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Schattenkrieg

von

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Wieder vereint

Hasserfüllt starrte Mulder dem Raucher entgegen: „Ich hätte nicht gedacht, dass sie sich selbst die Finger schmutzig machen und hier auftauchen.“ Er zitterte vor unterdrücktem Zorn. Die Hände zu Fäusten geballt, dass seine Knöchel weiß hervortraten, versuchte er dem beinah übermächtigen Zwang zu widerstehen, die Zigarette zu nehmen und im Auge des verhassten Feindes auszudrücken. Ihm wurde körperlich übel wenn er in dieses graue, vom Leben gezeichnete Gesicht blickte und damit all das Leid in Verbindung brachte, was er in den letzten Tagen zu sehen bekommen hatte. Und gleichzeitig die lähmende Ohnmacht, die mit seinem Auftauchen verbunden war. Er war so nah an der Wahrheit gewesen. Wieder einmal so unglaublich nah. Und wieder erschien dieser Krebskandidat, um ihm seinen Erfolg streitig zu machen.

Wie zu erwarten kümmerte den Raucher die Reaktion des FBI-Agents wenig. Er nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette und lächelte falsch. „Agent Mulder, warum so rebellisch? Ich habe ein bisschen mehr Respekt und Neugierde von Ihnen erwartet, nachdem ich Ihnen Agent DiNozzo geschickt habe, um Ihnen von unserer Arbeit hier zu berichten. Wo ist Ihr Drang, die Wahrheit zu erfahren?“ Genüsslich stieß er den weißen Rauch zur Decke hin aus. „Sie waren doch immer auf der Suche nach der Wahrheit, nicht wahr? Nun, jetzt liegt sie vor Ihnen. In greifbarer Nähe und ich war überzeugt, dass es Sie interessieren würde selbst zu erfahren, wie es ist. Die Wahrheit in ihren ganzen Facetten zu erfassen.“ Achtlos ließ er den noch glimmenden Stummel zu Boden fallen und missachtete den missbilligenden Blick des neben ihm stehenden Wissenschaftlers mit der üblichen Überheblichkeit. Seine Aufmerksamkeit war ganz und gar auf Mulder fixiert.

Schnaubend vor Verachtung schüttelte der den Kopf. Wie verblendet musste dieser Mann sein, ihm ein solches Angebot zu machen und dann auch noch zu erwarten, dass er darauf eingehen würde? „Was für eine Wahrheit würden Sie mir schon präsentieren?“

Ungerührt setzte der Raucher sein Starren fort und zündete sich dann eine weitere Zigarette an. Wie ein Gespenst umfloss der weiße Rauch seine Gesichtszüge. „Alles, Mulder. Alles was Sie in all den Jahren gewünscht haben zu verstehen und vergebens gesucht haben.“ Sein Blick glitt von Mulder zu dem neben ihm stehenden DiNozzo. „Fragen Sie Ihren Freund hier.“

„Das ist Teufelswerk!“ Sofort rückten die Wachen näher an Mulder heran, als dieser Anstalten machte den Raucher anzugreifen. Also beherrschte er sich mühsam. Hinter seinen Schläfen pochte es. „Das ist keine Wahrheit. Das ist Folter. All diese Menschen sind Versuchskaninchen, nichts weiter. Opfer ihres kranken Wahns.“

„Sie verstehen noch immer nicht.“ Bedauernd schüttelte der Raucher den Kopf, musterte sein Gegenüber wie ein unwissendes, dummes kleines Kind. „All die Jahre und Sie verstehen es immer noch nicht. Ich bin wirklich enttäuscht, Agent Mulder.“

„Sehen Sie sich doch nur einmal um! Was soll ich nicht verstanden haben? Das sie eine skrupellose Horde altersdebiler Männer sind die ohne Rücksicht auf die Allgemeinheit Theorien durchzusetzen versucht, die...“

„Sie vergessen sich, Agent Mulder. Bedenken Sie in was für einer Lage Sie sich befinden. Ich bin Ihr letzter Grashalm. Ihre letzte Hoffnung der Märtyrer zu werden der Sie sein wollen.“ Auf ein knappes Nicken hin bediente der Wissenschaftler zu seiner Linken eine kleine Fernbedienung und ein metallenes Knirschen hallte durch den Raum. Ein Bestandteil des Mosaik versank im Boden und gab den Weg für eine Konsole frei, die sich langsam aus dem Boden erhob. Auf der gläsernen Oberfläche ruhte eine lange Spritze, direkt daneben stand ein Fläschchen mit öligem schwarzen Inhalt. Mulder lief es kalt den Rücken hinab.

„Ich habe Ihnen gesagt, dass Sie keine Wahl haben werden.“

DiNozzos leiser Kommentar ließ Mulder verärgert die Stirn runzeln und er schaute kurz zur Seite, wo der andere Agent reglos verharrte: „Es gibt immer eine Wahl, Agent DiNozzo. Immer.“ Damit stellte er sich trotzig dem Wissenschaftler entgegen, der soeben die Spritze mit der schwarzen Substanz aufzog. „Wenn Sie versuchen mir das dort zu injizieren, werden Sie sterben. Ich werde Sie töten, verlassen Sie sich darauf.“

Der Wissenschaftler schien tatsächlich für einen Moment verunsichert und hielt in seinem Tun inne, doch der Raucher lachte nur bellend in seinem Rücken. „Eine nette kleine Drohung, Agent Mulder, aber so wenig überzeugend. Sie werden nicht in der Lage sein Dr. Theobald zu töten. Sobald Sie den Virus in Ihrem Blut haben, werden Sie verstehen. Vertrauen Sie mir.“

„Ihnen vertrauen? Es wird der Tag kommen, an dem Sie über Ihre eigenen schlechten Scherze lachen werden.“ Es wollte ihm kaum mehr gelingen, die aufgsteigende Panik zu bändigen. Er wich vor dem Wissenschaftler zurück und erreichte damit nur, dass die ihn flankierenden Soldaten bis auf direkten Körperkontakt näherkamen.

„Sie werden Teil unseres Projekts werden. Teil unserer Streitmacht gegen die drohende feindliche Übernahme durch außerirdische Lebensformen. Sie werden Einblick in all die Dinge bekommen, die ich Ihnen unter anderen Umständen niemals zugänglich machen dürfte. Ein bisschen mehr Dankbarkeit wäre durchaus angebracht, Agent Mulder.“

„Das ist eine Lüge!“ Mulder brüllte sein Gegenüber in ohnmächtiger Wut an und riss seine Arme aus den Griffen der Soldaten frei, die versuchten ihn für die Verabreichung der Spritze zu fixieren. „Sie stellen keine Streitmacht gegen Aliens auf. Sie versuchen Ihre eigene Unfähigkeit zu vertuschen, Ihre eigenen Fehler ungeschehen zu machen. Ich weiß was hier läuft, machen Sie sich nichts vor.“ Wieder griffen die Wachen zu, bohrten schmerzhaft ihre Finger in seine Muskeln. So sehr er sich auch wehrte, er kam nicht noch einmal frei.

„Tatsächlich? Tun Sie das? Verzeihen Sie mir, wenn ich das bezweifle. Wie dem auch sei, Agent DiNozzo hat durchaus recht. Eine Wahl haben Sie nicht.“ Lächelnd führte er seine Zigarette an die Lippen.

Mulder fühlte wie Angst ihm die Kehle eng werden ließ. Der Wissenschaftler kam näher, so nahe dass er bereits dessen Schweiß riechen konnte, und schnippte gegen die Kanüle, als wäre es ein x-beliebiges Grippemedikament. Mit weit aufgerissenen Augen verfolgte der Agent jede einzelne Bewegung. „Tun Sie das nicht, Mann. Bitte.“

Ein teilnahmsloser Blick richtete sich auf Mulder. „Halten Sie still.“ Dann packte der Wissenschaftler Mulder rechten Arm, entblößte seine Schulter und setzte die feine Nadel auf die nackte Haut. Mulder konnte die zarte Kühle des Metalls in jedem Nerv seines Körpers spüren.

Dann fiel ein Schuss. Aus dem Augenwinkel konnte Mulder sehen, wie die Wache zu seiner Rechten getroffen zu Boden ging. Gleich darauf fiel ein zweiter Schuss und sandte den Soldaten zu seiner Linken zu Boden.

Für einen winzigen Augenblick schienen alle Anwesenden gelähmt zu sein von dem Schreck. Noch immer irritiert wich Mulder zurück, dabei schrammte die Spitze der Kanüle über seine Haut und dieser unerwartete Schmerz rüttelte ihn aus der Starre. Noch während er sich instinktiv duckte, fiel ein weiterer Schuss und dieses Mal sackte der Wissenschaftler getroffen in sich zusammen, brach in den Knien ein und landete unmittelbar vor Mulders Füßen.

Mit vor Schreck geweiteten Augen starrte der FBI-Agent auf den Toten hinab. Ein roter Punkt zeigte die Stelle, an welcher die Kugel zwischen den Augen des Mannes in den Schädel eingedrungen war. Dunkles Blut begann sich unter der Leiche auszubreiten. Ein weiterer Schuss peitschte durch das losbrechende Chaos und Mulder sah zu, dass er von der freien Raumfläche herunterkam.

Nach wenigen Schritten jedoch wurde er von einer Druckwelle von den Füßen geholt. Ein vierter Schuss musste einen der unbeschrifteten Tanks an der Rückseite des Raumes getroffen haben. Von dort wuchs eine schwarze Rauchwolke zur Decke und das helle Glühen von Feuer blitzte zwischen den Rauchschwaden hindurch. Hustend drehte sich der FBI-Agent auf den Rücken und suchte nach dem Schützen. Sein Blick huschte durch den Raum, sah wie neue Soldaten durch eine der vielen Türen in den Raum strömten und entdeckte schließlich auf der Galerie die hinter dem Geländer zusammengekauerte Gestalt. Mündungsfeuer flammte auf und ein weiterer Soldat ging getroffen zu Boden.

Erleichterung ließ ihn schwindeln. Sie hatten es geschafft, Scully und Gibbs hatten sie gefunden. Seine Aufmerksamkeit wurde abgelenkt, als er durch den Rauch Scully auf sich zu kommen sah. Mühsam kam er wieder auf die Füße und lief ihr entgegen. Sie sah schrecklich aus, verhärmt, abgekämpft und müde. Ihr Gesicht war eine erschütternde Maske des Entsetzens. Offenbar waren ihre Stunden nicht viel ruhiger verlaufen als seine. Vollkommen außer Atem kam sie vor ihm zum Stehen und blickte ihn aus großen, grünen Augen an. Sie bebte am ganzen Körper.

Mit einiger Anstrengung bekam Scully ihre Atmung und ihre überbordenden Emotionen wieder in den Griff. Müdigkeit und Erschöpfung ließen ihr Nervenkostüm gefährlich dünn werden. Wie sie in den gerade zurückliegenden Sekunden nur allzu deutlich bemerkt hatte. Beinah hätte sie ihre Anwesenheit frühzeitig verraten. Als sie die Spritze gesehen hatte und gewahrte mit was der Wissenschaftler diese große Kanüle aufzog, war sie auf ihrem Posten auf der Galerie heftig zusammengezuckt, hatte gerade noch rechtzeitig den entsetzten Aufschrei zurückhalten können. In diesem kurzen Moment hätte sie alle Vorsicht fahren lassen, nur um zu verhindern, dass Mulder mit dem schwarzen Öl infiziert wurde und nur Gibbs eiserner Griff um ihren rechten Unterarm hatte das verhindert. Wie dankbar sie ihm jetzt dafür war, wo sie Mulder kurz und heftig in ihre Arme zog. Sie war bebend hinter dem Geländer in sich zusammengesunken, hatte sich gezwungen zu vertrauen. Einfach nur zu vertrauen.

Zu ihrer beider Glück schien zunächst niemand etwas von ihrem Zwiespalt mitbekommen zu haben. Niemand bis auf einen und Scully war es kalt das Rückgrat hinabgelaufen, als sie den Blick des Rauchers prüfend über die Galerie schweifen sah. Er nahm einen tiefen Zug aus seiner glimmenden Zigarette, die Augen schmal vor Misstrauen. Im Gegensatz zu Mulder und den Soldaten stand er nicht mit dem Rücken zu ihnen und musste die flüchtige Bewegung der FBI-Agentin wahrgenommen haben. Seine Aufmerksamkeit war geweckt.

Gibbs hatte ein dumpfes Grollen von sich gegeben. Der Raucher hatte sie entdeckt, keine Frage, aber mit der Spritze in den Händen des Wissenschaftlers war es ohnehin Zeit zu handeln. Langsam hatte sich der NCIS-Agent neben ihr aus seiner kauernden Haltung erhoben, das Gewehr im Anschlag. Dabei trafen sich seine blauen Augen mit dem wässrigen Blick des Rauchers. Sein Finger hatte gezuckt in dem Wunsch den Abzug zu betätigen und diesem Bastard den Schädel vom Rumpf zu holen. Doch Mulder war in genau diesem Moment laut geworden, versuchte der Klemme zu entwischen und wurde von den nebenstehenden Soldaten ergriffen und fixiert. Der Wissenschaftler hatte die wenigen Schritte bis unmittelbar vor ihren Partner gemacht, die fertige Spritze in der Hand.

Über das Gesicht des Rauchers hatte sich ein dämonisches Grinsen ausgebreitet, der Blick, den er dem Agent zukommen ließ eine Fratze aus subtiler Überlegenheit. Er wusste, wenn Gibbs sich dazu entschloss ihn zuerst zu erschießen, würde der zweite Schuss nicht mehr rechtzeitig kommen, um den Wissenschaftler an der Verabreichung des Mittels zu hindern. Scully wäre beinah das Herz in der Brust stehen geblieben, ebenso wie Gibbs zerrissen zwischen dem Wunsch diesen Mann zu töten und der Notwendigkeit den Wissenschaftler auszuschalten.

Achtlos hatte der Raucher seinen Zigarettenstummel zur Seite geschnippt, Gibbs demonstrativ den Rücken zugekehrt und war auf den Ausgang des Saales zugeschritten. Voller Zorn hatte Gibbs mit den Zähnen geknirscht, ohnmächtig gegenüber dieser Entscheidung. Dann war seine Waffe herumgeschwenkt, visierte das Ziel einen Herzschlag lang an und schoss.

Der Raucher war wieder einmal entkommen, aber Scully war dieser Umstand zumindest für den Moment herzlich egal und so schob sie die Erinnerung an diese vertane Chance beiseite. Forschend blickte sie ihrem Partner in die Augen, ängstlich nach einem Hinweis suchend, dass er bereits zuvor eine dieser Spritzen verabreicht bekommen hatte. Aber seine Augen waren klar, gleichwohl glasig auf Grund des wenigen Schlafs. Erleichterung spülte durch ihren Körper, so stark dass ihr körperlich übel wurde.

Hinter ihr erklang das helle Knirschen zerbrechenden Glases und Scully wirbelte alarmiert herum. Der verhüllte Fremde, der die ganze Zeit an Mulders Seite gestanden hatte, blickte auf die Überreste der Kanüle herab, die unter seinem Absatz in tausend kleine Scherben zersprungen war. Die schwarze Substanz floss träge über den glatten Boden, nur um wie von Geisterhand zwischen den Ritzen des Mosaik zu verschwinden. Der Fremde bebte, die Hände zu Fäusten geballt.

„Scully.“

Mit Mulders Hand auf der Schulter drehte sich die Agentin nur widerwillig zu ihrem Partner um. Etwas an dem Fremden zupfte an ihrer Erinnerung, aber sie konnte mit ihren sich überschlagenden Gedanken nicht bestimmen was es war. Sie gewahrte Gibbs, der soeben die Treppe der Galerie herab lief und zu ihnen kam, das Gewehr noch immer im Anschlag. Für den Moment blieben sie unbehelligt, doch hallende Schritte aus den offenen Gängen verrieten bereits das Näherkommen weiterer Truppen.

Zuerst hatte sich die Zeit so quälend langsam dahingezogen und Scully hatte geglaubt keinen Schritt weiter zu kommen. Dagegen waren ihr die letzten Minuten vorgekommen wie in einem Zeitraffer. Viel zu schnell und sie hatte den befremdlichen Eindruck, noch immer den Ereignissen hinterher zu hinken. Sie schauderte, als sie Gibbs taktisches Vorrücken beobachtete. In kürzester Zeit hatte er eine Handvoll Menschen getötet, präzise, mit beängstigender Genauigkeit. Ein absolut tödlicher Killer und Scully war sich nicht sicher, wie sie damit umgehen sollte. Er hatte ihren Partner gerettet, er hatte sie damit vermutlich alle gerettet, oder ihnen doch zumindest Zeit erkauft.

„Scully, bitte. Haben Sie das Gegenmittel?“

Die Dringlichkeit in Mulders Stimme riss sie aus den düsteren Grübeleien und sie wandte sich besorgt zu ihm. Hatte sie Anzeichen übersehen? War er doch infiziert worden? „Ich habe es hier, natürlich. Warum fragen Sie?“

Gibbs erschien an ihrer Seite. Das Gewehr ruhte locker in seinem Griff, deutete jedoch in unmissverständlicher Drohung auf einen Punkt zwischen Mulder und dem Fremden. „Wir haben nicht mehr viel Zeit bevor die ersten Patrouillen hier eintreffen. Wenn sie also ihr Wiedersehen ausgiebig zelebriert haben, würde ich dazu raten diesen Raum zu verlassen.“ Misstrauisch beäugte er den Fremden.

„Kein Grund zur Beunruhigung, Agent Gibbs. Ich werde niemandem ein Leid zufügen. Noch nicht jedenfalls.“ Der Fremde hob behutsam seine verknöcherten Hände und schlug die weite Kapuze zurück. Das hagere Gesicht mit den unnatürlichen, schwarzen Augen und den dunklen Venen dicht unter der Haut ließ Gibbs unwillkürlich einen Schritt zurücktreten. Seine Mine verschloss sich, konnte aber nicht vollständig die Erschütterung verbergen, die er angesichts der noch immer vorhandenen Vertrautheit in dem fremden Gesicht empfinden musste.

„Tony.“

„Gibbs. Ich hatte nicht gehofft dass ihr uns hier findet. Und noch weniger habe ich zu hoffen gewagt, dass ihr ein Gegenmittel für diesen Albtraum kennt.“ Hoffnungsvoll richtete sich sein undurchdringlicher Blick auf Scully. Seine Finger zuckten, als wolle er nach ihr greifen, doch er beherrschte sich.

Sie schluckte hart, bezwang ihren Schrecken den ihr der Anblick des NCIS-Agents bereitete. Wären sie später gekommen, hätte auch Mulder dieses Schicksal ereilen können. Gnade Gott dass dem nicht so war. Das Gegenmittel würde schon kaum für Tony und Kate reichen. Eine dritte Person hätten sie unmöglich damit behandeln können.

„Ich kann mir denken was Sie sich jetzt wünschen, Agent DiNozzo. Aber ich muss Sie bitten sich noch ein wenig zu gedulden. Wir befinden uns nach wie vor nicht auf sicherem Boden und müssen diesen Komplex noch immer verlassen. Wir müssen Miss Todd finden. Ich kann nicht garantieren dass ich Sie mit der Verabreichung des Mittels von den Füßen hole. Und dann wäre an eine Flucht nicht mehr zu denken.“ Ihr Augen wurden schmal, als sie ihr Gegenüber aufmerksam musterte. „Können Sie noch ein bisschen länger durchhalten, Agent?“

Seine Kiefer mahlten frustriert, aber er nickte. „Ich verstehe. Versprechen Sie mir nur, dass Sie mich nicht über die Klinge springen lassen, ok?“

„DiNozzo, niemand wird hier über die Klinge springen.“ Gibbs klang ernsthaft verärgert und die beiden ungleichen Männer starrten sich einen Herzschlag lang an. „Wir sind nicht hier hergekommen um deine oder Kates Leiche zu bergen. Man lässt niemanden zurück, hast du mich verstanden?“

„Verstanden Boss.“ Tony raffte sich sichtlich auf, sammelte seine verbliebene Entschlossenheit. „Dann folgt mir. Schnell. Wir holen Kate und dann nichts wie raus hier.“

Bevor sie den Saal verließen, tauschte Gibbs sein Maschinengewehr gegen die Einhandwaffe eines gefallenen Soldaten und auch die anderen bewaffneten sich mit fliegenden Fingern. In den schmalen Fluren des Komplexes würde ein sperriges Gewehr nur behindern, zumal es ihnen nur auf großen Distanzen einen Vorteil verschaffte. Hier, in dem Labyrinth aus Gängen und bei relativ dichtem Gefechtswechsel, würden die Einhandwaffen ihren Zweck besser erfüllen. Erst dann folgten sie DiNozzo hinaus.

Die Schritte der nachfolgenden Patrouillen waren bereits beunruhigend nahe gekommen, doch noch war keine Spur der feindlichen Soldaten zu sehen. Mit einem undefinierbaren Gefühl der Unwirklichkeit beobachtete Gibbs, wie Tony in einer sehr menschenuntypischen Geste den Kopf neigte, als würde er auf irgendetwas bestimmtes lauschen, ehe er sich für einen der dutzenden Gänge entschied, und der Senior-Agent knirschte voll mühsam gebändigtem Zorn mit den Zähnen. Was hatten diese Bastarde mit seinen Agents gemacht? Wie sehr er sich doch jetzt wünschte früher gehandelt zu haben und diese Geistergestalt von Krebskandidat erschossen zu haben. Aber geschehen war geschehen.

Wiedereinmal stahlen sie sich in aller Heimlichkeit von Gang zu Gang. Vermutlich würde sich keiner von ihnen in absehbarer Zeit wieder normal durch die Flure ihrer Dienststellen bewegen können... sofern sie denn in diese zurückkehrten. Auf ihrem ganzen Weg kamen sie an keinem einzigen Fenster vorbei und so häufig wie DiNozzo abrupt die Richtung wechselte, hatten die anderen schon sehr bald die Orientierung verloren. Es war gespenstisch, mit welcher Sensibilität der NCIS-Agent offenbar vorausahnte, wo ihnen feindliche Patrouillen begegnen würden. Er wechselte die Richtung ohne ersichtlichen Grund und meist gewahrte Gibbs erst dann die Schatten an den Wänden oder hörte Stimme und Schritte.

„Wie weit ist es noch?“ So sehr er es auch wollte, Gibbs konnte sein Misstrauen gegenüber dem so veränderten DiNozzo nicht gänzlich abstellen. Wenn er sie nun absichtlich in die Irre leitete...

„Wir sind da.“ Tonys verknöcherte Finger huschten über das digitale Ziffernschloss neben einer unscheinbaren Tür von vielen. Weshalb er den Code dafür besaß, konnte sich keiner von ihnen erklären und als habe der Agent die Gedanken seiner Begleiter erraten, gab er ihnen eine knappe Antwort, die keinen Zweifel daran ließ was es ihn gekostet hatte: „Ich habe sie in dem Glauben gelassen, dass sie mich bereits in einem solchen Grad beherrschen, dass sie mir keine Begrenzungen mehr auferlegen müssen. Sie davon zu überzeugen war schwierig... aber schließlich zahlt es sich nun aus.“ Der schwarze Film über seinen Augäpfeln waberte, dann drehte er sich wieder der Tür zu, die sich in diesem Moment mit einem leisen Zischen öffnete, so als herrsche in dem dahinter liegenden Raum ein anderer Druck, und ließ ihnen keinen weiteren Spielraum mehr für Spekulationen.

„Bitte erschreckt nicht, es geht ihr schlechter als mir.“

Trotz der Warnung ging der Anblick der zierlichen NCIS-Agentin allen bis ins Mark. Mulder stieß einen gemurmelten Fluch aus, während Gibbs in ohnmächtiger Wut die geballte Faust gegen die sich schließende Tür krachen ließ. Mit einem lauten Hallen fiel sie zurück ins Schloss. „Gott verfluche sie.“

Kate lag bis zum Hals in einem Bassin, dessen Inhalt wohl eher mit einer Art schmierigem Gel zu vergleichen war denn mit Wasser. Man hatte sie vollständig entkleidet und nichts verwehrte mehr den Blick auf die unzähligen Schläuche und Nadeln, welche von ihrem Körper ausgehend zu allerlei Gerätschaften führten. Tony hatte nicht untertrieben, es erging ihr ganz offensichtlich schlechter als ihm. Ihre Venen schimmerten schwarz unter ihrer pergamentdünnen Haut, ihre Knochen stachen dagegen deutlich hervor.

Scully beherrschte ihren Schrecken und die plötzlich auftretende Unsicherheit entschlossen. Sie trat an das Bassin heran und versenkte ihre Hände in der Flüssigkeit, um die Vitalfunktionen der Agentin zu prüfen. Ihre Finger glitten schnell und routiniert über ihren Körper. Die Flüssigkeit war angenehm warm, doch im Zusammenspiel mit der hier herrschenden Luftfeuchtigkeit trieb es Scully den Schweiß auf die Stirn.

Sie kämpfte mit ihren eigenen Erinnerungen, während sie die Agentin untersuchte und obwohl sie versuchte, diese Erinnerungen nie zu nah an sich heran zu lassen, stürzten diese Bilder hier und jetzt wie ein lebendig gewordener Nachtmahr über sie her und ließen sich nicht verdrängen. Wie sie selbst in einer ganz ähnlichen Situation gefangen gewesen war, ehe Mulder sie hatte befreien können. Nur dass sie selbst nicht in einer Forschungseinrichtung gewesen war, sondern tief unter dem arktischen Eis in einem Raumschiff. Sie schauderte. Nein, für ihren Geschmack lag all das noch viel zu nah in der Vergangenheit.

„Ihre Lebenszeichen sind vorhanden, aber sie ist schwach. Sehr schwach.“ Sie wechselte einen schnellen Blick mit Gibbs der deutlich machte, dass ein Tag Verspätung bereits zu spät gewesen wäre. Er bemühte sich sichtlich um Beherrschung, war aber schrecklich blass. Sah sie vielleicht auch so aus? Als habe sie soeben ihren eigenen Tod gesehen? Mit zitternden Fingern holte sie die Phiole mit dem Gegenmittel hervor, griff nach einer der noch verpackten Spritzen neben dem Bassin und zog sie mit konzentrierter Mine auf.

„Woher habt ihr es?“

Ein andern Mal, Tony. Du würdest uns diese Geschichte im Schnelldurchlauf eh nicht glauben.“ Gibbs grinste humorlos. Wäre er nicht bei all dem selbst anwesend gewesen, er würde nicht ein Wort dieser Geschichte glauben. Nicht einen Moment lang. Es bereitete ihm Übelkeit.

„Ich werde Agent Todd eine höhere Dosis verabreichen. Ich fürchte ansonsten wird sie nicht mehr ausreichend auf den Stoff reagieren.“ Scully drückte ihrem Partner die Phiole mit dem Rest des Mittels in die Hand, beugte sich über das Bassin und tauchte die zerbrechliche Spritze in die Flüssigkeit.

„Man hat sie darauf vorbereitet einen der genbehandelten Embryonen eingepflanzt zu bekommen.“, murmelte Tony leise, als Scully die Kanüle in die Halsbeuge der Agentin setzte und das Gegenmittel injizierte. „Ich hatte so sehr gehofft, dass ihr noch vorher hier herfinden würdet. Ich... ich wüsste nicht was ich sonst hätte tun können.“ Er trat neben die anderen an das Becken heran und blickte auf Kate hinab. Hoffend, bangend. Keiner von ihnen konnte sagen, was jetzt weiter geschah.

Es begann mit Krämpfen. Leichte Zuckungen zunächst, die sich jedoch rasant in heftige Muskelkontraktionen steigerten. Ein Schlauch riss, die gelartige Substanz schwappte über den Rand des Bassins. Dann schrillte der Alarm los.

„Haltet sie fest! Sie verletzt sich sonst noch selbst.“

Zu dritt versuchten sie die zuckenden Gliedmaßen zu fassen zu bekommen, doch die kleine Agentin entwickelte in ihrer Agonie eine ungeahnte Kraft, dass sie nicht zu halten war. Mulder taumelte von einem unerwarteten Schlag ins Gesicht getroffen zurück und auch Scully musste von der um sich schlagenden Agentin zurücktreten. Nur Gibbs kämpfte verbissen weiter um Halt.

Noch mehr von dem Gel trat über den Rand des Beckens, als Tony kurzentschlossen zu Kate hineinsprang. Er schob sich hinter sie, hob sie aus der Flüssigkeit, an welcher sie bereits zu ersticken drohte, und umschlang sie mit seinen Armen. Tatsächlich verlieh ihm seine Andersartigkeit scheinbar die nötige Kraft sie zu bändigen.

Kates Augen sprangen auf, verschleiert von den selben schwarzen Schlieren wie bei Tony. Dann stieß sie einen furchterregenden, klagenden Schrei aus. Die schwarzen Venen unter ihrer Haut bewegten sich, als wären sie von einem eigenen Leben beseelt, drohten das dünne Gewebe zu zerreißen.

„Sch, Kate beruhige dich. Komm zu dir, beruhige dich.“ Tony hielt sie eisern an sich gepresst, ihren Kopf zwischen seinem Kopf und seiner Schulter festhaltend. Immer wieder sprach er leise auf sie ein. „Es wird alles gut, Kate. Beruhige dich.“ Über all dem heulte noch immer das nervenzerfressende Kreischen des Alarms.

Langsam, ganz langsam begannen die Krämpfe schließlich abzuebben. Kates Augen wurden klar, ihr Blick schien sich auf den sie umgebenden Raum fokussieren zu können, und endlich verschwanden auch die schwarzen Venen. Sie atmete schwer, ihre Augen zuckten unruhig zwischen Scully, Mulder und Gibbs umher. Dann versank sie in gnädiger Bewusstlosigkeit.

Der Alarm war für einen Moment das einzige Geräusch in dem Labor, zu erschüttert waren die Agents von den letzten Minuten. Und sie standen vor einem neuen Problem.

„Ich werde sie tragen.“ Mit einem kurzen, bedauernden Blick auf Mulder, der die Phiole noch immer in den Hände hielt, und einem Anflug seines sonst so allgegenwärtigen Lächelns, fügte DiNozzo hinzu: „Ich werde wohl noch ein bisschen auf meine eigene Freakshow verzichten müssen.“ Damit rückte er den erschlafften Körper Kates auf seinen Armen zurecht und stieg aus dem Bassin. Das Gel glitt in langen Fäden von ihnen herab, klebte ansonsten aber wie hartnäckiger Schleim und gestaltete das Tragen als schwierig.

„Agent DiNozzo, ich muss Sie warnen! Wenn wir noch länger zögern kann ich nicht garantieren...“

Agent Scully.“ Tony musterte sie aus seinen pechschwarzen Augen, was sie beinah zurückweichen ließ. Nicht ein Funken Emotion konnte man aus diesen Augen ablesen. „Das ist mir durchaus bewusst, aber haben Sie eine bessere Idee, wie wir Miss Todd sonst hier hinausbekommen sollen?“

Natürlich hatten sie das nicht. Die Zeit verrann in beängstigender Geschwindigkeit und raubte ihnen die Möglichkeiten. Jeden Augenblick konnten die ersten Such-Patrouillen hier erscheinen und ihr schwache Hoffnung zu entkommen wäre dahin. Es glich ohnehin einem Wunder, dass sie bisher so unbehelligt geblieben waren. Vielleicht hatte Gibbs Recht gehabt mit seiner Vermutung, dass diese Basis ein Risiko darstellte, eine Geheimoperation von brisanter Bedeutung, und dass aus diesem Grund nur wenig Personal eingestellt worden war, um ein versehentliches Bekanntwerden zu verhindern. Sie alle konnten nur darauf bauen. Hintereinander verließen sie das Labor und traten zurück in den hell erleuchteten Flur.
 

(Erlaubt an dieser Stelle eine Frage: Der Titel des Kapitels... soll der so bleiben? Oder wäre 'Grauen der Wissenschaft' vielleicht besser?)



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  fahnm
2011-10-08T19:03:28+00:00 08.10.2011 21:03
Super Kapi^^


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