam das Sehnen nach einer Frau, dass hier nicht so einfach gestillt werden konnte? Vielleicht würde eine Schönheit wie Angelique ... "Seid Ihr wegen Angelique hier?", fragte Madam Bofrait und kaute genüsslich auf einer Erdbeere herum. Ihre rot nachgezogenen Lippen saugten an der Frucht wie eine Verheißung. "Nein, Madam", log er und wünschte sich im Augenblick überhaupt nicht hier zu sein. Die Ruhe seiner Wohnung, die Aussicht auf ein gutes Buch und Zeit für seine Gedanken, erschien ihm um so verheißungsvoller. "Sie ist beschäftigt, Athos", sagte Porthos. "Ich habe sie bislang auch noch nicht zu Gesicht bekommen", räumte er säuerlich ein und wandte sich an Madam Bofrait. "Wenn sie nur halb so schön ist, wie geheimnisvoll, Madam, dann muss sie von außergewöhnlicher Schönheit sein." "Aber sicher Monsieur Porthos. Das habe ich Euch doch versichert." Flüsternd beugte sie sich näher zu den beiden Männern. "Das bleibt unter uns, mein Freunde, aber ich habe erfahren, dass sie die Geliebte eines sehr einflussreichen Mannes ist. Er hält sie bislang versteckt, aber er bezahlt ihr die Miete einiger Zimmer in der Rue de Revolinne." Stolz über den Stand ihrer Kenntnisse richtete sie sich wieder auf. Freilich nicht, ohne vorher Porthos einen tiefen Einblick in die Wunderwelt ihres Dekolleetes zu gewähren. "Bereiten Ihnen Angelique's Freier wieder Sorgen, Madam?", fragte der hünenhafte Musketier. Sie griff erneut nach einer Erdbeere und schüttelte den Kopf, dass die roten Locken flogen. "Nein! Wenn ihr noch etwas wartet, wird Angelique gewiss bald fertig sein. Vielleicht ist sie heute bereit ,mehr' als nur einen Freier zu empfangen", erklärte sie und maß Athos mit einem bedeutungsvollen Blick. Dieser schüttelte den Kopf. "Nein, Madam. Ich werde mich nach Hause begeben." "Ein anderes Mädchen?", fragte sie betrübt. "Nein, danke." "Eine Erdbeere?" "Nein, Madam", erwiderte er lächelnd. "Sind sowieso alle", erklärte sie, mit einem kummervollen Blick auf die leere Schale. "Du kannst doch nicht viel zu spät hier aufkreuzen und dann unverrichteter Dinge einfach wieder gehen!" Porthos warf seinen Freund einen bitterbösen Blick zu. "Ich warte seit vier Bierhumpen hier auf dich." "Es tut mir leid, mein Freund, aber ich möchte wirklich nicht bleiben." Madam Bofrait umklammerte den Arm des Kolosses. "Aber Ihr bleibt doch?" Doch der Riese schüttelte nur den Kopf. Alleine wollte er hier auch nicht sein. "Aber Ihr kommt wieder?" Ein strahlendes Lächeln antwortete ihr. "Aber natürlich, Madam." Mit einem bedauernden Ausdruck auf ihren Gesichtzügen ließ sie ihn los. Draußen empfing die beiden Männer Dunkelheit und Kälte. Ein frischer Wind blies und vertrieb die Wärme des Tages. Porthos gähnte herzhaft. "Vielleicht hattest du recht, nach Hause zu gehen. Es war ein langer Tag und es ist ziemlich spät. Man wird auch nicht mehr jünger." Athos grinste verschmitzt. "Hört, hört!" "Warte noch kurz! Ich muss mich der vier Bierkrüge entledigen", wandte Porthos ein und verschwand schon in einer dunklen Gasse. "Beeil dich", rief ihm Athos hinterher und empfand just im selben Augenblick das dringende Bedürfnis, ihm zu folgen. "Das hätte ich nicht mehr bis nach Hause geschafft", gestand sein Freund und legte zufrieden den Kopf in den Nacken, um den Sternenhimmel zu betrachten. Das Entledigen vierer Bierkrüge nahm einen entsprechenden Zeitraum in Anspruch. Ein Dachziegel fiel hinter Porthos zu Boden. Er blickte sich um. "Da hockt eine Frau mit einem riesigen Messer auf den Dach", platzte es aus ihm heraus. "Athos, eine Frau und sie sieht direkt ... Sie starrt mich an, Athos?" Vor Schreck fiel ihm die Kinnlade herunter. "Was mache ich jetzt, Athos?" "Vielleicht solltest du dir die Hose hochziehen", riet Athos und begann über Fensterbänke und Kisten nach oben zu klettern. In diesem Moment ertönte ein markerschüttender Schrei einer Frau aus einer der Nebengassen. Athos sprang wieder auf den Boden der Gasse und rannte dem Schrei entgegen. Mit heruntergelassener Hose versucht Porthos ihm zu folgen. Er stolperte ein paar Mal und versuchte, das Ordnen seiner Kleider und das Laufen gleichzeitig zu erledigen. Seufzend gab er auf. Er zog sich die Hose hoch, richtete seine Schärpe und rannte anschließend hinter seinem Freund her. Keuchend erreichte er einen kleinen Platz. Eine Frau im schlichten Kleid der Bürgerschicht, hatte sich schutzsuchend an die Wand gepresst. Ihr Mund hörte nicht auf, Luft für immer schrillere Schreie zu produzieren. Athos kniete neben einen am Boden liegenden Mann. Durch das Geschrei der Frau waren andere Passanten eingetroffen. Schnell schob Porthos die Menschen vor ihm beiseite. Athos drehte sich herum und sah zu Porthos auf. "Der nächste Mord." Seine Hand schloss dem Toten die Augen. Als ob der Schrecken der ausgeweideten Leiche nicht genug war, erstrahlten die blutigen Letter an der Wand im kalten Licht des wolkenlosen Mondes - ein Satz, entstellt durch mangelnder Orthographiekenntnisse. Wortlos wies Athos Arm auf die Kirche. Die Glocken von St. Gabriel läuteten Alarm. Der Mörder von St. Michel und St. Antoine hatte wieder zugeschlagen. Kapitel 15: Dämonen ------------------- Seine Eminenz der Kardinal näherte sich der letzten Etappe seines Lebens. Er steuerte nun die Regierung Frankreichs ein halbes Menschenleben lang durch das unsichere Meer der Zeit. Jedes einzelne graue Haar auf seinem Haupt stand für all der kleinen und großen Hindernisse, die sich seiner Regierung in den Weg gestellt hatten. Dabei betrachtete er den König als das Größte davon. Doch das Schlimmste stand ihm gerade bevor: Man zwang ihn englisches Bier zu trinken und sein Bett stand in Flammen ... "Eure Eminenz, wacht auf!" Die Stimme seines Sekretärs holte ihn aus der Welt des Schlafes zurück in die Wirklichkeit. Richelieu war auf seinem Schreibtisch eingenickt. Der Kardinal schlug die Augen auf. "Zeit aufzustehen, Ihr werdet vom König verlangt!" "Ich bin zu alt, um gehetzt zu werden", brummte seine Eminenz mürrisch und erhob sich. Vor einem Jahr noch wäre er ihm nie in den Sinn gekommen, dass er einmal bei seiner Arbeit einschlafen würde. Aber vor einem Jahr war er auch noch jünger gewesen und die Gicht hatte sich noch nicht des ganzen Körpers bemächtigt. In der vergangene Nacht war er von einem besonders schlimmen Anfall wachgehalten worden. Nun forderte sein Körper den Tribut. Benommen rieb sich Richelieu über die Augenlider. Die Fenster seines Arbeitszimmers standen offen und ließen die Wärme und das Licht der Mittagsstunden herein. Ein Vogel saß auf einen der Fensterbretter zu Richelieus rechten Seite und zwitscherte schon eine geraume Weile. Es schien nicht so, dass er bald damit aufhören würde. Gereizt griff seine Eminenz nach einem Briefbeschwerer und warf diesen. Seine Gereiztheit legte sich keineswegs, als der Gegenstand auf halbem Weg zu Boden fiel und eine der Amphoren traf. Alessandro Bongioanni, sein alter Diener betrat den Raum, missachtete die Scherben am Boden und reichte ihm einen Goldpokal. Der greise Italiener zog ein steifes Bein hinter sich her. Beide Männer befanden sich im selben Alter. Während Richelieu die geistlich, politische Laufbahn vorbestimmt war, hatte Bongioanni den Großteil seines Lebens auf dem Schlachtfeld verbracht und ging mit wesentlich mehr Leiden seinem Lebensabend entgegen. Richelieu zog sich genügend Genugtuung aus dem Umstand, dass es anderen in seiner Altersspanne erheblich schlechter ging als ihm. Mit einem angewiderten Zug schluckte er den Schluck hinunter. "Was ist das, Alessandro?", herrschte er seinen Diener an. "Honigwasser, Eminenz, wie es der Arzt befohlen hat", gab sein Diener ungerührt zurück. "Elender Quacksalber, mir Anweisungen geben zu wollen ..." Der Kardinal brummte verärgert vor sich hin und goß die süße Flüssigkeit aus dem geöffneten Fenster. Wenig später trat er in den sonnigen Innenhof seines Palastes, um sich in seiner Sänfte in den Louvre transportieren zu lassen. Sein rangoberster Offizier trat aus dem Schatten. Das Haar klebte nass an Rochfort's Schädel und Wasser benetzte den steifen Kragen seines Wamses. "Was ist passiert, Rochfort?", fragte Richelieu. "Ich weiß es nicht, Eure Eminenz. Während ich auf Euch wartete, fiel Wasser aus dem Fenster zu Eurer Rechten." "So, tat es das?" "Ja, Eure Eminenz. Sehr süßes Wasser." "Ich werde die Dienerschaft anhalten besser aufzupassen", erklärte der Kardinal abwesend und schickte sich an, in seine Sänfte zu klettern. "Eminenz, sollen wir die Musketiere wieder bei den Ermittlungen zulassen?" Richelieu verharrte nachdenklich. "Nein!", erklärte er entschieden. "Keine Einmischungen durch de Treville's Männer!" "Aber der König wird Euch sicher anordnen, dass ..." "Noch hat er es nicht!", unterbrach ihn der Kardinal unwirsch. "Noch bin ich die wahre Macht dieses Landes. Vergesst das nicht", erinnerte er seinen Untergebenen im herrischen Ton. "Ach Rochfort, schon wieder eine neue Augenklappe?" Der einäugige Lord verneigte sich gerührt. "Ja, Eure Eminenz." "Ihr paart Euer Leiden mit ziemlich viel Eitelkeit," bemerkte Richelieu spitz. "Wirklich bedauerlich was passiert, wenn Mütter nicht aufpassen, nicht wahr, Rochfort?" Rochfort senkte den Kopf. "Mir wäre es lieber, wir blieben bei der Vision, dass ich mein Auge im Kampf verlor, Eure Eminenz." "Sicher, sicher", gestand ihm Richelieu großzügig zu, "und immer auf die Hühner Obacht geben, Rochfort!" bemerkte er und stieg ein. Lord Rochfort sah der schwindenden Sänfte nach. "Es war ein ziemlich großes und wildes Huhn, Eure Eminenz." Als der Kardinal das königliche Arbeitszimmer betrat, hatten ihn die gut gezielten Spitzen gegen seinen Untergebenen sichtlich aufgeheitert. Ludwig saß an seinem Schreibtisch und brütete über einigen Dokumenten. Richelieu verharrte still, bis der König geendet hatte. Seine Laune sank wieder. Der König las in Dokumenten, die eigentlich zu erst durch seine Hand gemusst hätten. Das gefiel ihm nicht. Das gefiel ihm ganz und gar nicht. "Was lest Ihr da, Majestät?" fragte er, als Ludwig den Kopf hob. "Die Liste der Steuereinnahmen", sagte dieser gleichmütig. "Wir haben einen Brief von unserer Schwester erhalten", erklärte er wohlgelaunt. "Habt Ihr das?" Ludwig nickte. "Sie berichtet, unseren Brief durch unseren Musketier erhalten zu haben. Anscheint macht sich unser Mann prächtig in Whitehall." Er rieb sich zufrieden die Hände. "Habt Ihr Eurer Schwester erzählt, dass es sich bei Aramis um einen Mann handelt?" "Nein, wir fanden es besser zu Schweigen." "Wie vernünftig, Eure Majestät", lobte der Kardinal. "Der Musketier Aramis scheint über ungeahnte Fähigkeiten zu verfügen, dass er sich derart überzeugend als Frau behaupten kann." "Nun, darauf hatten wir ja gehofft", gab der König zu bedenken. "Mein Vertrauensmann Broussard beklagt jedoch, dass Aramis sich in England unmöglich benimmt", fügte Richelieu gedehnt hinzu. Ludwig zog nachdenklich an seiner Unterlippe. "Tut er das? Henrietta schreibt uns nichts gegenteiliges." "Broussard berichtet, dass Aramis auf das schlimmste Unzucht mit seiner Zofe treibt." Richelieu schob sein spitzes Kinn weiter nach vorne. "Nun, vielleicht deklariert er das Aufgabenfeld einer Zofe etwas anders?", erlaubte sich Ludwig zu scherzen. "Er ist ein junger Mann, der in einer Verkleidung leben muss, die ihm seiner Männlichkeit beraubt", warf er einlenkend ein, als er den Gesichtsausdruck seines 1. Ministers sah. "Er muss sich austoben, seinen Mann beweisen." "Und was, wenn sie ertappt werden, Eure Majestät?", fuhr Richelieu mahnend dazwischen. "Mein König, was wenn man in Whitehall herausbekommt, was sie treiben? Ein Palast bietet keine Privatsphäre und hat tausend Ohren und Augen, dass wisst Ihr selbst. Wir dürfen nichts riskieren!" "Gut, wir werden ihm einen chiffrierten Brief schreiben", lenkte Ludwig ein. "Wir werden seine geschlechtlichen Aktivitäten unterbinden. Zu etwas anderem: Wie wir hören mussten, geschah wieder ein Mord ..." Richelieu bedachte den König mit seinem freundlichsten Lächeln, in dem nur ein sehr aufmerksamer Beobachter Spott und Herablassung entdeckt hätte. Man nannte sie Engel, weil sie das Aussehen hatte, dass einem himmlischen Götterboten würdig war. Doch in ihr war Schwärze. "Wo bist du gestern gewesen?" Schweigend drehte sie sich zu ihm um und verbarg die Angst in ihrem Blick hinter den langen Wimpern. Sie antwortete nicht, sondern sah nur zu dem Dämon, der in der dunklen Zimmerecke hockte. "Antworte mir!" Die Hände des Mannes umfassten ihren Oberarm und schüttelte sie wie eine leblose Puppe. Verzweifelt suchte sie in seinem Gesicht nach einer Antwort, aber da war nur unverständliche Wut. Er konnte den Dämon in der Ecke nicht sehen, dessen Gestalt so abscheulich war, dass es sie in den Wahnsinn trieb. Das Wesen keifte und schrie in einem fort. Schwarzes Blut floss ihm aus dem Maul. Hörte er nicht das grässlich verzerrte Jammern des Höllenwesens? Mit wutverzerrtem Gesicht ließ der Mann sie los. Wortlos wandte er sich ab. Mit einem Schritt war er bei dem riesigen Standspiegel und riss das schwarze Tuch herunter. Erstickt schrie sie auf und barg ihr Gesicht in der Armbeuge. Ströme von Blut rannen die glatte Spiegelfläche hinunter. Auch das sah er nicht. Resigniert seufzte er und ließ sie allein. Das dunkle Wesen in der Ecke lachte schrill. "Angelique Denon?" Erstaunt sah der Kapitän auf. Die Falten auf seiner Stirn verstärkten sich. "Woher ..." "Die Mademoiselle ist die Geliebte von Graf Virant d'Arennes, allerdings unter einem anderen Namen. Sie nennt sich Loret. "Aber wie ..." "Woher ich das weiß?", fragte Athos lächelnd. Der Kapitän nickte sprachlos. Trotz schlafloser Nacht strahlte sein Musketier ein unglaubliche Vitalität aus. "Ihr kennt meine Vergangenheit Kapitän. Die Ländereinen des Grafen grenzen an unsere. Als ich ein Junge war, residierte noch Grafin d'Arennes auf dem Schloss und ihr gefiel es wenig, dass ihr Mann ein offizielles Verhältnis mit einer Kurtisane names Madeleine Denon hatte." "Dann ist Angelique ..." Athos nickte bestätigend. "Die Tochter von Madeleine." De Treville verzog das Gesicht vor Ekel. Seine Augenbrauen umwölbten finster die zusammengekniffenen Augen. Athos nickte. Das gleiche fühlte er auch bei diesem Gedanken. "Sie ist zeitgleich die Kurtisane und die Tochter des Grafen. Ich denke, der Graf weiß nichts von seiner Tochter. Gemeinhin ist es üblich, dass Mätressen ihre Bastarde verstecken und wenn seiner Frau die Beziehung zu Madelein ohnehin ein Dorn im Auge war ..." "Weiter!" "Im Laufe der Jahre wurde dem Graf das Gezänk seiner Frau zuviel und er seiner Geliebten überdrüssig. Er jagte sie davon. Auf seinem Besitz wurde Madeleine nur gejagt und verspottet. Schwer krank und erschöpft flüchtete sie auf unser Land, wo sich einer unserer Pächter ihrer annahm. Ich weiß, dass sie zu diesem Zeitpunkt ihre Tochter bei sich hatte, welche mit ansehen musste, wie ihre Mutter von einem Mann weggeworfen wurde und an seiner Kaltherzigkeit zerbrach, bis sie letztendlich starb. Selbst von den Männern als Hure benutzt, wäre das ihr Motiv für die Morde." Nachdenklich stand der Kapitän auf und ging zum Fenster. Das Tageslicht fiel schräg in das große Arbeitszimmer. Er drehte seinem Musketier den Rücken zu und sah aus dem Fenster. Wenige Meter unter ihm liefen seine Männer über den Hof, schwatzend und lachend. Pferde widerten, Vögel erhoben sich laut zwitschernd in die Lüfte. In seinem Arbeitszimmer war es indes Still. Athos unterdrückte den Drang ungeduldig auf den Fußballen zu wippen. Er wartete scheinbar geduldig, bis sein Kapitän sprach. Seit er Angelique gesehen hatte, fühlte er wie das Blut durch seine Adern pulsierte. Das kranke Wesen der Mörderin schreckte ihn ab, aber der Lösung so nahe zu sein, war erregend. Seine Instinkte hatten ihn nicht betrogen. "Welche Beweise hast du?", fragte der Kapitän schließlich. "Alle Leichen hatten vor dem Mord geschlechtlichen Kontakt mit einer Frau. Angelique arbeitet in einem Bordell. Madam Bofrait, die Besitzerin des Bordelle's, indem Angelique von Zeit zu Zeit auftaucht, erzählte mir, dass sie in der Rue de Minos wohnt. Ich habe mich erkundigt. Die Zimmer werden von dem Verwalter des Grafen d'Arennes bezahlt. Zudem lief sie mir und Porthos unmittelbar nach ihrem letzten Mord über den Weg. Da ich Madeleine einige Male zu Gesicht bekommen habe, da sie, wie gesagt, die offizielle Geliebte des Grafen war, weiß ich, wie sie aussah und ihre Tochter hat frappierende Ähnlichkeit mit ihrer Mutter. Wahrscheinlich hält sie sich deshalb der Graf als Mätresse. Der alte Protestant an der Brücke sagte, dass die Morde von der Hure des Teufels begangen wurden, aber mächtige Männer sie schützen. Ich glaube, dass der Graf ahnt, dass Angelique hinter den Morden steht und sie schützt. Es wird gemunkelt, dass der Graf Protestant ist. Nach der Bartholomäusnacht hat zwar die Familie d'Arennes dem Papst die Treue geschworen, aber insgeheim sollen sie den Vatikan ablehnen. Die wenigen Protestanten in Paris bilden eine enge Gemeinschaft. Es wäre nicht verwunderlich, wenn der alte Kaufmann wusste, dass d'Arennes etwas mit den Morden zu tun hat." "Und der Kardinal?", fragte de Treville. "Weiß nichts. Er nutzt die Situation, um gegen die Protestanten zu propagieren." "Wir müssen schnell handeln, aber ..." "... wir können nicht!", vollendete Athos bitter den Satz. "Wenn der Kardinal erfährt, dass die Geliebte eines mächtigen Protestanten mordend durch Paris zieht, dann wird er die Situation eskalieren lassen." De Treville nickte, streifte sich seine Handschuhe über und richtete sich den Kragen im blassen Spiegelbild des verglasten Bücherregals. "Ich werde den König Bericht erstatten. Vorerst halten wir die Angeklagte unter Bewachung.", entschied er. Athos nickte. "D'Artagnan und Porthos bewachen sie. Es wäre von Vorteil noch andere Musketiere zur Bewachung abzustellen." "Ist gut! Aber rührt keinen Finger. Wir dürfen sie nicht verhaften." Der Kapitän seufzte schwer und fuhr sich mit den Fingern durch das leicht ergraute Haar. "Was sind das nur für Zeiten, in denen Weiber ungestraft mit einem Messer durch die Gegend ziehen und nicht einmal anständig dafür verhaftet werden können. Vermaledeite Politik. Wegen solch einem Possenspiel sitzt Aramis in Frauenkleidern in England fest." Athos zuckte zusammen. "Was ist?" fragte der Kapitän. Athos biss sich auf die Unterlippe. "Nichts! Ich habe nur in letzter Zeit völlig vergessen seine Briefe zu beantworten", gab er schuldbewusst zurück. Verwundert sah Athos den Koloss an, als er die Tür hinter sich schloss. Der Kapitän war durch einen Geheimgang in Richtung des königlichen Arbeitszimmers verschwunden. "Was machst du hier? Du solltest doch mit D'Artagnan die Mörderin bewachen." Porthos hob abwährend die Hände. "Das kann er alleine. Es ist doch nur eine Frau." "Nur eine Frau?" Athos verschränkte die Arme vor der Brust und sein Gesicht nahm einen strengen Ausdruck an. "Diese Frau ermordet Männer, Porthos und das nicht nur einmal." Porthos gelassener Gesichtsausdruck blieb. Er zuckte nichtssagend die massigen Schultern. "Glaubst du wirklich, dass ..." "Herrgott, Porthos, hältst du die Frau nicht für fähig Morde zu begehen, nur weil sie jung und schön ist. Hat es Milady davon abgehalten Unrecht zu begehen?", herrschte ihn Athos an. Der Koloss zuckte schuldbewusst zusammen. "Milady war nicht alleine. Menson und der Eisenmann halfen ihr", verteidigte er sich. Das breite Gesicht nahm einen schmollenden Ausdruck an. Die Zurechtweisung durch Athos gefiel ihm ganz und gar nicht, aber in seiner großen Brust schlug ein zu weiches Herz, als dass er sich anders als mit Sturheit hätte wehren können. Er hob die riesigen Hände, als wollte er eine zarte Pflanze schützen. "Eine Frau ist etwas zartes, weiches, wie eine Blume. Sie braucht Männer wie mich, die sie schützen", sagte er, einfach deshalb, weil Frauen genau aus diesem Grund seine Nähe suchten. Porthos Züge wurden so sanft, dass Athos wiedererwarten lächeln musste. "Oh Portos, viele Frauen sind alles andere als zart. Denk nur was mache durchstehen müssen und was ist mit Frauen wie Martha? Du willst doch Martha nicht als zart und verletzlich bezeichnen?" Irritiert runzelte de Trevilles stärkster Musketier die buschigen Braunen, als er angestrengt überlegte. Dann erhellten sich seine Züge. "Nein, aber wer so zauberhaft Lamm zubereitet kann nicht böse sein." Athos verkniff sich das Lachen. "Etwas anderes: Hast du den Brief an Aramis beantwortet?" Porthos Teint wurde von oben nach unten zart Rosa. "Nein", gestand er, "du weißt, meine Stärken liegen wo anders, nicht beim Schreiben. Wo du von Aramis sprichst ... bei zarten Pflanzen. Egal wie alt der Junge wird. Er bleibt eine halbe Portion." Athos seufzte und sein Blick rückte nachdenklich in die Ferne. "Ich weiß." Er räusperte sich und kehrte in die Wirklichkeit zurück. "Tu mir einen Gefallen, Porthos! Höre nächstes Mal auf mich, wenn ich dich um etwas bitte!" Schmollend schob dieser die Unterlippe nach vorn und enthielt sich einer Antwort. Gefangen in dem kranken Gefängnis ihrer Seele schlich sie in der kleine Wohnung im oberen Dachgeschoss umher. Die Hände umschlossen die Ohren. Das Haar war wirr und verflitzt. Das Kleid fiel lose und unordentlich an ihrem Körper herab. Sie wollte den Dämon nicht hören, der von Blut und Töten sang. Dabei schrie er für sie nach Rache. Rache für die Demütigungen und Erniedrigungen, welche die Männer ihrem Geschlecht entgegenbrachten. Sie selbst musste sich an den Mann verkaufen, den sie am meisten hasste. Aber der Dämon verbot ihr d'Arennes zu töten. Es schrie nach den Tot in dunklen Winkeln, in engen Gassen, wenn das Opfer es am wenigsten erwartete. Verdutzt hörte sie, dass der Dämon schwieg. Sie ertrug sein Schweigen ebenso wenig, wie die widersinnigen Laute. Das Wesen wies aus dem Fenster. Dort an der Ecke stand er, ein Junge an der Schwelle zum Mann und beobachtete sie. Hatte man sie gefunden? Ihre Erinnerung an die letzte Nacht bestanden aus dicken blutigen Fäden und erstickten schreien. Verstohlen beobachtete sie ihn hinter den Vorhängen verborgen. Wie weichherzig seine Augen blickten. Zu weich, zu ahnungslos für sie. Sie wollte ihm nicht weh tun, aber der Dämon war zu stark. Kapitel 16: Lied der Peitsche ----------------------------- Es war die Jagd, mit seiner reinen animalischen Lust am Erlegen der Beute. Der gierende Drang zu besiegen, der lose unter einer Haut aus Etikette und Manieren lag. Vorsichtig schob sie sich um den riesigen Stamm der Eiche. Sie war der Jäger. Die Verfolgung hatte ihre Sinne geschärft. Die Augen sahen mehr, die Ohren hörten mehr, der Geruch nach Wald und Boden war herber, der Wind strich kühler über ihre Haut. Ihr Opfer bewegte sich in Richtung Osten. Das leuchtende Dunkelrot seiner Kleidung hob ihn deutlich von den verschiedenen Grüntönen seiner Umgebung ab. Noch half ihr das dicht bewachsene Gelände bei ihrer Verfolgung. Doch unverhofft konnte ein Hindernis ihr entgegentreten oder die schützenden Bäume und Büsche zurückweichen und freiem Gelände Platz machen. Sie huschte zum nächsten Baum und verbarg sich dahinter. Sie durfte ihn nicht aus den Augen verlieren, noch von jemanden aufgehalten werden. Vorsichtig sah sich Aramis nach Graf de Meyé um und wich in den Schatten der Eiche zurück. Überall standen sie herum, diese gelangweilten Höflinge und übten sich in der Kunst des Nichtstun, welche ihr Stand über Generationen perfektioniert hatte. Mehrere Hofdamen näherten sich ihr. Die Lust nach Tratsch und Intrigen umstrahlte sie wie ein Glorienschein. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Aramis in die Fänge der einen oder anderen geriet. Der Adel verfügte über einen zusätzlichen Sinn, wenn es um die Gunstbeweise ihrer Herrscher ging. An der kollektiven Ablehnung des Hochadels, wusste jeder Günstlinge, wann sein Stern am Sinken war. Aramis Stern stieg und mit ihm zog sie die Adligen an, wie die Motte das Licht. Die von Selbstzweifeln geplagte und von der Missachtung des Königs gestrafte junge Königin suchte immer öfters die Nähe ihrer Landsmännin. Den Großteil des französischen Gefolge, hatte es wieder zurück an den französischen Hof gezogen. Mit der geheimnisvollen Comtesse kam ein Stücken Heimat zu Henrietta und erfreute sie in den langen trostlosen Stunden. Für Aramis hatte sich einiges verändert. Nachdem sie durch ihre Flucht von Daheim Selbstständigkeit erlernen musste, hatte sich erneut eine Wendung vollzogen. Man legte ihr die Kleidung zurecht, man bereitete ihre Toilette vor, man kochte und putzte sie. Am vergangenen Abend hatte ein mehrstündiges Souper bei einer Cousine des Königs stattgefunden. An den Anlass entsann sie sich nicht mehr. Inzwischen schien ihre gesamte Zeit nur noch aus solchen Anlässen zu bestehen. Kokette, kichernde Frauen, gelangweilte Männer, die ganz hinten gestanden hatten, als Kinn und Rückgrat verteilt worden waren. War sie früher als Musketier ein Teil der unsichtbaren, immer allgegenwärtigen Dienerschaft gewesen, verstummten diese wenn sie ihnen begegnete. Niemand lachte, man nannte sie Comtesse, Mylady und alle waren sehr, sehr vorsichtig. Ging sie wieder, hörte sie leises Lachen. Sie fühlte sich langsam am ersticken, denn trotz des Umgangs mit dem Hochadel kam sie nicht an d'Meye heran. Jede Minute, die sie bei Hofe verbrachte, war sich Aramis des Balanceakts bewusst. Es war abschreckend und belebend zu gleich. Unauffällig schlug sie sich in die Büsche, vorsichtig darauf bedacht kein Liebespaarchen zu stören, im Eifer ihrer Leidenschaft. Ihre Wangen glühten noch immer rot, bei der Erinnerung an zwei in leidenschaftlicher Umarmung gefangenen Leiber und lustvollem Stöhnen. "Wo habt Ihr Lord Corday gelassen?" Für den Bruchteil einer Zehntelsekunde blieb ihr Herz stehen. Betreten wandte sie sich um und sah direkt Lady Claredorn ins Antlitz. Für einen kurzen Moment hatte ihre Aufmerksamkeit nachgelassen. Diese Frau war die letzte Person, der Aramis begegnen wollt. Lady Claredorn war von Natur aus derart missgünstig, dass ihr Gesicht durchgehend die Farbe grün tragen müsste. Obgleich sie eine schöne Frau war, neidete sie anderen jeden Vorteil an Aussehen, Position und Fähigkeiten. Von den besonderen Fähigkeiten der unbekannten Comtesse ahnt sie nicht das mindeste, aber in ihrem Fall neidete sie ihr Charles Corday. "Unter meinem Rock ist er nicht?" Damit war de Meyé ein weiteres Mal entwicht. Es war einfach zu ärgerlich. "Der ganze Hofstaat ist interessiert daran, was sich unter Euren Röcken befindet!", erwiderte ihre Gesprächspartnerin gedehnt. Die dunklen Augen sahen Aramis über den Rand des filigranen Elfenbeinfächers herausfordernd an. Sie sah beredend an Aramis verhüllter Gestalt hinunter. Es war der selbe Blick, wie jene, die ihr in Paris folgten, wenn sie selbst im Hochsommer kaum ein Teil ihres Körpers preisgab. "Vielleicht kann uns die Frage Lord Corday beantworten?", fügte sie hinzu und ließ eine bedeutsame Pause, die ihre Gesprächspartnerin wortlos, mit hochgezogenen Augenbraue kommentierte. "Ja, vielleicht. Wie gut, dass Ihr das nie erfahren werdet", erwiderte Aramis süffisant lächelnd und straffte ihre hohe Gestalt um einige wesentliche Zentimeter an Selbstvertrauen. Hochmütiges Schweigen herrschte zwischen beiden Frauen, als ein schriller Schrei über die weite Anlage des Schlossparks hallte. Der gesamte Hofstaat fuhr erschrocken auf. Mehrere Höflinge sprangen auf und eilten neugierig in Richtung der Schreie. Die Blätterdächer der hohen Bäume zitterten. Gras wirbelte auf. Bald war der Ort des Geschehens von neugierigen Adligen umringt. Ihre königlichen Majestäten verließen den Baldachin, unter dem sie sich vor der Mittagssonne schützten. Reflexartig wich man vor dem König zurück, als dieser sich seinen Weg bahnte. Er kam vor einer älteren Frau zum Stehen, dessen matronenhafte Gestalt so dick war, dass sie zu watscheln schien. Die drei Kinne über dem golddurchwirkten Spitzenkragen zitterten vor Anspannung. Im schnellen, abgehacktem Englisch sprach sie auf den König ein. Zu schnell für Aramis mangelhaften Sprachkenntnisse. Sie wusste nicht, was der Aufruhr zu bedeuten hatte. Neben der übergewichtigen Hofdame stand ein Höfling, der einen kleinen schwarzen Knaben am Arm festhielt. Zur elisabethanischen Zeit hatten die Adligen begonnen sich überall von kleinen schwarzen Kindern, gekleidet in farbenprächtigen Edelstoffen, begleiten zu lassen. Diese Eigenheit war auch im Laufe der Zeit nicht aus der Mode gekommen. Aramis fand das unvergleichlich absurd, Menschen aus ihrem Heimatland zu verschleppen, sie unter menschenunwürdigen Lebensbedingungen über das Meer zu schiffen, damit sie für den Rest ihres Lebens den tänzelnden Schritten der Adligen folgten. Schweigen starrte der Knabe zu Boden. "Was ist passiert?", fragte Aramis Lord Corday, der aus dem Nichts auftauchend neben sie getreten war, ohne zu beachten, dass der Lord sich besser zu verstecken vermochte, als sie. "Der Knabe wollte sie ausrauben. Sie hat ihn beim Stehlen erwischt", erwiderte der Lord. Verwundert sah Aramis zu der heftig gestikulierenden Frau. "Und deshalb schreit sie den gesamten Hofstaat an?" >Mein Gott<, dachte sie verächtlich, >diese Hysterie wegen ein paar Goldstücke, deren Verschwinden überhaupt nicht ins Gewicht fallen würden. Sie ist genauso dumm, wie alle hier. Macht und Geld fressen ihnen das Gehirn aus dem Schädel.< Der Lord zuckte nichtssagend die Schultern. "Im übrigen ... welches Spiel, spielt Ihr da, Renée?" "Habt Ihr mich die ganze Zeit über beobachtet? Was geschieht jetzt?" Sie sah es selbst. Ein Höfling der Jagdgesellschaft trat vor. In der Hand eine riesige schwarze Peitsche. Erschrocken erfasste Aramis seine Länge. Herrgott, wie groß das Ding war. Ganze 12 Fuß maß sie von Griff bis zum Schnurende. Ihr Lied surrte beängstigend in Luft, als er sie schwang. Sie wollten doch nicht .... "Nein", flüsterte sie, dann schrie sie es empört auf. Eine starke Hand umfasste ihren Oberarm und riss sie zurück. "Ihr dürft nicht einschreiten!" Sanft, fast zärtlich strich seine Stimme über ihr Ohr, sein Atem durch ihr Haar. "Sie werden ihn auspeitschen. Er ist doch noch ein Kind." "Ja, und nur auspeitschen. Versteht doch, Renée, dass der König es tun muss." "Aber er ist doch noch ein Kind", flüsterte sie wie betäubt. "Was machen schon das bisschen Geld für eine reiche Adlige?" "Er hat am Hofe gestohlen, darauf steht die Todesstrafe. Eigentlich müsste er sterben und der König muss etwas unternehmen. 5 Peitschenhiebe, dann ist er erlöst", sagte er eindringlich. Besänftigend drückte er ihren Rücken an seine Brust. Die Peitsche erhob sich in die Luft und traf zum ersten Mal auf die zarte Haut des Kindes. Die Adligen reckten die Hälse und hielten die Luft an. Doch sie wurden enttäuscht. Das Kind gab keinen Laut von sich. Wieder zischte die Peitsche durch die Luft und traf das Rückrat. Das Kind begann zu wimmern. Die Adligen lächelten. So war es recht, wenn es jetzt nur noch richtig schrie. Aramis wich das Blut aus dem Gesicht. Sie spürte, wie es in ihren Ohren zu rauschen begann und ihr Herz schmerzhaft in der Brust schlug. Sie zwang sich den Blick von dem Kind zu wenden und seine Zuschauer zu beobachten. Männer wie Frauen, die sich am liebsten hinter ihren verzierten Fächern die Lippen geleckt hätten. Aramis verachtete sie um so mehr. Das Kind schrie mittlerweile. Die Höflinge jubelten und klatschten begeistert Beifall. Es weinte und flehte um Gnade, aber zwei Peitschenhiebe würde die junge Haut noch spüren müssen, bevor es erlöst war. Zuwenig für seine blutrünstige Zuschauerschaft, zuviel für das schmale Kind, welches in Ohnmacht fiel. Corday umfasste fester ihre Schulter. Er spürte, dass er sie vor eine eventuellen Dummheit bewahren musste. Aramis sah zu ihm auf. Seine Lippen waren nur noch ein schmaler Strich, seine Augen sahen blicklos nach vorn. Von weitem gab er das Bild des unbeteiligten Zuschauers ab, aber unmittelbar vor ihm stehend, sah sie, dass er ebenso mit dem Jungen litt. Nichts was er hätte sagen können, keine noch so großen Schwüre oder hären Reden, hätten sie für ihn einnehmen lassen, wie dieses wortlose Zugeständnis an menschlichen Mitgefühl. Wie die Wogen der See erfüllte das Stimmengewirr den langen Saal. Einmal hoch ansteigend, wie eine einzig gewaltige Stimme, dann sanft abfallend, wie das sanfte Rauschen des Meeres. Manches Mal hallte eine zu laute Stimme in den Ohren wieder, ein anderes mal folterte der schrille Klang eines Lachen das Gehör. Wie ein Schwarm aufgeregter Hühner umschwärmte der Hofstaat seine Herrscher, in schillernden Farben, auf edlen Stoffen, mit kostbarem Schmuck und kaum einer verschwendete einen Gedanken an einen kleinen Jungen von 9 Jahren, dessen Hoffnung aus den großen dunklen Augen, in dem schokoladenbraunen Gesicht erloschen war. Lady Corday fächerte sich Luft zu und ignorierte das Gefühl von Müdigkeit, dass ihre Aufmerksamkeit trübte. Bei Hofe kannte man keine Müdigkeit, nur köstlich amüsante Langeweile. Ihr Blick schweifte durch den Raum. Sie beneidete ihren Sohn, dass dieser einen Grund hatte, an diesem Abend fern zu bleiben. Elisabeth Corday war schon zu lange am Hofe, als dass sie nicht das passende Gesicht für jeden Anlass griffbereit hätte. Ihr Blick blieb bei der Comtesse de Mysteriéuse hänge. Die Französin trug ein Bordjuxrotes Abendkleid aus schimmerndem Samt, mit zarter Spitze aus Goldfäden. Zu übersehen war sie nicht. Das Licht fing sich in ihrem blondem Haar und sie überragte alle umstehenden Damen um fast einen Kopf. Man sah ihr an, dass es ihr schwer fiel zu lächeln und auf Gespräche einzugehen. Einzuschreiten hätte nichts gebracht. Weder ihr noch dem Kind. Ein besorgter Ausdruck lag auf den blauen Augen. Die junge Frau war noch zu hitzig und unverbraucht, als dass sie sich verstellen könnte. Zudem ging irgend etwas von ihr aus, dass sie aus der Masse abzuheben schien. Noch sah man ihr diesen Umstand nach, weil sie etwas Neues und Geheimnisvolles war. Das plötzlichen Auftauchen unter falschen Namen und ohne Vergangenheit, diese ungewöhnliche Größe in dem steifen, hochgeschlossenen Kleid, reizte ohnehin zu Spekulationen und Gerüchten. Entweder würde die Französin als etablierter Sonderling, ihren Platz am Hofe finden oder untergehen. Lady Corday hoffte auf Ersteres, schon für ihren Sohn ... Ihre Augen folgten der Comtesse, als diese sich langsam aus dem Raum, in einen der zahlreichen Salons schlich, um sich den Luxus von einigen wertvollen Minuten Einsamkeit zu gönnen. Und es schien als wäre ihre Ladyschaft nicht die einzige Person, die an diesem Abend ihre Aufmerksamkeit auf die geheimnisvolle Französin gerichtet hatten. Unmittelbar nach der Comtesse verließ auch Sir Henry Marschall den Saal und steuerte den selbe Salon an. Lady Elisabeth hatte schon des öfteren Marschall's Blicke bemerkt. Er stand im ständigen Konkurrenzkampf mit ihrem Sohn, der sehr zu Sir Henry's Unmut die Gunst des jungen Königs genoss. Egal wie viel Geld Henry Marschall für seine Garderobe aufwendete, er würde mit seiner gedrungenen Gestalt und den plumpen Gesichtszügen immer im Nachteil gegenüber Charles Corday sein, der ohne modische Raffinessen, mit seinen gleichmäßigen Gesichtszügen und dem athletische Körperbau jedes Frauenherz höher schlagen ließ. Elisabeth wusste, dass man ihren Sohn ein Verhältnis mit der Comtesse nachsagte, auch wenn diese es bestritt. Sie seufzte. Der Fächer wedelte immer heftiger hin und her und erzeugte mittlerweile einen waren Sturm. Ob wahr oder unwahr mit Sir Charles Corday als offizieller Liebhaber wäre Renée de Mysteriéuse vor den Nachstellungen eines Sir Henry Marschall sicher, dem nicht die Leidenschaft noch einer Frau, sondern die Rivalität zu Corday trieb. Sein gelber Rock verschwand im angrenzenden Salon. Man spielte erneut zum Tanz auf und die wirbelnden Paare versperrten Lady Corday die Sicht. Lady Cecil sprach gerade mit der Königin. Selbst Baronette Leighton war beschäftigt. Niemand schien sie zu vermissen. So entschied sie sich, dass es besser war ihnen zu folgen. Sie wollte gerade den Salon betreten, als .... "Sie trat ihm wohin ...?" Der Wind peitschte Regen und die Äste einer riesigen Eiche gegen das Fenster. Draußen war alles in das Dunkel der Nacht getaucht. Die warmen Frühlingstemperaturen waren dem Sturm gewichen, der über London wütete. Charles Augen tränten vor Mitgefühl. Seine Mutter nickte. "Zwischen die Beine. Er behauptete ihr nur seine Zuneigung gestanden zu haben." Corday schnaubte verächtlich. "Wer es glaubt!" "Die Comtesse sagt, dass er auf sie losging." "Losging?" Ihre Ladyschaft nickte verschmitzt. "'Er ging auf mich los!' Genau diese Worte benutzte sie. Marschall behauptet weiterhin sich ihr nicht tätig genähert zu haben. Aber ich denke, die Comtesse hat ziemliche konkrete Vorstellung, was der Unterschied zwischen schnöden Worten und einem Übergriff ist. Sie wirkte weder verschreckt noch ängstlich. Sehr ruhig, als würde sie lediglich Sir Henry's amourösen Angriff als lästigen Zwischenfall betrachten." Sie lachte. "Du hättest Marschalls Gesicht sehen sollen. Er schien mit allen gerechnet zu haben, aber nicht mit einem Angriff auf seine direkte Männlichkeit." Ihr Sohn grinste breit. Am Hofe musste eine unverheiratete Adlige ohne Vormund und Beschützer mit sexuellen Übergriffen rechnen. Selbst ein Mündel des Königs war nicht geschützt, wenn Testosteron und Macht in einer Person aufeinander prallte, deren Erziehung einzig darauf basierte, ihn zum Mittelpunkt der Welt zu erklären. Ihr einziger Schutz waren List, Tücke und ein noch mächtigerer Liebhaber, aber nie wurde sie handgreiflich. Bei Aramis war diese Eigenschaft "eingebaut". Die spiegelnde Fläche des Fensters warf Corday's Grinsen zurück, während er in die stürmische Nacht hinaussah. Er würde der Comtesse anbieten sie in seinen Schutz zu stellen. So stur sie auch zu sein schien, Sir Henry's Übergriff war nur der Anfang und sie würde bald einsehen, dass es das Beste war. Es war ohnehin nur eine Frage der Zeit, bis er sie dort hatte, wo er sie haben wollte;- in seinem Bett. Zum wiederholten Male fragte er sich, wie der Körper unter dem geschnürten Panzer aussah. Die Fenster von Lord Corday's Zimmerflut sahen auf die riesigen Stallungen nieder. Über 200 reinrassiger Pferde, mit Stammbäume so edel wie die seiner Besitzer, beherbergte das riesige Gebäude. Der Stall erstreckte sich U-förmig und verschmolz an der Ostseite mit der riesigen Parkanlage, während es an der Nordseite an Trakt von Whitehall grenzte, der die Küchenräume beherbergte. Dieser Teil lag um diese Uhrzeit und bei diesem Wetter verlassen da. Die Palastwache kontrollierte das Hauptschloss. Nur sporadisch verlängerte die Wache ihren Kontrollgang hierher. Das Pflaster glänzte nass im Wiederschein der Fackeln. Aus dem Schatten des Gebäudes trat eine einsame Gestalt. Sie stemmte sich tapfer gegen den Sturm, während Wind und Regen um sie tobten und wüteten. Hart griff der Wind in den nassen Stoff des Kleides und zerrte an ihm. Wild peitschten die Haare im Sturm. Das durfte doch nicht wahr sein ... Im Sturmschritt eilte Corday hinunter. Wind, Regen und Dunkelheit schlugen ihm entgegen und hüllten ihn ein. Innerhalb weniger Minuten war sein dünnes Hemd durchnässt und der Wind stich schmerzhaft kalt über die nasse Haut. "Renée brüllte er gegen den Sturm an, aber er fand sich nur alleine im Unwetter wieder. Sie war schon längst im Stall verschwunden. Corday fand sie, als Aramis auf ihrem Pferd saß und die Zügel straff zog. Das menschliches Bündel noch immer an sich gepresst. "Was macht Ihr da?" Der Lord griff ihr in die Zügel und hielt ihre Hand fest. Zwei zornige Augen trafen seine. Ihr Gesicht war gerötet und glänzte vor Nässe. Das Haar fiel nass und strähnig herunter. Die Röcke klebten von Regen durchtränkt an ihren Schenkeln. "Das seht Ihr doch! Ich reite aus", erwiderte Aramis barsch und riss ihre Hand los. "Renèe, um Gotteswillen, draußen tobt ein Unwetter." Ihr Blick wies auf den kleinen Jungen in ihrem Arm. "Ich habe ihn bei den Stallabfällen gefunden. SIE", Aramis spie das Wort aus, wie eine Krankheit, "haben ihn einfach dort liegen lassen und nicht einmal die Diener haben ihm geholfen." "Genau, dass solltet Ihr auch. Die Dienerschaft handelt nur auf Befehl ihrer Herren." "Dann stirbt er. Ich bringe ihn zu einem Arzt." Corday sah die Entschlossenheit in ihren Augen. Was war schon das Unwetter draußen, gegen den Sturm, der in ihr wütete. "Renée", Er blickte sie flehend an, "Ihr widersetzt Euch dem König." "Das ist mir gleich. Hört Ihr, ER STIRBT! Wo gibt es in London einen guten Arzt, Corday?", fuhr sie fort, ohne seine Widerworte zu dulden. "Kommt von dem Pferd runter! Es ist Nacht und es stürmt." "Nein! Der Regen hat fast aufgehört!" "Dann steigt Nebel herauf und Ihr verirrt Euch, Weib!" Aramis beugte sich herunter, dass er ihren Atem und Duft riechen konnte. Blumen und Wein, die Gaben des Frühlings. Sie blechte eine Reihe kräftiger, weißer Zähne. "Ihr eingebildeter, ..." "Oh, ..." "... aufgeblasener, ..." "Sagt nichts, was Ihr bereuen werdet!" "selbstverliebter, arroganter, eingebildeter, verwöhnt, verweichlichter, selbstherrlicher ..." "Nicht!" "... Schnösel." "..." Corday atmete tief durch. "Kommt jetzt von diesem Pferd herunter!" "Nein!" "Ich bringe ihn ja zu einem Arzt!" "Nein!" Er blinzelte irritiert. "Wie nein! Vertraut Ihr mir nicht?" "Nein!" Sie straffte ihre Gestalt. "Bei Euch weiß ich nicht, ob der Junge bei einem Arzt ankommt. Bei mir, weiß ich es." "Nun gut!" Mit einem kräftigen Satz war er hinter ihr auf dem weißen Ross. Aramis riss die Augen auf. Gefangen in ihrem Kosette konnte sie nur die gegenüberliegende Stallwand anstarren. Das Kind weiterhin schützend an sich gepresst. "HERUNTER!" "Redet Ihr mit mir?" Sie sah ihn nicht, aber sie verwettete ihren Leib und ihre Seele darauf, dass er gerade lächelte. "Schert Euch von meinem Pferd!" "Nein!" Seine Schenke umschlossen fester ihr Gesäß. Sie spie Gift und Galle. "Es kann nicht gegen den Sturm rennen, bei drei Reitern!" "Dann steigt ab, Renée! Ich werde es nicht tun!" "..." Aramis keuchte erschrocken auf, als seine Hände ihre Taille umfassten, sie aus dem Damensattel hoben und auf die Erde abstellten. Sie wirbelte in einem Schwall aus Röcken herum und holte Luft ... "Gebt mir jetzt das Kind!" Die Luft entwich. Aramis presste die Lippen zusammen und stieß, während sie Corday das Kind reichte, hervor: "Mein Pferd merkt sich genau den Weg, den Ihr nehmt", zischte sie. "Ich werde wissen, wo Ihr hingeritten seid und ich werde das Kind im Auge behalten." Wortlos nickte er. Er striche die nassen Haarsträhnen aus ihrem Gesicht. "Vertraut mir doch einfach, Renée." Mit diesen Worten gab er ihrem Pferd die Sporen und preschte in die dunkle Nacht hinaus. Aramis fror plötzlich und schlang die Arme um den Körper. So verharrte sie still, während der Wind mit der Tür spielte. Kapitel 17: Rendezvous im Mondschein ------------------------------------ Der Boden des Holzpodests war mit schmutzigem Stroh bedeckt, in dem sich Unrat, Ungeziefer und Exkremente sammelten. Wenn die Angst und der Schmerz der Verurteilten übermächtig wurde, dann versagten die Därme. Um das Podest hatte sich die Bevölkerung versammelt. Die halbwüchsigen Knaben aus der ersten Reihe waren schon in den frühen Morgenstunden da gewesen, um die beste Sicht zu haben. Der Aufseher trat vor. An seiner Seite der Henker. Ein untersetzter Mann, mit bulligem nackten Oberkörper, der schweißnass im Sonnenschein glänzte, auf einem viel zu kleinen Unterkörper. Die Wächter schupsten sie grob nach vorn. Ihre Hände waren mit Lederriemen auf dem Rücken zusammengebunden. Das Hemd aus groben Leinen, die Füße bloß, das Haar geschoren. Mit einem zufriedenen Nicken trat der Ankläger vor und verlass das Urteil. Einige Punkte stimmte, andere waren an den Haaren herbeigezogen oder zur Unkenntlichkeit verdreht. Den Zuschauern war es egal. Laut grölend kommentierten sie jeden Richterspruch und ergötzten sich an ihrer Angst. Sie spürte, wie das Grauen sich ihres Magens bemächtigte und kniff das Gesäß zusammen. Bei allen Heiligen schwor sie sich, ihnen nicht die Befriedigung zu geben, sich vor ihnen zu besudeln. Wieder packten sie grobe Hände und rissen sie zum Schandmahl, um ihre Hände an einem Eisenring, der 5 Fuß über ihrem Kopf hing, zu befestigen. Ihre Arme wurden hochgerissen. Hilflos schliff sie mit den Zehenspitzen über die groben Holzplanken am Boden. Sie hielt Tränen und Angst zurück. Grinsend trat der Henker vor und schnürte sich eine schwarze Lederschürze um, um seinen bloßen Oberkörper vor den Blutspritzern zu schützen. Er riss ihr das Hemd am Rücken einen Zoll auf. Begierigt rückten die Zuschauer weiter vor, um möglichst viel von der nackten weißen Frauenhaut zu sehen. Genüsslich registrierte der Ankläger die Erregung der Menge und gab ein kurzes Zeichen. Mit einem Ruck lag der ganze Rücken frei. Glatte weiße junge Haut, noch unberührt von Entstellungen und Alter. Bereit für den ersten Kuss der Peitsche. Er ließ die Peitsche zur Probe knallen. Sie zuckte bei diesem Geräusch zusammen. Der Drang ihren Tränen und ihrem Magen freien Lauf zu lassen wurde übermächtig. Am Schandmal hängend, verschloss sie die Augen, um die demütigen Blicke nicht sehen zu müssen, die ihren entblößten Körper verschlangen. Verschloss die Ohren vor dem Surren der Peitschen und den unflätigen Bemerkungen der Menge. Wieder durchschnitt die Peitsche die Luft. Eine letzte Runde, bevor ihr langer Schwanz ihre Haut traf ... Mit einem erstickten Schrei fuhr Aramis aus ihrem Schlaf. Ihr Herz raste, ihre Stirn war schweißnass. Diese Träume begleiteten immer wieder ihren Schlaf. Wann würde das aufhören? Die Antwort kannte sie; -nie. Sie atmete schwer und schwang die Beine aus dem Bett. Ihre Füße zuckten vor der Kälte des Bodens zurück. Barfüßig lief sie zum Fenster, öffnete dieses und zog begierig die kalte, klare Nachtluft ein. Nur schwach wehte der faulige Geruch der Themse hinüber. Bald würde der Sommer auf die englische Hauptstadt drücken und der Hof würde sich auf das Land zurück ziehen. Die Hände auf den Fenstersims gestützt, blickte Aramis in die Nacht hinaus. Der Wind strich kalt über ihre bloße Haut, unter dem leichten Nachthemd. Der Wunsch nach Hause zurück zu kehren wurde stärker. Sie spürte, wie sich der Knoten in ihrer Brust fester um das Herz zog. Warum kam keine Nachricht aus Paris von ihren Freunden? Für sie hatte Renée ihren Kokon aus Trauer verlassen und war ganz zu Aramis dem Musketier geworden. War sie ihnen jetzt gleichgültig, nach nur knapp 3 Monaten? Mit zusammengepressten Lippen kletterte sie in das Bett zurück und verhaarte ruhelos bis in die Morgenstunden. Nachdenklich blickte Aramis aus dem Fenster und maß die Entfernung vom Fußboden, -annehmbar. Dann die Entfernung von ihrem Fenster zu de Meyé's Räumen. Gut zwei Stockwerke höher und rechts von ihr gelegen. Eine weite Strecke; - beängstigend, aber machbar. Sie zog den Kopf ein, nahm sich einen Stuhl und wartete. Sie wartete 10 Minuten, sie wartete 30 Minuten, sie wartete eine Stunde. So lange, bis die Sonne am Horizont verschwand und die notwendige Dunkelheit für ihr Unterfangen da war. Die letzten Strahlen der feurigen, roten Halbkugel ergossen sich über die Landschaft. Sie wartete geduldig und ruhig. Sie konnte warten, denn diesmal hatte das Warten ein Ende. Anders als in den vergangenen Monaten wusste sie, dass die Untätigkeit begrenzt war. So bald es Dunkel war, würde sie sich auf den Fenstersims schwingen, zwei Stockwerke hoch klettern und knapp 30 Meter nach rechts. Keine weite Strecke, wenn man davon absah, dass sie an der Außenfassade hing und jederzeit entdeckt oder herunterfallen konnte. Aramis war alleine. Sophie hatte gefleht und gebettelt, dass sie von ihrem gefährlichen Unterfangen abließ. Schließlich hatte sie das Mädchen weggeschickt, weil sie ihre Tränen nicht ertragen konnte. So, die Sonne war untergegangen. Das letzte Tagesgrau würde bald verschwinden und der Nacht das Feld räumen. De Meyé hatte sich für den Ball des Königs entschuldigen lassen, weil er Besuch erwartete. Sein Kammerdiener, der die freie Zeit während der höfischen Pflichten seines Herren nutzte, um den Zofen hinterher zu steigen, um den ein oder anderen Bastard zu zeugen, hatte sich beschwert, dass er an diesem Abend dienen musste. Dies sagte er zum Kammerdiener des Baron Leighton, der wiederum Mr. Hamilton kannte, der es seiner Frau erzählte, die es ... oder umgekehrt. Jedenfalls landete die Information bei Sophie und nun gedachte Aramis, bei dem Treffen dabei zu sein. Die zahllosen Geheimgänge im Louvre waren ihr aus den Aufzeichnungen des Kapitäns bekannt. In Whitehall leider nicht und es blieb nur die Erinnerung an einen 7jährigen Pariser Jungen und seine Eskapaden. De Meyé war wohl kaum geneigt sie einzuladen. Broussard saß wahrscheinlich in seiner winzigen Kammer und schrieb lange Beschwerdebriefe an den Kardinal. Der König und die Königin waren beim Ball, mit ihnen der Hofadel und der Großteil der Dienerschaft. Es blieb nur noch Lord Corday, welcher die Angewohnheit hatte immer zu den ungünstigsten Zeiten aufzutauchen. Diesmal dürfte er ihr nicht in die Quere kommen. Seine Lordschaft lag krank im Bett. Ärgerlich schwang Aramis ein Bein über den Fenstersims. Alle Damen am Hofe sprachen von nichts anderem mehr. Die ganze Damenwelt von Whitehall war besorgt ... nicht sie, aber alle anderen. Das zweite Bein folgte. Es war nicht ihre Schuld, dass er mit einer Erkältung im Bett lag. Schließlich war er ein Narr. Zugegeben ein ziemlich gutaussehender Narr, dass musste sie einräumen, aber letztendlich ein Narr. Sie konnte noch immer den warmen Druck seiner Schenkel spüren. Teufel auch, warum brannte ihr Gesicht bei dieser Vorstellung? Der Wind war hier oben erheblich schärfer, als auf dem Erdboden. Aramis drückte ihren Körper eng gegen die Wand. Sie hatte wirklich andere Sorgen, als an einen Engländer zu denken, der sich seit ihrem ersten Schritt auf englischem Boden in ihr Leben drängte. Was sollte sie auch schon über einen Narren sagen ... einen Narren, der für sie durch die Nacht ritt und eine Lungenentzündung riskierte. Sie verdrängte jeden Gedanken an Corday und begann sich auf das Klettern zu konzentrieren. Befreit von ihren Fesseln sang ihr Körper in der ungewohnten Freiheit. Gleichmäßig, jede Bewegung auskostend erklomm Aramis die Außenfassade. Ihre Nase sog gierig die klare Abendluft ein. Die schmalen Finger ertasteten sich eine Kante, ein Spalt, einen Vorsprung zum Festhalten. Schwungvoll zogen ihre Arme sie empor, kraftvoll schoben ihre Beine von unten nach. Unvermittelt hielt sie beim Klettern inne, als die Stimme des Grafen aus einem geöffneten Fenster ertönte. Atemlos drückte sie sich näher an die Wand und ging langsam in die Hocke, die Hände fest um eine steinerne Stuckverkleidung geschlungen. "Dies wird sicherlich kein Problem für Euch darstellen!" Das war eindeutig die Stimme des Grafen. Ein tönender Bass, in dem Französisch der Südküste. Vorsichtig verlagerte Aramis das Gewicht und rutschte näher heran, um etwas zu sehen. Bisher hatte sie es vermieden nach unten zu blicken. Der Wind hatte erheblich aufgefrischt. Graf de Meyé stand mit seinem Rücken zu ihr und verdeckte seinen Gesprächspartner. Der Salon des Grafen war über und über mit Jagtrophäen verziert und geschmückt. Er schien mehr Spezies ausgerottet zu haben, als eine Eiszeit. Nicht gerade ein Umstand, der Aramis für ihn einnahm. Das rechte Knie auf dem Sims abgestützt, die Hände fest um den Flügel eines leblosen Cherubins geschlossen lauschte sie regungslos. Das Blut wich aus ihren steifen Fingern. Wenn sie das Gleichgewicht verlor, würde sie entweder in die Tiefe oder in de Meyé's Salon stürzen und beides begrüßte Aramis herzlich wenig. "Aber Ihr bekommt doch schon alle Informationen von mir?" Eine dünne unsichere Männerstimme im schlecht artikuliertem französisch antwortete dem Grafen. Eisiges Schweigen herrschte zwischen beiden Männern. Mit auf den Rücken verschränkten Händen fixierte der Graf seinen Gesprächspartner. "Das reicht nicht! Der Einsatz hat sich erhöht." Gemessenen Schrittes durchmaß der Graf den Räum. Erschrocken wich Aramis zurück. Was wenn sein Blick durch das Fenster fiel? Bedächtig und behutsam tastete sie sich wieder nach vorn. Sie musste seinen Gesprächspartner sehen. Allein die Stimme half ihr nicht weiter. Erst kam ein langes Bein in unscheinbaren Beinkleidern, dann ein schlaksiger Körper, der kraftlos in einem Sessel kauerte. Spärlich blondes Haar und blasse blaue Augen in einem Gesicht von bemitleidenswerter Durchschnittlichkeit. Der Ausdruck ständiger Unzufriedenheit und Selbstzweifel hatte sich in die unscheinbaren Züge gegraben. Aramis wusste, dass er David Heydon hieß und entfernt mit Sir Edward Graydon verwandt war, dessen Sekretär er war. Graydon gehörte zum inneren Ministerstab des Königs und bekleidete eine der höchsten Positionen im oberen Parlament. Wenn Sir Edward auf Grund seines Aufgabenfeldes in die geheimsten Staatsgeschäfte eingeweiht war, dann war es Heydon als sein Sekretär sicherlich auch. Heydon stürzte den Inhalt seines Glases mit einem Zug hinunter. Nach der Farbe der Flüssigkeit zu urteilen, ging Aramis davon aus, dass es sich um Brandy handelte. Der Graf musterte seinen Gegenüber mit berechnenden Ausdruck in den Augen, schenkte erneut Brandy in zwei Kelche und setzte sich ihm gegenüber. "Was meint Ihr?", stotterte er unsicher. Der Graf lächelte freudlos. "Ganz einfach mein Freund. Ihr seid mein Mittelsmann und trefft Euch an meiner Statt mit dem Interessenten! Ihr versteht, dass ich mich an bestimmten Ort und bei bestimmten Personen nicht selbst blicken lassen kann. Jemand muss diese Aufgabe für mich erledigen und hierzu habe ich Euch auserkoren. Der französische König ist schon längst misstrauisch genug." Aramis stockte das Herz. Wusste man über sie bescheid? Heydon stand auf und lief unsicher umher. Die Hände knetete er nervös vor seiner hageren Brust. Er blieb vor dem Beistelltisch stehen, nahm die Brandyflasche und schenkte sich ein. "Bedienen Sie sich ruhig", erwiderte de Meyé trocken und lehnte sich zurück. Die Flüssigkeit schwenkte bedrohlich im Glas, weil Heydon's Hände zu sehr zitterten. Er ließ sich in den Sessel gegenüber des Grafen fallen und trank sein Glas in einem Zug leer. Mit der zusätzlichen Menge an Alkohol im Magen schien er wesentlich ruhiger zu werden. Er wollte erneut nach der Flasche greifen, aber de Meyé schob diese beiseite. Das Licht der Kerzen brach sich in den zahlreichen Ringen auf dessen Hand. "Sind wir uns handelseinig, Mr. Heydon?" "Was ist mit meinem Risiko? Was wenn ich erwischt werde? Es ist schon riskant genug, Euch die Informationen zu geben. Ich verliere meine Position, meine Stellung und wie ich hörte, sind Eure Interessenten sehr ungehalten, wenn nicht die Informationen eintreffen, die sie sich erhoffen." "Ihr Narr, ich verlange lediglich, dass Ihr euch mit den richtigen Leuten trefft und ihnen ausrichtet, was ich Euch auftrage. Jeder Dummkopf ist dazu in der Lage. Ihr wolltet mitmachen, Heydon. Keine Belohnung ohne Wagnis. Ihr wolltet höher hinaus, als die dreckige Gosse aus der Ihr kommt. Um das Geld zu bekommen, dass Euch Eure jämmerliche Stelle nicht einbringt. Um mit Reichtum darüber hinweg zu täuschen, welches Nichts Ihr seid. Ihr wollt den Lohn, dann zahlt den Einsatz." Der Graf sah ihn verächtlich an. Heydon war bei jedem einzelnen Wort zusammen gezuckt und tiefer zwischen seine Schulterblätter gesunken. "Und denkt daran", fuhr de Meyé fort, "Ihr seid in meiner Hand." "Aber ich erfülle meinen Teil. Ich gebe Euch alle Informationen weiter, die ich von Sir Graydon erfahre", jammerte er mitleiderregend. Sehnsüchtig suchten sein Blick die Brandyflasche. Die Augen des Grafen musterten ihn kalt. "Dann hättet Ihr Euch mit Eurer Stellung als Graydon's Sekretär zufrieden geben sollen, aber Ihr wolltet mehr." "Ich könnte Euch verraten!" Heydon spielte mit dem Feuer und verbrannte. "Versucht es! Das Grab, welches Ihr Euch schaufelt ist wesentlich tiefer, als das meine. Man wird mich höchstens Absetzen und nach Hause schicken, aber Ihr ...? Was ist? "Ja, schon gut", unterbrach ihn sein Gesprächspartner hektisch und tupfte sich nervös die schweißnasse Stirn ab. "Ich mache es." Der Graf nickte zufrieden. Die beringte Hand schob den Brandy wieder näher. "Ihr bekommt alle Instruktionen, wenn es losgeht." Damit endete der wichtige Teil des Gespräches. Alles andere waren belanglose Floskeln. Aramis schüttelte den Kopf. Sie fror mittlerweile. Sah der König nicht, welche Gefahr von seinem Hof ausging? Karl I. war erst 22 Jahre alt. Gott bewahre ein Land vor einem zu jungen König, dessen Berater ihm nur Unsinn zuflüstern, während dieser noch grün hinter den Ohren war. Sie hatte gehört, was sie hören wollte. Bei allen Heiligen, mehr, als sie sich je erhofft hatte. Mit David Heydon bekam sie den Schlüssel zur Erfüllung ihrer Mission in Form eines charakterschwachen, blassgesichtigen Mitverschwörers in die Hände. David Heydon war mittellos und ein kleines Licht am großen Hof, dass nach Größerem strebte. Es gab bei Verschwörungen immer ein schwaches Glied in der Kette. Vom zuckenden Augenlid bis zu den Schweißfüßen war Heydon wie geschaffen dafür. Seine ganze Erscheinung und sein Auftreten zeichneten diesen Umstand aus. Aramis entschied, dass sie mit allen Mittel David Heydon für sich einnehmen musste. Sie sah sich weder als talentierte Verführerin oder Intrigantin, aber Heydon war zu unscheinbar und mittellos, um wählerisch zu sein und bei Gott, wenn sie es bei einem Lord Charles Corday schaffte ... Es war Zeit den Rückweg anzutreten. Ihre Muskeln waren mittlerweile verkrampft und durchgefroren. Ihre Finger taub und eisig. Vorsichtig bewegte sie ihre Glieder und späte in die Tiefe. Beängstigend weit lag der Boden unter ihr. Aramis zwang sich den Blick nach oben gerichtet zu halten. Der nächste Fenstersims oder Mauervorsprung konnte sich ebenso gut direkt unter ihrem Fuß befinden oder mehrere Zoll entfernt. Selbst die Existenz ihrer Füße wurde zu einer Frage des Vertrauens. Der Wind pfiff in den Ohren. Nur auf ihr Tastgefühl verlassend, tastete sie sich voran. Der Rückweg gestaltete sich als wesentlich schwieriger, als der Aufstieg. Erst jetzt wurde ihr das Wagnis ihres Ausfluges richtig bewusst. Jederzeit konnte ein Fenster geöffnet werden. Man würde sie finden und zur Rechenschaft ziehen. Wie sollte sie das erklären? Und dann passierte letztendlich das, was passieren musste. Ihr Fuß rutschte ab, ihre Hände, klamm von der Kälte fanden keinen Halt und ließen los. Für eine Schrecksekunde fiel sie. Sie atmete nicht mehr, ihr Herz stand still. Ihr Körper schabte an der Wand entlang, ihre Füße suchten einem Vorsprung oder Spalt. Ihr Kinn schlug schmerzhaft auf einen Fenstersims auf. Geistesgegenwärtig umklammerte sie den Mauervorsprung. Pfeifend stieß sie die angehaltene Luft aus. >Bleib ruhig<, dachte sie und zwang die Panik nieder. Wenn sie die Ruhe bewahrte, wurde alles gut. Es waren zwei Stockwerke, dass hieß 6 bis 7 Meter, zwischen ihr und dem Erdboden. Wenn sie fiel, brach sie sich bei viel Glück das Genick und ihr blieb es erspart die Umstände erklären zu müssen. Man würde ihre Leiche untersuchen, der Bericht würde in Frankreich eingehen und alle würden wissen, wer sie wirklich war. Bei weniger Glück brach sie sich nur die Knochen und überlebte. Dann müsste sie alles erklären, man würde sie mit Schimpf und Schande zurück schicken und dann würden sie erfahren, wer sie wirklich war, um sie anschließend anzuklagen. Lediglich 6 bis 7 Meter zwischen ihr und dem Erdboden. Wirklich kein Grund in Panik auszubrechen. Mit zusammengebissenen Zähnen stemmte sie sich hoch. Viel zu langsam und schwerfällig erfüllten die Arme den Dienst, ihr gesamtes Körpergewicht in die Höhe zu stemmen. Aramis ächzte gequält. Als sie sich endlich in die Höhe gestemmt hatte, schob sie ihr Knie auf den Sims und zog sich an den Kerben in der Stuckverkleidung in die Höhe. Ihre Muskeln brannten. Endlich kniete sie auf allen vieren auf einem Fenstersims und atmete schwer, während sich die Schlingen vor ihrem Auge verflüchteten. "Ihr habt ein wundervolles Hinterteil, Comtesse." Vor Schreck wäre Aramis beinah wieder in die Tiefe gestürzt. Ein Arm umfasste ihre Taille und zog sie vollends auf den Fenstersims. Wie gelähmt vor Schreck und Bestürzung starrte sie Lord Corday an, ohne sich regen zu können. "Merde", entfuhr es ihr. "Was habt Ihr gegen eine Treppe?" "Nichts", keuchte sie erstickt. "Verstehe! Immer Dienstags nehmt Ihr die Außenfassade! Wenn Ihr mich besuchen wolltet, hättet Ihr ruhig die Tür nehmen können." Es klang, als amüsiere ihm der Vorschlag. "Allerdings muss ich einräumen, dass mir der Anblick Eures Hinterteils im Mondschein entgangen wäre." "Blödmann", zischte Aramis kaum hörbar und ließ sich schwer atmend auf der Fensterbank nieder. Die Füße nach unten hängend, den Kopf gegen den Fensterrahmen gelehnt. "Ihr seid ein närrisches Weibsbild, was sollte das?" "Ich ... ich ...", resigniert gab Aramis auf eine Erklärung zu finden. Hierzu hätte sie ihr Gehirn benötigt, aber dieses hatte vor Schreck, bei Corday's Anblick die Flucht ergriffen. Sie zuckte die Achseln. "Verstehe. Ihr tragt jetzt Männerkleidung und begebt Euch auf Abenteuer. Seid Ihr jetzt ein Mann?" Er lehnte sich lässig zum Fenster hinaus, die verschränkten Arme auf dem Fensterbrett gestützt. Die langen Beine gekreuzt. Der Mond stand hell und leuchtend am Horizont. Sterne verdichteten sich leuchtend am dunklen Firmament "Und Ihr eine Frau, dass Euch solch ein kleiner Regen umhaut und an das Bett fesselt", erwiderte sie frech. Corday schnaubte. "Wo ist Eure Zurückhaltung." "Ich bin jetzt ein Mann, ich kann sagen, wozu ich Lust habe." Inwieweit war das ein Scherz, fragte sie sich. "Das hätte Euer Tot bedeuten können. Seid Ihr von allen guten Geistern verlassen? Wo ist Eure Vernunft?" Seit sie sich entschlossen hatte von zu Hause auszureißen und Männerkleidung zu tragen, gehörte das Wort Vernunft nicht mehr zu ihrem Wortschatz. Er beobachtete sie seufzend. "Langweilt Euch der Hof so sehr? Habt Ihr Euch mit einem Liebhaber getroffen? Ihr sagt es mir nicht, nicht wahr? Ihr lacht? So witzig ist das nicht. Ich muss gestehen, dass ich noch nie eine Frau wie Euch traf." "Darauf wette ich," erwiderte Aramis trocken und sah angestrengt in die Nacht hinaus, um sein Blick zu meiden. Die dunkle, konturlose Fläche der Parkanlage war um so vieles interessanter. "Wo ist Eure eiserne Jungfrau, Euer Korsette?", fragte er. "Auf meinem Zimmer, neben der Streckbank", erwiderte sie und grinste die kalte Fläche der Mondscheibe an. Sie schwieg und starrte in die Nacht hinaus. Es war eine klare Nacht, mit silbrig-weiße Sternenschimmer auf schwarzem Äther, -eine Nacht von dunkle beruhigender Schönheit. Sie wollte gar nicht reden, nur den Geräuschen der Nacht lauschen. Es war berauschend, einfach und unkompliziert auf dem Fenstersims zu sitzen, die Beine baumeln zu lassen und in die Ruhe der Nacht zu tauchen. Corday bewahrte Feingefühl und gewährte ihr Minuten des Schweigens. "Ihr kommt vom Land?", fragte er, nach einer Weile. "Bretagne." "Musstet Ihr aus Frankreich fliehen? Seid Ihr Protestantin?" Rhythmisch schlugen ihre Füße gegen die Wand. Klack, Klack, wie ein Lied. "Wollte man Euch verheiraten?" Klack klack, wie ein Marsch in die Schlacht. "Seid Ihr schon verheiratet und flieht Ihr vor einem Ehemann? ... Vater, Bruder ... oder vor dem französischen König selbst, nein, dann wüsste es seine Schwester." Klack klack, gleichbleibend mit der Ferse gegen den Stein. Schließlich gab er auf. "Oh, Ihr liebt Eure Geheinmisse. Nun gut, einiges finde ich auch so heraus." Interessiert unterbrach sie ihr Spiel und blickte ihn an. Neugierig, auf das was kam. "Ihr seid selbstsicher. Ihr wisst Euch angemessen auszudrücken und zu benehmen, das heißt, dass Ihr von adeliger Geburt seid. Ihr habt den Stolz eines blaublütigen Stammbaums. Jedoch seid Ihr manches Mal zu impulsiv und erfreut Euch wenig an Tratsch und Intrigen. Deshalb dachte ich mir, dass Ihr alter Landadel seid, der nie viel am Hof verkehrten." Seine Stimme klang betont neutral. "Ich gebe zu, dass ich Euch wahrscheinlich nie beachtete hätte, wenn ich nicht den Streit zwischen Euch und Eurem Sekretär mitbekommen hätte. Es hat mich beeindruckt, wie Ihr Euch gegen diesen Mann behauptet habt, der wie mir scheint genauso wenig freiwillig an Eurer Seite ist, wie Ihr an ihn gekettet seid. Vielleicht ist Euer Vater ein Freidenker, der glücklich auf seinem Land ist, sich der Wissenschaft verschrieben hat und Euch etwas von seiner Kuriosität und seinen Moralvorstellungen mitgegeben hat. Ein Verfechter der griechischen Philosophie oder der alten Römer. ein Shakespearliebhaber. Das würde Eure verrückte Idee erklären. Aber Ihr habt auch sehr konventionelle Eigenschaften. Eure Mutter nehme ich an. Habe ich recht?" Seine hellgrauen Augen sahen sie siegessicher an. Es war erschreckend, wie lesbar das menschliche Wesen war. "Vielleicht", erwiderte sie unergründlich. Ohne ihren Einwand zu achten, nahm er ihre Hand und fuhr über die harten Stellen im Handteller. "Hier, diese harten Stellen zeigen, dass Ihr Eure Hände zu mehr gebraucht, als fächern, sticken und ein Buch zu halten, aber es sind keine Hände einer Bürgerlichen. Auch ein Hinweis auf Eure Abstammung. Ja, Ihr seid vielleicht wirklich eine Protestantin, die floh oder man wollte Euch zur Heirat zwingen." Aramis streckte ihre langen Finger vor sich aus. Sie hatte kein Talent für Näharbeiten. Nie gehabt. Ihre Hände waren zittrig, fahrig und ihr in einem fort im Weg gewesen. Aber wenn sie Degen oder Pistole hielt, dann waren sie ganz ruhig wie die Hände eines Mannes. Als sie mit den Waffen zu üben anfing, hatte es sie überrascht, wie richtig sich Schwert und Schießwaffe in ihren Händen anfühlten. Schweigend betrachtete sie Corday. Und er? Er hatte das Aussehen eines Menschen, aus dem man alles hätte machen können, einen General, ein Denker, ein Taugenichts, ein Lüstling. Ein noch unbearbeiteter Mensch. Würde er auf die richtige Seite gelangen und seinen Geist und seine Persönlichkeit fordern, würde noch großen von ihm zu erwarten sein. Ließ er sich gehen und ruhte sich auf den Lorbeeren seiner Herkunft aus, dann würde er eine Hülle ohne Geist sein. Sie sah ihn an. "Warum interessiert Euch das alles? Was wollt Ihr von mir? " Erstaunt hob er eine Augenbraue. "Oh, niemand weiß etwas über Euch. Ihr taucht hier auf und könntet alles mögliche sein. Auf dem ersten Blick seid ihr Kühl, auf dem zweiten lodert in Euch ein Feuer. Ich fürchte, ich verpasse die Hälfte, wenn ich nicht ständig in Eurer Nähe bin. Heute Abend zum Beispiel begann ich mich zu langweilen und siehe da, - schon taucht Ihr auf und gebt eine höchst eindrucksvolle Vorstellung vor meinem Fenster. Um nichts in der Welt hätte ich das verpassen wollen. Ich schenke Euch eine Rose, Renée!" Er zog sich ein der Rosen aus der Vase, dann die zweite. Zustimmend nickte er. "Die ist schön. Nicht zu perfekt für irdische Zwecke." Nachdenklich sah ihn Aramis an. Den Kopf sinnend zur Seite gelegt, lächelte sie unergründlich. "Ich habe den Hinweis verstanden." Sie erhob sich, kletterte ins Zimmer und klopfte sich die Hose ab "Behaltet Eure Rose, Charles! Ich habe selbst Rosen auf meinem Zimmer." "Wirklich? ... Ich will Euch meinen Schutz anbeiten, ohne Verpflichtungen für Euch. Ich erkläre Euch als meine Geliebt und nie wieder belästigt Euch ein Henry Marschall." "Ich brauche Euren Schutz nicht, Lord Corday," erklärte sie entschieden. "Seid Ihr sicher?" Aramis nickte, wünschte ihm eine guten Nacht und wandte sich zum Gehen. Leise fiel die Tür hinter ihr ins Schloss. Kapitel 18: Die Geliebte des Grafen ----------------------------------- Der Regen rann ihm über das Gesicht. D'Artagnan konnte die Tropfen auf den Lippen schmecken. Es war ein warmer Sommerregen. Vielmehr ein sanftes Streichelten, als störend. "Auf wen wartest du, dass du so geduldig ausharrst, junger Mann?" D'Artagnan bekam den Schreck seines Lebens, als er die zarte, unendlich weiche Stimme unmittelbar hinter ihm vernahm. Abrupt drehte er sich herum und stand der schönsten Frau gegenüber die er jemals gesehen hatte. Ein zauberhaftes Lächeln lag auf ihren engelsgleichen Zügen. Er geriet sichtlich aus der Fassung. Sein Herz begann schneller zu schlagen. "Aaauf einen Freund", stotterte er, während sein Gesicht sich mit Röte überzog. "Wie unhöflich von deinem Freund, dich so lange warten zu lassen", sagte die Frau lächelnd und ihre melodische Stimme streichelte seine Ohren, wie die zarte Briese eines Sommerwindes. D'Artagnan Mund wurde trocken. Seine Kehle versagte jegliche Erwiderung. "Und das im Regen." Ihre Finger fuhren fast wehmütig, über die noch weiche Haut auf seiner Wange und wischten einzelne Tropfen fort. Er spürte wie seine Knie versagten, als er ihren zarten Duft roch. Vor seinen Augen sah er die vertrauten Züge seiner geliebten Constance und dennoch reagierte sein Körper wie der eines Mannes. "Wie heißt du, junger Freund?" "D'Artagnan." Seine Stimme gewann wieder an Festigkeit. "Es regnet", sagte sie sanft. "Das ist nicht schlimm. Sehen Sie dort!" D'Artagnan drehte sich um und blickte zum Himmel. Er sah nicht mehr, wie die junge Frau neben ihm sich in die Haare griff und eine Haarnadel aus den Locken zog. Eine lange scharfe Silberspitze, die spitz und lang genug war, dass Herz eines Menschen zu durchbohren. Die junge Frau hob den Arm und betrachtete den Rücken des abgewandten Musketiers. "Sehen Sie nur den Himmel! Wie die Sonne am Horizont untergeht und die Wolken in Rotgold taucht." Sie verharrte still und blickte dem Himmel entgegen. "Sehen Sie den Regenbogen? Ist er nicht wunderschön?", flüsterte er. >Schön<, dachte sie, >das meinen die Menschen, wenn sie schön sagten?< Sie selbst nannte man schön, aber wenn sie in den Spiegel sah, dann erblickte sie nur das entstellte Antlitz einer Fratze. Sie hatte nie die Assoziation von dem Wort ,Schön' begriffen. Viel besser kam sie mit ,Schmerz' zurecht. Das Wort mit dem sie alle Empfindungen verband. Selbst der Mann, der ihre Mutter aufnahm. Er war erst freundlich gewesen, dann launisch und später gewalttätig. Sein Gespenst fuhr schwarz an ihr vorüber. Ihr Blick glitt unschlüssig von dem jungen Mann zu der zarten Farbenpracht des Sonnenuntergangs. Der Dämon in ihr zischte und fauchte. Das war also mit schön gemeint. "Genauso schön wie Sie", sagte D'Artagnan und brach den Bann. Blitzschnell sprang sie auf ihn zu und schwang den Doch. D'Artagnan spürte die Bewegung mehr, als das er sie sah und ließe sich ließ sich rückwärts fallen. Mit einem wilden Fauchen setze seine Angreiferin ihm nach und hob erneut den Dolch. Vor Schreck nicht fähig schnell genug zu reagieren, starrte er sie einfach nur an. Entschlossen ließ sie die tödliche Spitze erneut niedersausen. D'Artagnan sah wie die Waffe näher kam und auf sein Herz zielte. Schützend riss er die Arme vor die Brust. Eine starke Hand umfasste das schmale Handgelenk der Frau und hielt es fest. Unnachgiebig drückte Athos den Arm der Frau nieder und zwang sie den Dolch loszulassen. Wie eine Wildkatze wand sie sich unter seiner Umklammerung. Wut verzerrte ihre schönen Züge. "Warum liegst du im Dreck, D'Artagnan? Komm wieder hoch!" Benommen rappelte sich der junge Musketier auf. "Danke Athos", murmelte er verlegen. "Warum drehst du ihr den Rücken zu? Habe ich dir den gar nichts beigebracht?", fragte dieser. "Ich war ... ich", stotterte er. Athos seufzte und blickte auf die tobende Frau nieder. "Lass dich nie von einer schönen Frau täuschen!" "Sie ist so schön wie ein Blume", sagte D'Artagnan schlicht. "Aber ihre Seele ist krank und verkümmert." Athos hatte sie in der letzte Nacht, unmittelbar nach ihrem letzten Mord gesehen. Die Gesichtszüge entstellt von Blutgier und Wahn. Die Wirklichkeit hatte die Maske des Scheins zerrissen. "Ist das nicht ungerecht?" fragte D'Artagnan. "Ist es gerecht, dass manche unscheinbare Frau ein viel besserer Mensch ist, als eine Frau, die wunderschön ist?" "Was machen wir jetzt mit ihr?" "Wir werden sie ..." "Gar nichts werden Sie!" Unterbrach ihn eine herrische Stimme hinter ihnen. Als Athos sich umdrehte fand er Graf d'Arennes und vier weitere Männer vor sich. "Lassen Sie sie sofort los, Musketier!", blaffte er, während er das Wort "Musketier" ausspie wie eine Krankheit. "Mademoiselle hat sich des Mordes schuldig gemacht", wandte Athos ruhig ein. "Sie gehört eingesperrt und verurteilt werden. Das wisst Ihr ebenso wie ich." "Gar nichts gehört sie. Sie steht unter meinem Schutz. Also lassen Sie sie augenblicklich los!" "Sie ermordet Menschen, Graf d'Arennes" "Lassen Sie sie los!", knurrte der Graf zwischen zusammengepressten Zähnen. "Übergebt sie uns und wir halten Euren Namen aus der Sache heraus!" "Sie gehört mir." Der Graf sah ihn blasiert an. Athos tat wie ihm geheißen und der Graf riss seine Mätresse hoch, um sie an einen seiner Männer weiterzureichen. "Graf?" Athos hielt ihn zurück. "Madeleine Devon hatte eine Tochter, wusstet Ihr das? Sie ist jetzt Anfang 20." "Eine Lüge", presste er Graf hervor. Doch die junge Frau schrie schrill auf und versuchte sich aus der hartem Umklammerung von D'Arennes Gefolgsmann zu befreien. Wie eine Schlange wand sie sich, während die wahnsinnigen Schreie aus ihre Kehle immer höhere Töne erklommen. Graf d'Arennes erwachte aus seiner Erstarrung. Mit blutleeren Lippen und zu Fäusten geballten Händen trat er auf das Mädchen zu, durch dessen Adern sein Blut und sein Verderben floss. Sie wurde schlagartig still. Schaum hatte sich vor ihrem Mund gebildet. Die kümmerliche Gestalt seiner Mätresse sah in diesem Augenblick weder schön noch gefährlich aus, sondern einfach nur bemitleidenswert. Ängstlich sah sie zu der unnahbaren Gestalt ihres Herrn auf. Mit deutlich blasseren Gesicht wandte sich der Graf zum Gehen. "Es ist wirklich bedauerlich." D'Artagnan beobachtete, wie die Gruppe sich entfernte. "Halte dich lieber weiterhin an Frauen, die ehrlichen Herzens sind, wie deine Constance!" Athos hatte die Arme in die Seite gestemmt und seine Enttäuschung und Wut hinter einer Maske aus ruhiger Gleichgültigkeit versteckt. "Du bist zu nachgiebig, was sie betrifft. Schon Milady konnte dich um den kleinen Finger wickeln." "Konnte sie nicht." "Konnte sie. Pass auf, dass dich die Frauen nicht zum Narren halten, mein Freund!" "Nicht nur mich", behauptete dieser stur und schob die Unterlippe vor. "Und ist es nicht ungerecht, dass man manche Frauen gar nicht sieht?" Die grauen Augen von Athos suchten seine. "Willst du mir irgend etwas sagen, D'Artagnan?" "Nein", erwiderte dieser ausweichend und sah sich interessiert in der Gegend um. "Wer war der Mann?", fragte er stattdessen. "Graf de Arennes, ihr Geliebter." "Aber er ist auch ihr Vater? Also schützt er sie und weil er mächtig, können wir sie nicht verhaften? Dann hat sie unverschämtes Glück." Athos seufzte. "Ich glaube nicht, dass sie Glück hat. Hast du die Augen des Grafen gesehen. Sie wäre bei uns sicherer aufgehoben gewesen." "Was machen wir jetzt?" "Wir beobachten und warten!" Seine Robe stand in Flammen. Die heißen Flammenzungen fraßen sich rasch den schweren Samtstoff hinauf. Der Kardinal schrie. "Eure Eminenz, aufwachen!" Der Kardinal öffnete schlagartig die Augen. "Alessandro, ich stehe in Flammen! Ich sterbe!" Der alte Diener sah in nüchtern an. "Fürr mich seht Ihrr äußerst lebendig aus. Ihrr müsst in den Palast! Ein Eilgesuch des Königs." "Eilgesuch, Eilgesuch", echote Richelieu gereizt. "Dieser ungezogene Bengel entwächst mir." "Von welchem Bengel Ihrr sprecht, Eure Eminenz?" "Der König." "Derr König ist Anfang 30." "Paplapapp", entfuhr es dem Kardinal. "Letztendlich ist er noch der kleine Junge, den ich in Staatskunde unterrichtete." Er schürzte herablassend die Lippen. "Es ist an der Zeit, dass er das wieder einsieht. Ich bin Frankreich." "Wie Ihrr meint." Alessandro zuckte gleichmütig die Schultern. Wer Frankreich regierte war im letztendlich egal, solang der Kardinal sich nicht anmaßte den Papst ersetzten zu wollen. Sein graues Gewand gerafft eilte der Kardinal, so schnell wie ihn seine alten Knochen trugen, durch den Palast. Missmutig gesellte er bald darauf zum König und dem Kapitän der Musketiere. "Wir haben die Mörderin." Erstaunt sah der Kardinal seinen König an. "Wer?" "Angelique Denon, eine Hure. Sie wird gerade von meinen Männern überwacht", erklärte der Kapitän. Richelieu wartete auf weitere Erklärungen, aber die beiden Männer schwiegen. Man verschwieg ihm etwas. Um das zu wissen, benötigte Richelieu kein besonderes Gespür. "Und?" "Verhaftet sie, Richelieu!", erklärte der König schlicht und faltete erhaben die Händen zusammen. "Wir wollen keinen Aufstand. Wir wollen, dass unser Volk erfährt, dass die Mörderin gefasst ist, aber nicht mehr." "Wir wollen keinen Aufstand, Richelieu, wir wollen, wir wollen, wir wollen ..." Der Kardinal knirschte mit den Zähnen vor Wut. Wann immer er in Rage war, vergaß er das Alter und den Schmerz seiner Knochen. Von unglaublicher Vitalität erfasst, jagte er durch die Gänge des Louvre. Sein oberster Gardist hatte Probleme ihm zu folgen. "Wie kann er es wagen?" Richelieu ballte die Hände zur Faust und stoppte derart unvermittelt, dass Rochfort auf ihn prallte. Erschrocken über die Zerbrechlichkeit von Richelieu's hagerer Gestalt, taumelte dieser einen Schritt zurück und sah den Kardinal unsicher an. Noch nie hatte er seinen weltlichen und geistlichen Herrn berührt. Ihm war, als hätte er eine unsichtbare Grenze überschritten, etwas Heiliges verletzt. Richelieu's Menschlichkeit zu spüren, hieß auch er war verletzbarer, denn seine Macht baute auf der Unsterblichkeit von Richelieu's uneingeschränkte Macht. Der Kardinal selbst spürte gerade seine Menschlichkeit und Machtlosigkeit um so deutlicher. Schon wieder war er wie ein Untertan behandelt worden. Ein Untertan und das ihm, dem obersten Staatsdiener Frankreichs. "Da steckt etwas dahinter, Rochfort. Bekommt über diese Angelique Denon alles heraus, was herauszubekommen ist. Nehmt sie in Gewahrsam und Rochfort ..." "Ja, Eure Eminenz?" "... lasst sie notfalls unsere spezielle Befragung spüren!" Rochfort knallt schneidig die Hacken zusammen und verschwand. Es war frühe Abendzeit. Die Männer von d'Treville standen im Schatten des gegenüberliegenden Hauseinganges und unterhielten sich leise. Der warme Nachmittag und der feine Geruch nach Essen, der sirenenhaft aus den Küchen stieg, machte es nicht gerade leicht zu warten. Ein Musketier fächerte sich mit seinem Hut genügend Frischluft zu, während der Zweite angestrengt auf seine Schuhspitzen starrte. Sie sahen nicht, wie auf dem obersten Dachfirst die Gestalt einer Frau erschien. Der leichte Frühlingswind zerrte an ihrem Kleid, die sanfte Briese spielte mit ihrem Haar. Kein Schrei ertönte, kein Dachziegel zerbrach. Sie fiel vom Himmel herab und beendete ihr Leben unrühmlich innerhalb weniger Sekunden. Wie wurde man eine Sirene? Während die Musketiere im Schatten auf ihre Füße starren, die Hausfrauen ihre Suppe rührt, zwei Händler sich an der Ecke stritten und ein Pfarrer, über seinen Theologiefragen brütend, des Weges ging, sah nur eine Frau das Unglück und öffnete die Schleusen ihres Stimmvolumens. Ein Schrei, so schrill ertönte. Die Menschen ringsum erhoben sich aus ihrer Routine und lauschten verwundert, denn niemand anderes hatte sie vom Himmel herabgeschrieen. Als Rochfort zeitgleich mit Athos, Porthos und D'Artagnan eintraf grellten ihre Schreie noch immer die Straße entlang. Passanten hatten eine dichte Traube um die tote Frauengestalt gebildet. "Jussac, prügle dir den Weg frei!", bellte Rochfort seinen Adjutanten an, der sich schonungslos durch die Menge schob. Die drei Musketiere nutzten die entstandene Schneise, um ihm zu folgen. Pflichtbewusst setzte Jussac Ellenbogen und Fußtritte ein, um zu der Leiche zu gelangen. "Hier gibt es nichts zu sehen, Leute! Rein gar nichts. Geht nach Hause!", schrie er, während seine Stiefel in einer Lache aus Blut wateten und die Leiche ein Stückchen zur Seite schoben. "Bei allen Heiligen, die ist hinüber", entfuhr es Porthos. "Him ... mel", würgte D'Artagnan. "Selbstmord", diagnostizierte Athos. Die Frau schrie weiterhin. Ihr üppiger Busen wog. "Himmel Herrgott, HALT endlich das Maul!", brüllte Rochfort sie an. "Jussac, gibt ihr eine Ohrfeige!" Sie verstummte augenblicklich. Ihr Brustkorb kam zum Stillstein. "Ja, Herr." Ein böses Lächeln auf den Zügen trat Jussac vor und ohrfeigte sie. Die Menschen ringsum erstarrten. Die Augen der Frau weiteten sich entrüstet, sie quiekte, sog orkangleich die Luft ein, der Busen blähte sich, ihre Hand hob sich und klatschte mit der Kraft einer gestandenen Hausfrau, der Wucht eines Amboss gleich, auf Jussac's Wange und riss ihn von den Füßen. Leises Lachen ertönte. "Wer ist das?", verlangte Rochfort herrisch zu wissen, ohne seinen Adjutanten zu beachten. "Angelique Denon", erklärte Athos. "Die Hure?" "Na, jetzt nicht mehr", kommentierte Porthos. "Sie ist die Mörderin!", stellte Athos richtig. Die Menge rückte interessiert näher. "ATHOS!" Atemlos bahnte sich einer, der zur Überwachung abkommandierten Musketiere den Weg zu ihnen und rang mühsam nach Luft. Der Ring aus Schaulustigen schloss sich noch enger um die Gruppe. "Sie sind tot. Zwei Männer. Sie liegen oben an ihrer Tür." "Ich nehme an ihre Wächter", mutmaßte Athos. "Mit einem langen Dolch erstochen, der wie eine Haarnadel verziert ist?" Sein Kollege nickte fassungslos. "Woher ..." "Kann mir endlich jemand sagen, was hier los ist?" unterbrach ihn Rochfort brüllend. Er tobte und wütete. "WER ist sie? WOHER kommt sie? WER waren die Männer? Redet endlich ihr verdammten Musketiere!" Auf eine Antwort warteten auch alle anwesenden Pariser. "Sie heißt Angelique Denon und ist eine Hure", erklärte Porthos ruhig. Der Koloss wies großzügig von dem lädierten Schädel der Toten zu dem zeternden Rochfort. "Mademoiselle Denon, Lord Rochfort! Lord Rochfort, Mademoiselle Denon." Was die Situation keineswegs entschärfte. Rochfort spie Gift und Galle. "REDET ENDLICH! ICH BIN DAS GESETZT!" "Schönes Gesetz! Wo wart Ihr, als die anderen Morde passierten?", mischte sich einer der Passanten ein. "Ihr Ausbeuter!", schrie ein Anderer. "Steuernschlucker!", brüllte ein Dritter. "Besoffene Taugenichtse." Überall wurden Stimmen laut. "STILL!" Die raue Stimme einer Greisin fuhr dazwischen. Ihr Krückstock stieß die Menge beiseite. Ihren Weg aus Flüchen und schmerzlichen Ausrufen, bahnend erreichte sie Rochfort. Graues krauses Haar sah unter einer Haube aus dreckigem, zerschlissenen Stoff hervor. Der Mund fiel faltig um einen zahnlosen Mund, dessen Unterkiefer in einem fort zitterte. Aber in den Augen stand ein Feuer, dem die Jahre nichts anhaben konnten. Ihr Mund sonderte reichlich Speichel ab, während sie auf die Leiche wies. Ihr Krückstock stach hart in die leblose Seite der Leiche. "Sie ist die Hure von dieses Grafen, diesem Ar ....ar..." "Graf de Arennes!", half ein anderer weiter. "Graf de Arennes", die Alte nickte wissend und spie auf Angelique Denon's Leiche. "War fast jede Nacht bei ihr und trieb es mit ihr bis in die Morgenstunden. Verdammtes Protestantenpack, alle beide. Sie beteten den Teufel an." Ein Raunen ging durch die Menge. Die Alte und mehrere der Anwesenden bekreuzigten sich sogleich. "Sünder! Satansjünger! In der Hölle sollen sie schmoren, bis in alle Ewigkeit!" Erneut spuckte sie auf die Tote, dann schlug sie sich laut zeternd den Weg zurück durch die Menge. "Aus dem Weg!" Dem Weg ihres Krückstocks folgten erneut Schreie, Schmerzlaute und Flüche. Rochfort grinste bösartig und sah überheblich auf die schweigenden Musketiere, dessen Gefühle nur Athos richtig zu verbergen wusste. "So so, Graf de Arennes. Mercie Madam, Sie haben uns sehr geholfen." Er verbeugte sich spöttisch. "Ihr entschuldigt mich, meine Freunde. Soll ich Euch die Leiche zur Untersuchung hier lassen." Er lachte dreckig. Seine Stiefelspitze stieß den weißen Arm der Toten an. Erneut hielt Athos' Arm Porthos davon ab eine vorschnelle Dummheit zu begehen. Noch in der selben Abend verbreitete sich die Nachricht wie der Wind. Es waren die Männer des Kardinals. Unscheinbar und anonym saßen sie in den Tavernen und flüsterten es in jedes willige Ohr. Bei Bier und Rum fand sie Einlass. Die Angst und Unsicherheit der letzen Wochen hieß sie willkommen. Von den Tavernen trugen sie die Männer mit nach Hause. Sie begleitete sie wie ein unsichtbarer Gast und aß mit ihnen im Kreise der Familie zu Abend. Sie wehte durch die Straßen und Gassen, durch Fensterläden und Türspalten. Ließ die Tür in ihrer Angel knarren, die Vorhänge tanzen und die Fensterläden klappern. Angst machte sich unter der Bevölkerung breit und sie hielt weder vor den katholischen Seite, noch vor der protestantischen Seite. Sie fand auch Einlass im Hause Bonaxieus. D'Artagnan saß schweigend am Tisch und stocherte lustlos in Marthas köstlichen Hasenbraten. Das saftige rosafarbene Fleisch der Keule, dass den Knochen bloßlegte, erinnerte ihn zu sehr an das Geschehende. "Kein Hunger, D'Artagnan?" Mit dem Kopf schüttelnd, verneinte D'Artagnan Monsieur Bonacieux Frage. Fragend sah Jean von seiner Keule auf. Fett tropfte ihm vom Kinn. Es zutschte, als er die Soße von den Lippen sog. "Komm, ein junger Musketier muss essen, damit er bei Kräften bleibt!" Aufmunternd schob ihm Martha die Fleischplatte näher, aber D'Artagnan schüttelte abermals den Kopf. "Gehe doch zum Louvre und treffe Constance", wandte Bonacieux mitfühlend ein und griff nach dem Laib Brot. "Ich kann sie jetzt nicht sehen", sagte D'Artagnan, verständnissuchend. "Ich sehe dauernd die tote Angelique Denon." "Aber Constance ist doch keine Mörderin", rief Jean entrüstet. "Aber Jean ..." Magda sah ihn tadelnd an. "Ist doch wahr." Schmollend beugte sich der Junge über seine Fleischkeule. "Aber es sind beides junge Frauen", erwiderte D'Artagnan leise, "und ich frage mich die ganze Zeit, was hätte passieren können, wenn nicht Graf de Arennes ihr Vater gewesen wäre." Bonacieux sah von seinem Brot auf. "Graf de Arennes sagst du? Ich war heute beim Grafen, weil er neue Kleidung benötigte. Man schickte mich weg und ich musste unverrichteter Dinge wieder heimkehren." Er brach sich ein Brocken Brot und tunkte ihn in die Soße. "Wenn ich gewusst hätte ...", er senkte verschwörerisch die Stimme. "Die Dienstboten erzählten, dass der Graf wahnsinnig geworden ist. Er hätte sich selbst besudelt und so wild gewütet, dass ihn sein Verwalter schließlich einsperrte. Seit dem würde er in Wahnanfällen laut in seinem Zimmer toben oder weinend wie ein Kind zusammenbrechen." "Verständlich", erwiderte D'Artagnan. War es ein Wunder, dass der Graf nach dem Freitod seiner Tochter zusammenbrach? War der Wahnsinn nicht schon längst in ihm gewesen? Angelique war wahnsinnig gewesen. Musste sich nicht zwangsläufig ein Teil ihres kranken Geistes auf ihn übertragen, da er ständig ihr Nähe suchte und das gleiche Blut durch seine Adern floss? Zu wissen, dass seine Geliebte des Nachts mordend durch die Gassen zog und seine Tochter war, zerbrach jeden morbiden Geist. Wieder schwiegen sie. Schlürf- und Schmatzgeräusche unterbrachen das leise Klirren der Teller und das Klappern der Knochen. "Was ist das für ein Lärm?" Neugierig hielt Jean im lautstarken Säubern seiner Finger innen. Von draußen erschallte der gedämpfte Lärm mehrere Menschen in weiter Entfernung. Ahnungslos zuckte Bonacieux die Achseln. "Ich weiß nicht. Vielleicht eine Feier?" Nein, dass war es nicht. Dazu waren die Stimmen zu wütend, der Unterton von Gewalt unüberhörbar. Alarmiert ließ D'Artagnan alles stehen und liegen. Griff nach seinem Degen und lief zur Tür hinaus. Das vibrierende Türblatt kündete von seinem abrupten Fortgang. Der Mond stand längst am Himmel, als er durch die Straßen hetzte. Schlimmes schwante ihn. Der Lärm schien sich zu entfernen. Viele Fenster waren hell erleuchtet. Verängstigte Menschen verbargen sich hinter Vorhänge oder im Dunkel der Zimmer. D'Artagnan verdoppelte seine Anstrengungen und erhöhte das Tempo. Die Rue de Saint Sulpice entlang, in die Rue de Honoré. Doch zu spät. Er war gerannt, als säße ihm der Teufel im Nacken, aber das Geschehene konnte er nicht verhindern. Am leerstehenden Markt an der Rue de Revoline hatte die aufgebrachte Menge einen Protestanten erhängt. Der Wind spielte mit seinen Füßen, die 5 Zoll über dem Boden hingen und zerrte an der Kleidung des erschlafften Körpers. Fassungslos sank D'Artagnan auf die Knie und starrte zu der fanatischen Menge. Er schluckte die Tränen der Wut und des Zorn hinunter. Die Abendluft schmeckte fahl in seinem Mund, der Lärm der tobenden Menge hallte in seinen Ohren wieder, der Wind brannte in seinen tränenden Augen. Kapitel 19: Sir Herny auf Jagt ------------------------------ Das Tier hetzte durch das Dickicht. Es brauchte keine Überlebensinstinkte, die ihm sagten, dass er fliehen musste, um nicht zu sterben. Das Knurren der abgerichteten Jagdhunde in seinem Nacken trieben ihn ohne Instinkte an. Zu seiner Höhle musste es kommen. Seine Höhle war tief und eng genug, um ihm Schutz zu gewähren. Es schlug Haken, durchbrach das Unterholz, rannte durch flache Wasserläufe, doch der heisere Atem seiner Verfolger folgte ihm. In der Ferne erschallte das Jagdhorn. Pferde durchbrachen das Unterholz und galoppierten über die Lichtung. Die Hunde hatten es eingekreist. Jetzt war es für die Jäger ein leichtes, ihn zu erlegen. Ein Schuss löste sich, durchschnitt die Luft und traf tödlich in die Flanken des Fuchses. Blut verfärbte das geschmeidige rotbraune Fell des Tieres. Es zuckte noch einige Sekunden, dann brach es tot zusammen. "Ein ausgezeichneter Schuss, Eure Majestät." "Nicht wahr", bestätigte Ludwig sich selbst. Seine Wangen glühten rot vor Stolz. Er fühlte sich belebt nach der Hetzjagd, befreit von dem Gewicht der Krone Frankreichs. Der König hatte beschlossen, sich für einen Tag auf sein Jagdschloss Versailles zurückzuziehen, um den Unruhen in seiner Hauptstadt zu entkommen. Für einen einzigen kostbaren Tag wollte er den ängstlichen Fragen seines Volkes und Richelieu's ehrgeizigen Kriegsplänen entkommen. Sichtlich berauscht von seiner eigenen Jugend und Unbeschwertheit, traf er auf den durch Alter und Gram gezeichneten Kardinal. Man hatte auf einer Lichtung für das Mittagsmahl ein Zelt aufgebaut. "Genießt den Sonnenschein, das köstlich zubereitete Wild unserer heutigen Jagt und überlasst die Staatsgeschäfte sich selbst!", forderte er den Kardinal überschwänglich auf, während ein Diener ihm eine Schüssel mit Wasser, für die Reinigung der Hände entgegenhielt. "Das kann ich leider nicht, Eure Majestät und auch Euch sollte klar sein, dass die Krone keine freie Zeit kennt. Ihr seid ein König in jeder Minute, die Euch Gott auf Erden gewährt." "Ich weiß, ich weiß", gab Ludwig kleinlaut zurück. Er warf, der neben ihm sitzenden Anna, ein herzliches Lächeln zu und grüßte huldvoll einzelne Anwesende des französischen Hochadels, über die lange Tafel hinweg. "Ich habe hier zwei Briefe, Eure Majestät. Einen von Monsieur Broussard, Ihr erinnert Euch der Sekretär? Und einen von unserem Musketier. Broussard schreibt, dass er bislang mit den mit diplomatische Probleme zurecht kommt, - eine gute Nachricht. Allerdings häufen sich die Beschwerden gegen die Comtesse de Mysteriéuse. Aramis hat sich mit hochgestellten Persönlichkeiten am englischen Hof angelegt. Zu einem gewissen Sir Henry Marschall soll er gesagt haben ... Moment die Beschwerde müsste hier irgendwo liegen .... er hat ihm angedroht ihn mit dem Krankenkarre nach Hause zu schicken." "Was schreibt unser Musketier?" "Das es ihm leid täte, aber es ein ziemlich langer Tag gewesen war und er ihm wirklich auf die Nerven ging und überaus lästig und begriffsstutzig war, aber seitdem würde er ihn in Ruhe lassen. Sir Henry Marschall betonte auch die Tatsache mehrere drohende Blicke bekommen zu haben." "Und Aramis?" "Schreibt, dass er ihn ganz normal angesehen hätte." "Zweifellos. Weswegen stritten sich beide?" "Nun", der Kardinal räusperte sich verlegt, "Sir Henry Marschall hat sich wohl wiederholt der vermeintlichen Comtesse unsittlich genähert." "Unsittlich was?" Ludwig starrte seinen obersten Minister ungläubig an. "Broussard schreibt, dass der ganze Hof über Sir Henrys Zuneigung zur Comtesse de Mysteriéuse Bescheid weiß. ... Er ist wohl ..." Erneutes Räuspern. Es war dem Kardinal sichtlich unangenehm die nächsten Worte wiederzugeben und er tat es nur mit geziertem Gesichtsausdruck und spitzem Mund, "... vor unerwiderter Liebe ganz krank. Wörtlich verkünde Sir Henry, dass er nicht mehr schlafen würde, bis er sie ... ähm ihn besitzt." Ludwig schlug sich vor Erheiterung derart heftig auf den Oberschenkel, dass ihm das Fleisch von der Gabel flog und auf Anna's Rock landete. Neugierig ließ sie von ihrem Gespräch mit einer Hofdame ab und wendete sich ihrem Gemahl zu. "Was ist so lustig, Ludwig?", fragte sie, während ein Diener das Fleisch von dem kostbaren Stoff ihres Kleides entfernte. Der König beugte sich näher zu seiner Gattin und flüsterte es in ihr Ohr. Belustigt sahen sich beide an und lachten im stillen Einvernehmen. "Eure Majestät, warum lacht Ihr?" An der Tafel war es still geworden. Ludwig wischte sich eine einzelne Lachträne aus dem linken Auge und sah in das neugierig dreinblickende Gesicht von Graf de Maurie. "Mein lieber Graf, dass selbst französische Männer den faden englischen Lady's in Schönheit so weit überlegen sind, dass schon die englischen Lord's vor Liebe krank werden?" Um über das allgemeine Unverständnis hinwegzutäuschen lachte der gesamte Hof mit dem Königspaar einfach mit. Derweil trieb eine unbußfertige Aramis an Englands Königshof weiterhin ihr Unwesen. Aramis nickte den beiden Damen zu. "Lady Anabelle, Lady Roberts." "Comtesse." Ein freundliches Lächeln erwiderte das ihre. "Mr. Heydon." Die Stimme von Lady Roberts sank merklich und das Gesicht verschwand hinter dem Fächer. Sich eifrig Wind zufächern verschwanden die beiden Frauen schleunigst. David Heydon Gesichtsausdruck blieb unverändert mürrisch und missgelaunt. "Wollt Ihr Euch setzen?" Ohne auf einen möglichen Einwand zu achten, zog sie ihren Begleiter weiter. Mit ihrer ganz eigenen Eleganz, ließ sie sich auf das Sofa nieder. Die Wochen in einem stählernen Korsett hatten sie einen gewissen Stil gelernt. Da sie den Oberkörper nicht beugen konnte, galt es sich hinzusetzen, ohne sie wie ein Sack fallen zu lassen. Die Kunst bestand darin, den Schwung mit den Knien anzufedern. Rock hinten glattstreichen, fallen lassen, die Schenkel anspannen und mit den Knien abfedern, um sanft zu landen. Handgriff, Rock oberhalb glattgestrichen und Mr. Heydon anlächeln. Wobei es wesentlich leichter wäre, wenn ihr Begleiter zurücklächeln würde. Er seufzte. "Wenn er doch nur endlich meine Fähigkeiten zur Kenntnis nehmen würde." Betreten räusperte sich Aramis und verlagerte ihre Sitzposition. Es ging doch nicht noch immer darum, wie schändlichst Heydon's nicht vorhandene Fähigkeiten ignorierte wurden? "Das ist einfach ungerecht. Ich meine ... wie lange arbeite ich nun schon für ihn und hat er einmal ..." Es ging also immer noch darum. Aramis verdrehte innerlich die Augen. Wie viele Wochen ertrug sie nun diesen Mann und seine ständige Nörgelei? Es schien ihr wie eine Ewigkeit. "Wie lange kennen wir uns nun, Mr. Heydon?", unterbrach sie ihn. Verwundert hielt er inne. "Drei Tage." "Doch so lange schon?" Aramis lächelte gequält. "... dabei bin ich mit ihm verwandt. Vielleicht nicht direkt, aber doch immerhin ..." Es war verständlich, warum de Meyé diesen Mann als willigen Helfer auserkoren hatte. Heydon war gewissenlos, charakterschwach und von ständiger Unzufriedenheit. Warum konnte er es ihr nicht leicht machen? Er legte ihr sein Herz zu Füßen, gestand ihr, dass er nicht länger ein Nichts am Hofe bleiben wollte und verriet ihr seine Pläne? Stattdessen hätte sie ein Holzklotz sein können. Das Ventil seiner angeborenen Unzufriedenheit. Heydon lebte im ständigen Martyrium. Wann immer sie sich trafen, war selbst Aramis bald der Ansicht, die Welt zum Teufel jagen zu müssen. Als er sich schließlich verabschiedete war ihr alles gleichgültig geworden. Den Arm auf die Sofalehne gestützt, den Kopf seitlich in der Hand, sah sie ihn aus halbgesenkten Augenlidern nach und winkte träge zum Abschied. Da ging ein weiterer Beweis, warum sie falsch für diese Mission war. "Schneidet Ihr mich, Renée?" Bei Gott, Charles Corday. Diese Stimme aus dem Hinterhalt, wenn sie es am wenigsten erwartete. Aramis schrak zusammen und setzte sich aufrecht hin. "Aber nein", stammelte sie. "Ich bewundere nur die Aussicht. Das sind die hübschesten ..." Sie kniff die Augen zusammen. Was genau befand sich da draußen? "Ställe, Renée. Sie werden Ställe genannt. Dort bringt man Pferde gemeinhin unter." Jetzt wo er es sagte, fiel es ihr auch auf. Keine sehr faszinierende Aussicht. Ungefragt setzte er sich zu ihr. "Ihr kränkt mich Renèe! Mr. Heydon? Ihr lehnt meine Anwesenheit ab, um sie gegen Heydon's zu tauschen?" >Oh ha< Der Glanz leichten Zynismus erschien auf ihrem Lächeln. "Gekränkt?" Er lehnte sich zurück und schlug die langen Beine übereinander. "Neein, aber Sir Henry habt Ihr in tiefe Verzweiflung gestürzt. Der Gute hat sich bei mir ausgeweint." "Der Ärmste." "Ja, selbst Euer Sekretär bat mich auf Euch einzureden." "Broussard? Ist er völlig wahnsinnig geworden?", entfuhr es ihr überrascht. Was hatte Broussard gegen jemanden Unbedeutendes wie David Heydon? Corday fühlte sich in seinen Stolz verletzt, Sir Marschall verging vor Eifersucht, der Rest des Hofstaates schüttelte fragend den Kopf und sie selbst verachtete sich. Und wofür das Ganze? Letztendlich war nicht einmal Heydon besonders glücklich, weil er diesen Zustand gar nicht kannte. "Es ist nicht so, wie Ihr denkt." Und wieder ärgerte sie sich über sich selbst, dass es ihr wichtig erschien, was Corday dachte. "Und jetzt entschuldigt mich! Ich muss mich umziehen." Schwung holen, Schenkel anspannen, mit den Knien abfedern. Handgriff, Rock glattgestrichen und lächeln. "Renée?" Sie drehte sich noch einmal um. "Gebt auf Sir Henry acht! Dieser Mann ist unberechenbar und genießt durch seine Stellung Narrenfreiheit", sagte er ernst und wirkliche Sorge sprach aus seinen Augen. Dabei war sich Aramis sicher, dass Marschall ihr nur zum Schein hinterher lief, um Corday zu treffen. Warum sollte sie sich um ihn auch noch Gedanken machen, wenn Corday es schon zur genüge tat. Wortlos ließ sie ihn alleine. Immer noch deprimiert kehrte sie zu ihren Räumen zurück und fand Broussard's Hand am wohlgerundeten Hinterteil ihrer Zofe vor "Broussard? BROUSSARD!" Ihr Ton wurde scharf. Er schreckte auf. "Habe ich Sie nicht gewarnt? Elendiger Mistkerl!" Er musterte sie. Langsam und provokant glitt sein Blick von den Füßen zu dem Haarscheitel. Sein dünnlippiger Mund entblößte eine Reihe schmaler, langer Zähne. Mit dem selbstgefälligem Grinsen, glich sein Gesicht mehr denn je das einer Ratte. Er sprach langsam und wohlartikuliert. "K-a-s-t-r-a-t!" Kalte Ruhe erfasste Aramis, ihre Augen glitzerten eisig. "Ratte!" "Eunuch!" Ängstlich ging Sophie in Deckung. Sie drückte sich gegen die Zimmerwand und verfolgte mit angehaltenen Atem der Schimpftirade die über sie hereinbrach. In den folgenden Minuten nahmen beide Kontrahenten mehr Schmutz in den Mund, als in der finstersten Gasse zu finden war. Keiner der beiden wollte der Klügere, der Überlege sein, welcher nachgab. Der Kraft ihres Hasses wolte nur Ausdruck verliehen werden, der wie eine verbaler Hagelschauer durch das Zimmer flog. Schließlich standen sich beide schwer atmend gegenüber und fletschten wortlos die Zähne. Sofern sie tierische Attribute besessen hätten, würden beide mit den Huf scharren. Endlich sah Aramis ein, dass sie die Klügere sein musste. Egal wie sehr sie ihn auch hasste. "Was haben Sie da?" fragte sie herrisch und wies auf das Schriftstück in Broussards Hand. Der Sekretär straffte seine dürre, schwarzgekleidete Gestalt und strich das dünne Haar aus der Stirn. "Das? Oh, Briefe aus Frankreich. In Paris ist gerade die Hölle los. Sagen Sie bloß, dass wussten Sie nicht?" Aramis knirschte laut mit den Zähnen. Nein, dass hatte sie wirklich nicht gewusst. Woher auch, bisher trafen keine Briefe ein. "Die Pariser beginnen Jagt zu machen, auf alles was protestantisch ist", fuhr er fort. "Ihre Kollegen schieben gerade Doppelschichten." Im falschen Mitgefühl verzog er das rattengleiche Gesicht. "Zu dumm aber auch, dass Sie in Weiberkleidern in England Männer verführen müssen. Was wohl Ihre Kollegen sagen würden, wenn sie das wüssten?", schloss er gehässig. "Ich glaube, Musketiere mögen keine Kastraten oder Männer die Männer mögen, habe ich nicht recht, Mädchenjunge?" Sophie eilte zu ihr und umfasste ihren Arm. "Kommt, wir gehen im Park spazieren! Flehend sahen ihre Augen zu ihr auf. "Machen Sie, dass Sie fortkommen," zischte Aramis, drehte sich herum und ging. "Immer wieder fängt er damit an." "Nicht aufregen!" Mitfühlend tätschelte das Mädchen ihre Hand, während sie die langen Gänge hinter sich ließen. "Jeder wirkliche Mann hätte ihn schon längst erwürgt, diese Made", knurrte Aramis erbost. Das schlimme war, dass er recht hatte. Noch nie hatte sie sich so untätig und unnütz gefühlt, wie bei diesem Possenspiel. Ihr einziger Trost war, dass Athos und die anderen in Paris waren. Es war für sie alle besser, dass ihre Freunde nicht sahen, was sie hier tat. Erst die unnützen Stunden mit Heydon, dann Broussard. Konnte es noch schlimmer kommen? Es konnte! Sie wurde in ihren düsteren Gedanken unterbrochen, als unvermittelt zu ihrer Rechten eine Tür aufgestoßen wurde. Aramis hatte gerade noch Zeit Sir Henry Marschall zu erkennen, dann packten sie auch schon Marschall und noch ein Mann und stießen sie in eine dunkle Kammer, während ein dritter die Tür offen hielt. Sie schrie. Sophie fing an in grellem französische um Hilfe zu rufen, dass einer der Männer von Aramis ablassen musste, um sich der Zofe anzunehmen. Aramis gelang es einen Arm freizubekommen und versuchte um sich zu schlagen. Harte Schläge trafen ihr Gesicht. Höflinge hatten den Krach vernommen und kamen angerannt. Noch immer herrschte Finsternis in der Kammer. Sir Marschall wurde umzingelt. Er hatte die Hand fest in ihrem Kleid gekrallt und schrie:, "Die französische Hure gehört mir" Ich bete sie an." "Lasst sie los!", rief jemand, aber niemand wagte einzugreifen. Sir Marschall war zu mächtig. Aramis trat nach seinem Schienbein. Er zerriss ihr das Kleid, als er losließ und sich das Bein reibend herumhüpfte. "Ich will sie", schrie er weinerlich. Sein Kammerdiener schob sich durch die Menge und legte Sir Henry die Hand auf den Arm. "Sir Henry, seid brav und folgt mir!" Marschalls Gesicht verzog sich, wie das eines enttäuschten Kindes. "Aber ich will sie!" "Nicht heute." Sein Kammerdiener bleibt unbeirrt und führt ihn aus der größer werdenden Menge von Gaffern. Es war wie ein Possenspiel, bei dem der ganze Hofstaat anwesend zu sein schien. Sophie klammerte sich an ihrem Arm. Sie zitterte vor Nervosität und Aufregung. Aramis tat das ihrige dazu; sie bejammerte ihr Kleid, als bereite es ihr Kummer. Bei Hofe, wo die Tugend der Frau so wenig, wie in einem Bordell galt, war ein ruiniertes Gewand, das einzige, dass zu beklagen galt. Der wahre Schock war für Aramis nicht der Überfall an sich, sie war Handgreiflichkeiten als Musketier gewöhnt gewesen, sondern Sir Henry Marschalls Worte. Seine wüsten Beschimpfungen, unter die er seine Bewunderung mischte, hatten wie das Fauchen eines Raubtieres geklungen. Sie war als Frau nur Beute, mehr nicht. Sie verstand jetzt, wie sich ein Mann nach der Kastration fühlen musste: gedemütigt, herabgesetzt, ausgestoßen aus der wunderbaren Gesellschaft der Herren der Schöpfung. Der Zaubermantel aus Männlichkeit, Verwegenheit, Freiheit und Ungebundenseins, hatte sich aufgelöst und sie schutzlos zurückgelassen. Am Ende blieb alles beim alten. Ein mürrischer Sir Henry wurde von Großkämmerer gerügt und man bat ihn sich von der Comtesse fern zu halten. Eine deprimierte Aramis musste einsehen, dass Lord Corday nicht unrecht hatte und verfluchte ihn in ihrem Elend gleich mit. Sie verbrachte den Rest des Abends in ihrem Zimmer. Als sich am nächsten Tag die Mittagsstunde näherte und die letzten Bewohner des Palastes aus ihren seidenen Bettlaken schälten, sprach noch immer der gesamte Hof darüber. Charles Corday war gerade von einem längeren Ausritt zurückgekehrt und hatte sein Pferd im Stall dem zuständigen Burschen gegeben, als er auf Sir Henry Marschall traf, dessen Gesicht deutliche Blessuren zeigte. Mit einem breiten Lächeln auf seinen Zügen trat Corday auf seinen Widersacher zu. "Wollen wir gemeinsam nach Hause gehen und Ihr könnt mir berichten, wie Eure abendlich Jagt ausgegangen ist?" Marschall verzog für einen Moment das Gesicht. Corday registrierte den wortlosen Gehfühlsausbruch mit einem maliziösen Lächeln und legte Sir Henry den Arm um die Schultern, als wollte er ihn stützen. "Wir sollten uns etwas eingehender unterhalten, mein Freund!" Würde Renée weiterhin so unklug sein und aus weiblichem Fürwitz heraus auf seine Hilfe verzichten? Ganz sicher, weil diese Frau keine Vernunft besaß. Es wurde Zeit, dass sich ein Corday der Sache annahm. So ein bezaubernder Hintern. Mit einem kurzen Ruck der Zügel, brachte Aramis ihr Pferd zum Stehen. Sie tätschelte leicht den Hals ihrer Stute. Sir Henry war gerade zurückgekehrt und von Lord Corday abgefangen worden. Prüfend behielt sie die beiden ungleichen Männer im Auge. Weiterhin blieb sie zu stur, um Corday's Hilfe anzunehmen oder gar zu danken. Ihre Vernunft trat nach ihrem Gehirn und versuchte ihre Aufmerksamkeit zu wecken, aber der sture, stolze Teil in ihr, der meinte keine männliche Hilfe zu benötigen, schob sich dazwischen Die Sonne schien heiß am wolkenlosen Himmel. Bevor der Stallbursch zu ihr eilen konnte, rutschte sie aus dem Sattel und landete sanft am Boden. Ein Schwall von Unterröcken und Spitze folgte ihr. Noch immer beobachtete sie beide Männer. Es war leichter Marschall im Auge zu behalten, wenn sie ihm folgte, als sich von ihm verfolgt zu wissen. Das Etwas, dass ihre Aufmerksamkeit erringen wollte und vielleicht Unsicherheit und Angst, hieß sprang inzwischen auf und ab, blieb aber weiterhin ignoriert. "Madam?" Der Stallbursche trat ungeduldig von einem Bein auf das andere und strecke fordernd die Hand nach den Zügeln aus. Sie lächelte verneinend und führte die Stute selbst in den Stall. Der königliche Stall ein Hort für Pferde, reinrassig und edel von der seidigen Mähne bis zum Hufe. So weit das Auge reichte standen sie dicht gedrängt. Nur weil der königliche Stall die kostbarsten Tiere des Landes beherbergte, hieß es nicht, dass ihnen die beste Pflege angedeiht wurde. Das Fell schimmerte weich wie Samt. Ihre Körper besaßen perfekte Proportionen. Ihr Wiehern klang stolzer als das jedes anderen Pferdes. Das Stroh raschelte leise unter ihren Füßen. Gedankenverloren strich Aramis ihrer Stute über die Nüster und kraulte das kurze Fell am Hals. Ihr Pferd war längst nicht so edel wie das der anderen Adligen, aber es hatte ihr schon viele gute Dienste erwiesen. Es war ausdauernd, folgsam und einer der wenigen Verbündeten, die sie hier hatte. Ach wäre sie ein Pferd, nein Pegasus, mit kräftigen weißen Schwingen. "Möchtest du einen Apfel?" Freudiges Wiehern antwortete ihr. Jemand räusperte sich. Als sie sich umdrehte, sah sie David Heydon in einiger Entfernung stehen. "Mr. Heydon." Er räusperte sich erneut und scharrte unbehaglich mit den Füßen. "Comtesse." Weiterhin behielt er drei Meter Abstand. "Wie geht es Euch?" Aramis sah ihn erstaunt an. "Gut, danke der Nachfrage" "Nun", wieder ein Räuspern, "der ganze Hof spricht von dem gestrigen Vorfall." Die Füße scharrten nervös über den Boden. "Ich hoffe, Sir Henry unterlässt es in Zukunft sich mir zu nähern." "Haltet Ihr es für klug, einen mächtigen Mann wie Sir Henry, fortzustoßen?" Aramis zog scharf die Luft ein. Wie bitte? Sie war schließlich das Opfer. Wie konnte er es wagen Henry Marschall über sie zu stellen? "Ich weiß nicht, was Ihr meint", erwiderte sei kühl. Seine Stimme klang distanziert . Er blieb still, gab ihr nicht mehr die Befriedigung, mit den Füßen zu scharren. "Ich denke, wir sollten uns nicht mehr sehen. Ihr habt Sir Henry verärgert und ich kann es mir nicht leisten, mit Euch in Verbindung gebracht zu werden." "Wie bitte?" Aramis traute ihren Ohren nicht. War dieser Mann ein geborener Idiot, oder hatte ihn seine Mutter auf den Kopf fallen lassen? Niemand brachte Heydon mit ihr in Verbindung, weil niemand Heydon sah. Er war ein kleines Licht, dass bestenfalls an ein Feuer dachte. Heydon war Rückratlos und so charakterschwach, dass er gerade genügend Charakter besaß, um zu existieren. Aramis warf ihm den Apfel zu. Er prallte an seinem Arm ab. Heydon wich einen Schritt zurück. "Was sollte das?" "Entschuldigung," erwiderte Aramis. "Ich bin nur von dem Apfel einfach zu begeistert." "Heute Abend werde ich ohnehin zu tun haben", fuhr er, im sicheren Abstand fort und begann wieder mit seinen Füßen zu schaben. Sein Adamsapfel hüpfte aufgeregt auf und ab, während sich Schweißperlen auf seiner Stirn bildeten. "Ich habe eine wichtige Verabredung und muss nach London rein." Heydon traf sich mit den Mittelsmänner. Aramis staunte. So leicht war das? Er musste ihr gar nicht seine Pläne anvertrauen. Sie brauchte ihm einfach nur beim Transpirieren zusehen. Bevor sie eine Antwort geben konnte, floh er. Ihr war es letztendlich egal. Sie hatte erfahren, was sie brauchte. Heute Abend würde sie ihm folgen. Kapitel 20: Lang lebe der Papst ------------------------------- Aramis saß scheinbar unbeteiligt an einem Tisch, in der hintersten Ecke im Wirtshaus. Eine Spelunke wie es sie auch überall in Frankreich zu finden gab. Lediglich die Sprache war eine andere. Sie hatte den Kopf tief gesenkt und starrte auf den, von vielen Zähnen gezeichneten Holzbecher herab. Ihre Kehle war wie ausgedörrt, aber sie rührte das mit Wein gefärbte Wasser nicht an. Aus dem Halbdunkel ihrer stillen Ecke, beobachtete sie Heydon. Der Sekretär saß am anderen Ende der Schenke und schien zu warten. Aramis wusste längst auf wen er wartete. Aber wie sollte sie ein Treffen verhindern, bei dem vielleicht Informationen die Seite wechselten, die sowohl England als auch Frankreich schaden konnten? Am Nachmittag hatte es in Strömen geregnet. Mit Beginn der Nacht kam schließlich der Nebel hervor gekrochen. Sie brauchte nur Heydon abzupassen. Aramis wusste, dass er nicht die breite Prachtstraße zum Außentor von Whitehall nehmen würde, sondern den Seitenweg, der zur Themse führte. Im Schatten einer Statur, hatte sie geduldig gewartet. Als langsam die ersten Fackeln entzündet wurden kam er. Eiligen Schrittes war er an ihr vorbeigelaufen, ohne sie zu bemerken. Sie löste sich aus dem Schutz der barbusigen Jagdgöttin Diana, ihre Schritte passten sich den seinen an und nahmen die Verfolgung auf. Whitehalls Weg nach London führte über die Themse. Entweder man überquerte den breiten Strom, über Londons einziger Brücke, der Tower Bridge oder in einem der zahlreichen Boote an seinem Ufer. Die blaublütigen Bewohner des königlichen Palastes, passierten in prächtigen Karossen die Brücke, um in das profane Bürgertum der Hauptstadt einzutauchen. Für das Verborgene und Heimliche, blieb der direkte Weg über das Wasser. Die Bootsleute fragten nicht, wenn genügend Schillinge die Hand wechselten. Auch Heydon hatte diesen Weg gewählte. Der Nebel kam und wurde schnell dichter. Er schlich durch Seitenstraßen und kleine Gassen. Aus dem Boden stieg er, vom Fluss kroch er, senkte sich vom Himmel herab. Trotz später Abendstunde hatte ein reges Treiben am Fluss geherrscht. Der breite Strom war mit kleinen Booten oder schweren Fährbooten übersäht gewesen. Verborgen unter der weiten Kapuze ihres dunklen Umhangs, folgten ihre Augen Heydon's Boot, während ihre Barke schwankend die dunklen Wellen durchbrach. Der Fährmann stand schweigend am Bug. Am anderen Ufer hatte sie ihre Verfolgung fortgesetzt. Heydon's Weg führte nach Newmarket. Er ließ die Prachtstraßen und Prunkbauten hinter sich und drang immer tiefer in die City vor. Geschäftige Bürger und Händler hatte ihr die notwendige Deckung gegeben, um dem Verschwörer Widerwillen unentdeckt folgen zu können. Sie durchquerten die ärmeren Viertel, dessen Häuser aus Holz erbaut waren, nicht aus Stein. Der Abfall wurde auf die Straßen gekippt. Das Vieh rannte durch die Gassen, dessen grobe Pflastersteine unter Kot und Dreck verborgen lagen. Nie zuvor war sie alleine und zu solch später Stunde in London gewesen. Sicherlich schlich das Gefühl von Angst sich ein, als sie in die dunklen Straßen und Gassen eintauchte. Es wäre Wahnsinn gewesen sie nicht zu fühlen. Es war etwas anderes alleine in der Nacht durch Paris zu laufen, einer Stadt die ihr vertraut war. Dies war London und unter dem weiten Umhang verbarg sich ein kräftemäßig unterlegener Frauenkörper, dazu noch der einer Ausländerin. Aber die Anziehungskraft des Abenteuers war da. Nie konnte sie sich seiner Faszination entziehen. Ihre Hand lag griffbereit auf der Waffe an ihrem Gürtel. Wenn sie verängstigt und müde war, doch zu stur und stolz, um sich das zuzugestehen, dann wollte niemand ihren Gesichtsausdruck hinter einer geladenen Waffe sehen. Es war vielleicht das letzte, was er sah. Der Schlag ihres Herzens wurde ruhiger, als sie Heydon in ein besseres Viertel folgte. Endlich waren die Häuser wieder aus Stein, die Straßen breiter, sauberer und die Dunkelheit von einzelnen Fackeln, in eisernen Trägern erhellt. Schließlich betrat Heydon eines der Gasthäuser. Seit dem war eine halbe Stunde vergangen und sie gab sich betont abweisend, um in Ruhe gelassen zu werden. Heydon spielte sichtlich nervös mit seinem Weinbecher. Andauernd sah er zu Tür und wischte sich die schweißnasse Stirn trocken. Sein aufgeregtes Gebärden wirkten so fehl am Platz, dass er schon einige Gäste auf sich aufmerksam machte. Feingliedrige Finger legten sich auf ihre Schulter. "Kennen wir uns nicht, mein Freund?" Tot und Verdammnis, dass war nicht mehr feierlich. Wunderte es da jemand, wenn sie anfing unter Paranoia zu leiden. Laut stieß Aramis die Luft aus und umkrallte den Becher in ihren Händen so fest, dass das Blut entwich. Sie fluchte innerlich im schönsten Pariser Gossenfranzösisch. Warum nur wusste sie, dass auf Corday's Zügen ein spöttisches Lächeln lag, ohne Blick heben zu müssen? Sie rutschte tiefer zwischen ihre Schulterblätter und nuschelte im unverständlichem Englisch. "Kaum, ich bin zum ersten Mal hier". "Welch ein Zufall, ich auch." Unvermittelt saß er ihr gegenüber, schlug die langen Beine lässig übereinander und sah sie mit der entspannten Miene eines Katers an, der noch ein wenig mit der gefangenen Maus spielen wollte, bevor er sie fraß. "Renée, welche bezaubernder Anblick, Euch in dieser dunklen Schenke zu finden?" Aramis zuckte zusammen. Sie sah auf, die Hand hilflos zur Faust geballt. "Warum nur?" Sie war weinerlich still. Ihr Leid stand auf ihrem Gesicht geschrieben. "Warum nur?" Er zuckte die Schultern. "Vielleicht Vorsehung. Ihr seid wirklich eine erstaunliche Frau. Noch nie traf ich jemanden wie Euch. Immer noch auf der Jagd nach Abenteuer?" Er warf einen Blick in ihr Gesicht, wie ein saurer Apfel und er tätschelte ihr gönnerhaft die Hand. "Keine Sorgen, Euer Geheimnis bleibt bei mir sicher aufgehoben. Mich selbst hat die Langeweile hergetrieben." Ja, aber warum gerade diese Schenke, zu dieser Stunde, an diesem Tag? Immer noch lag ein nervenaufreibend strahlendes Lächeln auf seinen Zügen, während er sie musterte. "Welchen Wein könnt Ihr mir empfehlen?" Wortlos schob Aramis ihm ihren Becher entgegen. Der größte Teil des Weinwassers schwamm noch in ihrem Becher. Ebenso wortlos, aber beredend hob Corday den Blick und bestellte Rum. Die Schankmagd brachte eilfertig Lord Corday's Krug. Eine junge Frau, dessen Hüftschwung sich der jeweiligen Anziehungskraft der Wirtshausgäste anpasste. Beim Anblick des gutaussehenden Lords tanzte ihre Körpermitte, dass die braunen Röcke aufwirbelten und der weiße Busen wippte. Geschickt streifte ihr Hüfte Corday, als sie den Becher abstellte. Der angehaltene Atem hob ihr großzügiges Dekollete einen weiteren Zentimeter über den Miederrand. Enttäuscht stieß sie die Luft wieder aus. Ihr Gast hatte seine Aufmerksamkeit einzig auf seinen Gegenüber gerichtet, der wiederum angestrengt von der Tür in den Schankraum sah. Das Mädchen rümpfte die Nase über den blonden Gast. Sein Wein war kaum angerührt und wenn sie die schmalen, feingeschnittenen Gesichtszüge sah, dann war zu bezweifeln, dass er viel vertrug. Mit dem war kein Schilling zu verdienen. Der größere Mann war gar offensichtlich ein feiner Herr und wer wusste schon, welche fremdartigen Neigungen diese hatten. Sie schnaubte verächtlich. Die Wunderwelt ihres Dekolletes einfach zu verschmähen. Gereizt ging sie fort und wendete sie sich einem Gast zu, der empfänglicher für ihre Reize war. Heydon schob seinen Stuhl zurück und sah sich hektisch um. Auffällig, fahrig und sichtlich nervös. Aramis richtete ihre gesamte Aufmerksamkeit beunruhigt auf ihn. Es war nicht zu übersehen, dass Heydon wie jemand aussah, der ganz dringend ein abgelegenes Örtchen aufsuchen musste, zur Entledigung seiner prekären menschlichen Bedürfnisse. Die zahlreichen Schweißtropfen auf seiner Stirn konnten davon zeugen. Corday bemerkte ihre Blicke und spähte irritiert über seine Schulter, was sich so interessantes hinter ihm befand. "Ist das nicht Heydon?", fragte er verwundert und sah zu wie der Sekretär gebückt zur Seitentür eilte. "Seid Ihr deshalb hier? Wegen Heydon?" Unglauben schwang in seiner Stimme mit. Sie schüttelte den Kopf, wich aber seinen Blicken aus. Die Tür ging auf und mit dem zarten Odem von frischer Nachtluft in der warmen, abgestandenen Luft des Schankraums, trat ein Mann ein. Aramis versuchte angestrengt über Corday's Schultern zu sehen. Wer war er? Der Mann sah sich suchend um. Seine Augen schweiften durch das Dämmerlicht des Gasthauses, ohne dass sie etwas fanden. Als dick konnte man ihn eigentlich nicht bezeichnen. Nicht wenn sich das Wort fett in den Vordergrund drängelte. Er hatte kleine gemein blickende Augen in einem Gesicht von ungesunder Gesichtsfarbe, mit zu vielen Kinnen. Jemand bei dem zur Beschreibung genügte zu sagen ,er habe Schwerkraft'.Achselzuckend setzte er sich an einen der freien Tisch. Wie wahrscheinlich war es, dass er genau jetzt zu einem Treffpunkt kam, an dem seine Verabredung fehlte, wo Heydon auf der Toilette war? Sehr wahrscheinlich. Jetzt oder nie, dachte Aramis und blickte verzweifelt in Corday's Gesicht. "Geht, Lord Corday, bitte?" Verwundert hob dieser den Kopf. "Wohin?" "Bitte!" "Warum?" Aramis zuckte die Achseln und stand auf. Sie konnte nicht länger warten. Es reichte schon, wenn die Staatsoberhäupter zu delirierenden Irren mit Staatsgrenzen und einer Nationalhymne wurden, ohne dass sich Nationalverräter einmischten. "Wie Ihr wollte. Ich habe Euch gewarnt. Was heißt Papst auf Englisch?" "Pope, wieso?" Verwundert sah er zu ihr auf. Aramis atmete tief durch, nahm ihren Becher zu Hand und erhob die Stimme. "Oh nein!" Corday sah sie alarmierend an und umfasste ihren Arm. "Long lives the Pope!" Augenblicklich war es Mucksmäuschen still im Gasthaus. Corday riss die Augen auf und keuchte erstickt auf. "Was habt Ihr getan?" Alle Augen hatten sich auf sie gerichtet und blickte sie an. Aramis lächelte zurück. Sie lächelte so humorvoll wie jenes, dass sich einem ertrinkenden nähert und mit einer Flosse ausgestattet ist. Die Zeit veränderte sich. Zwei oder drei Sekunden dehnten sich, quietschten wie ein Finger auf dem Rand eines Glases. Einzelne Stimmen wurden laut. Die Gäste drehten sich zu ihnen um - die Zeit lief wie gewohnt weiter. "Was will der Papst hier?" Die Stimme klang so misstönend wie das Krächzend eines Raben, aber er hatte die Aufmerksamkeit der übrigen Gasthausbesucher. "Schlagt ihn zusammen!", schrie ein anderer und stand auf. "Und seinen Freund gleich mit!" "Wir hauen ihn zu Brei, dass er sich wünscht nie vom Papst gehört zu haben, dieses katholische Schwein." Nun gut, sie wollte in diese Schenke soviel Ärger und Unruhe bringen wie möglich war, um Heydon und seinen Informanten von ihrem Treffen abzuhalten. Beide Männer sahen danach aus, als würden sie die Gewalt suchen. Freilich nur, wenn sie sich in genügend somatischen Abstand zu ihren befand, sprich wenn sie nur anderen angetan wurde. Eine Schlägerei anzuzetteln, dass hatte sie jetzt geschafft. Dennoch taten ihr die groben Worte der ungewaschenen Menge beinah körperlich weh und sie musste fest die Knie zusammenpressen, damit sich das Zittern ihrer Beine nicht auf den Rest von ihrem Körper übertrug. Hatte sie nicht schon früher ihren Kopf aus der Schlinge gezogen? Tapfer trat sie einer kommenden Prügelei entgegen. "Was habt Ihr getan?" Mit bleichem Gesicht und kantigen Gesichtszügen stand er auf. Wie in Trance, aber mit langsamer Deutlichkeit sah Aramis die Schweißtropfen an seiner Schläfe hinabperlen, wie er seinen Kragen lockerte und sich heldenhaft vor sie schob. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie kein schlechtes Gewissen hatte. Was mischte sich Corday auch ständig in ihr Leben ein. Wenige Sekunden später brach die Schlägerei los. Von den wütenden Schlägen und Tritten der aufgebrachten Menge vollends in Anspruch genommen, hatte Corday keine Zeit sie zu beachten. Er sah nicht, dass Aramis in seinem Rücken, bildlich gesprochen, genauso ihren Mann stand wie er. Gemeiner vielleicht und hinterhältiger, aber sie musste schließlich mangelnde Körperkraft mit List und Tücke austauschen. Ein bulliger Mann trat auf sie zu, mit einem Gesicht in der eine lange Augenbraue die Arbeit von zweien erledigte. Er rammte ihr seine Faust in den Magen. Von der schmerzhaften Erwiderung ihres Körpers aus dem Gleichgewicht krümmte sie sich und hieb ihm ihren Absatz schmerzhaft in die Kniekehle, bevor ihre Handkante seinen Kehlkopf traf. Ein weiterer Angreifer riss Aramis von hinten zu Boden. Er schrie auf, als ihre Fingernägel schmerzhaft in seine Augen fuhren. Es war nicht Aramis erste Schlägerei, längst nicht die Schlimmste und bestimmt nicht die Letzte. Mit Porthos an ihrer Seite hätte es wesentlich besser für sie ausgesehen. Er hätte ihre Köpfe aneinander gestoßen und die Sache beendet. Sie war dafür zu schwach. Die Engländer ließen sich nicht gerne aneinander stoßen. Das Handgemenge endete unvermittelt, als der Wirt einschritt und den sofortigen Rausschmiss androhte. Eh es sich Lord Corday versah rannte Aramis wie vom Teufel gehetzt aus der Schenke. Der Wirt kam mit wutverzerrtem Gesicht auf Corday zu, der sich schwer atmend das Haar aus der Stirn strich. "Jetzt hat der Kerl doch glatt die Zeche geprellt." "Er bat mich Ihnen dies zu geben." Corday schob ihm schnell genügend Geld hin, um einer beginnenden Schimpfkanonade zu entkommen und machte sich schleunigst aus dem Staub. Er trat in die neblige Nacht hinaus. "Ich kann doch nicht das Kindermädchen einer durchgeknallten Französin spielen", sagte er leise zu sich und bewegte sich in Richtung Themse. Aramis Augen gewöhnten sich langsam an die Dunkelheit. In der Schenke war der Informant nicht mehr gewesen. Sie suchten die Umgebung ab. Alles war dunkel, kaum von den wenigen Fackeln erleuchtet. Je weiter ihr Blick ging, desto nahtloser fügten sich die Gebäude in die Schwärze der Dunkelheit. Der Lärm im Gasthaus übertönte die Geräusche auf der Straße. Ihr Arm schmerzte und mehrere Stellen in ihrem Gesicht puckerten leise vor Schmerz. Von der Ansicht die ihr Magen anlässlich der Schlägerei hegte, ganz zu schweigen. Schnell rannte sie die Straße entlang. Bewegte sich etwas am Ende der Gasse? Dort wo die Häuser enger zusammen standen, die Nacht jeden verbarg? Gebückt im Schutz der unbeleuchteten Häuser huschte sie näher. Es war nur ein leerer Karren, der die Straße versperrte. Aramis sah ihn zu spät, stieß dagegen und fand sich unverhofft mit den Knien auf dem Straßenpflaster wieder. Fluchend rappelte sie sich auf und humpelte, so schnell wie sie ihre schmerzenden Kniescheiben sie trugen, zum Gasthaus zurück. Die Zeit rannte ihr davon. Sie hatte die Schenke kaum erreicht, als unvermittelt die Tür aufging. Fast wäre sie in den Lichtkegel der Fackel getreten. Mit einem erstickten Aufschrei sprang sie zurück. "Wo ist das katholische Schwein?" Der Engländer ließ bedrohlich das abgebrochene Stuhlbein in die hohle Handfläche sausen und knurrte grimmig. Aramis vergaß den Schmerz in ihren lädierten Gliedern und hastete um das Haus herum, auf den dunklen Hinterhof. Die umliegenden Häuser rahmten den Hinterhof ein. Zwei Scheunen standen übereck dem Gasthaus gegenüber. Aramis spähte vorsichtig um die Ecke. Genau in diesem Moment stieß jemand gegen ihren Rücken. Sie schrie auf, drehte sich um und sah schreckensbleich in das Gesicht von Heydon. Aramis erstarrte. Doch Heydon erkannte sie nicht. Er brachte den zerschundenen Mann, im Dunkel der Nacht, nicht mit der steifen Comtesse aus Whitehall in Verbindung. Ohne sie eines Blickes zu würdigen oder sich zu entschuldigen, schob sich der Sekretär an ihr vorbei und eilte die Straße hinunter. Hilflos sah sie ihm hinterher. Ihm folgen oder den Informanten suchen? Hatten beide miteinander gesprochen? Sie wurde der Entscheidung enthoben. Erstickte Schreie ertönten ihn ihrem Rücken. Es war der Informant. Seine kolossale Gestalt verbarg nicht einmal die Dunkelheit und den spitzen Schreien zu folge, zerrte er eine junge Frau hinter sich her, die sich heftig wehrte. Die Stalltür schlug zu und verbarg beide in ihren inneren. Spekulationen standen außer Frage. Der Lärm im Gasthaus hatte nicht nachgelassen und niemand schien ihre Schreie zu hören. Sie waren spitz und hoch, als versagten ihre Stimmbänder einen kräftigen Hilferuf. An solche kleinen Details erinnerte Aramis sich, wenn zielloser weißer Zorn den Geist füllte. Ihr Körper spannte sich an. Sobald jemand einer Frau Gewalt antat, löschte kalte Wut ihr Denken aus. Ohne nachzudenken folgte Aramis ihnen, wie ein wütender Stier. Corday fluchte. Warum konnte er nicht einfach umkehren und nach Hause zurückgehen? Sich eine seiner willigen Geliebten nehmen und mit ihr wundervolle Stunden, in den weichen Federn und seidenen Kissen seines Bettes verbringen? Mit Frauen, die aussahen, als gehörten sie dorthin und nicht als suchten sie eine Wirtshauskeilerei. Stattdessen rannte er einer irren Furie hinterher. Er stoppte unvermittelt, als er den Hinterhof des Wirtshauses betrat. War sie das? Er sah wie eine Gestalt im Stall verschwand. Unentschlossen blieb er stehen und kratzte sich gedankenverloren am Schädel. Wenige Augenblicke später erfolgte ein Schrei, dann ein Zweiter. Etwas Schweres stieß gegen die Tür. Jemand ächzte, eine Frau schrie. Nach einigen Sekunden der Stille öffnete sich die Tür. Als Aramis auf den Hof trat, stand er noch immer regungslos da und jagte ihr einen gehörigen Schrecken ein. Das Hemd saß ein wenig schief und die Haare schienen wirrer als sonst. Ansonsten strahlte ihr Gesicht Ruhe aus. "Äh ..." begann Corday. "Ein bedauerlicher Zwischenfall", erklärte Aramis. "Es war sehr dunkel da drin. Jemand hat sich unbeabsichtigt ins Bein geschossen." Corday rutschte der Kinnladen herunter. Er sah auf die Waffe in ihrer Hand nieder. "Könnt Ihr damit umgehen!" "Nein, ich würde nie eine Waffe in die Hand nehmen", sagte Aramis. "Aber Ihr ..." "Nein", stellte sie ruhig fest. "Äh ... wie Ihr meint." "Gehen wir!" Ohne seine Antwort abzuwarten, lief sie die Straße hinunter. "Ich muss Euch meine Bewunderung aussprechen." Das dunkle Wasser der Themse plätscherte leise gegen die Holzwand des Fährkahns. Sie saßen nebeneinander am Bug und schauten auf die unzähligen Lichter der Stadt am Ufer, die tausend Augen einer Stadt. "Was meint Ihr?" Aramis sah ihn nicht an. Sie umklammerte mit ihren Händen die Sitzbank, sah in die Ferne und träumte vom fernen Paris. "Man nimmt Euch den Mann durchaus ab", fuhr er fort. "Nicht unbedingt eine Fähigkeit, die Männerherzen höher schlagen lässt, aber es hat seinen Reiz." Sie schwieg. Was gab es darauf schon zu sagen? Sollte sie Corday ihr Geheimnis enthüllen, was sie seit über 6 Jahren ihren besten Freunden vorenthielt? Ganz sicher nicht. Erstens fiel es ihr leichter, sich wie ein Mann zu benehmen, gegensätzlich zum kokettierten Verhalten einer Frau. Hier hatte die Natur an ihr gespart. Zweitens ahnte sie nicht einfach die Männer nach, sondern plante es und machte sich ihr Verhalten zu eigenen. Eine Frau schwang die Hüften. Ein Mann schwang alles von der Schulter abwärts. Eine Frau verschränkte die Arme unter der Brust, ein Mann über der Brust. Drittens hatte sie ein paar Socken an der betreffenden Stelle. Nur ein Paar. Sie war nicht ehrgeizig. Mit einem Paar Socken war Frau mehr Mann. Mit einem Satz rückte er näher. "Ward Ihr dort, um Heydon nachzuspionieren oder Euch mit ihm zu treffen?" Finster umwölbten die Braunen seine Augen. Aramis wich zurück und sah ihn pikiert an. "Ich wüsste nicht, was Euch das angeht." "Was war das in der Scheune?" "Seid nicht dumm." "Warum?" "Er war gerade dabei die kleine Magd zu besteigen. Außerdem war es nicht Heydon." "Sagt mir," Er rückte näher, dass sie seinen Atem auf ihrer Wange spüren konnte und sein Knie ihres berührte, "seid Ihr wirklich nicht hergekommen, um ihn zu treffen?" Sein Körper war warm. Entrüstet riss sie die Augen auf. Allein bei dem Gedanken an ihn wird mir speiübel. "Er ekelt mich an." "Gut", sagte Corday und küsste sie, behutsam, süß und neckend. Seine Lippen strichen hautzart über die ihren, dann fordernder, ein Spiel wie die reinste Folter. Sie stieß ihn von sich. "Das habe ich nicht erlaubt." "Ich habe nicht gefragt." Wieder dieses Lächeln. "Ich hätte Euch keine Erlaubnis erteilt." "Es hätte nichts geändert." Corday beugte sich erneut nach vorn. Als ihr Knie seine Schublade mit den Socken traf, schrie er nicht direkt. Er gurgelte mehr. "Das war nicht nett", ächzte er. "Aber gut gezielt, Sire", erwiderte sie. "Das war nicht nett. Euer Knie wusste genau, wo es hin sollte." Jetzt war es an ihr zu lächeln. "Natürlich, zweifelt Ihr daran?" Den Rest der Fahrt verbrachten sie schweigend. Endlich hatten sie Whitehall erreicht. Zweifelnd sah Aramis zur Oberkante der hohen Mauer auf. Warum mussten die Tore bis auf das große Haupttor geschlossen sein? Sie seufzte schwer und begann zu klettern. Corday stand an der Mauer gelehnt und beobachtete Aramis bei ihren Bemühungen. "Kommt Ihr gut voran?" fragte er höflich, nachdem er ihr eine Weile zugesehen hatte. Aramis biss die Zähne zusammen und setzte ihre Bemühungen fort. Sie hatte die Mauerkrone erreicht und sah zu dem Abgrund auf der anderen Seite nieder. Unsicher blieb sie auf der Mauer hocken. Das war verdammt hoch. "Comtesse," Sie sah auf Corday nieder. "Ich nehme den Schlüssel und gehe durch eins der Nebentore." "Ihr habt einen Schlüssel?" Seine Zähne blitzen im dunkel hell auf. "Natürlich, zweifelt Ihr daran?" Kapitel 21: Mordanschlag ------------------------ Stöhnend drehte sich Aramis auf die Seite und begrub die blonden Locken unter sich. Sie ächzte gequält auf, als ihre lädierte Seite die Matratze berührte und das Körpergewicht ihrer rechten Seite trug. Die schmerzfreiere Alternative hieß auf den Rücken zu liegen, aber so konnte sie nicht schlafen. Es sah nicht gut für sie aus. Vorsichtig verlagerte sie ihre Position und bewegte die Beine. Dabei strich sie über ihre Knie. Wieder ächzte sie. Die Haut am linken Knie war abgeschürft worden, als sie im Dunklen über den Karren stürzte und unliebsame Bekanntschaft mit dem Straßenpflaster schloss. Sie konnte froh sein nur Hautabschürfungen davon getragen zu haben. Nach dem Dreck auf Londons Straßen zu urteilen, kam der nähere Kontakt eine direkte Tetanusgarantie gleich. Es klopfte an der Tür. Eigentlich sollte ein Türklopfen nicht verstohlen klingen, aber dieses brachte es fertig. Sie ging leise auf. Langsam gelang es Aramis die verquollenen Augen zu öffnen. Das helle Sonnenlicht des vorangeschrittenen Tages brannte hell in ihren Lidern. "Monsieur Broussard will Sie sprechen." Bedächtig umrundete Sophie das Bett und kam vor ihrer Herrin zum Stehen. "Ach du Schreck." Sie schlug die Hände über den Kopf zusammen, als sie sah, wie übel Aramis zugerichtet war. Ihre Blessuren und Abschürfungen zeigten alle Schattierungen von Dunkelblau. "Was ist los?" Broussard schob das Mädchen grob beiseite und kam ebenfalls vor ihrem Bett zum Stehen. Gerade noch rechtzeitig, ihren protestierenden Körper ignorierend, drehte sich Aramis auf den Bauch und begrub Seidennachthemd samt Inhalt unter sich. Seine Reaktion entsprach ungefähr der ihren. "Raus aus meinem Schlafzimmer!", knurrte sie gereizt. Sophie eilte davon. "Ich hole Wasser", murmelte sie und stürzte nach draußen. "Habt Euch nicht so, Mädchenjunge!" Broussard wetzte die Messer. "Unter Männer sollte man sich ... oh Verzeihung, ich vergaß, mit wem ich sprach", höhnte er. "Ist das ein Frauennachthemd?" Es fiel ihr schwer mit ihm zu reden. Sie bekam es täglich mit Leuten zu tun, die Kommunikation für ein komplexes Spiel hielten. Bei ihm musste sie auf ein derart niedriges Niveau, dass sie sicher gehen musste, nicht über das Ziel hinauszuschießen. Dieser Mann wollte sich im verbalen Schlamm suhlen, bis es ihm die Poren verstopfte. Dabei konnte Broussard einfach nicht anders. Wenn er Aramis ansah, dann sah er zu seidiges Haar, zu glatte Haut und zu feine Gesichtszüge für einen Mann. Es hatte nichts damit zu tun, dass man über Broussard Aussehen, wollte man freundliche Worte benutzen, sagen konnte es waren alle Körperteile vorhanden. Wem es an Freundlichkeit mangelte, dem standen eine Vielzahl von Worten zur Verfügung. Aramis war einfach ein zu herber genetischer Schlag für die Männerwelt, das Synonym des Stierkämpfers mit wedelndem roten Tuch für den Stier. "Das ist ein ganz normales Nachthemd, Sie Pfeife", erwiderte Aramis und fügte, "Geschlechtslos", hinzu, weil es ihr wichtig erschien. Vorübergehend einen Augenblick der Vernunft annehmend, fragte er wo sie gewesen sei und eingelenkt durch die Tatsache, dass sie gewissermaßen zusammenarbeiten musste, antwortete Aramis wahrheitsgetreu. Ohne freilich bestimmte Personen oder Umstände zu erwähnen. Broussard öffnete den Mund. Borussard schloss den Mund. "Im Ernst", entfuhr es ihm, weiß vor Schreck. Irgend etwas trat nach Aramis Gehirn und versuchte ihre Aufmerksamkeit zu wecken. Kurz darauf hatte er seine Gesichtszüge wieder unter Kontrolle. Sie nickte. Sophie kam mit einer Wasserschüssel wieder. "Heydon ist von de Meye ..." Jedes weitere Wort ging von einem ebenso energisch, wie unsanften Lappen unter, der ihr Gesicht bearbeite. "Stillhalten!" Sophie reagierte automatisch. Viel zu spät begriff sie, was sie tat und doch war es zu spät. Sie bearbeitete Aramis, als wollte sie die Haut vom Knochen lösen. Am Ende der schmerzhaften Prozedur, leuchtete Aramis Haut krebsrot, ob vor Scham oder Schmerzen und brannte wie Feuer. Sophie knickste ebenso rot und verschwand. "Haben Sie den Mann getötet?", wollte Broussard wissen. Was denn, dachte Aramis, keine hämischen Bemerkungen, ob Sophie mir vergessen hat die Nase zu putzen oder etwas dergleichen? Was war mit ihm los? Das Etwas, dass ihre Aufmerksamkeit erringen wollte, sprang inzwischen auf und ab. "Fleischwunde", erwiderte sie. "Sie hätten vorher mit mir reden müssen! Jetzt sind sie gewarnt worden und ..." "Sie wissen gar nichts", unterbrach ihn Aramis. "Es war eine Wirtshausschlägerei. Nicht mehr und nicht weniger. So etwas passiert jeden Abend. Jemand pöbelt rum und der Rest haut ihm dafür eine rein. In dem Fall, war ich es", schloss sie mürrisch. "Woher wussten Sie, dass Mr. Heydon ..." Sein Adamsapfel hüpfte aufgeregt auf und ab. "Er hat es mir selbst gesagt." "Nein", unterbrach er sie ungeduldig. "Woher wussten Sie von Mr. Heydon." "Oh, ach das. Das war Zufall." "Und ..." Er hatte einen ziemlich großen Adamsapfel, der immer hektischer wurde. Vielleicht der Ausgleich dafür, dass die Natur für Broussard kein Kinn vorgesehen hatte. "Und was?" "Wie erfuhren Sie davon?" Broussard verfügte wirklich über kein Kinn. Sein Rattengesicht ging übergangslos in den Hals über. Warum fiel ihr das erst jetzt auf? "Berufsgeheimnis, Broussard." "Wissen Sie, dass Sie mit Ihrer Dummheit Ihre Tarnung auf's höchste gefährdet haben." "Was Sie nicht sagen?" Aramis Stimme triefte vor Sarkasmus. "Am Besten ist, wir vergessen die ganze Sache. Sie waren gar nicht dort. Hypothetisch haben Sie den Palast nie verlassen, es gab keine Prügelei und Sie haben Mr. Heydon nie gesehen. Ein imaginäres Treffen fand statt." "Wenn Sie meinen", lenkte Aramis ein und schwieg eine Minute kummervoll. "Jetzt entschuldigen Sie mich. Ich bin von höllischen imaginären Kopfschmerzen geplagt!" Broussard nickte und stürzte aus ihrem Schlafzimmer. Dabei stieß er Sophie beiseite. "Aus dem Weg, du blöde Kuh!" Er rammte die Türfüllung und stolperte über seine eigenen Füße. Krachend fiel die Tür ins Schloss. "Mit dem stimmt doch irgend etwas nicht. Broussard ist ..." Das Mädchen nickte wissend, "ein ekliges, schleimiges ..." "... in der Kindheit zu oft auf den Kopf gefallen, nehme ich an!" Sie nickte. "... ein widerlicher, am Boden kriechender ..." "Was macht er eigentlich hier?" "... Sohn einer räudigen Hündin ..." "Und ich erzählt ihm noch alles. Dafür könnte ich mich in den Hintern beißen!" "Das könnte interessant aussehen. Worüber reden wir eigentlich?" Beide sahen sich fragend an. "Über Broussard!", sagte Aramis und stieg, von plötzlichem Elan durchströmt, aus den warmen Federn. Ihr Elan versiegte je, als sie vor dem Spiegel zum Stehen kam. Mit hängendem Schultern blickte sie in ihr entstelltes Antlitz. Das Mädchen klopfte ihr tröstend auf die Schulter. "Das heilt wieder." Ihr lädiertes Äußeres interessierte Aramis nicht. Die Jahre als Mann hatten ihr eins klargemacht. Der Körper diente lediglich als Kulisse für die Seele. "Ach verdammt ..." Aramis fuhr sich über die Kratzer in ihrem Gesicht. So lange nicht blau geschwollene Augen in die derzeitige Mode gerieten, war sie erneut zum Nichtstun verdammt. Mit einem Gesicht wie das ihre, blieb 'Mann', bessergesagt Frau in ihren eigenen Wänden. Um die Mittagsstunde trug der Wind es durch Gänge von Whitehall. Vom Gewölbe bis zum Speicher füllte es die Ohren seiner Bewohner und nistete sich dort ein. Es war mit Bedacht und genauster Berechnung auf seine Reisen geschickt worden und erfüllte, kaum war es unterwegs, schon die öden Stunden, des von Dekadenz und Langeweile geplagten Adel. Wissbegierig saugten die gesellschaftliche Spitze des Landes an seiner Substenz und presste alles aus ihm heraus, bis ihre Neugier gestillt war. Ein neuer Skandal war zum Leben erwacht. Sogar auf dem Vorplatz standen hohe Würdenträger und redeten mit Händen und Füßen aufeinander ein. Sophie trat zur Tür und klopfte höflich an, um gleich darauf die Tür zu öffnen. "Ja?" Aramis lag im abgedunkeltem Zimmer auf dem Bett, alle Glieder träge ausgestreckt, dass Haar wirr über dem Kopfkissen verteilt. "Es tut mir Leid, Sie mitten in Ihrer Ruhepause zu stören, aber ..." "Schon gut. Und ...? "Es geht um de Meyé." Stille. Die schmale Hand hob sich und wurde zur Faust. "Ja!" "Er erzählt überall herum, dass Sie ein verkleideter Mann sind." "Das kann er nur von einer Person erfahren haben. Ich wusste, dass er falsch ist." "Broussard, Mademoiselle." "Broussard, Sophie. Die Kacke ist echt am Dampfen." "Gut ausgedrückt, Mademoiselle. Der Geruch dürfte niemanden gefallen. Ist de Meye jetzt gewarnt?" "Ja, ganz sicher. Sie werden jetzt vorsichtiger sein, aber die Katze lässt das mausen nicht." "Seht, wie sein Leib ein letztes Mal zuckt, bevor er erkaltet! Ich habe ihm sein Leben genommen. Ein gezielter Schuss und die Entscheidung fiel zwischen Leben und Tot. Das ist die Macht des Jägers, seine Faszination." "Gewiss, Eure Majestät", bestätigte Lord Corday und zügelte sein Pferd. Seine Gesichtszüge blieben unbeweglich, während Karls dunkle Augen funkelten und ein selbstzufriedener Ausdruck sich über die königlichen Züge legte. Corday reizte die Macht des Tötens überhaupt nicht. Er liebte es zu jagend, die kräftigen Muskeln und Sehnen des langgestreckten Pferdekörpers unter seinen Schenkeln zu spüren, im Rausch der Geschwindigkeit dahinzufliegen, den Wind zu fühlen und seinen Körper im schnellen Ritt zu verausgaben. Aber er genoss das Töten nicht. Sie sahen zu, wie die Knechte den toten Fuchs hochhoben und fortschafften. Dunkel färbte das Blut das hellrote Fell. Schnuffelnd umkreisten die Jagdhunde ihre Beute und folgten dem toten Leib. Ein schneller Pfiff rief die gut trainierten Tiere zurück. Erneut blies das Jagdhorn und die Jäger machten sich bereit das nächste Wild zu erlegen. "Majestät?" Charles schloss näher zum König auf. "Charles?" "Ich muss mit Euch reden, Majestät." "Aber sicher Charles, für Euch immer." Die Augen des Königs funkelten zufrieden. Man traf Karl I. kaum umgänglicher an, als auf der Jagt. "Es geht um Comtesse de Mystérieuse." "Comtesse de Mystérieus?" Verwundert forstete der König in seinem Gedächtnis nach, aber Frauen blieben ihm gemeinhin nur kurz in Erinnerung. Leider musste zu dieser Erkenntnis auch seine Gemahlin die Königin gelangen. "Ah, diese Comtesse. Die Französin, ohne Vergangenheit und richtigem Namen." Karl hatte gefunden, was er gesucht hatte. "Mir kamen da ein paar unschöne Gerüchte zu Ohren. Geht es darum, Charles? Ihr interessiert Euch für sie." "Das ist richtig, Eure Majestät", schrie Corday gegen den Wind an, während ihre Reittiere dahinfolgen. "Ist sie nun ein Mann?" fragte der König. "Sie behauptet jedenfalls einen Frau zu sein", erwiderte Corday Der König nickte zögernd. Die allgemeine Aufregung verstörte ihn ein wenig. "Nun", sagte er schließlich, "ich schätze, sie muss es am besten wissen. Was denkt Ihr." "Sie kann unmöglich ein Mann sein, Sire." Der König grinste breit und musterte seinen Freund. "Wahrscheinlich wisst Ihr das ebenfalls am besten." "Nein, Karl, ich kompromittiere sie nicht", erklärte Corday mit Nachdruck. Der König sah in überrascht an. "Nein, mein Freund? Ihr sprecht ja ganz neue Töne. Seit Ihr ernster an der Dame interessiert?" Corday wiegte unbestimmt den Kopf. "Schade, mein Freund, dann hat sich meine nächste Frage erübrigt. Entsagt Ihr in Zukunft dann den leichtlebigen Damen in Eurem Bett und enthaltet uns Eure wertgeschätzte Meinung vor? Ich kann den Gerüchten kein Ende setzen, aber ich werde kundtun, dass wir sie für eine Frau halten." Dankbar nickte Corday. "Ihr könnt nicht zur Comtesse!" Aramis hörte Sophie's aufgeregte Stimme aus dem Nebenzimmer und sah verwundert von ihrem Buch auf. Sie verzog das Gesicht, als sie Corday's Stimme vernahm und sandte ein Stoßgebet zum Himmel. Resigniert klappte sie die Lektüre zu. Der Tag war ungemein friedlich verlaufen. Bisher hatte nichts seinen Verlauf gestört, bis jetzt. Nicht das sie Corday nicht mochte oder unempfindlich auf seine Annäherungen reagierte, aber gebrauchen konnte sie ihn nicht. Zumal sie ihm noch immer jegliche Schuld zuschob, an ihren verpatzten Auftritten. Schließlich war sie als Musketier in geheimer Mission hier und stand an diesem Punkt in ihrem Leben neben jeglicher Romantik. Schon ging die Tür auf und Lord Corday stellte die aufgebrachte Sophie beiseite und betrat schwungvoll ihr Zimmer. Grinsend musterte er die blasser werdenden Spuren in Aramis Gesicht und verbeugte sich galant. "Wie geht es uns, nach unserem Abenteuer? Die letzten Tage sah ich Euch gar nicht", fügte er mit einem süffisantem Lächeln hinzu "Man sagte, Ihr wärt krank." Sie verzog keine Miene. "Ein Erkältung." Und hüstelte leicht. "Er hat mich einfach beiseite gestoßen, Comtesse", ereiferte sich Sophie und versuchte entrüstet auszusehen. Da sie von Natur aus kein sich ereifernder, verdrießlicher Mensch war, ging der Ausdruck in ihrem Gesicht reichlich daneben und erinnerte an einem Kampf mit Hämorriden oder einer Magenverstimmung. Sie suchte nur ein Grund zum Bleiben und machte sich an dem tadellos gemachten Bett zu schaffen. Redete nicht der ganze Hof über die Beiden? Es war wie ein Bühnenstück mit zwei Akteuren. Corday spreizte gerade sein buntes Gefieder, stolzierte über den Hof und warb mit lautem Gackern um sein Weibchen, während diese die Hinterfedern aufstellte und fauchte. In Gedanken setzte sich Sophie in die erste Reihe und holte das Popcorn hervor. "Habt Ihr genug von Abenteuern?" "Noch lange nicht." "Euch war bestimmt nicht bewusst, was Euer Glaubensbekenntnis, in einem Raum voller volltrunkener protestantischer Staubhitzen anrichten konnte?" Oh doch, konnte sie. Sie wusste wozu Männer fähig waren, wenn sie erst einmal in Stimmung gerieten. Darauf hatte sie es ja schließlich angelegt. Aramis seufzte. "Was wollte Ihr, Lord Corday?" "Mich nur nach Eurem Befinden erkundigen." "Warum? Ihr müsstet doch froh sein, mir nicht all zu oft zu begegnen", erwiderte sie bissig. "Ihr scheint Glück gehabt zu haben. Ich sehe nicht den kleinsten Kratzer. Ergreift die Flucht, solange es noch geht! Das nächste Mal könnte schlimmer enden" "Euer Gesicht schien ihnen zu reichen. Wir sind aber scharfzüngig heute? "Was Ihr nicht sagt", erwiderte Sophie innerlich grinsend und saugte am imaginären Strohhalm ihres Trinkbechers. "Ich möchte Euch nur meine Wertschätzung beweisen, Renée." "Spielt nicht mit mir, Sir. Ich schlage zurück." "Ja, dass habe ich gespürt," gab er sichtlich beleidigt zurück und schob die Unterlippe vor. Sie grinste. "Für den Rest des Abends konnte wahrscheinlich keine der Damen Eure Wertschätzung genießen. Sie schmerzte Eure wohl, Eure Wertschätzung? Ich will sie nicht" "Auch das tat weh und ist sehr unfair." "Ihr seid ein großer Junge." Sophie erwarb sich gerade Karten für die Spätvorstellung und lehnte sich zurück mit einer 500g Tafel Schokolade Vollmilchnuss. "Sie ist wirklich bissig heute, Lord Corday. Gebt Obacht!" Beide sahen sie an. Geschäftig senkte sie den Kopf und strich zum wiederholten Mal die faltenlose Decke glatt. "Im Ernst, Renée. Ihr wisst, was sich über Euch erzählt wird und Ihr könnt von Glück reden, dass Euch bei Eurem Ausflug keiner sah. Der König wird dafür sorgen, dass es bei einem Gerücht bleibt, dass schnell vergeht, aber um Gotteswillen, -nehmt endlich Vernunft an!" Mit einem kurzen Nicken verabschiedete sich Corday. Sophie geleitete ihn zur Tür. "Warum versucht Ihr es immer wieder. Sie weißt Euch doch immer wieder ab?", flüsterte sie. Er lächelte schelmisch. "Das ist ja der Reiz an der ganzen Sache. Auch wenn er ab und zu weh tut", räumte er ein und entsann sich deutlich an einen Knietritt im Mondenschein. "Aber seid Ihr es nicht irgendwann leid?" "Ich konnte noch nie Frauen wiederstehen, die im Mondschein über meinem Fensterbrett klettern und einen religiösen Aufstand in einem Gasthaus voll volltrunkener Männer anzetteln," gestand er großzügig und nahm Sophie's schmale Hand in seine. Jugendlicher Schalk blitze in seinen Augen. Das Herz der jungen Zofe brachte er zum höher Schlagen. "Eigentlich mag sie mich. Vielleicht weiß sie es selbst nicht, aber es ist so. Vertrau mir!" Er hauchte einen federleichten Kuss auf ihren Handrücken. "Pass mir gut auf sie auf, bevor sie noch mehr Unsinn treibt. Ich kann nicht überall sein." Lord Corday ist kein schlechter Mensch. Er mochte der Lasterhaftigkeit des Adels verfallen sein, aber unter dem anerzogenen Mantel aus Dekadenz und Hochmut schlug ein gutes Herz mit einem solides Charakter. Als Sophie zurückkehrt, kniete Aramis vor der Reisetruhe und holte in aller Ruhe ihre Degen hervorholte. Beunruhigt sah Sophie wie sie bedächtig die silberne Klinge zu polieren begann, einen beunruhigenden Glanz in ihren Augen. "Keine Gerüchte mehr. Ist das gut?", fragte sie, mit belegter Stimme. Aramis sah auf. "Nicht unbedingt. De Meye wird sich nun etwas anderes einfallen lassen müssen", erklärte sie, mit gefährlicher Ruhe und strich über die Schneide, als sei es ein Sakrament oder eine uralte Zeremonie. "Nun sind wir wirklich in Gefahr, Sophie." "Du machst mir Angst", flüsterte das Mädchen. Der Tag verging und die Nächsten folgten, ohne das etwas geschah. Die Sonne nahm ihren Lauf, die Menschen gingen ihren Betätigungen nach und die Welt vollzog sich dem Wandel der Zeit. Der Musketier in ihr hatte die Oberhand gewonnen. >Das Militär macht richtige Männer aus dir<, damit warb man junge Rekruten. Der jahrelange Dienst in der Garde des Königs hatte sie verändert. Jetzt reagierte der Mann in ihr. Aramis stand äußerlich ganz ruhig vor dem Spiegel und bürstete die blonden Locken. Doch innerlich war sie zum Sprung bereit, wie ein Gepard auf Beutefang. Gemeinhin hatte sie etwa dagegen, wenn man sie aus dem Weg räumen wollte. Die blauen Flecke und blutigen Kratzer waren größtenteils verblasst. Der Rest lag unter Puder und Rouge verborgen. Sie betrachtete ihr nunmehr makelloses Gesicht im Spiegel. Durch die konvexe Form zeigte er mehr vom Zimmer, als normale Spiegel. Im Spiegel bewegte sich etwas. Aramis neigte den Kopf zur Seite und duckte sich. Glas splitterte, als die Kugel die Spiegelfläche traf. Der Knall des Schusses hallte in ihren Ohren wieder. Jenseits der zerbrochenen Fensterscheibe entfernten sich ein Schatten. Sie richtete sich auf, hob den größten Splitter auf und stellte ihn an die Wand. Sophie erschien angsterfüllt am Türrahmen. Sie rührte sich nicht von der Stelle. Sie hatte zuviel Angst, um zu blieben wo sie sich befand - und sie war viel zu entsetzt, um sich zu bewegen. Aramis kämmte vorsichtig einzelne Glassplitter aus Kleidung und Haar. Sie legte in aller Ruhe den Kamm beiseite. "Soll .. soll ich jemand von der Palastwache holen", stotterte Sophie leichenblass. "Ja und richte bitte Madam Victoria aus, dass ich zu ihrem Souper nicht kommen kann, da ich einen Ohnmachtsanfall erlitten habe und mich niederlegen musste. Wenn nicht das, hätte mich sicher Madam Victoria's Souper niedergerafft ... nur ein Scherz", fügte sie rasch hinzu, als Sophie den Tränen nah war. Diese knickste und verschwand. Broussard musste aus dem Weg geräumt werden. Es wurde Zeit, dass es diesem Mistkerl an den Kragen ging. Wenn doch nur endlich eine Antwort aus Frankreich kommen würde. Jede Woche schicke sie einen Brief auf Reisen, aber kein einziger fand zurück zu ihr. Kapitel 22: Zweiter Bote ------------------------ In Paris wurde der Frühling vom Sommer beiseite geschoben. Die einzelnen Jahreszeiten wirkten sich nicht sonderlich auf die Stadt aus, obgleich die Leute die im Winter über die Kälte murrten, im Sommer die Hitze beklagten. Dieses Jahr wehte der laue Sommerwind Aufstand und Unruhe durch die Straßen von Paris. Die Menschen fühlten Angst und Unsicherheit. Furcht schürt Gewalt und Gewalt muss sich gegen jemanden richten, einen Sündenbock benennen. Wie alle Streitigkeiten dieser Zeit, gründeten auch Frankreichs Unruhen auf dem religiösen Zwist zwischen Katholizismus und Protestantismus. Richelieu stand kurz vor dem lang erhofften königlichen Segen, zur Eroberung der letzten Hochburg der Hugenotten, -La Rochelle. Die französische Bevölkerung beschränkte sich derweil auf willkürliche Pogrome an seinen protestantischen Mitbürgern und das restliche Europa lauschte den Nachrichten aus dem fernen Frankreich. Zwischen all den Zwistigkeiten, der Angst und der Gewalt, gebot der König alles an Sicherheitskräften auf, was der Staat hergab. Die Musketiere patrouillierten zusammen mit den Männern des Kardinals durch die unruhigen Straßen, um die Wogen zu glätteten. Wobei auf letztere kein Verlass war. Ein Sammelbecken von Hohlköpfen und Tunichtguten, deren gut gezielte Eingriffe das Feuer zusätzlich schürten, ohne das D'Treville es beweisen konnte. Der musste letzte Nacht feststellen, dass sie alle sich zu dem Mob gesellt und mit diesem fröhlich alles kurz und klein geschlagen hatten. Dann bebte die Welle der Gewalt plötzlich ab. Es hatte genügend Geschädigte gegeben. Wie ein morgendlicher Kater, nach langen Alkoholausschweifungen in der Nacht, erwachte Frankreich aus seinem Glaubenszwist und seine Menschen entsannen sich wieder an ihre Nächstenliebe. Die Hugenotte atmeten auf, während der 1. Minister Frankreichs tief Luft holte, um mit genügend Atem seine Propaganda voranzutreiben. Und genau darum ging es schon seit einer geraumen Stunde im Arbeitszimmer des Königs. Seine Majestät war im Laufe des Gespräches erheblich tiefer in seinen Sessel gerutscht und kämpfte mit immer schlimmer werdenden Kopfschmerzen. Richelieus ständig wiederholenden Ausführungen, über das Für und Wieder eines notwendigen Angriffs auf La Rochelle, schlichen sich langsam in seine Sinne und begannen ihr manipulatives Werk. Mal sprach er einschmeicheln, mal drohend. Väterlich, schulmeisterisch, diktatorisch oder unterwürfig. Um seinem Einfluss zu entkommen, war Ludwig bereit alles zu unterzeichnen. Sehnsüchtig wanderte sein Blick zur Feder. Eine Unterschrift, ein Erlass, ein Befehl. Vergessen wären die Heirat seiner Schwester mit Karl I., vergessen das wacklige Bündnis mit England, vergessen das Edikt seines Vaters. Wenn nur endlich Friede in seinem Arbeitszimmer einkehren würde. Als Kapitän D'Treville, jegliche Etikette missachtend in das Zimmer trat, geriet seine Eminenz der Kardinal erheblich ins Schleudern. Der Kapitän legte ein Auftreten an den Tag, dem nichts ferner lag, wie höfische Attitüden oder geziertes Gebärden. Er war ganz der Soldat, -ein Licht in finsterer Dunkelheit für Ludwig's dröhnenden Schädel, Richelieu's ärgster Gegner und Gegensatz. Der Page war beiseite gestoßen worden, die Türblatter vibrieren im Rahmen und eine Zornfalte hatte sich tief in das Antlitz des Kapitän's gegraben. Ölig glänzte sein Gesicht vor Schweiß. Staub lag auf seinem Kragen und Erdklumpen klebten an seinen Stiefeln. D'Treville stützte sich mit den Fingerknöcheln auf dem Schreibtisch ab. "Was passiert mit meinem Mann in England?", verlangte er zu wissen. Der König blickte so lange auf die Fingerknöchel herab, bis D'Treville seine Hände zurückzog. "Ich weiß nicht, was Ihr meint." "Wie es scheint, verwechselt Ihr den Übungsplatz mit dem Arbeitszimmer seiner Majestät, Kapitän D'Treville", warf der Kardinal ironisch ein und musterte den Kapitän mit langem Blick. "Seit Wochen bekommen wir keine Nachricht von ihm." D'Treville war zornig und suchte sich den Kardinal als neue Angrifffläche. "Und ich kenne meine Männer genau. Auf Aramis kann man sich verlassen. Regelmäßig müsste ein Bericht von ihm eintreffen." "'MÜSSTE' Ihr habt es schon richtig formuliert", erwiderte Richelieu bissig. "Höchstwahrscheinlich schlampt er in seiner Berichterstattung." "Ihr fangt die Briefe ab, Eminenz!" D'Treville sah Knochen und ein rotes Gesicht. Der Kardinal schnappte nach Luft, dass sich sein knochiges Brustbein hob. "Ich habe keine Schriftstücke abgefangen. Wie könnt Ihr es wagen? Ich bin ein getreuer Staatsdiener." Sonst mochte das eine infame Lüge sein, doch diesmal stimmte es. Um so leidenschaftlicher verteidigte sich der Kardinal. "Mein Gefolgsmann erteilt mir jede Woche Bericht." Der Kapitän trat näher. Ein starker Körperbau, mit breitem Hals, an dem die blauen Adern vor Wut pulsierten. Bedächtig brachte der Kardinal seine hagere Gestalt auf Abstand. "Ich sage Euch, wo Ihr Euch Euren Gefolgsmann hinschieben könnt." Ludwig atmete laut ein und kauerte sich in seinem Sessel zusammen. Ein wildes Streitgespräch entbrannte. Geistlichkeit gegen Militär. Es hätte Aramis gefreut, wie vehement der Kapitän ihre Kompetenz verteidigte. "Wir hörten, dass es mit unserem Musketier in London Probleme gibt. Und weder Euer Gefolgsmann, Richelieu, noch Euer Musketier, D'Treville, scheinen der Situation gewachsen zu sein", unterbrach Ludwig das Gezänk und flüchtete sich hinter geburtsrechtlichem Snobismus. Verblüfft, dass der König sich im Raum befand, hielten beide inne. "Probleme, Eure Majestät?", fragte Richelieu. "Man zweifelt seine Verkleidung an. Es wird erzählt, er sei ein Mann. Henrietta ist sehr missgestimmt deswegen." "Das Problem meint Ihr, Sir", stotterte der Kardinal. Er hatte es nicht gewusst. "Wir werden uns der Sache annehmen", versprach er und hielt sich als dringenden Merkpunkt vor, zukünftig die Briefe der königlichen Schwester besser abzufangen. "Und ,was' gedenkt Ihr zu tun, Richelieu? Wir verlieren unsere Glaubwürdigkeit, wenn man Gesandte mit unserem offiziellen Schreiben, als Betrüger entlarvt." Seine Majestät war am Zug. "Ja, was ..." Seine Eminenz geriet ins Schleudern. "Monsieur D'Treville?" "Was?" Der Kapitän befand sich auf auswegloser Gefechtsposition. "Was gedenkt Ihr zu tun?" "Warum ich?" "Es ist Euer Mann." "Schluss!" König schlug Soldat und Pfaffe. "Wir senden jemand, der den Verlobten der angeblichen Comtesse mimt!" "Eine vorzügliche Idee, Eure Majestät. Ich werde einen meiner Leute unterweisen und ..." "Halt, halt!", warf D'Treville ein und schob die dürre Gestalt des Kardinals beiseite. "Bei allem Verlaub, aber Eure Idee hat meinen Mann erst in diese Situation gebracht. Ohne Euch würde er brav seinen Musketierdienst bei seiner Majestät verrichten und nicht in Weiberkleidung in London hocken. Ich schicke einen meiner Männer!" "Wen wollt Ihr schicken? Den Grünschnabel D'Artagnan oder den grobschlägigen Porthos? Ein halbes Kind oder ein unmanierlicher Riese?", wandte der Kardinal giftig ein. "Beleidigt nicht meine Männer! Ich schicke einen meiner Besten. Athos wird gehen!" "Athos ist nicht von Adel", wandte Richelieu ein. "Das wissen wir nicht", hielt D'Treville dagegen. "Wir werden ihm ein Titel verleihen!", befahl der König. "Wird Athos gehen wollen?", fragte der Kardinal. "Das ist nicht von Belang!" entschieden König und Kapitän. Seine Majestät hatte schon Vorarbeit geleistet "Wir haben da genau das Richtige für ihn," erklärte er sichtlich zufrieden und verschwieg großzügig, dass es Anna's Einfall war. Dem Kardinal rutschten die Unterlagen aus der Hand "Ach, haben wir das?" "Alter Landadel. Der Graf tot, der Sohn verschollen und kein Erbe in Sicht", sagte der Kapitän und beobachtete die Gesichtszüge seines Musketiers. Kantig schob sich der Kiefer vor, hart gruben sich die Linien in das Gesicht, aber er schwieg. In militärisch korrekter Haltung hatte er vor seinem Vorgesetzten Aufstellung genommen. "Unter diesem Namen wirst du in London auftreten!" Er saß hinter seinem Schreibtisch. Die Herrlichkeit der untergehenden Abendsonne in seinem Rücken. Athos kämpfte mühsam um Selbstbeherrschung. "Das ist nicht Euer Ernst?" "Ich weiß, was du mir sagen willst, aber es ist mein voller Ernst. Dir wird befohlen sofort nach England aufzubrechen und dort Aramis zu finden!" Er hatte die Ellenbogen auf der breiten Tischplatte aufgestützt und die Hände ineinander verschränkt. Seine Augen zwangen Athos zu gnadenlosem Blickkontakt. "Unter diesem Titel?" Die Selbstbeherrschung hielt noch immer seine Gesichtszüge davon ab auszubrechen. "Unter diesem Namen und Titel. Vom König leihweise an dich verliehen." "Leihweise?" Athos konnte es nicht verhindern, dass seine Stimme ihn verriet. Der Kapitän nickte und hielt es für das Beste, nicht darauf einzugehen. Er befolgte nur Befehle. "Die französische Krone steckt in argen Schwierigkeiten, wenn herauskommt, dass Aramis ein Mann ist", erklärte er. "De Meyé muss herausgefunden haben, wer Aramis ist. Und meines Erachtens nach, sind Richelieu's angebliche Gefolgsleute nicht ganz unschuldig an diesem Umstand." "Und nun wird es gefährlich für ihn?" "Genau! Mit Aramis Glaubwürdigkeit steht es nicht zum Besten. Die Feder ist mächtiger als das Schwert. Als Soldat glaube ich nicht daran, aber in diesem Fall, ist es dabei uns das Genick zu brechen. De Meyé ist Diplomat. Seine Waffen bestehen aus einer süßen, wie falschen Zunge. Schmeichelei, Lüge und Verrat. Er unternimmt alles, um Aramis in Verruf zu bringen." "Und was soll ich tun?" "So schnell wie möglich nach England reisen und dort als Aramis Verlobter auftreten!" An dieser Stelle verschluckte sich Athos und bekam einen Hustenanfall. "Es ist für Frankreich", wandte der Kapitän streng ein und lockerte sich unbehaglich den Kragen. "Egal was du machst, ob du ihn kompromittierst ... einen Skandal heraufbeschwörst, unsittliches Verhalten ...", führte er weiter aus und hoffte, dass Athos verstand, "... aber um Gotteswillen, tut alles, um die Gerüchte zum Verstummen zu bringen!" Bei Gott, er hoffte wirklich, dass Athos verstand. Das Gespräch wurde ihm entschieden zu unangenehm. Mühsam versuchte er Athos Gefühle nachzuempfinden. Der Kapitän konnte ihm nicht anvertrauen, dass Aramis eine Frau war. Er hatte es dem jungen Mädchen versprochen und später der Frau zum Überleben schwören müssen. Das schloss auch Athos ein. "Unter dem Namen und Titel?", vergewisserte dieser sich noch einmal. Ein langgezogenes ,Ja' antwortete ihm, dass deutlich die Botschaft ,Ungeduld' signalisierte. "Leihweise an mich verliehen, weil ..." "... weil es keinen Erben gibt, ja, ja", unterbrach er Athos, "und du weißt warum! Du kannst es nicht ändern und es war deine Wahl. Geh jetzt und pack deine Sachen!" Ein sehr hohes Maß an Selbstbeherrschung und Erziehung, ließ Athos strammstehen und zackig abgehen. Ein gehorsamer Musketier, der bedingungslos die Befehlen seines Herrschers befolgte. Nachdenklich ließ Athos den Gebäudekomplex der Musketiere hinter sich. Er hatte es nicht weit nach Hause und legte diesen Weg in der Regel zu Fuß zurück. Die Kosten für einen Mietstall sparte er sich und ließ seinen stolzen Rappen im Stall der Musketiere stehen. Hier sorgte sich der diensthabende Musketier viel besser um ihn, als es Athos gekonnt hätte. Er war zornig. Wütend weil er in einer Situation steckte, die ihm nicht behagte, zornig, weil man ihn fortschickte und aufgebracht, weil sich die Herrscher dieses Landes das Recht herausnahmen auf einen Jahrhunderte alten Namen zu spucken und diesen nach belieben zu verteilen. Andererseits begrüßter er den Umstand nach London abkommandiert zu sein. Jetzt konnte er einer Sache auf den Grund gehen, die ihm erhebliche Kopfschmerzen bereitete. Sie war einfach im Strudel der letzten Geschehnisse in Vergessenheit geraten, aber nun würde er ihr genauer auf den Grund gehen. Und genau deshalb führt ihn sein erster Weg zu Porthos. Porthos befand sich gerade in seinem Haus. In der Unordnung seines Jungesellehnenhaushaltes sitzend, ging er seiner Lieblingsbeschäftigung nach, - er träumte vom Essen. Nur vom Essen zu träumen, war erheblich Figur- und Geldbeutelschonender und stimulierte die Vorfreude auf das eigentliche Mahl. Er war gerade bei Ente ,Foi gras', als ihn sein Freund beehrte. "Porthos, ich bin nach London abkommandiert worden." Das gutmütige Lächeln auf dem breiten Gesicht wurde zu einem schiefen Grinsen. "Hast du ein Glück." "Ja, soviel Glück kann schon weh tun", räumte Athos trocken ein. Porthos nickte kummervoll. "Du armes Schwein, wollen sie dich auch in Weiberkleidung stecken? Kann ich mitkommen?" "Nein! Ich soll alleine reisen." Die Schultern des Riesen sackten herunter. "Warum? Was soll ich ohne Euch in Paris?", fragte er betrübt. "Du hast D'Artagnan, die anderen Musketiere, Madam Bofrait, ihre Mädchen und das Essen. Schneller als du die Zeit zählen kannst, sind wir wieder zurück." "Warum bist du dann so griesgrämig, mein Freund? Vor deinem Gesichtsausdruck laufen kleine Kinder davon. Denk nur an unser Abenteuer mit Buckingham und der Halskette! Gott sei seiner Seele gändig! Das waren Zeiten." "Aramis steckt in Schwierigkeiten und leider gibt es kein Buckingham mehr. Ich soll jetzt nach England, um ihm zu helfen." "Als was? Sein Botenjunge?" "Als sein Verlobter." Porthos Reaktion bestand aus verzerrten Gesichtszügen. Seiner Meinung nach, grenzte das an körperlicher und seelischer Verletzung der Männlichkeit. "Sie verleihen mir leihweise den Titel eines Grafen und sein Besitz." "Im Ernst?", entfuhr es ihm. "So einfach geht das?" "Der letzte Graf starb und der einzige Erbe gilt seit Jahren als verschollen." "Der ist tot!" Bedauernd schüttelte er den Kopf. "Ein Graf, der seinen Besitz verwaisen lässt, ist entweder tot oder strohdumm." "Oder er steht vor dir. Und ich empfinde mich weder als tot, noch als dumm." Die Augen seines Freundes traten fast aus dessen Höhlen. "Sie haben mir leihweise meinen eigenen Besitz verliehen", erklärte Athos bitter. "Du bist ein Graf? Hätte ich mir ja denken können. Warum?", fragte Porthos, völlig mit seiner Weltanschauung hinüber. "Einen Grafentitel zu verschmähen? Für mich hieß ,Zuhause' Hunger und Tyrannei, aber du ...?" "Ich hatte meine Gründe! ... Wegen einer Frau", gestand er. Sie waren gerade bei der Wahrheit. Die unsichtbare Grenze zu ihrer Vergangenheit war überschritten worden. Weise nickend, ein Ausdruck, der nicht unbedingt in Porthos Gesicht zu passen schien, pflichtete dieser ihm bei. "Das ist immer der Grund" Athos hob eine Augenbraue. "Bei dir auch?" "Meine Mutter!" "Deine Mutter?" Porthos nickte kummervoll. "Tyrannei und Hunger! Sie hatte sieben Mäuler zu stopfen. Also, warum so grantig? Du bekommst deinen Titel ja wieder?" "Er wird mir wieder weggenommen." Athos schrie fast. "Denkst du, der König verschenkt so etwas freiwillig?" Sein Freund schüttelte bedauernd den Kopf. "Würde ich auch nicht. Sag dem König doch einfach, wer du bist!" "Nein!" "Nein? Stolz, ich verstehe!" "Gar nichts verstehst du!", sagte Athos verbittert, die Arme wie ein Schutzschild vor der Brust verschränkt. Die edlen Gesichtszüge wirkten um Jahre gealtert. "Das hat nichts mit Prestige oder Besitz zu tun. Das ist ein Teil von mir, meine Vergangenheit." "Das Leben ist schon beschissen. Man kann gar nicht so blöd denken, wie es kommt." Dies war das weiseste, was Porthos für diesen Tag von sich gab und so wahr. Athos lächelte freudlos "Das denkst du!" Staubtrockene Ironie schwang im dunklen Bariton seiner Stimme mit. "Aramis ist eine Frau!" ... eine Frau, .... eine Frau ... Der Satz hallte durch den Raum und setzte sich in den Deckenbalken und im Putz fest. Er durchdrang Porthos Gehör, fand aber keinen Einlass im Nervenzentrum seines Gehirns. Bedeutungslos schwirrte er umher, bis kleine Anzeichen des Verstehens ihn zurückriefen. Mit angehaltenem Atem beobachtete Athos die Reaktion seines Freundes. "Ich meine keine Frau, die Richelieu und der König zum Zwecke der Politik erschaffen haben, sondern eine von Gott gewollte", fügte er hinzu, ohne durch Stimme oder Gesicht seine Gefühle zu verraten. Porthos Gesichtsausdruck war eine einzige Maske ungläubigem Entsetzen. "Aber ... das kann nicht sein", stammelte er. Athos nickte ernst. Doch es konnte. In einer anderen Dimension wäre die Geschichte anders verlaufen. Am Tag, da der Kapitän versuchte sein entspannendes Moorbad zu nehmen, hatte sich der Weg der Zeit geteilt und die Zukunft war in verschiedene Richtungen verlaufen. In einer anderen Dimension gab sich ein Athos mit der Erklärung des Kapitäns zufrieden. Er stellte weder Anweisungen noch Beschlüsse seines Vorgesetzten in Frage. Aber auf diesem Weg der Zeit erinnerte er sich an den gehetzten Ausdruck im Gesicht seines Freundes, gab sich nicht mit dem Beschluss des Kapitäns zufrieden und kehrte zurück. Ein Athos ging unwissend nach Hause, las am Kamin ein Buch und ging schließlich in sein Bett. Ein anderer Athos blieb hinter der Tür stehen, weil er die Stimmen von Aramis und den Kapitän vernahm. Als er nach Hause ging, hatte er zuviel gehört, um einfach zu Bett zu gehen. Manchmal löst ein Kiesel einen ganzen Steinschlag aus und manchmal bekommt der Kieselstein die Gelegenheit herauszufinden, was hätte geschehen können - wenn er in eine andere Richtung gefallen wäre. "Nein!" entfuhr es Porthos ungläubig. Athos nickte ernst. "Soll das heißen, dass Aramis ... unser Aramis ..." Athos nickte immer noch. "Aramis? Musketier des Königs? Unser Freund seit über ..." Porthos nahm seine Finger zu Hilfe, "6 Jahren? Moniseur Sag-noch-einmal-ich-sehe-aus-wie-eine-Frau-und-ich-prügel-dich-zu-Brei? Monsieur Ich-habe-kein-As-im-Ärmel? Ja, das ist schon eine komische Welt, nicht wahr?! "Himmel-Herr-Gott", ächzte Porthos. "Bist du sicher?" "Ja, ziemlich sicher. Sie ist eine Frau!" "Sie? Sie? Sie? Aramis ist keine ,Sie'. Er ... sie ... ist ... war ein ,Mann', die ganze verdammte Zeit über", brüllte er, dass die Wände zitterten. "Wusstest du es die ganze Zeit?" Porthos war aufgesprungen und stand schwer atmend Athos gegenüber, wie ein wildgewordener Stier. Seine Nasenflügel bebten. "Nein", gestand Athos demütig und schlicht. "NEIN!" Er war nicht der einzige blinde Narr in diesem Raum. Porthos beruhigte sich langsam, ohne zu verstehen oder zu begreifen. Frauen waren Frauen. Man sah, dass sie es waren, roch sie, fühlte sie, schmeckte sie, hörte sie und reagierte auf sie. Das alles mit Aramis in Zusammenhang zu bringen überstieg sein Fassungsvermögen. "Wann ... wie?" "Kurz vor ihrer Abreise nach England, hörte ich sie mit dem Kapitän sprechen." "Der Kapitän weiß es?" Porthos Stimme und Glauben brach. "Und warum hast du es mir nicht gleich gesagt? Warum hast du Aramis nach England fahren lassen?" "Ich konnte es nicht sagen. Außerdem wollte ich Aramis in Ruhe beobachten. Du hättest dich verraten. Ich wollte wissen, wie wir so blind sein konnten. Weißt du, wenn man es weiß, ist es eigentlich ganz offensichtlich. Wir waren Narren!" Äußerlich war Athos gelassen und ,der Freund' wie immer geblieben, innerlich fühlte er sich zerrissen und gedemütigt. "Aramis ist eine Frau", brüllte er D'Artagnan entgegen, als dieser seine Wohnstube betrat. Der Junge schaute in die rollenden Augen des Koloss und zog den Kopf ein. Nichts ahnend von seiner letzten Schicht kommend, brach die Szenerie eines wildgewordenen, schnaufenden Porthos, neben der staturhaften Gestalt von Athos auf ihn ein und seine Überlebensinstinkte erwachten. "Wirklich?", entfuhr es ihm und rettete ihm weitere wichtige Lebensjahre. Undenkbar, was beide Männer mit ihm angestellen würden, wenn sie gewusst hätten, dass es D'Artagnan schon längst wusste. Er erinnerte sich, dass Aramis kurz vor ihrer Abreise genau diese Situation hinaufbeschworen hatte. Sie kannte die Beiden doch besser. "Und der Kapitän wusste es! Der Kapitän wusste es", jammerte Porthos und ließ sich schwergewichtig auf den Stuhl zurücksinkend. "Ob sie seine Geliebte ist?" "Das ist doch lächerlich", entfuhr es D'Artagnan. "Wir reden hier von Aramis." "Und wer ist Aramis?" fragte Porthos bitter. Während Athos sein Entsetzen und Unglauben still mit sich herumtrug, brüllte Porthos seine Wut nach außen. Kopfschüttelnd barg er das Gesicht in seinen Händen. "Ich geh jetzt und treffe meine Reisevorbereitungen", sagte Athos ruhig und wandte sich zum Gehen. "Du verreist? Wohin?", verblüfft wich D'Artagnan zur Seite. "Nach London. Ich werde bald zurück sein." "Warte! Du wirfst uns solch einen Brocken vor die Füße und gehst einfach? Was passiert jetzt?", rief ihm Porthos verzweifelt nach? Athos lächelte unergründlichen. "Es bleibt dir viel Zeit zum Verdauen!" "Und was wirst du mit Aramis tun?" "Nichts", erwiderte er, "gar nichts, bis sie es von ganz alleine gesteht. Und gnade Euch Gott, wenn ihr es Aramis verratet! Ohnehin steht zu befürchten, dass die Briefe abgefangen werden." "Du wirst ihr doch nichts antun?", fragte D'Artagnan unsicher. "Aber nicht doch. Sie hat nur 6 Jahre zu vertreten, in denen sie uns zum Narren hielt." "Aber sie hatte bestimmt ihre Gründe." Athos Gesicht blieb weiterhin unergründlich und ruhig. "Ganz bestimmt hatte sie die und wir haben die unseren." "Sie war ... ist euer Kollege, ein Musketier, ein Freund." "Wir haben ihr Dinge erzählt, die nie für das Ohr einer Frau bestimmt waren", brüllte Porthos dazwischen. "Oh mein Gott, und was ich ihr erzählte", flüsterte er und wurde leichenblass. " ... wir waren zusammen im Bordell." Leicht belustigt sah Athos seinen erschütterten Freund an. "Also ich kenne Aramis Neigungen nicht, aber ich kann mir durchaus vorstellen, dass sie mit genügend Geld das Mädchen bestochen hat, den Mund zu halten." "Ihr habt zusammen gekämpft." Wie ein Blatt im Sturm hielt D'Artagnan seine Verteidigung für Aramis aufrecht. Wie ein Blatt im Sturm wehte er hilflos davon. Athos Gesicht wurde wieder hart. "Ein Musketier, ein Soldat muss sich auf seinen Kameraden verlassen können und er darf sich nicht als einzige Lüge herausstellen." "Du kannst nicht kämpfen, mit einem Weiberrock im Rücken", fuhr Porthos dazwischen und ballte wütend die Faust. Athos nickte. "Was Aramis macht, ist gegen das Gesetz und die Kirche. Wenn ihr Geschlecht herauskommt, dann trifft es auch die Musketiere, bis hin zum König. Ihre Entdeckung würde uns alle ins Verderben reißen." "Aber Aramis ist ein guter Musketier", rief D'Artagnan hilflos. "Nein, sie ist eine Frau!" Mit diesen Worten wandte sich Athos zum Gehen und ließ sie zurück. Kapitel 23: Welcome to London ----------------------------- London hatte die ersten Abendstunden erreicht. In kaum einer anderen Stadt vereinten sich mehr Kuriositäten auf den Straßen, als in der englischen Hauptstadt. Schamlos hatte England's größte Herrscherin Elisabeth I. mit den Kindern ihres Landes kokettiert. Elisabeth liebte ihr Volk und dieses liebte sie. Seit ihrem Tot kam es nicht mehr zu dieser Verbundenheit und Verehrung mit seinem Herrscher. Die Stuarts hatten den englischen Thron übernommen. Doch die Unverfrorenheit der Engländer blieb. Obwohl der Londoner Kai kaum genügend Platz für die unzähligen Schiffe bot, die tagtäglich ein und ausfuhren, war es der Welthafen des späten Mittelalters. Wenn auch Handels- und Passagierschiffe bis zu zwei Wochen vor dem Hafen warten mussten, ehe sie anlegen konnten, trafen sie hier alle ein. Chinesen mit ölig glänzenden Zöpfen, Inder im hohen Turban liefen ebenso unbeachtet durch die geschäftigen Straßen, wie dunkelhäutige Sklaven im Lendenschurz oder jüdische Händler in dunklen Kaftans. Noch weniger Interesse schenkte man einem müden Reiter. Auf seiner Kleidung lag eine dicke Staubschicht. Die Anzeichen der Erschöpfung hatten sich in sein Antlitz gegraben. Sein Englisch mit deutlich französischem Akzent fragte sich müdevoll den Weg durch London. Vorbei an der Börse mit seinen zahlreichen Advokaten, Märkte an denen es nicht anders zuging wie Zuhause, Kirchen, an dessen Portalen Bettler auf einige Almosen hofften, den breiten Prachtstraßen, verstopft mit Fuhrwerken und Sänften, Westminster, Grosvenor Square, der Tower Bridge und ihrem alltäglichen Stau. Die Geschäftigkeit in den Straßen fand kaum Zeit für die Fragen eines Fremden. "Graf de Meyé!" Überrascht sah der Graf auf. Sie befanden sich im Almack. Gemeinhin trafen sich die Herren, nach hitzigen Debatten im Parlament, in den Räumlichkeiten des Club. Man benötigte eine Einladung, um hier verkehren zu dürfen. Nebenan drehten sich die Drehscheiben an den Roulettetischen, mischten sich die Karten bei Whist und fielen die Würfel bei Hazard. De Meyè wies auf den Sessel zu seiner Rechten. Das exquisite Ambiente lud ein, die Sinne schweifen zu lassen und sich dem Luxus hinzugeben. Er klappte die Dose mit dem Niespulver zu und sah seinen Gegenüber interessiert an. "Lord Corday, ich gratuliere Euch zu Eurer Rede im Oberhaus. Ich hörte Euch zum ersten Mal sprechen." Corday verneigte sich leicht und setzte sich. "Ich mische mich nicht oft in die Politik ein." Er lehnte sich im weichen Polster zurück, die Beine übereinandergeschlagen. Ein Bild eleganter Lässigkeit, von dem de Meyé's kurze Gliedmaßen nur träumen konnten. Zutraulich beugte sich der Diplomat näher. "Zu bescheiden, Lord. Ich weiß, dass Eure Meinung großen Einfluss hat. Manches Bündnis oder Erlass kamen durch Euren Zuspruch zustanden. Große Männer hören auf Euch." Corday blieb reserviert. "Ich diene nur meinem König, Graf." Der Graf lächelte. "Sehr diplomatisch, Mylord. Ob Tory oder Whing? Die Macht als privilegierter Mann die Politik dieses Landes mitgestalten zu können, schätze ich an diesem Land. Frankreichs Politik sieht da anders aus." "Frankreichs Politik heißt Kardinal Richelieu", gab Corday zurück. "Was ist mit Euch? Als Diplomat steht für Euch die Politik immer im Vordergrund." "Das ist wahr!", gestand der Graf. "Berufskrankheit." "Und was ist mit Hofklatsch und Gerüchten, Graf?" Irritiert zog de Meyé die Braunen zusammen und die kurzen Beine ein. "Ich versteh Euch nicht ganz, Lord Corday. Mit derartigem befasse ich mich nicht. Wie Ihr, diene ich nur meinem König und meinem Land." Sein Gesicht blieb steinern und ausdruckslos. "Vielleicht habt Ihr dennoch gehört, dass eine Landsmännin von Euch, erheblich ins Kreuzfeuer geraten ist?" Unbestimmt wiegte der Graf den Kopf. "Einige Sachen kamen mir zu Ohren, aber was habe ich damit zu tun?" Corday betrachtete sichtlich fasziniert den reichverzierten Kronleuchter über ihnen. Das Licht der Kerzen spiegelte sich im Goldüberzug des schweren Leuchters. Die langen Finger trommelten rhythmisch auf der Lehne. "Comtesse de Mystérieuse liegt mir sehr am Herzen, Graf und mir gefällt es nicht, dass sie Grund zu Spekulationen gibt. Und dann der Anschlag auf sie!" "Accch, davon sprecht Ihr. Unschöne Sache, wirklich äußerst unschöne Sache." Bedauernd schüttelte der Graf den Kopf. "Wer hat nicht von diesem feigen Mordversuch gehört. Und das an einer unbescholtenen Französin ...", fuhr de Meyé im gespielten Entsetzen fort. "Wenn Frankreich davon erfährt. Zum Glück sind keine verwandtschaftlichen Bande zwischen ihr und der französischen Königsfamilie. Es käme sonst einer Kriegserklärung gleich." Ohne diplomatischer Zunge gesprochen, war Aramis damit ein Bauern auf dem Schachbrett der Politik und jederzeit zum opfern bereit. Lord Corday sah das allerdings anders. "Unbescholten, genau das meine ich. Ich werde dieses Gerücht zum Verstummen bringen und alles daran setzten, den Urheber zu finden und die, die sie töten wollen." "Oh, so ist das!" Ein einschmeichelndes Lächeln kroch über die Züge des Diplomaten. "Darf ich gratulieren? Aber was ...?" "Vielleicht hört Ihr etwas, Graf. Ich meine es wirklich ernst." Jetzt sahen die grauen Augen de Meyé an, sagten aber nichts. "Natürlich, Mylord. Da sie meine Landsmännin ist, liegt es auch in meinem Interesse ihr zu helfen ... und Euch", beeilte sich de Meyé zu versichern. "Mercie", erwiderte Corday knapp und erhob sich. Einlenkend hob de Meyé den Arm und bedeutete Corday sich zu setzen. "Was mich interessieren würde, Mylord, da Ihr mit dem König befreundet seid ... was gedenkt seine Majestät wegen La Rochelle zu unternehmen?" "Gar nichts." Kein Gesichtsmuskel zuckte, kein Wimpernschlag trübte den Blick. "Seine Majestät, konzentriert sich auf das irische Problem." "Seid Ihr sicher." "Ja, Graf!" De Meyé nickte verstehend. "Irland, ich verstehe. Ein recht widerspenstiges Volk, mit dem bisher jeder englische Thronfolger seit der großen Elisabeth zu kämpfen hatte." "Welches Volk wäre das nicht, Graf, dem man sein Land, seine Religion und Sprache nehmen will? Entschuldigt mich." Währenddessen versuchte Aramis die Gespenster ihrer Langeweile zu vertreiben. Die Königin schenkte ihr nach wie vor die selbe Aufmerksamkeit, aber Aramis glich ihrem Interesse, wie das eines exotischen Tieres. De Meyè sorgsam auf Reisen geschickte Verleugnungen, der Anschlag und nicht zuletzt ihr eigenes unorthodoxes Auftreten ging ihre Name und ihre Person durch aller Munde. Von jeher stand Aramis ungern im Mittelpunkt des Geschehen und da ihr kein Waffenrock und ein übergewichtiger Freund blieb, der ihr die Sicherheit und den Schutz eines selbstsicheren Auftritts gab, zog sie sich lieber zurück und nahm einsame Stunden des Nichtstun in Kauf. "Nagen wir an unseren Fingernägeln?" Hätte Sophie die Hände freigehabt, würde sie diese sicher entrüstet in die Hüften stemmen. So befand sich ein vollbeladenes Tablett in eben diesen. Ertappt ließ Aramis ihre Finger sinken und vergrub sie beschämt in ihren Rockfalten. "Was ist das?", fragte sie und wies auf das Tablett in den Armen ihrer Zofe. "Ihr Abendessen. Sie wollten doch auf Ihrem Zimmer speisen. Wein und etwas von diesem schrecklichen englischen Essen." Sophie stellte die Speisen auf den Tisch. "Der König tut schon ganz recht, französische Köche zu beschäftigen. Ich wüsste sonst nicht, wie wir die Zeit hier überleben sollten." Aramis griff die Weinkaraffe und schenkte sich ein. Nachdenklich wanderte sie zum Fenster und sah auf die riesigen Parkanlagen hinaus. Sophie behielt schon recht. Englands Abneigung gegen Frankreich scheiterte am Handel. Französische Mode, französische Küche, französische Etikette, selbst die französische Sprache fand sich an alle zivilisierten Königshöfen der bis dahin entdeckten Welt wieder. Sie nahm einen tiefen Schluck, schmeckte das süßliche Bouquet aus den südfranzösischen Provinzen, bekam Heimweh und brach anschließend auf langsame und schreckliche Weise zusammen. Da Aramis sehr groß war, überstieg die Entfernung zum Boden das normale Maß. Sie fiel in Raten, gewissermaßen Gelenk pro Gelenk. Die Fußknöchel gaben nach und sie sackte auf die Knie. Ihre Hüfte knickte ein und ihre Stirn landete auf dem Teppich. "Oh", sagte sie. Sophie kreischte hysterisch auf und fiel auf die Knie. Sie nahm ihre Herrin bei der Schulter und schüttelte sie heftig. Doch Aramis gab kein Lebenszeichen von sich. "Was ist passiert." Sophies blasses Gesicht sah zu Athos auf, der müde und staubig den Weg zum königlichen Palast gefunden hatte. Sie zuckte hilflos die Schultern. "Eben ging es ihr ... ihm noch gut", korrigierte sie sich, als ihr bewusst wurde, zu wem sie da sprach. "Er ist auf einemal zusammengebrochen," wimmerte sie. Athos kniete ebenfalls nieder und drehte die leblose Aramis auf den Rücken. Ein dünner Faden Wein rann aus ihren Mundwinkeln. "War der Wein nicht gut?" fragte er. "Ich weiß nicht .... oh." Ihre Augen wurden groß vor Schrecken. "Gift. Ich glaube, jemand hat versucht ihn zu vergiften. Erst schießt man auf ihn und jetzt das." "Man hat auf ihn geschossen?" Sophie nickte heftig. "Ich hole einen Arzt." Athos hielt sie am Ärmel fest. "Um Gottes Willen, wir wollen doch, dass er überlebt." "Aber wen holen wir dann? Er stirbt." "Hol mir eine Schüssel und viel Wasser, samt Glas." Athos richtete Aramis Oberkörper auf seinem Knie auf und öffnete ihr Kleid, samt Korsette im Rücken mit dem Messer. "Wir müssen das Gift rausspülen", erklärte er und schob seinen Finger in ihren Rachen, worauf seine Patientin zu spucken begann. "Er muss trinken! Noch mehr Wasser!", verlangte er, ohne sich Gedanken über sein Tun zu machen. Er handelte instinktiv. So wenig Gift wie möglich durfte den Magen erreichen. Der Wettlauf mit der Zeit begann. In den folgenden Minuten spuckte und schluckte Aramis um ihr Leben. Endlich entschied Athos, dass es genug war und ließ sie zu Boden sinken. Ihre Lider flatterten. Das Weiß der Augäpfel wurde sichtbar, dann das Blau der Iris. Ein viel zu schmaler Ring, um eine beängstigend weit geöffnete Pupille. Das Bild vor ihren Augen verdichtete sich und wurde zu Athos Gesicht. Durch den Schleier der Übelkeit sah sie die Züge ihres Freundes, angestrahlt von dem Sonnenlicht in seinem Rücken, dass sich seinem braunem Haar brach. Ein vertrauter Anblick, Erinnerungen an Zuhause und heimliche Sehnsucht. Athos sah einen Haufen Ärger. Dann verließen sie ihre Sinne und der Augenblick des Wiedersehens fiel der Vergessenheit an. Athos wischte sich den Schweiß von der Stirn und sah auf Aramis nieder, die er auf das Bett gelegt hatte. Da lag sie nun, bleich, regungslos und vielleicht dem Tode nah. Ob ihr Körper das Gift absorbierte oder abstieß, entschieden die nächsten Stunden. Er sah sie an und fühlte fast nichts. Es war schon merkwürdig, sie in weiblicher Kleidung zu sehen. Mit dem steifen Kleid, samt Untergerüst und der fahle Haut, war sie nicht gerade eine Ziere für ihr Geschlecht. Aber wenigstens sah man ihr jetzt ihr Geschlecht an. Jahrelang hatte er es übersehen oder nicht für nötig gehalten näher hinzusehen. Allerdings sie mit den Empfindungen eines Mannes für das andere Geschlecht betrachten, dass konnte er sich nicht. Vielleicht war sie eine Art Zwischenwesen für ihn. Nicht Mann nicht Frau, - etwas undefinierbares, dass sich in sein Leben geschlichen hatte und ihm nun völlig fremd war. Das Haar klebte nass und glanzlos in ihrem Gesicht. Die Lippen waren eingerissen und dunkle Schatten lagen unter ihren Augen. Mitleid empfand er indes keines. Erstaunt betrachtete er die Leere in sich. Selbst Sorge, ob sie überlebte, verspürte er nicht. War es, weil sie jung und kräftig war und er rechtzeitig das Gift aus ihr herausgespült hatte oder weil sie die nächste Frau in seinem Leben war, die ihn betrogen hatte? Seine Mutter hatte sich nie um ihr Kind gekümmert, sondern ihre Rechte als Adlige genossen. Eine der ersten Damen in der Gesellschaft, aber zu Hause das Zerrbild einer gelangweilten, unterforderten, verzogenen Frau. Es folgte die erste große Liebe und die um so größere Enttäuschung, als diese zerbrach, weil sie ihn betrog. Er war nach Paris gegangen, um seinen Rang, Namen und seine Vergangenheit abzulegen. Frauen behandelte er mit Respekt und Achtung, aber er liebte sie nicht mehr oder schenkte ihnen Vertrauen, - bis auf diese hier, die er allerdings für einen Mann gehalten hatte. Er war bereit, sie alle zum Teufel zu scheren. Eine andere Vertreterin dieses Geschlechts stand ihm befangen gegenüber und wusste nicht wohin mit ihren Händen. Sophie verlagerte betreten das Gewicht von einem Bein auf das andere und vergrub die Hände in den Falten ihres Kleides. Oh, dieser finstere, verschlossene Ausdruck auf seinem Gesicht. Wusste nun Athos von Aramis Geheimnis? Und wenn nicht, hielt er sie auch für Aramis Geliebte, weil sie Aramis Zofe war? "Was ist passiert?", fragte er und Sophie erzählte ihm alles, was sie wusste, froh das der finstere Ausdruck aus seinem Gesicht wich und sich nicht auf sie gerichtet hatte. Als sie geendete, nickte Athos nachdenklich und wandte sich zum Gehen. "Wo wollen Sie hin?" Ihre Frage klang fast panisch. Eine äußerst dünne Schicht Vernunft hielt sie zurück. Zwei Mordanschläge in einer Woche. Er konnte doch nicht einfach gehen. Gleich gaben ihre Beine unter ihr nach. "Ich bin seit 12 Stunden unterwegs. Alles was ich möchte ist etwas zu Essen und ein Bett ohne Flöhe. Da ich offiziell noch nicht hier bin, werde ich mir ein Gasthaus suchen." "Aber Aramis ..." Athos lächelte nachsichtig und unterbrach sie. "Wer auch immer Aramis töten wollte, muss sich erst überzeugen, ob er es geschafft hat. Die nächsten Stunden wird nichts passieren! Mach dir keine Sorgen und halte möglichst Monsieur Broussard von ihm fern!" Sophie nickte nachlässig und setzte sich. Jetzt war es an der Zeit, dass ihre Beine nachgaben. Als sich die Tür hinter Athos schloss, biss sie hemmungslos auf ihrem Handknöcheln herum. Als Aramis das zweite Mal die Augen öffnete, sah sie erst gar nichts. Dann konzentrierte sie sich. Der Schemen neben ihrem Bett verdichtete sich zu Corday. Er sah auf die blasse Gestalt nieder. Mein Gott, dachte er, selbst im Bett hat sie Kleider wie ein Flaggschiff an. Das blau ihrer Augen schimmerte matt. Ihr Gesicht war blass und die Farbe ihrer Lippen fahl. "Mein Gott, Gift?", fragte er. "Ich kam gerade aus dem Almack wieder, da hörte ich von Eurer Zofe, was passiert ist. Wer will Euch nur töten?" Sie blieb stumm, die Augen trüb. Bei Gott, wie viel Gift war in dem Wein, dass die Lebensgeister in ihren Augen erloschen waren? "Erst schießt man auf Euch, dann Gift. Was passiert als nächstes? Wen habt Ihr Euch nur zum Feind gemacht, Renée?" Corday schüttelte betrübt den Kopf. "Hier seid Ihr nicht mehr sicher!", sagte er und nahm eine der weißen Hände und umfasste die kalten Finger. Sie wehrte sich nicht. Es war beängstigend nicht von ihr angefaucht zu werden. "Zieht zu mir in mein Stadthaus!" Aramis hörte ihm durch den trüben Dunst ihres Verstandes zu. Im Jammertal der Nachwirkungen des Giftanschlags gefangen, benötigte sie mehrere Minuten, bevor sie den Sinn seiner Worte begriff. Ihr war als würde sie außerhalb ihres Körpers stehen und sich durch eine dicke Wolkenwand denken. Was war passiert? Aramis gurgelte leise, was vielleicht zu besseren Zeiten ein spöttisches Lachen gewesen wäre. "Kein böses Wort, keine Ablehnung? Das ist beängstigend", erklärte Corday abwägend. "Gut, aber beängstigend. Habt Ihr mich überhaupt verstanden, Renée?" Einige Zeit später nickte sie, mehr aber auch nicht. "Warum?" krächzte sie endlich. "Warum, was?" Ein Stöhnen und sie verdrehte die Augen. Corday beugte sich näher zu ihr runter, um sie besser hören zu können. "Warum Ihr Euch ausgerechnet um mich sorgt?" "Weil Ihr es nicht tut. Jemand will Euch einen frühen Tot bescheren. Die Gastfreundlichkeit meines Volkes verbietet es, derartiges bei unseren Besuchern zuzulassen. Welchen Eindruck mögt Ihr sonst von uns Engländern bekommen?", erklärte er, gespielt entrüstet. Schweigen. Macht Ihr Euch lustig?", zischte Aramis mühsam, während sie sich an ihrem eigenen Wahnsinn verschluckte. "Würde ich nie wagen!" "Wasser!" Er half ihr zu trinken. Aramis nickte dankbar und rüstete sich. Gestärkt mit etwas Wasser in der ausgetrockneten Kehle, konnte sie ins Gefecht ziehen. "Corday, wenn Ihr ...." "Halt, halt, Mademoiselle Schwergeschütz! Bevor Ihr Eure Truppen stationiert! Ich schwöre, bei allem was mir Heilig ist und das ist wahrlich nicht viel, dass mir nur Euer leibliches Wohl am Herzen liegt." Er meinte es wirklich ernst. Irgendwann im Laufe der Monate war seine Welt stehen geblieben und hatte begonnen sich in eine andere Richtung zu drehen. Sie hatte die Bühne von Anfang an beherrscht. Drauflos gestürmt, wie eine neue Brise, unkonventionell, ein bisschen provinziell, tapfer und auf jeden Fall anders. Mit einer Energie, welche die bemalte Gesellschaft Londons farblos und öd erscheinen ließ. Sie hatte die Langeweile in ihm durchbrochen, die Geruch nach Monotonie den seine zahlreichen Geliebten mit sich brachten. Er brauchte sie, um wieder lebendig zu sein. Verzweifelt wünschte sich Aramis zu begreifen, was Corday von ihr wollte. Sie schmeckte bittere Galle und Eisen. Ihre Zunge lag wie taub in der Mundhöhle. "Denkt darüber nach!", sagte er sanft und zog seine Hand zurück. "Ich meine es so ernst, wie noch nie etwas in meinem Leben und ich verspreche Euch, dass ich Euren Namen keine Schande bereite, sorgt Euch nicht!" Was hieß das denn? Selbst durch die verworrenen Sinne ihres gemarterten Gehirns klang es, als wollte Corday um ihre Hand werben. Er ging zur Tür und legte die Hand auf die Klinke. Abrupt drehte sich Corday um und kam wieder zurück. "Wollt Ihr mich heiraten?" Aramis glaubte zu halluzinieren. Aber für eine Sinnestäuschung drückte Corday ihre Hand entschieden zu fest. Schweigen. "Au", entfuhr es ihr. Kapitel 24: Freunde aus Kindertagen ----------------------------------- Coday war wohl das, was man eine gute Partie nennen konnte. Auf der Negativseite stand: Sie liebte ihn nicht! Aber es war abzusehen, dass sie nicht immer den Musketier spielen konnte. Entweder verriet sie sich oder ein anderer sie. Vielleicht öffneten ihre Mitmenschen irgendwann ihre Augen und sahen, was offensichtlich war. Bereute sie ihre Entschluss nach Paris zu gehen? Überlegte sie sich, in den seltenen Augenblicken, in denen sie zurückdachte, wie sie anders gehandelt hätte? Was nützte die Frage? Sie hatte es getan, weil sie nicht zu den Menschen gehörte, die ihre Hände in den Schoß legten und den Schmutz nahmen, den ihnen das Schicksal vor die Füße spülte. Ein vernünftiger Mensch bedachte immer die Folgen seines Tuns,- zum Glück verfügte sie nicht über diese Eigenschaft. Ja, Corday war eine gute Partie. Der einzige bei dessen Anblick ihr Herz schneller schlug, hielt sie noch immer für einen Mann. Sie wurde nicht jünger und irgendwann verlor sie den Kampf gegen die Zeit. Aramis mochte Corday. Ein Punkt für die positive Seite. Der Kuss hatte ihr gezeigt, dass er ihr mitnichten gleichgültig war. Was wichtiger war, er schien auch sie zu mögen. Bei Gott, bei dem gesamten Repertoire an Peinlichkeiten, welches sie ihm geboten hatte, musste er entweder davon laufen oder sich verlieben. Warum sollte sie ihn nicht nehmen? Jeder musste sehen, wo er blieb. Die Welt stand nicht still und war mit Menschen bevölkert, die sich mit Dreck und Ellenbogen durchschlugen. Vielleicht wurde aus bloßer Zuneigung im Laufe der Jahre Liebe oder gemeinsame Kinder schufen ein Band der Verbundenheit? Wer wusste das schon? "Zeit unter die Haube zu kommen", knurrte sie, wohlwissend, dass sie es nicht konnte. Sophie kam herein und unterbrach ihre grüblerischen Gedanken. "Oh, Sie sind wach. Wie fühlen Sie sich?" "Ich lebe", entgegnete Aramis und richtete sich mühsam auf, "aber auch nicht mehr. Was ist eigentlich passiert? Und was machte Corday an meinem Bett? "Im Wein war Gift", erklärte Sophie gleichmütig. Aramis murrte leise. "Wenn ich das vorher gewusst hätte, hätte ich mehr Sold verlangt". Sie fuhr sich mit den Fingern durch das verfilzte Haar und blieb drin stecken. "Broussard begann hier herumzuschnüffeln, wie ein hungriges Tier das sich die Lefzen schleckt. Er hat etwas von einem räudigen Straßenköter, finden Sie nicht? Wahrscheinlich wollte er selbst überzeugen, ob Sie tot sind. Also hab ich ihm gesagt, dass Sie mit dem Tod ringen und zwang ich ihn mit mir zum Kapitän der Palastwache zu kommen." Sie grinste schelmisch. "Wir haben Anzeige erstattet. Schließlich muss es hier ja einen englischen Kapitän de Treville geben, der etwas unternehmen sollte. Broussard war natürlich ganz der fürsorgliche Sekretär. Ergebener Diener seiner Comtesse. Zum Glück kam gerade Lord Corday und ich bat ihn über Euch zu wachen." Aramis schwang die Beine über das Bett. "Ja, das hat er", erwiderte sie trocken. "Und warum lebe ich noch?" "Dafür müssen Sie Athos danken." "ATHOS?" Der Rest des Körpers folgte, -schmerzhaft. Es rummste kurz, als rund 100 Pfund Körpergewicht auf das Parkett aufschlugen. "Athos ist hier?", krächzend sie und blieb liegen. "Ja, er ist hier", erklärte Sophie nach unten. "Er hat Sie das ganze Zeug ausspucken lassen. Jetzt ist er in irgend einem Gasthaus abgestiegen." Mit einem Satz war Aramis wieder oben. "Er ist hier?" Der Schrecken half ihr schneller auf die Beine, als es 12 Stunden Ruhe zu tun vermocht hätten. Nervös lief sie umher, befingerte hektisch den zerknitterten Stoff ihres Rockes und murmelte leise vor sich hin. Rote Flecken hatte sich auf ihren Wangen gebildet. Unverständlich sah ihr Sophie bei ihrer rastlosen Wanderung zu. "Ist das nicht gut?" fragte sie zaghaft. "Nein ... ja ... Nein, Himmel!" Aramis raufte sich die Haare. Nie wollte sie in dieser Verkleidung einen ihrer Freude unter die Augen treten. Dabei übersah sie großzügig, dass Frauenkleider eigentlich zu einer Frau gehörten, die sie zweifelsfrei war. Aramis hielt so abrupt, wie sie ihre Wanderung begonnen hatte. Jetzt stand sie mit nervös geweiteten Augen und zerrauften Locken vor Sophie. Diese verdrehte die Augen. Ihre Herrin erinnerte sie eher an eine Opiumsüchtige, nach einer Nacht Exzesse, als die rationale Person, die sie eigentlich war. Von Überlegenheit und unerschütterlicher Ruhe war keine Spur mehr zu sehen. Sie sah erschreckend aus und auch ein wenig lächerlich. Aus Loyalitätsgründen verkniff Sophie sich das Grinsen. Warum führte sich Aramis derart auf? "ER hätte nicht herkommen dürfen." "Wer?" "Athos", erklärte Aramis dumpf. "Man hat mir versprochen, dass niemand mein unrühmliches Dasein hier sieht." "Tja, Staatsmänner und ihre Versprechen." "Arrg." Wieder ging es in die Locken und den Haaren an den Kragen. "Dreht sich das Zimmer?" Aramis begann zu schwanken und umklammerte hilfesuchend Sophies Arm. "Vorsicht du fällst!" "Nein, Sie fallen. Nicht ohnmächtig werden!" Fürsorglich legte Sophie Aramis auf das Bett zurück. "Ich hole Ihnen etwas zu essen! Sie sind vollkommen geschwächt!" Aramis sank in die Kissen zurück. Schliere tanzten vor ihren Augen. Ihre Magenwände hoben und senkten sich. "Versprich mir, dass wenn ich ohnmächtig werde, du mich aus dieser Scheußlichkeit von Kleid befreist und mir Hemd und Hose anziehst!", flehte sie. Ihre Augen schimmerten dunkel und fiebrig. "Warum denn?" "Er darf mich nicht so sehen. Was wenn er die Frau in mir sieht?" "Wäre das nicht das beste?", erwiderte Sophie sanft und löste die verkrampften Finger von ihrem Arm. "Er hat Sie längst im Kleid gesehen und rein gar nichts gesagt." Seinen Gesichtsausdruck verschwieg sie lieber. Sie lag noch immer auf dem Bett und starrte den Damasthimmel über sich an. Die Haare gebändigt, den Körper und ihren Stolz hinter Hemd, Hose und einer Lage festgezogenen Brustband verpackt, die Gedanken ruhelos auf Reisen. Die Abenddämmerung warf ihr rotgoldenes Licht durch das hohe Fenster. Ihre letzten Sonnenstrahlen malten Schattenkringel auf die Decke. Ein heißes Bad, einen Priester oder einen schnellen Ritt gegen den Wind, dass war es, was sie jetzt brauchte. Es klopfte, ihr Herz stand still und gleichzeitig mit der Tür setzte ihr wildrasender Herzmuskel ein. Athos betrat das Zimmer. Noch immer tiefe Augenringe unter den Lidern. Aramis setzte sich auf und schwang die Beine über die Bettkante, äußerlich gefasst und ruhig. "Salute Aramis." "Salute Athos." "Du bist noch immer leichenblass im Gesicht." Athos zog sich einen Stuhl heran. Es knallt in seinem Rücken zweimal, als hätte jemand eine kräftige Ohrfeige verteilt. "Was war das?" "Was?", fragte Aramis mit leuchtenden Wangen. "Der Klatsch?" "Oh, dass", raunte sie betont unschuldig. "dass ist nur mein Handgelenk. In letzter Zeit knacken die Knochen ein wenig. Man wird alt." Als er sich wegdrehte, verzog sie das Gesicht schmerzhaft. Er setzte sich ihr gegenüber und verschränkte die Arme vor der Brust. "Man hat mich hergeschickt, um dir zu helfen. Wie ich sehe, steckst du in argen Schwierigkeiten", erklärte er sachlich. "Schwierigkeiten?" "Erst der Schuss, dann das Gift!" "Nicht von belang," behauptete sie. Seine hochgezogene Augenbraue sprach anders. "Erzähl mir alles!" Kein Wort zu dem Kleid, kein Wort wie es ihm ergangen war oder wie sie sich fühlte. Dies war keine Wiedersehen unter Freunden. Was war mit "Einer für alle und alle für einen?" Ihr Leitspruch der Freundschaft gefror gerade. Gut sah er aus und zugleich beängstigend ruhig und distanziert. Schweigen senkte sich über den Raum. Jeder war auf seiner Seite des Zimmers geblieben. Während ihre Füße fahrig gegen den Bettrahmen trommelten, zuckten lediglich seine Kiefermuskeln leicht. Der Rest blieb unbeweglich. Sie spielte unentwegt mit einem Apfel, er hielt die Arme als Barriere vor der Brust verschränkt. Die Sonne war untergegangen, aber noch gab der Tag der Nacht nicht den Vorrang. Es war diese Zeit zwischen Tag und Nacht, die den Himmel in milchgrau tauchte. "Was ist Heydon für ein Mensch?" "Ein Feigling, ein Schwächling. Selbstverliebt, charakterschwach, aber machtgierig", zählte Aramis auf. "Warte!" Athos duckte sich, um dem fliegenden Apfel auszuweichen. "Aramis?" fragte er verwirrt. "Nur ein kleiner Test." "Habe ich ihn bestanden?" "Oh, ja. Behalte den Apfel! Soll sehr gesund sein." "Nicht unter diesen Umständen. Wir sollten vorerst nichts gegen Broussard unternehmen!" Aramis verschluckte sich. "Wie bitte? Er hat mich versucht zu töten." "Trotzdem." Es klopfte an der Tür und mit einem geübten Knicks kündete Sophie Lord Corday an. Der Lord trat ein. Er sah lediglich Aramis. Überhaupt fiel es ihm schwer in letzter Zeit etwas anders zu sehen. Besonders wenn er die Augen schloss. Er geriet geringfügig ins Stolpern, als er sie in Männerkleidung sah, fasste sich aber kurz darauf wieder. Aramis stand auf. "Lord?" "Renée, bin ich froh, dass es Euch wieder besser geht. Habt Ihr über mein Angebot ..." "Charles?" Corday wandte sich zu Athos um, welcher rechts von ihm stand und den er bisher nicht gesehen hatte. "Olivier?" Seine Augen wurden groß und traten fast aus den Höhlen. Beide Männer traten auf einander zu und umarmten sich innig, Freude und Zuneigung auf ihren Gesichtern. Aramis Blick flog zwischen ihnen hin und her. Was geschah hier? Warum kannten sich beide und begegneten einander wie Brüder? "Was machst du hier?, fragte Corday. "Seit Jahren haben wir nichts mehr von dir gehört. Was ist passiert?" "Ich bin Musketier geworden, Charles." "Das ist nicht dein Ernst. Das bei deinem Titel? Du bist ein de La Fère de Bragelonne", rief er erstaunt und Aramis verstand immer weniger. Hier spielte sich irgend etwas außerhalb ihres Begreifens ab. "Doch, Charles. Olivier gibt es nicht mehr, nur noch Athos den Musketier", erwiderte Athos ruhig und drückte seinen Freund erneut. "Also, was machst du in England?" "Arbeiten!" "Verstehe. Dann bist du zur Sicherheit der Comtesse hier." "Wer?" "Na, der Comtesse." Sein Blick glitt zu Aramis und ihrem verständnislosen Gesicht, zurück zu Athos, nicht weniger verstehenden Gesichtsausdruck. Endlich begriff Athos. "Ja, so ungefähr." Corday verbeugte sich entschuldigend. "Entschuldigt, Comtesse, Ihr versteht sicherlich nicht. Olivier und ich sind Freunde seit Kindertagen und durch unsere Mütter miteinander verwandt." Sophie holte laut Luft und erinnerte an ihre Anwesenheit. Aramis krächzte heiser? "Verwandt?" "Cousin. Meine Mutter ist Engländerin", erklärte Athos. Corday nickte bestätigend und fuhr fort, ihr Wiedersehen zu preisen und entrüstete sich, über das Unvermögen der Engländer, die nicht in der Lage waren, den Schuldigen zu finden. "Und deshalb habe ich der Comtesse angeboten in mein Stadthaus zu ziehen", schloss Lord Corday seine Ausführungen. Athos runzelte verwundert die Stirn. "Ach so, wie großzügig von dir." Sein Vetter lächelte leicht und sucht das Gesicht seiner Angebeteten, bevor er feierlich gestand, was so mühsam den Weg durch Aramis Bewusstsein gefunden hatte. "Und ich habe sie um ihre Hand gebeten." Corday lächelte verzückt. Athos viel der Apfel aus der Hand, Aramis die Kinnlade herunter, während Sophie einen Hustenanfall erlitt. Sie bemühte sich den Blick auf einen Punkt an der Wand zu richten. Irritiert sah Aramis zu Sophie und klopfte ihr auf den Rücken, bis sie sich wieder einigermaßen beruhigt hatte. Tränen rannen ihr über das Gesicht. Das grau in Athos Augen verfinsterte sich in tiefes Dunkel. Schatten umwölbten seine Stirn. "Charles, er ist ein Mann." Niemals in ihrem Leben sollte Aramis Charles Corday's Gesichtsausdruck vergessen. Jegliche Kraft war aus seinen Glieder gewichen, sein Gesicht hatte sämtliche Farbe verloren, seine Gesichtsmuskeln der Kontrolle des Gehirns entsagt. "Renée ... Re ...", stotterte er. "Nein, Aramis." Athos war unerbittlich. "Er ist ein usketier, wie ich." Aramis hatte den Kopf gesenkt und biss sich auf die Unterlippe. Sie wollte dem Entsetzen in Corday's Augen nicht begegnen. "Ist das dein ernst?", keuchte dieser erstickt. "Ich meine es vollkommen ernst", entgegnete Athos. "Er meint es immer ernst", bestätigte Aramis und seufzte. "Seid ihr verrückt?" "Ich bin verrückt", sagte Aramis "Er ist verrückt", bestätigte Arthos. "Das kann nicht sein", flüsterte Corday kaum hörbar. "Das Aussehen, das Haar, das Gesicht ... Seine Stimme brach. Die Stimmenbänder vibrierten im Unglauben und zerrissen. Er sah sie an, als hätte sie ihm einen Dolch in das Herz gestoßen und qualvoll herumgedreht. Sie hatte schlimmeres getan, - es herausgerissen und zerquetscht, wie eine überreife Pflaume. "Doch, dass kann es, fuhr Athos fort. Alles in Aramis wollte schreien: Hör auf, hör auf! Aber kein Laut kam über ihre Lippen und kein Erbarmen in Athos Worten. "Hör zu, Charles. Der französische Diplomat betreibt Bestechung, Korruption und Spionage. Frankreich muss dem Einhalt gebieten." "De Meye", sagte Corday tonlos. "Das erklärt einiges." Seine Augen ließen Aramis nicht los. Beide dachten an die Wirtshausschlägerei und die Fassadenkletterung. "De Meye." Athos nickte."Frankreich musste im Geheimen vorgehen und deshalb schickten sie Aramis. Es wäre zu gefährlich für eine Frau gewesen und ein Mann hätte zuviel Aufsehen erregt." Aramis ertrug es nicht mehr. Noch während seiner letzten Worte murmelte sie eine knappe Entschuldigung, griff ihren Umhang und ergriff die Flucht. Sie stolperte blindlings vorwärts. Tief im Schatten der Kapuze verborgen eilte sie durch die Gänge. Draußen hatte der Wind aufgefrischt, Vorbote eines kommenden Gewitters. Adlige rannten vor den ersten Tropfen ins das Palastinnere, bevor der Regen kunstvolle Pudermasken und kostbare Seidenstoffe zerstörte. Die Dienerschaft folgte hektisch mit dem notwenigen Accessoire einer höfischen Grundausstattung. Ein dunkelblau livrierter Page trug an ihr eine frisch frisierte Promenadenmischung auf einem Samtkissen vorbei. Aramis wandte sich nach rechts und rannte los.Keuchenden Atems die Parkanlage entlang, durch das breite Tor hinaus, in das wirkliche Leben, hinter dem goldverzierten Eisenzaun. Ihre Beine trugen die Wut und die Demütigung, die Schande und den Schmerz mit sich fort. Der stoßweise Atem mischte sich mit dem Gefühlsgewirr in ihrem Inneren. Warum? Immer wieder diese eine Frage. Am Ende der Straße stand eine kleine Kirche. Einer der wenigen, recht spartanisch ausgestatteten Vertreter der katholischen Kirche. Erst auf den breiten Portalstufen verlangsamten sich ihre Schritte und sie hielt vor der prächtigen Eichentür. Im Kirchenschiff war es leer. Tröstlich umstrahlte das Licht zweier zwei Fuß hoher Kerzen das Bildnis des gekreuzigten Heilands. Der Künstler hatte Jesus Abbild in Holz leidensgetreu nachempfunden. Die Rippenbögen des asketischen Körpers traten hervor, die Wundmale von Nägel, Dornenkrone und Peitschenhieben liefen dunkle Blutspuren aus. Aramis setzte sich in eine der hinteren Kirchenbänke und sank auf der harten Bank zusammen. Tränenlose Tränen erstickten ihre Kehle. Es hatte eine Zeit gegeben, da waren zu viele Tränen geflossen. Jetzt waren ihre Augen leer. Was war mit Athos? Was war in drei Monaten Trennung passiert? Warum zerschlug er ihre letzte Brücke zurück in eine normales Frauendasein? Es würde keine eigene Familie mehr geben? Vielleicht der einsame Tot im Waffenrock am Ende ihres Lebens oder schändliche Demütigung am öffentlichen Pranger. Wie lange sie dort gesessen hatte, wusste sie nicht. Aramis stand auf, als wiederholt Donner und Blitz den Himmel zerrissen. Ihre Beine fühlten sich bleischwer an, weil sie den Rückweg antreten mussten. Aramis trat aus der Kirche und schrie gellend auf. Blitz und Donner fuhren zeitgleich zur Erde nieder und schlugen unmittelbar vor ihr ein. Sie taumelte gegen die Kirchentür. Ihre Ohren schrillten von dem ohrenbetäubenden Donner, hinter ihren geschlossenen Lidern flimmerte noch immer das grelle Licht des Blitzes. Wieder und wieder fuhren Donner und Blitz zur Erde nieder. Der Regen peitschte nahtlos grau zur Erde, der Wind trieb ihn ihr fast waagerecht entgegen. Obgleich sie nie Angst vor einem Gewitter gehabte hatte, erschütterte sie die Heftigkeit und die unmittelbare Nähe des lichtgeladenen Firmaments. Sie kniff die Augen zusammen und hielt sich die Hände vor die Ohren, aber Donner und Blitz malträtierten ihre Sinne. Wind und Regen trieben sie zur Tür zurück. Den Kopf hilflos in den Armen verborgen stand sie ungeschützt der Naturgewalt gegenüber. Der Regen fuhr durch ihre Kleidung und peitschte ihr Haut. Sie hatte weder die Kraft vorwärts zu gehen, noch nach der Klinke der Kirchentür zu tasten. Zeitgleich mit einem erneuten Blitzeinschlag berührte jemand ihren erhobenen Arm. Wieder schrie Aramis auf und schlug mit geschlossenen Armen um sich. Der Unbekannte zerrte an ihrer Kleidung und hielt gewaltsam ihren Arm fest. Panisch fuhr im Aramis mit den Fingernägeln durch das Gesicht und wand sich verzweifelt in seiner Umklammerung. Ohne auf ihren Widerstand zu achten zog er sie mit sich in das Kircheninnere. Benommen und schwer atmend, starrte sie durch die nassen Haarsträhnen in Athos Gesicht. Sein Arm lag noch immer um ihre Schultern, seine Hüfte an ihrer. Sie konnte seinen Atem spüren. Er sagte irgendetwas, seine Lippen bewegten sich, aber sie hörte nichts. Ein Gespräch war gerade im Gang, aber es ging nicht über Worte, sondern über ihre Körper und machte ihr es verdammt schwer, den Sinn seiner Worte zu begreifen. "Setzt dich!" "Was?" "Du sollst dich setzen, oder willst du wieder da hinaus?" Sie saßen so eng beieinander, dass sich ihre Knie fast berührten, aber sie sahen sich nicht an und in Wahrheit waren sie weiter von einander entfernt, als jemals vorher in der langen Zeit ihrer Bekanntschaft. "Woher wusstest du wo ich bin?" "Ich habe dich vom Fenster aus in diese Richtung gehen sehen und hier gibt es nicht viel, was sich lohnt aufzusuchen." "Es ist schon merkwürdig", begann Aramis. "In einem Land, dass meine Glaubensrichtung ablehnt, gehe ich mehr in die Kirche, als Zuhause." "Wolltest du beichten?" Sie lachte bitter. "Was sollte ich denn beichten? So Graf de La Fère de Bragelonne, was haben wir weiter vor? Wie sieht dein Plan aus?" "Wir ziehen zu Charles. Im Königspalast wird es zu ungemütlich für dich. Ich werde als dein Verlobter auftreten und die Gerüchte zum Verstummen bringen. Obgleich für dem Posten sich schon ein anderer beworben hatte." Er ließ offen Hohn und Missbilligung im Stakkato seiner Worte mitschwingen. Aramis wurde so zornig, dass ihr stoßartiger Atem schmerzhaft gegen die Brusteinschnürung stieß. Der Blick in sein abweisendes Gesicht ließ ihren ganze Körper erzittern. "Nimm das zurück!", stieß sie zwischen zusammengebissenen Vorderzähnen hervor. "Glaubst du vielleicht ich habe ihn verführt?", kam sie im scharfen Ton auf die unselige Szene mit Lord Corday zurück. "Bei Gott, ich weiß noch nicht einmal, wie das geht. Seit ich hier bin tue ich alles, um deine geliebten Cousin fernzuhalten, aber er taucht ständig und überall auf. Wie die Motte das Licht. Ich bin nicht freiwillig hier, vielleicht hast du das in deiner Ereiferung ganz zufällig vergessen. Was soll ich denn tun, du Vorzeigemusketier?" Athos wechselte elegant die Haltung und sah sie an, als hätte sie kein Grund sich zu ereifern. Am liebsten hätte sie ihn Gegriffen und den überheblichen Gesichtsausdruck aus seinem Gesicht geschüttelt. "Gar nichts weißt du! Was glaubst du eigentlich, wie leid ich das Ganze hier bin?" Ihr Arm vollführten einen Halbkreis der die ganze Welt einzuschließen schien. Sie ließ ihn kraftlos wieder sinken. Ihrem Gesicht sah man die letzten Monate an. Unzählige einsame Stunden mit Heimweh, Selbstzweifel und tiefer Unzufriedenheit waren nicht unmerklich an ihr vorübergegangen. Die Spuren waren nicht auf den Gesichtszügen abzulesen, nur in der Tiefe ihrer Augen. "Wozu der ganze Aufwand? All dieses höfische Geplänkel, der Prunk, die Intrigen? Was geht mich die Politik an? Was hab ich von de Meyé, außer das er auf mich schießen lässt und mir Gift in den Wein rührt? Eine kurze Lebensspanne, mehr nicht. Er verkauft Informationen weiter. Na, und das tun genügend Höflinge an anderen Königshöfen auch. Wegen mir können sich alle zum Teufel scheren." Athos schwieg. Sah sie nur mit merkwürdig, undefinierbarem Gesichtsausdruck an. Der letzte Blitz verhallte, dann wurde es still und die Wolken gaben der Nacht den Sternenhimmel zurück. Am darauffolgenden Tag erschien in angemessener Kleidung und mit prestigefestigender Dienerschaft, Leihgabe des Hauses Corday, Graf de la Fère de Bragelonne am Hof, um seine Verlobte die französische Comtesse ohne Namen und Vergangenheit aufzusuchen. Beide zogen in das staatliche Anwesen der Familie Corday um. Verwundert registrierten all diejenigen, die dem Gerücht glauben geschenkt hatten den neuen Mitspieler im Schachspiel der Intrigen. Kapitel 25: Spott ----------------- Man zog also um. Das Stadthaus der Corday's lag am Ufer der Themse, auf der dem reichen Adel vorbehaltenen Seite, mit einem bezaubernden Blick auf den Fluss und die fernen Dächer der Stadt. Ehrfürchtig blieb Aramis stehen und hob den Kopf, um die ganze Größe des Raumes zu erfassen. Das die Corday's zu dem gehoberen Adel gehörten, bemerkte man spätestens hier, in ihrer Eingangshalle, die den gesamten rechten Flügel des kleinen Herblay Landschlosses aufnehmen konnte. Der Wert des überdimensionalen Krohnleuchters in der Mitte der Halle entsprach ungefähr den Pachteinnahmen ihres Onkels in einem Jahr. Entweder kamen die Corday's in der Rangliste direkt hinter dem Königshaus, oder sie konnten verdammt gut mit Geld umgehen. Ihr Blick verdüsterte sich, als sie den säulengesäumten Wänden folgte. Athos stieß sie am Rücken an. "Versuche dich zu benehmen und zeige Dankbarkeit! Schließlich nimmt Charles uns auf." Aramis verschränkte trotzig die Arme vor der Brust. "Du wolltest, dass wir zu deinem Cousin ziehen", zischte sie. Er lächelte betont freundlich, der ungeduldig wartenden Haushälterin zu und zog sie unsanft mit sich. "Nachdem sie dir an den Kragen wollten, mein Freund und nicht mir, will ich meinen, dass sich der Aufenthalt hier für dich lohnt. Also sei artig!" Wieder ein Stups in den Rücken. "Und was macht er dann hier?" Ihr Kopf wies auf den verdrießlich folgenden Broussard, der für sie den Rang einer Scheißhausfliege einnahm. "Er ist dein Sekretär und folgt dir ergeben überall hin", erwiderte Athos. "Sei zufrieden damit! Hier kann er wesentlich weniger Unsinn anstellen." Aramis schnaubte verächtlich. Athos Stimme wurde lauter und er lächelte spröde. "Haben Sie schon die schriftliche Bestätigung des Kardinals, dass ich hier über die volle Handlungsfreiheit verfüge, Monsieur Broussard?" "..." war Broussard's Antwort. Ein Zugeständnis an eine andere Person, was in seinem sehr begrenzten sozialen Vokabular >Respekt< bedeutete, den er widerwillig Athos einräumen musste. Nichts hasste er so sehr, wie an seinen eigenen unzulänglichen Status erinnert zu werden, den untersten Sprossenbereich der weltlichen Hierarchieleiter. Athos ließ sie unvermittelt los und verschwand wortlos. Zurück blieb sie mit Monsieur Broussard und Madam James, dem mürrischen Feldwebel des Personals. Er hatte ihr keineswegs vergeben. Das gesamte Leben eines Mannes bestand aus Frauen. Ammen, Gouvernanten, Kindermädchen, Mütter, Ehefrauen, Haushälterinnen, Mätressen. Wenigstens beim Militär wähnten sie sich in einer frauenfreien Zone. Aramis belehrte sie eines besseren und dafür musste sie büßen. Noch immer verspürte er die Lust, den Dolch in Aramis Brust noch weiter umzudrehen und sich an ihrem sichtlichen Unwohlsein zu laben. Verbal rächte er sich für jedes Jahr, in dem sie ihn, unter dem Deckmantel der Freundschaft, zum Narren gehalten hatte. Aramis indes, verzieh ihm nicht, dass Athos Corday in ihre Pläne mit einbezog und ihm alles berichtete. Das war für sie Verrat, da er gleichzeitig sie ausschloss. Für sie gehörte Corday zu den Engländern und damit zur Gegenseite. Das andere Ärgernis war seine mangelnde Bereitschaft Broussard zur Rede zu stellen. War das doppelte Spiel von Richelieu's Gefolgsmann nicht längst aufgedeckt? Es konnte keine Einbildung sein, dass er sich anders verhielt. Da war eine Kälte, eine Bissigkeit, die sie vorher nicht gekannt hatte, nicht einmal als Bestandteil von Athos Wesen vermutet hätte. Aber sie war zu stolz, um ihn nach dem Grund zu fragen. Und Corday? Zu jedem guten Drama gehörten drei Akteure. Corday begegnete ihr nach wie vor freundlich und beobachte sie aus dem Gefühlsvakuum eines typischen englischen Genthelments heraus. Höflich, aber distanziert, - Ergebnis einer gutgeschulten Gouvernante und den Genen mehrerer blaublütiger Generationen, seit ein normannischer Bauer samt Heer und Holzspeer auf die britische Insel einfiel. Die Tage vergingen und Aramis Selbstwertgefühl rutschte langsam die Treppe hinunter und landete im Kellergewölbe, wo es einige Mäuse aufschreckte. "Comtesse." Das liebevolle Lächeln von Lady Elisabeth Corday begrüßte sie zum Dinner. Als Einzige in diesem Bühnenstück wusste sie nicht, wer wer war und vorgab zu sein. Aramis mochte sich gar nicht ausdenken, wie Lady Corday ihr begegnen mochte, wenn sie die Wahrheit wüsste, oder das Bruchstücken an Tatsache, dass ihr Sohn für die Wahrheit hielt. Ein missglücktes Lächeln antwortete ihr. Die Hände erwiderten kaum den zärtlichen Druck ihrer Hände. "Welch ein Glück, dass Euch nichts geschehen ist. Aber nun seid Ihr bei uns in Sicherheit." Der Kloß in Aramis Hals wollte nicht rutschen. "Und Olivier, mein lieber Junge ...". Die Hände wanderten weiter zu dem 30jährigen Jungen. Lady Corday drückte den lang verlorenen Grafen liebevoll an sich. Nun hieß es ,reizend' zu sein. Aber Aramis wollte nicht ,reizend' sein. Es fiel ihr unendlich schwer in Athos Gegenwart die Comtesse zu spielen. Hatte sie sich schon vorher unwohl in den Kleidern gefühlt, so hielt sie es unter Athos Blicken kaum in der samten-, seidenen-, goldverzierten-, spitzengeschmückten Verkleidung aus, dessen fischbeinverstärkte Korsette den krönenden Höhepunkt ständigen Unwohlseins bildete. Diverse Gänge an der langen, weißbeleinten, silbergeschmückten Tafel, blieb sie still, - eine verdrießliche, absichtliche Stille. Ihre drei Tischnachbarn unterhielten sich währenddessen prächtig, mit der Verbundenheit einer gemeinsamen Vergangenheit und verwandtschaftlichen Blutes. Und das schloss sie aus. Dabei hatte sie keinen Grund zur Beschwerde. Ihr Zimmer in Whitehall wurde zu einer wahren Zimmerflut. Das Essen war eines französischen Hofkochs würdig, auch wenn sie so gut wie keinen Bissen herunterbrachte und die Dienerschaft erfüllte alle ihre Wünsche, bevor sie diese aussprach. Corday's Anwesen verhieß mehr Freiheiten, als der englische Königspalast. Nach dem dritten Gang zog sich Lady Corday zurück. Nun hielt es Aramis nicht mehr aus. "Warum sind wir eigentlich hier? Das ist doch taktisch unklug." Beide Männer sahen sie an. Der eine verblüfft, der andere unwillig. Athos seufzte. Die Flammen des riesigen Leuchters warfen graue Schatten auf sein Gesicht. "Du bist seit über zwei Monaten hier, aber bisher hast du nur eine Schlägerei angezettelt, bei der sich beide Mittelsmänner trotzdem trafen." "Ich habe Broussard entlarvt, gegen den du ja nichts unternehmen möchtest", stieß sie bitter hervor, weil die Achillesferse ihrer Mission noch immer an ihr klebte. "Reicht dir nicht, zweimal einem Mordanschlag entgangen zu sein?" "Ich habe keine Angst", widersprach sie stur und starrte bewusste auf ihr Spiegelbild im dunklen Fenster hinter ihm. Athos sah sie so eindringlich an, dass sie nicht fortsehen konnte. "Aramis," Bei ihrem angenommenen Musketiernamen zuckte Corday unmerklich zusammen. "bei allem Respekt, aber wir schützen damit dich. Außerdem wiegen wir de Meye in Sicherheit. Vielleicht schaffst du es so, das Ziel deiner Mission zu erreichen, ohne vorher das Zeitliche zu segnen." "Aber wenn mich die Königin zu sich ruft, muss ich ohnehin in den Palast." Athos lächelte undurchsichtig und wischte sich mit der Serviette den Mund ab. "Sicherlich wurst du in den Palast gehen, wenn die Königin dich ruft. Es sind kaum 15 Minuten zu Fuß dorthin. Deinen Teestunden im königlichen Salon soll unser Umzug nicht im Wege stehen. Er gab seine Geringschätzung durch die hochgezogenen Brauen und die nach unten gezogenen Mundwinkel zu erkennen. Am liebsten hätte sie die Weinkaraffe gepackt und ihm an den Kopf geschleudert. "Ich kann noch immer nicht glauben, dass Ihr ein Musketier seid." Coday schüttelte bedauernd den Kopf. Seine Fingerkuppe fuhr gedankenverloren über den schmalen Rand des Weinglases. Ein melancholischer, sanfter Klang in einem Zimmer, in dessen Atmosphäre Eisen schwimmen konnte. "Nicht wahr? Kein Duell, keine Rauferei ohne ihn." Spott blitzte in Athos Augen, die Aramis musterten, deren Gesichtszüge immer mehr gefroren. Sein Cousin lächelte verhalten. "Ja, das habe ich schon zu spüren bekommen." "Unser Aramis steckt voll ungeahnter Fähigkeiten." "Randvoll", knurrte diese grimmig. Sie verbiss sich eine scharfe Erwiderung, als eine Dienerin mit der Fleischplatte erschien. Das zierliche Mädchen balancierte unsicher die viel zu schwere Silberplatte. Der Lord hüstelte verlegen, als sie wieder alleine waren. "Nun, Ihr habt etwas ... nun ja weiches, ich meine ... ich habe nie bemerkt, dass Ihr ein Mann seid und ... selbst als die Gerüchte aufkamen ... nie hätte ich sonst." Er brach hilflos ab. Aramis schüttelte heftig den Kopf. "Ihr müsst Euch nicht entschuldigen, Lord Corday. Darauf haben der König und der Kardinal gehofft. Genau deshalb wurde ich ja hergeschickt. Mir gefällt die ganze Sache genauso wenig und ich wollte Euch nicht bloßstellen." Er zuckte hilflos die Achseln und lächelte schief. "Reden wir nicht weiter davon! Ihr werdet mit genügend Schwierigkeiten zu kämpfen haben." Athos hob den Kopf. "Oh, die Frauen stört es nicht." "Viele Bewunderinnen?", erkundigte sich Corday interessiert. "Unzählige, aber sie haben es nicht leicht. Bisher interessieren sie Aramis nicht ... aber ich erinnere mich da an ein Mädchen, das arme Ding ..." Aramis bedachte Athos mit einem mörderischen Blick. "Ach, sei still!", donnerte sie. "Was ist mit Sophie", fragte Corday. "Was soll mit Sophie sein?" Der Lord hüstelte verlegen. "Nun, dass Mädchen ist ständig um Euch. Sie kleidet Euch an. Man sieht, dass sie Euch zugetan ist ... Ihr wollt mir doch nicht im Ernst weismachen, dass sie nicht Eure Geliebte ist?" "Ist sie nicht!" "Nun, wenn es Euch dann unangenehm ist, dass Euch das Mädchen beim Umkleiden hilft, dann stelle ich Euch gerne meinen Kammerdiener zur Verfügung. Er ist sehr vertrauenswürdig." "Nein Danke. Ich komme zurecht." Corday blieb beharrlich zuvorkommend, "Wirklich, Ihr müsst Euch nicht zieren. Ein Mann sollte über einen Diener und keine Zofe verfügen. Er ist überaus diskret und schweigsam", und so freundlich. Ein Muskel unter Aramis Augenlid begann zu zucken. "Nein, wirklich. Ich benötige keine zusätzliche Hilfe." "Aber ein junger Mann ..." "Nein ..." " .... Eurer Rolle angemessen ..." "Wirklich nicht ..." "... ungewohnte Frauenkleidung ..." "Bitte, Lord, ich benötige nicht ..." Athos Mundwinkel zuckten verräterisch. "Du solltest aufgeben Charles! Aramis ist da sehr eigen." "Nun ja ...", begann Corday zögerlich und sah nicht ein, warum seine Hilfe auf Ablehnung stieß. "Selbst vor uns, seinen Freunden", Aramis schnappte erstickt nach Luft. Wie konnte er es wagen? "Das ist mein gutes Recht", beschied sie kühl. "Er hat viele schrecke Narben, der Gute?", erklärte Athos eifrig seinem Cousin. "Oh", erwiderte Corday interessiert und beide starrten sie an. "Ich hoffe, Ihr habt keine Beeinträchtigungen dadurch. Haltet Ihr Euch deshalb von Frauen fern ... weil ... seid ihr dort?" Athos hatte Mühe, seine Heiterkeit zu verbergen "Weißt du noch Charles, der arme Armand? Böse Sache, der Sturz vom Pferd, es schlug aus ... verdammt auf ewig Junggeselle zu bleiben." Aramis starrte sie entgeistert und schüttelte benommen den Kopf. "Bisher habe ich noch nie gesehen, dass du dir ein Weib genommen hast." "Danke für deine Ehrlichkeit, Athos und Eure Sorge um mein Wohlergehen." Sie schluckte die Tränen herunter, die in ihrer Kehle brannten. Athos wandte sich erneut mit einem hinterhältigen Lächeln an sie. "So schlimm kann es doch nicht sein, oder Aramis? Wie gut kennen wir uns eigentlich, frag ich mich? Es würde einiges erklären." "Was würde es erklären?" Corday zeigte eine Mischung aus Mitgefühl und unverhohlener Neugier. Athos merkte, wie Aramis zum Sprechen ansetzte, aber kein Wort herausbrachte. Ihr Gesicht wirkte verkrampft. Wortlos machte sie kehrt und warf mit einem lauten Krachend die Tür hinter sich ins Schloss. Die Türblätter vibrierten leicht. "Vielleicht wollt Ihr wissen, wofür ich Euch halte, ihr ...." An dieser Stelle mussten zwei Käfer vor der Wucht ihres Absatzes das Leben lassen. "Ihr ...." Aramis neigte zum Eigensinn, war sturköpfig und unberechenbar. Das Fluchen war ein weiteres ihrer Laster und sie verfügte über eine recht ansehnliche Auswahl an passenden Ausdrücken. "Was ist denn passiert", wollte Sophie flüsternd von einer der Zofen im Hause Corday wissen. Das Mädchen zuckte unwissend die Achseln, verstand aber ohnehin kein Wort, da sie nur der englischen Sprache mächtig war. Sophie schüttelte bedauernd den Kopf. "Ich glaube Lord Coday, Graf de la Fere und Monsieur Broussard sind zuviel für die Comtesse." Die junge Zofe machte, dass sie schleunigst aus der Schusslinie geriet. Sophie hielt es für besser ihrer Herrin zu folgen. "Ich hoffe, wir haben es nicht übertrieben", bemerkte Charles mit einem Grinsen. "Mit ihm ist nicht zu spaßen, wenn er wütend ist", sagte Athos und erwiderte dieses. "Vielleicht leidet er wirklich an einer körperlichen Entstellung, ein Unfall in der Jugend und es kann leicht passieren ..." Athos strich sich verlegen über das Kinn. Er war zu weit gegangen, um einfach einzulenken. Gleichzeitig empfand er sogar Anzeichen von Mitleid für Aramis. Aber zu viel Mitgefühl trübte die Sinne und so begnügte er sich mit einem wagen Schulterzucken. "Was sollte man sonst annehmen", fuhr sein Freund fort. "Hast du ihn dir näher angesehen? Er ist schon Mitte 20 und weißt nicht den geringsten Bartwuchs oder eine tiefe Stimme auf. Was schließt man daraus?" Athos wusste, dass Charles nur nach einer Entschuldigung suchte, weshalb er Aramis als das gesehen hatte, was sie ohnehin war, aber nicht zu sein vorgab. Er konnte es ihm nicht einmal verdenken. Die Erkenntnis musste für Charles genauso ein Schlag gewesen sein, wie für ihn, als er erfuhr, dass sein Freund eine Frau war. Auch er hatte nach Ausreden gesucht, warum er die ganze Zeit über blind gewesen war. "Du siehst sicher schwarz", wandte er ein. "Früher oder später wird sicherlich noch seine Stimme tiefer. Ich habe einmal von einem Mann gehört, der bis zu seinem dreißigsten Lebensjahr bartlos und von hoher Stimme war. Wenige Wochen später hatte er ein Vollbart und eine Stimme im tiefsten Bariton." Charles seufzte. "Vollbart, wie? Das passt nicht ganz in meine Vorstellungen von deinem Freund." Beide Männer lachten. Auf dem Gang polterte es, jemand schrie verschreckt auf. Überrascht verstummte ihr Lachen. Die Tür wurde aufgestoßen und Broussard stolperte ins Zimmer. Er hielt sich die Nase mit beiden Händen und durch seine Finger rann Blut die Wangen hinunter. "Äh had mi die nache bebochen." "Was?", fragte Athos. "Äh had mi die nache bebochen." "Mein guter Broussard, so verstehen wir Sie nicht. Warum blutet Ihre Nase?" "ER HAT MIR DIE NASE GEBROCHEN", schrie Broussard verzweifelt. "Wer?" Aufgelöst erschien Sophie im Zimmer. "Aramis ...", keuchte sie erstickt. Athos umfasste beunruhigt ihre Arme. "Was ist passiert?" "Aramis stürmte ins Zimmer, zog Männerkleider an und stürmte wieder heraus." "Dann hat er MIR DIE NASE GEBROCHEN", jammerte Broussard erneut. "Aramis?", fragte Athos ungläubig. "Wirklich?", rief Charles sichtlich fasziniert von dem Blut auf Broussards Wange. Der Sekretär nickte heftig. "Monsieur Broussard reizte ihn und da schlug er zu", verteidigte Sophie Aramis. "Aramis?" "Wirklich?" Sophie nickte unglücklich und zuckte die Achseln. "Jemand sollte die ganze Sache der verschreckten Miss James und dem Zimmermädchen erklären!" "Wir müssen Aramis finden, bevor er eine Dummheit begeht!" wandte sich Athos an Charles. Dieser nickte. "Wo wird er hingelaufen sein?" Der Musketier zuckte die Schultern. "Ich weiß es nicht, aber wir sollten uns auf die Suche begeben." "ER HAT MIR DIE NASE GEBROCHEN", schrie Broussard außer sich, weil keiner ihm zuhörte. Nur war da niemand, der ihn noch hören konnte. Stunden waren vergangen und noch immer fehlte von Aramis jegliche Spur. Betreten saßen sie beisammen und hörten dem rhythmischen klicken der Zeiger zu. Der zu tiefst gekränkte Broussard unter ihnen, die besorgte Sophie nervös an ihren Nägeln kauend. Die Dienerschaft hatte sich schon zu Bett begeben. "Es ist schon weit nach Mitternacht. Gnade ihm Gott, wenn er Engländern begegnet ist, die herausbekommen haben, dass er Franzose ist ..." sagte Charles alarmiert. "Aramis spricht kein richtiges Englisch", wandte Athos ein. Wieder verstrichen die Minuten. Endlich schwang die Tür auf und eine dümmlich grinsende Aramis erschien am Türrahmen. Das Hemd steckte lose im Hosenbunde, das Haar hing wirr um ihren Kopf und über der Wange zeichneten sich mehrere Kratzer ab. Ihr Hemd war mit Flecken und Blutspritzern überseht und sie umwehte eine Wolke aus billigem Alkohol. Ein Mädchen in der fadenscheinigen Kleidung einer kleinen Straßenhure stützte sie. Beiden Männern war nicht klar, welche Lawine sie losgetreten hatten. Wut und Zorn wüteten in Aramis Magen, der sich vor Demütigung und Erniedrigung zusammenzog und sich an ihrem verletzen Stolz labte. Nicht die Worte an sich hatten sie verletzt, sondern Athos Verrat an der Freundschaft zu ihr. "Isch habe gewonnen", erklärte sie sichtlich angetrunken. "Und das ist ..." Sie überlegte angestrengt. "What's your name?" "Molly", erklärte die Kleine mit der kränklichen Haut. Aramis strahlte. "Molly! Molly war so nett mir zu helfen." Athos hatte sich von dem Stuhl erhoben, auf dem er bisher gewartet hatte. Seine Lippen waren zu einem wütenden Strich zusammengepresst. "Wobei gewonnen?" fragte Charles neugierig und wiederholte die Frage auf englisch, als er keine Antwort erhielt. "Monsieur hat alle beim Trinken besiegt", erklärte die junge Hure stolz. "Und er hat sich mit Henry geschlagen." Molly hing voll Bewunderung an Aramis Gesicht. Sie hatte es in ihrem Leben nicht leicht gehabt und sie würde weit vor ihrer Zeit sterben. Die wenigen Freier, die sie gut behandelten, befanden sich in der Minderheit. Bis sie den schmalen Franzosen mit dem schlechten Englisch, aber den schönen blauen Augen getroffen hatte, hielt sie sich von Gefühlen gefreit. Er hatte ihr Geld gegeben, viel Geld, weil sie ihm aus dem bisschen Nächstenlieb half, dass noch in ihr war und er wollte nicht mehr, als ihr sein Leid zu erzählen. Sie hatte nichts von dem Verstanden, dass was er ihr in seiner wohlklingenden Muttersprache erzählt hatte, als seine Sinne schon lange den nüchternen Zustand hinter sich gelassen hatten, aber sie glaubte, dass es tausend Liebesschwüre waren. "Ihr hätten ihn sehen müssen", wandte Aramis ein und übersah den zornig schweigenden Athos großzügig. "Sah er schlimmer aus, als Ihr?" fragte Charles. Aramis schüttelte nachdenklich den Kopf. "Nein, Ihr hättet ihn einfach nur schehen müssen. Sehr großch und breit!", sagte sie und zog mit den Händen einen imaginären Gegner nach. Broussard schob die kleine Hure von ihr weg und fauchte sie böse an. Dabei wies er auf sein blutunterlaufendes Nasenbein. "Sie Irrer haben mir das Nasenbein gebrochen!" Aramis sah ihn giftig an. "Seien Sie froh dasch es nur das Naschenbein war!" Ohne sie weiter zu beachten schwankte Aramis an ihnen vorbei und begab sich ins Schlafzimmer. Charles sah dem vermeintlichen Mann fasziniert hinterher. Molly schwebte im siebtem Himmel. Wieder hatte sie kein Wort von dem Wortwechsel auf französisch verstanden, aber sie war sich hundertprozentig sicher, dass ihr Angebeteter für sie gegen den dünnen Monsieur mit dem Rattengesicht Partei ergriffen hatte. Aramis war fortgegangen um sich zu betrinken, mit der ernsten Entschlossenheit der Nüchternheit für immer zu entkommen. Betrunken und verletzlich lag sie auf dem Bett und hickste leise. Sophie setzte sich bedächtig auf die Bettkante und tupfte ihrer Herrin die Kratzer im Gesicht mit klarem Wasser ab. Charles war dem verschlossenen Athos nach draußen gefolgt. "Ich weiß nicht mehr wer und was ich bin." Sophie beugte sich bei den leisen Worten näher. Eine glitzernde Tränenspur bildete sich unter den dichten Wimpernkranz auf dem bleichen Antlitz. "Ich will nicht mehr", flüsterte Aramis und weinte still. Das Mädchen strich der jungen Frau über das wirre Haar. "Ihr leidet wohl unter einer Identitätskrise, Monsieur Aramis?", sagte sie tröstend und beugte sich runter, um die schmalen Schultern der Liegenden zu umarmen. Monsieur Broussard hatte am Türrahmen gestanden. Der Schmerz in seiner Nase pochte und betäubte seine Gesichtszüge. Er ballte die Faust zusammen, als er sah, wie sich Sophie zu dem Musketier niederbeugte und zärtlich drückte. Zähneknirschend verließ er das Zimmer. Kapitel 26: Das Duell --------------------- Mit einem Ruck riss Sophie die Vorhänge zurück. Flutartig ergossen sich die gleißenden Strahlen der Sonne in dem Zimmer. Ihre Wanderung am Zenit ging zur Mittagsstunde hin, den hellsten und wärmsten Stunden des Tages. Und wie Ikarus in ihren Strahlen verbrannte, weil er sich zu hoch gewagt hatte, glaubte Aramis in ihrem Licht zu sterben, weil sie zu reichlich dem Alkohol zugesprochen hatte. Sie hatte einen Kater, einen richtigen Kater, mit allem was dazugehörte. Die Palette der Nachwirkungen reichte von bohrenden Kopf- und Gliederschmerzen, schlingendem Magen und durchgehender Übelkeit, bis hin zu einem lückenhaften Gedächtnis, was die letzten Stunden nach Alkoholeinnahme geschah. Als besondere Zugabe fühlte sich ihre Zunge an, als würde eine besondere Form von Unkraut auf ihrer Oberfläche sprießen, während ihr Rachen mit Teppichfusseln gefüllt zu sein schien. So wie sie in den Morgenstunden in das Bett gefallen war, so lag sie noch. Stöhnend drehte Aramis sich zur anderen Seite, begrub ihren Arm schmerzhaft verdreht unter sich und kam mit der Nase zum Stehen. Nun war sie Eingekeilt zwischen Laken und ihrem eigenen Mundgeruch. Die Kraft ihn hervorzuziehen oder sich zurückzudrehen hatte sie nicht. Sophie kam vorsichtig näher, um nicht unvorbereitet auf unverdautem Alkoholatem zu stoßen. "Sind Sie wach?" Ein röchelndes Stöhnen war ihre Antwort. Als wach konnte man sie nicht bezeichnen. Der weiche, nebelhafte Teil in ihrem Gehirn versagte bei der Aufnahme von Informationen, das Anbaugebiet auf der Zungenoberfläche verhinderte das Sprechen. "Sie stinken wie ein ganzes Weinfass und sehen aus ..." Sie schüttelte den Kopf. Bei aller Bewunderung für Aramis, aber so benahm sich eine junge Frau nicht. Kein Wunder, dass in Paris jeder in ihr den Mann sah. "Ihre Kleidung, Ihr Gesicht ... als hätten Sie sich im Dreck gesuhlt. Die Blut- und Weinflecken bekommen wir nicht mehr heraus. Das muss verbrannt werden! In welcher üblen Spelunke waren Sie nur?" Die Frage hätte Aramis gerne beantwortet, wenn sie es gewusst hätte. Wieder stöhnte sie "Ich möchte nicht undankbar erscheinen, aber könntest du dein Verhör ein anderes Mal fortsetzten?", stieß sie mühsam und mit kratziger Stimme hervor. "Ich habe das Gefühl, als würde mir jemand den Schädel durchbohren", und wehleidig fügte sie hinzu. "Ich habe wirklich große Schmerzen." "Und große Schwierigkeiten", gab Sophie trocken zurück. "Was war, als ich zurückkam?" Aramis hatte das Gefühl, als wäre der vergangene Abend ein galoppierendes Pferd, das ihre Erinnerung einzuholen versuchte. Nur sah sie nur noch den aufgewirbelten Staub. "Ihr seid mit sturzbetrunken, mit einer Hure am Arm hier aufgetaucht." Das Pferd galoppierte gegen eine Mauer und verreckte elendig. Aramis schwieg. Sie schwieg lange und ausdauernd, während ihr Gehirn nach etwas suchte, was nicht sein konnte. Ihr fehlte nicht nur das Verlangen eine Hure aufzusuchen, ihr fehlte schlichtweg die ganze Männlichkeit. "Was ist passiert?" Sophie zuckte missbilligend die Schulter. "Das wissen nur Sie und mir graut es davor mehr zu erfahren. Ihrem Gesicht zufolge haben Sie sich geprügelt!" "Daran erinnere ich mich noch." "Auch an den Grund warum Sie sich schlugen?" "Nein, aber an die Schmerzen." Die Erinnerung verzerrte Aramis Gesichtszüge zu einer schmerzgepeinigten Grimasse. "Gehen Sie sich immer schlagen, wenn Sie wütend sind? Mit wem haben Sie sich geprügelt, als Sie noch eine Frau waren und zu Hause lebten?" "Gar nicht, ich bin ein sehr ausgeglichener, sanftmütiger Mensch." "Ha ha. Wollt Ihr was zu Essen oder zu Trinken." Mit kläglichem Jammern vergrub Aramis ihr Gesicht und zog sich das Kissen über den Kopf. "Das heißt dann wohl ,nein'", kommentierte das Mädchen gleichmütig und blieb angesichts ihrer Qual nüchtern und sachlich. "Soll ich Sie alleine lassen?" Der Kissenberg nickte. "Welches Kleid soll ich Ihnen herauslegen?" "Gar keines. Das Zeug ziehe ich nicht an", erwiderte die Stimme dumpf und bockig. "Sehr schön, bleiben Sie eben nackt! Ich werde bescheid geben, dass Sie nicht gestört werden wollen!" Fürsorglich schloss Sophie die Tür hinter sich. Aramis grub sich tiefer in den Deckenberg und schloss die wunden Augen. Sie meinte ihre Worte bitterernst. Für diesen Tag rührte sie kein Kleidungsstück an, das für Frauen bestimmt war. Auch wenn ein Kleiderwechsel und einiges an frischem Wasser ihr gut tun würde. Sie stank wirklich. Ihr Mund schmeckte etwas, was dem Inhalt von Abflüssen gleichkam. Die Frage war, ob sie sich überhaupt aus dem Bett heraus bewegten sollte. Sie befand sich gerade in richtig schöntrüber Weltuntergangsstimmung und das Bett war ein guter Ort, um sich mit ihrem Selbstmitleid darin zu verkriechen. Sophie war mit ihrer Jugend, dem nach Frühling duftendem Haar, ihrem leichten Pariser Straßendialekt und ihrer Fügsamkeit ein sonniger Lichtblick. Sie hatte ein abenteuerlustiges und zufriedenes Wesen und fühlte sich überall zu Hause. Aramis hatte den Versuch aufgegeben, sie zu verstehen, aber sie dankte D'Treville, dass er ihr Sophie zur Seite gestellt hatte. Was nicht für Athos galt. Und ganz sicher nicht für Broussard. Corday war ihr nicht aufdiktiert worden, aber das macht ihn keineswegs zu einem kleineren Übel. Zum Teufel mit Athos. Etwas musste gesehen. So konnte es nicht weitergehen. Irgendwann im Laufe der nächsten Stunden erhob sie sich, wusch sich und kleidete sich um. Nachdem das Zimmermädchen das Bett neu bezogen hatte und ihr alte Kleidung mit spitzen Fingern davontrug, bezog sie erneut, von quälenden Kopfschmerzen geplagt, Stellung im Bett. Auf dem Rücken liegend, die Beine von sich gestreckt, die Arme vor der Brust verschränkt starrte sie zum Stoffhimmel hoch und schmollte. Genauso fand sie Sophie vor. "Ich will nichts essen", sagte sie, als sie das Tablett in den Händen ihrer Zofe sah. "Sollte Sie aber", widersprach diese und stellte das Geschirr mit einem leisen Klirren ab. "Wenn Sie noch dünner werden, dann können wir Sie als Grenzpfosten benutzen. Sie sollten sich die Sticheleien der Männer nicht auf den Magen schlagen lassen!" "Ein Rabe kann keinen Adler beleidigen", sagte Aramis grimmig ohne sich zu rühren oder gar das Essen zu beachten. "Sagen Sie das nicht mir, sondern den Raben, der ziemlich ergrimmt vor der Tür wartet." "Wer?" "Ihr Verlobter, unser verlorengeglaubter Graf de la so und so." In ihren Augen blitzte es amüsiert. "Er kann wegen mir auch noch länger warten. Sophie, pack unsere Sachen! Wir ziehen um!" Damit hatte Sophie nicht gerechnet. Sie riss überrascht die Augen auf. "Wohin?", fragte sie erstaunt. "Zurück in den Palast. Ich bleibe keine Minute länger als nötig unter diesem Dach." "Aber man will Sie umbringen", wandte das Mädchen ein. Aramis blieb stur. Sie zuckte gleichgültig die Achseln. "Das kann er hier auch. Irgendwann sterben wir schließlich alle und meine Lebenserwartungen sind ohnehin nicht unbedingt sehr groß, seit ich zu den Musketieren gehöre." "Ich gehe am besten Monsieur Athos holen", stotterte das Mädchen fahrig und stolperte, vor der düsteren Prophezeiung davon. Aramis richtete sich auf den Ellenbogen auf und zog die Augenbrauen eigensinnig zusammen. "Mach das und DANN packe die Sachen, weil ändern wird das nichts", rief sie ihr hinterher. "Was soll das heißen, du ziehst nach Whitehall?" Breitbeinig baute sich D'Treville's bester Musketier vor ihrem Bett auf und sah streng auf sie nieder. Wenn andere Musketier voll Bewunderung und Respekt zu ihm aufsahen, tat diese hier, mit bemerkenswert viel Aufsässigkeit im Blick, das genaue Gegenteil. Athos hatte Aramis auf das typische, für die damalige Zeit vertretene Bild einer Frau runter degradiert und dabei genau die Eigenschaften übersehen, mit denen es Aramis unter die Elite der Musketiere geschafft hatte. Ihr Kampfgeist stand dem seinen in nichts nach und nun stand ihm eine geballte Ladung an Trotz und Starrsinn im Weg. "Hör auf zu packen, Sophie!", befahl er schneidend. Das Mädchen ließ verschreckt den schweren Deckel der Holztruhe fallen. "Hör, auf zu packen, Sophie!" wiederholte Aramis sanft und nickte ihr aufmunternd zu. "ICH werde weiter packen." "Das wirst du nicht!", begehrte er auf und sprach zu ihr, als wäre sie ein störrisches Pferd, dass es zähmen galt. "Es wäre überhaupt nicht von Vorteil, wenn du zurückziehst. Es passt nicht in unsere Pläne und wäre ein unvergleichlich dumm. De Meye wäre wieder auf der Hut und du in Gefahr", sagte er, weil sie weiterhin beharrlich schwieg. Natürlich war es dumm, dass wusste Aramis selbst. Der Diplomat würde wieder vorsichtiger werden und sie versuchen aus dem Weg zu schaffen. Außerdem musste sie Broussard mitnehmen. Damit wären beide Intriganten wieder zusammen und der Sekretär ihrer Kontrolle entzogen. Es war unvergleichlich dumm, aber das zählte alles nicht. Sie musste fort, damit kein Unglück geschah. Denn unter der mühsam aufrecht erhaltenen Schicht aus erzwungener Ruhe und Einsicht, brodelte der Vulkan. Das nächste Mal war es vielleicht nicht Broussard's Nase, die sie verbeulte. Aramis hatte keine Lust, Athos' Einwände zuhören zu müssen. Noch immer forderte der Kater sein Recht und ihre Wut vom Vorabend war keineswegs verraucht. Trotzdem schwieg sie, betrachtete lediglich interessiert ihre Stiefelspitzen und gab das Bild selbstgerechter Nichtachtung ab. Er war ohnehin mit seinen Vorhaltungen noch nicht am Ende und natürlich kam die letzte Nacht zur Sprache. Weiterhin schwieg sie. Er stand ihrer Schweigsamkeit hilfloser gegenüber, als lauten Worten oder Vorwürfen. Sie sah Missbilligung und Groll in seinen Augen. Aramis kniff die Augen zusammen, um ihren Unmut zu zeigen und verschanzte sich hinter wortlosem Starrsinn. Je mehr sie schwieg, desto abweisender ihr Gesichtsausdruck wurde, umso ärgerlicher wurde Athos. Erschöpft holte er Luft. "Du bleibst!" War das Resümee eines halbstündigen Monologs. "Nein!", war die gekürzte Fassung ihres inneren Widerstandes. Sie schwang die Beine aus dem Bett und drehte ihm den Rücken zu. "Ich sage dir, du bleibst! Und warum hast du Männerkleidung an?", fragte er aufgebracht und wischte ihren Einwand fort, als hätte sie nichts gesagt. Mit rechten war er wütend. Zum Teil wütend auf sich selbst, weil er sein gestriges Verhalten selbst als Entgleisung sah. Was war nur in ihn gefahren? Seit Aramis Entdeckung hatte er ruhig seinen Zorn in sich getragen. Nun entwickelte sein Groll ein Eigenleben, dem er nichts entgegensetzen konnte. "Die ganze Dienerschaft spricht schon darüber. Dein Abgang war auffällig genug, dafür hast du gesorgt. Im königlichen Palast wird man jetzt schon alle Einzelheiten wissen. Du weißt, wie schnell Gerüchte wandern und trotzdem hast du es soweit kommen lassen. Willst du ihnen noch mehr Gesprächsstoff liefern? Reicht Broussards deformierte Nase nicht? Wolltest du unbedingt beweisen, wie viel Mann du bist?" Er lachte betont verletzend. Ein Anflug von Belustigung zog sich bei diesen Worten über Sophies Züge, verschwand aber sofort wieder und sie drückte gegen die Wand, als wollte sie mit der Wandtäfelung verschmelzen. Aramis fuhr herum. "Das wäre nicht nötig gewesen, wenn ihr mich nicht verspottet hättet." Sie krümmte den Arm und ballte die Hand zur Faust. "Sei versichert, mit mir ist alles in Ordnung!" "Sei nicht kindisch, Aramis", entfuhr es ihm, merkwürdig ruhiger, weil er sich erinnerte, was sich wirklich unter Hemd und Hose verbarg und von Männlichkeit gar nicht dir Rede sein konnte. "Das war Spaß und du musst selbst zugeben, dass du genügend Grund zu Spekulationen lieferst", sagte er salbungsvoll und mit einer selbstsicheren Ruhe, die Aramis in Rage brachte. "Was denn beweisen? Nur weil ich nicht mit der erst besten Hure besteige?", schrie sie und ihr Gesicht färbte sich langsam rot. "Wie ein aufgeblasener Geck mit halb offenem Hemd herumstolziere? Weil ich öffentliche Bäder verabscheue? Bisher interessierte euch das nie. Willst du deinem Cousin beweisen, wie falsch er lag oder rauscht dir dein blaues Blut zu sehr in den Ohren? Bei Gott, ich habe diesen Mann beleidigt, gekränkt, verletzt, zurückgewiesen und in die unmöglichsten Situationen gebracht. Das Corday zu Blindheit neigt, ist nicht meine Schuld." Nein, dachte Athos. Charles bewies mehr Scharfsicht als ich. "Ich bin wahrscheinlich mehr Mann, als ihr beiden zusammen?" spie sie verächtlich aus und schüttelte die Faust. Athos hätte sich vor unterdrücktem Lachen beinah verschluckt. Sollte er ihr entgegenschreien, wie lächerlich sie sich machte, auf etwas zu beharren, dass sie nicht war? Nie sein würde? Vielleicht hatte sie aber auch gar nicht so Unrecht. Wie eine Frau benahm sich Aramis die letzten 7 Jahre nicht gerade. Kein Zusammenhang zu einer Person, die Renée hieß. Schwer atmend stand Aramis ihm gegenüber und Athos musste sich gewaltsam zwingen, den Blick nicht auf ihre Brust zu richten, die sich trotz der engen Verschnürung heftig hob und senkte. Aramis verstand seine Belustigung falsch und die Wut kochte heiß in ihren Adern. "Hör auf, Aramis! Du machst dich lächerlich", sagte er, gefährlich ruhig. "Es reicht!", erwiderte sie, ebenso gesetzt. Seine Worte klopften in ihren Schläfen wie starke Kopfschmerzen oder ein Gift, dass ihr Blut loswerden wollte. "Nimm deinen Degen und komm mit raus!" Entgeistert sog Athos die Luft ein, erschrocken keuchte Sophie auf. Der Blick in Aramis Gesicht sagte ihnen, dass wie todernst sie ihre Aufforderung meinte. "Das ist nicht dein Ernst? Ich werde mich nicht mit dir schlagen oder gar messen, Aramis! Ich schlage mich nicht mit dir!" Aramis überhörte ihn und preschte im Sturmschritt durch den Garten. Ob er ihr folgte, war ihr gleich. "Bleib stehen! Denk nur an die Dienerschaft und wie schnell sich Gerüchte verbreiten! Was sollen sie von dir halten, wenn du in Männerkleidung und Degen durch den Garten stürmst und dich mit mir duellieren willst? Du machst dich lächerlich!" Warum benahm sie sich wie ein störrischer Esel. Früher hatte sie ihren Plänen bedingungslos gefolgt. Es half nichts, Aramis stand jenseits von Gut und Böse, Recht oder Unrecht. Seine Einwände prallten ungehört an ihr ab. Das ist Eva's Erbe, dachte er finster, sich den Anweisungen Gottes widersetzen und die Sünde über die Menschheit bringen. "Dafür ist es ohnehin zu spät", rief sie und schritt weiter aus, den Degen fest in die rechte Hand gepresst. Staub wirbelte unter ihren Füßen auf, als sie sich über den gepflegten Kiesweg vom Haupthaus entfernte und zum Ufer herunterlief. "Wenn dich jemand sieht? Verdammt das ganze Haus sieht zu", wandte Athos ein und versuchte Schritt zu halten. Sie ließen die Blumenanlagen hinter sich. Zu beiden Seiten erhoben sich Springbrunnen mit steinernen Nymphen und römischen Gottheiten. Zu ihrer Linken erstreckte sich ein kleines Wäldchen. Jahrelang gezüchtet, um ein Stück ungezwungene Natur in die symmetrisch angelegte, von zahllosen Händen gepflegte Parkanlage zu bannen. "Denk daran, dass du als Frau auftreten musst! Es ist schon schlimm genug, dass du in aller Öffentlichkeit mit Männerkleidung herumläufst und deinem Sekretär die Nase blutig schlägst. Weder der Kapitän, noch der König würden dein Verhalten billigen." In der Mitte des Wäldchens stand ein Pavillon, Zeugnis schmiedeeisernen Geschicks. Ein Ort, geschaffen für verbotene Treffen, geheime Berührungen, tragische Romanik mit einer Prise Erotik im Verborgenen. Nur lag Aramis nichts ferner, als das hehres Gefühl der Leidenschaft und Liebe, als sie hinter dem Pavillon zum Stehen kam, der sie vor neugierigen Blicken verbarg. Kalte Ruhe erfasste sie. Mit einem leisen Zischen löste sich die blanke Klinge ihres Degens aus der Lederscheide. "Mich interessiert nicht, was der Kapitän oder der König sagen. Es ist mir gleich. Beide sind in Frankreich und nicht hier", sagte sie spröde und kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. "Das ist prätentiös und ..." "Rede nicht, kämpfe lieber!" unterbrach sie ihn herrisch, mit rauer Stimme. "Aramis, Ich werde mich nicht mit dir schlagen", sagte er ruhig, fast sanft. Sie setzte nach. "Feigling, Memme ..." "Das ist doch lächerlich ..." "... Schaumschläger ...." "Du würdest verlieren!" Als Antwort schnaubte sie verächtlich und ging in Angriffsposition. Der Kater und die Müdigkeit waren vergessen. Athos seufzte schwer "Du hast es so gewollt!", und tat es ihr gleich. Ein Schwarm Vögel erhob sich in die Lüfte. Die Sonne sank im Westen hinter die Baumwipfel und warf ihre Strahlen durch das Grün des Dickichts. Vom Wasser her erschallten die Rufe der Fährleute und Schiffer. Ein Specht behackte rhythmisch die Rinde einer Eberesche. Leise knisterten Laub und Zweige unter ihren Füßen. Schwer atmend hob Aramis den Degen, obgleich sie keine Kraft mehr hatte. Sie verlagerte das Gewicht auf die Knie. Das Atmen fiel ihr unvergleichlich schwer. Mit dem Ärmel wischte sie sich den Schweiß von der Stirn fort, bevor das salzige Nass in die Augen lief und ihr die Sicht nahm. Athos' Hemd klebte nass seinen breiten Schultern und zeichnete deutliche, unter dem dünnen Leinenstoff, den sehnigen und muskulösen Oberkörper nach. Haarsträhnen klebten wirr in seinem Gesicht. "Gib auf!", stieß er atemringend hervor. "Nie-mals", erwiderte sie stoßweise, während ihre Kniescheiben vor Schwäche zitterten. Nur Gott und sie wussten, wie sehr ihre Arme brannten und nach Ruhe verlangten. Mit einem Schritt trat Athos auf sie zu und schlug ihr den Degen aus der Hand. Viel Kraft benötigte er dafür nicht. Müde sah sie die blanke Schneide im Gras liegen. Ihre Schultern sackten herunter, ihre Beine knickten ein, sie sank vornüber in das weiche Gras und blieb liegen. Zu erschöpft zum Stehen, zu erschöpft zum Streiten, zu erschöpft zum Kämpfen. "Ich habe es dir doch gesagt!" Selbstgefällig sah er auf sie nieder, aber sie antworte nicht. Trösten schmiegte sich der warme Boden an ihre bloße Wange. Er steckte seinen Degen ein, ließ sie dort liegen und ging. Erst, als mehrere Bäume und Gestrüpp zwischen ihnen lagen, erlaubte er sich am breiten Stamme einer Esche herunterzusinken. Kraftlos rollte der Degen aus seinen schlaffen Fingern. Er war erschöpft. Seit Jahren waren dazu keine Gegner mehr in der Lage gewesen. Wenn sie wütend war, dann verdoppelte sich ihre Reaktionsgeschwindigkeit und die Präzision ihrer Degenstiche. Er fluchte innerlich. Viel zu oft hatte sie seine Verteidigung durchbrochen und ihn in Bedrängnis gebracht. Nur widerwillig räumte er ihr den Respekt ein. Athos seufzte schwer und stöhnte abgekämpft. Er hatte ihr den Degen aus der Hand geschlagen. Die männliche Würde blieb bewahrt. Verflucht sollten alle Frauen sein. Kapitel 27: Schützt die Königin ------------------------------- Noch am selben Abend zog Aramis zurück in den königlichen Palast. Die Königin begrüßte ihre Ankunft erfreut und sorgte dafür, dass sie genügend Zeit mit ihrer französischen Freundin verbringen konnte. Wieder einmal hatte der König sie verschmäht und aus seiner Gesellschaft ausgeschlossen. Trostlose Stunden zwischen prüden englischen Hofdamen, die ihr aufdiktiert waren, weil sie die Spitze des höfischen Adels repräsentierten, gehörten zu ihrem Alltag. "Auf eine erfolgreiche Jagt!" Das Jagdhorn erschallte und die Jagdgesellschaft ritt los. An die siebenhundert Gäste waren versammelt. Man nahm an der Jagd des Königs teil. Als Ehrengäste war nicht nur ein auserlesener Teil des Hofadel versammelt, sondern auch viele ausländische Würdenträger. Sie saßen auf weichen Kissen, unter schützenden Baldachinen, umgeben vom satten Grün des Waldes. Champagner wurde gereicht, edelste Weine, Cognac, kalte und warme Speisen, zarte Süßgerichte. Zahllose Diener sorgten dafür, dass es den Gästen an nichts mangelte. Schweigend standen sie neben ihren Herrschaften und hatten nichts anderes als das leibliche Wohl der königlichen Gäste im Sinn. Knechte hatten schon im Morgengrauen Tiere zusammengetrieben und ein dichtes Netz aus Jagdhunden und Jägern um den Ort der Jagt gezogen. Es würde ein leichtes sein, dass Wild aufzuspüren und zu erlegen. Mit Jagdgewehr, Pfeil und Bogen bewaffnet, zerstreuten sich die Adligen im Wald und schossen auf alles, was nicht niet- und nagelfest war. Um ihre Rolle glaubhaft zu verkörpern, hielt sich Aramis im Schatten der Königin. Ihre Majestät saß unter einem weißen Baldachin und naschte Weintrauben. Ein Page fächerte ihr in einem fort, mit einem riesigen Fächer aus langen Straußenfedern, die schwüle Luft zu. Ihre Hofdamen hatten sich um sie gescharrt und beobachten den Beginn der Jagt unter dem schützenden Leinendach aus. Ihr unbeschwertes Geplauder erfüllte die Luft. "Warum habt Ihr mir nicht erzählt, dass Ihr verlobt seid?" Aramis beugte sich näher, um die Frage der Königin im allgemeinen Lärm besser verstehen zu können. Die unbiegsamen Stäbe ihres Korsetts drückten in den Seiten. Sie zuckte unbestimmt die Schultern. Die junge Hofdame zu ihrer Rechten kicherte. "Kein Wunder, dass Ihr Lord Corday abgewiesen habt." Aramis konnte ihre Überraschung nicht verbergen. "Aber woher ..." "Comtesse", wandte eine ältere Matrone, mit einem Ungestüm von Spitzenkragen um den faltigen Hals ein, "dass weiß doch längst der ganze Hof, dass Euer Verlobter just in dem Moment auftauchte, wo Lord Corday Euch um Eure Hand bitten wollte." Erneutes kichern. "Wahrscheinlich plagte den armen Lord das Mitleid, weil man sie ermorden wollte", flüsterte es in Aramis Rücken. "Eine schwer Fehler, bei ihrer ungewissen Herkunft. Wer weiß, ob die ganze Gesichte mit dem Gift überhaupt stimmt." Es gluckste leise. "Ja, wenn, aber weshalb sonst?" Beide Intriganten verstummten je, als sie merkten, dass ihre Stimmen einen der seltenen Augenblicke von Stille gefüllte hatten, bei der jeder sie hören konnte. Sie lachten nervös und gingen rasch davon, die Köpfe verschwörerisch zusammengesteckt. "Es kommen einem viele Gerüchte zu Ohren", sagte eine ältere Hofdame gesetzt. "Manche stimmen, manche nicht." Ihr Blick fiel beredend auf Aramis. Die Fächer der anderen Damen wippten aufgeregt auf und ab, dass sie einen wahren Sturm erzeugten. "Schade" sagte die Königin leise, mit zarter Stimme, ohne den letzten Bemerkungen Beachtung zu schenken. "Wenn Ihr Lord Corday's Antrag angenommen hättet, dann hättet Ihr einen Grund in England zu bleiben." Bedauernd tätschelte die Königin Aramis Hand. "Wie sagtet Ihr, ist sein Name?" "Graf Olivier de La Fère de Bragelonne", erwiderte Aramis mürrisch. "De la Fére?" Die Königin zog nachdenklich die Stirn kraus. "Ich glaube seine Mutter diente meiner Mutter als Hofdame. Jedenfalls war es eine de la Fére. Er ist schon ein Bild von einem Mann." Widerstrebend gab ihr Aramis Recht und fing Athos Blick ein, der gerade in diesem Moment sein Pferd an den Damen vorbeiführte. Er hatte sich eine andere Garderobe zugelegt, mit edleren Stoffen und Schnitten. Seine angeborene Eleganz und Aristokratie vervollständigten das Bild. Finster warf sie seinen wortlosen Gruß zurück. Die Augen senken würde sie nicht. "Aber glücklich seid Ihr nicht?" Aramis zuckte zusammen. Oh Gott, sah man ihr das wirklich an? Henrietta seufzte und strich eine braune Haarsträhne zurück. Die Haare waren im Nacken zu einem kunstvollen Knoten geschlungen, durch das ein Band mit unzähligen Perlen ging. Ihre Augen folgten dem König, der sich in der unterwürfigen Aufmerksamkeit seines Gefolges sonnte. Was nutze es mit einem jungen, gesunden, attraktiven Mann verheiratet zu sein, der zudem den Titel des Herrschers eines der mächtigsten Länder beanspruchte, wenn sie diesem gleichgültig war. Außer ihrer stummen Rolle an seiner Seite bei öffentlichen Auftritten, lag Henriettas Stellenwert hinter dem der nächstbesten Mätresse. Beide Frauen seufzten schwer. Athos nahm seine Umgebung in einem merkwürdig entrückten Zustand wahr. Die ranghöchsten Adligen flankierten ihren König. Auch Charles war unter ihnen. Karl I. lachte laut auf. Die Begeisterung über die beginnende Jagt leuchtet in seinen Augen. Höflinge umdrängten ihn, schmeichelnd und hofierend. Athos Pferd sträubte sich wild unter dem festen Druck seiner Schenkel, weil es die allgemeine Aufregung witterte. Die Jagdhunde kläfften wild, die Witterung ihrer Beute in der Schnauze. In der selben Rangordnung hatten sich die Hofdamen um das königliche Gegenstück geschart. Die zierliche Königin wirkte verloren mitten unter ihnen. Er sah ihren sehnsuchtsvollen Blick in Richtung König. Umsonst hoffte sie auf die Aufmerksamkeit von Karl I. Nicht die Liebe band ihn an sie, sondern das Bündnis zweier Länder. In ihrem Rücken stand Aramis. Sie war aufgrund ihrer Größe und der stolzen Haltung nicht zu übersehen. Jeder Mensch hatte eine Maske auf. Änderte sich sein Umfeld oder seine Einstellungen und Ziele, wechselte er diese. Niemand konnte von einem Mitmenschen behaupten ihn wirklich so zu sehen, wie er war. Man lebte nicht miteinander, sondern nebeneinander. Allerdings den Unterschied zwischen Mann und Frau nicht zu erkennen, war in seinen Augen schon erbarmungswürdig. Athos war nicht weltfremd. Er wusste, dass es mit Aramis genügend Frauen gab, die eine andere Identität angenommen hatten. Unter Umständen gab es für diese Frauen gar keine andere Wahl und er billigte ihnen das auch gerne zu. Er hatte nur nicht damit gerechnet, selbst einer Täuschung zu erliegen. An diesem Punkt begann seine Weltanschauung zu bröckeln. Ob Aramis aus Verzweiflung zu ihrer Verkleidung gegriffen hatte oder einfach so zu wenig Weiblichkeit in ihrem Wesen war, dass es einer Flucht nach vorn glich, wollte er gar nicht wissen. Er wünschte nur, er hätte es nie erfahren. Es würde wie immer sein. Aramis wäre noch sein Freund und weiterhin einer der wichtigsten Menschen in seinem Leben. Der Betrug war noch immer da, aber nicht das Wissen. Nichts würde mehr so sein, wie all die Jahre vorher. Er wusste noch wie es war, als Aramis ihm das erste Mal auffiel. Er hatte den scheinbaren jungen Mann, der gerade den Kinderschuhen entwachsen schien, für blasiert und versnobt gehalten. Später stellte er fest, dass es einfach nur Schüchternheit war. Abgesehen von der äußerlichen Zartheit und den unglaublich femininen Gesichtszügen, faszinierte ihn die unglaubliche Traurigkeit, die Aramis ständig umgab. Erst im Laufe ihrer Freundschaft und gemeinsamen Arbeit legte sich langsam der Schwermut. Es war ein Traum und es würde einer bleiben, denn alles in ihm sträubte sich, in der jungen Frau wieder den Musketier zu sehen. Aramis war wie zwei wechselnde Protagonisten im selben Stück. Als wäre die Schablone eines anderen Menschen vor sie gezogen worden. Die Geräusche und die Menschen um ihn herum, wurden für den Moment unbedeutend, während er die junge Frau in den seltsam anmutenden Kleidern beobachtete. Das lange Haar schimmerte in der Sonne honigblond. Sie wirkte mit ihrem hochgeschlossenen Kleid falsch zwischen der leichten Sommerkleidung ringsum. Es fiel fließend herab, gab aber wenig von ihren Körperformen darunter zu erkennen. Verfügte sie überhaupt über weibliche Rundungen? Er wusste es nicht. Dennoch war sie nicht unattraktiv. Aramis strahlte etwas geheimnisvolles, stolzes, Unnahbares aus. Jetzt hatte sie seine Blicke bemerkt und sah zurück. Das leuchtende Blau ihrer Iris verfinsterte sich und wurde dunkel. Seltsamerweise ließen die Augen eine Leere in ihm zurück. Aramis gab es nicht mehr. Entweder es entstand etwas Neues oder ihre Wege trennten sich. Einer der Knechte kam auf die Lichtung und beugte vor dem König die Knie. "Eure Majestät, wir haben einen mächtigen Eber eingekeilt. Das Tier ist von ungewöhnlicher Größe und sehr wild. Es gebärdet sich wie tollwütig", berichtete er atemlos. Er hatte den Eber gesehen und mit rechten Respekt vor ihm. Das Tier schien von einem bösen Geist besessen zu sein. Dunkle Vorahnungen erfüllten ihn. Karl I. klatschte erfreut in die Hände und drehte sich zu seinem Gefolge um. Aberglaube war etwas für den niederen Pöbel. "Dieses Tier hat uns Gott gesandt, um die Geschicklichkeit und den Mut der Jäger zu erproben." Er zog einen breiten Diamantring von seinem Mittelfinger und hob ihn in die Luft. "Eine Trophäe für den Mann, der ihn erlegt!" Es blitze begehrlich in den Augen seines Hofstaates. "Meine Herren bestimmt die Dame Eures Herzens und holt Euch von ihr Euren Glücksbringer für die Jagt!" Sein Bienenstab schwärmte aus. Athos zügelte sein Pferd und blickte auf Aramis nieder. "Renée." "Olivier", flötete Aramis zurück. Die umstehenden Damen seufzten hingerissen und steckten die Köpfe zusammen. Ihre Majestät, die Königin klimperte verzückt mit den Augenlidern. "Ein Pfand Eurer Liebe, mein Schatz", sagte er salbungsvoll und beugte sich mit einem verschwörerischen Zwinkern zu ihr runter. An ihrer Halslinie zuckte ein Muskel, der Rest ihrer Gesichtszüge blieb unter Kontrolle. Aramis reichte ihm ein Taschentuch. "Schmollst du noch immer, weil ich gewonnen habe?", flüsterte er in ihr Ohr, als er den Pfand entgegennahm. Der leichte Duft nach Blumen, der ihren Haaren entströmte, stieg ihm in die Nase. "Wünsche mir Glück!" "Ich wünsche dir, dass du vom Pferd fällst und im nächsten Graben landest", erwiderte sie, zwischen zusammengepressten Lippen. "Oh nicht doch!", tadelte er sanft und sein Blick glitt über die glatte Haut in ihrem Gesicht. Hier wäre nie und nimmer auch nur ein einziges Barthaar gesprossen. "Du schmollst noch! Denk daran, ich reite nur für dich und das mit einem Pfand deiner Zuneigung!" "Darauf gespuckt!", murmelte sie. "Ich sag dir gleich, wo du es dir hinstecken kannst!" Er grinste breit und schüttelte im gespielten bedauernd den Kopf. "Oh, Aramis, so redet keine Dame!" Sie trat zurück und schenkte ihm zum Abschied ein gestelltes Lächeln. Der Eber rannte durch das Dickicht. Er war riesig, eine Ungröße für seine Art und der uneingeschränkte Herrscher in diesem Wald. Selten war ein Eber von dieser Größe gesichtet worden. Sein Leib stämmig und schwer, bestehend aus Knochen, Muskeln und Sehnen, bedeckt von struppigen Borsten. Riesige Hauer standen aus seinem Maul, von dem Speichel tropfte. Seine Augen glühten wild. Beunruhigende Intelligenz für ein Tier stand in ihnen. Ihn zu erlegen forderte die Meister der Disziplin heraus. Sie hatten ihn angeschossen. Der brennende Schmerz machte ihn rasend, wild und unberechenbar. Seine Instinkte sagten ihm, dass er seinen Häschern entkommen musste. Die Sinne waren einzig und allein auf das Überleben ausgerichtet. Er schlug Hacken, lockte seine Jäger, griff sie an, verführte sie zu tollkühnen Vorstößen und entkam dann doch wieder. Die Streifschüsse schienen ihn nichts anhaben zu können, nur noch wilder zu machen. Zwei Jagdhunde hatte er schon getötet, zwei weitere waren derart schwer verletzt, dass nur noch der Gnadenschuss ihres Herrn sie von den Qualen erlösen konnte. Es war längst kein Spiel mehr. Endlich hatten sie ihn eingekeilt. Der Ring aus Reitern und Hunden zog sich enger. Einige der Jagdhunde winselten leisen. Sie spürten die natürliche Überlegenheit ihrer Beute. Vorsichtig näherte sich der König. Das Tier war zu wendig. Er musste näher heran, wenn sein Schuss treffen sollte. Die anderen Höflinge wichen zurück. Niemand wagte es dem König den Todesschuss zu stehlen. Das nachtschwarze Ross des Königs scheute. Nervös warf es den Kopf in den Nacken. Sein königlicher Reiter benötigte seine ganze Aufmerksamkeit, um sein Pferd unter Kontrolle zu halten. Pferd und Reiter kamen langsam näher. Die Augen des Ebers waren trüb, er schien aufgegeben zu haben. Leicht scharrte es mit der gespaltenen Pfote und senkte das Maul. Weiter, immer weiter tastete sich der König vorwärts. Mit dem Druck seiner Oberschenkel lenkte er sein Pferd und hob die Muskete auf Anschlag. Weiter und weiter, näher und näher. Bedächtig spannte er den Abzug zurück. Plötzlich hob der Eber den Kopf und raste los. Direkt auf den verblüfften König zu, der vergaß sich zu regen und abzudrücken. Sein Pferd scheute, schlug aus und warf den hilflosen König im Sattel wild hin und her. Der König fiel. Seine Höflinge wichen zurück. Was wenn die Hufe eines der anderen Pferde seine königliche Majestät traf? Der Eber schoss blitzschnell durch die entstandene Lücke, die Hunde kläfften wild und brachen blindlings zur entgegengesetzten Richtung aus, während ihre Beute im Dickicht verschwand. Mit angelegten Ohren, den Körper angespannt und zum Sprung bereit lauerte er im hohen Gras. Es gab für ihn kein Denken, nur Instinkte und animalisches Handeln. Sein Leben war bestimmt von der Suche nach Nahrung und Wasser. Er stillte seinen Geschlechtstrieb, wenn die Natur ihn dazu rief und legte sich schlafen, wenn die Müdigkeit seine Glieder übermannte. Jetzt wollte er überleben. Die unzähligen Streifschüsse hatten ihn nicht geschwächt, sondern jähzornig gemacht. Nicht weit von ihm entfernt, lief eine Gruppe von Menschen. Sie bewegten sich langsam über die Lichtung, ohne von den dunklen Augen zu ahnen, die im Dickicht lauerten, sie beobachteten. Wesen, die mit spitzen Dingen schossen, sich mit ihrem aufrechten Gang und den langen Gliedern vorwärtsbewegten. Der Überfall erfolgte rasch und lautlos. Der Eber durchbrach das Dickicht. Die Erde bebte, als der gewaltige Körper sich in Bewegung setzte, das Gras flog davon. Ihre Majestät die Königin wollte schreien, doch ihre Kehle brachte nur ein dünnes Krächzen zustanden. Da stand sie nun, - wortlos. Sie sah zwei Zentner animalischer Kraft auf sie zurasen, ohne sich aus ihrer Erstarrung lösen zu können. So stand sie wort- und bewegungslos. Zum Ausdruck ihrer Position und Stellung als Königin von England trug Henrietta ein prächtiges Gewandt aus schimmernden Atlas mit unzähligen Silberfäden. Um ihren Teint zu schützen, hatte man ihre ein Ungestüm von Hut übergeholfen, unter dessen breiter Krempe ihr Gesicht und ihre Begeisterung im Schatten verschwanden. Henrietta sah entzückend aus, ohne Frage, der Eber allerdings, dessen Agieren lediglich auf tierischen Instinkten ausgerichtet war, sah darin reinste Provokation und griff an. So sah Henrietta, - wort- und bewegungslos, silberfarben gekleidet und hutgekrönt, der fleischgewordenen Naturgewalt entgegen. Ihre Hofdamen schrieen grell auf und suchten kopflos die Flucht. Hypnotisiert starrte sie in die dunklen Augen und auf den bebenden Leib. Das breite Maul mit den riesigen, messerscharfen Eckzähnen versetzte sie in heilloses Schrecken. Jetzt war er heran. Henrietta fühlte einen Stoß, der sie zur Seite warf. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie der Eber die französische Comtesse seitlich traf. Auch Aramis hatte es gesehen. Der Eber auf der einen Seite der Lichtung, wildgeworden, rasend und von gigantischer Größe. Auf der anderen Seite die Königin, zart, verängstigt, wie festgefroren. Ungleiche Duellpartner ohne Regeln und Sekundanten. Dann hatte sich das Ungestüm in Bewegung gesetzt. Auch hier hatte die Natur nicht gespart und den riesigen Leib mit einer eher untypischen Behändigkeit versehen. Sie hatte rein mechanisch gehandelt und die erstarrte Königin beiseite gestoßen. Die Zeit verlangsamte sich. Die erstarrte Königin mit den weit aufgerissenen Augen kippte nach Rechts, ihr Hut glitt langsam zu Boden, Speichel tropfte aus dem Maul des Tieres, Blut war an seiner Flanke, wild flackerten die Augen. Dann der Zusammenprall. Aramis fühlte ihre Rippen brechen, alle Luft weich aus ihren Lungen, sie wurde von den Füßen gerissen und segelte durch die Luft. Der Aufprall erfolgte um so schmerzhafter. Benommen blieb sie im Gras liegen. Sie glaubte ersticken zu müssen. Würgend rang sie nach Luft und verschluckte sich an ihrem eigenen Blutspeichel. Ihr ganzer Körper schien zerbrochen zu sein. Henriettas spitzer Schrei riss sie aus der Ohnmacht. Wieder starrte das Tier mit scharrender Hufe und blutunterlaufenden Augen die Königin an. Ihr silbernes Kleid, schien das Äquivalent zum roten Tuch zu sein. Die zerbrechliche Gestalt ihrer Majestät der Matador. Aramis stöhnte auf, rang mehrmals keuchend nach Luft und stemmte sich mühsam auf Händen und Knien auf. Ihr Körper befand sich noch in einem Stück. Was sie in erster Linie ihrem Korsett zu verdanken hatte. Wenn etwas gebrochen oder defekt war, so hielten es die Fischbeinstäbe noch eine Weile zusammen. Das Untier starrte die Königin an, die Königin starrte den Eber an. Aufgabe und wohltuende Ohnmacht gab es nicht. Eine Königin galt es zu beschützen. Als Musketier auf royalistische Treue bis zum Fanatismus gedrillt, kroch Aramis auf allen vieren näher. Der verlorene königliche Hut lag vor ihr im Gras. Sie packte den Hut, machte einen Satz nach vorn und warf ihn über die Augen der Bestie. Der Eber schlug aus. Wild bäumte er sich auf. Seine Eckzähne rissen den dünnen Stoff und die darbunterliegende Haut ihres rechten Arms auf. Wieder stieß er sie von sich und wieder landete sie atem- und besinnungslos im Gras. Er hatte den Hut abgeschüttelt und stürmte, gesenkten Hauptes auf sie zu. Aramis blieb kaum genügend Zeit, den Dolch aus dem, an ihrer Wade befestigten, Halfter zu ziehen, da war auch schon die Bestie über ihr. Er knurrte und schnüffelte, nagelte ihren Oberkörper mit dem Gewicht seiner Vorderpfoten auf dem Boden fest. Geifer tropfte in Aramis Gesicht. Sie glaubte vor Ekel würgen zu müssen. Blutrünstig senkte sich die Schnauze, mit den spitzen Hauern. Sie konnte seinen fauligen Atem riechen, warme Ausdünstungen nach verfaultem Fleisch und faulen Eiern schlugen ihr in das Gesicht. Schützend hob sie den rechten Arm, um sich vor den messerscharfen Zähnen zu schützen. Mit der anderen Hand stach sie zu. Die spitze Klinge fand die Kehle es Unwesen, schnitt sich durch Pelz, Haut, Sehnen und Fleisch. Dunkles Blut ergoss sich über sie, warm und klebrig. Der Leib des Ebers zuckte, dann brach er tot zusammen. Mühsam stemmte sie sich gegen das schwere Gewicht des Ebers, aber sie hatte nicht genügend Kraft den leblosen, stinkenden, noch warmen Körper runterzuschieben. Sie glaubte jeden Moment ein Knacken zuhören, wenn ihre Knochen nachgaben und ihre Mitte entgültig auseinanderbrach. Betäubt blieb sie liegen, röchelnd und nach Luft ringend. Warum befreite sie niemand? Sah sie dort Licht, ein dunkler Pfad, der zu einer hellen Tür führte? Nein, nur die Dunkelheit, die sie umfing. Betroffene Stille hatte sich über die Lichtung gelegt. Der Knecht bekreuzigte sich. Seine düstere Vorsehung hatte sich als wahr erwiesen. Man erzürnte Gott nicht, mit der Überheblichkeit über Leben und Tot herrschen zu wollen. Vier Männer hoben den toten Eber von der regungslosen Frau und trugen ihn fort. Blut durchtränkte ihr Kleid. Ob es ihr eigenes oder das des Ebers war, vermochte niemand zu sagen. Sie rührte sich nicht? Man wagte kaum sie anzufassen. Wie bei einer Totenwache hob man sie hoch und trug sie davon. Einige der Männer dachte an verletzen Stolz, weil eine Frau die Bestie besiegt hatte. Andere empfanden Scham darüber, dass sie zu spät kamen. Betretenes Schweigen vermischte sich mit wortlosem Ekel und unverhüllter Verachtung. Was galt die Heldentat zur Rettung der Königin, wenn diese an ein barbarisches Massaker erinnerte. Menschen, bei denen Rhetorik und kalkulierte Handlung in der Wertung höher standen, als Kinn und Rückrat, erwarteten von einer Adligen mehr Stil, auch wenn sie ihr Leben gab. Leider entsprach das Gemetzel genau Aramis Stil, aber das wusste nur Lord Corday, dem sie zu oft in den zu falschen Situationen begegnet war. Man war großzügig bereit ihr zu verzeihen. Immerhin hatte sie der Königin das Leben gerettet und für genügend Gesprächsstoff in den kommenden Wochen gesorgt. Kapitel 28: Dr. Adam Bottom-Wood -------------------------------- "Er ist eine Frau." ... eine Frau ... eine Frau ... eine Frau ... Ein Echo der Anklage, ein Widerhall der Entrüstung. Verurteilt durch einen weißen Skelettfinger der vor ihr auf und ab wippte. Gleich dem Zeiger der Uhr, der ihr die Stunde ihrer Verdammung anzeigte. Aramis sah an sich herab. Ihr Kleid war zerrissen und zeigte zuviel von der Haut darunter. Ihre Rundungen boten sich frei seinen Blicken. Sie wollte etwas erwidern, aber die Worte blieben im Hals stecken. Seine Anklagen wurde zum Crescendo, immer schriller, immer lauter. "Dirne, Hexe, Häretikerin, Tochter einer läufigen Hündin ..." Wieder wollte sie etwas erwidern, aber was ihre Zunge als Worte formte, kamen nur als unverständliches Krächzen über ihre Lippen. Broussard rückte näher, dass sie seinen faulen Atem riechen konnte. "Der Kardinal wird davon erfahren. Das ist Verrat ....", fluchte er und spuckte vor ihre Füße, wo es nicht versinken konnte, weil der Boden aus Marmor und spiegelglatt ist. Aramis zuckte zusammen. Abermals versuchte sie etwas zu sagen, aber die Skelettfinger griffen nach ihrem Kleidfetzen und rissen ein großes Stücken weiter nach unten. Aramis schwieg. "Ich werde dafür sorgen, dass du nie wieder nach Frankreich zurück kannst! Alle werden es wissen. Das ist Blasphemie, Verrat, Lüge ..." Aramis schüttelte den Kopf. Mehr brachte sie nicht zu ihrer Verteidigung auf. Sie raffte die Fetzen ihres Kleides und ergriff die Flucht. Nie wieder nach Frankreich zurück, Verrat an Frankreich, Anklage, Verurteilung, Scheiterhaufen ... hallte es in ihrem Kopf. Sie fühlte ihr Herz heftig in der Brust schlagen. "... HEXE, Hure der Musketiere ... Hetäre ..." Die keifende Stimme folgte ihr und seine Beleidigungen streckten ihre kalten Klauen nach ihr aus. Sie beschleunigte ihre Schritte, warf nervöse Blicke über die Schulter und prallte unvermittelt gegen ein menschliches Hindernis. Das Hindernis umfasste ihre Oberarme und drückte sie schnell von sich. Abweisend sahen Athos graue Augen auf sie nieder. Sie sah die Spannung an seinen Halsmuskeln und Unterkiefern... Aramis erwachte von Schmerzen im Arm und in der Brust. Sie bekam kaum Luft und jeder Atemzug bereitete ihr Schmerzen. Tausend Nadeln, die durch ihre Brust stachen. Jemand stricht ihr mit einem nassen Tuch sanft über Stirn und Wangen. Es dauerte eine Weile, bis sie feststellte, dass noch andere Menschen anwesend waren, als ihre Stimmen endlich durch ihr Bewusstsein drangen. Da war Sophies Stimme und ihre Hand, die sich um sie sorgte. "Oh, Aramis", flüsterte sie, mit erstickter Stimme, Tränen in ihren Augen erahnen ließen. Gute Sophie, dachte Aramis, so fürsorglich und pflichtbewusst. Das Mädchen seufzte schwer. "Er ist über und über mit Blut beschmiert. Wir wissen noch nicht einmal, wo er verletzt ist." Das war Athos, der da sprach, ruhig und gefasst. Warum war er nicht früher da, um das Tier abzuschlachten, bevor es sie anfiel? Rechter Arm, rechter Arm, sang Aramis. Aufgerissen vom Ellenbogen, bis zur Schulter. "Gut möglich, dass auch was gebrochen ist." Corday, was machte Corday hier? Die Rippe, die Rippe, ich kann kaum atmen. Mein Körper ist eine einzige Prellung, ein großer Bluterguss. Es raschelte leise und noch jemand trat an ihr Bett. "Wie geht es ihr?" Das war der König. "Noch immer ohnmächtig, Eure Majestät." "Wir, England und die Königin sind ihr sehr zu Dank verpflichtet", erklärte seine Majestät nasal. "Wir denken jedoch, dass wir ihren derzeitigen Anblick der Königin ersparen. Sie ..." Karl konzentrierte sich und seine Lippen bewegten sich, bevor er das Wort formulierte, er schien die Aussprache erst auszuprobieren, "... stinkt. Wir werden ihr unseren Arzt schicken. Man sollte sie aus Kleid und Korsette befreien und ..." Mit einem Schlag schlug Aramis die Augen auf und starrte den König entsetzt an. Man hatte sie im Zelt der Königin untergebracht. Für den Fall, dass ihre Majestät in den Nachmittagsstunden zu Ruhen gedachte, war dieses am Lichtungsrand aufgestellt worden. "... oh, Ihr seid wach!" Karl I. wich bedächtig zurück. Stand die junge Frau unter Schock, dass sie ihn mit offenem Mund und hervorquellenden Augen anstarrte. Die Pupillen wirkten riesig in dem fahlen Weiß ihres Gesichtes. Mühsam richtete sich Aramis auf den Ellenbogen auf, obwohl ihr übel wurde und Schwindelgefühl sie erfasste. Karl I. lachte dröhnend. "Wir wollten gerade vorschlagen Euer Kleid als Ehrenbanner zu verwenden. Als Triumphstandarte für das Niederzwingen des wohl mächtigsten Ebers, der je in diesen Wäldern sein Unwesen getrieben hat. Wir wollten es nicht glauben, als uns die Königin alles erzählte. Wer wohl mehr litt? Der Eber oder Ihr?" Er zwinkerte amüsiert und beglückwünschte sich zu seinem eigenen Witz. Der Rest stimmte seinem Lachen gequält ein. "Mademoiselle, wir sprechen Euch unsere Hochachtung für Euer selbstloses Eingreifen aus. Die Königin wünscht Euch zu sehen, aber wir denken, wir werden uns erst um Euer Erscheinungsbild kümmern." Erschöpft ließ sich Aramis den Oberkörper wieder sinken. "Ich danke Euch, Eure Majestät", krächzte sie. Karl I. nickte wohlwollend und verbeugte sich galant. "Unser Leibarzt wird bald hier sein." Der König wandte sich zum Gehen. Mit Schmutz und Blut konnte er nichts anfangen und fühlte sich äußerst Unbehagen, wenn sich das eine oder andere in seiner unmittelbaren Nähe befand. Gerade hier, wo sie in geballter Form vertreten war. Erschrocken sah Aramis zu den Anderen. Alle werden es dann wissen, dachte sie voll Panik, Athos, Broussard, der Kardinal. Alle werden es erfahren, Porthos, die Musketiere, der König, ja ganz Frankreich und alle werden sie verurteilen. "Das ist sehr großzügig, Eure Majestät", wandte Corday schnell ein. "Aber ich habe schon den Arzt der Cordays rufen lassen." Er sagte das, in der Hoffnung seinem Freund und Cousin zu helfen. Aramis empfand mittlerweile nicht nur Panik, sie stand Todesängste aus. Vor Ärzten empfand sie heilloses Schrecken. Ärzte waren die monströsen, menschenfressenden Spinnen ihrer Albträume. Ob Erkältung oder Verletzungen, Aramis rettete sich sieben lange Jahre ohne nötige Arztkonsultation durch ihr Leben als Mann. Jetzt kam die Rechnung. Gott half nicht mehr. Er nahm die Bilder von Schmach und Schande nicht aus ihrem Kopf. Ihre Rache gelebt und bekommen zu haben tröstete sie nicht, zu wissen, dass Kapitän de Treville sie schütze tröstete sie nicht, ihre hohe Position als Musketier tröstete sie nicht und ihre Freunde trösteten sie nicht. Sie wusste, dass wenn Frankreich erfuhr, dass sie eine Frau war, - und Frankreich würde es erfahren, -fand sie sich vor dem Richterstuhl wieder und dieser kannte kein Erbarmen. Nicht in einer Welt, in der die Gesetze der Männer galten. Da konnte sie noch so vielen Königen und Königinnen das Leben retten. Und das Land ihrer Vorväter, der Ort an dem sie geboren war und an dem sie lebte und liebte, würde sie hinrichten. Karl I. Großzügigkeit leitete ihren Albtraum ein. Das wusste sie alles. Und sie wusste, dass der einzige Ausweg aus der Schande der Tot sein wird. Sie hatte aber keine Lust zu sterben. Nur was sollte sie tun? Ihr kranker, geschwächter, gepeinigter Körper fesselte sie auf der Liege. Sie saß in seinem Inneren und hämmerte mit den Fäusten dagegen. Athos sah die Angst in Aramis Augen. Zwei große blaue Augen, fiebrig und vor Panik glänzend, in einem leichenblassen Gesicht mit hässlichen roten Blutspritzern. Das Blut war überall. In ihren Haaren, in den Brauen, Spritzer auf ihrer Nase, auf den Wangen. Die Hände blutrot bis unter die Fingernägel, dass Kleid durchtränkt, voll gesogen vom nassen Tuch in Sophies Händen. Zum ersten Mal tat sie ihm leid und er wusste nichts mit diesem Gefühl anzufangen. "Papalapp", wandte der König ein. Er wollte nur raus aus dem Zelt, kein Gedanken mehr an die Französin und ihre Wahnsinnstat verschwenden. Sich der Jagd hingeben, es musste ja kein Eber sein, einen weißen, willigen Frauenkörper in sein Bett rufen, ohne blutgetränkte Röcke und die von Gott gegebene Königswürde genießen. "Wir haben nach unserem Leibarzt schicken lassen." Er bewegte sich zum Zeltausgang zu. Athos und Corday folgten ihm. Draußen diskutierten die Männer weiter und weil Zeltwände nur aus Stoff bestanden, konnte Aramis alles hören. "Doktor Hemilton, ist schon seit Generationen der Arzt der Cordays. Durch die Verlobung mit meinem Cousin dem Graf de la Feré, gehört die Comtesse praktisch zur Familie", sagte Corday. "Ich weiß, dass meine Verlobte sich unwohl fühlen würde, extra Euren Leibarzt zu bemühen, Eure Majestät. Wie kann sie sich mit Euch gleichsetzen?", sagte Athos, der Aramis Augen nicht vergessen konnte. Sie diskutierten und argumentierten, bis Karl stutzig wurde. Er lachte irritiert. "Er mag vielleicht ein bisschen zu viel trinken und ist den Reizen der Damen zu sehr zugeneigt. Aber meine, Herren, wer tut das nicht? Wenn er für den König als Leibarzt gut genug ist, dann wird er es für eine Comtesse ganz sicher sein. Schließlich besitzen wir das von Gott gegebene Königsrecht und uns behandelt er. Beleidigt uns und unsere Dankbarkeit nicht mit Anmaßung, Charles!" "Sicherlich, Eure Majestät", wandte Corday ein, "... wir wollten Euch nur die Umstände ersparen ..." Cordays Stimme starb ab, als er Graf de Meyè mit einem feisten Grinsen den Weg zu ihnen bannen sah. Gekleidet in feinstem Samtbrokat mit breitem Spitzenkragen und selbstsicherem, überlegenen Lächeln auf den berechnenden Gesichtszügen stieß er zu dem König vor, ohne einen Gedanken dran zu scheren, dass er unerwünscht war. Diplomaten genossen politische Immunität und das angeborene Verhalten von Anmaßung und Hochmut. "Majestät", Sein Gesicht strahlte vor falscher Unterwürfigkeit. "Wie ich hörte, wollt Ihr eigens Euren Leibarzt kommen lassen. Wie gütig und großherzig Ihr seid." Der König neigte unverbindlich das Haupt. "Ich werde dem französischen König umgehen davon unterrichten." "Tut das", erwiderte Karl I. ungerührt. "und schreibt ihm, dass es seiner Schwester, der englischen Königin ausgezeichnet geht ... dank der Comtesse." Ein zweites unverbindliches Nicken in Richtung von Athos und Corday. "In Zukunft wird die politische Beziehung zwischen Frankreich und England ohnehin angespannt sein, da kann die kleine Episode bei der heutigen Jagt nicht schaden, unsere Beziehung zu Ludwig zu verbessern." Eine Episode? Athos zog die Luft ein und sein Kiefer wurde kantig. "Angespannte politische Beziehung, Eure Majestät?" Wendig wie eine Schlange, schlängelte sich de Meyé an den König heran und zischelte gierig nach Informationen. Dieser Mann ging nie seine Mitmenschen heran, er hangelte sich über Serpentinen. Karl I. Gesicht verriet nichts. "Wir haben La Rochelle unsere militärische Unterstützung zugesagt." Schlagartig wurde es still. De Meyé Stimme brach. "Oh, ich hörte, dass Ihr Euch mit La Rochelle gar nicht befassen würdet ... sondern eher Irland Eure Aufmerksamkeit zuwendet", sagte er weder laut noch leise und blickte zu Lord Corday. Corday blechte die regelmäßigen Zähne und lächelte zuvorkommend. Aus de Meyés Augen sprach Hass. Funken sprühten. "Natürlich befassen wir uns damit", erwiderte der König ärgerlich. "Richelieu streckt uns zu sehr seine gichtgekrümmten Finger nach den letzten Stützpunkten, die neutral zu England stehen. Wir sehen unsere Küste in Gefahr." De Meyé sprach zwischen zusammengebissenen Zähnen und gefährlichen Funkeln im Blick. "Das wusste ich nicht, Eure Majestät. Wenn Ihr mich davon unterrichtet hättet, dann hätte ich Euch unterstützen können, Ludwig gnädig zu stimmen." "Genau darum wurdet Ihr nicht informiert", erklärte der König fröhlich. "Jedenfalls freue ich mich, dass es der Königin gut geht und die Comtesse so einen heldenhaften Einsatz gezeigt hat", fuhr de Meyé mit regungslosen Gesichtszügen fort, ohne sich anmerken zu lassen, wie zornig er war. "Wie ich hörte tötete sie den Eber." "Ja", Karl grinste jungenhaft. "Sie ging nicht gerade sanft mit ihm um. Die Jagdgöttin Diana wählte Pfeil und Bogen, um das Herz zu treffen, unsere Amazone den Dolch und die Kehle. Ein breiter Schnitt quer über den Hals." "Also nicht Diana, sonder Herkules?", erwiderte der Graf. Athos musterte de Meyé zornig, bei dessen Anspielungen, sein Cousin ließ nervös den Blick vom König zum Grafen schweifen. "Die Comtesse muss wahrlich stark sein? Solch ein Verhalten ist sonst nur von einem Mann zu erwarten. Sie scheint für eine Frau, über gerade zu ungeahnte Fähigkeiten zu verfügen", fuhr der Graf fort. "Ich hoffe, Euer Leibarzt wird ... nun ja, ihr hoffentlich helfen können." Mit mehreren Verbeugungen entfernte sich de Meyé rückwärts. Karl runzelte ärgerlich die Augenbraue. Karl I. war vielleicht für die Königsbürden etwas zu jung und draufgängerisch, war keineswegs dumm und glaubte langsam zu wissen, warum er nicht verstand. Sein Freund Lord Corday war in letzter Zeit nicht mehr der, der er früher gewesen war. Der König mochte nicht über alle Intrigen am Hof bescheid wissen oder gar interessieren, aber er witterte wie ein Bluthund, wenn sich das Verhalten seiner Vertrauten veränderte. Der einzig wahre Besitz eines Königs war sein guter Ruf. Mochte man sein Vermögen, durch den Staat gegeben, wegnehmen, so blieb nur noch der Name und den zu verteidigen war das höchste Recht. Die schlimmste Demütigung für einen Herrscher war, dass man über ihn lachte. Zielscheibe des Spottes zu werden, weil man ihn mit einem dahergelaufenen Hermaphroditen, den er an seinem Hof zuließ, zum Narren hielt, war undenkbar für Karl I. Mit einem harschen Blick beorderte er den Pagen nach seinem Leibarzt zu schicken. Der herrische Blick in seinen Augen unterband jeden Widerspruch. Adam Bottom-Wood, verfügte nicht nur über den schwungvollen Namen seiner Vorväter, er hatte auch noch dessen Beruf ererbt. Er war der Leibarzt des Königs, wie schon sein Vater Leibarzt dessen Vater war, wie dessen Vater ... und so weiter und so fort. Das Studium hatte er mittelmäßig absolviert, weil es sein Vater so wollte und seine Stellung hatte er erhalten, weil er der Sohn seines Vaters war. Karl I. war jung, gesund und stark wie ein junger Bär. Er maß ihm jeden Morgen den Puls, roch an der königlichen Pisse und verlernte sein desinteressiert erworbenes Wissen im Laufe der Zeit. Die restlichen Stunden des Tages pflegte er zu trinken, zu schlafen, zu huren oder sich dem Nichtstun hinzugeben. Gerade lag er im Bett. Dutzende Seidenkissen stützen seinen Rücken. Das Hemd war fleckig und stand offen. Er betrachtete träge seinen leicht hervorstehenden Bauch mit der dunklen Behaarung, die sich wie ein schmaler Pfad von seiner Körpermitte zu seiner Brust hochzog. Sein Unterkörper war nackt und seine Männlichkeit lag ebenso träge dahin. Er sah zu dem weißen Frauenkörper neben sich und wartete vergebens auf eine Erektion. Derweil trank er Wein und nagte an einer Hühnerkeule. Die Frau an seiner Seite kicherte und drehte sich auf den Bauch. Ihre Beine waren angewinkelt und wippten mädchenhaft vor und zurück. Eine Weile verfolgte Adam das hin und her der schmalen Unterschenkel, dann beugte er sich runter und biss in eine der weißen Halbmondhälften seiner Bettgefährtin, die zwischen Steiß und Oberschenkeln lagen. Weil es ein, für seine Verhältnisse anstrengender Tag gewesen war, blieb er gleich dort liegen. Die Nase in der samtigen Haut des Hinterteils vergraben. So fand ihn der Diener. Noch immer hatte sich keine Erektion eingestellt. Mit neuem Hemd und nervösen Lächeln erschien er beim König. Karl saß auf einem weichen Sessel am Rande der Lichtung inmitten seines Hofstaates. Wildbraten in der einen und ein Weinpokal in der anderen Hand. Adam Bottom-Wood schluckte schwer. Die dunklen Braunen des Königs waren finster zusammengezogen. Die Lippen zu einem schmalen Strich gepresst. Fett tropfte über die geschlossene Faust, die eisenhart die Wildkeule umklammerte. Zwei äußerst nervöse Männer flankierten ihn. Er erkannte Lord Corday und seinen Cousin, den kürzlich angereisten Graf de la Feré. "Eure Majestät." Bottom-Woods Stimme war so heiser, als hätte sich der ferne Donner eines Gewitters auf seine Stimmbänder verirrt. Wenn der König erkrankte und sein Können versagte, dann musste er mit dem Todesurteil rechnen. Adam Bottom-Wood lebte in ständiger Todesangst. Deshalb versoff er die vielen müßigen Stunden in seinem Leben. Er war der Meinung, dass sich Mühe und Anstrengung, um im Leben voranzukommen, nicht lohnen würden, da über seinem Hals ja ohnehin ständig das Henkersbeil schwebte. Karl ließ die Keule fallen und wischte sich die fetttriefende Hand an einem Tuch ab. "Gut, gut, mein lieber Bottom-Wood, es gibt für Euch etwas zu tun." In einem Zug leerte er den Pokal, reichte ihm an den Pagen weiter und rieb sie erwartungsvoll die Hände zusammen. "Wir haben hier eine junge Dame, die bei der Jagt verunglückt ist." Er legte vertraulich den Arm um die Schultern des Arztes und schob ihn in Richtung Zelt. "Jetzt ist Euer Können gefragt!" Nervös zog Bottom-Wood die Tränen durch die Nase hoch. Wie der König, verabscheute er Blut und Dreck. Was dem anderen lediglich ein lästiges Makel seines Berufes war, war Bottom-Woods Handicap. Zu seinem Glück kam der Karl I. kaum mit Dreck und Blut in Verbindung. Die meiste Zeit über floss es sicher verpackt in den Adern des jungen Königs. "Eine junge Dame?", erkundigte er sich vorsichtig. Karl nickte. "Ganz recht, eine junge Dame." Er hielt den Arzt leicht zurück. "Mein guter, Bottom-Wood, Ihr habt die Pflicht mir alles zu berichten, was Ihr sehen werdet, dass ist ein Befehl!" Die dunklen Augen des Königs bohrten sich in das Gesicht des Arztes und schwächten seine Darmfunktion. Er kniff die Hinterbacken zusammen und nickte hastig. Er wusste nicht, was der König zu sehen glaubte, aber er erahnte Schlimmes. "Majestät ...", wandte Corday vorsichtig ein. "Dr. Bottom-Wood wird nun die Comtesse untersuchen, meine Herren", unterbrach ihn Karl, überbetont und umklammerte noch immer die zitternden Schultern des bibbernden Dr. Bottom-Wood. Schwungvoll schob Karl die Zeltklappe zurück und schupste den Arzt ins Zeltinnere. Die Zeltklappe fiel wieder zu und das gefilterte Sonnenlicht durch den hellen Zeltstoff, verbreitete mildes Licht. Adam schluckte schwer und umklammerte hilflos seine Arzttasche. Vorsichtig schob er sich durch den Stoff nach draußen, um sich dem König zu stellen. "Was ist los Bottom?" Verwundert sah Karl seinen Leibarzt an. Bottom-Woods Gesicht war so fahl, wie die weißen Wolken am Firmament. "Das Zelt ist leer, Eure Majestät!", wisperte er tonlos. Kapitel 29: Verborgen in den Straßen von London ----------------------------------------------- "Und Aufschlag!" Der Ball drehte sich in der Luft, traf den Schläger und hüpfte mit einem schwungvollen Bogen über das Netz. Mit einem langgezogenen 'ah' folgten die Köpfe der Zuschauer synchron dem Ball. Avram de Vitteliani war 25 Jahre jung, athletisch gebaut, ausdauernd, von guter Kondition und sehr reaktionsschnell. Nützen tat ihm das allerdings wenig, wenn sein Gegner Ludwig hieß und zudem König von Frankreich war. Um wenigstens den Anschein von sportlicher Fairness zu wahren, bemühte sich de Vittaliani wirklich, den kleinen Stoffball zu erwischen. Er hechtete über das Spielfeld, spurtete zum Netz, sprang und schlug Furchen in den Boden. Er flog durch das Feld, dass es für die anwesenden Damen eine wahre Augenweide war. Zudem galt Avram als begehrtester Junggeselle der Saison. Diese frühe Form des Tennis, nutzte er als Mannbarkeitsritual. Unter dem prüfenden und abwägenden Auge der adligen Damenwelt, stellte er seine Stärke und Männlichkeit unter Beweis. Der Ball flog nach links, Avram sprang und landete hinter der Absperrung im unteren Zuschauerrang. "Ein guter Schlag, Eure Majestät", sagte er mit hochrotem Kopf, während er unter den Röcken der kichernden Hofdamen hervor kroch. Ludwig störte es nicht, dass man ihn aufgrund seines Titels gewinnen ließ. Er trug den Stempel der Königswürde und besaß damit das Prädikat ständiger Bevorzugung. Je länger ein König seine Krone trug, desto mehr verblasst der Mann hinter dem funkelnden Stück Edelmetall, welches für ein ganzes Fürstentum stand. Ludwig wusste, dass die Bewunderung der Hofdamen, die Hochachtung der Edelleute, der Respekt seines Volkes und das Hofieren der Bittsteller einzig seiner königlichen Bürde galten. Sein eigener Zwillingsbruder lebte zurückgezogen auf dem Land, wo er langsam in Vergessenheit geriet. Sicherlich gab es Könige, dessen Persönlichkeiten und Taten ganze Kapitel in den Gesichtsbüchern beanspruchten, aber diese Ehre würde Richelieu gebühren, nicht ihm. Und wenn man vom Unwetter sprach, so braute es sich am Horizont zusammen. Aufstöhnend ließ Ludwig den Schläger sinken, als er die hagere Gestalt seiner Eminenz zwischen den Zuschauern sah. Richelieus verkniffener Gesichtsausdruck war beredend genug, um unverzüglich die Spielpartie abzubrechen und sich im Arbeitszimmer des Königs einzufinden. "Das ist Provokation, Eure Majestät, die wir nicht unbeantwortet lassen können!" Bestürzt las der König das Dokument, welche die militärische Unterstützung durch England für La Rochelle zusicherte. Ludwig nickte schwach. Er musste handeln. "Wie groß muss die militärische Stärke sein, die wir aufbringen müssen?" "Das wird sich zeigen, Eure Majestät. Wir versuchen einen Angriff mit unseren regulären Truppen und den bestehenden Waffen. Im Zweifelsfall werden wir Einberufen müssen, um Reservetruppen zu bilden. Söldnertruppen können wir uns bei der derzeitigen Wirtschaftlage nur begrenzt leisten." Wieder nickte Ludwig, ernst und würdevoll, wie es bei dunklen Anzeichen, eines drohenden Krieges gebührte. Richelieu hatte seinen Krieg. "Ich habe unsere Generäle für eine außerordentliche Sitzung zur zweiten Nachmittagsstunde in den Palast geordert", erklärte der Kardinal. Ludwigs Faust donnerte auf die Tischplatte. "Wie kann Karl es wagen? Mit Buckingham wäre das nicht passiert." In den Augen des Kardinals funkelte es gefährlich. Buckinghams Ermordung geschah auf seine Anordnung hin. "Haben wir ihm nicht die Hand unserer eigenen Schwester gegeben?" Richelieu seufzte und spreizte theatralisch die knochigen Hände. "Was gelten schon Ehebündnisse heutzutage?" Bevor Richelieu seine Giftzunge an Anna lechzen konnte, lenkte Ludwig ein. "Warum haben wir keine Nachricht von de Meyé erhalten? Er hätte Karl I. einlenken müssen!"" "Ich glaube, Karl I. vertraut Graf de Meyé nicht", erklärte Richelieu langsam. "Berechtigt, wie wir wissen. Ein Diplomat, der Spionage betreibt, fällt auf sein Land zurück. Folglich misstraut England Frankreich." Seltsame Einigkeit herrschte zwischen Frankreichs König und 1. Minister. Eine Einigkeit die nur Krisensituationen schaffen konnte. "Was ist mit de Meyé, was sagen unsere Musketiere." Mit besorgt zerfurchter Stirn zog der Kardinal etwas aus seinem Dokumentenstapel hervor und reichte es seinem König wortlos. "Hübsch", kommentierte Ludwig und sah verständnislos zu Richelieu auf, "aber ich verstehe nicht." Richelieu beugte seine Falkennase tiefer. "Eine Karikatur aus London, Eure Majestät. Es geht um eine königliche Jagt. Hier seht Ihr Eure Schwester, ohnmächtig, wie mir scheint. Ihr erkennt sie an der riesigen Krone. Der Maler fand es witzig, die Herren des Hochadels und seine Majestät mit durchnässten Hosen und schlotternden Knie darzustellen", erklärte er missbilligt. "Hier ist ein Eber, der sie angreift", der knochige Finger fuhr über die Zeichnung, "und die Frau, die wie eine Walküre anmutet, -seht der Hörnerhelm und Brustschutz ist sehr detailliert gezeichnet und hier der Speer, -ist unser Musketier." "Was ist passiert?" "Nun, bei der Jagt drehte ein Eber durch und griff die Königin an. Zu diesem Zeitpunkt befand sich keiner der Jäger in ihrer Nähe. Bevor das Tier die Königin verletzten konnte, sprang Aramis dazwischen, tötete ihn, wurde aber selbst schwer verletzt. Bevor man einen Arzt rufen konnte, verschwand er." "Wie er verschwand?" "Er ist verschwunden, Eure Majestät. Athos schreibt, dass ihn zuletzt ein Fährmann über die Themse setzte. In den Straßen von London ist er unauffindbar." Ludwig runzelte die Stirn. "Ist das gut oder schlecht?" Der Kardinal zuckte wage die Schultern, wie er es gerne bei Verhören tat. Eine Geste, die mehr besagte, als Worte es zu tun vermocht hätten. "Es verhärtet den Verdacht über sein wahres Geschlecht, gleichzeitig schütze es Aramis vor der schändlichen Entdeckung und damit vor Frankreichs Schande. Ob richtig oder falsch, es war das einzige, was er tut konnte. Er sorgt derzeit für Gesprächsstoff in ganz London. Es gibt noch weitere Karikaturen, Eure Majestät. London rät fleißig mit. Wir haben sie vernichtet, weil sie zu vulgär sind." "Noch mehr Karikaturen?" Ludwig bekundete vorsichtige Neugier. Das Wort vulgär hatte sein Interesse geweckt. "Kann ich sie nicht doch sehen?" "Nein!" Beleidigt schob der König die Unterlippe vor. "Aber wenn ..." "Nein!" "Was war denn dargestellt?" Richelieu barg resigniert das Gesicht in der Hand. "Sagt Euch das Wort 'Hermaphrodit' etwas, Eure Majestät?" "Kann ich nicht doch ..." "Nein, denkt an Eure Würde!" Die Tage vergingen. Das Licht fiel durch das schmale Fenster mit den morschen Fensterläden, bis die Nacht hereinbrach und den Wechsel zwischen dem Heute und dem Morgen verkündete. Das Zimmer war klein, schäbig, spartanisch ausgestattet und lag im ärmeren Teil von London. Es entsprach dem gleichen Straßenbild, dass Paris Armenviertel abgaben. Dieselben lichtlosen Gassen mit den baufälligen Häuserfassaden, derselbe Unrat, die selben Bettler und der gleiche wehleidige Singsang zwischen jammern und fluchen, den der Wind davontrug. Aramis lag auf dem Bett. Sie durfte sich nicht rühren, dass verbot ihr der Arzt. Das verbot ihr Sophie, weil es der Arzt Aramis verboten hatte und es verbot ihr die gebrochene Rippe, weil sie unvorstellbar schmerzte. So lag sie auf dem Bett und tat nichts. Sie starrte zur Wand, sie beobachtete die Kringel der Sonnenstrahlen auf den ausgetretenen Dielenbrettern, sie zählte die umherschwirrenden Fliegen, sie sang leise Lieder aus längst vergangen Jugendtagen. Ab und zu verfiel sie in einen unruhigen Schlaf, der sie schon wenig später durch Schmerzen weckte. Da die Nächte nicht anders aussahen, lagen bald tiefe Schatten unter ihren Augen. Jeder tiefe Atemzug tat weh. Sophie brachte ihr etwas zu essen, meist flüssig und breiig, damit sie den Magen nicht überforderten und fragte, ob sie Athos rufen sollte. Aramis schüttelte den Kopf. Dann starrte sie weiter die Wand an und sang leise. Warum wollte sie nicht Athos holen, fragte Sophie, wenn es doch besser wäre? Aber Aramis wollte Athos nicht sehen, lieber zur Wand starren und leise Liebeslieder singen. Nacht für Nacht hatte sie im Bett gelegen und obwohl sie das Leben eines Mannes geführt hatte, Mädchenträume vom Verliebsein geträumt. Dann hatte sie Tränen der Einsamkeit vergossen. Von diesen Tränen würde sie nie Sophie erzählen oder sie sich selbst eingestehen. Aber wegen dieser Tränen mochte Aramis Athos nicht sehen, weil er der Grund dieser Tränen war. Wann genau sie sich in ihn verbliebt hatte, konnte sie nicht mehr nachvollziehen. Vielleicht schon damals, als sie ihn das erste Mal sah, aber ihr Herz unter Trauer und Schmerz begraben hatte. Sie würde ihre Gefühle niemandem anvertrauen. Athos musste seinen eigenen Weg finden. Als Freund hatte sie ihn begleiten können. Jedenfalls bis vor dieser unseeligen Mission. Nun musste sie ihre Sehnsüchte noch tiefer in ihrem Herzen vergraben. Ihre Zuneigung zu ihm erschreckte sie. Die Suche nach seiner Gegenwart, einem Wort, einer flüchtigen Berührung war wie Sucht, größer noch als Hunger oder Durst. Genau aus diesem Grund, musste sie sich fern halten. Weil Sophie fand, dass Athos ein paar Sorgen um seinen untergetauchten Freund ganz gut tun würden, hielt sie sich an Aramis Anweisungen. Dann begannen die Gerüchte über die Themse zu sickern und wie Nebelschwarten durch die Straßen der City zu ziehen. Im Hyde Park, Treffpunkt aller freien Redner, Ort verschwörerischen Treffens, Sammelstelle rebellischer Zeitungen und anprangernder Schundblätter, stürzte sich Londons kolumnistische Untergrundbewegung auf das Lotterleben in Whitehall. Da ein Stuart noch nie gern gesehen war, auf einem ehemaligen Tudorthron, nutzte Londons 'öffentliche Meinung', alles um ihren König dem Spott preis zu geben. Folglich waren die Vorfälle der letzten königlichen Jagd ein gefundenes Fressen. Da trieben duzende von Knechten und Jägern dem König seine Beute direkt vor die Flinte, doch anstatt ihn zu erlegen, fiel seine Majestät auf den königlichen Hosenboden. Tollwütig vor Schmerz, griff das Tier die Königin an, die sich von einer Frau retten lassen musste, weil kein männliches Hofmitglied in unmittelbarer Nähe war. Diese kümmerten sich schließlich um den, auf den Hosenboden gefallenden- König. Mit jedem Tag der verging, wurde Aramis Tat schauerlicher. Bald war die Geschichte soweit gereift, dass sie den Eber mit den Zähnen die Kehle aufriss, bis dieser elendig verblutete. Und damit nicht genug. War die Dame bis dahin unbekannt und einfach eine inkognito auftretende Ausländerin am Königshof, so war man sich dort nicht einmal ihres Geschlechtes sicher. Wie der Eber entwischt sie dem König, als dessen Leibarzt sie untersuchen sollte. Londons Schreiberlinge rieben sich die Hände und die Drucker rührten die Tinte an. "Oh, dass ist schön! Hier hast du einen Schnurbart und Militärstiefel an. Das ist eines der freundlicheren Bilder." Sophie hielt das Bild von sich und schüttelte es mit einer anzüglichen Geste. Ihr gemeinsames Asyl im städtischen Elendsviertel hatte das Siezen überflüssig gemacht. Es existierte auch ein passender Reim zu der Karikatur, aber Sophie fehlten die nötigen Englischkenntnisse, um diese zu würdigen. Bilder sprachen über Sprachbarrieren hinweg. "Und das hier", Die Wangen leuchteten tiefrot, "zeigt dich und Athos, als deinen Verlobten." Ihr Gesichtsausdruck war beredend genug. "Diese vulgären englischen Schweine. Dies ist kein Bild für eine Dame", tadelte sie. Aramis sah finster drein "Zum Glück bin ich keine", gab sie trocken zurück. "Zeig her!" Geziert reichte Sophie ihr das Blatt. "Nun ja, so muss wohl Liebe unter Männern aussehen." Sie zuckte verlegen die Schultern und wies auf die beiden grob gezeichneten Personen. Beide nackte, beide in eindeutiger Stellung. "Der Verfasser dieses Schundblattes weiß anscheint nicht, wie ihr ausseht, aber Eure Namen stehen drunter." Ihr Finger kommentierte die Szene. "Graf de la Feré und Comtesse Mystérieuse ... halt nein, da steht Mystérieux. Er muss sich mit Broussard unterhalten. Derselbe geschmacklose Scherz", sagte Sophie und schüttelte bedauernd den Kopf. So vergingen die erste und die zweite Woche, in denen Aramis als Whitehalls elitäres Monster galt. Die Schmerzen vergingen, die Wunde am Arm verheilte. Aramis wagte vorsichtige Schritte durch das Zimmer. Seufzend nahm sie die Tatsache zur Kenntnis, dass eine weitere Narbe ihren Körper verunzieren würde. Nicht, dass sie noch an ein Eheleben glaubte, aber welcher Mann würde schon eine Frau nehmen, die mehr Wundmale von Kämpfen aufwies, als er? In der dritten Woche löste die Baronette Leighton sie mit ihrer Affäre mit dem Kammerdiener ab. Da sie nicht auffindbar war, geriet sie langsam in Vergessenheit. Sophie und Aramis mussten auf den Unterhaltungswert einfacher Bücher Belletristikspate zurückgreifen. Charles Corday hatte sich wieder eine Geliebte genommen. Sie war klein und zierlich, mit biegsamen Gliedmaßen, einem traumhaften Busen, glutvollen Augen und verstand es amüsant zu plaudern. Anders als bei seinen vorigen Liebschaften versuchte er ihre Oberfläche zu durchdringen und zu tieferen Schichten vorzustoßen. Bald musste er sich eingestehen, dass da nichts war. Zum ersten Mal genügte es ihm nicht, dass die Frau in seinen Armen schön, begehrenswert und zeitweilig war. Etwas hielt ihn davon ab, sich ihr wirklich hinzugeben. Etwas, was er niemanden anvertraute und sich selbst nur ungern eingestand, obwohl es ihn Tag und Nacht beschäftigte. Wie konnte ein Mann sauber bleiben und sich nicht dem Verbotenen hingeben, wenn überall in seinen Träumen ein paar blaue Augen, weiche Lippen und ein spöttisches Lächeln wartete? Auch wenn es zur Zeiten der Römer üblich war, dass es sowohl anders, als auch gleichgeschlechtliche Liebespartner gab, war zu seiner Zeit verboten und verpönt. Er selbst verachtete sich für seine Gefühle, aber ändern konnte er sie nicht. Auch er hatte die Schundblätter und Kolumnen in die Hände bekommen. Bei einigen von ihnen, drängten sich vor seinem inneren Auge Bilder auf, bei denen ihm übel wurde, bei anderen heiß. Trotz Hemd und Hose, war es ihm unmöglich, Aramis als Mann zu sehen. Es ging nicht. Obwohl sie selbst in ihrer Verkleidung als Frau, durch das Korsette keine Formen aufwies, sah er in Gedanken immer einen Körper mit den weichen Rundungen einer Frau. Es waren sechs Wochen vergangen. Sechs Wochen, in denen er sich kaum in Whitehall zeigte, sechs Wochen, die ohne Nachricht von Aramis blieben, bis zu diesem Freitag. Athos donnerte die Faust auf den Tisch, dass dem Schwan, ein zerbrechliches Kunstwerk aus Zuckerguss und zartem Baisee der Hals umknickte und in seinem sahnegefülltem Hinterteil landete. "Er ist wahnsinnig, völlig übergeschnappt! Der König wirft ihn den Löwen zum Fraß vor!" Seine Augen irrten umher, als könnte ihm sein Cousin eine Antwort geben, aber der schwieg. Sechs Wochen lang, hatte sich seine Sehnsucht beruhigt, nun zogen sich bei der Erwähnung von Aramis' Namen seine Nervenstrenge zusammen. "Als ob diese Schundblätter nicht genug wären. Wochenlang diese Bilder und Verse, die nicht einmal mehr zum Hinternabwischen taugen. Kein König lässt das auf sich sitzen. Sie werden Aramis zur Rechenschaft ziehen und alles der Öffentlichkeit vorzeigen, bis er nackt vor ihnen steht! Wie kann er einfach nach Whitehall ziehen und sich in diesen Höllenpfuhl begeben? Er hätte mit mir sprechen müssen!" Wieder sauste die Faust auf die Tischplatte nieder. Geistesgegenwärtig fing Charles eine davon rollende Orange auf. "Was machst du dann, Monsieur Aramis, was machst du, wenn sie deinen Namen, deine Vergangenheit und Nacktheit wollen?" "Redest du mit dem Kerzenleuchter", fragte sein Cousin trocken. "Charles!" Abwehrend hob Corday die Hände. "Schon gut, beruhige dich! Er hat schließlich der Königin das Leben gerettet." "Das zählt nicht! Dem König liegt noch nicht einmal etwas an Henrietta und das Bündnis mit Frankreich ist durch die geplanten Kriegspläne hinfällig. Solang sie nicht schwanger ist, ist sie bedeutungslos." Wütend ließ sich Athos auf den Stuhl fallen. "Er verschwindet ohne eine Wort zu sagen und taucht auf ohne ein Wort zu sagen. Was hat er mit de Meyé vor? Was mit Broussard? Das kam bisher noch nie vor. Er behandelt mich wie ein Schuljunge." "Oh ha, du bist gekränkt. Kannst du es ihm verübeln, nachdem wie du ihn behandelt hast?" Athos Braune beschrieb einen Halbbogen über der finster gerunzelten Stirn. Zu seiner Schande musste er sich eingestehen, dass er wirklich gekränkt war. Es war Aramis Mission. Es war ihre Aufgabe de Meyé handzahm zu machen. Somit lagen die einzelnen Entscheidungen in ihrer Hand. Und was war mit ihm? Es war im unmöglich vorauszusehen, was Aramis als nächstes tat. Was dachte sie? Dabei richtete er seine Neugier im Allgemeinen nicht auf das Innenleben einer Person. Athos hatte nie wissen wollen, was Aramis oder Porthos dachten, hatte nie ihre Tiefen ausloten wollen. Was ihm an der Oberfläche entgegentrat, nahm er als die ganze Person. Er fürchtete nicht die Fragen des Königs. Athos wollte nicht, dass sein Cousin erfuhr, dass Aramis eine Frau war. Und das alles nur wegen Marie. Er war von ihr verletzt und verraten worden. Deshalb misstraute Athos den Frauen. Nur sie hatte er in seinem Leben geliebt und als Marie ihn betrog, schwor er sich niemals mehr zu lieben oder dem weiblichen Geschlecht zu vertrauen. Er hatte ihr seinen Titel und seinen Namen angeboten und was schlimmer war, -sein Herz mit dazu. Sie war arm gewesen. Seinen Titel und Namen hatte sie gewollt, aber nicht sein Herz. Aus Scham den Verpflichtungen seines Blutes, wegen der Liebe, nicht nachgekommen zu sein, hatten sie ihn von zu Hause fortgetrieben. Er wurde ein Musketier, ein Namenloser. Athos seufzte innerlich bei den Gedanken an sie. Marie, solch ein zerbrechliches Wesen, das die meiste Zeit auf der Chaiselongues verbrachte und Besucher empfing. Er selbst war damals nicht gerade ein Bild von einem Mann gewesen, darüber machte er sich keine Illusionen. Zu jung, zu schlaksig, zu blass. Vom jungen Olivier zum Musketier Athos dauerte es einige Jahre und mehrere Fechtstunden. Nun war er ein staatlicher Mann, nur fehlte es ihm an Vermögen. Ironie des Schicksals, dachte Athos grimmig, aber seine mittellosigkeit trennte wenigstens die Spreu vom Weizen, wenn es um das weibliche Interesse an seiner Person ging. Charles hatte Aramis einen Heiratsantrag machen wollen. Zu seinem Erstaunen, sah Athos in Aramis wirklich die Frau. Eine Frau mit der Weichheit ihres Körpers, diesem Geruch, den Gebärden, den merkwürdigen Stimmungen und der Tatsache, dass sie manchmal schwächer und oft stärker, als ein Mann sein konnten. Mit ihren animalischen Mutterinstinkten und ihrem kokettierenden Lächeln. Aramis entsprach zwar überhaupt nicht dem Typ Marie, aber war sie deshalb besser? Keiner Frau konnte man vertrauen und Aramis hatte sie alle betrogen. Er bedachte seinen Cousin mit einem prüfenden Blick. Charles zog es noch immer zu Aramis hin, dass spürte er. Nein, er würde nicht zulassen, dass Charles von Aramis wahrem Geschlecht erfuhr. Seiner ersten Liebe hatte er den Namen la Fere versprochen, eine zweite Betrügerin würde er im Kreis der Familie nicht dulden. War es wirklich nur das oder das weniger hehre Gefühl von Eifersucht? Eifersucht, wie er sie seit langem nicht mehr gekannt hatte. "Sie werden sich wie die Assgeier auf ihn stürzen", sagte er leise. Kapitel 30: Eine Frage des Auftretens ------------------------------------- Eine Hand griff unsanft am Aramis Oberarm und zog sie mit sich. Sie raffte ihre Röcke, um nicht über den langen Saum zu stolpern. Die Königin versuchte mit tippelnden Schritten aufzuholen. Ihre Hofdamen folgten ihr, wie ein aufgeregter Schwarm Hühner. Die Köpfe gingen emsig vor und zurück, um ja nichts zu verpassen. Leise wisperten ihre Stimmen. Hohl klangen die Schritte in den hohen Plateauschuhen über dem steinernen Marmorboden, in den weiten Fluren. "Ihr hättet bei den Cordays bleiben sollen", raunte die Königin ihr kaum hörbar zu. Ihre Augen irrten nervös über den Gang. Der Brustkorb senkte sich hektisch unter dem steifen goldbestickten Mieder, so sehr strengte sie sich an, mit der Geschwindigkeit Schritt zu halten, die Aramis mit ihren langen Beinen vorlegte. Wurde Aramis langsamer, bekam sie einen groben Schubs von noch gröberen Händen. Mit gewichtiger Miene schob sie der königliche Sekretär unbarmherzig vorwärts. Sein Gesicht sprach aus, was alle dachten. Hier fiel das Henkersbeil. Zack und ab der Hals. Henrietta atmete schwer. "Ich kann Euch nicht schützen, aber die Cordays sind mächtig, sie könnten." Aramis schwieg. Die Zeit hatte ihr den unschätzbaren Wert des Schweigens und der Verstellung gelehrt. Die hohen Spiegel in Goldfassung warfen ihr Bild zurück. Eine andere Frau, als der Musketier der letzten Jahre, blickte ihr entgegen. Jung, hoch gewachsen und schön. Sie hatte ein dunkelblaues Kleid gewählt, so dunkel, dass es fast schwarz wirkte. Ihre Körpergröße und das hochgeschlossene Kleid, gaben ihr in dieser Traube aus bunt gekleideten blassen Engländerinnen etwas aus dunklen Vermutungen und unergründlichen Geheimnissen. Der stolze Gang und der klare Blick verrieten nichts von ihrer Anspannung. Wie oft hatte sie schon ihre Angst bezwungen, um trotz der Gefahr der schändlichen Aufdeckung, Verurteilung und dem Tot weiterzumachen. Sie hatte eine Mission und sie würde diese erfüllen. Frauen mochten ein anderes Ehrgefühl als Männer haben. Ein Stolz und eine Ehre, welche in der Welt der Männer als charakterlos und wankelmütig bezeichnet wurde, doch darum nicht weniger bindend. Sie waren vor der großen Flügeltür zum Thronsaal angelangt. "Madam, Ihr tretet vor dem König, wahrt die Etikette!" Sir Mattwig Fitzsimmson, Sekretär seiner Majestät, wollte dem Gardist zunicken, aber die Königin unterbrach ihn und zog Aramis beiseite. Aramis musste sich herunterbeugen. "Comtesse, ich weiß, wir kennen uns erst kurze Zeit", hauchte Henrietta kaum hörbar in ihr Ohr und lächelte unsicher. "Aber was Ihr für mich getan habt, kann ich Euch nie vergelten. Ihr seid ein Segen für mich, so wie dieser Mann", sagte sie bitter, mit einem Blick, der sich auf die Tür richtete, hinter der der König wartete, "ein Fluch ist. Passt auf Euch auf!" Ein letzter fast liebevoller Blick, dann trat sie zurück. Mit einem letzten grimmigen Blick in den Spiegel betrat Aramis hinter Fitzsimmson den Thronsaal. Jetzt galt es Contenance zu wahren. Karl thronte erhaben auf dem rot gepolsterten Thron auf dem Podest. Er war alleine. "Henrietta?" Die königliche Braune hob sich pikiert. "Majestät!" Henrietta hickste aufgeregt und wurde rot. Ihr Hofstaat war draußen geblieben. Stumm und aufgeregt lauschend. "Ihr wollt sicher die Andacht nicht verpassen!" Karl ließ in seiner Stimme keine andere Auslegung, als die eines Befehls, möglich. Henrietta holte Luft, wagte es aber nicht dem König zu widersprechen. Widerstandslos verließ sie den Saal. Karls Augen waren so hart und starr, wie das kalte Metal seiner Würde. Unverblümt taxierte er die vermeintliche Comtesse mit einem unergründlichen Blick über die Länge des Saals hinweg. Aramis musste sich zusammennehmen nicht zurück zu starren. Demütig hielt sie die Lider gesenkt. Seine Stimme klang scharf und schneidend, wie ein Schwert. "Nun, Ihr seid am Hof zurück, Comtesse und gesund!" Eine Feststellung, keine Frage. Aramis versuchte das Zittern zu unterdrücken. Die dunklen Augen durchbohrten sie. "Warum seid Ihr aus dem Zelt verschwunden?" Der große Saal warf das Echo seiner Stimme zurück. "Nun, ich konnte doch nicht ..." Aramis befeuchtete die trockenen Lippen, "ich konnte doch nicht ...." "Ja?" "Er ist Leibarzt seiner Majestät. Ihr seid von Gott als Herrscher eingesetzt und ich nur eine unvermögende Adlige vom Land." Ihre Stimme erstarb. "War dies Eurer einziger Grund?" "Ja, natürlich." Sie hatte keine Ahnung, wie ihr diese Lüge über die Lippen kam, aber sie schien Karl zu gefallen. Kein Herrscher war gegen Schmeicheleien unempfänglich. Demütig senkte sie das Haupt. "Also ist an den Gerüchten nichts dran?" "Nein, Eure Majestät. Ich weiß nicht, wie sie zustande gekommen sind." "Aber Eurer eigener Sekretär hält Euch für einen Mann." Aramis zitterte unmerklich. Sie hatten Broussard verhört? "Sire, mein Sekretär hält Flohpuder für die größte Erfindung der Menschheit, obwohl selbst Flöhe vor ihm Reißaus nehmen." Der König lachte lautlos für den Zehntel einer Sekunde, dann thronte er wieder erhaben und unterkühlt auf seiner Königswürde, wie das jüngste Kind auf dem viel nachgiebigen Herzen einer Mutter. "Wie heißt Ihr? Keine Verstellung, keine Lügen!" "Reneé de Herblay, Eure Majestät." "Ich weiß wer ich bin! Seid Ihr eine Frau!" "Ja!" "Eine Adlige?" "Ja!" "Schwört es, bei allem was Euch heilig ist!" "Ich schwöre es auf alles, was Ihr wollt." "Warum seid Ihr dann inkognito hier?" "Ich bin von zu Hause fortgelaufen, Eure Ma ... Ich bin von zu Hause fortgelaufen." Karl entspannte sich merklich und rutschte tiefer in das steife Polster. "Also eine Rebellin? Da habt ich einer Rebellin Einlass an meinem Hof gewährt! Warum?" "Man wollte mich verheiraten, gegen meinen Willen!" Das war der Trick an der ganzen Sache. Man hielt sich weitestgehend bei der Wahrheit, der Rest war lediglich eine Interpretationsfrage dieser. "Die Flucht scheint Euch nicht geglückt zu sein, Mademoiselle. Verdanken wir Graf de la Feres Anwesenheit dem Umstand, dass er seine entflohene Braut zurückholen will?" "Ja, Eure Majestät!" "Graf de la Fere scheint mir eine gute Partie zu sein. Jedenfalls ist der restliche weibliche Hof davon überzeugt, die ihm scharenweise hinterher rennen. Er wird Euch vergeben, dass Ihr ihm dem Spott ausgesetzt habt und zur Gräfin de la Fere machen." Das hieß soviel, dass der König Athos befahl, sie zu nehmen. Bei dem Satz schwang ein Stolz in seiner Stimme, als sei er für das Phänomen Athos verantwortlich. Karl stutzte. Sah er sie grinsen. Er hegte den starken Verdacht, dass die junge Frau vor ihm gar nicht zu warten gedachte, bis ein Mann sie wählte, sonder sich den Mann selber aussuchte. Und wenn sie eine alte Jungfer war, dann gewiss nicht, weil keiner sie gefragt hatte. Das durfte nicht sein. Die Frau bedurfte einer starken Hand durch ihren Ehegatten. "Nun heiratet ihn endlich, dann hat die ganze Unruhe ein Ende! Mein Kind, Ihr braucht jemanden, der auf Euch achtet. Graf de la Fere scheint uns der Richtige zu sein", befahl er schließlich gutväterlich und entließ sie. Aramis widersprach nicht, knickste und verschwand mit ihrer Erheiterung. Gemeinhin erzog der Landadel seine Kinder mehr in Gottesfurcht, als die hohen Adelshäuser. Aramis Erziehung hatte alles beinhaltet, was eine junge Adlige mit Hinblick auf ihren eigenen Haushalt wissen musste, mit Anstand und Manieren, hatte sie gelernt Gottes Wort zu befolgen. Sie glaubte buchstäblich jedes Wort der Bibel, sah nur die Interpretation etwas freier. Natürlich war der Mann zu erst erschaffen worden, aber sie glaubte nicht, dass Gott ihn klüger geschaffen hatte. Vielleicht konnte sie im Park ausreiten gehen, dachte sie, als die Tür hinter ihr schloss. Ihr Blick trübte sich finster, angesichts der Höflinge, die sich eingefunden hatten. Die Gespräche erstarben und alle Augen wendeten sich Aramis zu. Ihre Gesichter waren starr vor Neugier und Sensationslust. Die sexuelle Erfüllung ihres Trieblebens reichte längst nicht aus, ihre Lüsternheit zu befriedigen. Intrigen und Missgunst, hemmungslose Neugier und die Sucht nach Gerüchten nahmen einen viel höheren Stellenwert ein. Sie hielten die gepuderten Nasen hoch und witterten. Keine Palastwache, die sie in Ketten fortführte. Zu ihrer Überraschung zerteilte sich die Menge, wie das rote Meer unter Moses Stab und das Ende spülte Athos und seinen Cousin aus. Die Blicke folgten den beiden, die sich mit sorgevollen Gesichtsausdruck Aramis näherten. Schweigend standen sie sich die beiden Musketiere gegenüber und wussten sich nichts zu sagen. Schweigend beobachtete der Hofstaat jeden ihrer Bewegungen ohne den Anstand zu besitzen zu gehen. Hier und da dachte einer verstohlen an die ein oder andere Karikatur, die er in einem Werk Homers oder Shakespeare versteckt hatte. "Geht nach Hause!", rief Aramis in die Stille und sah sie herausfordernd an. "Das Schauspiel ist vorbei. Heute wird keiner geköpft." Man tuschelte aufgebracht, rümpfte pikiert die Nase und eilte erhobenen erhaben Hauptes davon. Ein zufriedener Ausdruck erschien auf Aramis Zügen. Athos blickte auf und erwiderte ihr Lächeln, erleichtert, dass es ihr gut ging. "Und?" Aramis grinste sichtlich erheitert. "Ich soll dich heiraten." Er kannte Aramis Meinung zu der Ehe. Nachdem ihr Verlobter starb, man sie um eine Trauung und ein trautes Familienleben gebracht und sie den Geschmack der Freiheit gekostet hatte, hielt sie die Ehe für eine künstlich erschaffene Institution, von den Männern erdacht, um die Frauen zu knechten. Er konnte sich vorstellen, wie erheiternd sie die ganze Sache fand. Er grinste zurück. "Ich werde nachsehen, wann ich Zeit habe. Was sagt der König? Keine Verurteilung, kein Verhör?" Aramies sah die Fassungslosigkeit auf seinem Gesicht. Sie genoss die Verwirrung, die sie stiftete. Deshalb bekam sie das Grinsen nicht mehr aus ihrem Gesicht. Lächelnd schüttelte sie den Kopf und zuckte nichtssagend die Schultern. Es ist unglaublich, dachte Athos ungläubig, sie ist wieder einmal davon gekommen. Skeptisch schwankte er zwischen Verbissenheit und Erleichterung. Die Erleichterung gewann. "Kannst du zaubern?" "Nein", sagte Aramis leichthin. "Vielleicht ein wenig bezirzt." "Warum hast du deinen Scharm nie beim Kardinal eingesetzt." "Hab ich doch", erwiderte sie trocken. "Deshalb bin ich ja hier." Beide grinsten sich im stillen Einvernehmen an. Er sah das Funkeln ihn ihren Augen. Seit einiger Zeit dachte er immer häufiger an Marie zurück. So zog er direkte Vergleiche zwischen beide Frauen. Ihm ging auf, was für eine leidenschaftliche Person Aramis war. Das zeigte sich nicht nur, in dem Feuer, mit dem sie zurück schoss, sondern auch wie sie lachte, litt und einfach lebte. Ihn durchzuckte der unziemliche Gedanke, dass sie auch in der Liebe leidenschaftlich sein musste. Er fand ihr Lächeln plötzlich sehr anziehend. Charles runzelte leicht die Stirn. Er spürte die Befangenheit seines Cousins. Gegensätzlich zu seinem sonstigen Verhalten sah man ihm das an. Er selbst sagte sich, Aramis war ein Mann und es durfte nicht sein. Ein Engländer tat so etwas nicht. Jedenfalls keiner aus dem Hause Corday, dessen Blaublütigkeit man bis in die frühen Jahrhunderte zurückverfolgen konnte. Einer dessen Vorväter dem Oberhaus unterstanden und enge Freundschaften mit den jeweiligen Herrschern pflegten. Die jeweilige Dame des Hauses war ein Musterbeispiel an höfische Manieren und kannte ihren Platz in der Gesellschaft. Ein Corday tat so etwas nicht. Er atmete tief durch, seufzte schwer und sah sie sehnsüchtig an. Liebkoste mit den Augen ihre Züge. Die Mimik ihres Gesichts, die Sprache ihrer Augen. Sein Kopf sagte das eine, seine Drüsen befanden sich in Überproduktion und sprachen etwas ganz anderes. Nein, keine schlaflosen Nächte und kein Körper der ihn verriet. Im Nebel hörte er, wie Athos neben ihm sagte. "Wir haben deinen Sekretär mitgebracht. Broussard schien wenig erfreut, dich wieder im Palast zu wissen." Als ihr "Verdammte Scheiße!", entfuhr, geriet er in Verzückung. Er sah das Lächeln von ihrem Gesicht verschwinden. Verstört musterte sie die beiden. Mit einer gemurmelten Entschuldigung zog Aramis sich zurück und mit ihr verschwand das Gefühl von Leichtigkeit. Enttäuscht und bedauernd sah er ihr nach. Ärgerlich rückte er seinen Rock zurecht. Hinter der langen Fensterreihe zum Park, tanzten die Sonnenstrahlen auf der Teichoberfläche, die Vögel zwitscherten vergnügt und die Bäume standen im satten Grün. Für die gesamte sommerliche Szenerie von Frohsinn und Harmonie hatte Frederik Broussard nicht einen Blick, geschweige denn einen Gedanken übrig. Er hatte es eilig in sein Zimmer zu kommen. Wie konnte diese Dirne es wagen ihn abzuweisen? Das Sophie ihn zugunsten des Hermaphroditen verschmähte, hatte sein Selbstbewusstsein nicht im Mindesten geschmälert. Irgendwann würde sie zu ihm kommen. Er konnte warten. Ihren Widerwillen übersah er geflissentlich. Ihr Missfallen war letztendlich nur gespielt, um sein Interesse zu wecken. Frauen taten letztendlich das Gegenteil von dem was sie sagten. Das lag in ihrem leicht beeinflussbaren, niederen Wesen. Aber das die Bedienstete einer nichts sagenden Lady ihn auch wegstieß, überstieg sein Fassungsvermögen. Die Hure hätte ja nicht gleich zu Schreien beginnen müssen und gekratzt hatte sie ihn auch. Broussard dem sein Ärger noch im Gesicht geschrieben stand, stolperte zu seinem Zimmer. Während er lief, richtete er sich seine Hose. Endlich hatte er die Tür erreicht. Vor knapp zwei Monaten musste er viel zu schnell umziehen. Er hatte nicht mehr die Zeit gehabt sein Versteck auszuräumen und zu dem Stadthaus der Cordays zu schmuggeln. Hoffentlich befanden sich seine geheimen Aufzeichnungen noch an Ort und Stelle? Gut, dass der Mädchenjunge an den Hof zurückgekehrt war. So befand sich Broussard wenigstens in unmittelbarer Nähe seines zweiten Auftraggebers. De Meyé zahlte für seine Dienste wesentlich besser, als der Kardinal. Seine Ergebenheit galt dem Geld, damit dem Grafen. Aramis hatte einen großen Fehler begangen, als er sich verwunden ließ. Ganz London sprach über die Frage seines Geschlechtes. Sollte er sich doch beim König den Schädel einrennen und weiterhin als Gespött des Hofstaates dienen. Nach Broussards Meinung war er ohnehin eine Witzfigur. Als Mann mit der glatten, bartlosen Haut, dem blonden Haar sowieso kaum zu gebrauchen. Lachhaft, dass er ein Musketier war. Neigte der Kapitän zu Knaben? Hatte Aramis das Bett des Kapitäns geteilt? Er zuckte die Schultern. Das wäre eine Erklärung, aber was ging es ihn an. Broussard war es unverständlich, wie sich Aramis aus dem Gespräch mit dem König herauswinden konnte, aber dem elenden Musketier würde ein weiterer Fehler unterlaufen. Das war gewiss. Er schloss die Tür hinter sich und sah sich um. Dann rollte er den Teppich beiseite und ließ sich auf Knien nieder, um die Dielenbretter abzuklopfen, bis das Geräusch ihm den Hohlraum verriet. Ein Buch traf ihn am Hinterkopf. "Suchst du das hier?" Aramis trat aus dem Schatten der Tür hervor. Broussard ächzte. "Unter den Dielen. Also wirklich, dort wo man zu erst sucht. Das ist nicht sehr einfallsreich". Sie schnalzte missbilligend mit der Zunge. "Eine nette Lektüre." Die Waffe glänzte frisch poliert in ihrer Hand. "Willst du mich umbringen", fragte Broussard mit belegter Stimme, den Blick hypnotisch angezogen von dem dunklen Holz der Schusswaffe. "Aber nicht doch. Ich habe das Buch kopiert. Es ist schon auf dem Weg zum Kardinal." Broussard entfuhr ein Schrei. "Du Kastrat, du Hurensohn, Bastard einer ...", schrie er mit so schriller Stimme, als wäre er eine Frau und wollte sich auf sie stürzen. "Vorsichtig!" Aramis Waffe und der kalte Glanz ihrer Augen stoppte ihn. "Nicht so übereifrig, Broussard. Was hat de Meyé vor?", fragte sie mit distanzierter, lediglich von beruflichem Interesse zeugender Stimme. Sprachlos vor Hass starrte er sie an. Speichel lief aus seinen farblosen Lippen und tropfte auf den schwarzen Wams. "Ich schieße", sagte Aramis, "wenn Ihr es mir nicht sagt!" Ihre Augen berichteten ihn nichts gegenteiliges, zu ihrer Aussage. Noch immer schwieg er. Sie zog einen schmalen Dolch aus ihrem Gürtel, warf die scharfe Waffe in die Luft. Der Dolch drehte sich, landete sicher mit der Schneide in ihrer Hand und wirbelte mit schnellen Drehung auf ihn zu. Der Wurf kostete Broussard einige Lebensjahre, mehrere Haare und das halbe Ohr. Er quiekte, als das Blut seitlich an seinem Nacken herunter rann. Vor Schrecken spürte er den brennenden Schmerz nicht gleich. "Ich weiß kaum etwas", presste er hervor. In ihrem regungslosen Gesicht zuckte es kurz. "Erzählen Sie mir alles!" Broussard wusste wirklich wenig. Er war ein kleiner Informant, der mit mittelmäßigen Informationen handelte. Aramis verstand, warum Athos Broussard nicht für handlungsnötig hielt. Er richtete kaum Schaden an und war zu bedeutungslos. "Der Graf trifft sich heute Abend mit David Heydon, um ihn ihm neue Informationen für den Informanten zu übergeben. Aber weder Heydon noch ich wissen, wer das ist, noch woher er kommt und die Informationen bringt. Der Graf würde uns näheres nie anvertrauen", schloss er tonlos. Broussard war zweifellos ein guter Schauspieler, aber so hätte es vollendeter Kunst bedurft, um sein Aussehen anzunehmen. Er war aschfahl, Schweiß lief ihm über das Gesicht. Er presste die Hand an die Seite, um das Zittern zu unterdrücken. Die Augen schienen ihm aus den Höhlen gequollen zu sein. Sie nickte nachdenklich. "Also wieder Heydon. Wenn etwas funktioniert, warum dann ändern." Aramis dachte ärgerlich jenen unseligen Abend zurück, wo sie das Treffen zwischen Heydon und dem Informanten nicht verhindern konnte. Ein weiteres Mal durfte das nicht passieren. Nicht wenn sie endlich nach Hause zurück wollte. Es schien ihr eine Ewigkeit her. Athos war noch nicht in England und kein de la Ferè. Der Mond schien hell, sein kaltes Licht tanzte über das Wasser. Die Ruderblätter tauchten gleichmäßig unter. Corday, der sich näher beugte. Seine Augen glimmten, sie roch ihn, fühlte sein Knie an ihrem, dass Kribbeln in ihrem Bauch, dann den Kuss. Ein kurzer Augenblick und schon vorbei. Nicht der Kuss an sich hatte sie erregt. Sein Kuss vermochte nicht einmal ein Teil des Feuers einfangen, den eine bloße Berührung von Athos in ihr entfachte, aber für diesen kleinen Moment gab er das Gefühl zurück eine Frau zu sein. Begehrenswert, schön und jung. Ein Gefühl, dass sie seit sieben Jahren misste und weder Kleider, noch höfisches Benehmen zurückholen vermochten. Dieser kurze Kuss hatte es vermocht, trotz dreckiger, blutbesudelter Männerkleidung, zerzausten Haaren und blessiertem Gesicht. Von ihren Erinnerungen abgelenkt, bemerkte Aramis nicht, wie Broussard den Stuhl griff und ihr entgegenschleuderte. Sie hob die Hand, um sich zu schützen und sprang zur Seite. Schmerzhaft landete sie auf dem Boden. Broussard sah sie am Boden liegen, bekam den nächsten Stuhl zu fassen und war blitzschnell über ihr. Seine Furcht verlieh ihm ungeahnte Kräfte. Aramis sah eher ärgerlich, als wütend zu ihm auf. "Was soll das?" fauchte sie. Dann schlug er zu. Dunkelheit umfing ihre Sinne. Broussard sah Aramis zusammenbrechen und die Sinne verlieren. Schwer atmend stand er über der reglosen Gestalt und hielt noch den Stuhl in den Händen. Vor Hass unfähig einen klaren Gedanken zu denken, sah er auf den Körper und der Waffe in der Hand nieder. Aramis hatte ihn seine monatelange Arbeit, zwischen Kardinal und Grafen, gekostet. Der Musketier war vom ersten Moment an ein ständiges Ärgernis gewesen und nun würde er dafür sterben. Er hob die Waffe auf und spannte den Abzug. Dann überlegte er es sich anders und legte sie wieder beiseite. Die Geräusche eines Schusses wären zu laut und auffällig gewesen. Er griff nach dem Dolch in seinem Stiefel. Er hob den Dolch und stieß zu. Die Schneide prallt auf Widerstand und rutschte ab. Irritiert betrachtete Broussard die Waffe und strich prüfend mit dem Finger über die Klinge. Der Stoff war zerschnitte. Weiter schien die Klinge nicht gekommen zu sein. War der Kerl aus Eisen? Wieder hob er den Dolch und stieß zu, wieder stieß er auf Widerstand. Schließlich erinnerte er sich an das Korsette, dass Aramis zu tragen pflegte. Aramis war noch nicht erwacht. Broussard's Blick glitt zu der rechten Hand, an dessen Mittelfinger einen großen Tintenklecks aufwies. Die dunkle Farbe sagte ihm, dass er frisch war. Also wurden seine Aufzeichnungen gerade erst abgeschrieben. Folglich musste Aramis sie noch bei sich tragen. Bloß wo? Der Rock besaß keine Taschen. Broussard ließ sich auf die Hacken fallen und überlegte angestrengt. Sie mussten im Korsette stecken, aber durch den engen Halsausschnitt kam er nicht heran. Er drehte die leblos Gestalt auf die Bauch und öffnete mit der Dolchklinge die Verschnürung des Kleides am Rücken und die oberen Schnüre des Korsetts, dann drehte er den Körper zurück. Die Panzerung darunter ging bis zum Schlüsselbein. Er griff an der Oberkante, unter Miederwäsche und Korsette hinein. Da waren die Papiere. Mit der Fingerspitze fühlte er ihre Ränder. Seine Finger tasteten weiter. Er stutzte. War das ein Verband? Seine Hand glitt über den festen Stoff und die runden Formen einer Frauenbrust. Er drückte und zog wie verbrannt die Hand zurück. Was war das? Broussard schob erneut seine Hand hinein und tastete die Wölbungen ab. Eindeutig, unter dem Verband befand sich, wenn auch gepresst die Brüste einer Frau. Dann war er wirklich ein Mädchenjung, der die Laune der Natur hinter Binden und Kleidung verstecken musste. Broussard kam es gar nicht in den Sinn, dass Aramis eine ganz normale Frau sein könnte. Vorsichtshalber fühlte er noch einmal. Ob Kontrolle oder einfach nur Lüsternheit? Broussard hätte wohl nie gedacht, dass er, als er vor einer Stunde auszog einen willigen Frauenkörper zu finden, seine Formen bei einem Mann am nächsten gekommen zu sein. Aramis stöhnte und bewegte den Kopf leicht. Er schob die Hand tiefer, griff nach den Papieren und zog sie heraus. Ein letztes Mal blickte er auf die ohnmächtige Aramis nieder, dann ergriff er die Flucht. Kapitel 31: Falsches Fenster ---------------------------- Aramis rieb sich vorsichtig den Hinterkopf. Sie fühlte deutlich die Schwellung. Hinter ihrer Stirn malträtierten sie mörderische Kopfschmerzen. Sie spähte um die Ecke, ob dort jemand war, dann bewegte sie sich langsam und bedächtig den Gang hinunter, denn sie musste Kleid und Schädel zusammenhalten. Sie trug besonders schwer an dem Wissen, mit welcher Erkenntnis Broussard geflohen war. Stöhnend fuhr sie mit der Fingerspitze über die Handteller große Beule. Sie war abgelenkt gewesen. Ein tödlicher Fehler. Schuld daran, gab sie Athos und Corday und den merkwürdigen Blicken, mit denen sie sie bis in ihre Gedanken verfolgten. Mit einem Mal erwachte sie aus einer Ohnmacht, fand sich mit offenem Kleid und ohne die Dokumente wieder. Schauer liefen ihr wie Spinnenbeine über den Rücken. Nicht auszudenken, wo er seine Hände gehabt hatte. Wenn man von dem Umstand absah, dass er sie bestimmt nicht an den Beinen gepackt und ihr die Papiere herausgeschüttelt hatte, dann brauchte sie nicht lange zu überlegen. Ihre Räume waren von der warmen Sommersonne erwärmt und ihre Strahlen blickten hell und freundlich durch das Fenster. Sie sah und spürte von alldem nichts. Ihr war kalt. Fast mechanisch streifte sie Kleid und Korsette ab. Faltete beide Kleidungsstücke übertrieben akkurat zusammen und legte sie in die riesige Reisetruhe. Was war passiert? Bis auf die losen Schnüre war sie vollständig bekleidet erwacht. Um ihre Brust hatte noch immer die festsitzende Binde gesessen und nirgends waren Spuren von Verletzung oder Blut gewesen? Spürte man durch die Besinnungslosigkeit, wenn sich jemand an seinem Körper vergriff? Was mochte er mit ihrem Geheimnis tun? Broussard's Rattengesicht ließ sich nicht aus ihren Gedanken vertreiben. Sie schlang die Arme um den Oberkörper, aber wärmen konnte sie sich nicht. Sophie war unterwegs. Aramis war alleine. Diese Einsamkeit war es, die sie am meisten verspürte. Der Trübsal, der sie ergriffen hatte, verließ sie nicht mehr und zehrte an ihren Kräften, lähmte ihren Tatendrang und hielt sie davon ab, sich konzentriert ihrer Aufgabe zu widmen. Aramis fühlte sich wie der einsamste Mensch auf Gottes Erden. Sie ging zum Spiegel und holte die zahlreichen Nadeln aus ihren Haaren. Aramis war so sehr in Gedanken und Sorge vertieft, dass sie nicht bemerkte wie die Tür aufging und eine andere Person den Raum betrat. Erst als sein Bild in ihrem Spiegel ihren Blick traf, erschrak sie. "Was ist passiert?", fragte Athos. Es wunderte ihn, sie in Unterrock und Hemd vorzufinden. Sie erzählte es ihm. "Schwein", sagte er und merkwürdigerweise half es. Er sah sie an, wie sie dastand, mit halbaufgelösten Haaren, losem Kleid, aber Augen, die so weit aufgerissen waren, dass sie das ganze Gesicht einzunehmen schienen, ohne etwas zu sehen. "Aber warum hast du ihn zur Rede gestellt? Wenn er noch mit anderen zusammenarbeitet, werden wir es nie wissen. Wie weit reicht de Meyé's Spionagenetz? Wer sind seine Verbindungsmänner? Wie arbeiten sie, wann und wo? Alles Fragen, die uns Broussard vielleicht beantwortet hätte. Nun ist er weg. Wir sollten nicht gegen einen einzigen Mann arbeiten, sondern gegen eine ganze Gruppe. Wie konntest du dich überrumpeln lassen und das mit einer Waffe in der Hand? Du bist ein Musketier, so etwas hätte dir nicht passieren dürfen!" Sie sah ihn nur traurig an. Das wusste sie selbst nur zu gut. Athos Wut verrauchte. Er musterte Aramis besorgt, deren Rücken sich unter einer unbekannten Last zu beugen schien. "Was ist?" "Broussard hat ein schweres Geheimnis mitgenommen", sagte sie langsam. "Du weißt doch, was in seinen Aufzeichnungen stand. Schreib sie aus dem Gedächtnis!" Aramis stützte die Hände auf die Fensterscheibe und legte den Kopf auf darauf ab, um ihr Gesicht zu verbergen. Er verstand nicht, wie auch. "Worüber machst du dir Sorgen?", fragte er und schaute sie sanft aus seinen grauen Augen an. "Nichts", murmelte sie, in der Beuge ihres Ellenbogens, weil sie seine Augen nicht ertragen konnte. "Du blutest am Hinterkopf." Er sah die blutverfärbten Strähnen in ihrem Haar. "Wahrscheinlich durch den Schlag", erwiderte sie müde, "Es ist nichts", und wehrte sich gegen die Hand, die ihren Arm ergriff und sie zum Stuhl zog und niederdrückte. "Wo liegt etwas, mit dem ich die Wunde waschen kann?" Er sah den Widerstand in ihren Augen erwachen. "Dort", sagte sie schließlich und zeigte auf einen unscheinbaren Holzkasten. Aramis seufzte. "Nach der letzten Prügelei im Wirtshaus, hielt es Sophie für besser, alles griffbereit in meiner Nähe stehen zu lassen." "Fürsorgliches Mädchen", bemerkte er, während er die Strähnen beiseite zog. "Der Kapitän hat sie gut ausgesucht." "Der Kardinal um so schlechter." Zynismus lag ihr auf der Zunge, aber ihr Körper reagierte wohlig auf seine Hände. Zu wohlig und gar nicht gut für sie. Er wusch die Wunde. Gerne hätte sie bei ihm Trost gesucht. Sich einfach gehen lassen und anlehnen. "Das Broussard weg ist, lässt sich nicht mehr ändern. Pass das nächste Mal besser auf! Sonst achtest du doch auf jede kleinste Bewegung deiner Gegner?" Fast herausfordernd, erwiderte sie schnippisch "Es ist eben passiert!" und beließ es dabei. Athos nickte zufrieden. Es war wieder Farbe in ihrem Gesicht. "Belassen wir es dabei", sagte er, aber er konnte die Augen nicht von ihrem Antlitz nehmen. Irgendetwas machte sie mit ihm. Er konnte nicht sagen, dass er vorher nicht beachtet hatte. Das Androgyne an ihr, hatte schon immer einen gewissen Reiz auf ihm ausgeübt, so wie auf ihre Mitmenschen. Nicht ohne Grund liefen ihr Frauen hinterher, während die Männerwelt verwundert den Kopf schüttelte und nicht begriff, woher die Anziehung kam. Nur hatte sich Athos verboten, bei einem Mann, letztendlich Freund und Kollege je weiter zu denken. Es wurde Hand in Hand gearbeitet und es blieb bei einem Klaps auf die Schulter. Du hast ihr vertraut, Dinge erzählt, die nie das Ohr einer Frau erreichen durften und sie hat dich verraten und belogen und das jahrelang, rief er sich in Erinnerung. Wenn Männer sich den Platz am Lagerfeuer teilten und gemeinsam zu den Waffen griffen, dann verband sie etwas. Die gegenseitige ruppige, unbeholfene Zuneigung schürte ein Band, das über die Beziehung zu einer Frau hinausging. Aramis hatte die gesamte Spanne ihre gemeinsame Zeit nicht gereicht, ihr Schweigen zu brechen. Stattdessen zogen sich die Jahre mit einer Lüge dahin. Mit Aramis Verrat war eine ganze Welt zusammengebrochen und hatte eine nicht zu schließende Lücke dagelassen. Er fühlte sich zu recht hintergangen, ausgelaugt, erschöpft, wütend, verraten und ungläubig dumm. Worauf konnte man sich in der Welt noch verlassen, wenn der eigene Kamerad sich, als so ein diffuses Wesen, wie das der Frau entpuppte. Er begegnete Aramis' prüfenden Blick und der rechten hochgezogenen Braue. Er schloss den Kasten mit einem Knall und stellte diesen energisch auf den Tisch. Fluchtartig verließ er das Zimmer. Heydon war alleine im Salon des Diplomaten. Sichtlich unwohl saß er zwischen den kostbaren Möbeln und tupfte sich die schweißnasse Stirn. Der Kopf lag eingesunken zwischen den hängenden Schultern. Plötzlich betrat de Meyé den Raum und schlug sich mit einer Reitpeitsche fortwährend gegen den Oberschenkel. Mit jedem Schlag zuckte Heydon zusammen und ließ das Taschentuch fallen. "Heydon, ich habe Euch gewarnt!", legte er unvermittelt los und ließ den Peitschenknauf in seine hohle Hand knallen. Er setzte sich breitbeinig gegenüber dem verschüchterten Sekretär nieder. "Was glaubt Ihr denn, damit zu gewinnen? Ihr wollt Euch von mir zurückziehen? Und nun, nun sitzt Ihr schon wieder wie ein Häuflein Elend vor mir. Euer Adamsapfel rutscht gerade Euren Brustkorb hinunter." Der Graf weidete sich sichtlich vergnügt an Heydons Feigheit. Mr. Heydon fand das gar nicht witzig. Er schiss sich gerade vor Angst in die Hosen. Gegensätzlich zu Graf de Meyé, konnte er auf keinen privilegierten Stammbaum und der anerzogenen Arroganz zurückblicken, die sich wie ein Sichtschutz vor seine Angst schob. Dass der Graf selbst schlaflos in seinen seidenen Kissen wälzte, weil ihm seine eigenen Intrigen die Luft abschnürten, zeigte er nicht. Der preußische Baron war wütend. "Hört zu Heydon!" Der Graf beugte sich vor. "Die Weltmächte unserer Zeit bekämpfen sich untereinander. Da ist es egal ob Heiratsbündnisse, Verträge oder diplomatische Bündnisse bestehen. Niemand weiß das besser, als ein Diplomat. Und wenn Frankreich und England gegeneinander in den Krieg ziehen, dann will ich VOR einem Richelieu und einem Karl I. wissen, wie der Ausgang sein wird. Es ist letztendlich meine Position und der Name de Meyé, der zwischen die Fronten geraten wird, wenn La Rochelle in die Hände des einen oder anderen fällt. Wer das Wissen hat, der hat die Macht. So simpel ist das. Ich habe einfach nicht vor, auf Eure Dienste zu verzichten. Versteht Ihr das?", fragte er beinah sanft. Heydon riss den Mund auf, brachte aber lediglich kläglich hervor. "Graf, ich weiß nicht ..." Der Graf schüttelte bedauernd den Kopf. "Heydon, Heydon, Heydon, Ihr betrübt mich. Die ganze Zeit muss ich mich mit diesem lächerlichen Musketier durchschlagen." "Warum tötet Ihr ihn nicht oder lasst ihn auffliegen?" "Das versuche ich, Ihr Narr!", bellte der Graf. "Richelieus Spielzeug ist noch nicht Tot und solange ich ihn im Rücken zu sitzen habe, müsst Ihr folgen! Rebelliert Ihr, sterbt Ihr! Bin ich nicht Euch entgegen gekommen? Habe ich mich nicht für Euch verwendet und was ernte ich als Dank? Klägliches Versagen!" "O mein Gott ..." "Ihr bekommt einen neuen Auftrag und werdet diesen ausführen. Es wird keine durchsichtigen Ausreden mehr geben, kein Scheitern und kein Entkommen! Ich möchte Euch ungern bestrafen." "Ich kann doch nichts dafür, dass die letzte Information falsch war. Lord Corday hat Euch reingelegt, aber man hätte mich fast umgebracht!" Heydon zitterte vor Angst und Empörung. De Meyé Gesicht verzog sich zu einer hämischen Grimasse. "Noch lebt Ihr schließlich. Auch das kann ich ändern." Heydon wollte erneut widersprechen, aber der Diplomat schnitt ihm ein weiteres Mal herrisch das Wort ab. Mit wenigen Worten machte er sich daran Heydon neue Instruktionen zu erteilen. Fünf Minuten nachdem beide Männer den Raum verließen, löste sich Aramis von der steinernen Halbsäule, die zur Verzierung der Außenfassade diente und ihr Halt und Sicherheit gegeben hatte. Zu ihrem Glück hatte sie alles mit anhören können. Der Graf hatte laut und deutlich mit seinem Komplizen gesprochen. Ort und Zeit, wann sich Heydon mit dem Informanten traf, waren ihr nun bekannt. Behänden begann sie zu klettern. Vor ihrem geistigen Auge trat sie schon die Rückreise nach Paris an. Aramis spürte, wie sie unkontrollierbar innerlich zu beben begann. Während sie Halt suchte, überlegte sie, was sie unternehmen konnte. Die Luft war warm und windstill, der tiefrote Himmel dunkelte sich langsam und wurde allmählich von Sternen überzogen. Es war ihr schleierhaft, warum der Graf nicht vorsichtiger wurde und weiterhin sein Ränkespiel trieb. Man musste schon sehr naiv sein, wenn finstere Wolken am Horizont nicht an ein Gewitter denken ließen. Sie tastete sich mit der linken Hand seitwärts, fühlte glattes Glas und Halt, dann zog sie ihren Körper nach. Ihr Halt war kein Halt mehr. Sie stütze sich ab, die Glasscheibe gab nach und schwang nach innen auf. Hilflos hing sie in der Luft, fühlte sich zu zwei Seiten gleichzeitig gezogen, ohne das Gleichgewicht in der Mitte zu finden. Links fallen, verhieß einen tiefen Abgrund, mit tödlichem Aufprall. Die rechte Seite, ein dunkles Zimmer mit unbekanntem Inhalt. Aramis keuchte erstickt, ruderte wild mit den Armen und kippte, mit einem unorthodoxen Fluch auf den Lippen durch das Fenster. Aramis überschlug sich, rollte über ein am Fenster stehendes Möbelstück und riss eine schlanke Bodenvase um. Sie hörte, wie die Keramik zerbrach und fühlte die Haut unter der Schärfe der Splitter reißen. Eine Frauenstimme schrie erstickt auf. Nicht laut, nicht warnend, nur überrascht. "Comtesse?" Aramis sah benommen in das ungläubige Gesicht der Königin. Zwei Kerzen brannte, dass Zimmer war in Halbdunkel getaucht. Vorsichtig rappelte sie sich auf und hielt ihre verletzte Hand an den Bauch gepresst. Blutflecken beschmutzten das weiße Hemd breitflächig. Sie taumelte leicht. Henrietta eilte an Aramis Seite. Sie schrie nicht, sondern stützte sie. "Setzt Euch, setzt Euch!" befahl sie sanft und drückte Aramis fürsorglich auf die Sitzfläche einer Chaisoulong nieder. "Ich wusste es!" Henrietta drückte ihre Hände auf ihr wild klopfendes Herz und sah mit treuen Augen zu Aramis auf. Viel zu benommen, um zu reagieren, starrte Aramis zurück. Im Takt ihres tanzenden Herzens zog die Königin ein zart besticktes Taschentuch aus ihrem Mieder und verband die verletzte Hand. "Tief, ganz tief in meinem Herzen, wusste ich, dass Ihr nicht der wart, der Ihr vorgabt zu sein", sagte sie, während sie immer näher rückte, bis Aramis ihren Körper an ihrer Seite spüren konnte. "Nachdem Ihr mir das Leben rettetet und Eures so selbstlos einsetztet, habe ich nur in meinen Träumen zu hoffen gewagt, dass Ihr ein Mann wärt." Verdutzt schwieg Aramis und entzog ihr ihre Hand. Die königlichen Finger, flink wie Spinnenbeine, holten sie sich zurück. Sie verknotete den provisorischen Verband sorgfältig. "Ihr hattet keine Waffe, kein Schild. Nichts, hattet Ihr und habt Euch dennoch dem wild gewordenen Tier entgegengestellt. Mit Eurem bloßen Körper habt Ihr mich verteidigt und mit Eurem Mut", säuselte sie. Das war so nicht richtig, dachte Aramis. Sie hatte das Korsette und das hielt einer ganzen Artillerie stand. "Majestät, ich ..." "Sch,sch,sch!" Henriettas Finger legte sich auf Aramis Lippen und schnitt ihr das Wort ab. "Sagt nichts!" "Aba, Maeieschtät ..." "Ihr müsst es doch auch spüren?" "Was?", rief Aramis verblüfft. Henrietta riss Aramis gesunde Hand hoch und legte diese auf ihren bebenden Busen. "Fühlt Ihr mein wild klopfendes Herz?" Aramis fühlte den Boden unter den Füßen zu verlieren. Wie verbrannt zog sie ihre Hand zurück und sprang auf. Ihr Blick sehnte sich nach der Zimmertür und den vermeintlichen Schutz, den sie bot. Sie erstarrte und wandte sich langsam zurück. "Haben mir Majestät gerade auf den Po gehauen!" "Ja", rief Henrietta glückselig. "Und ich würde es jederzeit wieder tun". Kopfschüttelnd wollte Aramis die Flucht ergreifen. Henrietta nahm Anlauf, sprang und warf sich ihrem Retter zu Füßen. Mit Schweißperlen auf der Stirn, zog Aramis die, von Frühlingsgefühlen beseelte Königin hinter sich her, die ihr Bein umklammert hielt. Zuzutreten wagte sie nicht. "Ich bin einsam, alleine", schluchzte die, über den Boden Gezogene, unter Tränen und umfasste das Bein nur noch fester. "Ich bin in einem fremden Land, man nahm mir meine Freunde, meine Familie und umgibt mich mit steifen, blassen Engländern. Ich sehne mich nach nur einem freundlichen Wort, nur einem kleinen Zeichen der Zuneigung vom König, aber vergebens. Jeder schenkt er sie, nur nicht mir. Und da kommt Ihr, strahlend schön, mein Held, mein Retter. Niemand sonst hätte sein Leben für mich gegeben." "Ihr versteht das falsch, Majestät", schnaufte Aramis gepresst, der der Sinn gar nicht nach Theatralik stand. Sie ächzte und zog die Königin vorsichtig mit sich. Die Tür kam in greifbare Nähe. Behänden sprang Henrietta auf und warf sich gegen Aramis. Diese stand mit dem Rücken zum Bett und fiel rückwärts, Henrietta mit sich ziehend. "Es musste etwas Wahres an den Gerüchten um Euch sein. Er kann nur ein Mann sein, Henrietta, dachte ich mir und nun sehe ich Euch hier, in Männerkleidung und wie ein Held aus tragischen Romanen über das Fenster den Zugang zu seiner Liebsten erklimmend." "Majestät, bitte ...", begann Aramis, bekam aber keine Luft. Henriettas Duft, ihr Atem, ihr Körper, der foulominöse Stoff ihrer Robe, hüllten sie ein. Die Königin kicherte aufgeregt und unternahm nicht die geringsten Versuche, Aramis von ihrer erdrückenden Präsenz zu befreien. "In allen Gerüchten befindet sich ein Körnchen Wahrheit. In diesem Fall ein ganzer Mann." Genüsslich rollte sie die Augen und ihre Hand fuhr liebkosend über Aramis Wange. "Euer Gesicht ist so zart, fast schön", hauchte sie entzückt. "Ihr habt gezeigt, dass Ihr mutig, tapfer und stark seid. Euer Gesicht verrät Eure sanfte Seite." Ganz Vertreterin ihres Berufes, konnte Aramis die Königin nicht von sich stoßen. Ein König und eine Königin blieben unantastbar. "Seid sanft zu mir!" Henriettas Stimme war nur noch ein gehauchtes Streicheln. Aramis sah mit schreckengeweiteten Augen zu der Königin auf und gewahrte mit Entsetzen, wie diese die Augen schloss, die Lippen spitzte und sich ihrem Gesicht näherte. Ganz langsam, als wollte sie den entschiedenen Moment herauszögern. "Was ist hier los?" Karl hob die Stimme und Schläfenadern traten hervor. Die Tür war im entschiedenen Moment aufgegangen. Die Vorhersehbarkeit einer solchen Situation war beängstigend. Aramis handelte instinktiv und Henrietta flog vom Bett. "Wachen!", brüllte Karl außer sich und zwei uniformierte Leibgardisten erstürmten das Zimmer und rissen Aramis vom Bett. Zitternd sah die Königin zu ihrem Gemahl auf. Sie wimmerte leise. Aramis nicht weniger ängstlich und verstört, befand sich im stahlharten Gewahrsam der Gardisten. Mit vor Zorn blut unterlaufenen Augen musterte der König sie. Erst viel später verstand sie, was er gesagt hatte. Da war sie schon längst auf dem Weg zum Tower, zu ihrer Verhaftung, zu Tagen kalten, klammen Aufenthalts in seinen dunklen Kerkern. "Das ist Euer Tot." Würde das Henkersbeil gnädiger als die Verbrennung sein? Kapitel 32: Hiltruds Schrecken ------------------------------ Ludwig erschrak heftig, als der Kardinal plötzlich in sein Büro stürzte. Angesichts der Heftigkeit Richelieus Auftritts, stand der König sofort auf. "Kardinal ..." "Majestät, eine Katastrophe." Derart hatte Richelieu noch nie die Etikette missachtet. Ludwig, der seinen 1. Minister steht's beherrscht kannte, setzte sich entsetzt wieder. Der Kardinal kam sofort zur Sache und reichte ihm ein Schreiben, dass er umgehend erklärte. "Ein Skandal, ein Desaster, ein nicht wieder gut zu machender Eklat für Frankreich." Der Kardinal schüttelte den Kopf. Tiefe Ringe zogen sich unter seinen Augen lang. Die Haut klebte pergamentartig am hageren Schädel. Sorge zerfurchte das ohnehin altersbedingte Faltental seines Gesichtes. "Ein Fiasko von dem sich Frankreich so schnell nicht mehr erholen wird. Eine Blamage für Euch, mein König. Nicht nur, dass man Aramis in Männerkleidung erwischt, nein, er muss sich auch noch in den Gemächern der Königin befinden! Wenn er nicht in England wäre, " zischte Richelieu, "und sich ohnehin im Kerker befinden würde, würde ich ihn sofort hinrichten lassen. Vorher vierteilen und dann Kopf ab!" Ludwig lehnte sich zurück. Er hatte noch nie, unverhüllten Zorn in den Augen des Kardinals gesehen. Die geballte Ladung seiner Wut, ließen seinen Blick an den Höllenschlund erinnern. "Kann es sich nicht um einen Irrtum handeln?", fragte er, blass vor Sorge. Seine Finger bogen sich krampfhaft, um das kostbare Kristall seines Weinpokals. Hastig nahm er einen Schluck. "Nein, Eure Majestät, es war eindeutig. Dieser Wüstling war gerade dabei, Eure Schwester zu besteigen." Das Glas in der Hand des Königs zersprang. "Satan, Belzebub, Teufel." Richelieu nickte weise. "Ganz genau, Eure Majestät und das aus unseren eigenen Reihen. Man ist nirgends sicher vor ihm. Höchst wahrscheinlich ist das ganze Musketierregiment infiziert. Man muss sie unverzüglich ...." "Gemach, Kardinal. Ihr könnt nicht meine ganze Garde wegsperren!" "Hier geht es auch um die Staatssicherheit, mein König. Aramis, Porthos, Athos, D'Artagnan ... alle gleich, der ganze Haufen. Sie schaden Euch. Denkt an Frankreich, Eure Majestät und an Eure Schwester in England. Wer weiß, was der Teufel ihr angetan hat", sagte er. "Und was nützte es uns, dass wir Athos nach England geschickt haben? Hat er etwas unternommen? Nein, seht Ihr! Das ist doch der beste Beweis. Zieht der Status eines Musketiers nicht einher mit Trinksucht und Hurerei?" Richelieu versprühte sein Gift, jetzt, da er seine Chance kommen sah. "Wenn Majestät die Dienste meiner Garde in Anspruch nehmen würden und die Musketiere nach La Rochelle ..." Der König unterbrach ihn. "Was ist mit Athos?" "Der sitzt ebenfalls im Tower vom London. Das Unglück ist, dass Eure Schwester die Vorwürfe nicht entkräftet, sondern zugibt, dass es sich um ein amouröses Zusammentreffen handelte." Ludwig zeigte sich besorgt. "Henrietta gibt es zu? Hat sie uns geschrieben?" Richelieu räusperte sich betreten und zog ein weiteres Dokument aus seinem Stapel. "In unserer Sorge um Frankreich, habe meine Sekretäre das Schreiben abgefangen. Verzeiht ihnen." Erneutes Räuspern, dann reichte er es dem König. "Sie haben es gelesen. Wir werden sie selbstredend bestrafen ... auf das Härteste", fügte er hinzu. "Was passiert jetzt", fragte der König bedrückt. "Ich kann es mir nur mit Schrecken ausmalen, Eure Majestät. Bis jetzt sitzt Aramis noch im Tower von London. Karl I. ist mit Irland, dem Parlament und La Rochelle vorerst beschäftigt. Hat er Zeit, wird er sich Aramis annehmen. Dann wird er diesen Verurteilen und Hinrichten. Athos Kopf wird folgen. Entweder wird Karl Frankreichs Schmach öffentlich machen und uns Eure Schwester mit Schimpf und Schande zurückschicken oder die ganze Affäre vertuschen. Wir können nur auf Letzteres hoffen." Ludwig schüttelte missbilligend den Kopf. "Oh, Henrietta, wie konntest du nur?" "Aramis muss sie behext haben. Es geht noch weiter, Eure Majestät." "Noch weiter? Welche Schreckensmeldungen habt Ihr noch für uns, Kardinal?" "Aramis schwor dem englischen König, dass sein Name Renée de Herblay sei. Wir wissen, dass Karl Erkundigungen eingezogen hat. Zu allem Unglück gibt es bereits eine Renée de Herblay. Waise eines kleinen Landadligen und diese ist keine andere, als diese aufdringliche, scharmlose Schauspielerin, die sich Nana Bernard nennt und mit aller Macht am Hofe auftreten möchte." "Nana Bernard?" Ludwig riss erstaunt die Augen auf. Von ihrer ersten und einzigen Begegnung konnte er sich nur an den Ausblick ihres großzügigen Dekolletes erinnern, nicht aber an ihr Gesicht. Diese Frau war zu ungeheuer tiefen Hofknicksen fähig und sehr zum Ärger der Königin, war es ihm einfach nicht möglich, nicht ins Tal der Versuchung zu sehen. Wehleidig sah der König auf. "Was machen wir?" "Leugnen!" "Leugnen?" "Egal was kommt, wir leugnen!", erwiderte Richelieu resolut. "Ich spüre großen Zorn in mir, Majestät." "Oh, dass sehe ich Kardinal. Was gedenkt Ihr zu tun?" "Jemand muss zur Rechenschaft gezogen werden!" Ludwig rückte seinen Gürtel gerade und holte Luft. "Jemand muss zur Rechenschaft gezogen werden!" Nana Bernard war in Hochstimmung. Sie schenkte jedem, der ihren Weg kreuzte, ein zauberhaftes Lächeln. Manch glückseliger Page konnte sein Glück kaum fassen und verbrachte den Rest des Tages in entrückter Ekstase. Ihr Blick glitt berechnend über den Prunk des Louvre. Ein Palast, der ihrer würdig zu sein schien. Als man vor dem Arbeitszimmer des Königs angekommen war, überprüfte sie ein letztes Mal den Sitz ihrer goldenen Locken, rückte den Busen nach oben, das Mieder nach unten und betrat mit einem sorgsam einstudierten Lächeln das Zimmer. Der König saß hinter seinem Schreibtisch, seine Eminenz der Kardinal stand neben ihm, mit freudlosem Gesichtsausdruck. Frankreichs Staatssouveräne begrüßte die Schauspielerin mit einem frostigen Lächeln. Noch verwunderte dies Mademoiselle Bernard nicht. Neigten doch die Herrscher eines Landes wenig zum Lächeln. "Setzt Euch", sagte Richelieu, in einem überraschend liebenswürdigen Ton. Ratlos musterte Nana die beiden Furcht einflößenden Männer, hinter dem Schreibtisch und fragte sich, worum es eigentlich ging. "Sagt mir, werte Mademoiselle Bernard, wer seid Ihr?" "Ich versteh nicht ganz", setzte sie zögerlich an und rutschte nervös auf ihrem Stuhl umher. "Nana Bernard, die Schauspielerin, jeder in Paris k..." "Ja, ja", unterbrach sie der König unwirsch und verzog die Lippen zu einem freudlosen Lächeln. "Dann frage ich anders. Als 'Wer' seid Ihr geboren?" "Ich verstehe noch immer nicht, Eure Majestät." Hilflos glitt ihr Blick zu den beiden Männern. Ihre Gesichter wirkten durch die Glut des Sonnenuntergangs hindurch regungslos. "Renée de Herblay?" "Ja, ja", eilfertig nickte sie und griff in ihr Mieder, um D'Trevilles Schreiben herauszuziehen. Warm von ihrem Busen, abgegriffen, weil sie sich so oft an ihrem neuen Stand geweidet hatte. Der Kardinal hob abwährend die Hand. Das Schreiben verharrte auf halbem Weg. "Ihr nennt Euch indes nun schon seit einem halben Jahrzehnt Nana Bernard. Warum tragt Ihr auf einmal Euren 'wahren' Namen", an dieser Stelle hob sich beredend die gebogene Braue des Kardinals, "derart leichtfertig auf der Zunge?" Nana begann zu zittern. "Nun ja", begann sie, aber eine rechte Erklärung wollte sich nicht finden. Überhaupt fiel ihr das Denken, angesichts des Gesprächsverlaufs schwer. "Der Name Aramis sagt Euch etwas?" Ludwig ließ den Namen unheilsvoll im Raum stehen und auf die verängstigte Schauspielerin wirken. Sie nickte. "Aramis sollte bei Euch höfisches Benehmen lernen und wie ein Frau aufzutreten. Korrekt?" Nana spürte ihr Herz in die wackligen Knie rutschen. Wieder nickte sie schwach. "Ihr habt versagt!", sagte Ludwig knapp. "Warum erklärt Aramis, besagte Renée de Herblay zu sein?", fuhr der Kardinal schneidend mit der Befragung fort. Nana befand sich am Rande der Ohnmacht. "Während Ihr diesen Namen gleichzeitig gebraucht?" "Ich weiß nicht", stotterte sie mit gebrochener Stimme und fuhr sich wiederholt mit der Zunge, über die trockenen Lippen. "Ihr braucht nicht zu erklären, Mademoiselle! Wir wissen genügen über Euch." Er klopfte leicht auf eine dünne Schriftmappe aus Leder. "Dies sind Akten, wie wir sie viele haben, über bestimmte Bürger dieses Landes. Wir pflegen sie sorgfältig und bemühen uns, alles zu wissen. In Eurem Fall, wissen wir alles." Hypnotisch starrte Nana auf die Akte. Man wusste über den Betrug ihrer Cousine Bescheid? War jetzt sie dran, weil sie von dem Possenspiel wusste und Aramis zur Abgabe ihres Namens und ihrer Rechte als Adlige genötigt hatte? Die spieredünnen Finger des Kardinals trommelten leise auf die Oberfläche der Mappe. "Aber so lasst mich ..." "Genug! Wir wissen ebenso über Aramis wahrer Natur bescheid. Aramis sitzt indes schon im Tower von London. Und säße Aramis nicht dort, dann bei sicherlich in Paris hinter Gittern, um auf die Hinrichtung zu warten. Vielleicht wollt Ihr das Los teilen?" Renée im Tower? Hinrichtung? Nana glaubte sich übergeben zu müssen. Nicht aus Mitgefühl für Aramis, lediglich aus Selbstmitleid. Wie vom Donner gerührt, hörte sie das Schicksal ihrer Cousine und meinte ihr eigenes Todesurteil zu hören. "Ihr könnt gehen, aber haltet Euch bereit, wenn wir Euch erneut befragen wollen!" Halb von Sinnen stürzte sie aus dem Zimmer. Als die Schauspielerin ging, rannen ihr Tränen über die bleichen Wangen. Richelieu hatte sich sichtlich an der zitternden Frau geweidet. Es entrüstete den Kardinal, so ohnmächtig, so völlig hilflos zu sein. Das Hochgefühl, das er bei der lang ersehnten königlichen Genehmigung zur Eroberung La Rochelles empfunden hatte, war weg, angesichts des Drucks, der auf ihm lastete. Sollte es zum öffentlich Eklat durch den Skandal in England kommen, würde er umso verbissener um ein protestantenfreies Frankreich kämpfen. La Rochelle sollte zum Höhepunkt seiner Laufbahn werden. Vorerst musste er seine Wut an jemanden anderes auslassen. Er nahm die Ledermappe auf, entfernte die weißen, unbeschriebenen Blätter daraus und warf die Mappe in den Müll. Energisch hämmerte Nana Bernard auf das schwere Eichentor ein. Tränenblind und fast hysterisch bearbeitete sie die Türblätter. Auch als Minuten des Schweigens folgten, ließ sie sich davon nicht entmutigen. Endlich gaben seine Bewohner, angesichts ihrer Beharrlichkeit auf. Hiltruds mürrisches Gesicht erschien in der Türfüllung. "Das darf doch nicht wahr sein ...", fing sie an, brach aber abrupt ab, beim Anblick der aufgelösten Nana Bernard. Tränen schimmerten in den blauen Augen. Der Busen hob und senkte sich heftig unter dem Spitzenmieder. Mit der richtigen Dramatik im kummervollen Seufzer, rauschte die Schauspielerin erhobenen Hauptes an der verdutzten Wirtschafterin vorbei, um D'Trevilles sorgsam geführten Haushalt zu erstürmen. Seine Junggesellendenfestung, hielt nicht länger stand, angesichts einer hysterischen Ikone aus der Theaterwelt. Schnell schloss Hiltrud das Tor. Die späte Stunde zog Bettler an und mit dem schwülen Sommer, Krankheiten und Epidemien. Das enge, dreckige, menschenüberfüllte Paris bot in der Sommerhitze den idealen Nährboden für Keime und Seuchen. Nachdem eine Fleckenfieberepidemie Hiltruds gesamte Familie innerhalb weniger Wochen dahingerafft hatte, nahm sie es sehr genau. Nana Bernard, duftdurchtränkt und seidenumwandelt, sah nicht wie eine mögliche Brutstätte von Seuchen aus und wurde damit vorgelassen. "Wo ist er?", fauchte die große Diva blasiert. "Monsieur D'Treville? Kapitän der Musketiere seiner Majestät, des erhabenen Ludwig XIII? Freund und Ratgeber des Königs?" Hiltrud ließ sich jedes Wort auf ihrer Zunge zergehen, als wolle sie erst den Geschmack probieren. "Der Kapitän geruht sich auszuruhen, nachdem er einen anstrengenden Tag bei Hofe gehabt hatte. Ich weiß nicht, ob er jemanden wie Ihnen Zeit gewährt." Wie 'Ihnen' tropfte vor Abfälligkeit. "Ich weiß, was 'anstrengender Tag bei Hofe' bedeutet. Das Volk ist hitzig, wegen der Morde und seine Männer sind unruhig, weil es heißt, dass die Musketiere für den bevorstehenden Kampf in La Rochelle zwangsrekrutiert werden." Nana trat ganz nahe an die untergesetzte Wirtschafterin heran, dass ihr Parfüm diese sprichwörtlich einhüllte. "Ich habe einflussreiche Gönner und Verehrer. Ich weiß, womit Kapitän D'Treville beschäftigt ist und er wird mich vorlassen, weil ich noch viel mehr weiß und ihm das Genick brechen kann." "Was ist hier los?" Der Kapitän war auf dem obersten Treppenabsatz erschienen. "Mademoiselle Bernard?", rief er verwundert aus. "Lass sie zu mir, Hildtrut!", befahl er. Hiltrud widersprach nicht, legte aber in ihr Schweigen, bemerkenswert viel Missbilligung und Widerstand. Ihre drei Kinne zitterten empört und die gestärkten Unterröcke raschelten, als sie hocherhobenen Hauptes davon stapfte. Hochmütig ließ sich Nana von D'Treville in sein Wohnzimmer führen. Beide nahmen vor einem riesigen Kamin in bauchigen Sesseln platz. Nana starrte ihn mit unverhohlener Herablassung an. Der Kapitän rutschte unbehaglich in seinem Sessel hin und her. Außer seiner hauseigenen Espada mit Staublappen und Bürste, ließ er nie ein weibliches Wesen in seine Wohnstube. "Und?", begann er näselnd. Der Kapitän legte die Fingerspitzen aneinander. Nana holte das Schreiben des Kapitäns hervor, dass sie damals erhalten hatte. "Dies hier, ist null und nichtig." Aufgebracht wedelte sie damit. "Renée hat es doch Tatsache geschafft, selbst als Frau zu versagen und als wenn das noch nicht genug wäre, besitzt sie die Frechheit ihren Namen zu benutzen, wo sie diesen doch an mich abgetreten hat." "Ich bin sicher, Aramis musste dies tun, um sich zu retten", erklärte der Kapitän vernünftig. "Mir ist egal, was Renée oder Aramis oder wie immer sich diese Verrückte nennen mag, tun musste. Sie hat ihn mir gegeben. Ich bin jetzt Renée de Herblay und ich beabsichtige es auch zu bleiben. Ich will das Ansehen, die Prestige und die Vorteile einer Adligen. Gott hat auf mich herabgesehen und mein Schicksal begünstigt und ich bin zu allem bereit, dem Schicksal hilfreich unter die Arme zu greifen." "Sorgen Sie sich gar nicht, um ihre Cousine?" Nana schnaubte abfällig. Der Kapitän wurde laut und baute sich mit der gesamten Autorität, die sein Amt innehatte, vor der Schauspielerin auf. Er war wütend und zu Recht zornig. Die letzten Nächte hatte er vor Sorge kein Auge zugemacht. "Aramis sitzt im Tower von London, Madam und wartet auf ihre Verurteilung. Ich muss in Paris bleiben, um seine Bewohner und meine Musketiere zu beruhigen, da ein Krieg bevorsteht, sonst würde ich mich augenblicklich nach London begeben, um das Mädchen zu retten. Jeden Tag hoffe ich auf Nachricht, aber da selbst mein anderer Musketier im Kerker sitzt, bin ich auf die Informationen des Kardinals angewiesen. Ich SORGE mich, Madam und mir steht nicht im Mindesten der Sinn danach, mich mit einer hysterischen Xanthippe abzugeben!" Hiltrud lächelte hinter der Tür, ihrem Lauschposten, sichtlich zufrieden. Jetzt zeigte es der Herr dieser aufgeblasenen Schauspielerin. Monsieur D'Treville war schließlich nicht irgendwer, sondern der Kapitän der Musketiergarde und unterstand direkt dem König. Was glaubte eigentlich diese Frau, wen sie vor sich hatte? "Ich ein Xanthippe?", würgte die Schauspielerin hervor. "Sie habe die Frechheit mich zu beschimpfen, während Sie eine Wahnsinnige, ein elendes Mannesweib unterstützen? Hat man je von einem Kapitän gehört, der ein Mädchen unter seine Männer mit aufnimmt?", höhnte sie. "Ich hatte meine Gründe und ..." "Würde ich nicht Renée ihr ganzes Leben lang kennen, müsste ich meinen, Ihr habt sie zu Eurem perversen Vergnügen dort. Aber vielleicht ist das so?" D'Treville, der sich nicht einmal gewagt hätte, auch nur im entferntest daran zu denken, erlaubte sich ein Blick ernster Entrüstung. "Sie wagen es? Elendes Weib!", bellte der Kapitän los, wurde aber abermals von ihr unterbrochen. "... Perversling! Großtuerischer, aufgemotzter, unausstehlicher Laffe. Aufgeblasenes ..." Hinter der Tür wurde Hiltrud kreidebleich und drückte ihrem Besen an den Busen. "Damit nicht genug. Der König zitierte mich zu sich und droht mir an, mich in den Kerker zu werfen", wetterte sie. "Er weiß alles über Aramis." "Das bezweifle ich." "Ach ja? Er wusste, dass Aramis den Namen gegenüber dem englischen König benutzt hatte", kreischte Nana. "Ich lasse nicht zu, dass dieses unnatürliche Weib mir alles kaputt macht." Der Kapitän sah sie mit hartem, kaltem Blick an. "Sie haben Ihre Cousine in Gefahr gebracht und das nur, Ihres verdammten Ehrgeiz wegen. Ich wette, Sie würden Ihre eigene Mutter für Ihre Karriere opfern. Sie werden nie verhindern können, dass Sie eigentlich aus der Spülküche kommen und ein Bankert sind." Auf dem Flur sprang Hiltrud in die Luft. Es war nur ein zu kurz gekommener Hüpfer, weil sie ein erhebliches Maß an Eigengewicht mitbrachte, aber immerhin Ausdruck ihrer Freude. Hab ich es doch gewusst, dachte sie triumphierend, dass diese Frau nicht in den Salons des Adels geboren ist. Hiltrud erkannte ihresgleichen. Als sie ihren Herren sagen hörte, dass diese unmögliche Person ihm die Zeit stahl, stärkte sie ihm, heftig nickend den Rücken. In seiner Wohnstube wusste der Kapitän nicht, was er von Nana Bernard halten sollte. Im Gegensatz zu Hiltruds herben Aussehen, mit dem Gesicht einer Bulldoge und einer Stimme, die ihrer Statur entsprach, war Mademoiselle Bernard mit ihrem geschmeidigen Körper, mit dem schwellenden Busen, der aufreizende Gegensatz. Sie hatte volle Lippen, betörend lange Wimpern und sie verströmte einen weiblichen Duft, der ihn schwindlig machte. Er schluckte schwer. Ihre pralle Weiblichkeit verunsicherte ihn. "Entschuldigen Sie mich!", murmelte er und stürzte davon. Aber so schnell gab sich Nana nicht geschlagen. Da Hiltrud bei weitem nicht reaktionsschnell und beweglich genug war, landete die Tür in ihrem Gesicht und drückte sie gegen die Wand. Sie röchelte gequält. D'Treville und Nana waren viel zu sehr mit Streiten beschäftigt, als das sie das verstörte Kieken hinter der Tür gehört hätten. Ein neuer Tag brach an. Das apriko farbene Licht der Morgensonne verbreitete sich über die Stadt und entfaltete langsam ihre volle Wärme. Seit den frühen Morgenstunden war Hiltrud Schättiger schon auf den Beinen. Zu ihren Aufgaben als oberste Kommandantin der Bediensteten des Kapitäns, musste sie als erstes Aufstehen, um das Gesinde vor dem ersten Hahnenschrei aus den Betten zu jagen. Jetzt waren die anstehenden Aufgaben an das Personal verteilt worden und Hiltrud machte sich daran dem Kapitän sein Frühstück zu richten. Das Spülmädchen begann die ersten Töpfe zu schrubbte, als der Knecht die Küche betrat. "Warst du schon oben und hast die Nachttöpfe geleert?" Über das ganze Gesicht grinsend, nickte er. "Warum grinst der Bengel so unverschämt?" Hiltrud nahm das schwere Tablett mit dem Frühstück des Kapitäns auf. Das Spülmädchen zuckte die Schultern und streute Scheuersand in den Topf. Hiltrud steuerte das Schlafzimmer ihres Herrn an. In der Eingangshalle stutzte sie je. Vor wenigen Minuten noch frisch gewischt, verunzierte neuer Schmutz den gefliesten Boden. Der Geschirrberg auf dem Tablett zitterte merklich. Ihr Blick folgte den Spuren und blieb auf einen jungen Mann haften. "Halt", brüllt sie. Der junge Mann erschrak und drehte sich kreidebleich um. "Was ist das? Mein frisch gescheuerter Boden", rief sie mit bebender Stimme und sandte ihn mit einem einzigen vernichtenden Blick in Grund und Boden. "Ich muss ... ich muss zum Kapitän", stotterte der junge Mann und zog den Kopf zwischen den Schulterblättern ein. Nur zu gern, hätte er die Flucht ergriffen und vergessen jemals ein Musketier gewesen zu sein. "Zu dieser Stunde?" Der Musketier nickte hilflos. Da die Musketiere für Hiltrud, ungeachtet ihres Alters, Kinder waren, befahl sie ihm im barschen Ton, hinter ihr zu bleiben. "Wir werden sehen, ob er wach ist und dich empfangen will!" Er beeilte sich wieder zu nicken und folgte demütig der runden Gestalt. "Kommt ihr Jungs denn gar nicht ohne ihn klar?", fragte Hiltrud kopfschüttelnd. Sie hielt ihre Nase in die Luft und schnupperte. Irgendetwas stimmt hier nicht. Die Tür des Schlafzimmers ging auf und die halbe Gestalt von Nana Bernard erschien, die ihnen den Rücken zuwandte, weil sie noch sprach. Ihr Duft aus großzügigem Parfüm und Badeölen eilte ihr voraus. Wie erstarrt blieb Hiltrud stehen. "Es war der Einfall des Kardinals. Ich tat nur mein möglichstes, um aus Aramis eine Frau zu machen, wie man es mir befohlen hatte. Wenn Aramis in England mit Seidenkleid und Korsage versagt, dann ist das beim besten Willen nicht mein Problem." Sie lachte glockenhell. "Wenn ihr selbst Athos als Verlobten hinterschicken musstet." D'Treville erschien mit Unterhose und bitterbösem Blick in der Türfüllung. Hiltrud rutschte das Tablett aus der Hand und das Geschirr zerbrach klirrend am Boden. Triumphierend betrachtete Nana das schreckensbleiche Gesicht der Haushälterin. "Merci, aber ich esse so früh nichts", säuselte sie und rauschte lachend davon. D'Treville wich stur dem anklagenden Blick seiner Wirtschafterin aus und zuckte die bloßen Schultern. "Ich kann sie nicht leiden", brummte er und rückte seine unförmigen Beinkleider zurecht. "Viel zu affektiert für mein Geschmack." Sie saßen an einem Tisch im hinteren Teil der Taverne. Die Atmosphäre war raucherfüllt, der herbe Duft nach Zwiebeln, Fett und menschlichem Schweiß lag in der Luft. Porthos und D'Artagnan saßen vor Krügen mit dunklem, schaumigem Bier. D'Artagnan grub das Kinn in die Hände und träumte vor sich hin. Porthos schaute finster in sein Glas. Beide schwiegen. Ihr Tisch war angesichts der lärmenden, jodelnden und rülpsenden Gäste eine Oase der Ruhe. Offensichtlich hatte sich in ihrer Tagesroutine nichts geändert. Nur hatte sich Verbissenheit und Schweigen zum ständigen Begleiter gemacht, wo früher Vergnüglichkeit, Kameradschaft und Witz gewesen waren. Am Nebentisch lachte laut eine Gruppe angetrunkener Musketiere auf. "Es scheint, sie lachen über uns?" "Wer lacht über uns?", fragte Porthos seinen jungen Begleiter. D'Artagnan wies mit einem knappen Nicken in die Richtung der Gruppe. Claude, nicht gerade beliebt bei Porthos und seinen Freunden, stolzierte mit provozierendem Blick zu ihnen auf und ab, wie ein aufgeplusterter Hahn. Auf seine Bemerkung lachte erneut der ganze Tisch. Im dämmrigen Licht der wenigen Öllampen, die in der Spelunke brannten, war es schwierig in den Gesichtern zu lesen. "Porthos, dein Freund sieht aus, wie ein verdammtes Weib. Eine Schande für uns Musketiere", rief er hinüber. "Jetzt haben sie Aramis wohl die passenden Kleider verpasst?" Angestachelt durch den betrunkenen Zuspruch seiner Kollegen, spottete Claude weiter. "Schaffen du und Athos ihm seine Liebhaber heran, wenn ihr nicht mehr könnt oder muss der Grünschnabel hinhalten?" Porthos stützte die Hände auf der Tischplatte ab und erhob sich angemessen. Claude verstummte und sah dümmlichen zu dem Koloss auf. Irgendwo in seinem alkoholumnebelten Gehirn schrie seine Vernunft um Hilfe. Porthos ließ die Handknochen knacken, dann schlug er zu. Seine Faust landete in Claudes Gesicht. Dieser wurde von den Füßen gerissen und fiel wie ein gefällter Baum um. Plötzlich war es mucksmäuschen still im Schankraum. Niemand wagte es zu sprechen oder jemanden anzusehen. Draußen in der Nachtluft atmete Porthos tief durch. "Was?", fragte er, als er das zufriedene Grinsen in D'Artagnans Gesicht bemerkte. "Es freut mich, dass du für Aramis eingetreten bist. Das heißt, du hast ihr vergeben." "Gar nichts habe ich", erwiderte Porthos grimmig und starrte in den sternenklaren Himmel. "Sieh, was sie uns hat! Was scheint es sie zu interessieren, dass sie uns der Lächerlichkeit preisgibt?", schrie er bitter in die Nacht. Kapitel 33: Geheime Audienz --------------------------- Wer Paris von den fernen Hügeln aus sah, dem mochte Frankreichs Hauptstadt wie ein ruhiges Häusermeer mit vereinzelten Kirchturmspitzen und majestätischen Staatsgebäuden erscheinen. Doch der Schein trog, denn die Stadt war wie ein Parasit, der sich ausbreitete und alles verschlang. Gierig fraß es die Gaben und Güter des ganzen Landes. Noch in der Nacht kamen Heerscharen von Bauern durch die Stadttore und mit ihnen Unmengen von Fleisch, Gemüse, Obst, Getreide, Eier, Butter und Käse. All das verschlangen tägliche die unermessliche Anzahl von Menschen, hinter den Stadtmauern. Paris Gassen waren eng und verwinkelt und hunderttausend Pariser lebten und starben ihn ihnen. Paris Gassen waren Pfade aus Leidenschaft und Begierde des Lebens. Ging die Sonne endlich auf, schwebte über der Stadt, mit dem Rauch der zahllosen Kamine, ein gewaltiges, babylonisches Stimmengewirr aus Worten, Widerworten, Fluchen, Schreien, Lachen und Weinen. Eine gleichförmige Kakophonie aus Laute von zu vielen Menschen auf engstem Raum. Aramis erwachte von dem untrüglichen Gefühl Paris nie mehr wiederzusehen. Die kerkerübliche Disharmonie aus Wimmern, Fluchen, Schreien und lauten Befehlen, holte sie schmerzlich in die Wirklichkeit zurück. Dunkelheit umfing sie. Vor sich sah sie nicht das sonnengetauchte Paris, ihr Zuhause, - sondern die schemenhaften Umrisse ihres Kerkers. Stunde für Stunde hoffte sie, dass man sie herausholen würde. Stunden um Stunden vergingen, in denen nichts geschah. Es war für sie eine schwere Zeit. Sie wurde von quälendem Kummer verzehrt. Stundenlang kniete sie vor dem schmalen Gitterfenster, dass mehr Finsternis als Helligkeit verströmte. Ihre Hände krampfhaft gefaltete und betend zu dem kleinen Stück Außenwelt hinter den Gittern, dass ihr blieb. Ihr Anblick hätte jeden erschüttert, der sie kannte. Es war schon schlimm auf seine Verurteilung warten zu müssen, tausendmal schlimmer war es noch die Ungewissheit. Wann würde man sie rufen? Wer würde sie verurteilen? Wie würde die Strafe ausfallen? Nach einer Woche, die sie an den schimmligen Mahlzeiten und dem blassen Tageslicht in ihrer Zelle zählte, holte man sie ab. "Herauskommen und keine Mätzchen, sonst wirst du den Stock zu spüren bekommen!", brüllte der Wächter, dem vor Erregung die Halsschlagadern hervortraten, im Englisch mit schwerem Dialekt. Mittlerweile vermochte Aramis einzelne Dialekte zu verstehen. Ein dünner unscheinbarer Mann im tristen Grau, folgte der Wächtergruppe die sie abführten. Stirnrunzeln quittierte er ihre Anwesenheit und musterte sie kritisch. Aramis Sinne waren gespannt. Deutlich spürte sie den Dreck auf ihrer Haut. Das Kratzen an der Kopfhaut und unter den Armen, die schmutzstarre Kleidung, das verfilzte Haar und das Ungeziefer. Mit schweren Eisenketten kettete man ihre Hände und Füße zusammen und stieß sie vorwärts. Hilflos in den Ketten gefangen, mit kleinen Schritten, stolperte sie mit. Fackeln erhellten die langen Gänge mit den dunklen Steinwänden und schweren Eisentüren. Sie passierten die Treppe und traten auf einen kleinen Innenhof hinaus. Grobe Hände stellten sie in die Mitte des Hofes und man goss Eimer für Eimer kaltes Wasser über sie. Obwohl die Sonne warm brannte, zitterte Aramis bitterlich. Dann ließ man sie stehen. Der ganze Dreck ging nicht ab, dazu hätte es etwas mehr Reinigung bedurft, aber ihr Gestank war vorerst mit einigen Liter Wasser davon gespült worden. "Was passiert mit mir?", fragte sie, fast wehleidig, aber man gab ihr keine Antwort. Eine erhobene Muskete bedeutete ihr, sich nicht von der Stelle zu rühren. "Bitte!", aber ihr Flehen hallte nur unerwidert von den hohen Gefängnismauern wieder. Die Wächter starrten sie nur, gleichsam mit den Musketenmündungen, an. Tropfen rannen ihr über die Nase, das Haar klebte nass und schwer im Gesicht. Gedemütigt senkte sie den Kopf und schwieg. Ihr war bewusst, dass ihre Kleidung sich so gut wie durchsichtig an ihren Körper schmiegte. Als sie schon längst trocken war und die Sonne immer erbarmungsloser in ihren Nacken brannte, kam der graugekleidete Mann zurück. Er stellte sich als Robert Chamberts vor, ein Angestellter des Towers und zuständig für außergewöhnliche Gefangene, die auf besondere Anordnung des Königs inhaftiert waren. So bekamen ihre Wächter einen Namen und die Demütigung ein Gesicht. Für eine zum Tode verurteilte, behandelte sie Mr. Chamberts nicht unhöflich. Wahrscheinlich lag es im Wesen der Engländer, sich in jeder Situation gentle like zu benehmen. Chamberts befahl, dass man ihr Wasser und Brot reichte. Gierig schlang Aramis alles hinunter. Ihr wurden die Fußfesseln abgenommen, dann verließen sie den Tower. Höflichkeit galt für Wächter indes nicht. Sie stießen Aramis weiterhin grob vorwärts und erniedrigten sie verbal. An der Flussseite des Kerkers, bestiegen sie ein Boot und verließen den Tower über den Wasserweg des Gefängnisses. Die Bootsinsassen schwiegen. Nur die Raben kreischten einsam über den Gefängnismauern, das Tor erhob sich knirschend und die Ruderblätter durchstießen gleichmäßig das Wasser. Mit angstvollem Rauschen in den Ohren, sah Aramis zu dem kleiner werdenden Gefängnis zurück. Sie glaubte vor Panik schreien zu müssen, als die Mauern von Whitehall näher rückten. Ihr Herz schlug immer schneller und schmerzhafter in ihrer Brust. Das Ziel vor ihren Augen begann sich zu drehen und Übelkeit stieg in ihr auf. Die restliche Zeit, starrte Aramis zu Boden. Man brachte sie über einem Geheimgang zum König. Karl I. befand sich in seinen Privatgemächern. Sein Thron war ein schmaler Stuhl mit grünem Samt und schweren Goldmuster. Auf seinem Befehl hin, wurden ihre die Handeisen abgenommen. Mr. Chamberts und seine Wächter zogen sich wortlos zurück. Aramis war mit dem König allein. Schweigend stand sie ihm gegenüber. "Man hat mir merkwürdiges berichtet", sagte er und strich sich nachdenklich über das Kinn. "Mehrere Tage Gefängnisaufenthalt, aber kein Bartwuchs. Eure Gestalt soll nicht der eines Mannes entsprechen. Was suchtet Ihr im Zimmer der Königin?" "Ein bedauerlicher Zwischenfall, Eure Majestät." "Wie Euer ganzer Aufenthalt hier? Wir haben nachgeforscht. Eine Renée de Herblay existiert und sie befindet sich gerade in Paris, während Ihr hier seid! Wie kommt das?" Aramis verriet es ihm und noch mehr. Karl I. verlangte Antworten und Aramis wollte einfach nur Leben. Seit sie den ersten Fuß auf englischen Boden gesetzt hatte, war sie von einer unglückseligen Situation in die nächste getaumelt. Aramis wollte zurück nach Hause. "So, so, eine Agentin von Kardinal Richelieu", sagte er schließlich nachdenklich und ließ wertvolle Minuten des Denkens verstreichen. Das sie für den Kardinal ein Musketier und somit ein Mann war, hatte Aramis den König verschwiegen. Von ihrer Maskerade brauchte er nichts zu wissen. "Was bezweckt er damit?" "Lediglich Graf de Meyé!" Dass Graf de Meyé kein loyaler Günstling war, weder für Frankreich, noch für England, wusste Karl. Wie weit seine Intrigen gingen, ahnte er. Was er gerade erfahren hatte, untermauerte nur seinen Kenntnisstand. "Zieht Euch aus!" Aramis blinzelte irritiert. "Wie bitte, Eure Majestät?" "Ihr habt mich schon gehört! Ich wünsche, dass Ihr Eure Kleider ablegt!" "Aber, Eure Majestät, ich ..." "Kein ,Aber' Madam", unterbrach er sie herrisch. "Tut, was ich Euch befehle oder Ihr müsst Euer Leben lassen, ich habe das Recht dazu!" Karls kalte berechnende Augen, sein energisches, aristokratisches Kinn, sein junger stattlicher, gestählter Körper verrieten rücksichtslose Entschlossenheit. Karl I. war ein König. Man brauchte ihn nur anzusehen, wie er vor den Blicken seines Hofstaates herumstolzierte. Hilflos, fast bettelnd suchte sie seinen Blick. "Zieht Euch aus!", wiederholte er. Karl I. zog hörbar die Luft ein. Sie wartete, bis der König seine Musterung beendet hatte. >Adieu, Moral< Sie lachte innerlich auf und dachte, dass sie ihre Strümpfe eigentlich hätte anbehalten können. Selbst über ihre Ruhe erstaunt, bedauerte sie es nicht, die weißen Strümpfe ausgezogen zu haben. Es sähe schon merkwürdig aus in knielangen Socken vor seiner unumstrittenen königlichen Majestät von England zu stehen. "Dreht Euch!" Sie tat wir ihr geheißen. "Missstress, Ihr seid eindeutig eine Frau. Wir bestätigen es." Der Königs rutschte bequemer in den breiten Sessel. Der Stoff seiner Hose trat im Lendenbereich deutlich hervor. Diese Feststellung hätte auch nur bei ihrer Vorderansicht genügt, dachte Aramis und zwang sich nicht auf Karls Männlichkeit zu sehen. "Danke, Sire." "So Missstress Renée, mit den Vorlieben für Männerkleidung und dem bezauberndsten Hinterteil des Hofes. Seid Ihr die Mätresse des Königs?" "Nein." "Des Kardinals? Von Lord Corday?" "Nein und ganz sicher Nein." "Was ist mit Eurem Verlobten?" "Auch ein Agent." "Genug geredet!" Unterbrach der König sie. "Kommt näher!" Aramis trat den letzten Schritt der Überwindung, geradewegs über Bedenken und Vorbehalte hinweg, dem König entgegen und ließ ihren eigenen Stolz und Wertvorstellung hinter sich. Metaphorisch die Achseln zuckend, dachte sie daran, dass sie im Bett des Königs ohnehin keine Socken benötigen würde. Seine Finger fuhren über die glatte, samtene Haut an der Hüfte entlang und blieben dort liegen. Er sah sie an, wie sie reglos und starr vor ihm stand. "Eine Frau, die geheim für den Kardinal arbeitet und in Männerkleidung im Zimmer der Königin in Zweifelhafter Situation, festgenommen wurde, kann nicht viel von Moral halten", sagte er heiser und beobachtete sie. "Geht!" Er nahm seine Hand fort. Erstaunt riss Aramis die Augen auf. "So schade es ist, Comtesse, aber ich ziehe es vor, dass die Frauen freiwillig in mein Bett kommen und nicht auf Befehl", sagte der König und erhob sich. Er griff nach ihren Sachen und drückte sie ihr in den Arm. "Ihr solltet in Betracht ziehen, an den französischen Hof zurück zu kehren. An meinen bringt Ihr entschieden zuviel Aufregung." "Ja, Sir." Karl I. wendete ihr den Rücken zu, als sie sich anzog und zur Tür schlüpfte. Er drehte sich erst um, als er das Klicken der Tür hörte und hob erstaunt eine Augenbraue, als diese wieder aufging und seine unerwartete Besucherin den Kopf hereinsteckte. "Habt Ihr es Euch doch anders überlegt?" Freudig wanderten seine Augen zum Bett. "Ähm nein, Sire. Werdet Ihr unsere Begegnung für Euch behalten?" "Ihr habt mein Wort als König, Madam!" "Auch gegenüber Frankreich?" "Gewiss, Madam!" "Danke, Sire." Die Tür schloss sich wieder. >Schade<, dachte Karl, >welch Verschwendung. Was für ein Hintern und Busen.< Seufzend beschloss er seine französische Gemahlin aufzusuchen. Verwarf aber den Gedanken bald wieder. The Swan hatte eine neue Bardame. Sie war nicht unbedingt als Schönheit zu bezeichnen, aber sie strahlte eine laszive Erotik aus, die den Schankraum der Taverne all abendlich füllten. So war es nicht verwunderlich, dass jeder Abend mit einer Prügelei um die Gunst der Herzensdame endete. Dabei bevorzugte Jane Downs niemanden. Mit gleich bleibend guter Laune, schenkte sie das Bier hinter der Theke aus. Miss Down war weder dumm noch naiv, auch nicht bescheiden genug, dass ihr die glutvollen Blicke der Männer nicht wie Samt die Haut hinunter strichen. Sie wusste, dass ihre Unerreichbarkeit, ihre größte Trumpfkarte war. Schenkte sie einem der Gäste mehr Zuneigung als den Anderen, dann war sie verspielt. So strich sie sich das braune Haar aus der Stirn und registrierte mit katzengleichem Genuss die sehnsuchtsvollen Blicke der Männer. Es war ein Abend in der Wochenmitte. Miss Down stand hinter dem Tresen, dessen Oberfläche fettig vom Bierschaum und zu vielen Händen glänzte und das schummrige Licht der wenigen Öllampen verbarg gnädig die abgehärmten Züge der müden Schankgäste, denen ihr Tageswerk auf den Schultern lag. Einzelne Gespräche gingen im allgemeinen Lärm unter. Noch war niemand betrunken genug, um einen Streit anzufangen oder gar handgreiflich zu werden. Auch Frauen zählten zu den Gästen des Schwans. Bodenständige Frauen, die ihrem Mann standen. Zwar mit dem Herz am rechten Fleck, aber umgeben von einem harten Kern. So war es nicht weiter verwunderlich, als die Schanktür aufging und mit der Abendluft eine Frau die Taverne betrat. Suchend schweiften ihre Augen durch den Raum. "David?" Bei der hellen Stimme, sahen einige Gäste erstaunt auf und suchten die verzweifelte Stimme im trüben Dunst der Tavernenluft. "David?" Müde Männeraugen hoben sich vom dunklen Bier, in einer noch dunkleren Nacht, eines gleichbleibend trostlosen entbehrungsreichen Lebens und sahen, wer da störte. Die junge Frau schien schließlich gefunden zu haben, was sie gesucht hatte. Ihre Züge erhellten sich. Mittelmäßiges Interesse folgte ihr, als sie vor einem der Tisch hielt. "David!" Glücklich sah sie auf einen Mann von eher bescheidenem, wenn nicht gar langweiligen Aussehen nieder, der umso erstaunter aufsah. In seinem Erstaunen wirkte er wie ein Schwachsinniger, so sehr entglitten ihm seine Züge. "Du?", wisperte er tonlos. Die junge Frau drückte flehend die Hände an die Brust und rief: "Warum hast du mich verlassen? Warum nur, David warum?" Die Atmosphäre im Tavernenraum veränderte sich auf subtile Weise, - viele aufmerksame Ohren saugten alle Geräusche ab. Plötzlich war es still und keiner der Gäste trank mehr. Dem Mann rutschten die Züge aus dem Gesicht. Sein Gesprächspartner schwieg betroffen. "Mir ist jetzt klar, dass du ein falsches Spiel mit mir getrieben hast", schluchzte sie. "Du hast gesagt, ich könnte mit dir kommen. Du meintest, dass du ... du würdest ... du wolltest" Ihre Stimme brach. Tränen und mitleiderregende Theatralik schwammen in ihren Augen. Verzweifelt wandte sich an den zweiten Mann und breitete flehend die Hände vor ihm aus. "Mister, ich habe meine Eltern verlasse, ich bin ihm nach England gefolgt. Können Sie ihn nicht überzeugen, bei mir zu bleiben?" Sie trug ein einfaches, wenn auch aus gutem Stoff geschnittenes Kleid. Ihr Gesicht besaß Augen, bei denen, gleichgültig ihrer Worte, man bereit war alles zu glauben Die junge Frau schluchzte. Als sie hilflos stammelte: "Ich habe doch sonst niemanden", stöhnten die versammelten Gäste gemeinschaftlich auf. "Ausgenutzt hast du mich! Verleugnen willst du mich!", schrie sie den fassungslosem Mann ins Gesicht, um dann ihr Antlitz wieder in den Händen zu verbergen. Der Mann sah noch unbehaglicher drein, als vorher. Er rang sichtlich mit Worten, fand aber keine. Fast panisch sah er seinen Gesprächspartner an. Sein Gegenüber, ein Mann mit unbeugsamen Zügen und grausamen Augen, zischte ihn ärgerlich an. "Was hat das zu bedeuten?" Beide Männer hatten in einer dunklen Ecke gesessen, um unerkannt zu bleiben. Nun galt die gesamte Aufmerksamkeit der Taverne galt ihnen, - die vierte Asskarte beim Pokerspiel, mit umgekehrter Wirkung. "Ich weiß es nicht." "Kennen Sie die Frau?" "Ja .. ja", winselte der Mann unbeholfen. "Aber sie ist gar keine ..." Weiter kam er nicht. Denn als wenn das noch nicht genug wäre, legte sie die Hände auf den Bauch und stöhnte: "Ich weiß nicht, was tun soll ... das arme Kind ...", ihre Stimme erstarb und doch hatte sie jeder gehört. Ihre Zuhörerschaft hielt den Atem an. ,Nein', hauchte es entrüstet, als eine einzige Stimme. "Pauvre petit!" flüsterte sie leise und strich liebevoll über den Bauch. Der junge Vater sprang auf und rief. "Nein, dass stimmt nicht! Sie lügt!", schrie er, während sie in strahlender Ehrlichkeit neben ihm Stand. Ihre Zuhörerschaft sah in ihre Augen, das junge Gesicht, die adrette Gestalt, die Tränen. Neben ihr, der unscheinbare Mann, mit faden Gesichtszügen, kleinen tiefliegenden Augen. Er erntete nur verdammende Blicke, wohingegen die Leute mitfühlend in die Richtung der jungen Frau sahen. "Wirst du für uns sorgen?", fragte sie, mit Zweifeln in den Worten. "Idiot" Sein Gegenüber zog ihm mit tödlich funkelnden Augen auf den Stuhl zurück und riss ihm am Revers zu sich heran. "Ich gratuliere Ihnen, Sie Narr!", zischte er in das puterrote Gesicht, des um Luft und Furcht ringenden Mannes. "Jeder dieser englischen Schwachköpfe schenkt uns nun seine Aufmerksamkeit." Er sprach mit schwerem Akzent. Ein Ausländer, dachten die, die ihn hörten, ein Ausländer ging es flüsternd durch die Reihen. Ausländer stellten in dieser Gegend eine Minderheit dar und hatten den Kopf unten zu halten ... noch weiter unten, wenn es ging. "Oh, die arme Kleine!" Jane eilte um ihren Tresen herum und legte den Arm mitfühlend um die jungen Schultern, die heftig zuckten. Sie hob drohend den Finger. "Schämen sollten Sie sich, Mr.! Wie können Sie das arme Ding täuschen und dann verlassen?" Sie wandte sich den übrigen Gästen zu. "So ein Schuft! Sieht man ihm nicht seine schlechten Absichten an?" Die anwesenden Frauen nickten heftig und murmelten ihre Zustimmung. Besorgt über die Reaktion der Frauen, schauten die Arbeiter anklagend zu ihm, als habe er versucht, auch ihre Ehefrauen zu verführen. "Unternehmen Sie endlich etwas!", fauchte der Ausländer. "Machen Sie dem ein Ende!" "Sie lügt!", wimmerte er erbärmlich. "Sir, tun Sie ihm nichts", wandte die junge Frau flehend ein, "auch wenn er Sie täuschen will. Er braucht das Geld für mich und das Kind." "Täuschen?" "Man zwang ihn, Ihnen falsche Informationen zu geben!" Ein Speichelfaden rann dem Mann aus seinen fahlen Lippen. Mit kalter Ruhe versenkten ihn die dunklen Augen des Ausländers. "Falsche Informationen, so so." "Es ist nicht seine Schuld. Man zwang ihn!" Verschwörerisch beugte sie sich nahe zu ihm und hauchte: "Graf de Meyé" "Sie lügt!" Er umklammerte die Tischkante mit der Kraft eines Verzweifelten. Die Augen des Ausländers wurden zu schmalen Schlitzen, die verkündeten: Du stehest auf dünnem Eis, Junge und unter dir knackt es! "Graf de Meye ...!", fuhr er fort, bestrebt Selbstmord zu begehen. "Spreche den Namen nicht laut aus, du Dummkopf!" Es knackte hörbar, als das Eis brach und er in die Tiefe stürzte. Heydon war ein äußerst unbegabter Amateur, was Verschwörungen anging. Gehörte er doch zu den Mitläufern, die wenn es ernst wurde, sich hinter einem armen Irren zusammendrängten, der das Wort führte und ,Ja, genau' riefen, um sich dann möglichst schnell zu verdrücken. Zudem war er von minderen Intelligenz, die sich durchaus als beharrliche Dummheit beschreiben ließ und durchaus angemessen für ein Geschöpf war, dass sich derart leicht für die Zwecke anderer manipulieren ließ. Bevor er sich mit dem Informanten getroffen hatte, mussten einige Flaschen Hochprozentiges dran glauben, um den Schein von Mut hervorzurufen. Sein Alkoholverstand ließ ihn nur schwerfällig und langsam die Situation begreifen. Er war restlos überfordert. Als er endlich aufstand, um dem Informanten zu folgen, sah er sich dicht umringt, von mehreren Gästen. Eine harte Hand drückte ihn auf seinen Stuhl zurück. "Was nun?", fragte der Tavernenbesitzer und sah ebenso ratlos aus wie Heydon. "Holt den einen Pfarrer!", rief die Bardame. "Holt den Pfaffen aus dem Bett, dass er sie traut!", wurden Rufe laut und Heydon glaubte sich übergeben zu müssen. Und überall dem stand das Strahlen der jungen Frau. Vergebens kämpfte er gegen die kräftige Hand auf seinen knochigen Schulterblättern an. Als einzelne Gäste losgingen, um den besagten Pfarrer zu holen, war Heydon den Tränen nah. "Mit der Zeit, wirst du mich lieben!", beteuerte die junge Frau. Mit frisch erwachendem Hass sah er sie an. Wie Klauen krümmten sich seine Finger. "Du", zischte er zwischen zusammengebissenen Zähnen und wäre ihr, ohne seinen Wächter, an die Kehle gesprungen. "Ich werde dich ..." Ihr Kuss versiegelte seine Lippen und während der gesamte Tavernenschankraum jubilierte, glaubte Heydon an seinem eigenen Speichel zu ersticken. Die Stammkundschaft des Schwans geriet in Hochstimmung und als man schließlich einen verschlafenen Pfarrer hereinzerrte, machte Heydon das in die Hose, was er, wie ihn seine Mutter vor rund 30 Jahren mit viel Geduld lehrte, nicht in die Hosen machen sollte. Die näherstehenden Gäste traten naserümpfend zurück. Er riss sich los und rannte wie ein Besessener davon. Weder Gast, noch Stuhl, noch Tür vermochten ihn aufzuhalten, was aber der allgemeinen Begeisterung keinen Abbruch tat, da sich einige der männlichen Gäste als potentiellen Bräutigamersatz anboten und kräftig drauf anstieß. Beschwingt trat Aramis in die klare Nachtluft und tanzte vor Hochgefühl. Für heute Abend hatte der Musketier in ihr Ausgang. Sie hickste leicht und kicherte über sich selbst. Man wurde nicht belohnt dafür fair zu sein. Sie lief durch die dunklen Gassen und fühlte nicht im entferntesten Angst oder Unbehagen ... der Schatten am Haus war dunkler, als er sein sollte. Jemand bewegte sich leise. Regungslos verharrte sie und lauschte. Ihre Nackenhaare sträubten sich und richteten sich zielgerade auf. Sie konnte die zweite Präsenz spüren, eine zweite, nichts gutes Verheißende Präsenz. Das vorsichtige Atmen, das verstohlene Wispern, die schleichenden Schritte. Eine Gestalt löste sich aus dem feuchten Schatten der Straße. Im fahlen Schein des Mondlichtes sah sie sein siegessicheres Raubtierlächeln. Ein Straßenräuber, dachte sie. Nichts, womit sie nicht fertig werden würde. Den Überraschungsmoment ausnutzend, sprang sie vor und hieb ihm die Handkante gegen das Ohr, um sein Gleichgewichtssinn zu stören. Es hätte geklappt. Ja, es hätte geklappt, wenn nicht der zweite Halunke und sein Knüppel gewesen wäre. Sie trat noch gegen die Kniescheibe des Erstens, dann traf der Schläger ihren Arm traf und diesen lähmte. Aua, dachte sie, mehr ärgerlich, als ängstlich. "Haltet ihn fest!", sagte eine wehleidige Stimme, die sie nur zu sehr kannte. Ein Schlag traf ihren Hinterkopf. Warum musste ausgerechnet Heydons Stimme das letzte sein, was sie ihn ihrem Leben hörte, dachte Aramis, dann wurde es schwarz um sie. Kapitel 34: Der Mörder aus der Hendson Steet -------------------------------------------- Der alte John Dunn lag zusammengekrümmt auf seiner Strohmatte und träumte von besseren Tagen. Bessere Tage hieß, - frühere Tage, denn früher war alles besser und einfacher gewesen. Dabei übersah er lediglich den Umstand, dass auch in den vergangenen Zeiten einmal die Zeit gewesen war, in der er der flüchtigen besseren Vergangenheit nachgetrauert hatte. Etwas polterte gegen seine Tür. Ein düsterer Laut, der als er endlich seinen Schlaf durchbrochen hatte, ihn aufstöhnen ließ. John wälzte seine alten Körper schwerfällig aus dem Bett. "Diese Bälger", brummte er. Sich einfach umdrehen und weiterschlafen nützte nichts. Die Lausbuben der Nachbarschaft trieben so lange ihren Schabernack mit ihm, bis sie einen armen alten Mann aus seinem Bett getrieben hatten. Schmerzen fuhren durch sein altergekrümmtes Rückrat, während er in seine einzige Hose schlüpfte und zur Tür schlürfte. "Diesmal gibt es Prügel." Als er sich gegen die Tür stemmt, blieb diese verschlossen. Etwas Schweres blockierte sie von der Außenseite. Keuchend hielt er inne und fluchte hingebungsvoll. Erneut drückte er mit aller Kraft, doch seinen übermüdeten Gliedern fehlte die Kraft. Missmutig zog er einen Stuhl zum Fenster und kletterte umständlich durch die kleine Öffnung. John Dunn bewohnte, samt seiner einzigen Ziege, ein Zimmer im Erdgeschoss und musste sich lediglich auf der anderen Seite in einem Haufen fauliger Kohlköpfe herunterfallen lassen. Mühsam rappelte er sich auf und keuchte erstickt, vor dem was er da erblickte auf. Vor seiner Tür lag, was vor gar nicht allzu langer Zeit noch lebendig gewesen sein möchte. Das Entsetzen ließ ihn zur Salzsäule erstarren. Er vermochte den Blick nicht von der, von Fliegen umschwärmten Leiche lösen, die ihn aus leeren Augenhöhlen vorwurfsvoll anzublicken schien. Karl I. schloss die Augen, in der Hoffnung, dass die Welt ein besserer Ort sein würde, wenn er sie wieder öffnete. Als er sie wieder öffnete, zeigte sie noch immer das kalte Gesicht des frisch degradierten Grafen de Meyé. Es war bittere Ironie, dass Karl I. zu den Herrschern gehörte, die kaum dazu beigetragen hatten, die Welt zu seinem besseren Ort zu machen. Fand sein Name doch kaum Platz in den Geschichtsbüchern, neben den wirklich großen Fürsten der Vergangenheit. Die Stuarts regierten England, sein Profil prägten die Gold- und Silbermünzen, sein Gemälde hing im Thronsaal, aber überall in seinem Land waren noch die Einflüsse von Elisabeths Regierung sichtbar und ließen erkennen, dass es für England schon bessere Zeiten gegeben hatte. Endlich stellte er den Weinpokal beiseite und widmete sich dem Grafen. Es ärgerte Karl, dass Frankreich Geheimagenten an seinen Hof geschickt hatte. Hieß es doch, dass man ihm die Fähigkeit absprach, selbst damit fertig zu werden. Er nahm sich vor, dem Chef seiner Geheimgarde daran zu erinnern, dass man ihn zur Verantwortung ziehen würde, wenn sich durch den Diplomaten nicht einzuschätzende Konsequenzen ergeben hatten. Ein Diener entfernte das leere Weinglas. Sein Schreibtisch war leer, so wie es Karl gefiel. Wer nichts zu verheimlichen hatte, ließ einfach alles herumliegen und verriet so, was er trieb. Ein Schreibtisch der leer war, zeigte, dass sein Besitzer etwas zu verbergen, ja Geheimnisse hatte und folglich Macht besaß. Macht übte einen unglaublichen Reiz auf Karl aus, das selbst die sexuellen Gelüste überstieg. Zudem ruhte sein Schreibtisch, samt Stuhl auf einer minimalen Erhebung. Dem Bittsteller war es nicht bewusst, dass der König selbst räumlich auf ihn herabblickte, aber die psychologische Wirkung war enorm. Nicht nur das, - der König hatte den Grafen genau vier Stunden auf seine Audienz warten lassen. Zeit war eine wertvolle Waffe. Es war gerade zu heimtückisch, dem Vorgeladenen der zermürbenden Anspannung des Wartens auszusetzen. Er bat seine Besucher grundsätzlich nicht sofort zu sich herein. Stattdessen ließ er sie warten und immer wieder durch einen Pagen versichern, dass es nicht mehr lange dauern würde. Die Menschen hatten dem nach genügend Zeit, sich mit ihren Ängsten und Befürchtungen auseinanderzusetzen. "Womit kann ich Euch dienen, mein König?" "Gar nicht", kommentierte der König spitz. Der Graf verzog keine Miene, doch er spürte, wie sich seine Finger verkrampften und die Schläfenadern anschwollen. Der König presse die Hände aneinander und klopfte mit den Zeigefingern gegen seine Zähne. "Was tun? Was tun?", fragte er nachdenklich. "Was tun, wenn Diplomatie den Anstrich von Schmutz und Dreck bekommt?" "Ich verstehe nicht, Eure Majestät?" Es gab Regeln. Intrigen und Korruption existierten, darüber machte sich kein Herrscher Illusionen, aber diejenigen die damit zu schaffen hatten, mussten bestimmten Regeln folgen. Aber einigen Leuten war einfach nicht zu helfen. Viele Adlige waren von Königen eliminiert worden, weil sie über das Ziel hinausgeschossen waren und nun war Karl der Meinung, dass der französische Diplomat die Zielscheibe verfehlt hatte. Natürlich eliminiert ein König einen Adligen nicht selbst. Das verbot die Regel. Er gab entsprechende Hinweise zur rechten Zeit, am rechten Ort und wenn der Adlige überlebenswillig genug war, dann begriff er und suchte das Weite. Der König dachte einige Augenblicke lang nach. "Graf, wisst Ihr, man weiß die Freiheit erst zu schätzen, wenn man sie hinter ein paar Eisenstangen sieht und dem Atem des Henkers im Nacken spürt", sagte er sarkastisch. "Äh, keine Ahnung." Eine Braue erwachte aus ihrem Schlummer zuckte. Zwanzig Minuten später - und das schloss eine Schreckensminute für den Grafen ein - waren die wichtigsten Wertsachen des Grafen verpackt und der Graf beim Verlassen des Landes. Am 12. August des Jahres 1623 nach Christi ereignete sich zu später Nachtstunde ein Mord in der Hendson Street. Ein älterer Anwohner fand die Leiche kurz nach Mitternacht und erlitt aufgrund des Schreckens einen Herzinfarkt. Zurück blieben eine verzweifelte Witwe und ein Enkelkind, dessen Eltern bei der letzten Seuche ums Leben gekommen waren. Die Stiftung von St. James nahm sich ihrer an, damit nicht das Armenhaus die letzte Wohnstätte ihres Lebens bleiben sollte. Wenige Stunden später, bestätigte die Wache der Öffentlichkeit die geschätzte Tatzeit, Todesart und Tatwaffe. Den Namen der Leiche hielt man geheim. War es nur ein Raubüberfall oder der Beginn einer Verschwörung, die bis zum König reichen würde? So begann ein Artikel in dem Tagesblatt des 13. Augusts. Ein Toter mehr oder weniger in London, war nicht weiter der Sensationslust der Reporter wert, spülte doch die Themse die ein oder andere aufgedunsene Leiche an das Ufer, raffte Armut und Seuchen die Menschen zu Hunderten dahin. Aber ein sauberer Degenstich direkt durchs Herz, bei einer Person, dessen Identität vertuscht werden sollte, dass war wie ein Fleischbrocken für ausgehungerte Löwen. Gut möglich, dass es nur eine Begegnung mit einem unfreundlichen Zeitgenossen, mit Knüppel und leerer Geldbörse war. So gärten die Gerüchte, bis sie zu wilden Ereignissen aufblähten - zu parasitären Wucherungen für das Tagesblatt und die steigernde Auflage. Was die Polizei und die Presse nicht wussten, war die Anwesenheit dreier Straßenräuber kurz vor der Mordzeit. Hatte einer der Anwohner etwas von der Tat mitbekommen, so behielt er es für sich. Es lebte sich besser und vor allem länger, Dinge mit Absicht nicht zu sehen. Neugier schlug auf die Gesundheit, dass war allgemein bekannt. Zurück blieben die Leiche und ein verstörter John Dunn, dessen letzte Empfindungen mit einer durchnässten Hose und einem stechenden Schmerz in der Brust endete. Die Räuber indes zeichneten sich durch konsequente Abwesenheit aus und von dem Täter fehlte jede Spur. Nicht weit vom Tatort entfernt und wenige Augenblicke nach dem Mord rannten zwei Gestalten durch die Nacht. Sie liefen nebeneinander her, durch die dunklen Gassen. Im Schatten der Nacht rückten die Häuser näher zusammen, als wollten sie sie zerquetschen. Eine der Gestalte strauchelte, stolperte und wäre sicherlich gestürzt, hätte der andere nicht zugegriffen und festgehalten. "Danke", sagte eine leise Stimme. "Das sieht nach einer Schussverletzung aus!", erwiderte die andere. "Das liegt daran, dass auf mich geschossen wurde." Schmerzen erzeugten Sarkasmus. Benommen rieb sich Aramis die Schläfe. Es war nur ein Streifschuss, aber das aufgerissene Fleisch brannte und sie schmeckte den bitteren Geschmack von Galle im Mund. Heydon musste gleich nach dem Verlassen der Taverne auf seine Mittäter gestoßen sein. Männer wie diese, gab es überall und zu jeder Tages- und Nachtzeit. Für Silber taten sie alles. Harte Schläge holten sie aus ihrer Bewusstlosigkeit. Solche Schläge, ertrug man nur, wenn man das Bewusstsein verlor oder sie holten ein aus der Schwärze der Besinnungslosigkeit, umso schmerzerfüllter zurück. Sie hatte keine Kraft mehr zu Gegenwehr gehabt, als Heydon seine Pistole zog und auf ihr Herz zielte. Starr vor Angst und Ohnmacht, benommen von den Schlägen, starrte sie in den dunklen Lauf der Pistole. Aramis keuchte erstickt auf. Die Zeit verlangsamte sich. Man umfasste ihre Arme und Schultern von hinten und hielt sie fest. Irgendwo polterte ein Wagen mit seinen hölzernen Rädern über das grobe Pflaster. Ein einsamer Laut in der Nacht. Aramis fühlte den Schmerz noch bevor einer der Männer zuschlug. Alles wurde unwirklich und das Leben zog an ihr vorbei. Sie nahm die Augen nicht von dem totobringenden Schlund der Waffe, Schmerzen und Tot, die er bringen würde. Heydons Gesicht sprach von Hass. Er rief irgendetwas, sie sah sein verzerrtes Gesicht, hörte die Worte und verstand doch nichts. Da war sie nun. Über ein halbes Jahrzehnt unentdeckt als Mann, dem König und Gefängnis entflohen und nun endete alles in dieser dunklen Gasse. Und plötzlich war er da. Athos und sie, hatten sich gestritten. Kurz nach ihrer Audienz mit dem König, hatte man Athos aus dem Gefängnis entlassen. Auch er war wütend gewesen. Ihr Streit war lautstark und mit Worten, die sie bereits bereuten, als sie sie ausgesprochen hatten. Sie hatten Dinge gesagte, die wie ein böses Echo in der Luft lagen und das Elend, die Bitterkeit und die Ohnmacht, die sie beide empfanden, ließen eine Geste der Versöhnung nicht zu. Und dennoch ... Einer für alle und alle für einen. Athos war aus dem Nichts erschienen, hatte Heydon beiseite gestoßen und der Schuss streifte ihren Arm lediglich einen Millimeter. Bei dem darauffolgenden Kampf, ergriffen Heydons Handlanger die Flucht und der Sekretär erlitt das schnelle und schmerzlose Ableben durch einen präzisen Degenstich durch das Herz. Aramis war zusammengesackt. Benommen vom Schmerz und Erleichterung, musste ihr Athos helfen aufzustehen. Die Schwerkraft war eine Angewohnheit, die sich schwer abstreifen ließ. Nun stolperte sie tapfer neben ihm her und versuchte Schritt zu halten. Sie unterdrückte ihre Schmerzen und versiegelte jeden schmerzerfüllten Laut hinter ihren Lippen. "Wo kamst du her?" "Ich folge dir, seit du den Palast verlassen hast", erwiderte er lakonisch, ohne sie anzusehen. Sturkopf, dachte Aramis, aber er hat mir das Leben gerettet. "Tritt bitte näher an die Mauer heran!" "Warum?" Etwas schlug auf das Pflaster auf. Von einem Augenblick zum anderen stand Athos flach an der Mauer gepresst, während ein weiterer Schwall menschlicher Ausgüsse zu Boden ging. Na bitte, Aramis nickte metaphorisch, jetzt ging es ihr besser. Ihre Stimme war so leise, dass der Wind sie davontrug. "Ich wollte einfach nur nach Hause", flüsterte sie. "Gefällt dir nicht die Vorstellung, nach Hause zu kommen?" "Ich möchte ein kühles Bier." Sie schien beleidigt. Athos seufzte. "Ich habe gerade einen Menschen getötet. Morgen früh geht die Sonne auf und ob deine Aufgabe hier beendet ist, ist bedenklich, aber mir gefällt die Vorstellung von einem kühlen Bier", sagte er und offenbarte damit jene Art von Logik, die sich einstellte, wenn er zuviel Zeit mit Aramis verbrachte. Er schob sie weiter durch die Nacht, zu dem spärlich beleuchteten Eingang einer kleinen Taverne. Der kleinen Hure am Eingang begegnete er mit einem Lächeln, der sich sträubenden Aramis mit Ignoranz. Drinnen empfingen sie ohrenbetäubender Lärm und die abgestandene Luft zu vieler Menschen auf kleinstem Raum mit mangelnder Körper- und Zahnhygiene. In der rauchigen Luft lag das Aroma unverdauten Alkohols. Matrosen aus allen Ländern waren hier eingekehrt und zwischen zottigen Liedern erhob sich ein gewaltiges babylonisches Stimmengewirr aus allen Sprachen der bis dahin bekannten Welt. Sie betranken mit einer Dirne im Arm ihre Nüchternheit und hatte die Grenze des gesunden Menschenverstandes längst überschritten. Im automatischen Modus des männlichen Beschützerinstinkts gefangen, verstärkte Athos den Griff um Aramis Arm und bugsierte sie in den hinteren Bereich des Schankraums. "Warum sind wir aus dem Gefängnis entlassen worden?" Das Bier schäumte knisternd im nicht ganz so sauberen Krug, dessen Innere sein eigenes Spektrum an Bakterien entwickelte. Aramis zuckte unbestimmt die Schultern. "Ich habe ihm erklärt, warum wir hier sind." "Und der König glaubt dir so einfach?" "Warum nicht?", erwiderte Aramis, wobei ihr Gesicht ein sorgfältiges Bild der Unschuld zeigte. Sie versuchte engelsgleich zu blicken, machte es dadurch aber wahrscheinlich noch schlimmer. "Er kümmert sich jetzt um den Diplomaten. Außerdem hat der Graf seinen Informanten gegenüber einiges an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Selbst wenn er noch weiter seiner diplomatischen Tätigkeit in London nachkommt, würde niemand ihm Glauben schenken. Mr. Heydon ist tot und Broussard außer Landes. Kehrt er nach Frankreich zurück, wird de Meyé mehr gemieden, als ein Pestkranker." "Athos musste sich konzentrieren, mit dem Nicken aufzuhören. "Tatsächlich", erwiderte er. "Weiß er das auch?" In ihrem Zustand konnte Aramis nichts mit Sarkasmus anfangen. Athos Problem war, dass er steht's danach strebte, Gesetze, Regeln und Befehle einzuhalten und zu befolgen. Aramis nahm Befehle hin und filterte dann diese durch das feine Netz der Vernunft und gab eine großzügige Portion kreativen Missverständnisses hinzu. Half das nicht, reagierte sie mit Taubheit. "Wenn ich mich recht erinnere, dann sollte der Graf nicht öffentlich kompromittiert werden." "Das schon, aber offiziell hatte ich nie eine Audienz beim König. Wir haben nicht mit einander gesprochen." "Verstehe, um solch ein Treffen handelte es sich." Aramis sah Athos an, der nie die Stimme hob. Es ließ sich kaum feststellen, woran er dachte, selbst wenn er seine Gedanken in Worte fassen würde. Sie rieb sich den Nassenrücken und konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal geschlafen hatte, - damit meinte sie richtiges Schlafen, kein Dösen oder Bewusstlosigkeit. Wahrscheinlich fiel es ihr deshalb das Denken so schwer. Mit dem Lärm der Taverne im Ohr, schlief sie ein. Athos sah, wie ihre Lieder schwer wurden und der Arm, samt Kopf wegknickte und auf dem Tisch landete. Er betrachtete Aramis, wie sie im Dämmerlicht der Taverne. Er hatte die letzten Tage ebenfalls im Tower verbracht. Dank der Fürsprache seines Cousins in einer der oberen Etagen, bei erheblich mehr Luxus und Erträglichkeit. Gegensätzlich zu der Inhaftierung über dem Erdgeschoss, wurden die Insassen im Untergeschoss behandelt. Er wusste, dass Aramis indes die Zeit im Kerker abgesessen hatte. Dahinvegetieren, stand als Begriff zur Daseinsberechtigung dort. Schläge, Hunger, Kälte, Krankheiten und Dreck waren dort allgegenwärtig. Er sah in ihr Gesicht, dass viel zu blass war und nur noch aus Augen zu bestehen schien. Ich fasse es nicht, dachte er. Da sitzt eine Frau, die versucht einen Mann zu spielen und ich der weiß, dass sie eine Frau ist, gebe ihr das Gefühl, zu glauben, ich sähe sie als Mann. Versuche das mal jemanden zu erklären, der nicht schon einige Gläser getrunken hat. Aramis war ihm in den Jahren als Musketier ein Kamerad geworden, dem er sich auf eine ganz besondere Art und Weise viel enger verbunden gefühlt hatte, als jemals einem anderen Menschen. Als sie beide im Gefängnis saßen, hatte er zum ersten Mal gespürt, dass es ihm Unbehagen bereitete, von ihrer Seite zu weichen. Graf de Meyé hielt viel von Geld, Macht und Prestige. Vor allem hielt er viel vom Leben und um dieses zu behalten, musste er das Land wechseln. Dabei galt es ein passendes Exil zu finden. Nach Frankreich zurückkehren konnte er nicht. Der Kardinal besaß ein langes und gründliches Gedächtnis und galt als sehr nachtragend. Der Duke von Buckingham hatte dies durch Milady und einem sehr spitzen Dolch zu spüren bekommen. Bestimmte führende Männer in bestimmten angrenzenden Königreichen, hegten einen nicht ganz unbegründeten Groll auf de Meyé, auf grund der letzen geplatzten Transaktion. Es gab annehmbare Exile, wie Spanien oder Italien, nur galt es auch dort, bestimmte Adelsfamilien zu meiden. Graf de Meyé wusste nicht, welches Ereignis in der Geschichte den Zwist ausgelöst hatte, aber er musste wichtig gewesen sein. Ansonsten wäre es dumm gewesen, die gegenseitige Verachtung fortzusetzen. "Oh, mein Gott". Das Timbre der Stimme vibrierte in einem sorgevollen Schluchzer. Athos schluckte schwer und wich zurück. "Oh, Olivier." Seine Tante mit aufgelösten Haaren und im blassrosa Morgenmantel zu sehen, zerstörte schlichtweg sein Weltbild. Elisabeth Corday stand, seit sie den Titel der Lady Corday innehielt an der patriachalen Spitze der Familie, als Sinnbild für Ethik und Stil. Sie war sozusagen das Firmenschild der Familie. Er fand heraus, dass Kerzenlicht einer Frau, mitte 50, zwar schmeichelte, aber nur die völlige Dunkelheit die Falten ganz verbarg. "Mein Gott", rief sie und rauschte geradewegs an ihm vor bei. "Deine arme Verlobte, die arme Comtesse." Hierbei ergriff sie Aramis Hände und drückte diese innig. "Was haben sie Euch angetan, mein Kind?" Aramis Wangen färbten sich rot. Elisabeth sah über die Tatsache hinweg, dass Aramis kurz vor ihrer Verhaftung in äußerst delikaten Umständen vorgefunden wurde. Aramis Kollision mit den am Hofe geltenden Regeln der Ethik sollte Gesprächsstoff über Jahre hinweg liefern. Aber die Entscheidung ihres geliebten Neffen, diese Frau zu ehelichen und der Familie Corday und la Fere zuzuführen, verpflichteten Elisabeth Corday zu absoluter Treue und Optimismus. "Tante Beth, sie ist nicht meine ..." "Wie fühlt Ihr Euch. Euch einfach in den Tower zu stecken, als wärt Ihr eine Schuldnerin oder gehörtet zum gemeinen Volk..." "Mir geht es ... besser." "Tante, sie ist gar nicht ..." "Ich konnte es nicht fassen. In einem Augenblick bei Hofe und im anderen in einen dunklen Kerker. Haben sie Euch etwas angetan?" "Mir geht es wirklich besser", warf Aramis zaghaft ein "Der König muss nicht ganz bei Verstand gewesen sein." "Er hat sie ja wieder entlassen", wandte ihr Sohn ein, der bisher geschwiegen hatte. Betrübt schüttelte Elisabeth den Kopf. "Sie ist nicht meine Verlobte." Elisabeth Augen wurden starr. "Au", entfuhr es Aramis und versuchte ihre Hände zurückzuziehen. "Nicht deine Verlobte?", wiederholte Lady Corday mechanisch. "Au", wiederholte Aramis. "Wer ist sie dann?" Endlich bekam sie ihre Hände frei. Drei Augenpaare richteten sich auf Aramis. "Sie ist ..." Erschrocken holte Aramis Luft. "... eine Agentin des Königs." Die Luft entwich unverbraucht. "Eine Agentin des Königs?", wisperte Corday's Mutter und zupfte an ihrem Morgenrock. "Bist du auch ein Agent des Königs?" "Ich stehe im Dienste des Königs von Frankreich", bestätigte Athos. "Ich lege, wenn ich nach Frankreich zurückkehre, meinen Namen wieder ab!" "Was?" Aramis fühlte sich, als näher sie sich dem Rand vor einem tiefen Abgrund. Und sie tastete sich zur Dunkelheit jenseits des Randes vor. "Zum Glück ... Jetzt ist unser Auftrag beendet und es ist Zeit heimzukehren." Sie wählte ihre Worte sorgfältig. "Der König erwartet uns", schloss sie sanft, aber beharrlich. Elisabeth Blick traf sie und schickte in den Abgrund. "Zurückkehren ... zum König? Du kannst deinen Namen doch nicht ablegen, wie ein Kleidungsstück, Olivier." Ihre Stimme klang nicht mehr optimistisch, sondern nur noch hohl. "Dein Vater ist tot. Du musst heiraten, auf deine Länderein zurückkehren und die Verwaltung und Führung der Familie übernehmen. Die Familie de la Fere braucht einen Erben?" Bedauernd schüttelte ihr Neffe, der Letzte der de la Feres den Kopf. Die Weiterführung des Stammbaumes hatte Zeit. "Noch nicht." Das Abbild seines ewig strengen Vaters erschien vor Athos innerem Auge und sein Bewusstsein für Familienehre und die Bürde seiner Geburt, vor der er geflohen war, regten sich in ihm. Er wusste, dass Aramis morgen London verlassen wollte. Es gab für sie keinen Grund zu bleiben. Ihre Aufgabe war beendet und der König hatte ihr unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass er sie auf Whitehall nicht mehr zu sehen wünschte. "Wenn euer Land an den König fällt, werden die de la Feres werden aussterben." Beunruhigt wich Athos dem Blick seiner Tante aus. Auch Corday mischte sich ein. "Du solltest auf sie hören, Olivier! Was ist, wenn dir etwas passiert?" Schweigend beobachtete Aramis die Drei. Athos Familie ging sie nichts an. Dennoch, das Herz schlug laut und schnell, der Hals war trocken und das Blut rauschte in den Ohren. Elisabeth hackte sich bei ihrem Neffen ein und strich ihn beruhigend über den Arm. "Ich kenne da ein zauberhaftes Mädchen. Ausgezeichnete Familie, vermögend, mächtig und blaublütig", wandte sie eifrig ein und Aramis Herzschlag erhöhte sich abermals. "Sie ist zierlich, dunkelhaarig und hat wunderschöne dunkle Augen. So wie du es magst." "Tante Beth, ich kann wirklich nicht ..." Elisabeth führte ihn sanft zur Tür hinaus. "Schlaf darüber, mein Junge und denke über deine Zukunft und die der de la Feres nach. Dein Vater hätte es so gewollt." Langsam sackte Aramis in den Stuhl nieder. Ihre Hände umklammerten die Lehnen. "Vielleicht hast du Recht, Tante Beth. Morgen teile ich dir meine Entscheidung mit." "Wenn sie es nicht ist, dann wird eine andere die nächste Gräfin. Mit dem Morgengrauen wirst du wissen, was gut für dich ist." Kapitel 35: Wie ein Stachel im Fleisch -------------------------------------- Wolken zogen sich über den Sternenhimmel und verdeckten das kalte Nachtlicht. Auf dieser Seite der Themse erstarben die Geräusche in der Nacht ganz. Eine einsame Eule gurrte in der Nacht und der Wind raschelte sanft durch das Laub der Bäume. Holzwürmer gruben sich, kaum hörbar, durch Jahrhunderte alte Holzschichten und eine Maus kämpfte um ihr Überleben im Küchentrakt. Athos lag wach in seinem Bett und wälzte sich hin und her. Das Laken war durchgeschwitzt und die Bettdecke lag unangenehm auf seiner Haut. Seine Gedanken ließen ihn nicht zur Ruhe kommen. In seiner Brust schlugen zwei Herzen. Schwer atmend setzte er sich auf und fuhr sich über die müden Augenlider. Die Tür wurde aufgerissen und landete, mit einem nicht unerheblichen Laut, Ausdruck ihrer Wut, an der Wand. Mit Aramis Eintreten verdichtete sich die Atmosphäre des Raumes zu einer explosiven Mischung aus Entrüstung, Wut und dunkelrotem Zorn. "Mistkerl", fauchte sie und wedelte aufgebracht mit einem Brief, den sie zerknüllt in ihrer Hand hielt. Eine Walküre vor den Himmelspforten, alten Wikingerglaubens, konnte nicht bedrohlicher wirken. "Du wusstest es, die gesamte Zeit, seit du England betreten hast. Hinterhältiger, verlogener ..." Eine Schimpftirade ging auf ihn nieder. "Was wusste ich?", fragte er ruhig. Sie verengte ihre Augen zu schmalen Schlitzen und strich mit kaltem Zorn den Brief glatt. "Das fragst du noch? Du weißt, dass ich eine Frau bin." Das Echo ihrer Worte erfüllte den Raum. Athos zog scharf die Luft ein. "Porthos schrieb dir?" "Nein, D'Artagnan, aber das ist nicht wichtig. Wichtig ist, dass du mich die gesamte Zeit über hast glauben lassen, du wüsstest es nicht. Du hast mich belogen." "Ist es nicht anmaßend von dir von Lüge zu sprechen?" Die Wolkendecke zog von den Sternen. Ihr weißes Licht flutete das Zimmer und erhellte Aramis Züge. Athos wich innerlich zurück. Eine ganze Garnison hätte das getan. "Ich tat es um mich schützen", schrie sie. Athos lachte bitter auf und sprang aus dem Bett. Er trug nur eine dünne Leinenunterhose, die ein schmales Band lose an den Hüften zusammenhielt. Ein schmaler Haarsaum lief zwischen seiner Brust entlang. Muskeln und Sehnen zeichneten sich unter der Haut ab. Er sah, dass sie schluckte und sichtlich aus dem Konzept gebracht war. "Du hattest dazu kein Recht", wiederholte sie mit belegter Stimme und musste sich zwingen, ihm in sein Gesicht zu sehen. Das geschah ihr Recht. Sie wollte doch ein Mann sein. War er ihr Mann zuviel? "Hattest du das Recht uns zu belügen?" "Hättet Ihr mich als Frau akzeptiert?", fragte sie zurück. "Hast du die Möglichkeit in Betracht gezogen?" Aramis schüttelte stur den Kopf. "Beantworte meine Frage, Athos!" Er schwieg wütend und im bitteren Triumph, als Mann recht zu haben. Aramis befand sich als Frau nicht an dem für sie angestammten Platz. Sie verstieß gegen die sittliche Norm, in mehr als einer Hinsicht. Er ballte die Hände zu Fäusten. Muskeln schoben Muskeln beiseite. "Nein", entgegnete sie, "weil ihr mir gar nicht das Recht eingeräumt hättet, Musketier sein zu dürfen." "Es gibt Verhaltensregeln und Vorschriften und wir alle müssen uns an diese halten." "Nein, nur Frauen!", stellte sie richtig. Athos war näher getreten und viel zu nah. Das Denken fiel ihm schwer, der Grund, warum Zorn und Wut seine Gefühle überschattet hatte, verflüchtigte sich. Was für einen unsinnigen Streit führten sie da? "Ich hatte meine Gründe, warum ich mich als Mann verkleidete und fortlief und die entbinden mich von jeder Regel. Gäbe es einen anderen Weg, so hätte ich ihn gewählt", entgegnete sie. Er hob eine Braue. "Hättest du das wirklich?" "Natürlich", erwiderte sie erstaunt. "Glaubst du, ich genieße es, mich verstellen zu müssen, von Albträumen und Wahnvorstellungen verfolgt zu werden, die Inquisition im Nacken zu spüren. Immer und überall besser als alle anderen sein zu müssen, um nicht aufzufallen?" Ein vager Schimmer von Tränen, die Trotz und Stolz nicht zuließen, schimmerte in ihren Augen. Sie wirkte trotz Hemd und Hose verletzlich und feingliedrig. "Ist das alles, was du in mir siehst? Ein Regelverstoß? Etwas Anstößiges?" "So war das nicht gemeint." "Doch! Wie lange weißt du, dass ich eine Frau bin? Drei oder vier Monate und wie begegnest du mir seit dem?" Sie schüttelte wütend den Brief. "Was wird mich bei meiner Rückkehr in Paris erwarten? Von Freundschaft und Akzeptanz ist keine Spur mehr." Ihre Freundschaft war beiden soviel Wert gewesen. Es war klar, dass sie sich von Anfang an gut verstanden, waren sie doch Menschen gleichen Temperaments, die eine adäquate Gesellschaftsform suchten. Beide stieß sie das Streben nach Wein, Weiber, Kampf und Heldentum ab, dass die anderen Musketiere miteinander verband. Und nun? "Das ist keine Gewöhnungsfrage", sagte Athos. "Habe ich dir je Anlass gegeben, dass ich meiner Aufgabe als Musketier nicht gewachsen bin?" Es ging Athos nicht darum, wie gut sie als Musketier war. "Aramis, ich ..." "Habe ich je Feigheit oder Mutlosigkeit gezeigt?" "Aramis ..." "Schwäche oder Unzulässigkeit?" Er schwieg. "Ich bin vielleicht ein Dummkopf, aber du bist der größere von uns beiden Athos." Sagte sie und wandte sich zum Gehen. "Renée!" Abrupt drehte sie sich herum und starrte ihn an. "Das ist das erste Mal." "Das erste Mal was?" "Das erste Mal, dass du mich so genannt hast", sagte sie leise, fast nicht hörbar. Er schaute ihr verwundert in die Augen, schließlich meinte er fast zögernd. "Es ist ein schöner Name!" Dann übernahm ein anderer Teil von ihm das Denken. Seine Lenden produzierten einen Überbedarf an Testosteron und beanspruchten die Steuerung seiner Handlungen für sich. Er überwand den letzten Schritt zu ihr. Umfasste mit beiden Händen ihr Gesicht und küsste sie. Erst ganz leicht, ein sanftes berühren beider Lippen, dann leidenschaftlicher, heftiger. Aramis sträubte sich nicht, im Gegenteil, sie schmiegte sich enger an ihn, als wollte sie mit ihm eins werden. Die schmalen Finger fuhren über die bloße Haut seines Rückens. Hitze breitete sich in seinem Körper aus. Mochte sie sich hinter Uniform und Waffe verstecken. Sie war eine Frau und sie schmeckte wie eine Frau, süß und verheißungsvoll. Sanft, aber bestimmend dirigierte er sie zum Bett, bis die Bettkante Aramis Kniekehlen berührte und ihr keine andere Wahl blieb, als einzuknicken und auf das Bett zu sinken. Athos hatte einen Punkt erreicht, an dem nicht mehr die Vernunft oder sein Verstand sein Handeln bestimmte. Seine Erregung hatte das ganze Nervenssystem auf und unter seiner Haut erfasst und nun wollte es gestillt werden. Jeder Widerspruch von ihr, würde keine Billigung finden. Seine Hände und Lippen suchten sich gierig ihren Weg. Aramis stöhnte leise und erregte ihn noch mehr. "Die Welt ist keine andere, weil ich ein Musketier bin", wisperte sie und seufzte. Athos zog das Hemd aus ihrer Hose und schob es hoch. Seine Lippen wanderten über die weiche Haut. "Die Menschen und die Ordnung ist doch ... ist doch ...", ihre Stimme erstarb und sie bewegte sich unter seiner Berührung. Sein Mund hielt inne und er hob den Kopf. "Ja?" "... nicht anders", hauchte sie. Er lachte kehlig und dunkel vor Erregung. "Doch, sieh mich an, was du aus mir gemacht hast." "Was?", stöhnte sie. "Einen Dummkopf." Paris, war eine Stadt so einzigartig, die Mutter eines Landes mit Weltherrschaft. Stadt der Freude, Stadt der Trauer, Stadt des Geldes, Stadt der Armut. Voller Leben, voller Leiden, Stadt der Tränen, Stadt der Freude, voller Hoffnung und Sehnen. Unbegreiflich, wunderschön, unzumutbar, unbequem. Perle eines Landes mit tausend Kirchen, tausend Türme, tausend Straßen voller Menschen. Zu dieser Zeit, eine Stadt des Aufruhrs. Geängstigt und Besorgt durch die Morde, geschürt in ihrer Abneigung und ihrem Hass gegen die Protestanten durch jahrhundertslanger Propaganda, aufgerüttelt durch einen bevorstehenden Krieg gegen England, um die letzte Hochburg der Hugenotten. Es kam die Tage, da destillierten sich all die Stimmungen und schwelgenden Ängste, Unruhen und Besorgnisse, die schon so lange diffus in der Luft gelegen hatten, zum Aufstand. Seine Eminenz der Kardinal, eilte so schnell ihn seine alten Glieder trugen durch den Louvre. Schubweise kehrt Kraft aus früheren, jüngeren Tagen in seinen Körper zurück und wenn diese Stunden ihn seine Gicht und Sterblichkeit vergessen ließen, so nutzte er diese, um seine Macht voranzutreiben. Wie eine Sturmkrähe fegte die graugekleidete kirchliche Macht von Frankreich durch den königlichen Palast. Der Kardinal murmelte leise vor sich hin. Nachdenkliche Falten gruben sich zusätzlich in die hageren Züge. Die Bewohner des Louvre beeilten sich schleunigst, ihm aus dem Weg zu gehen und erst als Richelieu den Palast verließ, atmeten unzählige Kehlen, wie ein einziger qualvoll angehaltener Atemzug auf. Wer ihm nicht entkam, war der Kapitän der Musketiere. D'Treville konnte nicht sein eigenes Büro verlassen. Richelieu beliebte so gut wie nie, das Büro seines schärfsten Kontrahenten zu besuchen. Nun blieb dem Kapitän nur der massive Schreibtisch als Wall gegen das spürbare Verlangen ständiger Machtansammlung durch Richelieu. Vor dem Arbeitszimmer des Kapitäns lauschten die Musketiere mit angehaltenem Atem. "Nein, nein, nein!", donnerte D'Treville. "D'Treville, zeigt Ihr so die Treue zu Eurem König und Land?", tadelte der Kardinal. D'Trevilles Blick schickte den Kardinal in das Fegefeuer, welches ihn ohnehin in der Ewigkeit erwarteten würde. "Ihr zieht keinen meiner Männer für Euren sinnlosen Krieg ein. Ich unterstütze keinen heiligen Kreuzzug." "Wie unsinnig, Kapitän. Wer redet von einem heiligen Krieg. Ich muss mich den weltlichen Problemen des Landes widmen. Die Kirche hat gar keine Zeit militant zu werden. Es geht um rein politische Belange. La Rochelle darf keine Eigenständigkeit zugebilligt werden, wo es so nah bei England liegt und einer unserer wichtigsten Handelshäfen ist. Nur gilt es das Kreuz, dieser störrischen städtischen Oberhäupter zu beugen - für Frankreich." "Ich wusste nicht, dass es so schlecht um Frankreich steht", sagte D'Treville sarkastisch. "Lasst es mich so formulieren! Frankreich ist ein prächtiges Haus. Prunkvoll und Erhaben, aber mit der Zeit ziehen Risse durch die Fassade und England ist wie Hausschwamm in den Fugen. Wir müssen dem schleichenden Zerfall Einhalt gebieten!" "Ich billige ihn trotzdem nicht." "Niemanden interessiert es, was der Kapitän der Musketiere billigt und was nicht", widersprach der Kardinal fast sanft. "Ihr standet nie auf dem Schlachtfeld", wandte D'Treville scharf ein. "Es wird Wehklagen, Tote, Verletzte und Unmengen von Blut geben. Später werden sich Generationen fragen, wo war der Zeitpunkt, wo eingelenkt wurde, damit kein Blut floss. Dieser Moment könnte jetzt sein. Haben wir ein Glück." "Ich fürchte soviel Glück wird La Rochelle nicht haben. Ludwig hat dem Feldzug zugestimmt." Die Tür wurde aufgerissen und unterbrach D'Treville bei seiner Erwiderung. Ungehalten fuhr der Kapitän seinen Musketier an. Der junge Musketieranwärter schluckte verschreckt. "In der Rue de Revoline schließen sich die Bürger zusammen und es heißt, sie greifen den Louvre an." Seine Stimme stieg gleichsam, da sein herz sank. Irgendwo bröckelte der Putz von der Wand. "Papperlapapp, sie würden es nicht wagen. Das sind ein paar Großmäuler und Tunichtgute. Schließt das Tor, nehmt Haltung an und ihnen wird der Sinn nach Revolte vergehen!" Mit einer verärgerten Handbewegung entließ ihn D'Treville. Als der junge Mann weiterhin blieb und sein Kehlkopf ihm wegzurennen schien, seufzte der Kapitän resigniert auf. "Dummkopf, hol Porthos!" Ich hatte Athos, Aramis und Porthos für das hier, dachte D'Treville bitter. Ich konnte ihnen die Dinge überlassen und brauchte mich nur mit Richelieu rumärgern und seiner verdammten Politik. Er wandte sich wieder an den Kardinal. "Das macht Euer Krieg!" Richelieu zeigte keine Gefühlsregung. Er verspürte nur emotionale Regungen, wen er es ,wollte'. Sein zentrales Bewusstsein für Gefühle kamen aus einem entlegenen Winkel seines Gehirns und ließen sich bei Belieben an- und abschalten. Pierre beeilte sich durch die Straßen zu kommen, ohne sperrige Fuhrwerke, aufhaltenden Passanten, vorübereilenden Kaufleute oder gar dem meuternden Pöbel zu begegnen. Er wusste wo er Porthos finden würde. Porthos Wesen tat sich durch seine Vorlieben für das Monogramme vor. Bei der Wahl seines Gasthauses zeichnete sich eine gewisse Kontinuität ab, wie auch bei dem Rhythmus seiner Mahlzeiteinnahmen. Im Gasthaus beim Saint Germain fanden sich ohnehin die meisten Musketiere ein und die Taverne vertrat den Ruf ein gesundheitsschädigender Ort für Vertreter krimineller Berufung zu sein. Um zur Grenze toleranten Konkurrenzverhaltens vorzutasten, fanden sich auch Wachen der Garde des Kardinals ein. Zur Mittagszeit wimmelte es von Vertretern des Gesetzes. Genüsslich saß Porthos bei einer Wildkeule. Das Fett lief ihm über das Kinn. "Porthos, der Kapitän ruft dich. Du sollst sofort zum Louvre kommen!" Piere trat ungeduldig von einem Bein auf das andere. Der riesenhafte Musketier hob den Kopf und zeigte erste Zeichen ernstgemeinten Unmutes. "Ich bin zu Tisch", brummte er und grub die kräftigen Zähne in das saftige Fleisch. Seit Tagen hörte er verdrossen von Musketieren, die aus dem Urlaub zurückgerufen wurden oder für zusätzlichen Dienst eingeteilt wurden. Er erfuhr von Aufruhr, Streitigkeiten, aufgewirbeltem Staub und Unruhen. Die Musketiere bestanden aus zu wenigen Männern, um sich um König und Volk gleichzeitig zu kümmern. Es lag eine Doppelschicht hinter ihm. Seufzend erhob er sich. "Ist es wahr, dass Aramis in England ist ... als Frau verkleidet?" Piere's blonder Schopf ruckte vor Aufregung wie ein Wetterhahn auf einer Kirchturmspitze. Porthos entglitt die Keule aus der Hand und landete klatschend auf dem Teller. Claude, welcher in letzter Zeit nur allzugegenwärtig zu sein schien, setzte seinem Dutzendgesicht ein Grinsen auf, als würde er sich glänzend amüsieren. Unauffällig wie er von seiner Erscheinung her war, entging er meist der Aufmerksamkeit anderer, hatte aber unterdessen seine Ohren überall, damit kein Wort ihm entging, gleichgültig, ob es von links oder rechts kam. "Oh ja und mittlerweile scheint es sogar unser kleiner Piere zu wissen", höhnte er. Porthos spürte den Blick der anderen Gäste in seinem Nacken, wie einen Mückenschwarm. "Wo es doch auch zu den Rotröcken durchgedrungen ist. Aramis sollte in England gleich bleiben. Paris wird ihm so schlecht im Magen liegen, wie verdorbener Fisch", und sein Grinsen wurde eine Spur unverschämter. Steif drehte er sich herum, ohne ein Wort zu verlieren. Piere schnaubte abfällig. Er hörte nicht gern, wenn man schlecht von Aramis sprach. Sein Können, seine Ausbildung und schließlich sogar seine Unterkunft verdankte er ihr. Wenn er dem König als Musketier mit demselben Eifer dienen würde, den er auf seine Ausbildung verwendete, würde er es noch weit bringen. Wo er sonst nie ein Widerwort gegenüber einem Musketier gewagt hätte, schleuderte er heraus: "Halt das Maul, Claude, deine Worte stinken mehr, als ein frischer Misthaufen. Das ist euch beiden gleich. Ihr liegt in der Sonne und ziehst Fliegen an." Er war ein Bild einzig beleidigender, stummer Anklage. Mit einem letzten Blick abgrundtiefer Verachtung beeilte er sich Porthos zu folgen, der zur Tür hinausgestampft war. "Pass bloß auf, Kleiner!", brummte Claude und wandte sich seinem Wein zu. Verärgert bahnte sich Porthos seinen Weg. Viele Leute waren auf den Straßen. Mehr Pariser als sonst. Man konnte nicht von dem Pöbel in dem Sinne reden, sondern eher von einem Ur-Mob, aus dem sich der echte Pöbel entwickelte, wenn die Stimmung entsprechend angeheizt war. Derzeit stand sie nur auf kleiner Flamme und köchelte vor sich hin. Wie Netz und Spinne breitete er sich in der Stadt aus und Porthos konnte die Spannung im Spinnennetz fühlen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis irgendein Idiot irgendetwas Idiotisches anstellte und bei Idioten war die Natur sehr großzügig. An der Rue ... traf Porthos auf seinen jüngeren Kollegen und Freund, der das Gesehen beunruhigt betrachtete. Gefährlich nahe beim Louvre hatte sich der Pöbel zusammengerottet. "Hölle, Fegefeuer und ewige Verdammnis auf dich!" D'Artagnan musste seinen Freund umrunden, um zu sehen, wer da sprach. "Deine Zähne sollen verfaulen und Maden sollen in deinen Gedärmen wohnen." "Porthos, hinter dir steht ein dürrer Mann und verflucht dicht." "Deine Genitalien sollen Flügel bekommen und davon fliegen." "Ich weiß", erwiderte der Koloss gleichmütig. "Er folgt mir schon seit der Rue des Fossés Saint-Germain. Der Pöbel wollte schon wieder jemanden steinigen und unser Freund rief alle zu einem heiligen Kreuzzug auf." Sein Daumen wies über die Schulter. "Ende in den Dornen der Verdammnis. Mögen Blitze dich erschlagen!", ereiferte sich das dunkelgekleidete Männchen, wobei es wütend hin und her sprang, weil niemand es beachtete. "Jedenfalls habe ich dem energisch ein Ende gesetzt." Sollen die Maden der Verdammnis in deinen Rachen kriechen und dich elendig verrecken lassen." "Es wäre schließlich eine eklatante Herausforderung der Regierungsautorität", erklärte Porthos. Verblüfft blieb D'Artagnan stehen und starrte seinen Freund mit großen Augen an. "Wo kommen wir da hin, wenn die Leute das Gesetz in ihre eigenen Hände nehmen", brummt dieser und schob sich durch die Menge. D'Artagnan musste sich beeilen Schritt zu halten. "Sieh dort!" Porthos zeigte auf Demonstranten, die den Louvre umstanden und seine Wangen zitterten vor Empörung. "Direkt vor den Augen des Königs. Eine freche Herausforderung der konstituierten Autorität." "Deine Hand soll verfaulen und abfallen", heulte der kleine Prediger. "Der was?", fragte D'Artagnan, der an seinen Sinnen zweifelte. Wo war der alte Porthos geblieben. Gutmütig, naiv mit einer großen Portion Inkompetenz, die Athos und Aramis überbrücken mussten. Wann hatte sich Pothos Vokabular auf eine höhere Ebene vervielfältigt? Wie ein Rammbock pflügte sich Porthos durch die murrende Meute und gelangte zum Eingang des Palastes. Ein Stein flog ihm entgegen und er fing diesen mit einer Hand auf, ohne der Wurfrichtung Beachtung zu schenken. Zu D'Artagnans Laufrichtung kam eine ausgeprägte seitliche Komponente hinzu. Verfangen im automatischen Modus der Selbsterhaltung, hielt er sich seitlich hinter dem Koloss. Eher ein Zusammendrängen, als ein Begleiten. Zu ihrem Glück, blieb ihr schwarzgekleideter Irrwisch, fluchend und verwünschend in der Menge stecken. "Wie redest du denn?" Ein dürrer Mann sprang ihnen in den Weg und breitete die noch dünneren Arme aus. "Wir weichen nicht!", schrie er. Porthos erwartete keine Kooperationsbereitschaft und schob ihn einfach beiseite. Er zuckte die Achseln. "So hat es der Kapitän ausgedrückt." "Deine Augäpfel soll aus deinem Schädel fallen", kreischte es hinter ihnen. Porthos drehte sich herum und packte den kleinen Mann am Kragen und riss ihn hoch. Wild strampelten seine Beine in der Luft. "Hör mal, du Wicht. Kein Feuer der Läuterung, keine Steinigung aus Rache, kein Mord und Totschlag. Wenn ich dich auch nur mit einem verdammten Kieselstein in der Hand erwische ...!" Drohend schüttelte er ihn. "Allein deine Worte genügen, um dich für die Ewigkeit im Höllenschlund br ..." Porthos schüttelte ihn erneut. "Das ist Blasphemie", heulte er in Porthos Klauen. Dieser ließ ihn los. "Das heilige Feuer der Inquis ..." "Noch ein Wort und du fängst dir eine." Es gibt Menschen, die erwachen und sind derart ekelhaft fröhlich, dass sie, aufgrund ihres naturellen Optimismussees, Gott für den neuen Tag danken. Was Athos auf den Lippen lag, als er erwachte, war weit davon entfernt, Gottgefälligkeit zu sein. Sein gottesfürchtiger Vater hätte ihm den Mund mit Asche ausgewaschen. Sein Körper fühlte sich taub und müde an, doch gleichzeitig schien es, als summten abertausend Mücken durch ihn. Während sein Geist in die Wirklichkeit einkehrte, pulsierten in Körpermitte noch die Traumbilder der Nacht. ""Oh, mein Gott!", murmelte Athos, setzte sich auf und barg den Kopf in den Händen. Spürte er wirklich sexuelles Verlangen nach Aramis? Das konnte nicht sein. Wenn er sie sah, spürte er nichts davon. Jetzt musste er sich die Frage, was Aramis für ihn war. Ein Mann war Aramis nicht, als typische Frau konnte und wollte er sie nicht sehen. Dafür kannte er Aramis zu lange als Mann. Athos war sich selbst über so ehrlich, einzugestehen, dass wenn der Auftrag nicht stattgefunden hätte, er sich immer weiter, Stück für Stück von ihr entfernt hätte. Gedanklich lagen ohnehin ganze Welten zwischen ihnen. Da dem nicht so war, musste er sich weiter mit ihr auseinandersetzen und feststellen, dass die Person, die ihn jahrelang belog, sich trotz der Erkenntnis, dass es sich um eine Frau handelt, in ihrem Wesen nicht weiter verändert hatte. Es wurde registriert und je länger er mit ihr zusammenarbeitete, sich Sorgen um sie macht, an ihr verzweifelte, mit ihr lachte und den Geist des gemeinsam erlebten aufleben ließ, zweifelt er an sich selbst. Wieso entfernte er sich vom klassischen ,Sie-hat-mich-verraten-wieso-kann-ich-sie-dafür-nicht-mehr-hassen'? Seine Gedanken kehrten wieder zu dem Traum zurück. Er spürte mit aller Intensität die die Anspannung und das sexuelle Verlangen. Athos erinnerte sich, vor längerer Zeit einen ähnlichen Traum mit Aramis gehabt zu haben. Damals hielt ihn nur der Umstand, dass Traumbilder vergänglich und leicht im Alltag zu vergessen waren, davon ab, im Kloster einzutreten, sich dem Zölibat zu unterziehen und die Tage in Selbstgeißlung zu verbringen. "Aramis? Renée?" Jemand riss Aramis aus ihrem mühsam gefundenen Schlaf, indem er sie kräftig an der Schulter schüttelte. "Es ist Zeit aufzustehen!" Sophie blieb sanft, aber bestimmend. Aramis hatte eine ruhelose Nacht hinter sich. Geplagt von Alpträumen und ständigen Wachphasen.das was sie in den letzten Monaten erlebt hatte, würde ihr für den Rest ihres Lebens Albträume bescheren. Kurz vor Morgendämmerung brach der Damm in ihr und Tränen spülten den Weg der Seele frei. Das Weinen tat gut, ihre Sehnsucht, der Schmerz und die schrecklichen Ereignisse in Schweigen hüllen zu müssen, weil sie keinem hatte, dem sie es anvertrauen konnte. Sie schluchzte hilflos und leise in ihr Kissen und hoffte, dass der nächste Morgen keine Spuren in ihrem Gesicht zeigen würde. Das was sie in den letzten Monaten erlebt hatte, würde ihr für den Rest ihres Lebens Albträume bescheren. Sie kämpfte sich mühselig aus dem Bett. Sophie half ihr mit heiterer Betriebsamkeit. "Hast du schon überlegt, welches Kleid du tragen willst?" "Mh." Aramis betrachtete ihr zerknautschtes Angesicht im Spiegel. "Und welche Frisur?" "Dunkelhaarig, mit braunen Augen." "Hä?" "Nicht so wichtig!" Zu beider Unglück und gegensätzlich ihrer derzeitigen Stimmung, begegneten sich Aramis und Athos vor der Tür. "Salut." "Salut." Schweigen. Stille breitete sich aus und setzte sich in den Ecken fest. Unbehaglich wagte keiner den anderen direkt anzusehen. Gestern Nacht war Athos bereit alle Hemmungen und Zweifel zu vergessen. Das Problem mit einer solchen Nacht bestand darin, dass ein Morgen der Ernüchterung folgte. >Sei nicht albern<, dachte Athos, >sie weiß nichts von deinen Träumen. < >Hab Geduld, bald bist du zurück in Paris und kannst wieder zu dir selbst finden<, sagte sich Aramis. "Ein letztes Mal in Kleid und Unterrock?" Aramis zuckte unbestimmt die Schultern und lächelte schief. "Nur bis ich außer Sichtweite deiner Familie bin. Habe ich dich nicht genügend blamiert?" Kam er nun mit? Warum sagt er nichts? Nannte keinen Zeitpunkt? "Wenn du wieder Musketier bist, benimm dich gut. Keine Prügellein, die du so gerne anzuziehen scheinst!" Es folgte ein kurzer Klaps gegen das linke Schulterblatt. Im selben Moment verfluchte sich Athos und zog die Hand wie verbrannt zurück. Seine Worte erinnerten ihn, dass sie eben kein Mann war. Athos versuchte, die Reaktion seines Körpers auf diesen Gedanken zu ignorieren und nahm sich vor, dem Angebot seiner Tante nachzukommen. Es wurde Zeit, dass er seine Bedürfnisse über eine respektable Ehefrau tilgte. Die Zeit war reif, sonst würde er nicht nach einem Mannweib lechzen. Ein Blick auf Aramis ebenmäßige Gesichtszüge brachte ihn dazu, seine Einwände zu korrigieren. So sah keine Megäre oder Walküre aus. Er lächelte. "Oliver?" Seine Tante erschien mit strahlendem Antlitz. Athos zuckte zusammen und das Lächeln gefror. "Ich komme gleich." "Also kehrst du nicht mit mir zurück nach Paris?", wollte Aramis wissen. "Bald", erwiderte er ernst. "Aber nicht sofort." "Also suchst du eine Frau?" Aramis versuchte mühsam ihre Stimme nicht bitter und enttäuscht klingen zu lassen. Er lächelte still und seine Augen verrieten nichts, als selbstsichere freundliche Ruhe. "Vielleicht. Wer weiß, was ich finden werde." Ein merkwürdiger Abschied zunehmen, aber es blieb ein Abschied. Kapitel 36: Geliebtes Frankreich -------------------------------- Drei Mächte prallten aufeinander. Der offizielle Träger der Staatskrone und Macht, der Mann auf dem Thron. Ihm zur Seite sein Schatten, sein Mentor, sein Gewissen und der wahre Tonangebende im Räderwerk der Herrschaft, Vertreter des Klerus und doch so irden festhaltend, an allem was Gottes Geboten widersprach. Zu Guter letzt, als Bewahrer des Thrones, Beschützer seines Repräsentanten die Militärmacht. Der Kapitän der Leibgarde. Die Atmosphäre im Raum fühlte sich an wie dickflüssiger Sirup, so zäh floss sie, gespeist mit Macht. Der eine verkörperte sie aufgrund des richtigen Blutes, der zweite aus krankhaften Ehrgeiz und berechnender Intelligen, der dritte aus Kraft und Grundsätzen. Fünfzig Prozent der Bevölkerung Frankreichs erhoben ihr Glas auf Ludwig XIII, lediglich dreißig Prozent auf den Kardinal und 1. Minister Frankreichs. Die Musketiere tranken im Andenken an ihren Kapitän und der Rest prostete sich selbst zu. Richelieu hatte mit seinem Ansturm zur Eroberung von La Rochelle begonnen. So schnell, dass Ludwig die Ereignisse immer noch nicht ganz begriff. Wie eine Lawine setzte alles, was Richelieus unmittelbarer Befehlsgewalt unterstand in Bewegung und riss mit sich, was ihm in seine militanten Fänge geriet. Einer gefräßigen Krake gleich, verschlang es die Steuergelder, Güter und Vieh, Waffen, Werkzeug, Ausrüstung, Pulver und nicht zu letzt Menschen. Bald würde der Krieg seine ersten Witwen, Waisen, Krüppel und Veteranen fordern. "Für ein paar Sous angeworben", kritisierte D'Treville Richelieus Kriegsmaschinierie sarkastisch. "Ein Haufen Bauernlümmel rekrutiert Ihr da, die keine Mistgabel von einer Muskete unterscheiden können. Im besten Fall ergreifen sie die Flucht, im wahrscheinlichsten Fall verliert Frankreich seine Söhne. Bauernlümmel und zwangsrekrutierte Verurteilte aus der Bastille oder Vincennes, ist es nicht so, Kardinal?", fragte er scharf. "Eminenz?" Ludwig wollte es genau wissen. "Dienst in der Armee, gegen die Freiheit. Entlasst Ihr hinter meinem Rücken Strafverurteilte?" "Natürlich nicht", bekannte er entrüstet. "Gott bewahren, dass ich als Diener der Kirche und unseres wunderbaren Staates, zu derartigem fähig bin." Der Kardinal schlug das Kreuzzeichen. "Diese Männer haben alle Verbrechen begangen, zu denen Adams Nachkommen fähig sind. Nicht auszudenken, was sie machen würde, ließe man sie frei. Vergewaltigungen, Raub und Plünderungen wären die Folge. Als nächstes wollt Ihr mir nachsagen, ich würde aufgelesene Huren statt sie in eine Besserungsanstalt zu stecken, in den Gewölbe der Bastille für mich arbeiten lassen", fuhr er doppelschneidig fort, "während ich den Teufel unter meiner Robe versteckt halte." In den Augen des Kapitäns flammte es gefährlich lodernd auf. "Nein, dass sicherlich nicht. Es wäre nicht Euer Niveau", erwiderte er zynisch. Der Kardinal war sicherlich fähig die Akten in den Gefängnissen samt Insassen verschwinden zu lassen, ohne das jemals etwas davon ans Licht drang. Richelieus Bestreben war es, Frankreichs Macht zu vergrößern. Er war letztendlich Frankreichs ergebenster Diener. War er da zu so etwas fähig? Die Arroganz der Macht wurde überboten durch ihre Ignoranz, dachte D'Treville bitter. Er sah das Flackern der Beunruhigung in Ludwigs Augen. "Ich werde der Sache nachgehen", prophezeite er düster, während die wachsende Empörung in seinen Augen der Verachtung wich. Ludwig nickte unmerklich. "Die Musketiere hätten für die Armee einen unschätzbaren Wert als Offiziere." D'Treville zog scharf die Luft ein. "Die Musketiere seiner Majestät sind einzig und allein für seinen Schutz da." "Meine Garde und die Pariser Polizei garantieren für den Schutz des Königs." Die Furche auf D'Trevilles Stirn wurde noch tiefer. Anmaßend widerlegte er: "Ihr glaubt doch nicht allen ernstes, dass ich mein Vertrauen auf die Pariser Polizei lege?" Oder auf den Eurer Garde, was aber ungesagt blieb. "Die Polizei versieht ihren Dienst lediglich als Broterwerb. Der Schutz des Königs ist für die Musketiere ein Privileg, etwas wofür er sein Leben ohne zu zögern gibt." Der Kardinal lachte freudlos. "Genau dieses kann er für seinen König und Vaterland geben ..." Ludwig seufzte schwer. "Warum ist gerade der Kapitän meiner Musketiere, unser schärfster Gegner, was die geplante Eroberung La Rochelles betrifft?", sagte er ruhig. D'Treville sah in Ludwigs Augen, dass der König wirklich hinter dem Kardinal stand. "La Rochelle ist eine Stadt voller Aufrührer, welche die autoritäre Macht des Königs anzweifeln. Wir können nicht dulden, dass La Rochelle weiterhin ihre Unabhängigkeit behält, da es uns schadet. Und nun will es sich mit den Engländern zusammenschließen. Andere würden seinem Bespiel gleich ziehen. Wollt Ihr als einer meiner vertrautesten Untergebenen für diese Aufrührer verwenden?" "Natürlich nicht, Eure Majestät", wandte der Kapitän kleinmütig ein. "Nur die Musketiere ..." "Die Musketiere bleiben weiterhin unsere Leibgarde und Beschützer unserer Person!", unterbrach der König hin. "Nichts soll sich daran ändern." Ein strenger königlich-autoritärer Seitenblick auf den Kardinal, ließ diesen das Haupt demütig sinken. "Was ist mit Aramis?" Mit gewölbter Braune registrierten König und Kardinal den Themawechsel. "Was soll mit ihm sein?", fragte der Kardinal lakonisch. "Habt Ihr Nachricht aus England?" Das Gesicht des Kardinals blieb weiterhin unbeteiligt. Als wäre Aramis aus seiner Erinnerung getilgt. "Nein." "Graf de Meyé ist ins Ausland geflohen", verriet der König. "Also kann Aramis zurückkehren und seinen Dienst als Musketier versehen?", hackte der Kapitän nach "Ja", entschied Richelieu. "Es liegt natürlich in unserem Interesse, dass er aus dem Interesse des englischen Königs verschwindet. England darf nie erfahren, wen wir wirklich zu ihnen schickten." Das Interesse an dem verräterischen Diplomaten war erloschen, seit dieser geflohen war. Richelieus Beachtung galt jetzt wichtigeren Dingen. "Kein Dank, keine Anerkennung?", verlangte der Kapitän zu wissen. Ludwig sah unbehaglich zu D'Treville auf. "Wir werden uns zu gegebener Zeit, etwas einfallen lassen", sagte er vorsichtig. "Zweifellos", bestätigte Richelieu. Befangen und von der Erziehung zu falscher Zurückhaltung verdammt, saßen sie dicht beieinander und hielten sich verstohlen an der Hand. Wenn sie es zuließen, berührten sich ihre Schenkel. Und während sie sich tief in die Auge saßen, ab und zu verzückt seufzten, um die Leidenschaft zu einander zu schüren, hörten sie Schritte auf der schmalen Stiege. Als Jean in die Dachkammer stürmte, die erst Constance und nun von ihm und D'Artagnan bewohnt wurde, saßen beide eine Handbreit voneinander entfernt. "Was ist?" "Nichts!" Kinder mögen zwar an Geister und den erfundenen Ammenmärchen ihrer Eltern glauben, aber instinktiv wissen sie, wenn Erwachsene an der Wahrheit vorbeischlittern. Mit dem Laufe der Jahre verliert sich diese Eigenschaft. Der Erwachsene weiß, dass unter seinem Bett kein flauschiges Monster lauert, aber er erliegt falschen Liebesschwüren, Betrügern, falschen Freunden und der katholischen Kirche. Mit zusammengekniffenen Augen musterte der Junge das Pärchen, während seine Beine gleichmäßig, in der Luft baumelnd, gegen den Bettkasten schlugen. "Jean, ich brauche deine Hilfe." Nur Moses Blick vom Berge Abarim in das gelobte Land, lässt sich gleichsetzen mit dem, was Jean bei dieser Bitte empfand. Nichts wünschte er sich sehnlichster, inniger, als es seinem älteren Freund und Vorbild an Abenteuer gleichzutun. Viel zu oft musste er bei den vergangen Abenteuern der Musketiere die bittere Erfahrung machen, aufgrund seiner Jugend ausgeschlossen zu werden. Eifrig nickte er und die riesigen Kinderaugen leuchteten verheißungsvoll. "Was soll ich tun." Dankbar nickte D'Artagnan. Jean mochte zwar klein und noch ein Kind sein, aber auch sein treuster Verbündeter. Noch am selben Abend verließ ein kleiner Junge, bequem verborgen zwischen den Kisten eines Fuhrwerkes, Paris in Richtung Normandie. Mit ihm reisten, zwei dutzend leerer Kisten, 40 übrig gebliebene Eier und zwei verstörte Hennen. Aufatmend stemmte Aramis beide Hacken in den Boden und klemmte die Daumen in den Gürtel. Zufrieden ließ sie ihren Blick über die den Hafen wandern. Die Stadt lag, eingetaucht in geschäftiger Hektik, zu ihren Füßen. Am Kai wimmelte es von Menschen. Schiffe wurden be- und entladen. Begeistert sog Aramis das Bild in sich auf. Fuhrleute bahnten sich ihren Weg, Reisende irrten suchend umher, Matrosen, Knechte, Arbeiter rannten beladen umher oder wurden wegen ihrer Faulheit angeschrieen. Drei Monate war sie fort gewesen. In Le Havre erwartete sie, der gleiche Lärm, mit dem ohrenbetäubenden Stimmengewirre vieler Reisender aus aller Welt, derselbe Gestank einer überfüllten Stadt mit unzulänglichem Kanalisationssystem und Handelhafen, dasselbe Stadtbild aus Steinbauten, Lehmhütten und Holzhütten, die sich eng an die Stadtmauer schmiegten, wie in England. Aber Le Havre war Frankreich und Frankreich roch für den zwangsausquartierten Heimkehrer nach Heimat. Zudem kehrte Aramis als Mann zurück. Alles in ihr sang, weil sie wieder ein Musketier war. Freiheit gegen die Zwänge ihres Geschlechts. Stärke und Kraft gegen die Schwäche der Weiblichkeit. Selbstständigkeit, gegen die Abhängigkeit vom Mann. Hinter ihr kämpfte sich Sophie über den Landungssteg, mit zwei Taschen und den lüsternen Händen der Matrosen, die viel zu oft unter ihrem Rock verschwanden. Sie stöhnte und rieb sich ärgerlich das Schmerzgepeinigte Hinterteil. Ihr letzter Verehrer hatte zu hart zugekniffen. Die Zudringlichkeit der Seeleute ärgerte sie nur, dass Aramis beschlossen hatte, zwei Reisetruhen voller prächtiger, kostbarer Roben und Accessoires an Bord zurück zu lassen, schmerzte. Unbemerkt waren drei Kleider in ihrer Tasche gelandet, die sie nun nicht mehr hergab. Ganze vier Matrosen mühten sich fluchend ab, Aramis Pferd über den schmalen Steg zu bringen. Genüsslich atmete Aramis tief den salzig, faulen Geruch des Hafens ein. Wie würde es erst sein, wenn sie in das vertraute Paris zurückkam. "Komm, Sophie!" Sie nahm ihr Pferd am Zügel und schritt zielstrebig und weit ausholend voraus. Sophie seufzte bitter und zuckte die Schultern. Was blieb ihr anders übrig, als Aramis zu folgen, aber welch eine Verschwendung, welch Schande. Das Zeitalter des späten Mittelalters brachte für Frankreich die Form der organisierten Post. Von früh bis spät, von Nord nach Süd, von Ost nach West waren tagtäglich Boten unterwegs, um Tausende von Briefen zu befördern. Dank einem ausgeklügelten System erreichten Briefe den Empfänger in kürzester Zeit. Gespickt mit Grüßen, Informationen, Berichten, Bekanntmachungen, durchdrungen von Liebe, Leid, Hass oder Gleichgültigkeit, sparten sie viel Zeit, ersetzte manch hinderlichen Weg, lästige Besuche und verhinderte, dass man sich umsonst auf den Weg machte. Ein solch kleines Billett erreichte Kapitän D'Treville und informierte ihn, dass Aramis England verlassen wollte und auf den Weg nach Hause war. D'Treville wusste von D'Artagnan, dem das schlechte Gewissen, belastet mit Geheimnissen, gepeinigt hatte, dass Portos und Athos von Aramis wahrer Identität wussten. Er kannte den Ärger und die Wut, die auf seinen beiden Musketieren lastete. In weiser Voraussicht ersonnen D'Artagnan und er einen Weg um Aramis zu warnen. Da beide nicht Paris verlassen konnte, verließ man sich auf einen siebenjährigen Jungen und dessen Pfiffigkeit. Anhand Aramis Briefs kannten sie ihre Reiseliste. Sie würde in Le Havre eintreffen, den Postroutenweg bis zur Stadt Breteuil nehmen, um dort die Nacht zu verbringen. Jean hatte seine Mitfahrgelegenheit gewechselt. Nun reiste er im Gepäckteil einer Postkutsche, um vor Aramis in Breteuil einzutreffen. Aramis ritt in Hochstimmung neben der Postkutsche her, in dessen inneren Sophie, eingekeilt zwischen ihren Mitreisenden, saß und für die gesamte Reise wenig Hochgefühl aufbringen konnte. Für sie würden in Paris jegliche Abenteuer enden und die Tage als Magd im Haus des Kapitäns beginnen. In dem engen Klappenkasten entfaltete sich eine Vielzahl von Gerüchen. Beißender Schweißgeruch, abgestandener Knoblauchatem vermischte sich mit süßlichem Parfümgeruch. Gegen späten Nachmittag erreichten sie Breteuil. Für heute reichte den Fahrgästen das Durchgeschüttel auf den harten Bänken. Die Pferde bedurften Ruhe und der Magen ein ausgedehntes Mahl. Der Gastwirt von Breteuil empfing sie vor seinem Gasthaus und geleitete seine aufgeregten Gäste in den Schankraum. Der Koch heizte schon die Öfen an und bereitete die ersten Teigspeisen zu. Aramis floh vor dem ohrenbetäubenden Lärm, der im Schankraum herrschte. Sophie hatte sich auf ihr Zimmer begeben und döste bis zum Abendessen vor sich hin. Sie lief durch die Straßen der Stadt. Es war ungewöhnlich still und menschenleer, selbst für einen so kleinen Ort wie Breteuil. Von der nachmittäglichen Geschäftigkeit war nicht zu spüren. Warm sendete die Sonne ihre Strahlen und erwärmte die Erde. Aramis hatte mindestens zwei Stunden für sich, bevor sie den Rückweg antreten musste, um rechtzeitig beim Abendmahl zu sein. Plötzlich waren Stimmen vieler Menschen zu hören. Ein Markt musste in der Nähe sein. Neugierig ging sie näher, bis sie die Menschen sah, die sich dicht auf dem Platz zusammendrängten. Aramis prallte erschrocken zurück. Der Atem stockte ihr. Auf einem kleinen Stück abgesperrten Platzes, stand eine Frau gefesselt zwischen zwei finster dreinblickenden Wächtern, den kahl geschorenen Schädel demütig gesenkt. "Los hin da!" herrschte sie jemand an. Aramis drehte sich um und erblickte einen grob schlägigen Mann in Wächterkleidung. Er stieß sie an und drängte sie, vorwärts zu gehen. Ihr,- dem vermeindlichen Mann, die log und betrog, ihre Mitmenschen, den König, die Kirche,- ihr wurde vor Angst und Unbehagen der Mund trocken. Die gelösten Fesseln, die Aramis empfunden hatte, als sie von Renée wieder zu Aramis wurde, schnürten sie nun ein. Sie nahm nur noch schemenhaft die anderen Menschen wahr, während sie zu der Menge stolperte. Der jungen Frau, die nur noch einen dreckigen Unterrock trug, liefen blutige Peitschenstriemen über den bloßen Rücken. Ihr Gesicht zeigte keine Regung, nichts deutete auf ihre Gefühle hin. Sie starrte nur, wie hypnotisiert vor sich hin. Hinter ihr loderte ein riesiges Feuer in den trüben Himmel auf, als würden die Flammen das Firmament verzerren wollen. Aramis Magen zog sich zusammen, als sie die Blut erwartende Stimmung der Menge gewahrte. Das ganze Dorf schien sich auf dem Marktplatz versammelt zu haben. Jung, wie alt, Reich, wie Arm, Frau wie Mann, selbst Kinder schreien ungestüm dazwischen. "Hure", "Hexe", "Dirne", ereiferten sie und reckten die Hälse. Aramis wollte weitergehen und blieb dennoch wie angewurzelt stehen. "Ruhe", rief jemand. Schlagartig wurde es still. Ein Mann in der samtenen Robe eines Stadtoberhauptes, mit schweren Goldindizien, seiner Macht trat vor. Er entrollte ein Dokument und las das Vergehen der Angeklagten mit gewichtiger Stimme vor. Sein eckiges, stumpfes Gesicht schien vor Erregung erstarrt, wenn auch in den Winkeln seins Mundes ein klammheimliches Vergnügen zu erkennen war. "... visibilus omnium et invisibilium ..." Aramis Ohren waren zu taub, um die Punkte der Anklage überhaupt zu hören. "Patrem omnipotentem, factorem coeli et terrae ..." Wie ohnmächtig sah sie zu, wie ein halb nackter Riese, mit der Kapuze des Richters, zu der Frau trat und ihr die Schlinge um den Hals zog. Aramis spürte, wie eine eigenartige Lähmung ihren Körper ergriff und sie in eine Salzsäule verwandelte. ".. schwarze Magie, Giftmischerin, Hure, Buhlschaft ..." Die Frau verlor den Boden unter den Füßen, ein Aufschrei ging über den Platz, dann zog sich das Seil straf und mit einem plötzlichen Ruck ging das Leben aus ihrem Körper. Der leblose Körper schwenkte über dem Feuer, dessen Flammen an ihrem Unterrock zu lecken begannen. Wie eine Erlösung erschallte der Ruf aus unzähligen Kehlen. Übelkeit ergriff Aramis, als sie davon stürzte und sich ihren Weg durch die murrende Menge bahnte. Aramis lief langsam zurück, tief aufgewühlt und in Gedanken versunken. Das Herz schlug laut in ihrer Brust. Vor ihrem inneren Auge stand keine Fremde auf dem Blutgerüst, sondern sie,- gedemütigt und entblößt. Irgendwann, als die Strahlen der Sonne langsam am Versinken waren und die Dächer dieser blutgierigen Stadt vergoldete. Ihr rotes Abendlicht färbte die Stadt in sein passendes Antlitz. Sie beobachtete das Treiben vor und in dem Gasthaus, ohne sich entschließen zu können, dort hineinzugehen und sich den anderen Reisenden zu stellen. Plötzlich hatte Aramis das Gefühl beobachtet zu werden. "Claude?" Überrascht sah sie ihren Kollegen an, der aus dem Schatten der Häuser trat. Ein breites Grinsen zeichnete sein Gesicht. "Wieder in Frankreich, Aramis? Es überrascht mich, dich gerade hier anzutreffen." Das Lächeln seiner Lippen, welches nicht die Augen erreichte, war beunruhigend und ungewohnt für Aramis, die ihre Kollegen teils kameradschaftlich, unterwürfig oder einfach nur gleichgültig kannte. Woher wusste er, dass sie Frankreich verlassen hatte? Sie nickte trotzdem. "Mich erst und was machst du hier?" Er zuckte die Achseln und strich mit einem seltsam wissenden Blick um sie herum. "Meine Familie wohnt hier und ich bin auf Heimurlaub. Denn während du dich herumtreibst, schieben wir Doppelschicht für Doppelschicht für Doppelschicht. Das ist wirklich ein merkwürdiger Zufall, dass wir hier aufeinander treffen." "Was meinst du mit herumtreiben?", fragte sie ärgerlich. "Und hör endlich auf, um mich herumzustreichen, als hätte ich einen Hundeknochen für dich!" Welch merkwürdiger Zufall des Schicksals, dass sie in dieser unbedeutenden kleinen Stadt, den größten Neider und Intriganten des Musketierchors antreffen musste. Aramis stutzte zurecht, wenn sie sein feistes Grinsen sah. Schadenfreude verhieß bei Claude nichts Gutes. Sie kniff warnend die Augen zusammen. "Aber es freut mich, dich hier zu treffen." Diese Worte mochte sie ihm so recht nicht glauben. Warum war auch Athos nicht bei ihr geblieben. Bisher hatte sie ihre verletzten Gefühle, weil er einen anderen Weg eingeschlagen hatte, verdrängt. Viel besser wäre es gewesen, einem Streithahn wie Claude zusammen zu begegnen. Stattdessen ging Athos auf Brautschau und ließ sie alleine zurückkehren. Bitterkeit schmeckte Aramis auf ihrer Zunge. Er lachte leise. "Oh, Aramis, dein kleines Geheimnis ist aufgeflogen." "Wovon sprichst du?" Aramis war kurz davor von ärgerlicher Ungeduld zu ausgewachsenem Zorn überzugehen. Mit sichtlicher Genugtun sah sie Claude an ... Jean rannte den Rest der Landstraße entlang. In der Ferne sah er schon das Gasthaus. Sein letztes Transportmittel war kurz vor Breteuil abgebogen und er hatte den Rest des Weges zu Fuß zurücklegen müssen. Doch nun war er am Ziel. Unbemerkt von allen schob er sich in den Schankraum. Er war voll von Menschen. Einige Reisende saßen auf ihren Reisetruhen, weil kein Platz an den Tischen frei war. Bedienstete eilten durch die Reihen. Wie sollte er Aramis finden? Gäste nahmen Bestellungen auf, schlossen neue Bekanntschaften, unterhielten sich lautstark, während Mägde mit vollen Krügen und Schüsseln durch den Schankraum eilten. Niemand beachtete den kleinen Jungen. Jean schob sich zwischen den Menschen hindurch zur Theke der Schankstube, hinter der der Wirt seine Becher putzte. "Monsieur?" Der gutbeleibte Mann stutzte als er in Augenhöhe keinen Ansprechpartner gewahrte. "Monsieur?" Er senkte den Blick tiefer und sah in zwei naseweise Kinderaugen. Abschätzend musterte er den barfüßigen Jungen in der zerschlissenen Kleidung und hob fragend eine Braue. "Ja?" "Ich suche einen Mann. Er ist sehr jung und hat blonde lange Haare." "Ich habe viele Gäste", gab der Wirt gelangweilt zurück. "Er hört auf den Namen Aramis ..." "Hör mal, Kleiner? Was ist denn das für ein Name?" "Der Name von einem Musketier." Die Auskunft erzielte nicht die gewünschte Reaktion. Er zuckte die Schultern und polierte weiterhin sein Geschirr. "Kann ich dir helfen?" Bei der jungen Frauenstimme fuhr Jean herum und blickte zu dem jungen Mädchen auf. Er kannte sie nicht, aber das musste wohl Sophie sein. Braune, freundliche Augen blickten ihn aufmerksam an. "Du suchst Aramis?" Eifrig nickte Jean und zog Sophie zu sich herunter. "Ich habe Nachricht für sie von D'Artagnan", flüsterte er in ihr Ohr. Mit Absicht wählte er die weibliche Form. "Aramis ist schon sehr lange weg. Ich weiß nicht, wann ,Aramis' zurückkommt.", erwiderte sie vorsichtig. Leise berichtete Jean, weshalb ihn sein Freund geschickt hatte. Als er endete, war Sophie blass im Gesicht. "Geh schnell raus und fang sie ab, wenn sie kommt!", wisperte sie. "Du musst sie warnen!" Wenige Augenblicke später betrat Aramis, ebenso blass wie Sophie, das Wirtshaus. "Oh, Aramis." Fürsorglich eilte Sophie zu ihr und sah in die ernsten blauen Augen. Aramis zog sie beiseite. "Ich werde nicht mit nach Paris kommen." Sophie nickte. "Ich weiß und ich verstehe das gut. Wir sollten ..." "Wir?" "Natürlich", erwiderte sie wie selbstverständlich, "ich lasse dich nicht im Stich. Wir gehen zusammen fort", erklärte sie in ihrer Großzügigkeit. "Sophie, wo ich hingehe, kannst du nicht mit!" "Warum denn nicht?" "Es geht nicht!" "Wo willst du denn hin?" "Das kann ich dir nicht sagen und mach es mir bitte nicht so schwer. Morgen nimmst du die Postkutsche auf den direkten Weg nach Paris." Fassungslos sah das Mädchen, wie sich Aramis umdrehte. Tränen schimmerten in ihren Augen. "Was ist denn, Kindchen." Sie blickte in das gutmütige Gesicht der Wirtin, die betroffen mit ihrem Schürzenzipfel die Tränen von ihrer Wange wischte. "Alles in Ordnung?" "Wir wollen heiraten!" Mit einem hinreißenden Seufzer umklammerte Sophie Aramis Arm und sah Wimpernklimpern zu ihr auf. Die dicke Wirtin schob sich dazwischen und strahlte. Schwärmerisch drückte sie die gestärkte Schürze an ihren nicht unerheblichen Busen. "Das hört man gern. Junges Glück." Ihr Mondgesicht leuchtete, während sie an längst vergangene Zeiten zurück dachte, als sie vor dem Traualtar stand. Ihr Mann stöhnte, als er daran dachte, was vor dem Traualtar an seiner Seite gestanden hatte und dafür jetzt neben ihm stand, fast drei Jahrzehnte später. Aramis schüttelte unwillig das Mädchen los. Sie umfasste Sophies Arme und drückte diese von sich. "Du kannst nicht mit! Glaub mir!" Es war still in der kleinen Gaststube geworden. Die Wangen der Wirtin blähten sich vor Entrüstung. "Sie können die Kleine doch nicht zurücklassen. Erst verführen und dann abschieben." Ihre Augen glänzten feucht im mütterlichen Mitgefühl. Aramis stöhnt, als wenn sie nicht mit Sophie genug zu tun hätte. "Es ist zu gefährlich für dich", sagte sie zu Sophie. "Es ist zu gefährlich für sie", fauchte sie der Wirtin ins Gesicht. "Ich komme doch wieder zurück." Sophie verstand nicht und sah sie fragend an. "Aber wo willst du denn hin?" "Nun nehmen Sie sie schon mit!", mischte sich der Wirt ungehalten ein. Hilflos blickte Aramis zur Decke und sandte ein Stoßgebet zum Himmel. "Ich kann überall da mit hin, wo du auch bist." Sophie blieb stur und stemmte die Hände in die Hüften. Man hätte eine Stecknadel fallen lassen können und es gehört. Aus dem offenen Mund eines Gastes tropfte Milch, das Brot zerkrümelte ungegessen in der Hand eines Händlers. Aramis zählte 1, 2, 3, trat auf Sophie zu und hob sie über ihre Schultern. Augenblicklich löste sich deren Erstarrung und sie fing wild zu strampeln und zu zetern an. "Wo du hin kannst, da kann ich auch hin", schrie sie immer wieder. "Ich bin ich und du bist du", sagte Aramis und sperrte sie in der Kammer unter der Treppe ein. Zu ihrem Glück steckte der Schlüssel außen. Sophies Fäuste hämmerten hilflos gegen das Holz. Aramis konnte sie schluchzen hören und es brach ihr das Herz. Mit unbeweglichen Gesichtszügen ging sie zum Wirt, der sie mit offenem Mund anstarrte. Aramis packte seinen Kragen und zog ihn über die Theke zu sich. "Zu ihrer eigenen Sicherheit bliebt sie einen Tag da drin!" Ihre Augen funkelten kalt und unnachgiebig. "Ich gebe Ihnen alles Geld, was ich habe. Das geben Sie ihr und schicken sie nach Paris zurück." Der Wirt beeilte sich zu nicken, als ihre Faust seine Luft abschnürte. Seine Frau stand leichenblass neben ihm und hickste ängstlich. "Wehe Ihnen, ich erfahre, dass Sie ein Teil des Geldes einbehalten haben." Wieder erfolgte eiliges Bestätigen durch Nicken. Ihre Augen nagelten ihn ein letztes Mal fest, dann ließ sie ihn los und kehrte dem Wirtshaus den Rücken zu. Kapitel 37: Wo ist Aramis ------------------------- Paris, er war zurück - betäubend, mitreißend, nervenzerrend. Das Schreien der Straßenhändler, die jeden Straßenlärm und Tumult übertönten, das Keifen der Hausfrauen, das Gezeter der Lehrmeister, das Geschwätz junger Mädchen, das Lachen der Studenten, die Streitsucht der Fuhrleute, das herrschaftliche Gehabe der Oberschicht - alltägliche Geräusche einer Stadt mit zuwenig Lebensraum für unzählige Menschen. Paris er war zurück. Diese herrliche Stadt geteilt durch einen Fluss der seine Lebensader war, in dessen Inselmitte Notre Dame ruhte, erhabene und mächtige, in Stein gehauene Mutter all der unzähligen Kirchen der Hauptstadt, das Flakschiff des christlichen Glaubens, Paris überwältigendstes Bauwerk. Paris, er war zurück. Ihm stiegen all die wohlvertrauten Gerüche in die Nase. Der Gestank vom Fluss, aus den Schlachthäusern, von den Fischmärkten. Der benebelnde Geruch der Blumenstände und Backhäusern. Der beißende Gestank der Jauchegruben und Müllhalden. Für ihn waren es die Wohlgerüche des Orients. Paris, er war zurück. In dieser Taverne aßen sie oft zu Abend, dort lebte ein Freund, an dieser Ecke trafen sie sich, um gemeinsam zum Dienst zu gehen, die Straße hinunter lag das Badehaus, entspannende Oase nach manch langen Dienststunden, diese Brücke war bekannt dafür, dass sich zu ihren Füßen Liebespaare trafen, nur wenige Straßen weiter war er zu Hause. Athos sah sich aufmerksam um. Manchmal löste die Heimkehr nach einigen Monaten Reise, mehr Gefühle aus, als Jahre des Fernbleibens. Instinktiv wandte er sein Kopf in die Richtung, in der Aramis Haus lag. Schlagartig schlug seine Stimmung um. Wie würde es sein, sich wieder zu sehen? Da ihn kein Brief erreicht hatte, wusste er nicht, wie das Wiedersehen mit Porthos und D' Artagnan gewesen sein musste. Wäre es nicht seine Pflicht gewesen, mit Aramis zusammen zurückzukehren? Immerhin kannten die Anderen die Wahrheit über Aramis nur durch ihn. Nun war es zu spät dafür. Stattdessen hatte er sich feige davon gemach, auch wenn er sich einredete, zum Wohle der La Feré gehandelt zu haben. In den letzten Wochen war ihm klar geworden, dass er schweigen und zuerst die Sache mit Aramis hätte klären müssen. Egal ob sie mit ihrem Handeln im Recht war oder nicht. War es durch ihn überhaupt noch möglich, dass Aramis Musketier blieb? Aramis setzte sein sonst so beherrschtes Denken und Handeln außer Kraft. Er staunte, welche Macht sie über ihn hatte, selbst wenn sie nur in seinen Gedanken anwesend war. Bestand ihr Geheimnis darin, dass sie so viele davon besaß? Finster sah Athos wieder auf die Straße und lenkte sein Pferd mit leichtem Schenkeldruck nach Rechts. Im Hauptquartier der Musketiere war es ungewöhnlich still. Normalerweise summte es hier, wie in einem Bienenstock. Langsam stieg Athos die Treppe zum Arbeitszimmer des Kapitäns hinauf. Seine Schritte hallten auf den Fliesen wieder. "Wo ist Aramis?" Der Satz stürzte sich ihm entgegen. Verblüfft verharrte Athos mit der Klinge in der Hand. Der finsternde Blick des Kapitäns traf ihn, bevor er überhaupt den Raum und seine anwesenden Personen erfasst hatte. Keine Begrüßung, keine Strafpredigt, - nur diese Frage? Porthos und D'Artagnan standen mit gesenkten Häuptern am Rand. Was hatte das zu bedeuten? Wo war Aramis? Verwunderte trat er ein und schloss die Tür. "Was meint Ihr?" "Was werde ich schon damit meinen? Wo ist Aramis?", schnauzte d'Treville mürrisch und zog die buschigen Brauen finster zusammen. Schnell zog ihn Porthos zurück. "Aramis ist nie in Paris angekommen", raunte der Riese leise. "NIE ANGEKOMMEN!", donnerte der Kapitän und knallte die flache Hand auf die Tischplatte. Seine Augen funkelten fast schwarz. "Solltet ihr nicht beide England verlassen und hier ankommen?" Sprachlos blickte ihn Athos an. "Aramis reiste vor mir ab und ich ..." "WO IST ARAMIS?", brüllte er außer sich. "Das Mädchen hätte sich vor über einem Monat vor genau diesem Schreibtisch wieder einfinden müssen und warum kommst du erst jetzt! Diese fadenscheinige Ausrede von Familienangelegenheiten dulde ich nicht. Deine Familie ist für dich als Musketier gestorben und du weißt das. Dieses Verhalten ist deiner unwürdig, Athos. Bisher warst du immer verlässlich. Was ist nur in deinen stolz-sturen Schädel gefahren?" ,SIE'? Athos zuckte zusammen und sah seine Freunde an. Betrübt nickte Porthos und zog den Kopf zwischen den breiten Schultern ein. Die Umschreibung für Athos fiel geradezu nett aus. Er war weit weniger freundlich bezeichnet worden, nachdem er es gewagt hatte, als Genarrter seine Kränkung gelten zu machen. "Ja, ich weiß bescheid, über Euer Spielchen und ich gebe dir die Schuld, Athos!" Wieder glitt Athos Blick zu Porthos und wieder nickte dieser betrübt. "D'Artagnan hat Jean Aramis zur Warnung entgegengeschickt", murmelte er zwischen zusammengebissenen Zähnen. Der Junge zog den Kopf zwischen den knochigen Schultern ein, als die Rede auf ihn fiel und er wich den Blicken seiner älteren Freunde aus. "Auf mein Geheiß." Der Kapitän sprach wie jemand, der sich mühsam beherrschen musste. "Also, wo ist Aramis?" Aramis gab dem Pferd die Sporen und trieb es durch die regnerische Nacht. Die Haare und die Kleidung klebten nass an ihrem Körper. Es war schon spät und sie hatten den Tag über viele Meilen hinter sich gebracht. Reiter und Pferd befanden sich nun, als sie sich der Küste näherten, am Rande der Erschöpfung. Aramis beugte sich vor und streichelte dem Pferd über die Mähne. Sie flüsterte leise zarte, beruhigende Worte zu. Obwohl es Sommer war fror Aramis, die keinen Mantel, nur viel zu lange die nassen Sachen trug. "Wir hatten nicht die Zeit, sie zu suchen. Auf den Straßen gärt es. Ganz Frankreich meutert wegen des bevorstehenden Krieges und verübeln kann man es ihnen nicht. Die Staatskassen sind leer und Paris scheint der Sammelpunkt aller Hitzblutigen zu sein, die gegen den Staat aufwiegeln. Wir hatten alle Hände voll zu tun, diesen Gärbottich unter Kontrolle zu halten", stöhnte D'Treville. "Spüren die Pariser nicht andauernd das Gesetz in ihrem Rücken, würde es jeden Respekt und Gehorsam verlieren. Wachsamkeit war unser oberstes Gebot." "Wir waren nur damit beschäftigt, alle möglichen Aufstände im Keim zu ersticken", wandte D'Artagnan ein. "Ich habe keine Zeit, mir Gedanken darüber zu machen, wo Aramis stecken könnte. Wenn ihr irgendetwas passiert ..." Der Satz blieb unvollendet und drohend in der Luft. "Wie konntet ihr euch nur erdreisten, sie zu verurteilen?", verlangte der Kapitän zu wissen. "Wir haben allen Grund dazu", begehrte der Porthos auf. "Sie hat uns belogen und ..." "Sie war euch immer ein guter Freund und wenn ich das Risiko eingehe das Mädchen bei den königlichen Musketieren aufzunehmen, dann ist die beste Empfehlung für ihr Tun, die sie haben kann. Dieses Mädchen ist ein besserer Musketier als die meisten hier und sie hat es aus eigener Kraft geschafft. Niemals hätte ich sie aufgenommen, wenn sie den Musketieren geschadet hätte und wenn eure verdammte Kurzsicht überwinden würdet und euren falschen Stolz, dann würdet ihr Dankbarkeit empfinden, dass ihr eine so außergewöhnliches Frauenzimmer kennen lernen durftet. Ihr Narren und Müttersöhnchen, was bildet ihr euch ein, über sie richten zu dürfen?" Obwohl D'Artagnan nie Porthos und Athos Meinung hinsichtlich Aramis geteilt hatte, zuckte selbst er zusammen. Demütig senkte Porthos das Haupt. Das alles kannten sie mittlerweile in und auswendig. Jeden Tag die gleiche Litanei aufs Neue. Und weil Porthos seinen Kapitän kannte und spürte, wann es besser war zu schweigen, lauschte er andächtig mit bekümmernswerter Miene. Das Gleiche dachten auch die anderen und so war es still, als der Kapitän geendet hatte, weil jeder schwieg. "So macht den Mund auf!", herrschte er sie an. "Hört ihr nicht?" Athos hob den Blick und sah ihn auf sich gerichtet. Er wählte seine Worte mit Bedacht. "Wir werden Sie suchen." Überrascht hoben Porthos und D'Artagnan die Köpfe. "Wie? Kein Mensch weiß, wo Aramis ist." Natürlich wusste keiner wo Aramis war. Selbst Sophie nicht, die erst unter Jeans Eingreifen aus ihrem Gefängnis in Beteuil befreit wurde. Dem Wirt schlotterte noch immer der feiste Wanst und für den Rest des Weges, bis sie das Arbeitszimmer des Kapitäns betrat, drang kein Wort über Sophies Lippen. Ihre Wut und Empörung entlud sich erst bei dem sichtlich überforderten D'Treville, der erst eine geschlagene Stunde später begriff, dass er seinen dritten Musketier nicht wieder sehen würde. Seitdem labte sie sich an ihrer Kränkung und verweigerte jegliche Auskunft. D'Treville seufzte gereizt und schüttelte verständnislos den Kopf. "Ja, aber das Mädchen weiß doch von nichts. Zudem benimmt sie sich wie eine Wilde." "Aramis hat sie in einen Schrank gesperrt in irgendeinem Gasthaus im Nirgendwo und sich dann davon gemacht", erklärte Porthos betrübt. "Jean hat sie dort gefunden. Seit dem ist sie nicht gut zu sprechen." Doch es half nichts, Athos bestand darauf, Sophies Version zu hören und so wurde das Mädchen und Jean erneut zu dem Kapitän zitiert, um Rede und Antwort stehen. Schmollend verschränkte Sophie die Arme vor der Brust und hob das Kinn. Ihre Augen ignorierten D'Trevilles finster umwölbte Stirn. Den anderen drehte sie mit verzückter Verachtung, da sie sich an der allgemeinen Aufmerksamkeit insgeheim weidete, zu. Kein Blick galt Athos, welcher schmunzelnd den gestellten Hochmut registrierte. Mit aufmüpfigem Blick, zappelte Jean neben Sophie von einem Bein auf das andere. "Nun?" D'Trevilles Stirnfalte verstärkte sich. Sophie hob den Kopf noch höher und blähte die Lippen. "Ich hab Euch doch schon alles erzählt. Was wollt Ihr denn noch hören. Aramis sperrte mich in den Wandschrank und dort blieb ich, bis Jean kam. Da war Aramis jedoch schon längst fort. Mehr weiß ich nicht." "Hat der Wirt nicht nichts gesagt? Vielleicht hat ihm Aramis etwas verraten?" Athos Stimme klang nervenzerrend ruhig und sachlich. Sophies Gesicht drückte größte Gereiztheit aus. "Dieser unmögliche Mensch? Der weiß von nichts ... ein Wichtigtuer, der ..." "Was ist mit dir, Jean? Sagte Aramis etwas zu dir?", bohrte Athos weiter, aber der Junge zuckte nur die Achseln und wich seinem Blick aus. "... anmaßend war er und beleidigend", fuhr Sophie fort. D'Trevilles Hand knallte flach auf die Tischplatte. "Schluss, Sophie!", befahl er mit bitterbösem Blick, "du strapazierst meine Nerven!" Nun war das Mädchen erst recht gekränkt. Es gefiel ihr gar nicht, von Aramis zurückgelassen worden zu sein. Für sie gingen die Abenteuer weiter, für Sophie endeten sie in der Küche des Kapitäns. Zudem fühlte sie sich übergangen. Niemand schien ihre Dienste zu honorieren, am allerwenigsten D'Treville. Nervös knetete sie den Stoff der mehlbefleckten Schürze. "Er hat mich eine Hure genannt", platze sie empört heraus und ihre Wangen färbten sich hellrosa. "Er hat was?", fragte der Kapitän. "Er sagte: ,Huren führen kein gutes Leben." Sophie fand, sie war mit Recht gekränkt, nach dieser Demütigung und der Wirt gehörte nach dieser verbalen Attacke gehörig bestraft. Athos sah sie nachdenklich an. "Warum sollte er das sagen?" "Was weiß ich. Weil ich Aramis folgen wollte. Weil wir beide zusammen waren." "Das hast du mir gar nicht erzählt!" D'Treville sah sie streng an. Das Mädchen zuckte die Schultern. "Es ist nicht gerade rühmlich, als Trosshure bezeichnet zu werden." "Trosshure?" Alarmierend sah der Kapitän auf. "Ja, dass sagte ich doch: ,Als Trosshure führt man kein gutes Leben'" "Dann weiß ich, wo Aramis ist!" D'Treville sah Athos an, der ernst nickte. Es krachte, dann bebte die Welt und die Ohren klingelten. "Sire, es ist hoffnungslos", brüllte Aramis gegen ihre eigene Taubheit an und barg das Gesicht vor umher fliegenden Splittern in den Ärmel, als es erneut einschlug. Jemand schrie, Pferde wieherten hilflos, aber sicher war sie sich nicht. Wieder krachte es und die Erde tat sich auf. Die 25. Kavallerieeinheit der Armee unter Oberst Jacques kroch im Schützengraben enger zusammen. "Das entscheide noch immer ich, Korporal", brüllte Jacques zurück und hielt seinen Harnisch fest, als die Druckwelle des Einschlags über ihnen hinwegfegte. Dichter Dreck und Staub lag auf seinen buschigen Braunen. "Haben die englischen Sauhunde darin ihr gesamtes Kanonenarsenal gebunkert. Durch den Kugelregen kommt kein einziger französischer Arsch." "Ganz meine Rede, Sire", bestätigte Aramis und presste sich gegen die feuchte Erde. "Und wenn wir uns nicht bald zurückziehen sind wir im genau diesem". "Rückzug", befahl Jacques und kapitulierte angesichts der englischen Artillerie. "Korporal, schwing deinen Arsch zu Oberst Holmes rüber und sag ihm, dass wir uns zurückziehen! Verdammte Scheiße, aber auch! Englische Sauhunde." Richelieu hatte seinen Krieg. Und während sich die Erde angesichts der gewaltigen, munitionsuntermalten, Antwort der Engländer auftat, klammerte sich Aramis an ihrem fadenscheinigen Stücken Existenz. Richelieus gewaltiges Streben Frankreichs Macht zu vergrößern, ihm eine Religion und eine Einheit, aufzuzwingen, ließ die Tore von La Rochelle erzittern. Anders als die kommenden Geschlechter, welche sich schmarotzend am Geschaffenen labte, formte der erste Minister Frankreichs wie Ton. Das musste Mann dem Kardinal zu gute halten, Frankreichs Wohl und Größe lag ihm am Herz und damit kam es dem Volk zugute. Seit über einem Monat war Aramis bei der Armee. Aufgrund ihrer Angaben, militärisch ausgebildet worden zu sein und ihren offenkundigen Fähigkeiten im Umgang mit Waffen und Pferd, wurde sie gleich an der Front eingesetzt. Sie hatte Jean nicht angetroffen. Aramis wusste gar nicht, dass der Junge mit dem Auftrag geschickt wurde, sie vor Porthos und Athos zu warnen. Statt auf Jean zu treffen, war sie auf Claude gestoßen, welcher es sich nicht nehmen ließ, ihr zu erzählen, dass sie zum Gespött der Musketiere grassiert war. Man wusste in Paris, von ihrer diplomatischen Mission in der Rolle der Frau. Noch immer ahnte sie nicht, dass ihre Freunde ihre wahre Identität kannten. Aramis lief lediglich davor weg, in Paris eine Witzfigur zu sein. Weg von Gespött und Missgunst, geradewegs auf das Schlachtfeld, für zweifelhaften Ruhm und Heldentum. War es abwegig, dass sie den Kampf und den Krieg suchte? Nicht für jemanden wie Aramis. Gerade weil sie kein Mann war, versuchte sich den Männlichen zu spielen. Sie erntete ohnehin viel Spott aufgrund ihres glatten Haut und der zarten Gesichtszüge. Zu Recht hatte sie Angst, dass Spott und Spaß zur Entdeckung führen konnten. Blut- und Dreckbedeckt würde keiner ihre ,Männlichkeit' anzweifeln. Sie würde sich ihren guten Ruf als bester Musketier zurückholen, weil eine Rückkehr in das Leben einer Frau nicht mehr möglich war. Kapitel 38: Auf dem Schlachtfeld -------------------------------- Athos fühlte das Blut aus seinem Kopf weichen. Er musste sich räusperte, bevor er überhaupt sprechen konnte. "Was trieb sie zu dieser Wahnsinnstat?", hauchte er tonlos und erntete nur fassungsloses Kopfschütteln der anderen. Der Gesichtsausdruck des Kapitäns war beredend genug, wenn er sich auch einer Antwort enthielt. "Aramis könnte überall sein und sie hat einen Vorsprung von über einem Monat." Lebte sie überhaupt noch? Keiner sah ihm in die Augen, weil es alle dachten, aber keine auszusprechen wagte. "Vielleicht ist sie längst nach Hause zurückgekehrt?", wisperte Sophie und der Saum ihres Kleides verschwamm vor den Tränen in ihren Augen. Der Kapitän war blass geworden. "Welches Zuhause? Das ihres Vormunds?", fragte er bitter. "Das gibt es schon längst nicht mehr für sie. Ihr ist alles zuzutrauen. Auch die Narrheit in den Krieg zu ziehen. Verdammt, sie ist eine Frau." Sie zuckten zusammen, antworteten aber nicht. An dieser Tatsache gab es nichts zu rütteln. "Geht!" D'Treville seufzte schwer und fuhr sich mit der Hand durch das graumelierte Haar. Er nahm die Schreibfeder, brachte einige Zeilen zu Papier und versiegelte das Dokument mit heißem Wachs. "Sucht alle Fronten und Militärlager ab. Hiermit ...", Er reichte Athos das Schreibe, "... bekommt ihr die Vollmacht vom zuständigen Generalleutnant, alle Stützpunkte und relevante Plätze einzusehen, an denen sich Aramis befinden könnte. Trennt Euch und sucht sie so schnell wie möglich, in den verschiedenen Militärlagern! Dann schleift sie hierher zurück, bis sie vor diesem Schreibtisch wieder steht!" Kaum hatte sich die Tür hinter D'Treville geschlossen, da schwanden seine Kräfte. Der Kapitän sackte in seinem Stuhl zusammen. Ein müder Ausdruck lag auf den faltenumrandeten Augen. Schwermut legte sich auf sein Gemüt wie draußen die Dämmerung des dahinschwindenden Tages. Er hatte sich dem Mädchen damals angenommen. Er war für sie verantwortlich. Wenn ihr irgendetwas zustieß ... Es war ein wunderschöner Oktobertag. Die Sonne stand wolkenfrei am blauen Firmament, in dessen Weite sich ein Schwarm Vögel erhoben und in Richtung Süden flog. Aramis rannte gebückt vorwärts. Um sie herum bebte die Erde und geriet in Bewegung. Nur nicht stillstehen, nur nicht gesehen werden, nur nicht in Reichweiter der englischen Kanonen geraten. Laufen, stolpern, zu Boden werfen, wieder Laufen, straucheln, im Dreck liegen bleiben. In der Ferne erhob sich die Kirchturmspitze eines kleinen Dorfes, kaum mehr als ein paar marode Hütten an einer Straße. Um sie herum, Verwüstung und Kanoneneinschläge. Vorahnung, blindes Handeln und Reaktionsfähigkeiten waren alles. Liegen und sich flach am Boden pressen, wenn wieder ein tödliches Geschoss einschlug und Sand, Stein, Baum, Mensch und Tier durch die Luft wirbelte. Bald lag eine dicke Dreckschicht auf Aramis Kleidung, wie eine zweite Schicht Stoff. Es krachte und wieder schlug eine der schweren Kanonenkugeln ein. Der Knall verstärkte das ständige Surren in ihren Ohren. Wie durch Watte brach der Krach des erschütternden Fleckchens Erde über sie hinein. Aramis lag flach am Boden, wollte eins werden mit ihr, barg den Kopf in unter den Armen und flehte alle Schutzheiligen an, an welche sie sich aus ihrer Kindheit erinnern konnte, ihr Beistand zu leisten. Sie kamen alle. Aramis überlebte und strauchelte weiter, durch das Schlachtfeld eines sinnlosen Religionskrieges. Als sie endlich Oberst Holmes Truppe erreichte, befand sich diese im Kampf mit den Engländern. Die Soldaten waren in einem heillosen Durcheinander. Überall auf dem Schlachtfeld flammten Nahkämpfe auf, aber sie waren eher einseitiger Natur. England rückte vor, ihre Verteidiger setzen den französischen Angreifern nach und waren dabei die Oberhand zu gewinnen. Der Befehl zum Rückzug kam zu spät. Die französischen Soldaten starben. Schwerter fuhren durch Haut, Sehnen und Knochen. Blut floss, Schmerzschreie erfüllten die Luft, ein ersticktes Röcheln vor dem letzten Lebenshauch, gebrochene Augen, erschlaffte Körper, Wunden, das Wimmern von Verletzten. Ein Bild des Grauens. Den Oberst der verzweifelt kämpfenden Truppe fand Aramis schließlich verletzt am Boden liegend. "Oberst Holmes?" Aramis kniete sich neben ihn nieder. Holmes stöhnte gequält und sah sie mit schmerztränenden Augen an. Ein Säbel war seitlich durch die Uniform in die Haut gefahren. Blut durchtränkte den Stoff. "Was?", stöhnte er gepresst. "Die Engländer kreisen uns von Osten her ein. Oberst Jaque hat den Rückzug befohlen." Aramis schrie gegen den Lärm und die kommende Ohnmacht des Obersts an. "Zu spät! Sie sind schon da." Holmes sackte auf den Boden zurück und richtete den Blick starr gegen den Himmel. "Sir?" "Es ist zu spät", proklamierte er dumpf, bemächtigt von beängstigender Gleichgültigkeit und presste die Hand in die Seite. "Ich helfe Euch, Sir!" "Ich brauche deine Hilfe nicht, Soldat! Lass mich hier sterben." Widerwillig, mit bösem Blick stieß Holmes sie von sich und fauchte sie böse an. "Das ist ein Befehl!" Jeder Soldat hätte die Order seines Vorgesetzten bedingungslos befolgt, aber Aramis war zu sehr Frau, um das Leben zu verachten, auch wenn es nur ein Menschenleben zu retten galt, in diesem Wahnsinn aus Krieg, Tot und Leid. Seine Einwände missachten, rückte Aramis ihm energischer zu Leibe. Erschrocken ließ sie sich auf die Hacken zurückfallen und starrte den Oberst an. "Sir?" "Lass mich hier sterben!" Blut tropfte Holmes von den Lippen. "Ich kann nicht", erwiderte Aramis sanft und riss ihr Hemd unter der Uniform entzwei. Holmes sah sie mit gebrochenem Willen an. "Ich bin der Oberst von 150 wackeren Soldaten." "Ich weiß." Vorsichtig verband Aramis die Wunde. "Ich habe es von einem einfachen Soldaten zum Offizier geschafft." "Ich weiß". Losgelöst fast heiter, lächelte sie Holmes an und wischte das Blut vom Mundwinkel ab. "Er ging damals zur Armee und wollte mich nach seiner Rückkehr heiraten. Aber die Zeit verging und er kehrt nicht mehr zurück, so suchte ich ihn." Holmes Stimme war nur noch ein tonloses Flüstern. "Sie werden mich verurteilen." Aramis korrigierte nicht die düstere Prophezeiung. "Ihr werdet Leben, Oberst Holmes", fügte sie hinzu. Tränen liefen über Holmes Gesicht. "Ich bin kein Oberst. Ich bin eine Frau." Aramis schüttelte den Kopf. "Ihr seid der Oberst der 24. Einheit und gehört im Lazarett anständig versorgt, wie es sich für einen Befehlshaber der französischen Armee gehört." Holmes riss die Augen auf und sah sie verstört an. Woher das ungewohnte, fremde Verständnis von einem Mann? Sie war zu verstört und in Todesangst, um in den sanften Zügen des Soldaten eine Frau zu sehen. Suchend sah Aramis sich um und erblickte ein reiterloses Pferd. Sie wusste, dass es ein Pferd war, denn es hatte vier Hufe, einen Kopf mit Mähne und einen Schweif. Dazwischen lag schäbig wirkendes Fell. Aus einem anderen Blickwinkel gesehen, war es eine halbe Tonne Knochen von Rosshaar zusammengehalten. Sie nahm das Pferd am Halfter und führte es zu der verletzten Frau. Der antrainierten Musketierautorität sei dank, winkte Aramis einen der Soldaten energisch zu sich heran und befahl diesen, seinen Oberst in Sicherheit zu bringen. Gemeinsam bugsierten Oberst Holmes auf das magere Reittier, dann sah Aramis sich um. Es tobte noch immer das Inferno - lautstark und totobringend. Verbittert nahm Aramis zur Kenntnis, dass es nicht den geringsten Sinn von Fairness bei einem Kampf um ein Schlachtfeld gab. Von heroischen Kampfgefühl und Patriotismus schien sie weiter entfernt. Wie sollte man angesichts dieses sinnlosen Abschlachtens, dieser Brutalität und dieser schier endlosen Folge von Tot und Zerstörung an das Gute und ethisch Richtige einer Sache glauben? Nie hätte sie sich die Albträume eines Krieges auszumalen gewagt. Und dennoch ... "Für Oberst Holmes", schrie sie, riss einen der Angreifer von seinem Pferd, um sich selbst hinaufzuschwingen und ritt in das Getümmel wie ein Besenkter, um sie herum qualvolles Sterben auf beiden Seiten. Aramis zog ihr Schwert. Erde und Steine wirbelte unter den Hufen des galoppierenden Pferdes auf. Ein paar Soldaten hoben die Köpfe, zwei von ihnen kostete es das Leben. Was dem König sein Hofstaat war, war der Armee sein militantes Beiwerk. Ein unsichtbares Heer aus Knechten, Handlangern, Händlern, Dienern bewirtschaftete keinen steinernen Palast, sondern eine Stadt aus Zelten und Wagen. Dirnen flanierten auf der Suche nach Kundschaft, wie die reichen Hofdamen in kostbaren Roben. Als Schmuck trugen sie die Spuren ihres entbehrungsreichen Lebens und das gelbe Band ihrer Zunft. Der König hatte seine Minister, der Offizier seine Adjutanten, der Soldat sein Bier. Athos brachte sein Pferd zum Stehen. Das arme Tier stand am Rande der Erschöpfung. Schweißnass glänzte das dunkle Fell und der sehnige Pferdeleib hob und senkte sich schweratmend. Beruhigend klopfte er ihm auf den Hals und sah sich um. Die Garnisonseinheiten waren zum Kampf ausgezogen. Das ferne Donnern der Kanonen hallte über die Ebene. Zivilisten, Veteranen, Verletzte, wenige zurückgebliebene Soldaten beherrschten das Lager. Der rhythmische Gleichklang einer Schmiede vermischte sich mit Stimmengewirr. Man wartete in gepresster, steifer, von finsterer Vorahnung geplagter Stimmung auf die Rückkehr der Soldaten. Würden sie Sieger sein oder unterliegen? Wer von ihnen verletzt, wer heil oder nie mehr zurückkehren? Dann brach Betriebsamkeit und Hektik aus. Böse Kunde war vorausgeeilt. Die französische Armee war zum Rückzug gezwungen worden, vom Feind überrannt, zu Hunderten verletzt oder gar tot. Oberst Holmes war besinnungslos vor seiner Truppe ins improvisierte Lazarett gebracht worden. Athos hielt einen der umherlaufenden, von unnatürlicher Hektik getriebenen Knechte auf und fragte ihn nach einem der Offiziere. Sein gebieterischer Ton genügte, um den Burschen gesprächig zu machen. "Was ist hier los?" Der Junge sah ihn nervös an und die vorstehenden Augen standen vor Ungeduld nicht still. "Oberst Holmes kam verletzt zurück. Alleine und halbtot. Er liegt jetzt im Lazarett. Unter seinen Männern muss heillose Panik ausgebrochen sein. Irgendwer hat die Führung übernommen und ist durch dir Reihen der Engländer gebrochen, aber niemand weiß wer und ob es nur ein Gerücht ist. Wahrscheinlich sind mehr als die Hälfte tot. Es heißt, sie machen keine Gefangene. Oberst Jaques Truppen sind vollständig vom Feind eingekeilt sein und sie laufen direkt in die Schwerter der verdammten Engländer. Sie sollen alle zur Hölle fahren, diese Schweine!" Die Geschwindigkeit seiner Erzählung, wetteiferte mit dem nervösen hin und her der rollenden Augäpfeln. Athos ließ ihn los. Der Donner verhallte, die Kanonen standen still, die Artillerie rückte ab. Mit ihrem Schweigen legte sich bleischwer, in ängstliche Erwartung gekleidet, die Stille über das Lager. Es vergingen endlose Minuten, bevor die ersten Soldaten kamen, vor Erschöpfung taumelnd, Kleidung und Gesicht schlamm- und blutbedeckt, Entsetzen und Unglauben in die müden Züge gebrannt. Die Augen glasig, die Bewegungen mechanisch. Es waren meist Bauern und einfache Menschen. Auch eine Uniform täuschte darüber nicht hinweg. Ihnen, den wenigen zu Fuß, folgte der lange Strom der Verletzten. Viele würden in dieser Nacht ihren Verletzungen im Lazarett erliegen, der Rest als Kriegsveteranen zurückkehren. Durch fehlende Hände, Arme, Beine ihrer Arbeit beraubt. Durch die Ignoranz und die Missachtung des Staates, als Bettler am Rande der Gesellschaft enden. Athos Herz begann merklich schneller zu schlagen. Jetzt wo er die unmittelbaren Folgen eines Kampfes, durch die entkräfteten Soldaten vor Augen geführt sah, wurde ihm die todbringende Tollkühnheit bewusst, in die sich Aramis begeben hatte. Ihn übermannte das lähmende Gefühl der Angst und sein Herz raste jetzt. Wo war in diesem zerwürfelten Haufen ein befehlshabender Offizier, der ihm Auskunft erteilen konnte? Wie sollte er Aramis finden? Was wenn ihr Leichnam auf dem Schlachtfeld lag? Geworfen in eines der Massengräber, für immer namenlos verscharrt? Er lief durch die Reihen der Soldaten und sah ihnen in die Gesichter, aber nirgends war Aramis zu sehen. Grobe Gesichter, breitschultrige Kerle, mit Gliedmaßen wie Baumstämme. Nirgends die feingeschnittenen Züge einer Frau. Immer mehr Verletzte wurden auf den Schultern ihrer Kameraden oder behelfsmäßigen Tragen hereingebracht. Schneller, immer schneller, lief Athos durch die Reihen der Soldaten und suchte nach Aramis oder jemandem der ihm Auskunft erteilen konnte. Sein Mund war trocken, die Zunge klebte am Gaumen, das Blut rauschte in seinem Schädel und er hatte Angst. Angst, Aramis verwundet, blutend, mehr tot als lebendig oder nie mehr wieder zu sehen. Im letzten Moment, sah er sich um und heftete mehr aus Instinkt als Wissen, den Blick auf die schmalen Schultern eines berittenen Soldaten. Er hatte ihn für einen Offizier gehalten und deshalb kaum beachtet. Obwohl er die Uniform eines einfachen Soldaten trug, drückte seine Haltung Autorität und Kraft aus. Wie stutzte er, als er wirklich Aramis in dem Soldaten erkannte. Ohne bewusst Befehle zu erteilen, folgten die Männer ihren Anweisungen und warteten ihre Entscheidung ab. Auf ihrem Pferd hielt sie den Rücken gerade und ihre Augen wachsam. Erleichterung durchflutete Athos, dass ihm schwindlig wurde. Kein Wunder, dass er sie nicht erkannt hatte. Der Hut hing tief in der Stirn, die schmutzige, unkleidsame Uniform ließ kaum zu erkennen, wer sich darunter befand. Ein Mann mit dem Rangabzeichen eines Obersten kam auf sie zu, klopfte ihr anerkennend auf die Schulter, als sie vom Pferd glitt. Mit einem kurzen Nicken entfernte sie sich. Der Oberst übernahm es, die Soldaten zu befehligen. Betriebsamkeit hatte sich im Lager ausgebreitet. Nun galt es die Verletzten zu pflegen. Athos folgte Aramis, die sich steifbeinig ihren Weg durch die Soldaten bahnte. Vereinzelt nickten ihr die Männer erkennend zu. Dann verschwand sie hinter den Zelten. Aramis unterdrückte mit Mühe ihre Erschöpfung und die Tränen, die unaufhaltsam in ihr hochstiegen. Sie hatte die Männer befehlig und herausgeführt. Dankbarkeit hatte sie im Lager von Seitens Oberst Jaque und der Männern empfangen, aber sie fühlte nur Leere, nicht Stolz in sich. Es war ganz einfach gewesen. Es brauchte nur jemand, der den kühlen Verstand und die Courage besaß, Befehle zu erteilen und Entscheidungen zu treffen. Sie selbst hatte ja überleben wollen. Bis zu diesem Punkt war sie stark gewesen, jetzt drohte sie die Panik zu übermannen. Ein Oberst Holmes mochte in den Krieg ziehen, aber Aramis hatte nicht mehr die Kraft auf das Schlachtfeld zurückzukehren. Endlich war sie alleine. Tränenblind durch Erde und Morast. Sie sank auf die Knie und schluchzte herzzerreißend. "... visibilium omnium et invisibilium." Voller Inbrunst murmelte sie die lateinischen Worte, als könnten sie durch den Wahnsinn in ihrem Schädel führen. "Et in unum Dominium Jesum Christum ..." Die Gebete ihrer Kindheit, fremde, unverständliche Worte und doch gleichzeitig vertraute. Das Sterben hörte vor ihrem inneren Auge nicht auf. Athos hatte sie eingeholt und sah sie auf dem Boden knien, die Arme um den Oberkörper geschlungen. Er kniete sich nieder und zog sie in seine Arme. Er spürte, wie sie unter den Kleiderschichten zitterte. Als er ihren Kopf an seine rechte Schulter barg, fiel der breitkrempige Hut von ihrem Kopf und zeigte eine Wolke kurzer Locken, die im Nacken endeten. "Deine Haare sind ab", murmelte er. Sie sah auf, als bemerke sie ihn erst jetzt. "Ja", schluchzte sie an seinem Hals, ohne sich zu wundern, woher er so plötzlich kam und warum sie in seinen Armen lag. "Sie sind weg", murmelte er wieder und fuhr mit der Hand über die zarte, weiche Haut am oberen Wirbel zum Nacken hoch, um mit den Fingern durch die kurzen blonden Locken zu fahren. "Es ist Krieg", flüsterte sie, ohne zu begreifen, dass das Zittern in ihrem Körper nicht mehr von Hunderten toter Kameraden herrührte, sondern von federzarten Berührungen. Er war ganz dicht bei ihr. Athos Arme um ihren Körper, Athos Hände auf ihrem Nacken, Athos Atem an ihrem Ohr, Athos Geruch in ihrer Nase, seine Stimme in ihrem Ohr, wie ein Streicheln. "... Et in Spiritum Sanctum. Et unam, canctam Catholicum ..." Endlich löste sie sich und sah ihn an. Es schmerzte fast körperlich, ihn wieder zu sehen. "Was machst du hier?", wisperte sie und ließ sich auf die Hacken zurückfallen. Aramis wirkte ernsthaft schockiert, dass er da war. "Ist mir dir alles in Ordnung?" "Es geht schon." Sie senkte den Blick, als schämte sie sich Schwäche und verbarg die Tränen, um unnötige Stärke zu beweisen. "Aber was machst du hier?" "Die Frage sollte ich dir stellen. Ich soll dich an Haaren nach Paris schleifen. Anweisung vom Kapitän." Aramis wischte sich mit dem Ärmel über die Nase. "Ach so, Anweisung vom Kapitän", murmelte sie enttäuscht und erstickte die jähe Ernüchterung, hinter dem wenig schönen Geräusch des Nasehochziehens. "Ich werde nicht ... ich meine, ich kann nicht ...", Sie stockte und biss sich auf die Zunge. Was wollte und was konnte sie nicht? "Ich kann und ich werde dich, zum Kapitän zurückbringen. Du hast hier nichts verloren, Renée und ..." Den restlichen Teil des Satzes hörte Aramis nicht mehr. Die Außenwelt stülpte sich um und ließ sie in einer Blase zurück, die ihr Ohren und Augen verschloss, lediglich der Nachhall ihres Namens blieb zurück. Athos wirkte wie ein artikulierender Fisch. "Was hast du gesagt?", flüsterte sie tonlos und fing unkontrolliert an zu zittern. Vor ihren Augen verschwamm alles, als hätte man die Welt gepackt und geschüttelt. Sie war zutiefst erschüttert. Verwundert sah Athos in das farblose Gesicht und die unnatürlich aufgerissenen Augen. Während der letzten Wochen hatte er ständig an sie denken müssen. Sie war eine nicht zu greifende Gestalt, halb Aramis halb Renée. Er konnte sie nicht festlegen, sein Bild von ihr änderte sich von Sekunde zu Sekunden und nun die des dreckbesudelte Soldaten. Das blasse, spitze Gesicht unter den kurzen Haaren, das die Vorzüge ihrer feingeschnittenen Züge deutlicher hervortreten ließ. Er sah sie an, wie sie da am Boden hockte in ihrer dunklen Uniform ... ihrer Uniform, die einmal dunkel gewesen war, bevor sich Schlamm und Dreck darüber gelegt hatten ... und wusste beim besten Willen nicht, was er vor ihr halten sollte. "Was ist mit dir?" "Was hast du gesagt, Athos?", wiederholte Aramis. "Das du des Wahnsinns bist?" "Davor, meinen Namen!" Athos sah sie wortlos und verwirrt an, als würde er an ihrem Verstand zweifeln. "Du weißt, dass ich eine Frau bin?" "Natürlich!" Aramis sog hart die Luft ein, Schlieren tanzten vor ihren Augen und sie stieß mühsam hervor. "Wie lange?" "Warum siehst du mich so erstaunt an? D'Artagnan hat genau deshalb Jean zu dir geschickt. Damit er dich warnt." "Wovor warnt?" Athos stöhnte innerlich und fühlte sich, als hätte er gerade etwas unglaublich dummes gesagt. "Du hast Jean nicht angetroffen." "Wovor warnen, Athos?", fragte Aramis schneidend und die blauen Augen zerrissen ihn in Stücke. Er seufzte schwer und sagte bedächtig. "Vor mir und Porthos!" Aramis riss sich los und lief mit schnellen Schritten davon. Er hatte etwas wirklich Dummes gesagt. Resigniert und abermals seufzend, sah er der wütenden Aramis nach. Kapitel 39: Rückkehr -------------------- Es war ein wirklich schöner Oktobertag, nur wusste es dieser Tag im Oktober nicht, dass er schön sein sollte, denn es goss in Strömen. Und wie es häufig in der mathematischen Formel des Reisenden verankert ist, blies der Wind von vorn. Beide Reisenden hatten die Köpfe gesenkt, die Schultern zusammengezogen und hielten die Umhänge eng am Körper gerafft. Sie ritten nur langsam, gegen Wind und Regen und Erschöpfung an. Eine weite Wegstrecke lag noch vor ihnen. Der Himmel war grau verhangen und Dunkel. Der Wind und die Nässe fuhren zu einer Jahreszeit, in der die Sonne nur noch wenig Kraft zum Wärmen hatte, kalt und klamm durch die Kleidung. >Man weiß von meiner wahren Identität. Merkwürdigerweise fürchte ich mich gar nicht, < dachte Aramis. >Eigentlich sollte ich mich fürchten. Bald treffen wir auf Porthos und sein Zorn soll fürchterlich sein. Wird er mich verraten? Wer werde ich in Paris sein?< Sie verspürte das klamme Gefühl der Angst und Ungewissheit, aber das heiße Gefühl des Zorn drängelte sich vor. Und Zorn verspürte sie, seitdem Athos ihr erklärt hatte, warum D'Artagnan ihr Jean geschickt hatte. Die Wut kroch in ihr hoch und erstickte sie fast, wenn sie daran dachte, wie Athos sie die ganze Zeit über getäuscht hatte. Aramis ballte unter dem Mantel die Hand zur Faust. Sie spürte nicht den Schmerz, als ihre Fingernägel sich in die Haut gruben, vor innerer Erregung. Es kostete sie unendliche Überwindung auch nur den Kopf zu drehen und ihn anzusehen. Athos war der Mensch, den sie am meisten achtete und von dem sie die größte Achtung ersehnte. Ein bloßer Blick oder ein Wort an sie, hatten an manchen einsamen Tagen höchste Glückseeligkeit bedeutet, eine Berührung brannte heißer, als das Feuer und von diesem Mensch verraten worden zu sein, bedeutete den Verrat der ganzen Welt. Bald würde es Abend sein und sie mussten irgendwo übernachten, bevor sie am nächsten Tag auf Porthos und D'Artagnan stießen. Den Rest des Weges verbrachten sie schweigend. Sie ließen Niort, Poiters und Châteauroux hinter sich. Bei Chinon suchten sie sich ein Gasthaus. Beruhigend tätschelte Aramis ein letztes Mahl die Schnauze ihres Pferdes, verließ den Stall und betrat das Gasthaus. Dankbar hieß sie die Wärme willkommen. Athos kam ihr entgegen. Wenige Gäste hielten die Köpfe über ihre Getränke gebeugt. Die Mehrheit sah auf und musterte sie misstrauisch. Sie sahen die müden Gesichtszüge des Neuankömmlings, die verschmutzte Uniform der französischen Armee und blickten genauer hin. Sie sahen den Degen an der Seite, die Muskete auf dem Rücken, das Blut auf dem Stoff und senkten schnell die Köpfe. Ein Reisender schlief auf einer harten Holzbank beim Kamin. Schweigend räumte eine Magd das dreckige Geschirr ab. Athos zog sie beiseite. "Wir haben Glück und bekommen noch etwas zu Essen, auch wenn es nur Brot und Käse ist. Sind die Pferde gut untergebracht, Renée?" Aramis erschrak und zischte erbost. "Nenne nicht meinen Namen!" Er hob abwehrend die Hand. "Schon gut, du bist noch immer wütend, aber ich habe noch eine schlechte Nachricht für dich." "Was?" "Unser Gastgeber hat nur noch ein Zimmer, mit einem Bett frei." Aramis schnappte nach Luft. "Aber ..." "Du hast die Wahl zwischen mir oder Sattel und Stroh im feuchten, zugigen Stall, mit einer garantierten Erkältung als Folge." Aramis entschied sich für das Bett. Ihre Mahlzeit nahmen sie in völliger Stille ein. Sie schwieg nun schon seit ihrer Abreise und das bedeutungsvoll. Mit würgendenden Bissen, den Blick stur auf die Tischplatte gerichtet, brachte Aramis das Brot herunter und spülte mit wässrigem Wein nach. Sie verspürte nicht den geringsten Hunger. Athos ließ seinen Becher derart heftig niedersausen, dass der restliche Wein über den Rand schwappte. "Hör auf mich anzuschweigen, Aramis!", und seine Augen funkelten beunruhigend. Überrascht hob sie den Kopf. "Wir haben letztendlich beide Fehler gemacht und beide gelogen", fuhr er fort und hatte Mühe seine Stimme zu dämpfen. Ihr stures Verhalten reizte ihn nun schon seit Stunden. Statt ihm zu antworten, drehte sie sich um und winkte dem Wirt. "Monsieur, noch einmal Wein." Eine Gruppe Bauern erhob sich und ging. Sie sah ihn mit unergründlichen Augen an, dann senkte sie wieder den Blick. Er hatte Unrecht. An sich war sie eine sehr wahrheitsliebende Person, deren geradliniger Charakter Lügen und Verstellung zutiefst zu wieder waren. Aber sie unterteilte Wahrheit in zwei Kategorien. Dinge die man den Leuten sagte und Dinge die man besser für sich behielt. Was ihre Verkleidung als Mann anging? Nun, ein jeder hatte Augen im Kopf... Athos hingegen hätte anders Handel können und sie war nicht bereit, ihm so leicht zu verzeihen. "Herrgott", entfuhr es ihm und er zog missbilligend die Augen zusammen. "Ich habe mich genauso verletzt gefühlt, wie du und habe dich gehasst." "Gehasst?" Ruckartig ging ihr Kopf wieder nach oben. Ihre Stimme war rau und gebrochen. "Ja, gehasst! Gehasst für das was du uns angetan hast. Für die Narren, die du aus uns gemacht hast." "Euch angetan habe?" "Ich weiß, was du sagen willst, aber auch wenn du es nicht verstehen kannst. Du hättest ein Mörder, Dieb oder Betrüger sein können, aber ... eine Frau? Was glaubst du, was Männer davon halten, wenn du so tust, als wärst du einer von ihnen? Du hast alle glauben lassen, dass du seiest Mann." Sie legte den Kopf schief. "Natürlich, dass musste ich." "Was erwartest du von uns, wo wir dich einordnen? Ein Mann bist du nicht und du kannst uns diese Vorstellung auch nicht mehr weiter vorgaukeln, aber dem Bild einer Frau entsprichst du auch nicht. Wer bist du, Aramis?" Athos sah sie eindringlich an. "Das weiß ich nicht", sagte sie leise und zögerlich. Athos beugt sich näher über den Tisch und sagte langsam. "Wir waren TAGTÄGLICH zusammen, weil wir dich für einen MANN HIELTEN. Männer benehmen sich in Gegenwart von Frauen ganz anders. Hast du auch nur die leiseste Vorstellung, wie viel von dem was du hörtest und sahest, NIE für die Ohren und Augen einer Frau bestimmt war?" Aramis stützte die Arme auf und schob sich ebenfalls näher. "Es-war-sehr-lehrreich-danke", zischte sie, Gesicht an Gesicht. "Aber ihr erschüttert nicht unbedingt mein Weltbild, nur weil ich weiß, wie ihr euch am Hintern kratzt", und ließ sich wieder auf den Stuhl zurück fallen "Oh", Athos verzog das Gesicht, "darauf reduzierst du sieben Jahre mit uns?" Aramis zuckte die Schultern. "Das tut weh", fuhr er theatralisch fort und wurde wieder ernst. "Wir dachten dich in- und auswendig zu kennen, Aramis." "Ihr kennt mich in- und auswendig, Athos." "Es geht nicht darum, dass dein Wesen das gleiche ist, es geht darum, was unter deiner Kleidung steckt. Weißt du, was man mit einer Frau macht?", fragte er provozierend. Bei diesem Satz biss sich Aramis auf die Zunge. Das dämmrige Licht der wenigen Öllampen verbarg gnädig den Rot-Ton auf ihrem Gesicht. Ihr war durchaus klar, was er meinte. Athos sah sie herausfordernd an. "Jedenfalls nicht, um mit ihr nach Beulonie zum Pferderennen zu gehen, sich über Frauengeschichten zu unterhalten, in der Taverne bis zum Morgengrauen zu trinken und auf dem Kasernenhof zu kämpfen." "Und doch, haben wir all das gemeinsam getan", sagte sie leise und sehr nachdenklich. Die wenigsten Frauen steckten in einer schmutzbesudelten Uniform, um durch den Schlamm eines Schlachtfeldes zu stapfen. Die wenigsten Frauen rochen nach Pferd, weil sie ihre meiste Zeit auf dem Pferderücken verbrachten, die Haut rau von Wind und Sonne. Die wenigsten Frauen verbrachten die Stunden ihres Tages zwischen Übungsplatz, Kaserne und Taverne. Keine Männer interessierten sich für diese wenigen Frauen. Aramis kam sich in diesem Augenblick sehr dumm und lächerlich vor. Nein, kein Mann war sie und es würde ihr nur übrig bleiben, dieses Zwischenwesen zu spielen, damit sie vielleicht akzeptiert wurde. "Ich will endlich nach Hause", sagte sie schließlich. "Wir sollten uns nicht gegenseitig hassen, Athos." Er nickte erleichtert und lächelte vorsichtig. Eine Kerze brannte. Es war kalt in dem Zimmer, dass nur von einem Bett beherrscht wurde. Der Kamin war leer und kalt. Abgestandener Ruß zog sich über das Mauerwerk. Ansonsten standen zwei Stühle in dem Zimmer und eine verbeulte Bettpfanne auf den Dielen. Der Wind wehte durch die Ritzen in den Fensterläden. Das Betttuch schien mehrfach gebraucht, rau und geflickt zu sein, aber sauber. Ein wenig Stroh stach aus den Seiten der Matratze. Wortlos entkleidete sich Athos bis auf die lange Unterhose, während Aramis, unschlüssig, wie sie sich verhalten sollte, in das Kerzenlicht starrte. Sie hob den Kopf, als kein Rascheln mehr erfolgte und begegnete dem provokanten Blick von Athos, der breitbeinig auf seiner Seite des Bettes stand. Sie benötigte einige Zeit, bevor sie dem provokanten Blick seiner Augen begegnete. Der Rest seines unbekleideten Körpers hielt sie auf. Sie musterte ihn gründlich, sagte aber nichts. "Ich drehe mich weg, dann kannst du dich umziehen!", sagte er, kroch unter die Bettdecke und drehte ihr den Rücken zu. Was reine Höflichkeit war, kam ihr unendlich würdelos vor. Der Umgang mit ihr bedeutete Unbequemlichkeit, ein Ärgernis. Eine zeitlang starrte Aramis mit hängenden Schultern auf seinen Rücken. Seufzend fuhr sie sich mit der Hand durch das Haar und spürte die kurzen Locken durch die Finger rinnen. Das einzig schöne und weiblich, was sie an sich selbst gefunden hatte, war unter der Schere gefallen, was ihr noch einen Seufzer abrang. Sie zog sich aus. Der Wind und die Kälte krochen unangenehm auf der nackten Haut, in der sie sich gerade alles andere als wohl fühlte. Ein Luftzug ließ die Kerze flackern. Sie bemerkte den Schatten, der hinter ihr stand und löschte rasch das Licht, dann zog sie ein frisches Hemd über und kroch genau wie Athos unter die Decke. Es wurde dunkel und Athos schloss die Augen, ohne wirklich müde zu sein. Bevor Aramis die Kerze gelöscht hatte, hatte das Licht die Umrisse ihres Körpers an die Wand geworfen. Ohne Musketieruniform, festes Brustband oder einengende Korsage. Das Bild verfolgte ihn nun, ob er wollte oder nicht und ließ in alles andere als schläfrig werden. Ein ganz anderer Teil seines Körpers begann zu erwachen und nach Erfüllung zu schreien. Die letzte Blockade, sie als Mann zu sehen, war gefallen. Er seufzte. Obwohl mehrer Fingerbreit Platz zwischen ihnen war, spürte er die Wärme ihres Körpers. Dass sie sich unruhig hin und her warf, machte es nicht einfacher für ihn. Ich habe zu lange keine Frau mehr gehabt, dachte er, dass war es. Athos hätten nur die Arme ausstrecken brauchen, um sie zu berühren. Nur tat er es nicht. Beide glaubten, der andere würde es nicht wollen. So starrten beide blicklos ins Leere. Aramis wickelte sich, unglücklich mit jeder Faser ihres Seins, enger in die Decke, ohne Wärme zu finden. Kummer und Gram kannten keine Wärme. Als Athos am nächsten Tag erwachte, war das Bett neben ihm leer. Schlagartig war er wach und instinktiv wusste er, was die leere Seite neben ihm zu bedeuten hatte. Aramis hatte das Gasthaus verlassen, um erneut davon zu laufen. Das Laken trug noch den Abdruck des Körpers, der unlängst hier geruht hatte und ihr Geruch lag noch in der Luft, was bedeutete, dass noch nicht viel Zeit vergangen war. Dunkelheit lag noch über der frühen Morgenstunde. Barfuss und nur mit der Unterhose begleitet, lief Athos die Treppe hinunter. Das Holz knirschte und knarrte, als er die Stufen in großen Sprüngen hinter sich brachte. Er stürzte zur Tür und zum Stall hin. Aramis runzelte die Braunen und trommelte mit den Fingern auf dem Lederband der Zügel. Ungeduldig rutschte sie im Sattel hin und her und sah mit einem Seufzer nieder. "In diesem Aufzug wirst du dir zweifelsohne den Tod holen." Athos Unterhose rutschte gefährlich unter die Hüften. Er blieb angesichts seiner freizügigen Aufmachung ruhig. Mit einer Hand hielt er seine Hose, mit der anderen die Zügel fest. "Dazu zwingst du mich schließlich, Aramis oder willst du mir weiß machen, auszureiten, um frisches Baguette zu kaufen?" Ärgerlich, zerrte Aramis an den Zügeln. Unnachgiebig zog Athos am anderen Ende der Bänder. Verwirrt trabte der Hengst auf der Stelle und wieherte hilflos. "Selbstverständlich, und frische Milch und Käse dazu", sagte sie im völligen Ernst und hob das Kinn höher, "u-n-d n-u-n l-a-s-s l-o-s!" Ihre Stirn legte sich vor Anstrengung in Falten. "Komm vom Pferd runter!" Das Kinn ob sich höher. "Warum!" "Weil du den Weisungen deines Kapitäns folgen musst." Der Blick wurde sturer. "Ich muss nur meiner eigenen Bestimmung folgen." "Ich gebe dir jetzt einen Rat, hör zu!" "Ja" "Wenn du deiner Bestimmung folgst ..." "Ja?" "auf dein Herz hörst ..." "Ja?" "und den Sternen folgst ..." "Ja?" "Dann wirst du trotzdem Anweisungen folgen müssen, von Menschen, die ihre Zeit damit verbringen, den Regeln zu folgen, hart zu Arbeiten und nicht faul zu sein." "Was hätte ich denn tun können?" "Etwas mit weniger Tot und Sterben?" Aramis, die wusste, wann Widerspruch zwecklos war, folgte ihm brav auf das Zimmer zurück. In einem kleinen Ort vor Blois, der heute gar nicht mehr existiert, warteten D'Artagnan und Porthos. Der Ort war so klein, dass er weder eine Kirche, noch ein Gasthaus besaß. Im eigentlichen Sinne führte die Straße nicht durch den Ort, sondern mehrere Meter an ihm vorbei und nur ein schmaler Trampelfahrt verband die wenigen baufälligen Hütten miteinander. Kein verführerischer Duft nach Braten oder frisch gebackenem Brot verlockte Porthos zu Umwegen über den Magen. Die Menschen hier begannen den Tag mit fader Haferschleimgrütze und beendeten das Tagewerk mit einer wenig nahrhaften Suppe aus Gerste und den Gemüsesorten der jeweiligen Jahreszeit. Am Ende ihres kurzen, entbehrungsreichen Lebens starben sie und nur einmal pro Jahr hatte ein Braten auf ihren Tisch gestanden. Ein Leben, das wenig lebenswert war und an dessen Existenz Porthos gar nicht glaubte. Zwei Tage hatte jeder Zeit gehabt, zu Suchen, dann wollten sie hier wieder auf einander treffen, mit oder ohne Aramis. Porthos Zähne zermalmten gleichmäßig einen Apfel, während er auf die Straße starrte. Die Sonne schien und der Wind fuhr durch die Bäume, welche die Farben des Herbstes trugen. "Machst du dir Sorgen?" "Um was?", murmelte er, mit Fruchtfleisch zwischen den Zähnen und blickte seinen jungen Begleiter unverständlich an. "Um Aramis?" D'Artagnan musste sich zusammenreißen, um nicht laut aufzustöhnen. Es konnte nicht sein, dass in diesem, körperlich viel vorhandenen Menschen, überhaupt kein Feingefühl saß. Denn, dass Porthos ein ebenso großes Herz, wie Magen besaß, war Tatsache. Porthos zuckte die Schultern, richtete den Blick wieder nach vorn und kaute weiter. Für D'Artagnan war es schwer zu sagen, was er dachte. Vielleicht beschäftigte sich Porthos mit gar keinen Gedanken. Der riesige Musketier war nicht dumm oder geistig unbeweglich. Es gehört einfach nicht zu seinem Wesen, viel Denkarbeit zu leisten. Er ließ seinen Geist treiben. Die schwierigen Denkprozesse, logische Analysen und Gedächtnisübungen überließ er anderen. "Athos wird Aramis gar nicht finden", brummte Porthos zu seiner Überraschung. "Keine Frau zieht als Soldat in den Krieg. Sie wird nach Hause zurückgekehrt sein." D'Artagnan enthielt sich einer Antwort. Die Zeit würde die Antwort bringen. Das Porthos Aramis hasste, das glaubte er nicht. Mochte Porthos sich auch einreden, Aramis zu verabscheuen, aber ihre gegenseitige Anziehungskraft machte es einfach unmöglich, dass sich Porthos und Aramis nicht mochten. Wenn sie vier wieder beieinander waren, würde der sture Koloss seinen Irrtum einsehen müssen und bald Aramis Geschlecht akzeptieren, wie er es tat. Staub wirbelte in der Ferne auf und zwei kleine Punkte bewegten sich auf sie zu. Bald mischte sich in das Geräusch vom Windrauschen Pferdegehtrabe. Er konnte Athos erkennen, der zwei Pferdelängen vor seinem Begleiter lag. D'Artagnan lief zur Straße und schwenkte übermütig seinen Hut, als würde Athos Probleme haben, ihn in dieser Menschenlosen, völlig freien Ebene zu übersehen. Athos Begleiter hatte den Hut tief ins Gesicht gezogen und blickte zu Boden. Es musste einfach Aramis sein. Athos zügelte sein Pferd, doch statt einer Begrüßung, konnte er nichts anderes tun, als seine Nase in ein Taschentuch zu stecken und dieses mit lauter Fanfare zu malträtieren. Mit rotgeränderten Augen sah er auf sie nieder. "Du hast dir eine Erkältung geholt?", fragte Porthos ungläubig. "Als wir losritten, warst du noch bei vollkommener Gesundheit. Bist du nackt umhergerannt?" "Du hast ja keine Ahnung", ertönte es aus dem Taschentuch. D'Artagnan trat auf den zweiten Reiter zu und bereitete die Arme aus. "Aramis!", rief er freudig, und ein Lächeln erhellte seine Züge, als wollte es ein Gesicht zweiteilen. Finster richtete auch Porthos seinen Blick in die Richtung. Mit einem feinen Lächeln auf den Lippen, glitt Aramis vom Pferd und ließ sich in die Arme schließen. Sie drückte den warmen Jungenkörper an sich und spürte, die Zuneigung in seinen Armen. Zum ersten Mal seit langem löste sich der feste Eisenring um ihren Brustkorb merklich. Verwundert schob er sie auf Armlänge vor sich. "Wie bist zu einem Korporal geworden?" "Ich traf unterwegs auf einen, der aus seinem Heimurlaub an die Front zurückkehrte." "Und was ist aus ihm geworden?" "Was soll aus ihm geworden sein", fragte sie verwundert. "Er reiste in Unterwäsche weiter." Porthos ignorierte sie. "Lass uns Weiterreiten. Es liegt noch ein langer Weg bis Paris vor uns", sagte Athos und begleitete seine Worte mit einer weiteren Niessalve. Sie waren eine ganze Weile geritten und der lange Weg saß schon spürbar in den Knochen, da ließ sich Porthos zurückfallen und ritt schweigend neben Aramis her. Mit Absicht, ritt Athos mehrere Meter vor ihnen. Er wusste was kommen würde. Wie ein Gewitter ging der Streit los, ein verbaler Orkan begleitet von tiefen Stirnfurchen, bitterbösen Blicken und verkniffenen Mundwinkeln. Keifend behackten sich beide. D'Artagnan lenkte sein Pferd näher zu Athos. "Möchtest du nicht eingreifen?" Der ältere Musketier lächelte bedeutungsvoll "Ich bin nicht lebensmüde." "Aber ..." Besorgt schaute sich D'Artagnan um, ob beide handgreiflich geworden waren. "Lass sie sich austoben", sagte Athos sanft und bedachte ihn mit nachsichtigem Blick. Nach einer Viertelmeile, drehte er sich im Sattel herum, zog die Augenbrauen steil und donnerte "Ruhe!" Daraufhin wurde es still, durchbrochen von gelegentlichem Schniefen und leisem Murren. "Aramis", Athos drehte sich nicht zu ihrer herum, sondern hielt den Blick auf die Straße gerichtet, "heute Abend erreichen wir Paris und du wirst nicht fliehen. Ich tue dies nur, um dich vor einer weiteren Dummheit zu bewahren." Er erhielt keine Antwort, aber davon jede Menge. Weit nach Mitternacht erreichten sie erst Paris. Über Saint Denis passierten sie die Stadt und ritten durch die dunklen Gassen heim. Die Nachtwächter eilten mit Öllampen durch Straßen und riefen die Stundenanzahl der Nacht aus. Ein merkwürdiges Gefühl im Magen beschlich Aramis, als sie in die Straße einbogen, in der ihr Haus lag. Immer höher schlug ihr Herz, als sie sich der vertrauten Fassade näherten. Im Gleichklang mit ihren lauten Herzschlägen, schlugen die eisenbeschlagenen Hufe ihres Pferdes auf das steinerne Pflaster auf. Klick Klack, mit jedem Schritt näher. Schweigend hielten sie und warteten, dass Aramis abstieg. Athos nahm die Zügel ihres Pferdes in die Hand. "Ich werde dein Pferd in den Stall im Musketierquartier bringen. Sorge dich nicht um ihn!" Aramis nickte und schritt die Treppe hoch. Ihre Finger fuhren an den Fugen am Türrahmen entlang und holten, hinter einem losen Mörtelstück, den Hausschlüssel hervor. "Aramis", rief ihr Athos hinterher, "und morgen wirst du ..." "...vor dem Kapitän erscheinen", vollendete Aramis seufzend den Satz, ohne sich umzudrehen. "Ich kann Jean übrigens hinter Madame Campês Regenkübel sehen." Sie machte eine bedeutungsvolle Pause, bevor sie fortfuhr. "Darüber befindet sich direkt Madams Schlafzimmer. Kein Kind in Jeans Alter, sollte über Nacht unter Madame Campês Schlafkammer sitzen. Es wäre nicht mehr dasselbe, am nächsten Morgen, wenn ihr versteht, was ich meine." Ohne sich zu verabschieden, schloss Aramis die Tür hinter sich. Drei Augenpaare sahen interessiert zum offen stehenden Fenster über der Tonne auf. Die Wohnung war vollkommen dunkel und kalt. Wände und Böden waren ausgekühlt, die Möbel mit einer Staubschicht versehen. Fahles Nachtlicht fiel unwohnlich in die Stube. Aramis legte Degen, Hut und Handschuhe auf den Tisch und fuhr sich durchs Haar. Unschlüssig verharrte sie in der Raummitte. Alles befand sich an Ort und Stelle, akkurat aufgeräumt, vertraut und doch fremd. Hinter ihr knarrt die Tür. "Sind sie endlich zurück?" Die dürre Gestalt ihrer Vermieterin trat über die Schwelle. Das Gesicht den gewohnt verkniffenen Gesichtsausdruck tragend, der ihr schon in die Wiege gelegt worden war. "Ja, Madam", murmelte Aramis ohne sie weiter zu beachten. Bedächtig schritt sie ihre Wohnung ab. Madam Solecjin folgte ihr. "Ihre Haare sind ja ab!", sagte sie mit schnurriger Stimme. "Ja, Madam." "Und eine Uniform tragen Sie." "Ja, Madam." "Haben Sie vor, weiter hier zu wohnen?" "Ja, Madam." "Und wer zahlt mir die ausstehende Miete?" Überrascht drehte sich Aramis um. "Wurden die letzten fünf Monate nicht an Sie gezahlt?" "Nein, keinen müden Sou sah ich. Sie können von Glück reden, dass ich Ihre Wohnung nicht weitervermietet habe. Sonst hätten Sie sehen können, wo sie geblieben wären. Die Möbel gehören schließlich auch mir", zischelte sie gehässig. "Sie werden Ihr Geld erhalten, Madam. Gleich Morgen gehe ich zur Bank." Energisch drängte Aramis die Dame zur Tür. "Wenn ich nicht bis morgen Mittag mein restliches Geld ...." Die zuschlagende Tür erstickte den Rest des Satzes. Mit einem Seufzer ließ sich Aramis auf den Stuhl fallen, barg ihr Gesicht in den Armen und weinte. Kapitel 40: Zerstörter Ruf -------------------------- Aberhundert Stiefelschritte im Gleichmarsch, die Musketen auf den Unterarmen angelegt, geladen und der Abzug durchgedrückt... Aramis erwachte schlagartig aus ihrem Albtraum. Einer der unzähligen Albräume, die sie seit La Rochelle heimsuchten. Aber es war das laute Klopfen an der Tür, das sie aus der Albtraumwelt gerettet hatte und nicht der Schrecken des Traumes selbst. Die Art des Klopfens gab deutlich zu verstehen, dass sein Urheber sehr, sehr ungehalten zu sein schien. Porthos stand vor der Tür. "Na endlich", brummte er und trat ungeduldig ein. "Hast du etwas zu essen im Haus?" Unverständlich starrte Aramis ihn an, ohne antworten zu können. "Porthos, ich bin gestern Nacht erst wiedergekommen ... ich habe nicht einmal Ratten", fügte sie hinzu. Sein Blick glitt an ihrem Aufzug hinunter. Sie hatte ihr Nachthemd unter einer langen Decke verborgen. Die bloßen Füße schauten noch hervor. Seine Züge entglitten ihm. "Deine Haare sind ja kurz?!" Aramis schüttelte verständnislos den Kopf. Sieben Jahre paranoides Verhalten, waren in Porthos Fall ganz umsonst gewesen. "Kein Wunder, dass ich so lange damit durchkam", murmelte sie. "Was meinst du? Bist du gerade erst aufgestanden?" Porthos sah sich um, als könnte er doch einen Bissen Essbares finden. "Wenn ich Ratte wäre, würde ich auch nicht hier sein wollen", brummte er. "Bitte?" Ihre Augenbrauen rutschten steil nach unten. "Weil du nichts zu essen hast", beeilte er sich zu sagen. Jegliche Form von Zynismus lag ihm nicht. "Lass uns einfach bei den Schmorküchen vorbeigehen!" Madam Boeulova eilte an ihnen vorbei, mit wirbelnden Unterröcken und ein Korb voller Esswaren in der Armbeuge. "Bonjour Monsieur Porthos, Bonjour Monsieur Aramis, wieder zurück in Paris?" "Bonjour Madam", grüßten beide artig und zog die Hüte. Der Duft von frischem Baguette zog an ihnen vorbei und verschwand an der Ecke. Erneutes Grüßen, als Monsieur Maeve, der Buchhändler vorbei ging. Sie kamen am Haus der Campês' vorbei. Die Fensterläden des ominösen Schlafgemachs waren noch geschlossen. Porthos Blick ging sehnsuchtsvoll nach oben. Er seufzte schwer, ob nun wegen der Baguette oder der Liebe. "Natürlich habe ich schon von Madame Campês gehört ..." "Wer hat das nicht." "... ich wusste nur nicht, dass sie hier wohnt." "Offiziell weiß das keiner", beißende Ironie gesellte sich zu ihren Worten. Aramis nickte Monsieur Remon zu. Sie kannte ihre Nachbarn, "und natürlich empfängt sie nie Männerbesuch, wenn ihr Mann auf Reisen ist ...Bonjour Madame Luc." "Bonjour Aramis, wieder zurück?" "Natürlich nicht", pflichtete Porthos ihr bei und rückte für die stattlichen Madam Luc zur Seite. "Sie ist eine anständige Christenbürgerin. Was ist ihr Mann von Beruf?" "Händler ... fahrender Händler... Bonjour Ivette, bonjour Blanche." Sie erhielt keine Antwort. Ein verstohlener Blick, Kichern hinter vorgehaltener Hand, Augen die immer wieder aufsahen. "Wie praktisch. Woher weißt du so gut bescheid?" Aramis zuckte leichthin die Schultern. "Bonjour Monsieur Aramis, wir haben Sie so lange nicht mehr gesehen." Sie tippte grüßend gegen die Hutkrempe und neigte andeuteten den Kopf. "Es lässt sich nicht vermeiden. Siehst du das Waschhaus dort an der Ecke? Mit der dreckigen Wäsche aus diesem Viertel, kommt noch viel mehr Schmutz mit dem Tratsch und Klatsch der Nachtbarschaft hinein. Nichts entgeht den Argusaugen meiner Nachbarinnen." "Außer dir." "Außer mir, aber ich bin Musketier." Porthos arbeite. "... Verstehe ich nicht." "Von einem Musketier erwartet man Weibergeschichten, Saufereien, Duelle und haarsträubende Abenteuer, aber nicht ..." "... aber nicht, dass er eine Frau ist", vollendete er den Satz. "Weil du ein Musketier bist, sehen sie nicht genauer hin?!" "Richtig." Er schüttelte den Kopf. "Die Menschen sind dumm." Zu seinem, -oder sollte man besser das Glück auf Aramis Seite stellen? - sah er den Blick nicht, dem sie ihm schräg hoch warf. "Jedenfalls, was Madam Campês betrifft, sie soll sagenhaft ..." Sie trafen zu einer Zeit im Musketierquartier ein, wo die meisten Musketiere anwesend waren. Die wenigen Kranken und Beurlaubten fielen kaum ins Gewicht. Die Anzahl der Musketiere unter Kapitän D'Treville mochte zwar begrenzt sein, erreichte aber bei voller Besetzung eine beachtliche Zahl. Eine stattliche Größe an Männern, die für die Bewachung eines einzelnen Mannes zuständig waren. Sie standen in Gruppen zusammen, unterhielten sich leise, prahlten laut über ihre männliche Großartigkeit, lachten und scherzten oder warteten geduldig auf die Anweisungen ihres Kapitäns. Eine Gruppe junger Anwärter übte sich in den neusten Techniken der Degenführung. Ein Bild kameradschaftlicher Unbeschwertheit, die Sorglosigkeit eines Berufes mit gesichertem Prestigewert. Wer Musketier war, der war wer. Aramis und Porthos traten durch das Tor. ... ein Degenstich kam schräg von der Terz und prahlte auf seinen Gegner. Doch die Hand und das Eisen waren plötzlich schlaff und ohne Gegenwehr. Das Leben erstarrte schlagartig. ... ein Eimer fiel zu Boden, kippte um und rollte über den Hof. Unzählige Augenpaare sahen sie an. ... vor dem Tor rumpelte laut ein Fuhrwerk vorbei. Doch das Rattern der Räder blieb das einzige Geräusch. Aramis wich erschrocken einen Schritt zurück. ... ein Vogel flog über den Platz. Sein Zwitschern verschluckte die Stille. "Geh weiter", raunte Porthos und drückte sie sanft vorwärts. Aramis schluckte, doch der drückende Kloß in ihrem Hals steckte fest. Sie fühlte wie die Luft abnahm und sich ihr Hals zuschnürte. Die Blicke der anderen stachen wie Nadelstiche auf ihrer Haut. Blei floss statt Blut in ihren Adern, Eisen statt Knochen in ihren Gliedern. Sie zwang sich einen Schritt vor den anderen zu setzen... ein Schritt, dann noch ein Schritt, nur immer weiter auf das Portal der Eingangstür zu. Porthos war der einzige Schutz in ihrem Rücken. >Claude<, schoss es ihr durch den Kopf. Er hatte wirklich nicht übertrieben. Obwohl kein Wort zu ihr drang, nur das leises Raunen von verstecktem Flüstern und Gewisper, dass durch die Reihen ging, verstand sie doch alles. Die Tür fiel hinter ihnen zu und damit die Erlösung. Porthos stieß den angehaltenen Atem aus. "Na, das wäre doch geschafft". Der Kapitän saß seitlich an seinem Schreibtisch. Das üppige Licht des Vormittags fiel hinter seinem Rücken durch die Fensterfront herein. Er musterte sie stumm. Auf seinem Gesicht stand der gewohnte strenge, unnachgiebige Ausdruck des befehlsgewohnten Offiziers. Seine Fingerkuppen trommelten auf die Tischplatte. Er ließ die Hand flach auffallen. "Du bist wieder zurück, dass ist gut", sagte er ohne Lächeln. Wer D'Treville kannte, der wusste, dass seine brummig, abweisende Art, nicht einmal seine Hausangestellten erschreckte. Aramis nahm Haltung an. "Ich melde mich zurück." Der Kapitän nickte zufrieden. "Du weißt, dass ich dein Verhalten nicht gutheiße?!" Aramis stand noch immer stramm. "Ja, das weiß ich." "Und was hast du mir zu sagen?" "Nicht viel", erwiderte sie knapp. Nicht unterwürfig, aber wachsam. Ihre Augen erwiderten seinen Blick. "Ich traf Claude in Breteuil." "So so, du trafst Claude." "Nicht Jean, sonder Claude", erklärte sie, als wäre damit alles gesagt. "Unseren Freund Claude, der nichts wichtigeres zu tun weiß, als die, wohl gemerkt, geheime Mission von Frankreichs Agenten jedem unter die Nase zu binden?" D'Trevilles Gesicht blieb völlig emotionslos. Es war nicht zu erkennen, ob er Scham darüber empfand, dass seine Affäre mit der Schauspielerin letztendlich damit zu tun hatte. Porthos ballte wütend die Hände zu Fäusten "Dieser Bastard hat jedem erzählt ..." "Schweig!", befahl der Kapitän und hob die Hand. "Aber ..." "Claude ist auf Hausarrest gestellt und was geschehen ist, ist geschehen. Die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen. Wo steckt schon wieder Athos?" Sein Musketier verlagerte unbehaglich das Gewicht auf das andere Bein. "Er meldet sich krank, Kapitän." D'Trevilles Braunen zogen sich missbilligend zusammen. "Ich bin also noch ein Agent Frankreichs?", fragte Aramis zynisch. "Natürlich und bei Gelegenheit wird sich der König für deine Dienste erkenntlich zeigen", erwiderte D'Treville wie selbstverständlich, wobei noch nicht klar war, ob der König auch davon wusste. "Nimm den Stuhl und stelle ihn für Aramis vor meinen Schreibtisch", befahl er Porthos, "und dann lass uns allein!" Aramis hielt ihm am Ärmel fest. "Warum setzt du dich für mich ein?", raunte sie. Er wich ihrem Blick aus. "Claude schadet uns allen". Porthos schloss die Tür hinter sich. "Und? Aramis senkte den Kopf. "Setz den Hut ab!" D'Trevilles markante Züge setzten zum erstaunten Grinsen an. "Ach kuck an." Aramis ließ die Schultern hängen. "Ich weiß nicht was ich tun soll. Ich weiß nicht, wohin ich soll. Ich weiß nicht, was aus meinem Leben werden soll." Ein feines Lächeln umspielte die harten Mundwinkel. "Und deshalb sitzt du wie ein Häufchen Elend vor mir?", "Meine Zeit als Musketier ist vorbei. Athos und Porthos wissen, dass ich eine Frau bin. Doch selbst wenn sie darüber hinwegsehen würden ... Ihr habt die Männer da draußen gehört. Der Ruf eines Musketiers ist so wichtig, wie seine Fähigkeiten. Nein, die Zeit als Musketier ist vorbei." "Alles findet sein Ende und wir wussten beide, dass dies hier nicht von Dauer sein kann." Verzweiflung und eine ruhelose Nacht standen in Aramis Augen. "Ich weiß zu schätzen, was Ihr alles für mich getan habt und ich erwarte gar nichts mehr. Mein Leben ist nicht Euer Problem ...aber," "Aber?", fragte er sanft. "Ich kann nichts gegen die Verzweiflung tun. Ich bin für das Kloster nicht geschaffen, für die Ehe nicht zu gebrauchen und ich kann nichts anderes, als Kämpfen. Ich habe kein anderes Zuhause als das hier .... ich kann nichts anderes", flüsterte sie erstickt. "Hast du dir darüber nicht schon vorher Gedanken gemacht?" Aramis schüttelte den Kopf. "Nicht so lange es sich vermeiden ließ", gestand sie schuldbewusst. Der Kapitän lehnte sich zurück und faltete die Hände über den Bauch. "Vor einer Stunde, suchte mich ein alter Freund auf. Er ist auf Heimurlaub und nutzt seine Zeit damit, einen jungen Korporal zu suchen, der sich sehr verdient gemacht haben soll. Ich weiß nicht, was ich für den jungen Soldaten tun kann, aber ich möchte meinem Freund helfen ..." "Und?" Porthos stieß sich von der Wand ab und kam auf sie zu. Aramis zuckte die Schultern. "Ich soll nach Hause gehen, bis er mich ruft." Er nickte. "... ich sagte dir, es geht bergab mit den ,berühmten' drei Musketieren", erklang eine Stimme hinter ihnen. Zwei Musketiere gingen neben ihnen die Treppe hinunter. Ein letzter gehässig-neidvoller Blick, dann waren sie verschwunden. Aramis sah ihnen traurig nach. Porthos war derjenige, der wütend war. "Ich sage dir, es geht mit den Musketieren bergab, wenn sie sich wie tratschsüchtige Waschweiber aufführen. Ursprünglich ging es nur darum, dass du in Frauenkleidern in England hocktest und die Comtesse mimtest, dann kamen ganz andere Geschichten hinzu. Eine böswilliger als die andere. Diese Hohlköpfe haben alle vergessen, wer ihnen das Fechten beibrachte und welche Musketiere jedes Kind kennt. Neid hat ihre Sinne vernebelt." Aramis glaubte sich verhört zu haben und verschluckte sich. "Hohlköpfe?", quiekte sie, als sie sich von ihrem Hustenanfall erholt hatte. Porthos zuckte die Schultern. "Ist doch wahr", murmelte er. Er sah sie vorsichtig an "Du solltest besser auf das hören, was der Kapitän gesagt hat und nach Hause gehen." Aramis nickte und machte sich auf den Weg. Es war eine Erleichterung, auf der Straße im Tagewerk der Bevölkerung untertauchen zu können, unentdeckt im emsigen Strom der Masse zu verschwinden. Nirgendwo in Frankreich drehten sich die Uhren so schnell wie in Paris. Das Stadtleben zeichnete sich durch die geschäftig Betriebsamkeit, den quirligen Elan der Pariser aus. Wen es hierher zog, der musste schnell laufen, um mit dem Tausendfüßler Schritt zuhalten. Eine Gruppe Studenten verließ grölend die Fakultät. Sie stießen einen alten Gelehrten in schwarzer Tracht um. Der alte Mann taumelte und wäre gestürzt, wenn Aramis ihn nicht aufgefangen hätte. Sie zog ihn zur Seite, als eine prächtige Kutsche sich gewaltsam seinen Weg bannte. Dahinter schaukelte eine Sänfte mit einer nicht weniger privilegierten Fracht. Den Keil, den beide gerissen hatten, füllten schnell, die einfachen Leute, die Händler, Handwerker, Hausfrauen und Bauern. Der Tausendfüßler zog weiter. Er spülte sie über die Pont des Art zum linken Seineufer. Am Quai de Conti entlang, in das Straßengewirr um den Place de St. Michel. Die Rue Sugar, war eine der Nebenstraßen. Eine kleine Straße an dessen Ecke eine Schmiede lag, die schon längst nicht mehr benutzt wurde. Nach dem letzten großen Brand, hatte man begonnen die Häuser aus Stein hochzuziehen. Eine Katze miaute einsam und die Hämmerschläge einer nahegelegenen Tischlerei, verhallten zwischen den Häusern. Ansonsten war es still. Der Höflichkeit wegen klopfte Aramis an, erwartete aber keine Antwort. Wenn Athos vernünftig war, dann lag er im Bett und kurierte seine Erkältung aus. Die Tür war nicht verschlossen, die Diele leer. Ein Blick in die angrenzende Wohnstube, bot zwar das vertraute Bild, mit seinen dunklen Möbeln und dem Regal voller Bücher, zeigte aber auch keine Anzeichen von Leben. Einige Treppenstufen führten, der Kühle wegen, in die tiefergelegte Küche. Die Tür zum kaum benutzten Esszimmer stand offen. Kein Zeichen von seinem Bewohner. Wie oft war sie im Laufe der Jahre in diesen Räumen gewesen? Wie oft hatten sie hier beisammen gesessen? Wie oft würde das noch geschehen? Die Tür zum Schlafzimmer war geschlossen. Aramis hob die Hand, um zu klopfen und zögerte. "Komm herein!", erklang es dumpf hinter den Türblättern. "Ich wusste doch, dass ich jemanden gehört habe." Athos war wach. Er lag halb aufgestützt in seinem Bett. Seine Stimme klang rau und ungesund. Seine Augen folgten ihr, als sie sich auf eine breite Holztruhe unter dem Fenster setzte, welche seitlich zu seinem Bett stand. Ihr Herz schlug schnell und der Mund war ungewöhnlich trocken. Sie war im Allerheiligsten vorgedrungen. Als ,Mann' hatte Aramis sein Schlafzimmer unbefangen betreten, als ,Freund' sich hier ungezwungen aufhalten können. Mochte die Feststellung rein äußerlich gerade nicht stimmen, aber nun saß sie als ,Frau' an seiner Bettkante. Aramis kam sich eher als Eindringling, als Gast vor. Athos lächelte sichtlich erheitert. Er schien ihre Befangenheit zu spüren. "Setzt den Hut ab!", forderte er. "Warum?" "Weil ich dein Gesicht nur im Schatten sehen kann." "Da gibt es nichts besonderes zu sehen," widersprach sie. Athos musste sich das Lachen verkneifen, dass in seinem Hals kratzte. Steif und verkrampft saß sie auf der Truhenkante. Ihre nervösen Bewegungen verrieten, wie unwohl sie sich fühlte. Zögernd nahm Aramis den Hut ab und legte ihn auf ihre Knie. Ihre kurzen Haare seinen Blicken präsentieren zu müssen, behagte ihr ganz und gar nicht und sie fuhr sich nervös über den Nacken. Die blauen Augen sahen überall hin, nur nicht zu ihm. Jetzt begann sie mit den Fingern zu spielen. War sie nervös, weil er kein Hemd trug? Er richtete sich mit Absicht mehr auf, dass die Bettdecke bis zur Hüfte rutschte und wirklich, Aramis wendete die Augen ab. Diese ungewohnte Schamhaftigkeit und erlaubte Eitelkeit reizten ihn, weil sie mehr von sich als Frau preisgab, als sie zugeben wollte. "Wie geht es dir?", fragte Aramis schließlich. "Ich benötige noch keinen Priester, wenn du das meinst", erwiderte Athos und erstickte noch immer seine Erheiterung. "In ein paar Tagen bin ich wieder auf den Beinen." Aramis nickte und stutzte je. Mit dem Finger wischte sie die dicke Staubschicht auf dem Fensterbrett beiseite und betrachtete stirnrunzelnd ihre Errungenschaft auf dem weißen Handschuh. Athos glaubte vor unterdrücktem Lachen zu ersticken. "Sieh nicht so finster drein, ich bin nicht länger in Paris als du", sagte er. "Nach meiner Ankunft bin ich gleich aufgebrochen, um dich zu suchen. Bei dir zu Hause dürfte es ähnlich aussehen." Er setzte sich ganz auf und schwang die Beine aus dem Bett. Mit bestürztem Ausdruck auf dem Gesicht, folgte ihr Blick den nackten Männerbeinen bis hoch zur Hüfte, die nur noch spärlich mit dem Betttuch bedeckt war. Haut, Sehnen, Muskeln, Knochen, Haut ... zuviel Haut ... Poren, Adern, Haare ... Mit jeder Bewegung, die das Betttuch mehr zur Seiten rutschen ließ, wurden ihre Augen größer ... Haut, zuviel Haut ... Der Kragen saß furchtbar eng, die Luft in dem Zimmer war drückend heiß... "Soll ich dir eine stärkende Brühe kochen?", fragte sie fahrig. Sie wusste gar nicht wie und selbst wenn sie es gewusst hätte, wäre es ihr nicht möglich gewesen, sich zu erinnern. Aramis drehte sich um ihre eigene Achse. Wo war die Tür, wo war nicht Athos? Er schüttelte den Kopf. "Nein, dass brauchst du nicht." "Dann geh wieder in das Bett zurück!" "Ich benötige aber Wasser und die Kanne ist ...." Bevor er den Satz zu Ende sprechen konnte, war Aramis samt Krug verschwunden. Es rumpelte und unterdrücktes Fluchen erklang. Mit einem Stöhnen auf den Lippen humpelte sie zur Küche. Athos biss sich auf den Handballen, um das Lachen zu unterdrücken. Als sie zurückkam, war er sittsam unter seiner Decke verschwunden. Das Gesicht trug den Ausdruck der Unschuld selbst. Aramis rang mit sich. Sollte sie ihn fragen? Ihr drohte die Stimme wegzubleiben "Was ist aus deiner Reise geworden?" Die Zeit verstrich langsamer. "Eine wirklich zauberhafte junge Dame", sagte er schließlich. "Wunderschön, von zierlicher Gestalt und sehr graziös. Außerdem weiß Sie sich bezaubernd zu unterhalten." "Ach so?" Ihre Finger verkrampften sich in einander. Athos nickte. "Würde mein Vater noch leben, wäre sie seine bevorzugte Wahl zur Gräfin de la Fere, aber auf meine Tante war von je her Verlass. Sie hat schon unzählige Ehen gestiftet. Ein repräsentativer Name, das richtige Blut, die richtige Erziehung und das Ganze vereint in einer Frau mit Grazie und Schönheit. Er wäre entzückt gewesen." "Ach so?" Hilflos schrumpfte Aramis, kleiner, immer kleiner, bis sie verschwand. Ein heftiger Hustenanfall schüttelte ihn. Besorgt eilte sie an seine Seite und reichte ihm den Becher Wasser. Sie fühlte die Hitze seiner Haut durch ihre Handschuhe. Ihre bloßen Finger hätten sich verbrannt. Athos ließ sich in die Kissen zurücksinken und sah sie an. "Die richtige Frau für meinen Vater", keuchte er und rang nach Luft. Das Licht umtanzte als Kranz ihre Haare, "aber nicht für mich." Verwundert sah ihn Aramis an und löste sich nur schwer aus den grauen Augen. "Was hat D'Treville gesagt?", fragte er, um sich selbst wieder in die Wirklichkeit zu holen. "Das ich zu Hause bleiben soll, bis er mich ruft." Aramis nahm wieder auf der Truhe platz. "Seit unserer Abreise, ist das Hauptquartier der Musketiere ein ungemütlicher Ort geworden." "Ich weiß", gestand er bitter. Die Nadel fuhr durch das feine Leinentuch. Erst ein roter Faden, dann ein Goldener, ein Blauer und wieder roter Seidenzwirn, bis das Gewand der Jungfrau Maria entstand. Anna's gepflegte und viel gerühmten Hände führten die Nadel gekonnt und mit großem Kunstgeschick. Ihre Majestät die Königin saß am Fenster und stickte, während sie leise vor sich hin summte. Nachdenklich hielt sie inne und blickte hinaus. Wie konnte sie den König dazu ermutigen, mehr seinen ehelichen Pflichten nachzukommen, um endlich dem ersehnten Thronfolger das Leben zu schenken? Ihr Eheleben verlief zufriedenstellend harmonisch, fast zu harmonisch da die Leidenschaft langsam versiegte. Aber sie brauchte einen Sohn, um ihre eigene Position gegenüber dem Kardinal zu stärken. Dieser intrigante alte Graubart, dessen Herz nur Macht, kein Mensch rühren konnte. Obgleich ihr das Leben leichter erschien, seit der drohende Schatten von Milady verloschen war. "Constanze, ich benötige noch mehr Goldfäden!" Constance träumte mit offenen Augen. Von wem, dass war ihrer Königin schon längst kein Geheimnis mehr. "Kindchen", Sie klatschte in die Hände, "die Goldfäden!" Sie lachte leise. "Heiratet endlich, aber komme auf die Erde zurück!" Constance schrak zusammen und brachte eilig das gewünschte. Es klopfte und ein blaulivrierter Page kündete den Kapitän an. Erstaunt blickte Königin Anne ihrem geheimen Verbündeten entgegen. "Ihr sucht mich auf, Kapitän? Planen wir eine Verschwörung?". Sie kicherte vergnügt und übergab ihrer Hofdame den Stickrahmen. "In der Tat, Eure Majestät", erwiderte der Kapitän und sah ernst auf seine Königin nieder. "Was kann ich für Euch tun?" Seine Majestät, der König, spielte gerade Polo mit seinem Postminister und dem obersten Zensor von Frankreich. Beide Männer, die ihren Posten dem Blaublutanteil in ihren Adern verdankten. Als sich seine Gemahlin mit dem Kapitän der Musketier näherte, fand die Partie sein vorzeitiges Ende. Stöhnend erhob er sich und blinzelte gegen die Sonne. Ausgerechnet jetzt, da der Kardinal ihm zwischen all den Staatsgeschäften so wenig Freizeit ließ. Ihm schwante böses. Königin und Kapitän hatten sicher gestellt, dass der Kardinal mit dem russischen Gesandten beschäftigt war, um den König in die zweifache Kneifzange zu nehmen. "Anna", begrüßte er sie und zwang sich zu einem Lächeln. "Unsere Schachpartie ist doch erst nach dem Dinner? Warum kommen Sie ohne Ankündigung des Pagen? Es muss etwas wichtiges sein?!" "Oh, dass ist es Ludwig. Störe ich Sie?" "Keineswegs, meine Liebe", erwiderte er zuvorkommend. "Wir besprechen nur die nächste Jagd. Versailles Wälder sind im Herbst einfach zauberhaft". Mit einer diskreten Verbeugung zogen sich seine Minister zurück. "Wollen Sie uns begleiten?", fragte er vorsichtig und seine Augen zuckten nervös. Anna schüttelte lächelnd den braunen Haarschopf. "Nein, mein Lieber, reiten Sie nur alleine aus." In ihrer Jugend war sie gerne ausgeritten. Dem jungendlichen König hatte es gar nicht gefallen, von seiner frisch angetrauten Frau überholt zu werden. Doch die Zeiten änderten sich. Ludwig stieß die angehaltene Luft erleichtert aus. "... wie schade. Was kann ich für dich tun, Liebes?" Annas grüne Augen funkelten vergnügt. Ludwig war gnädig gestimmt, nun konnten sie vorpreschen. Kapitel 41: Zweifelhafte Ehrung ------------------------------- Trommelwirbel erklang. Ansonsten Stille. Taramtamtam ... Aramis Hand umklammerte den Schwertgriff an ihrer rechten Seite, dass die Knöchel unter den Handschuhen weiß hervortraten. Mit jedem Schritt hämmerte ihr Herz hohl und heftig in ihrer Brust. Ihre Hände fühlten sich schweißnass an. Tramtamtam ... der Klang der Trommeln donnerte über den Palastvorplatz. Die prachtvolle Fassade des Louvre, mit seinen zahllosen Fenster, rahmte den mit Steinquadern gepflasterten Hof zu drei Seiten ein. Steinfiguren, Ornamente, ständig wiederkehrende Verzierungen und Fresken schmückten symmetrisch das Mauerwerk. Sie hörte ihre Schritte auf dem blanken Steinpflaster wiederhallen. Tramtamtam ... ein militanter Marsch, -rhythmisch, monoton und gefühllos. Die Sonne schien passend in gleißend-hellem Licht am wolkenlosen Himmel. Täuschend strahlend, für die kalten Temperaturen, die das Oktoberende mit sich brachte. Nur die kahlen Wipfel der Baumallee im Tulierengarten sprachen vom kommenden Winter. Tramtamtam ... die Musketiere, dass passende Bild zum Trommelmarsch, -steif und würdevoll, in blauem Waffenrock mit silberner Lilie und aufgestellter Muskete in der linken Hand. Ein Spalier, eine Gasse, hinter der sich die Würdenträger des Hofes eingefunden hatten. Tramtamtam ... am Ende der Gasse der König. Aramis Herz schlug immer schneller und überholte den Takt der Schlagstöcke. Mechanisch bewegte sie sich vorwärts, jeden einzelnen Blick der Anwesend auf sich spürend. Tramtamtam ... nur sie nicht, ihre Anspannung sehen lassen. Die Schritte steif und zackig, fast gleichmütig, die Schultern zurück, der Körper eine Linie, das Kinn nach oben und die Augen nach vorn gerichtet, bis sie tränten. Ein bleiches Gesicht mit weichen, feinen Gesichtszügen und eisblauen Augen, die jeden Mann großen Kummer bereitet hätten. Ein schmaler Körperbau, versteckt in dunkler Paradeuniform und schwarz polierten Stiefeln. Weichen Hüften und ein wohlgerundeter Busen, verschlossen hinter steifen, betressten Waffenrock. Sie zählte gerade mal dreiundzwanzig Jahre, war eine Frau und doch ein Musketier und sollte nun vor dem gesamten Hofstaat als Held auf dem Schlachtfeld geehrt werden. Was für ein Wahnsinn? Welch eine Täuschung? Was für ein Schlag gegen die selbstgefällig Herrschaft der Männer? Insolent und frech, furchtlos und kühn und tief der Abgrund in den sie fallen würde? Wie sie so zackig auf den König zuschritt, ruhte so mancher Frauenblick mit Wohlgefallen auf ihr. Tramtamtam ... jetzt kam Porthos' stattliche Gestalt an ihren Blickrand, daneben standen D'Artagnan und Athos. Sie hielt den Blick weiterhin auf den König gerichtet. Die Fanfaren ertönten. Aramis schlug die Hacken zusammen und kniete vor dem königlichen Podest nieder. Eine Windböe fuhr über den Hof. Die Lilienbanner flatterten ungestüm im Wind. Ludwig räusperte sich und trat an dem Rand der Plattform. Im Hintergrund blieb sein erster Minister, mit äußerst übellaunigem Ausdruck auf den hageren Zügen. "EHRE!", deklarierte er gewichtig und ließ das Wort bedeutungsvoll in der Luft stehen. "Ehre, ist das wichtigste für den Mann." Pause. Die anwesenden Herren nickten zustimmend. "Sein ganzes Leben lang strebt er danach, diese zu erlangen und ehrenvoll zu handeln. Denn seinen Stolz, seinen Namen und seinen Status, begründet er auf seiner Ehre." Pause. Ja, die Ehre sei wichtig für den Mann. Wieder bedeutungsvolles Nicken von Seitens der anwesenden Herren. Man war sich einig. Ludwigs Stimme wurde noch lauter. "Und wo findet er sie, wenn nicht auf dem Schlachtfeld? Im Kampf für König und Vaterland?" Zweifellos, auf dem Schlachtfeld. Stolz und gewichtig reckten die anwesenden Generäle, ihre mit Orden geschmückte Brust nach vorn. "Taten wiegen mehr als Worte." Unbestreitbar, meinten die anwesenden Herren, während die Miene des Kardinals einen immer mehr säuerlichen Gesichtsausdruck annahm. "Frankreichs tapferste Söhne sind entsandt worden, um La Rochelle für ihr Vaterland einzunehmen. Für den richtigen Glauben, für Frankreich, für Rom und um gegen die Engländer zu kämpfen ... und zu gewinnen. Mit Wohlwollen sehen wir ..." Die nun eingelegte, rhetorische Pause, galt der Steigerung der allgemeinen Aufmerksamkeit. "... wenn einer unserer treuen Musketiere sich dort verdient gemacht hat." Ludwigs Auge ruhte wohlwollend auf den gebeugten blonden Haarschopf. Aramis wagte es weder zu atmen, noch die Augen zu heben. Der Schweiß rann in Strömen unter der dicken Uniform. Sie spürte, deutlich das Drücken und Kratzen des Stoffes. Die Enge des Brustbandes und den harten Steinboden unter ihrem Knie. General Marquard, ein harter Mann mit kantigen Zügen, denen jegliche Gefühlsregung fremd zu sein schien, trat vor. Aramis erhob sich und nahm Haltung an. Ein Page reichte ihm ein rotes Samtkissen, auf dem ein silberglänzender Orden ruhte. Ein Augenpaar mit einem Blick, wie ein Artilleriegeschoss sah auf sie nieder. "Die Armee verdankt Euch das Leben von fünfhundert tapferen Soldaten", sagte er lakonisch, als wäre der Text ihm vorgegeben. "Oberst Jaques bestätigte uns, dass nur durch Euren kühnen Vorstoß, ein Rückzug mit geringeren Verlusten möglich war. Ohne Euch, wäre Oberst Holmes Einheit unter den Schwertern der Engländer gefallen. Deshalb überreichen wir Euch die silberne Lilie, als sichtbares Zeichen für Euren Mut, eure Tollkühnheit und strategisches Geschick." Die verkniffene Ausdruck und die militant steife Körperhaltung, zeigten wie wenig es ihm behagte, einen einfachen Soldaten zu ehren. Noch dazu vor König und Hofstaat. Starr als stecke ein Stock in der ordenbehangenen Uniform, beugte er sich näher und heftete das Ehrenzeichen an ihre Uniform. Tramtamtam, anschwellende Trommelsalve, Fanfarengetöse, die Herrn Generäle, mit ihrer Stock-im-Hinter-Haltung salutierten, der Hofstaat klatschte und Aramis errötete über die ganze Körperdistanz ihres langgestreckten Körpers hinweg. "In Anbetracht Eurer Leistung, ernennen wir Euch zum ...", er stolperte verbal über ihren neuen Rang. "... Oberst!" Unmutsräuspern, Trommelsalve, Fanfarengetöse ... der nächste Orden landete an ihrer Brust. Endlich war der General befreit und trat zurück. Der Kardinal zu des Königs Linken, der General zu seiner Rechten, gaben jetzt denselben hölzern-sauren Ausdruck auf ihren Gesichtern wieder. Erneut trat der König vor und nickte wohlwollend auf sie nieder. "Natürlich, sehen wir es lieber, wenn er bei den Musketieren bleibt und für den Schutz Unserer Person sorgt." Zwinkernd beugte er sich näher. "Jetzt muss Uns Unser Musketier nur noch erklären, wie er in Unseren Diensten auf das Schlachtfeld geriet." "Das kommt ganz auf die richtige Abzweigung an, Eure Majestät", erwiderte Aramis förmlich. Steif und unbequem, wie die Zeremonie gewesen war löste sie sich wieder auf. Es wurde zu ungemütlich in der kalten Oktoberluft. Der Hofstaat zerstreute sich, auf der Suche nach neuen Vergnüglichkeiten, die Generäle staksten mit maskenhaften Gesichtern, in steifer Würde vom Hof, die Minister umschwirrten den König wie ein aufgeregter Schwarm Vögel, der Kardinal raffte seine Ehrenrobe und rauschte im passenden Zornrot zu seinen Staatsgeschäften zurück. Leise und routiniert, wie ein mehrfach geübtes Schauspiel, verschwanden die Musketiere vom Hof. Die Lakeein und Diener begannen mit dem Aufräumen. Bald waren nur noch wenige Menschen auf dem Platz versammelt. "Claude?" Der Musketier sah sich beängstigend, mit der vollen Aufmerksamkeit seines Kapitäns konfrontiert. "Ich hab dir als junger Musketieranwärter doch beigebracht, dass man bei bestimmten Gelegenheiten nachdenken sollte, bevor man seine große Klappe aufreist?" "Ja, Kapitän." "Wenn diese Gelegenheit kommt und dich in den Hinter tritt, dann denke an meine Worte." Kapitän D'Treville wippte zufrieden auf seinen Fußballen und hatte die Hände im Rücken verschränkt. Man konnte in Claude lesen wie in einem Buch. Und es handelte sich um eine großes Buch mit vielen bunten Bildern. Derzeit sagte es aus, dass er sich ziemlich weit weg wünschte. "Ich hätte einen gut gemeinten Rat für dich!" Wieder bemerkte der Kapitän den, mir gefällt nicht wohin das führt Blick, was seine Hochstimmung um ein Vielfaches steigerte. "Ein Kapitän sieht es sehr gerne, wenn sich seine Musketiere zu freiwilligen Diensten eintragen!" Claude nickte eilfertig und machte, dass er aus D'Trevilles Schusslinie geriet. Der Kapitän lief zu Aramis hinüber, die abseits stand. Der Hof war mittlerweile fast leer. Seine Hand legte sich schwer auf ihre Schulter. "Meinen Glückwunsch." D'Treville sah sich mit einem gar nicht glücklich blickenden Paar blauer Augen konfrontiert. "Danke." Aramis sah ihn ernst und unversöhnlich an. "War das denn notwendig?" Der Kapitän legte nachdenklich den Kopf schief. "Vielleicht nicht, aber sehr Nutzvoll." "Die Zeremonie hat sich falsch angefühlt." "Das war sie auch, aber der König ist zufrieden, weil er sich seinen Musketieren gegenüber großzügig zeigen konnte und ein Musketier Heldenehrung bekam, in einem Krieg, den der Kardinal als den seinen ansieht. Mein Freund Jaques ist zufrieden, weil er dem General eins auswischen konnte und der Kardinal ist äußerst unzufrieden, was uns letztendlich alle zufriedener macht." Er beugte sich vertraulicher näher, "Und obwohl es die anderen nicht zugeben wollen, sind sie doch beeindruckt." Sein Blick streifte beredend D'Artagnan, Athos und Porthos. "Gib ihnen Zeit!", sagte er, wobei er sich auf die beiden Letztgenannten bezog. "Morgen sehe ich dich im Hauptquartier zum Dienstantritt!" "Kapitän?", Aramis hielt ihn auf, "was ist mit Oberst Holmes?" Mit traurigem Gesichtsausdruck schüttelte D'Treville den Kopf. Beklommen sah sie ihn an und erinnerte sich an das schreckensbleiche, todesnahe Antlitz des Oberst zurück. Zu welchem Preis hatte Holmes überlebt? "Mach dir keine Sorgen", sagte er und tätschelte unbeholfen ihre Schulter. Ging es ihr besser, weil sie einen Kapitän D'Treville hatte? Jeden Tag schliff sie um Haaresbreite am selben Schicksal vorbei. Aramis erstarrte und spürte das Blut aus ihrem Kopf weichen. Das konnte nicht sein. Ihr Lächeln verschwand für einen Moment, um dann nervös und spröde zurückzukehren. "Wer ist der Mann, mit dem Athos spricht?" D'Treville zuckte gleichgültig die Schultern. "Wer weiß das schon, bei diesem überbevölkerten Hof. Die einen kommen, die anderen gehen. Hauptsache, sie bereiten keinen Ärger. Er wird ein Abgesandter von irgendwo her sein." Aramis fröstelte es plötzlich. Was mochte er mit Athos bereden? Obwohl es albern war, weil Athos Gesprächspartner sie schon längst gesehen hatte, sah sie schnell weg, als sein Blick ihren begegnete. Die Musketiere hatten sich fast gänzlich verstreut. Jeder eilte desinteressiert zu seiner jeweiligen Aufgabe. Noch ein Ehrenbekundung, noch ein Orden, noch eine Belobigung, -es traf doch immer die Selben. Diesmal war es Aramis, dass nächste Mal war würde es eben Athos sein. Nichts was mehr, als eine Schulterzucken wert gewesen wäre. Man war schließlich Musketier, um ein Held zu sein. Dass sah die Stellenbeschreibung des Musketiers vor und der Tarifvertrag regelte eine extra Ehrenbekundung, neben Sondervergütung in Form von wachsendem Status, zunehmender Begehrlichkeit bei Frauen und einem anständigen Ruf. Bei zu oft auftretender Ehrung, führte dies zu Verschleißerscheinungen. Unter Freunden war dies etwas anderes und so ließ sich Porthos genügsam von D'Artagnan zu Aramis schleifen. "Herzlichen Glückwunsch", sagte D'Artagnan und umarmte sie stürmisch. "Haben sie dir also einen Orden verpasst?", brummte Porthos weniger umgänglich. Aramis sah ihn gleichmütig an. "Du könntest ruhig zugeben, dass du beeindruckt bist." "Der Ausdruck auf Claude's feistem Gesicht, war es wert." "Ich nehme das einfach als Kompliment und nun, entschuldigt mich...", sie räusperte sich unbehaglich und warf einen vorsichtigen Blick über den Hof, "... ich möchte nach Hause. Mein Dienstantritt ist erst morgen." D'Artagnan folgte fragend ihrem nervösen Blick, konnte aber nichts Besonderes erkennen. Nicht einmal Männer des Kardinals waren in der Nähe. "Willst du nicht mit uns feiern?" "Feiern?" Porthos Miene hellte sich auf. "Na klar, feiern wir ... ATHOS!" Erschrocken fiel ihm Aramis in den Arm. "Nein, ich will nicht feiern." Sie konnte den Blick des Abgesandten auf sich spüren und Unbehagen kroch wie Spinnenbeine ihren Rücken empor. Sie lächelte gekünstelt, aber der Gesichtsausdruck der Gleichgültigkeit rannte davon. Ihrem Gesicht war deutlich die ungewohnte Nervosität anzusehen. "... ein anderes Mal. Ich will einfach nur nach Hause." Bevor die Beiden etwas erwidern konnten, war Aramis in langen Schritten davongeeilt. Porthos runzelte die Braunen und stieß seinen Freund am Rücken an. "Ich werd ihr besser folgen", sagte er und rümpfte die Nase. "'Ihr'?" Er spreizte unter Kopfschütteln den Wortlaut und stapfte Aramis hinterdrein. Sie kamen zum Platz an der Rue Grégoire de Tours und Rue Saint Sulpice. Es war wieder Markttag und es herrschte ein dichtes Gedränge. Die Händler priesen brüllend ihre Waren an, während die Frauen keifend den Preis heruntertrieben. Ein Bettler hing sich an Porthos Wams und brubbelte so beharrlich seinen Bettelvers, bis der Koloss ihm etwas gab. Sie mussten über eine Nebengasse ausweichen, weil die Wagenräder eines Fuhrwerkes mit schweren Bierfässern in den tiefen Rillen der groben Kopfsteinpflaster feststeckten und der Wagen umzukippen drohte. Vor ihnen lief ein kleines Mädchen. Es hüpfte, zweimal auf dem rechten Bein, einmal auf dem linken Bein. Zwei dünnen Beinen in Holzpantinen, unter einem Kittelkleid in ausgeblichenem Blau. "Nature et art ont en vôtre ...", Sie sang. Die langen brauen Zöpfe hüpften, zweimal rechts, einmal links, "tont le beau dont la ..." Wie hypnotisch folgte Aramis' Blick, den auf und ab hüpfenden Zöpfen, dann war es plötzlich verschwunden. Porthos beobachtete sie schweigend. "Dein Gesicht mag ja noch für eine Frau annehmbar sein", brummte er mürrisch, "aber für einen Mann, hast du zu sehr ein Milchgesicht." Eine Frau kam ihnen entgegen und nicht irgendeine Frau, sondern die berühmt berüchtigte Madam Campês. Eine Frau Anfang dreißig mit einer unglaublichen Ausstrahlung, der sich kaum ein Mann entziehen konnte. Ihr Blick fing Aramis ein und glitt unter halb gesenkten Wimpern, langsam an der schmalen Gestalt hoch. "Monsieur Aramis." Sie sprach nicht, sie atmete den Namen aus. Ein Zwinkern, ein Hüftschwung und Porthos schloss volle Bekanntschaft mit dem Wort Androgyn und seiner Faszination auf andere Menschen. "Was war das", fragte er fassungslos und sah ihr nach. "Das Milchgesicht", erwiderte Aramis kategorisch. Porthos bedachte sie mit bitterbösem Blick. "Du sei still!", raunzte er und sah stur geradeaus. Sein Selbstbewusstsein war derart gekränkt, dass er für den Rest des Weges kein Wort mehr sagte. Zuhause musterte sich Aramis lange im Spiegel. Sie drehte sich zur Seite und betrachtete sich kritisch. Sie hob eine Braue, sie hob die andere. Sie hob einen Mundwinkel, sie hob den anderen. Sie rückte den Gürtel gerade, sie zog am Rock. Sie schob die Luft von einer Seite der Wange zur anderen. Sie runzelte die Stirn, sie kniff die Augen zusammen Mit der Hand fuhr sie sich durch das Haar, um ... es gleich darauf wieder glatt zu streichen... Sie seufzte schwermütig... und verstand es selbst nicht. Er hatte sich einige Zeit in einem Wirtshaus aufgehalten. Die gleichen niedrigen, gerußten Deckenbalken, die gleichen knarrenden Bodenbretter, der gleiche ranzige Geruch nach Waltranfunzeln, menschlichen Ausdünstungen und Qualm, wie auch in seiner Heimat, wo er die Spelunken in letzter Zeit zu häufig aufgesucht hatte, bis er sich entschloss nach Paris zu kommen. Er winkte den Wirt heran, um zu bezahlen und schob sich dann, ungeachtet der Schlägerei, die gerade in Gang kam, ins Freie hinaus. Er war angetrunken, aber zu seinem Leidwesen auch nicht mehr. Der Himmel war sternenklar und er seufzte schwer, unter dem weiten Sternenzelt der Nacht. Irgendwo miaute eine Katze und eine Hure lachte. Die Tür fiel ins Schloss und der Lärm im Schankraum verklang. Er seufzte erneut und lenkte seine immer schwerer werdenden Schritte durch die Straßen. Ein Hure sah ihn kommen und hackte sich bei ihm ein, um ihn in ihr sündiges Reich zu locken. Selbst wenn sie nicht das arme Mädchen von der Straße, mit dem viel zu üblen und grausamen Schicksal gewesen wäre, sondern die schönste Kurtisane der Welt, in dessen Arme ein Mann alles vergessen konnte, sie hätte ihn nicht gereizt. Er roch den ranzig süßlichen Geruch nach zu wenig Wasser, Schweiß und Männer, der ihr entströmte, sah die vortretenden Brustknochen in dem weit ausgeschnittenen Mieder aus fadenscheinigem Stoff und drückte ihr ein Silberstück in die Hand. Das Mädchen schloss die Finger fest um ihren Schatz und sah dem Mann mit den melancholischen Augen nach, bis es sich ängstlich nach allen Seiten umblickte und mit der Nacht verschmolz. Bettler hatte die unerwartete Großzügigkeit beobachtet und hefteten sich an ihre Beute. Von da an, folgte ihm ein zerlumpter, dreckiger Haufen auf Krücken und Lumpen, fortwährend ihr Bettellied singend. Er hätte wissen müssen, dass ihn seine Schritte hierher zogen. Seine Sehnsucht lenkte ihn, nicht sein Wille. Als er unvermittelt stehen blieb, um zu den Fenstern hinaufzuschauen, verstummte die bettelnde Meute verblüfft. Ganz vorsichtig setzte das Wehklagen und Bitten wieder ein. Sichtlich am Ende seiner Geduld, drehte er sich um und befahl ihnen, sich zu zerstreuen. Befehlen und die gewählte Sprache der adligen Oberschicht standen Bettler von jeher mit tauben Ohren gegenüber und so kam niemand seiner Aufforderung nach. Ein Hund bellte, weckte seinen Artgenossen zwei Häuser weiter und mischte sich in das allgemeine Stimmengewirr. Vom Lärm gestört, öffneten sich die Fensterläden in den umliegenden Häusern und neue Stimmen stimmten keifend ein. Ratlos zog er seinen Degen und drohte nun mit der Waffe. Was schreckt Eisen einen Bettler, der täglich kurz vor dem Verhungern steht? Statt seiner Aufforderung nachzukommen, streckten sich ihm die dreckverkrusteten Hände näher und zupften fordernd an seiner Kleidung. Der schlichte Wams des Unbekannten konnte nicht darüber hinwegtäuschen, das Haltung und Gebärden den Adligen in ihm verrieten. Und Menschen der Unterschicht witterten einen Blaublüter. Die Menschen aus dieser Umgebung, wurden erdrückt von Steuern und Abgaben. Hier war das Ventil ihrer Unmut. Beleidigungen und Flüche ergossen sich über ihn. Es war eine Lautstärke, die einem vollen Marktplatz gleichkam. Erst als die Nachtwächter mit Fackeln in der einen und gezückten Degen in der anderen Hand, vom Ende der Straße herbeigeeilt kamen, zerstreute sich die Menge. Der Unbekannte drückte sich in den schmalen Spalt zwischen zwei Häusern und wartete mit angehaltenem Atem im Schatten. Endlich hatte sich die Straße geleert. Er trat aus seinem Versteck hinaus und holte tief Luft. Dann stieg er die Treppenstufen hinauf und klopfte ... nichts geschah. Er klopfte erneut und die Tür, welche durch seinen abgenutzten Mechanismus nicht richtig eingerastet war, schwang auf. Unschlüssig verharrte er auf der Schwelle, beschloss aber hineinzugehen und sein Eintreten durch laute Tritte und Rufe verständlich zu machen. Nun ist das mit der Wahrnehmung von Geräuschen so eine Sache, die leicht abhanden kommen kann, wenn der Empfänger der ausgesendeten Signale just im selben Moment, umständlich ein Hemd über den Kopf zu ziehen versucht. Wenn man nun probiert gleichzeitig Hose und Hemd auszuziehen, nachlässig mit dem Öffnen des Kragens war und auf einem Bein hüpfend in seiner eigenen Kleidung gefangen ist, gedämpft durch den Stoff über dem Kopf und dem eigenen Stöhnen, bleibt der Adressant unerreicht. Als Aramis endlich ihr Hemd über den Kopf gezogen hatte, war der wohl erschreckenste Augenblick ihres Leben, in das Gesicht von Lord Corday zu starren, welches vor Erstaunen einen ziemlich dummen Gesichtsausdruck angenommen hatte. Kapitel 42: Angebot ------------------- "Kardinal, Wir sind nicht angezogen." Er war ein Mann, er trug ein bodenlanges Nachthemd aus reinster Seide, als nackt konnte man höchstens seine Füße bezeichnen und er hatte drei Kammerdiener um sich, aber seine Entrüstung war echt. Vielleicht litt Ludwig seit seiner Entführung im Nachthemd, durch den Eisenmann unter paranoiden Zwangsvorstellungen, oder aber Richelieu in den ersten Morgenstunden zu begegnen war einfach mehr, als ein Mann verkraften konnte. "Verzeiht, aber ich musste Euch aufsuchen." Entrüstet brüllte Ludwig nach seinem Sekretär. Die Wasseroberfläche in der Waschschale des königlichen Oberkämmerers kräuselte sich. Richelieu ohne Perücke und Amtsrobe zu begegnen, war für Ludwig, als wäre er nackt. "Ist denn Unser Sekretär zu gar nichts zu gebrauchen?" Wütend in Flagranti erwischt worden zu sein, zog er die Schnüre seines Morgenmantels mit aller Zorngewalt stramm "Er hat versucht mich aufzuhalten, Sire", erklärte Richelieu kategorisch, ohne dass der Umstand für ihn je von Bedeutung gewesen wäre. Er beobachtete desinteressiert, wie der dritte Kammerdiener sich vergebens bemühte, dem hektischen König die königlich-flauschigen Pantoffeln überzustreifen. Der Sekretär erschien. Ludwigs Zeigefinger fuhr nieder und richtete sich auf den ängstlichen Mann. "D'Jeunet dies ist Unser Schlafgemach und Wir wünschen zu dieser Stunde nicht gestört zu werden. Habt Ihr sowenig Ehrfurcht vor Uns, dass Ihr nicht einmal die königliche Würde in Unserem Schlafgemach beachtet?", fragte er den Kardinal und vergaß vorübergehend seinen Sekretär, dem die Knie zitterten. Hoheitsvoll rauschte Ludwig zu seinem Frisierstuhl und ließ sich erhaben darauf nieder. Er schlug die Beine übereinander und ein Stück behaarte Wade wippte vor und zurück. Sein zweiter Kammerdiener stülpte ihm die weißhaarige Perücke über. "Nein, Sire, Ihr verkennt meine Achtung vor Eurer Majestät. Es ist lediglich die Sorge um Frankreich und Euch, die mich Eure Anweisungen missachten ließ." Der König schickte einen verzweifelten Blick gen Himmel und macht mit seinen königlichen Lippen missbilligende und überaus sehr irdische Schmatzgeräusche. "Ihr seht Frankreich dauernd in Gefahr." Ludwig wollte gar nicht wissen, wie viel "Gefahren" in Richelieus besonderer Werkstatt verhört, gefoltert, eliminiert wurden. Er seufzte resigniert und winkte ärgerlich seine Kammerdiener hinaus. "Monsieurs, lasst uns allein!" Die Herren verließen das königliche Schlafgemach und König und Kardinal blieben alleine zurück. "Was ist denn nun, Kardinal?" "Wir haben ein Problem, Eure Majestät." "In wie fern?" "Als Aramis als Abgesandter in London war, trat mehrmals im Zusammenhang mit seinem Namen, der Name Corday auf. Lord Corday ist ein enger Freund des englischen Königs, gehört zum Hochadel und hat einen Sitz im Oberhaus." "Und? Aramis ist wieder zurück." "Und, Majestät, der neue Abgesandte an Eurem Hof, ist Lord Corday. Ihr werdet dies noch nicht zur Kenntnis genommen haben." Die Damenwelt des Louvre allerdings schon und so erfuhr Richelieu auf Umwegen, von dem unliebsamen Gast. La Rochelle beanspruchte zu sehr die Zeit des Kardinals. Die behaarte Wade kam zum Stillstand. Fassungslos sah der König seinen Minister an. "Es heißt, dass er sich um die angebliche Comtesse bemühte, als dieser ... er noch in England war", fügte Richelieu hinzu. "Das ist doch hoffentlich nicht der Grund, weshalb der Lord hier ist?" "Wenn doch?" "Welch paradoxe Vorstellung", meinte Ludwig. "In der Tat, Eure Majestät", pflichtete der Kardinal ihm bei. "Und prekär." Der König merkte sich vor, seinen Musketier das nächste Mal näher in Augenschein zu nehmen. "Was wenn er nun Aramis erkannt hat?" "Das glaube ich nicht, Eure Majestät. Es war eine unbedeutende Zeremonie und Aramis trat als Mann auf. Außerdem sind seine Haare jetzt kurz. Selbst ich musste zweimal hinsehen. Lord Corday stand hinter mehreren Würdenträgern und vergnügte sich mit den anwesenden Damen, wie mir berichtet wurde." "Die Ehrung muss ein herber Schlag, in das Gesicht des Engländers gewesen sein. Nicht auszudenken, was passiert, wenn er erfährt, dass Aramis ein Mann ist." Der Kardinal strich sich nachdenklich über seinen Ziegenbart. "Um dem Vorzubeugen müssen wir uns allerdings etwas für Aramis überlegen. Am Besten ist, er verlässt den Musketierdienst, ja gleich Paris." Ludwig war ernsthaft entrüstet. "Ich kann ihn doch nicht einfach entlassen und aus der Stadt schicken." "Warum denn nicht?" "Weil er uns treue Dienste geleistet hat, deswegen Kardinal", sagte er sichtlich empört. "D'Treville würde einen Aufstand machen, der einer Revolution gleichkäme. Aber was wenn nun Corday nach England schreibt, er hätte die vermeintliche Comtesse hier in Männerkleidung, in Unserer Garde gesehen?" Ludwig sprang auf und wanderte durch das Zimmer. "Nein, nein, Kardinal. Wir müssen ihn dazu bringen, dass er fortan als Frau lebt. "Und wie wollt Ihr einen Mann mit gesundem Menschenverstand dazu bringen, Majestät?" Ludwig ließ die Schultern hängen. "Das weiß ich nicht." Zweifelnd und hilfesuchend sah er seinen ersten Minister an. "Wir werden es ihm befehlen?" "Und?" "Wie und? Befehl ist Befehl. Seht ihn Euch doch an! Ihr selbst habt Ihn ja zur Frau auserkoren. Ich halte nicht viel von dem Verstand der Engländer und es spricht doch gegen sie, dass wir sie täuschen könnten. Gott hat nun einmal beschloss, dass dieser Mann aussieht wie ein Weib. Sollte man einem Musketier erlauben, wie eine Frau auszusehen? Ich denke nicht. Das bringt nur Unruhe unter den Männern." "Ganz meine Meinung, Eure Majestät, aber Ihr wollt ihn ja nicht entlassen." Der König winkte ab. "Entlassen ist ein hartes Wort. Wir haben auch nicht vergessen, was er für Uns bei dieser unsäglichen Eisenmannaffäre getan hat. Darum werden Wir ihm, durch eine angemessene Geste, Unsere Großzügigkeit zeigen. Es kann also von Entlassung gar keine Rede sein. Wir mögen unsere Musketiere." Der Kardinal seufzte schwer und verdrehte die Augen. "In der Tat. Sie genießen eine gewisse Narrenfreiheit." Er kam zum Thema zurück. "Wie wäre es ... wir haben noch immer diesen ausgestorbenen Adelszweig. Das Landgut liegt weit ab und soll auch kaum Pachtzahlungen abwerfen. Der Boden ist so gut wie Nährstoffarm. Es bereitet Eurer Majestät in seinem jetzigen Zustand nur Ärger und Sorgen." Ludwigs Züge erhellten sich. "Ah, sehr schön. Wer kann schon einem Grafentitel wiederstehen, wenn er nur ein einfacher Musketier ist. Lord Corday werden wir derweil die schönsten Hofdamen Frankreichs vorführen. Ihr werdet sehen, wie schnell ein Mann bei diesen Schönheiten Vergessen findet und neue Interessen." Der Kardinal bog seinen hageren Körper verschwörerisch näher "Und Ihr, Majestät?" Ludwig geriet vor Verblüffung ins Schleudern. "Und ich?" "Frankreich braucht einen Thronerben und die Königin ist noch immer nicht ..." Der Kardinal ließ den Satz unausgesprochen. Ludwigs linke Braue schnellte nach oben. "Wir sind im besten Alter, Kardinal und ein Sohn wird gewiss bald kommen." Richelieu enthielt sich einer Antwort. Andere Herrscher in Ludwigs "bestem" Alter hatten schon eine wahre Kompanie ehelicher und unehelicher Kinder gezeugt, aber Ludwig interessierte nur die Jagt. Hirschpark und steuernschluckende Mätressen, überließ er seinen Nachfolgern. Ludwig ließ den Spiegel sinken. "Habt Ihr gesehen, ob die Königin diesem Corday schöne Augen gemacht hat?" Aramis zitterte vor Wut und Empörung. Sie zog augenblicklich ihr Hemd wieder über. "Habt Ihr noch nie etwas von Anklopfen gehört?", brauste sie auf. "Wie könnt Ihr es wagen, hier einfach so hereinzuplatzen?" Ihre Unterlippe bebte vor Zorn. Obwohl sie ihr Hemd wieder anhatte, fühlte sie sich unter seinen Blicken keineswegs angezogener oder gar umgänglicher. Das änderte auch nicht die Tatsache, dass sich Corday, statt ihr zu antworten, auf die Knie warf und vor ihre Füße rutschte. Er sah glücklich zu ihr auf und seine Augen ruhten begehrlich auf ihrem Körper. "Ich wusste, dass Ihr eine Frau seid. Mein Gefühl hat mich nicht betrogen." "Habt Ihr denn gar keinen Stolz, auf den Knien vor mir herumzurutschen?", fragte sie ärgerlich und trat zurück. "Steht gefälligst auf! Das ist ja erniedrigend." Der spöttisch lächelnde Corday war ihr lieber gewesen. "Ich bin nach Paris gekommen, weil ich an nichts anderes mehr denken kann, als an Euch." "Ihr habt wirklich keinen Stolz!" Endlich stand er auf und starrte sie glasig an. "Warum habt Ihr mich belogen?" "Ich musste. Ihr seht auch, dass ich es noch immer muss und Ihr macht die Situation keineswegs leichter für mich." Er fuhr sich mit der Hand durch das Haar und sah sie ratlos an. "Der Alkohol macht das Denken schwer. Weiß Olivier davon? Natürlich weiß er es und ..." "Er wollte Euch schützen", unterbrach Aramis ihn. "Jemand wie mich, heiratet man nicht, Lord." "Das entscheide noch immer ich", erwiderte er stur. "Nein, das tut es nicht. Die Braut müsst Ihr auch fragen." Er sah sie hoffnungsvoll an. "Will sie?" Sie sah pikiert zurück. "Nein, natürlich nicht." "Warum liebst du mich nicht!" Aramis Finger zeigte resolut zur Tür. "Geht jetzt! Schlaft erst einmal Euren Rausch aus!" "Warum liebst du mich nicht", brüllte er. "Warum nicht?" Genauso stur wie er, drehte Aramis ihm den Rücken zu und starrte mit verschränkten Armen vor der Brust die Wand an. Corday lief um Aramis herum, bis sie ihn ansehen musste. "Ich weiß, was du denkst. Das ich oberflächlich und sprunghaft bin. Das ich mich hier verrenne und bald meine Liebe zu dir erloschen ist, aber sei gewiss, dass ich mir noch nie einer Sache sicherer war." "Das ist der größte Unsinn, den ich je gehört habe. Ich denke überhaupt nicht über Euch nach." "Das ist doch kein Leben, dass du führst. Du kannst endlich als Frau leben, mit Kleidern, Schmuck, soviel du haben willst. Ich gebe dir Sicherheit, eine Familie, einen ..." "Ihr seid ein verzogener Bengel, der bisher alles bekommen hat", brüllte sie ihn an. "Ich will keine Kleider und Schmuck, ich will mein Leben, so wie es ist Leben." "Ich gebe dir meine Liebe", brüllte er zurück. "Auch die will ich nicht", schrie sie wiederum und stapfte wütend mit dem Fuß auf. "Geh!" "Ich kann nicht!" "Raus hier", kreischte Aramis und fuchtelte mit dem Finger in Richtung Tür. Es war ein trüber Oktobermorgen. Der Himmel war wolkenverhangen und wenn eine dunkelgraue Wolkenwand sich vor das Firmament schob, fiel ein leichter Nieselregen, wie ein Grauschleier vom Himmel. Das Wetter war passend zu der Stimmung, die Aramis mit sich herumtrug. Sie stand an der Mauer gelehnt und wartete reglos, wie die Zeit verging. Die Arme vor der Brust verschränkt, das Gesicht eine unversöhnliche Maske, die finster das Treiben auf der Straße beobachtete. Wieso konnte jeder Tag soviel Veränderungen bringen? Die lärmenden Pariser, die ständig gegen Steuern, Abgaben und Erlasse murrten, gegen König, Staat und Kirche aufbegehrten, waren ihr eigentlich Veränderungen genug. Manch einer wünschte sich ein abenteuerlicheres Leben, Aufregung und Spannung. Sie wäre gerne zur Ruhe gekommen, um dafür etwas weniger die Angst im Nacken zu spüren. Die Tür öffnete sich und Athos trat hinaus. Viele Menschen waren an diesem Morgen unterwegs und so sah er sie nicht, als er vorüberging. Aramis stieß sich von der Hauswand ab und folgte ihm. "Salut, Athos?" Überrascht drehte er sich herum. "Salut, Aramis", grüßte er und schob sich an zwei schwatzenden Mädchen vorbei. "Hast du schlecht geschlafen? Du siehst müde aus." "Ich habe gar nicht geschlafen, Athos." Endlich hielt er und drehte sich zu ihr um. "Welche Laus ist dir über die Leber gelaufen? Bei deinem Gesichtsausdruck laufen ja kleine Kinder davon." "Du hast gut geschlafen?" Er zuckte die Achseln. "Ich kann nicht klagen." "Sag mir eins", wollte Aramis wissen und zog die Augenbraue noch finsterer zusammen. "Hast du deinen Cousin nach Paris geholt?" Athos lächelte feinsinnig. "Ach das ist es, was dir Sorgen bereitet. Nein, dass habe ich nicht." Er schaute zum Himmel und streckte die Hand aus. "Du hast mit ihm gestern geredet." "Ich war genauso überrascht wie du, Aramis", sagte er und setzte seinen Weg fort, in dem einen Bauern mit seinem Gemüsekarren und zwei Passanten auswich. "Weshalb knirschst du mit den Zähnen, Aramis? Charles denkt, dass du ein Musketier bist." Sie lachte bitte auf. "Oh ja, dank dir." "Du willst es doch so." Aramis blieb stehen. "Tu nicht so edelmütig! Du hast es für die verfluchte Ehre deiner verdammten Familie gemacht", stieß sie böse hervor und kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. Athos drehte sich um und baute sich vor ihr auf. "Fluch nicht! Kannst du es mir verdenken?" "Er ist gestern bei mir aufgekreuzt." "Ach so, was wollte er denn?", fragte er überrascht. "Er war betrunken und hat völligen Unsinn dahergeredet." Athos lachte leise. "Das hörte sich nicht nach Charles an. Normalerweise ist er sehr gut bei Verstand." Sie hielt ihn am Arm fest und zischte leise. "Er weiß jetzt, dass ich eine Frau bin." Er sah sie ratlos an. "Woher? Ich habe ihm nichts gesagt." "Dann würdest du ja auch dein Gesicht verlieren, nicht wahr?" Athos Lippen verengten sich zu einem harten Strich. "Mach mich nicht wütend, Aramis!" Damit schüttelte er sie ab und ging. Sie war genötigt ihm zu folgen, wenn sie den Streit fortsetzten wollte. "Charles wird nichts verraten", sagte er schließlich. "Ich will, dass er nach Hause zurückkehrt!" Athos schüttelte den Kopf. "Er wird kaum auf mich hören. Was wollte er?" "Das ich seine Frau werde." Sie konnte sein Gesicht nicht sehen. Seine Stimme verriet nichts. "Na dann heirate ihn doch!" Aramis blieb wieder stehen. Was kümmerte sie der Regen. "Ich habe eine Stunde gebraucht, bevor ich den Tölpel hinausgeworfen hatte. Er bringt mich nur in Gefahr. Mit soviel Leidenschaft, kann ich nichts anfangen." Hilflos ließ sie die Schultern hängen. Athos kam zurück. Sein Blick blieb unergründlich. Der leichte Regen benetzte sein Gesicht. Seine Züge trugen die zu oft benutzte Maske der Unnahbarkeit. "Ich habe ihm vielleicht glauben lassen, du wärst ein Mann, obwohl ich wusste, dass dem nicht so ist, aber für Charles Handeln bin ich nicht verantwortlich", sagte er "Er hat seinen eigenen Willen und du bist seine Leidenschaft, nicht meine." Aramis hatte nichts anderes erwartet, aber seine Worte verletzten sie dennoch tief. Im Musketierquartier wurden beide zu ihrer Verwunderung zu einer Audienz vor dem König gerufen. Mit dem Kapitän begaben sie sich in den Louvre. Schneller als ihnen lieb war, fanden sie sich vor Kardinal und König im Thronsaal ein. Aramis schluckte bitter, als sie die Augen der beiden Staatsmänner auf sich ruhen sah. Ohne seine Höflinge wirkte der Thronsaal riesig. Neben ihr stand Athos. Ein Fels in der Brandung. Er begegnete seinem König, wie seiner Umwelt mit einem eher zurückhaltenden Auftreten, geprägt jedoch von Würde und Stolz, ohne übertrieben zu wirken. Eine Art geburtenrechtliche Autorität, verfeinert durch Erziehung und charakterlichen Anlagen zum Edelmut. Vom Schicksal dazu auserkoren, Aramis Seelenheil zu gefährden. Wie immer verblassten neben seiner Präsenz alle anderen Anwesenden. Sie bedachte ihn noch immer mit unversöhnlichen Blicken. Warum musste er ihr schon wieder das Gefühl geben, klein und unbedeutend zu sein, wo dass was sie geschafft hatte, für ihr Geschlecht außergewöhnlich war? Aramis zwang sich, ihre Aufmerksamkeit auf den König zu richten. Kirche und Königshaus starrten zurück. Unter dem Blick der beiden Männer fühlte sie Klumpen in ihrem Hals anschwellen. Sie schob die Schultern zurück und zog den Bauch ein. Kardinal und König hoben gleichzeitig eine Augenbraue. Bei Gott, ja, der Mann sah ja wirklich aus wie eine Frau. Ludwig räusperte sich und hob die Stimme. "Frankreich will Euch seinen Dank aussprechen", intonierte er gewichtig. "Wir begrüßen es sehr, dass die Mission mit Erfolg beschieden war und für ein gutes Verhältnis zweier Länder untereinander, Graf de Meyé's Aktivitäten aufdecken und vereiteln werden konnten. Wir wissen, wie problematisch und feinfüllig die Außenpolitik ist und wenn es gerade hier zu Differenzen kommt, durch Verräter. Frankreich muss England gegenüber sein Gesicht wahren. Es ist sehr wichtig, dass die Glaubwürdigkeit des Königs gewahrt wird." Er holte tief Luft und ging zum problematischen Teil seiner Rede über. "Um dem Musketier Aramis unseren Dank auszusprechen, geben wir ihm die Adelsprivilegien des alten Grafenzweigs der de la Fere, ..." Hier sog Athos die im Thronsaal zur Verfügung stehende Luft hart und scharf ein, dass sich das Silberemblem auf seinem blauen Waffenrock straffte. "... mit allen Privilegien und Pflichten, die dem Titel auferlegt sind." Der König sah in zwei schreckensbleiche Angesichter, aus dessen Adern jedes Blut entwichen zu sein schien. Todesurteile waren mit mehr Gleichmut aufgenommen worden, als die letzten Worte des Königs. Dabei war der Höhepunkt seiner Rede noch gar nicht verkündet. Das Sahnehäubchen für die männliche Eitelkeit kam noch. Der König räusperte sich erneut und zog die restlich verbliebene Luft ein. "Wir können ihm den Titel jedoch nur überreichen, wenn er sein Amt als Musketier niederlegt. Ferner muss er als Frau leben und auftreten." "Wie meinen, Majestät?", quiekte Aramis. "Er ist für Frankreich in England als Frau aufgetreten, nun muss er diese Rolle weiterspielen. Zu diesem Zweck legen wir dem Musketier Aramis nahe, sich zu den genannten Bedingungen auf das, ihm großzügig zur Verfügung gestellten Landgut zurück zu ziehen." Aramis drehte sich um und sah mit fassungslosem Gesichtsausdruck zu ihrem Kapitän. Sie wollte etwas erwidern, aber D'Treville schüttelte mit strengem, unnachgiebigem Gesichtsausdruck den Kopf. "Nimmt er an?", fragte der König. "Er tut es!" antwortete der Kapitän, an ihrer statt und seine Augen sahen mit Absicht durch sie hindurch. "Er kniet nieder!" Weil keiner sich bewegte, Aramis war während der Worte des Königs zu einer Salzsäule erstarrt, gab D'Treville seinem Musketier einen gutgemeinten, aber kräftigen Stoß in den Rücken, worauf dieser zwei Schritte vorwärts taumelte und mit rudernden Armen zum Stillstand kam. Der Strudel der Ereignisse rauschte in Aramis Kopf, ohne das sie recht begriff. Sie wurde von ihrem Sog erfasst und hilflos fortgetrieben. Die schwieligen Finger des Kapitäns drückten ihre Schultern nieder und zwangen sie in die Hocke zu gehen. Dort blieb sie, während das Schwert des Königs auf ihre linken Schulter niederging und sie, aufgrund anonymen Geburtsrechts, ein zweites Mal adelte. Sie wollte etwas sagen, aber kein Laut verließ ihre Lippen. Zufrieden kehrte der König auf seinen Thron zurück. Ein Blick stummer Verständigung ging zwischen dem Kardinal und den König einher. D'Treville zog Aramis hoch und stellte sie auf die Beine. Wie eine Marionette drehte sie sich, an unsichtbaren Leinen gezogen und hob das Gesicht. Ängstlich sah sie Athos an und das Blut in ihren Gliedern gefror. Athos Züge waren versteinert. Wo seine Fassade bröckelte, trat blanker Zorn hervor. Der Ausdruck auf Athos Gesicht, würde sie bis in ihre Träume verfolgen. Das Schlimme war nicht der Ausdruck seines Gesichtes an sich, sondern das er ihr galt. Mit zitternden Knien und rasendem Herzschlag nahm sie ihren Platz neben ihm ein. "Dem Musketier Athos bieten wir die Stellung des Stellvertretenen Kapitäns unserer Musketiergarde an." Der König zeigte sich bei dieser Audienz äußerst großzügig. Athos stand nur nicht der Sinn nach dem Posten des Stellvertretenen Kapitäns. Sein Geburtsrecht, das Erbe seiner Kinder wurde gerade verschenkt. "Der Dienst des Musketiers Aramis endet mit diesem Tag." "... das ist mein Land, mein Erbe!", zischte er Aramis bitter zu. "Unser Sekretär wird ihm die entsprechenden Dokumente, mit einem genauen Verzeichnis seiner neuen Länderein aushändigen." "... ich will es gar nicht! Behalte dein Land, dein Erbe!", zischelte sie zurück. "Als Bedingung wird im genannt, auch in der Öffentlichkeit unter Frauenkleider aufzutreten und einen Frauenname aufzunehmen" "... ich kann es nicht nehmen, weil es DIR ja überschrieben wird." "Auf seinem Landgut, mag es ihm freigestellt sein, sich zu geben, wie ihm beliebt." "... soll ich dir sagen, wo du dir dein Land hinschieben kannst?" "Für Frankreich gilt er ab den heutigen Tag als Frau." "... wage es nicht!" "Dies ist bindend, für Euren neuen Besitzanspruch und Titel, über Euren Tot hinaus und vererbbar an Eure Nachkommen ..." "... da hörst du es und das haben wir nur deinen Intrigen zu verdanken." Der König räusperte sich betreten. "Eine Adoption ist Euch freigestellt. Als Zeugen sind seine Eminenz, Kardinal Richelieu, erster Minister Frankreichs und der Kapitän der Musketiere Monsieur D'Treville, sowie der Musketier Athos genannt." "Ich und Intrige. Weißt du was, für diese Worte behalte ich es!" Der König holte Luft. Verdutzt bemerkte er, dass man ihm nicht zuhörte. Kapitel 43: Verbrennt den Ketzer -------------------------------- Er lachte heiser und schnarrig. "Du Muttersöhnchen", krächzte er zwischen den faltigen Lippen, mit seinem fast zahnlosen Mund und sein Unterkiefer zitterte. "Du Sohn einer läufigen Hündin. Hat dich die Dirne nicht genommen, diese ..." Der Rest des Satzes ging in würgendem Husten unter und der zerbrechliche Körper krümmte sich. Finger wie die verknöcherten Äste einer Weide, schlossen sich um das Geländer und hielten ihn fest. Es rasselte trocken in seiner Kehle. Schwer stützte er sich auf. Die blauen Adern traten deutlicher unter der pergamentartigen Haut hervor. Sie mussten das ganze Gewicht, des schwammigen, altersgekrümmten Körpers tragen. Der Greis am oberen Ende der Treppe sah mitleiderregend gebrechlich aus. Die ganze Kraft seiner Seele ruhte in den tiefliegenden Augen, in denen ein dunkles bösartiges Feuer brannte. Körperlich war der Alte nicht in der Lage selbst einem kleinen Kind gefährlich zu werden. Bis zur Blüte seines Lebens hatte er die Hilflosigkeit, derer die ihm untertan waren ausgenutzt, mit brachialer Gewalt über sie geherrscht. Dann raubte ihm der übermäßige Genuss von Alkohol und fettgetränktem Essen die Kraft. Mit Ende fünfzig war er ein alter Mann. Nur die Schwärze seiner heimtückischen Seele blieb ihm. Spie er den Abschaum seines Geistes aus, so waren seine Worte ein verletzendes Intermezzo verbaler Boshaftigkeit, sauer durchtränkt wie Galle. Der Junge am Treppenende wollte fliehen, aber die Worte des Alten hielten ihn fest. "Nie vor dir hat eine Frau gewagt, einen de la Fere abzuweisen", bellte es vom oberen Treppenabsatz und er fuhr mit der Hand das Geländer lang, während er sich schwerfällig die Treppe hinunter bewegte. "Ein Schwachkopf bist du, eine Memme, verweichlichtes Mädchen, das sich hinter den Rockzipfel seiner Mutter versteckt. Wen wundert es, wenn sie einen anderen nimmt?" Stille legte sich über die Halle. Eine misstönende Stille, die lauter war als Worte. Der Junge konnte jetzt das Netz aus Adern unter der weißen Haut erkennen und die Weinflecken auf dem weißen Kragen. "Na, los erwiderte etwas!", befahl der Alte und verzog die fahlen Lippen zu einem höhnischen Grinsen. "Es ist das Vermögen ... Sir! Ihre Familie ist arm und unserer .... ", er stockte und presste sein Buch fester an den schlaksigen Körper. Die Augen des Alten wurden noch kälter "Hast du dir eine billige Dirne gesucht, der der Name de la Fere nicht genug ist?" Er stieß den Jungen an der Schulter an und trieb ihn vorwärts. Der Alte spie aus. "Ph, ihr die Ehe anzubieten, du Tölpel. Schlaf mit ihr, schwängere sie, aber mache sie nicht zu deiner Frau!" Wieder und wieder stieß er ihn vorwärts. An anerzogenen Respekt gekettete, ließ der Junge es willenlos mit sich geschehen, bis sein Rücken an eine Säule stieß. Seine Stimme zitterte und sein Kehlkopf hupfte wild auf und ab. "Wir haben doch nur noch den Namen." "Du bringst Schande über uns. Verbringst die meiste Zeit hinter deinen Büchern, anstatt ein richtiger Mann zu werden und willst mir sagen, ich könnte mein Land nicht richtig verwalten!?" Speichel spritzte über die Lippen des Vaters in sein Gesicht. "Nein, Vater." Der alte Graf hob die Hand. Sie war wie der knochige Ast einer Weide im Sturm. Die Weide schlug aus. Schützend stieß der Junge die Hände von sich und schloss die Augen. Die jungen Arme trafen auf die gebrechlichen Knochen. Sein Vater stürzte und schlug schwer auf dem Boden auf. Sprachlos und starr vor Schreck starrten Vater und Sohn sich an. Blind vor Zorn verdunkelten sich die Pupillen des Alten. Mordlust sprach aus ihnen. "Verschwinde!" Hilflos kniete der Junge sich neben ihn. "Vater?" "VERSCHWINDE." Athos schreckte auf, während die letzten Worte seines Vaters noch in seinen Erinnerungen nachhalten. Sie hinterließen einen bitteren Geschmack in seinem Mund. Es klopfte an der Tür ... Aramis zügelte ihr Pferd und sah über die Ebene. Nebelschwaden lagen über dem, in hellgrauen Dunst getauchten Land. Blas aprikofarbend begann der Tag am Horizont zu erwachen. Das Tier blies seinen schnaufenden Atem als Nebelwolke in den kalten Herbstmorgen. Der Weg gabelte sich an dieser Stelle. Eine Straße führte nach Paris zurück, zu ihrem bisherigen Leben und einer würde als Symbol zu einem neuen Lebenspfad werden, den sie beschreiten musste. Durch das Tal schlängelte sich ein Fluss breit und gemächlich durch Wiesen und Felder. Hinter den letzten Gehöften vor Paris, hatte sich das Häusermeer der Stadt, in kaum besiedeltes Land gewandelt. Weit und endlos ohne Lärm, Hektik und zu wenig Raum. Die Kirchen und Paläste der Stadt waren verschwunden. Grausilbriger Reif lag über der Erde, die weit und breit kein menschliches Leben zeigte. In allem sah und spürte Aramis Abschied und Vergänglichkeit. Sie seufzte schwer und hauchte sich warmen Atem in die kälteerstarrten Hände. Mit einem letzten Blick auf den hölzernen Wegweiser, trieb sie das Tier mit festem Schenkeldruck weiter an. Der kalte Wind strich über ihre Haut. Mit gleichmütigen Augen starrte Aramis auf den endlosen Schlängellauf der Straße. Es wurde Tag. Wälder, Seen, kleine Dörfer flogen im funkelnden Licht der Oktobersonne vorbei. Durch die noch dunkle Nacht eines ganz jungen Tages lief Athos. Es war weit über Mitternacht. Seine Schritte hallten auf dem groben Pflaster der menschenleeren Gasse wider. Wolken schoben sich vor dem Mond und verdunkelten den Weg. In der Ferne sah er das spärliche Licht der Lampe eines Nachtwächters, doch seine Füße wussten ihn auch so durch die Dunkelheit zu tragen. Natürlich schlief, abgesehen von ein paar einsamen Nachtschwärmern jeder zu dieser Stunde. Selbst die Gestalten der Nacht, waren in ihre Löcher gekrochen - die leichtlebigen Damen des horizontalen Gewerbes, die Wächter der Spelunken und Tavernen, die Taugenichtse und Tunichtgute, die das lange Tagewerk scheuten, Poeten, Studenten, Lebemänner, Gauner und Gaukler, die armen Tore, an deren heimischer Herd nur ein zänkisches Weib wartete. Auch die Bewohner des riesigen Gehöfts an der Rue de Orléans schliefen den Schlaf der Gerechten, als ein lautes Hämmern sie aus ihren Träumen riss. Mit einer Aufdringlichkeit, die gar nicht zu seinen Wesen zu passen schien, hämmerte er gegen die schwere Eichentür. Endlich erschien das verschlafene Gesicht Hiltrud Schättiger, kein Gesicht, was man zur Geisterstunde zu sehen wünschte. Mit einer Hand raffte sie ihren Morgenmantel an dem ausladenden Busen zusammen, mit der anderen hielt sie eine Lampe in sein Gesicht. "Was'n", murrte sie und sah ihn unter müden Augenlidern an. "Wer störtzusospäterstunde?" Ihre tauben Lippen waren kaum zu einer vernünftigen Artikulation fähig. "Ich muss den Kapitän sprechen!" Etwas in der Stimme, des sonst so beherrschten, ruhigen Musketiers ließ sie aufmerksam aufsehen. Sie hob die Lampe höher. Ein Blick in seine Augen und sie trat beiseite. Mit einer Behändigkeit, die man ihrer plumpen Gestalt nicht zugetraut hätte, eilte sie mit wehendem Morgenmantel voraus und klopfte am Schlafgemach des Kapitäns. Eilig trat sie beiseite und ließ ihren Herrn einen Blick in die Augen seines Gastes werfen. Jetzt wo Athos seinem Kapitän und Vorgesetzten gegenüberstand, stopfte sein kopfloser Auftritt. Er brauchte einen Moment, bevor er sich einen Ruck gab und das Zimmer betrat. Dort stand er nun schweigend. "Und?", peitschte die Stimme des Kapitäns durch den Raum, während er mit der rechten Hand nach hinten griff und die wollene Unterhose über den faltigen Männerhintern zog. "Aramis ist weg!" entgegnete Athos und seine Augen irrten unstet zu D'Treville. "Geht das auch etwas ausführlicher." "Eben erreichte mich ein Bote, der mir diesen Umschlag hier gab." Athos streckte ihm einen braunen Umschlag entgegen. "Und?", fragte D'Treville ohne ihn entgegenzunehmen. "Er enthält alle Dokumente, die Aramis vom König erhalten hat." "Natürlich", bestätigte D'Treville nickend, "das war zu erwarten", und lief zu einer Anrichte, um sich Wein einzuschenken. "Jetzt gehören Titel und Land wieder dir! Freu dich, Graf de la Feré!" Athos Kieferknochen mahlten. "Sie hat Paris einfach verlassen." Er musste sich beherrschen seinen Vorgesetzten nicht aus voller Kehle anzubrüllen. Der Kapitän war selbst in wadenlanger Baumwollunterhose die größere Autorität. "Auch das war zu erwarten. Sie ist kein Freund von großen Abschiedsworten oder Rührseeligkeiten." "Wo finde ich sie jetzt?", schleuderte Athos knapp zurück und seine Kiefer mahlte immer geräuschvoller. Der Kapitän begnügte sich mit einem Schulterzucken. "Woher soll ich das wissen?", sagte er lediglich und trank einen großen Schluck und schmeckte ihm, zufrieden mit dem Bouquet auf der Zunge. Die Fiedel spielte zum Tanz auf, die lederbespannte Trommel schlug dazu im Takt. Berauscht vom Wein und der allgemeinen Heiterkeit stampften die Gäste der Taverne übermütig mit den Füßen auf den Boden und schlugen die Bierhumpen auf die Tische. Über der Musik hob sich der ohrenbetäubende Lärm von lauten Stimmen, Gelächter und falschem Singen. Ein Mann mit dem Körperbau eines Bären, sprang auf den Tisch und schwang die Beine. Bestürzt schlug der Wirt die Hände über den Kopf zusammen. Das morsche Holz ächzte und knirschte. Staub rieselte von der Decke. Aber bei einem Mann mit einer Statur wie ein Riese, wagte ein Mann von durchschnittlicher Größe - aber großer Lebenserwartung - keinen Einspruch. Saint-Jean-d'Angéy lag Nahe der Atlantikküste und damit La Rochelle. Nur eine halbe Tagesstrecke trennte Saint-Jean-d'Angéy von der Hugenottenstadt und da Saint-Jean-d'Angéy an einer der Haupthandelsstraßen lag, kamen genügend Stadtmenschen an dem kleinen Städtchen vorbei. Diana war jung, hübsch und mochte das andere Geschlecht. Und das andere Geschlecht mochten sie. Sie liebte die bewundernden Blicke, mit denen die Männer ihr nachsahen und ihren biegsamen jungen Körper streichelten. Sie lechzte nach Komplimenten und Geschenke als Zeichen der Zuneigung. Ein Kuss im Dunkeln, in der Scheune, ein starker Arm beim Tanzen um ihre Taille, ein harter Körper im engen Gedränge eines Marktages, an ihren weichen Rundungen. Vor allem aber, liebte sie es zu kokettieren. Ein Wimpernaufschlag, ein helles Lachen, das Mieder heruntergezogen und die Hüften geschwungen, dass die Unterröcke aufwirbelten. Doch die Hugenotten in ihrer steifen schwarz-grauen Kleidung, mit ihren strengen protestantischen Regeln, warfen Diana die Hurerein vor. Diana hasste die Hugenotten mit der gleichen Leidenschaft, mit der sie die Männerwelt für sich einnahm. Als England La Rochelle militärische Unterstützung zusagte, legten sich die Vorboten des Krieges bleischwer über die kleine Stadt Saint-Jean-d'Angéy Seine Männer gingen bedrückt durch die Straßen, seine Frauen schwiegen. Doch heute hatten die Soldaten, die tapferen Söhne Frankreichs einen wichtigen Vorposten erobert und waren der ketzerischen Hochburg bis an die Stiefelspitze gerückt. Diana feierte den Tag genau wie alle anderen der Stadt. Mit roten Wangen und kurzem Atem kam sie zum Stehen. Der junge Luc, ein schlaksiger Bursche von 15 Jahren, wirbelte sie noch einmal herum, dann zog der Reigen weiter. Diana trank von ihrem Wein, während ihr Fuß weiterhin zum Takt der Musik auf den Boden klopfte. Ihr Blick glitt durch die Schenke. Sie kannte die meisten Gäste. Es waren Männer und Frauen aus ihrer Stadt. Grobe Bauern und Handwerker, die nicht viel mehr als ihr Tagewerk vom Leben erwarteten, bis sie mit dem Spaten in der Hand tot umfielen. In der Nähe der Tür saßen zwei fremdländische Händler und einige unbekannte Reisende. Alles ältere Männer die Diane nicht reizten. Auch der mürrische Mönch und der dürre Fremde mit dem fahlen Gesicht, waren keinen zweiten Blick wert. Ganz hinten saß, fast gänzlich im Halbdunkel verborgen ein weiterer Mann. Still und alleine über seiner Mahlzeit gebeugt. Diana ging näher heran. Obwohl der Fremde einfache Reisekleidung trug und das Gesicht unter dem Schatten des Hutes verborgen blieb, zeigten die Vornehmheit, mit der er sein Essen aß, den besseren Stand. Schlangen Menschen ihres Schlags das Essen herunter, schlürften die Suppe und wischten das Fett mit dem Ärmel vom Mund ab, so führte dieser hier langsam und bedächtig das Besteck zum Mund. Mit einem hinreißenden Lächeln auf den Lippen, setzte sich das Mädchen auf die Bank neben ihn. Verwundert sah der Fremde auf. Das fahle Licht der Öllampe erhellte die Gesichtszüge unter dem Hut. Er war jung und hübsch. In den gleichmäßigen Zügen lag etwas Feines und in den Augen große Sanftheit. Sie wollte ihn haben. Diana schob sich näher, bis ihr Oberschenkel den seinen berührte. Der junge Mann räusperte sich und rückte seitlich, so weit wie es ihm möglich war, von ihr ab. Die seitliche Kante der Bank stieß in sein Sitzfleisch. Sein Geruch nach feiner Seife, stieg ihr in die Nase und schmeichelte ihre Sinne. Kein penetranter Geruch nach Schweiß und Knoblauchatem, den sie von den heimischen Männern gewohnt war. Beharrlich rückte sie nach. "So alleine?", säuselte sie. Dem jungen Mann stand der Schweiß auf der Stirn. Seine Finger umkrallten die Tischkante, da die Bank ohne entsprechendes Gegengewicht auf der anderen Seite sich zu heben drohte. "Mademoiselle, wir kippen!", presste er gequält hervor und schob sie, mit seiner Kehrseite, Stück für Stück zurück. Sie lachte hell. Behände wie Spinnenbeine, wanderten ihre Finger flink über sein Knie in Richtung Körpermitte. Ruckartig zog er das Bein an und stieß gegen die Tischplatte. Er ächzte. Sie lachte. Die Fiedel spielte einen schnellen Reigen, die Finger auf der Trommel schlugen in immer schnelleren Takt. Ihre Lippen wanderten zu seinem Ohr. "Gefalle ich dir nicht?", hauchte die junge Frau und wieder suchten ihre Finger den Weg über sein Bein, während sie den Oberkörper an seinen Arm presste, dass das weiche Fleisch der Brust über den Miederrand drückte. Warm streichelte ihr Atem sein Ohr. Der junge Mann schluckte schwer und lockerte sich seinen Kragen. Die wirbelnden Menschen zum schnellen Takt der Musik verschwammen vor seinen Augen, die rauchige Luft in der engen Taverne drückte ihm die Kehle zu. Ihr Lachen drang grell an sein Ohr, ihr süßlicher Geruch brannte in seiner Nase, die hämmernde Trommel dröhnte in seinen Schädel, der Hals wurde ihm trocken, während sich der Raum vor seinen Augen drehte. Dann passierte alles gleichzeitig. Ihre Hand war wieder an seinem Bein. Er fasste nach ihren Händen, sie sprang vor und als sie sich mit ihrer ganzen Körperkraft gegen ihn warf und ihn unter sich zu begraben drohte, rollte er sich seitlich und schob sie gegen die Tischkante. Der Tisch gab nach und das Mädchen fiel auf den Boden. Dort blieb sie liegen, dann schrie sie. Diana schrie. Der Musikant strich hart über die Seite, die Fiedel quiekte. Das schiefe Cis verklang, dann war es stecknadelstill in der Taverne. Alle Augen waren auf sie gerichtet. Die Sekunden dehnten sich endlos, während vor Verblüffung niemand zu sprechen wagte. Das Mädchen schloss schnell den Mund, erschrocken über die eigenen Lautstärke und die allgemeine Aufmerksamkeit. Verschreckt sah sie zu dem jungen Mann hoch, der genauso bleich zu ihr herunter sah. Er hatte seinen Hut verloren und große Augen, in einem Gesicht so fein und weich wie die eines Jünglings oder gar einer Frau, starrte zurück. "Das wollte ich nicht." Er kniete sich nieder, um ihr zu helfen. "Nein!" Diane wollte gerade nach der helfenden Hand greifen, erstarrte aber mitten in ihrer Bewegung. Synchron drehten sich alle Köpfe zur anderen Seite des Schankraumes. Der unscheinbare Fremde hatte sich erhoben und die Hand mahnend dem Paar am Boden entgegengestreckt. Er ballte die Hand zur Faust. "Er ist ein Hugenotte aus La Rochelle." "Und wer bist du?" Der Fremde geriet verbal ins Stolpern und sah ratlos zu seiner verwirrten Zuhörerschaft. Dann schrie er erneut. "Er ist einer dieser verdammten Hugenotten aus La Rochelle", als hätten sie nicht richtig verstanden, dabei brannten seine Augen fanatisch ein Feuer durch die Menge, bis hin zu dem jungen Mann, der nicht zu verstehen schien und einfach nur zurückstarrte. Wie eine Sturmwelle gingen die Köpfe mit einem Ruck wieder zur anderen Seite. Verwirrung machte sich breit. Niemand kannte die beiden Männer und niemand wagte dem einen oder anderen zu glauben. Das Bild des jungen Mannes verzerrte sich vor Dianas innerem Auge. Sie glaubte Ekel und Abscheu in seinen Augen gesehen zu haben, als er sie von sich stieß. "Er ist ein Protestant. Ich weiß es!", schrie sie außer sich und sprang von ihm weg. Der Fremde fuhr fort: "Ich habe ihn draußen mit anderen Männern aus der Stadt getroffen. Erst hat der Kampf um diese teuflische Stadt, Hunderten guter französischer Soldaten das Leben gekostet. Nun gewinnen wir endlich die Oberhand, da wollen sich diese feigen Hunde aus dem Staub machen. Der Boden brennt ihnen zu heiß unter ihren ketzerischen, verräterischen Hintern." Nun begannen die Ersten doch zu murren und einzelne hasserfüllte Rufe wurden laut. Laut polternd fiel der Stuhl zu Boden, als sich der Mönch erhob. "Nur der Geruch eines verbrannten Ketzers, ist ein Wohlgeruch in der Nase des Herrn und ein Bild, das unserem geistlichen Herrn auf Erden, dem Papst gefällt. Ich sage, verbrennt ihn!" Er trat um den Tisch herum. Wie eine Schildkröte, fuhr der kahle Kopf, mit dem faltigen Antlitz aus der groben Kapuze seiner Kutte. Speichel sammelte sich vor Aufregung auf den schmalen Lippen. "Sie verleugnen die heilige katholische Kirche, sie spucken auf den wahren Glauben. Sie die Ketzer, sie sind der Satan, sie sind das Verderben für die Christenheit. Nur das Feuer kann uns von dieser Seuche befreien!" Wie berauscht von dem Gedanken, sprang der Fremde auf dem Tisch und stampfte mit dem Fuß auf. "Kein schlechter Gedanke", er nickte anerkennend. "Ja, verbrennt ihn! Er und seine Glaubensbrüder sind ein Bündnis mit den englischen Teufeln eingegangen, dafür sollen sie brennen." Die Gäste jubelten bei seinen Worten auf. Eine Woge der Zustimmung ging durch die Taverne. "Nur ein toter Hugenotte, ist ein guter Hugenotte!" Man stampfte vor Zustimmung mit den Füßen auf den Boden. "La Rochelle wird dem Erdboden gleichgemacht werden!" "Sie werden brennen!" Begeistert stimmten alle Gäste ein. Der Wirt schob sich in die Mitte und bat um Ruhe. "Ich habe noch Holz hinten am Stall gestapelt, dass müsste genügend", warf er hilfesuchend ein und wieder stampften seine Gäste begeistert mit den Füßen auf den Boden. Zufrieden mit dem Lauf der Dinge, ließ der Fremde die Arme sinken und befahl kurz und bündig ihn festzuhalten und das Feuer zu errichten. Der Mönch als geistiger Vertreter auf irdischem Boden, zischte erbost. Sah er sich doch als kompetenten Handlanger für ein gottgefälliges Werk und musste die Läuterung für den wahren Glauben in seine Hände halten. Zwei Männer traten auf den jungen Mann zu, der immer noch wie erstarrt dazustehen schien und packten jeweils einen Oberarm. Hatte ihr Opfer bisher bewegungslos dagestanden, so schien er, angesichts der beiden Männer, endlich zum Leben zu erwachen. Wie eine Schlange wand er sich in dessen Umklammerung, die wie ein Schraubstock seine Arme festzuhalten schien. Mit sich selbst uneins, ob sie den jungen Mann brennen sehen wollte, trat Diana verhalten zurück und beobachtete die Gesichter der anderen Gäste, die sich sichtbar an dem Schauspiel weideten. Sie sah, wie ein weiterer Mann auf ihn zutrat, den Arm hob und zuschlug. Sie hörte ihn ächzen und stöhnen, als die Faust den Magen traf und sah wie er sich krümmte. Seine Peiniger zogen ihm den Kopf an den Haaren rüde zurück, dann schlugen sie ihm in das Gesicht. Blut spritze auf. Der junge Mann stöhnte und man glaubte unterdrücktes Wimmern zu hören, aber er gab ihnen aber nicht die Befriedigung zu schreien. Blut tropfte aus der Nase über das Kinn. Mühsam hielt er sich auf den Knien. Man drehte ihm die Arme auf den Rücken und zwang ihn bewegungslos am Boden zu bleiben. Es bereitete seinen Peinigern unendliches Vergnügen, die Arme fester zu verdrehen, bis sie aus den Schultergelenken zu springen drohten. Diana biss sich hilflos auf ihren Zeigefinger. Der Fremde trat zu dem jungen Mann. "So sieht man sich wieder Musketier." Hasserfüllt sah Aramis zu Broussard auf, fast besinnungslos durch die Schläge und Schmerzen. Natürlich, er musste es sein. Hier fügte sich nun alles zusammen. Der ehemalige Sekretär beugte sich herunter und hauchte ihr seinen sauren Atem ins Gesicht. "Sei nur still, du Missgeburt! Ich kenne dein kleines schmutziges Geheimnis." Es war zu laut, als das ein Anderer, als sie ihn hörte. Die groben Hände die sie auf den Boden pressten, nahmen ihr die Luft zum Antworten. Sie wusste was er meinte. Ihre letzte Begegnung und das offene Korsette fielen ihr ein. "Oh, ja", säuselte er weiter. "Und wenn du nicht brav den Mund hältst, wird jeder es hier erfahren!" Und Aramis schwieg. Wollte sie geschändet werden, bevor sie in den Flammen starb? "Du gehörst wahrlich in die Flammen!" spie er aus. "Du bist kein Weib und kein Mann, du bist eine Missgeburt!" Aramis kämpfte mit Magenkrämpfen und Übelkeit. Ihr Gesicht schmerzte. Sie fühlte sich elendig und zu keinem klaren Gedanken mehr fähig. Tränen stiegen in ihr auf und der Kloß in ihrem Halt schwoll auf eine Größe an, die ihr die Luft nahm. Ihr Herz hämmerte sich schier durch ihre Brust, so hart und schnell schlug es. Für Broussard waren es Worte der Beleidigung genug. Er trat zurück und weidete sich sichtbar an der Angst, die Aramis auf dem Gesicht geschrieben stand. Aramis sah wie mehrere Männer nach draußen liefen und vermutete, dass man sich um ihren Scheiterhaufen kümmerte. Erneut griffen die rohen Hände nach ihr und zerrten sie ins Freie. Widerstand war zwecklos, es waren harte Männer. Dabei zischten sie ihr bösartige Worte ins Ohr und stießen sie noch fester vorwärts. Jedes Detail um sie herum, prägte sich ihr ein. Die blauen Adern an den Schläfen ihrer Peiniger, Speichelfesten auf ihren Lippen, der zerschlissene Stoff an den Ärmelenden. Klarer und eindringlicher hatte sie nie vorher empfunden. Der Himmel war dunkel und klar. Der Atem bildete Rauchwolken in der Abendkälte. Überall zeichneten sich die Umrisse von Menschen ab. Wie Tiere waren sie. Tobende Furien, samt und sonders. Hände zerrten an ihr, schlugen sie, rissen an ihren Kleidern, zogen an ihren Haaren, bei ihrem Spießrutenlauf durch das menschliche Spalier. Einige spuckten ihr ins Gesicht. Da hatte sie sieben verdammte Jahre als Mann verkleidet durchgehalten. Sieben Jahre, in denen sie ihr Leben und ihre Ehre riskierte hatte, nur um von einem Haufen dummer und schmutziger Bauern aufgegriffen und verbrannt zu werden. Sie wollte ihnen sagen, dass sie keine Protestantin war, aber die Worte blieben ihr im Hals stecken. Es kam nur ein heiseres Krächzen, wo sie glaubte brüllen zu müssen. Die ganzen Jahre hätte man ihren Schwindel aufdecken und sie anklagen können. Jetzt drohte ihr die Verbrennung auf dem Scheiterhaufen. Ihr Geheimnis würde mit ihr brennen. Ein elendiger, schändlicher Tot. Aber sie würde nicht flehen, nicht vor diesem Pack. Außerdem würde sie keine Gnade bekommen. Das Reisig knirschte unter ihren Füßen, als man sie an den Pfahl band, den mehrere Steine aufrecht halten mussten. Der Mönch hob die Fackel. Er wurde rüde von Broussard beiseite gestoßen, der das Zündholz an sich nahm. Ein Lächeln perverser Befriedigung lag auf seinen Zügen. Man hätte es wölfisch nennen können, wenn Tiere zu so kalkulierter, ausgesuchter Grausamkeit fähig gewesen wären, wie sie in seiner faulig, schwärenden Seele wohnte. Die Hose spannte sich sichtbar um die Lendenmitte. Broussard erregte das ganze Schauspiel. Er füllte seinen ganzen Körper prickeln und das köstliche Gefühl sexueller Lust im Unterleib. Das tanzende, zuckende Rot der Flammen zeichnete sich in der Dunkelheit ab. Kapitel 44: In Flammen ---------------------- "Heilige Maria und alle Heiligen, die bereit sind mein Flehen zu erhören. Haltet Eure Hand über mich und schützt mich!" Aramis Flehen wurde noch verzweifelter. Wenn man ein Kind ist, ein Zögling der wahren römisch-katholischen Kirche, dann glaubt man an die Kraft der Gebete. Voraussetzung ist und bleibt ein sündenfreies Leben. Eine wirklich schwierige Aufgabe, bedenkt man, dass der Mensch von je her als verderbt und sündig gilt. Weil ein Kind kaum das Vermögen und den wirklichen Ehrgeiz besitzt, große Sünden zu begehen, stehen ihm noch alle Pforten des Himmels offen und es glaubt in Gott einen geduldigen Zuhörer zu haben ... Gott bleibt auch für den erwachsenen Menschen und erfahrenen Regelverstößer ein geduldiger Zuhörer, aber mit der Gnade, Barmherzigkeit und Vergebung hatte es die katholische Kirche nicht unbedingt und manches Sündenregister war lang. Für einen Ablass und wirklicher Vergebung hatte man zu Zahlen, wollte man guten Gewissens sterben. Aramis war sich der Länge und Tragweite ihrer Vergehen durchaus bewusst und wenn sie nun mit aller Inbrunst zu Gott flehte, so glaubte sie nicht wirklich an ihre Rettung. In ihrem alles andere als ereignislosem Leben, hatte sie mehr als nur ein Gebot überschritten und auch die Tatsache, dass sie Gottes Gesetze gerne dehnte und für sich zurechtbog, änderte nichts an der Tatsache, dass sie vor Gottes Augen vielleicht gerechtfertigt auf dem Scheiterhaufen saß. Die ganze Zeit über, stand sie neben ihrem normalen Bewusstsein. Im Strudel der Ereignisse, schien es, als würde sie sich von außen betrachten. Die Fackel mit der gespenstig tanzenden Flamme näherte sich ihr und die Gewissheit sterben zu müssen, zog sie mit der Schnelligkeit eines Orkans in ihren Körper zurück. Oft genug hatte sie von Flammen geträumt, die sie verzerrten drohten. Die Panik schlug wie eine Flutwelle über sie herein. Ihr schlimmster Albtraum war Wirklichkeit geworden und die Vernunft konnte sich gegen diese Kraft nicht wehren. Sie keuchte erstickt auf und bekam keine Luft mehr. Aramis sperrte den Mund auf und rang nach Luft. Sie bekam keine und röchelte erstickt auf. Die Panik trieb ihr Herz zu einer Schnelligkeit an, die ihr schwarze Schliere vor Augen trieben. Ihre Ohren klirrte es und der Geschmack von Blut füllte ihren Mund. Alles in ihr schrie und bäumte sich auf. Sie fing an in ohrenbetäubenden Tönen zu kreischen, aber kein Laut drang über ihre Lippen. Das Pferd jagte durch die beginnende Dunkelheit, des späten Nachmittags. Sein Atem stieß Nebelschwaden in die kalte Luft. Schaum bildete sich vor dem Maul seines Pferdes und Blut lief aus seinen Nüstern. Er trieb es weiterhin unbarmherzig vorwärts, bis er einen Gasthof erreichte. Der Reiter sprang ab, sein Reittier zuckte, brach zusammen und blieb tot auf der kalten Erde liegen. Mit den letzten Silberstücken in der Tasche, bezahlte er für den klapprigen Gaul des Gastwirtes und jagte weiter der Westküste Frankreichs entgegen. Athos war verwirrt. Er ritt weiter wie ein Besessener durch die stetig zunehmende Dunkelheit. Er hatte seit vergangener Nacht eine unvorstellbare Strecke zurückgeleckt. Dabei verstand er gar nicht, was ihn derart antrieb, dass er ein Tier zu Schande ritt. >Nie wieder Aramis Stimme hören ...< Als er die Landesurkunde, Aramis Abschiedsbrief an ihn, in den Händen hielt, wusste er, dass es ein Abschied für immer sein würde. >Kein Morgen, an dem er ihre vertraute Gestalt am Haupttor stehen sehen würde, kein Klopfen an seiner Tür, dass ihren Besuch ankündigte ......< Mit der Erkenntnis breitete sich eine Leere in seinem Inneren aus, die sich Kalt und Klamm in seinem Herzen anfühlte. >Kein Lachen, kein Reden, kein Schweigen ...< Seitdem reagierte er kopflos. Er, der stets mit den Kopf handelte, wurde einzig von Gefühlen geleitet, die er nicht verstand, die seinen kühlen Charakter durcheinander brachten. Mittlerweile konnte ganz Frankreich hinter ihr liegen. Als letzte Möglichkeit hatte D'Treville den Ort ... genannt. Hier lag Aramis Verlobter begraben. Vielleicht suchte sie noch einmal sein Grab auf? >Kein Blick in die klaren Augen, in die vertrauten Gesichtszüge.< Es war eine wage Vermutung, kaum mehr als ein Hoffnungsschimmer. >Kein Streiten, keine Freuen, kein gemeinsam Leiden ...< Es war besser als gar keine Hoffnung, als das nagende Gefühl von Angst im Magen und ein Herz, dass laut und hart in seiner Brust schlug, besser als die Hilflosigkeit nichts zu tun. Athos war mehr als nur verwirrt. Broussard hob die Fackel und trat näher. Er senkte jedoch nicht die Hand, um den Reisig anzuzünden. Vielmehr genoss er das Bild der gefesselten Aramis vor ihm und sog jede Einzelheit genüsslich ein. Er bedauerte nur, dass Gesicht von Sophie nicht sehen zu können, wenn ihr vermeintlicher Geliebter auf dem Scheiterhaufen brannte. Broussard brach in ein Stakkato dumpfer Lacher aus, das derart rasch wieder endete, dass die Umstehenden nicht die Zeit fanden, höflich darin einzustimmen. Ein gequältes Husten verrauchte in der angespannten Stille. Sie scharten nervös mit den Füßen. Der Mann mit dem fahlen Gesicht war ihnen unheimlich, sein Hyänenlächeln löste Unbehagen aus. Ein, zwei gescheiterte Existenzen erfreuten sich an dem Schauspiel, der düstere Mönch wirkte berauscht, wie von einer himmlischen Eingebung beseelt und der Fremde saugte sich mit entrücktem Blick an dem Verurteilten fest. Aber sie zweifelten, dass es richtig war, einen Menschen zu verbrennen. Die kalte Nachtluft hatte den Alkoholnebel aus ihren Sinnen vertrieben. Diana zitterte nicht nur von der Kälte, in ihrem kurzen Mieder. Fast schon jämmerlich standen sie um den Scheiterhaufen herum, doch keiner wagte aufzubegehren. Es waren einfache Bauern und Handwerker. Ein bisschen Feige, leicht beeinflussbar, aber im Grunde gute Menschen. Broussard senkte die Fackel und das trockene Reisig fing Feuer. Die heißen Flammen fraßen sich unsagbar schnell durch den aufgeschichteten Ring. Noch hatten sie den Pfahl nicht erreicht, aber dicke Qualmfaden stiegen auf. Der Qualm verdichtete sich. Aramis riss an ihren Fesseln, die sich immer enger um sie zogen, je mehr sie sich bewegte. Sie spürte wie die Hitze näher kroch und ihre Haare zu versenken drohte. Vorher noch würde sie am Rauch ersticken. Unbändig rüttelte sie an ihren Fesseln. Keuchend rang sie nach Luft. Die Flammen hatte jetzt genug Nahrung, dass sie auf Kniehöhe angewachsen waren. Zentimeter um Zentimeter fraßen sie sie vorwärts, dann hatten sie Aramis erreicht. Sie fühlte die Flammen unter ihren Schuhsohlen. Magisch angezogen von der sich windenden Gestalt im Flammenkreis, den zuckenden Feuerzungen im dunklen Nachthimmel, starrten die Stadtbewohner zu dem Scheiterhaufen. Speichel tropfte Broussard aus dem rechten Mundwinkel und lief unbemerkt das Kinn hinunter ... Erschrocken wirbelte er herum. Ein Pferd sprengte durch die Reihen und die Menge schrie auf und sprang erschrocken zurück. Sein Reiter zügelte es hart und schrie auf, als er die Gestalt im Feuerkreis sah. Er gab Geräusche von sich, die die Umstehenden nur im Tierreich vermutet hätten. Hektisch blickte Broussard von Aramis zu dem Reiter. Er hatte ihn erkannt. Mit einem hasserfüllten Schrei sprang er vorwärts, dem Reiter entgegen. Der Blick des Reiters galt einzig und allein der Gestalt auf dem Scheiterhaufen. Nur aus den Augenwinkel heraus, sah er Broussard auf sich zu stürzen. Er fasste den Mann, der sich ihm in den Weg stellen wollte am Arm und schlug zu. Benommen taumelte Broussard gegen das Pferd. Das Reittier stellte sich auf die Hinterbeine, wieherte und schlug aus. Die Hufe trafen seine Stirn. Blut lief über die Schläfe, er flog rückwärts und landete in den Flammen. Bewusstlos blieb er auf dem brennenden Reisig liegen. Augenblicklich hatte seine Kleidung Feuer gefangen. Die Menschen schrieen auf und wichen zurück. Entsetzten und Verwirrung griff um sich. Die vielen erschrockenen Menschen, das zuckende Feuer und der brennende Fremde hatten einen Tumult ausgelöst, vor dem sie kopflos davon liefen. Athos starrte in die dichte Flammenwand. Er sah wie Aramis leblos am Pfahl hing, von dem Feuer eingeschlossen. Beschämt spürte er, dass seine Beine nichts von dem tollkühnen Vorsturm hielten in die Flammen zu springen. Der Stolz rümpfte die metaphorische Nase, aber der Verstand sagte, dass Verbrennungen sehr unangenehm sein konnten. Doch ein Blick auf Aramis genügte, ihm seinen ganzen Verstand vergessen zu lassen und rein instinktiv zu handeln. Er sprang über den Flammenkreis und war mit einem Satz bei Aramis. Er riss seinen Degen aus der Schneide und schnitt die Fesseln durch. Er hob sie auf, schütze sie mit seinem Körper und lief los. Er hielt die Luft an. Das Feuer senkte seine Haarspitzen und die Augenbraue an. Der Qualm stieg ihm in die Nase und in die Augen, dann war er in Sicherheit. Er sah sich um. Sein Gaul war in Panik davon gelaufen, aber er sah den Stall des Gasthauses vor sich. Er ächzte. Purpurne Funken blitzten vor seinen Augen, während er sie zum Stall trug. Während ihrer Stammesgeschichte hatten die Herblay's keinen Wert auf Zierlichkeit gelegt, sondern in erster Linie auf gesunde Solidität und langen Knochenbau. Aramis entsprach in jeder Hinsicht diesen Idealen. Er stieß mit dem Fuß das Stalltor auf und betrat das Gebäude. Die Tiere wieherten unruhig, weil sie die Angst und Unruhe der Menschen auf dem Hof spürten. "Monsieur, Monsieur?" Der Wirt lief ihm ratlos hinterher. "Was haben Sie vor?" Athos, der noch immer Aramis über den Arm trug zog seine Pistole und hielt sie dem rundlichen Mann entgegen. "Sie können doch nicht einfach ein Pferd entwenden?" Athos fand es nur Recht und billig, als Ausgleich für Aramis versuchte Exekution ein passendes Reittier zu bekommen. Angesichts des runden dunklen Pistolenlaufs, stimmte ihm er Wirt zu und trat beiseite. Es hatte zu regnen begonnen. Verbittert spürte Athos die eisig-nassen Tropfen auf seiner Haut. Jetzt waren sie mehr als lästig. Als sie gebraucht wurden, kamen sie sich nicht. Der zeitliche Einsatz hätte ausgereicht, um Aramis bis auf ein Häufchen Asche verbrennen zu lassen. Er lächelte trocken über seine ironischen Gedanken, während er das Pferd durch die Nacht jagte. Bald mussten sie aufpassen, wie lange sie bei diesem Tempo auf den schlammigen Straßen durchhalten konnten. Es war nur Zufall, der ihn auf den Hof des Gasthauses geführt hatte. Als er Aramis inmitten der Feuerwand sah, zerbracht etwas in ihm. Wie von Sinnen schrie er auf. Das Gefühl ein Teil seiner selbst zu verlieren, ließ ihn fast wahnsinnig werden. Aramis hing noch immer leblos in seinen Armen. Ihr Körper war jetzt wach, aber ihr Geist schien zu schlafen oder an einem anderen Ort zu sein. Ihr Körper war ohne Kraft und kein Wort drang über ihre Lippen. Ihn ängstigte ihr Verhalten. Der Regen wurde dichter und der Wind drehte sich. Obwohl er sie fest an sich presste und schützte, durchnässte der Regen sie beide. Er drückte sie enger an sich und spürte den schmalen Körper an seiner Brust. Wärme breitete sich in seiner Brust aus. Maurice Blisear beobachtete scharf seine Gäste, bei denen er wusste, dass mit erhöhtem Alkoholkonsum ihre Gemüter sich erhitzten. Er ließ seinen Blick über seine ramponierte Einrichtung schweifen. Die vielen unterschiedlichen Möbelstücke ließen ihn erneut daran erinnern, dass fast jeden Abend etwas zu Bruch ging. Aber solang der größte Raufbold der Ortschaft mit dem Hinterteil seiner Magd beschäftigt war, drohte kein neuer Streit mit einer anschließenden, Inventar schädigenden Schlägerei. Zufrieden nickte er Michelle, der Magd zu und zählte die Krügen mit seinem Weinvorrat unter der Theke. Der Wert einer Magd mit brauchbarem Hintern war nicht zu unterschätzen. Die Tür ging auf und mit der Kälte und dem Regen traten zwei Männer über die Schwelle. Maurice streifte sie mit scheinbar gleichgültigem Blick und rechnete. Fremde von weit her, vier Finger im Kopf, war gleich ein Zimmer, es war Winter zwei im Sinn, dass bedeutete Brennholz, müder Gesichtsausdruck plus fünf dazu, waren Braten und Brot und ... Blisear Kennerblick streifte die durchnässte Kleidung und errechnete ihren Wert. Der gute Stoff zeigte an manchen Stellen Flecke und große Risse. Sie waren barhäuptig und ihre Degen abgenutzt und ohne Zierde. Die Haare hingen ihnen feucht und schwer in der Stirn. Ein merkwürdiges Paarchen. Keiner seiner Gäste beachtete sie. Blisear's Blick blieb bei dem zweiten Mann hängen. Er erschrak. Ein glasiger Blick stand in einem Gesicht mit dumpfem Ausdruck, dass keine Ecken und Kanten, eines typischen Männergesichts aufwiesen. Die Arme hingen kraftlos herunter. Dabei war es kein hässliches Antlitz, ein überaus hübsches sogar, das die kurzen blonden Haare unterstrichen, aber der Arme schien schwachsinnig und unterentwickelt zu sein. Sein Begleiter musste ihm am Arm hinter sich her ziehen, dem er wie eine Puppe folgte. Blisear schlug das Kreuz gegen den bösen Blick. Schwachsinnige galten als dämonisch und die Menschen in diesem Ort waren sehr abergläubisch. Er erinnerte sich an das Mädchen der Bäuerin Hubbard. Eine schwarze Katze kreuzte ihren Weg kurz vor der Niederkunft, da war es passiert. Ihm schauderte es. Als der Mann ein Zimmer bestellte, ohne ein Abendessen in Anspruch zu nehmen atmete Maurice erleichtert auf. Der Junge hätte, angesichts seines apathischen Auftretens, nur Unruhe geschürt Sein Blick wanderte zurück zu seinen Gästen im Schankraum. Selbst nach einer Stunde Ritt zu diesem kleinen Ort, hatte Aramis ihre lethargische Haltung nicht verloren. Sie hatte kein Wort gesagt. Athos wusste nicht, ob sie überhaupt wahrnahm was mit ihr geschah. Er stellte sie in die Mitte des Zimmers ab und sah sich um. Ein rußgeschwärzter Kamin, abgeschabte Dielenbretter, ein Bett auf vier wackligen Füßen. Die Magd kam mit einem Binsenlicht, Bettdecken und einigen Holzscheiten. Auch ihr Blick glitt erst aufreizend zu Aramis, dann erstarrte er und kehrte ängstlich zu Athos zurück. Er musste ihr innerlich Recht geben. Aramis entrückter Blick war auch ihm befremdend. Er wusste, wenn sie die Tür hinter sich schloss, würde sie versuchen sich mit abergläubischen Gesten zu schützen. Der Wirt hatte auch das Kreuzzeichen geschlagen. Welch schrecklicher Aberglaube musste Aramis auf den Scheiterhaufen gebracht haben? Aramis starrte blicklos zur Wand. Das Wasser lief aus ihrer Kleidung und sammelte sich zu einer Lache zu ihren Füßen. Athos trat vor sie und sein Blick streichelte ihr Gesicht. Der Schein des Feuers umstrahlte sanft ihre Gestalt. Er spürte sein Herz hart im Hals schlagen und hob den Arm, von unsichtbaren Fäden gezogen, an ihre Wange, um den Regen fort zu streichen. Sie rührte sich nicht. Er sprach sie an, aber auch auf seine Worte reagierte sie nicht. Ohnmächtig vor Angst und Hilflosigkeit schüttelte Athos sie, dass ihre Zähne auf einander klapperten. Noch immer kehrte kein Leben in sie zurück. Er begann ihren Wams zu öffnen und zerrte ihn von den leblos herabhängenden Armen. Das Hemd riss er ihr kurz entschlossen ganz vom Körper. Er griff in den Ausschnitt und zog es mit einem Ruck entzwei. Der kalte Wind strich über Aramis Haut, sie hob den Arm, holte aus und schlug zu. Der Abdruck ihrer flachen Hand brannte auf seiner Wange. Als er den Blick hob, sah er in wachsam blickende Augen, die ihn äußerst schockiert ansahen. "Was zum Teuf...", weiter kam sie nicht. Athos riss sie in seine Arme und presste seine Lippen auf ihre. Erst versteifte sie ihren Körper, dann schmolz sie wie Sirup dahin. Sie waren die einzigen Menschen auf der Welt. "Verzeih mir", flüsterte Athos, als sie nach Luft rangen. Seine Finger strichen über die bloße Haut ihrer Schultern über dem Brustband. Wo seine Finger sie berührte, verbrannte sie und das Feuer floss zur Körpermitte. Aramis schüttelte das regennasse Gesicht. "Es gibt nichts was verzeiht werden muss." "Geht es dir gut?" Sie blickte in die grauen Augen und nickte langsam, unfähig zu sprechen, weil der Klumpen in ihrem Hals zu fest saß. "Das ging ja noch einmal gut", wisperte sie mit gebrochener Stimme, ohne die Augen von seinem Gesicht zu nehmen. Er nahm ihren Kopf zwischen seine Hände und strich mit den Daumen über ihre Wangen. Dann küsste er sie, so selbstverständlich, als könnte es gar nicht anders sein. Er spürte ihren Körper an seinem und wie sich etwas in seinem Magen zusammenzog und den Rest des Körpers erfasste. Ein dunkles Stöhnen rollte aus seiner Kehle. Während Athos die Arme fester um sie schloss, ließ Aramis sich fallen, während sie gleichzeitig zu schweben glaubte. Sie wollte vieles Fragen, aber kein Wort drang über ihre Lippen, außer leisem Stöhnen, dass ihn noch mehr erregte. Er bedeckte ihr Gesicht mit Küssen und bedache ihr Ohr mit Worten, die nur für sie bestimmt waren. Dann hob er sie hoch und trug sie die wenigen Schritte zum Bett und ließ sie fallen. Seine Hände glitten über ihr Gesicht, über ihren Hals, über ihre Schultern, den Oberkörper und blieben auf der Taille liegen. Er zog ihre Hose samt Stiefel herunter. Sie versteifte sich, angesichts der ungewohnten Nacktheit. Athos stellte sich aufrecht hin damit sie seine Erregung sah. Egal ob Gott ihre Glieder gleichlang, ob dick oder schlank, knabenhaft oder weiblich erschaffen hatte. Nichts davon war in seinen Augen wichtig und jeder Zentimeter ihres Körpers für ihn schön und vollkommen. Er wollte ihre Hüften streicheln und jeden Hautfetzen mit den Lippen berühren. Seine Körpermitte tat vor Erregung fast schmerzhaft weh. Mit einem Seufzer schloss Aramis die Augen und überließ sich ihm. Als keine Berührung erfolgt, öffnete sie verwundert die Augen. Er streifte gerade die Hose von der Hüfte, dann stand er nackt vor ihr. Ihre Befangenheit fiel augenblicklich ab, gelöscht von dem Wunsch, ihn ganz auf ihrer Haut zu spüren. Aramis riss so heftig am Brustband, dass sich rote Striemen über die weiche Haut zogen, kam ihm entgegen und zog ihn mit sich herunter. Als sich ihre heißen Körper berührten, Hüfte an Hüfte, Brust an Brust, Haut an Haut, zog sich lavaartig die Erregung durch ihre Körper und erfasste die Nervenenden. Sie waren nur noch Haut und Fleisch, bestehend aus Fühlen und Empfinden, angefüllt aus Wollen und Begehren, randvoll mit Lust und Sehnsucht. Jede Pore war bereit den anderen aufzunehmen. Aramis hatte sich nie so zerrissen und gleichzeitig ganz, ausgeliefert und geschützt, wirklich und unwirklich gefühlt. Als der letzte Scheid im Kamin verglühte und zu Asche wurde, lag Aramis ruhig in seinen Armen. Ihr Körper fühlte sich müde und ausgelaugt an und doch hatte sie sich nie so wohl in ihrer Haut gefüllt. Sie starrte zur Wand, während sie dem gleichmäßigen Schlag von Athos Herzen in seiner Brust lauschte. "Was machst du mit mir?", murmelte sie. "Was machst du mit mir?", erwiderte er und atmete den Geruch ihrer Haare ein, an denen noch Rauch und Feuer hafteten. "Warum bist du mir gefolgt?" Er löste sich aus ihren Armen, griff in seiner Kleider und zog ein Dokument hervor. "Deswegen! Es gehört dir!" Sie schüttelte den Kopf und ihr Herz klopfte wild vor Angst, einem Traum erlegen zu sein. "Es hat schon immer dir gehört. Deswegen bist du mir nachgeritten? Aus Edelmut, um dein Gewissen zu beruhigen?" Sie versteifte sich. Er hörte den Unmut und die Angst in ihrer Stimme, rollte sich auf den Rücken und hob sie an ihren Oberarmen auf seine Brust, damit sie ihm in die Augen sehen musste. Sturmfeuer stand in ihrem Blick. "Habe ich dir nicht gerade bewiesen, warum ich dir gefolgt bin?" Er schüttelte sie sanft und hob die Hüfte, damit sie seine erneute Erregung spüren konnte. Aramis presste die Lippen zu einem schmalen Streich zusammen und versuchte sich mit den Handflächen von seiner Brust abzustoßen. Genauso gut hätte sie versuchen können, gegen einen Schraubstock anzukämpfen. Lust und Liebe, dass waren zwei unterschiedliche Dinge. Das eine musste nicht unbedingt das andere heißen. "Hörst du damit auf!" Er schnaubte wegwerfend, zog sie an sich und küsste sie stürmisch auf den Mund, als wäre ihr Widerstand gar nicht da. "Ich bin auf die bloße Hoffnung hin, dass du aus sentimentalen Gründen das Grab deines Verlobten aufsuchst, durch halb Frankreich geritten. Ein Pferd ist hinüber, die Dokumente im Regen durchweicht und ich bin durch Feuer gesprungen." "Ich habe nicht verlangt, dass du mir hinterher reitest. Ich will dein Land nicht", erwiderte sie stur und schmollte. "Du Dummkopf >Ich liebe dich