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Chaos On Tour

~~True Lies~~
von

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Tausend Scherben

Kapitel 25. – Tausend Scherben
 

Es war drei Uhr nachts und man hätte meinen können, dass ein gewisser Vocal schon längst seelenruhig in seinem Bettchen liegen sollte und friedlich am Schlafen war. Doch offenbar war dem nicht so.

//Wieso eigentlich immer ich?//

Gähnend schlurfte Miku durch den dunklen Flur seiner Wohnung. Mit halb geöffneten Augen tastete er sich vorsichtig zur Wohnungstür vor, die stechenden Schmerzen in Schulter und Rippen ignorierend. In Gedanken war er ganz damit beschäftigt, sich die beste Foltermethode für den Störenfried auszudenken, der es gewagt hatte, ihn mit dem schrillen Ton seiner Klingel zu wecken, wo er doch schon eine ganze Weile gebraucht hatte, um überhaupt einschlafen zu können. Er hatte nämlich nicht aufhören können, über seine Beziehung und Gefühle zu Kanon und Bou nachzudenken; wirklich vorangekommen war er in seiner Überlegung allerdings nicht wirklich. Er war sich auf alle Fälle sicher, dass er beide auf gar keinen Fall verletzen oder vernachlässigen wollte; er wusste auch, dass er noch immer etwas für Bou empfand. Der Kuss und die urplötzlich wieder aufkommenden, alten Gefühle hatten es deutlich gemacht. Doch zugleich liebte er Kanon, da war er sich hundertprozentig sicher.

Klar, er war sich bewusst, dass er seine eigenen Gefühle noch nie wirklich richtig deuten konnte – doch was sollte er denn machen?

„Jetzt muss erst einmal der Störenfried weg“, murmelte Miku völlig verschlafen, während er die Tür öffnete.

„Okay, ich habe eh nicht erwartet, dass du mir freudig und hellwach um den Hals springen würdest. Aber, so....“

Miku zuckte beim Klang dieser vertrauten Stimme zusammen und urplötzlich wich auch die restliche Müdigkeit aus seinen Gliedern. Überrascht blinzelnd sah er seinen Gegenüber an, der seltsamerweise etwas beleidigt dreinschaute. „Was machst du denn hier? Hast du mal auf die Uhr geguckt?“

Allerdings verdrängte er schon mal seine Folterpläne und umarmte seinen Freund liebevoll.

„Sorry, wenn ich dich geweckt haben sollte - “

„Yapp, das hast du.“

„ – aber ich muss dringend mit dir reden.“

„Kann das nicht bis morgen warten?“, maulte Miku, der verständlicherweise gerade überhaupt keine Lust verspürte, jetzt ein ernstes Gespräch zu führen. Doch auf Kanons niedergeschlagenen und drängenden Blick hin trat er ein Stück beiseite, um ihn eintreten zu lassen. „Komm rein.“

Kanon schenkte ihm als Dank ein müdes Lächeln und betrat die Wohnung; Miku schloss die Tür hinter ihm. Dunkelheit erfüllte den Raum. Er hörte, wie der Bassist sich seine Jacke auszog. „Miku. Es wäre sehr hilfreich, wenn du mal das Licht anmachen würdest.“

Der Angesprochene betätigte den Schalter neben sich an der Wand und blinzelte kurz, um sich an das so plötzlich gekommene, taghelle Licht zu gewöhnen. Nachdem Kanon seine Jacke am Haken aufgehängt hatte, folgte er dem Vocal ins Wohnzimmer und ließ sich dort auf die Couch nieder.

„Willst du was trinken oder so?“, fragte Miku.

„Nein, lass nur“, bedankte sich Kanon und bedeutete dem Vocal, sich zu ihm zu setzen.

//Wer ist hier eigentlich zu Hause?//, fragte sich dieser irritiert, doch er setzte sich brav neben den Schwarzhaarigen und betrachtete ihn. Von den blauen Flecken war nichts mehr zu sehen, sie waren offenbar nicht allzu schlimm gewesen; umso deutlicher erkannte man nun die Kratzer, die sein Gesicht zierten. Es waren nicht viele, und doch schon für Miku zu viele.

Zudem sah er ziemlich übermüdet und abgeschlafft aus.

„Und? Was gibt es so Dringendes?“, fragte er gespannt und legte seinen Kopf an die weiche Lehne der Couch, den Blick auf Kanon ruhend.

„Na ja...“ Dieser zögerte kurz. „Ich wollte mich wegen eben bei dir entschuldigen.“

Miku runzelte die Stirn und bemühte sich, seine Wut vor ihm zu verbergen, indem er sagte: „Das solltest du nicht mir sagen. Du hast mir zwar auch ziemlich wehgetan, aber im Gegensatz dazu, was du mit Bou angestellt hast, war das gar nichts. Warum bist du überhaupt auf ihn losgegangen? Verdammt, es war nur ein Kuss! Das hättest du doch anders regeln können.“

Kanon, der sich geschworen hatte, keinen Streit mit dem Vocal anzufangen, holte tief Luft. „Ich weiß doch selbst, dass es falsch war. Ich kann es doch jetzt auch nicht mehr rückgängig machen und entschuldigen wollte ich mich sowieso bei ihm.“

„Du hättest beinahe seine Gitarre zerstört“, bemerkte Miku kühl. Er war noch immer ziemlich wütend auf den Schwarzhaarigen, doch er wusste auch, dass dieser das alles nicht gewollt hatte.

„Ich weiß.“ Kanon für sich mit beiden Händen durchs Haar und blickte starr und abwesend geradeaus. „Und ich werde die Reparatur natürlich bezahlen.“

//Das ist ja wohl auch das Mindeste//, schoss es Miku durch den Kopf und dachte an den armen Bou, der sich immer so rührend und liebevoll um seine E-Gitarre gekümmert hatte. Von der der Blondschopf keine Ahnung hatte, wer sie ihm geschenkt hatte.

„Wann willst du es ihm endlich verraten?“ Miku hob ein wenig den Kopf und sah Kanon an, der sich ihm fragend zugewandt hatte.

Der Vocal zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht. Ich denke mal, dass das momentan das kleinste Problem ist.“

„Stimmt“, sagte Kanon.

Miku schwieg.

Er betrachtete seinen Freund, der seinen Blick gedankenverloren auf den hellen Lamynaht-Boden gerichtet hatte. Cool und lässig wie sonst wirkte er nicht und es schien, als wäre alles Leben aus ihm gewichen. Und so hatte Miku ihn noch nie erlebt.

Bisher hatten sie jeder jeweils in einer Ecke der Couch gesessen, nun krabbelte Miku auf allen Vieren und mit einem lieben Lächeln im Gesicht zu ihm. Dort angekommen legte er seinen Kopf auf die Seite, sodass er genau in Kanons Augen schauen konnte.

Kanon stutzte und Miku machte innerlich einen Freudensprung, denn er hatte es geschafft, zumindest ein kleines Lächeln in das düstere Gesicht des Bassisten zu zaubern.

Ohne, dass einer von den beiden auch nur ein Wort verlor, hatte Kanon sich ordentlich hingesetzt und Miku sich mit dem Kopf in seinen Schoß gekuschelt, die Arme um die Hüfte des anderen gelegt und mit den Händen immer wieder über den Rücken streichend. Kanon fuhr ihm sanft durchs Haar.

Miku schloss die Augen und genoss die kleine Streicheleinheit.

Er hoffte, dass er Kanons Zustand damit wieder normalisieren konnte.

//Er muss ein richtig schlechtes Gewissen haben...okay, das ist auch verständlich. Er sollte auch eins haben, denn so geht man nicht mit seinen Freunden um...und doch will ich ihn endlich wieder lachen sehen...im Grunde genommen bin ich ja Schuld an seiner momentanen Gefühlslage. Wenn ich Bou doch nur von mir gestoßen hätte...obwohl...dann hätte ich ja Bou verletzt...Kami, ist das kompliziert...//

„Miku“, hörte er nach einer Weile Kanons Stimme leise sprechen, welcher einfach nicht aufhören konnte, dem Blonden pausenlos durchs Haar zu streichen und ihn dabei unentwegt zu beobachten und sich immer wieder fragte, wie man nur so verdammt niedlich aussehen konnte. „Kann ich dich mal was fragen, worauf ich auch eine ehrliche Antwort bekomme?“

„Klar.“

Bevor er seine Frage stellte, wanderte er mit seiner Hand vom Kopf des Vocals etwas unterhalb dessen Schulter, wo sie verharrte. Miku wollte sie gerade wieder zurück auf seine Haare legen, damit er weitergestreichelt wurde, doch dann setzte sein Herz für einen Moment aus, als er Kanons Frage vernahm.

„Empfindest du noch immer was für Bou?“

„Ach, Kanon“, seufzte Miku und setzte sich neben den Schwarzhaarigen, sodass er ihn nun problemlos ansehen konnte. „Das ist nicht nett von dir.“ Leicht lächelnd strich er ihm eine Strähne, die sich in sein Gesicht verirrt hatte, hinters Ohr.

„Das ist es vielleicht auch“, meinte Kanon und ließ sich von der kleinen Hand nicht stören, die noch immer irgendwo in der Nähe seines Ohres verharrte. „Aber ich denke, dass ich ein Recht habe, es zu erfahren. Oder? Außerdem kenne ich die Antwort bereits, ich will es nur noch von dir selbst hören.“

„Kanon, was...“

„Nein, Miku.“ Kanon schüttelte traurig den Kopf, während er die verirrte Hand zurück zum Besitzer brachte, welcher ihn völlig verpeilt ansah. „Ich hatte dir heute doch schon gesagt, dass Bou dich wahrscheinlich mehr liebt als ich es jemals könnte. Und weißt du auch, warum ich das weiß?“ Miku schüttelte den Kopf. „Bou und ich haben vor einigen Tagen miteinander geredet, das war kurz nach deinem Geburtstag. Er meinte zu mir, dass er es ertragen könnte, dass du mit mir zusammen bist und dass er uns sogar unterstützen würde, solange du nur glücklich wärst.“

„Nani?“, keuchte Miku entsetzt. Bou hatte ihm zwar selbst gesagt, dass er alles machen würde, um den Vocal glücklich zu machen. Doch es jetzt noch einmal von Kanon zu hören, irritierte ihn nun noch mehr.

Kanon wich seinem verwirrten Blick aus. „Wir haben es sogar geschafft, uns danach nicht mehr zu streiten. Na ja, bis heute. Wenn ich Bou gewesen wäre, hätte ich das nicht ausgehalten; um ehrlich zu sein, ich hätte alles versucht, um dich wieder für mich zu gewinnen – koste es, was es wolle. Ich bewundere ihn, wie leicht er damit umgehen kann. Natürlich erinnere ich mich noch an den Morgen in Paris, als ich ihn mit aufgeschlitzten Armen in seinem Bett halb bewusstlos und völlig verheult gefunden hatte. Er ist seitdem sehr stark geworden, Miku. Das muss dir doch auch schon aufgefallen sein.“ Kanon senkte ein wenig die Stimme. „Im Gegensatz zu ihm bin ich nichts.“

„Sag doch so was nicht!“, rief Miku panisch. Er hatte Kanon bis jetzt geduldig zuhören müssen, der so vieles gesagt hatte, was ihm selbst noch nicht einmal aufgefallen war. „Wie hätte ich mich denn sonst in dich verlieben können, wenn du nichts wärst? Du bist so ein Baka, Shinya! Jeder Mensch hat andere Charakterzüge, das ist bei dir und Bou doch genauso. Gerade deine Coolness und wie locker du an Probleme herangehst, an die ich mich nie wagen würde! Deine Ernsthaftigkeit! Das sind alles Dinge, die ich gerade an dir interessant finde!“

„Aber, Akiharu! Es ist jetzt schon zwei Mal passiert, dass ich mich selbst nicht mehr zurückhalten konnte und dich verletzt habe.“

Mikus Herz schmerzte; er sah, wie die tiefschwarzen Augen des Bassisten sich allmählich mit Wasser füllten. Er wollte etwas sagen, doch er spürte, dass Kanon noch nicht fertig war.

Es dauerte allerdings einen Augenblick, bis dieser weitersprach. Miku schien es, als würde er mit sich selbst ringen.

Kanon zog ihn wieder zu sich und nahm ihn fest in die Arme. Er wusste, dass der Vocal ihn gleich brauchen würde. Und er würde den Vocal brauchen.

„Miku. Ich habe einen Entschluss gefasst, der mir wirklich nicht leicht gefallen ist. Aber ich will nicht riskieren, dich durch meine Unkontrolliertheit über mich selbst zu verletzen.“ Er schloss die Augen und holte tief Luft. „Ich trenne mich von dir.“
 


 


 

Wenn Kanon auch nur ansatzweise gedacht hätte, dass der Kleine in seinen Armen sich nun mit Händen und Füßen sträuben würde, so wurde er enttäuscht.

Miku hatte einen Augenblick gebraucht, bis er das Gehörte überhaupt realisiert hatte, und fühlte sich wieder in die Zeit nach Bous Trennung zurückkatapultiert; seinen Tränen ließ er freien Lauf.

Es schmerzte und zunächst konnte er einfach nicht begreifen, wieso sich Kanon von ihm trennte. Ausgerechnet Kanon, der ihn doch angeblich sehr liebte.

Doch dann fiel ihm wieder ein, dass Kanon gesagt hatte, er hätte Angst, ihn noch mehr zu verletzen.

Miku drückte den Bassisten fest an sich, der zu zittern angefangen hatte. „Das ist nicht fair“, flüsterte er leise; er schmeckte die salzigen Tränen auf seinen schmalen Lippen. Ob sie nun von ihm oder Kanon waren wusste er nicht. „Das ist einfach nicht fair.“

Wieso hatte er sich nur in Kanon verliebt?

Dieses Gefühl war zwar schön, und doch hatten sie sich in der letzten Zeit ziemlich oft gestritten. Miku konnte es einfach nicht begreifen, aber er wusste, dass es besser so war.

Außerdem war da ja noch die Tatsache, dass er offenbar noch immer Gefühle für Bou hegte. //Wieso muss ausgerechnet ich zwei Menschen lieben? Ich habe doch eh schon Schwierigkeiten, mit meinen Gefühlen umzugehen...//

Nach einer Weile versiegten die Tränen der beiden.

Miku fuhr sich mit dem Handrücken übers Gesicht, um auch die letzten Tränen wegzuwischen. Dann tat er das Gleiche bei dem Schwarzhaarigen, dessen Augen vom Weinen schon ganz rot geworden waren. Der Vocal wusste, dass er nicht besser aussah.

Ihre Blicke trafen sich.

„Shinya. Ich...ich bin einverstanden.“

„Aki...“

Erneut lagen sie sich in den Armen; doch dieses Mal hielten sie ihre Tränen zurück. Beide wollten dem anderen nicht zeigen, wie sehr es schmerzte. Sie waren sich sicher, dass man es so am Besten überwinden konnte.
 

Die kahlen Äste der Bäume schwangen geräuschlos im starken Wind hin und her und der Regen peitschte auf die hektisch umher laufenden Passanten ein, die den Fehler begangen hatten, an diesem stürmischen Tag, der regelrecht zum Frieren einlud, raus ins Freie zu gehen.

Kanon verlängerte seine Schritte, als er vor sich sein Ziel entdeckte.

Er wusste selbst nicht genau, was ihn ausgerechnet heute, zu dieser Stunde, hierhin verschlagen hatte. Vielleicht lag es einfach nur an seiner Langeweile und seiner Unruhe. Oder aber doch an seinem schlechten Gewissen.

An der Haustür angekommen, holte er einmal tief Luft und drückte dann auf ein Klingelschild mit der Aufschrift: Kazuhiko. Kurz darauf ertönte ein leises Surren und die Tür schwang auf. Kanon trat ein, schüttelte sein schwarzes Haar und Wassertropfen, die kleinen Perlen glichen, stoben davon.

Einen Fuß vor den anderen setzend näherte er sich der Treppe, welche er bis in den dritten Stock folgte und dort vor der gewünschten Wohnungstür stehen blieb.

Kanon überlegte, ob er vielleicht doch wieder gehen sollte, doch kaum hatte er dies gedacht, öffnete sich die Tür auch schon und ein zerknittert aussehender Blondschopf öffnete die Tür.

Kanons Laune sank, so weit es überhaupt noch möglich war, auf einen noch tieferen Punkt, als er die Auswirkungen seiner Schläge in Bous Gesicht entdeckte.

Bou stutzte, als er erkannte, um wen es sich bei seinem unangekündigten Besucher handelte.

„Was willst du?“, fragte er ein wenig ungehalten, denn er hatte momentan gar keine Lust, mit dem Schwarzhaarigen zu sprechen.

Kanon lächelte leicht. Er hatte Bous Reaktion schon geahnt. „Ich wollte mich bei dir entschuldigen.“

„Das hast du ja jetzt.“ Bou funkelte ihn an und wollte schon die Tür wieder schließen, doch Kanon wusste dies mit seinem Fuß zu verhindern, indem er ihn zwischen Tür und Rahmen stellte. „Was ist denn noch?“, stöhnte Bou genervt. „Wenn du mich wieder schlagen willst, dann - “

„Das will ich doch gar nicht!“ Kanon seufzte und sah den Blonden ruhig an. „Bitte. Lass mich rein.“

Zunächst rührte Bou sich nicht, sondern bewarf den Bassisten weiter mit bösen Blicken, doch kurz bevor Kanon schon von ihm ablassen und wieder gehen wollte, trat Bou einen Schritt beiseite. Dankend betrat der Schwarzhaarige die Wohnung und folgte dem Kleinen ins Wohnzimmer, wo sie sich an den Tisch setzten.

Bou hatte seine Beine übereinander geschlagen und wackelte ungeduldig mit dem Fuß, den Blick auf die weiße Tischplatte gerichtet. Doch Kanon merkte genau, dass er haarscharf im Auge behalten wurde. Er blickte auf die Blessuren im sonst so makellosen Gesicht des Kleinen. „Wie geht es dir?“

Bou lachte leise auf. „Das fragst ausgerechnet du?“

Kanon seufzte. „Bou, gomen nasai. Ich weiß, dass das ein großer Fehler war und es wird nicht noch einmal passieren. Das musst du mir glauben. Mit mir ist es einfach...durchgegangen.“

„Kanon.“ Bou blickte auf. „Wie soll ich dir bitte schön glauben, wenn du mich vor zwei Tagen regelrecht niedergeschlagen hast? Meiner Gitarre geht es auch nicht wirklich besser! Ich kann von Glück sagen, dass sie `nur’ angeknackst ist.“

„Schick die Rechnung an meine Adresse.“

„Nein, das geht schon“, wehrte sich Bou, doch Kanon blieb hart und schließlich stimmte er doch zu; auch er wollte sich mit ihm wieder vertragen.

„Das ist das mindeste, was ich tun kann“, sagte der Bassist und lehnte sich zurück. „Ich kann es nicht wieder gutmachen, dass ich auf dich losgegangen bin. Vor allem nicht, dass AnCafé erst einmal aussetzen muss.“ Kanon senkte traurig den Blick.

„Keine Sorge, ich bekomme in den nächsten Tagen eine Leihgitarre. Und ein paar erholsame Tage können wir uns momentan schon leisten.“ Bou lächelte leicht. „Mann, Kanon. Du hörst dich ja schon an wie Teruki.“

Kanon schwieg.

//Wenn das so weitergeht, verrate ich ihm am Ende noch, dass die Gitarre von Miku ist...und das kann ich auf gar keinen Fall machen. Ich habe es Miku doch versprochen...// Sein Blick wurde trüb, als er an den niedlichen Vocal denken musste.

„Kanon.“

Der Angesprochene schreckte aus seinen Gedanken auf und sah den Blondschopf fragend an, der aus irgendeinem Grund noch trauriger und deprimierte dreinschaute als zuvor.

„Ich...ich muss dir was sagen.“ Ihre Blicke trafen sich kurz. „Teruki habe ich es schon gesagt und du wirst an meinem Entschluss auch nichts mehr ändern können.“

„Welchem Entschluss?“, fragte Kanon ein wenig irritiert, doch Bou schien ihn nicht gehört zu haben.

„Ich habe es mir gründlich überlegt und es ist besser so. Besser für alle. Vor allem für Miku.“

„Mensch, Bou! Wovon redest du?“

„Kanon!“, rief der Blonde nun weinerlich und sah ihn an. „Ich trete aus!“

„Was?!“ Die dunklen Augen des Bassisten weiten sich. Geschockt sah er den Blondschopf an und meinte, sich verhört zu haben. Doch die Traurigkeit des anderen sprach für sich. „Warum?“

„Ich halte es einfach nicht mehr aus, dich mit Akiharu zu sehen“, sagte Bou leise. „Und es macht mir auch ehrlich gesagt keinen Spaß mehr. Schließlich habe ich euch beide verletzt und ich möchte nicht noch mehr falsch machen.“

„Aber du hast doch nichts falsch gemacht!“

„Kanon! Ich meine es ernst!“, rief der Kleine. „Ich habe mich auch schon nach einem neuen Gitarristen umgesehen und einen gefunden, der zu AnCafé passt. Ihr müsst ihn euch nur noch anhören! Du kennst ihn auch schon.“

Nachdem Kanon erfahren hatte, wer der neue Gitarrist werden sollte, war er erst einmal sprachlos. Er wollte nicht, dass der Blonde austrat – auch, wenn sie sich seit über einem halben Jahr nur gestritten hatten und es dann sogar zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung gekommen war. Trotz allem wollte er Bou nicht als Freund verlieren und erst recht nicht als Bandkollegen.

Aber er wusste auch, dass er ihm diesen Entschluss, so absurd er auch klang, nicht ausreden konnte. Wenn Teruki es schon nicht gekonnt hatte, dann konnte es keiner.
 

Vier Tage nach jenem unglücklichen Tag konnten sie endlich weiterproben.

Bous schöne Gitarre war zwar noch immer kaputt, doch er hatte vom Label eine gestellt bekommen. Es war zwar nicht die beste, doch sie würde ihren Zweck erfüllen; zudem hatten sie keine andere Wahl.

Stumm lauschten Miku, Kanon und Teruki dem fremden Klang der Gitarre, an die Bou sich gerade zu gewöhnen versuchte. Ihnen entging auch nicht das geknickte Gesicht, das der Kleine aufgesetzt hatte. Seufzend ließ der Blonde sein Instrument sinken.

„Sie hört sich so anders an“, fing er an zu maulen und sah die anderen verzweifelt an. „Und sie liegt auch ganz anders in meiner Hand.“

„Ach, komm, Bou.“ Teruki ging zu ihm und drückte ihn leicht an sich. „Du überlebst das schon“, versuchte er ihn wieder aufzubauen.

„Da wird mir wohl nichts anderes übrig bleiben“, murmelte Bou leise zurück und strich kurz über die dunkle Oberfläche der E-Gitarre. Teruki klopfte ihm noch einmal aufmunternd auf die Schulter, ehe er hinter seinem Schlagzeug verschwand.

Daraufhin hängte sich Kanon den schwarzen Ledergurt, der mit kleinen Sternchen verziert war, über die Schulter und positionierte sich, während Miku nach dem pinken Mikro griff.

Zunächst erklang die Melodie von Renai Game ein wenig steif, vor allem die Gitarre schien ein wenig unkonzentriert zu sein, doch kaum hatte Miku mit seinem Gesang eingesetzt, schien sich dies in Luft aufzulösen.

Miku bemühte sich sichtlich, seine Konzentration zu halten. Immer wieder schweiften seine Gedanken zu Kanon. Sie hatten sich seit ihrem Trennungsgespräch nicht mehr gesehen, geschweige denn miteinander telefoniert. Zunächst hatte Miku eine wahre Achterbahnfahrt von Gefühlen durchleben müssen. Es hatte ihn schwer getroffen, dass ihre Beziehung noch nicht einmal einen Monat gehalten hatte, und vor allem der Grund für die Trennung hatte ihn beschäftigt. Ihm war sogar aufgefallen, dass Kanon nur dann ausgerastet war, wenn es um

ihn – Miku – ging. //Es ist besser so, wenn es vorbei ist...//

Doch vor allem war er sich seiner momentanen Gefühlslage bei Bou unsicher. Liebte er ihn immer noch oder ließ er sich nur von der Vergangenheit mitreißen?
 

Nach drei Stunden legten sie eine Pause ein.

Erleichtert hüpfte Miku vom Verstärker und organisierte sich aus einer Kiste neben dem Kühlschrank eine Wasserflasche, die er auch sofort öffnete und dessen Inhalt gierig in sich hineinschüttete.

„Uhm...Miku?“

Immer noch trinkend drehte sich der Angesprochene zu Bou um, der ein wenig verschüchtert zu ihm aufblickte. „Ich muss dir was sagen.“

Miku stellte die Flasche auf den Tisch und folgte dem Blonden in den Nebenraum, wo er auf die Couch gedrückt wurde.

Irritiert sah Miku ihm zu, wie er nervös vor ihm stand und den Blick unruhig umherschweifen ließ. Er fragte sich, was mit dem Kleinen los war. Doch konnte es noch schlimmer kommen als ein weiteres Liebesgeständnis?

„Akiharu.“ Bou beugte sich zu ihm vor, die Hände auf der Schulter des Vocals ruhend, und sah ihn eindringlich an. Miku erschrak über den Blick, denn so ernst hatte er ihn noch nie erlebt. „Bitte, versprich mir, dass du mich nicht zu überreden versuchst - egal, was ich jetzt sage.“

„Bou, was...“ Miku sah ihn völlig verpeilt an.

„Versprich es mir einfach“, wiederholte Bou seine Bitte.

„Gut, ich verspreche es; auch, wenn ich nicht weiß, worum es geht.“

„Das ist auch gut so.“

„Nani?“

Bou wich seinem Blick aus. „Wenn du wüsstest, was ich dir gleich sagen werde, hättest du mir nie dieses Versprechen gegeben. Das weiß ich.“

„Ich kapier’ jetzt gar nichts mehr!“, rief Miku verzweifelt. „Du - “

„Ich trete aus.“

„ – kannst mich doch nicht einfach so überrumpeln! Außerdem....“ Mikus Gesicht wurde kreidebleich – was wohl daran lag, dass er für einen Moment völlig vergaß zu atmen -, als er realisiert hatte, was Bou da gerade zu ihm gesagt hatte. Geschockt sah er ihn an. „M-meinst du das ernst?“

Bou nickte traurig, sah ihn weiterhin nicht an, sondern hielt den Kopf gesenkt, sodass die Haare wie ein weißer Vorhang sein Gesicht verdeckten. „Mir wird das einfach zu viel und es macht auch keinen Spaß mehr; wenn ich nicht mit dir zusammen sein kann, kann ich es auch nicht mehr ertragen, in der Band zu sein. Und Kanon und ich...da ist wohl einfach einer fehl bei AnCafé. Du und Teruki könnt unsere Meckerei doch schon länger nicht mehr ertragen und ehe AnCafé ganz untergeht, trete ich lieber aus. Teruki und Kanon wissen es schon.“

„Aber, Bou!“, rief Miku nun völlig panisch und sprang auf. Bou stolperte erschrocken ein paar Schritte zurück. „Das kannst du doch nicht machen! Denk doch mal an die letzten vier Jahre! Das kann doch alles wieder in Ordnung kommen! Wir stehen das gemeinsam durch! Von mir aus können wir uns auch eine kurze Auszeit nehmen! Wir haben so viel Zeit und Mühe in AnCafé gesteckt und soviel zusammen erlebt und durchgestanden! Guck doch mal, wo wir heute stehen! Bedeutet dir das etwa nichts?“

„Akiharu. Mir bedeutet das wohl was. Außerdem kann AnCafé sich keine Pause gönnen, so klein sie auch sein mag.“ Bou sah ihn mit Tränen in den Augen an; seine Stimme zitterte. „Du hast mir versprochen, dass du so was nicht sagst.“

„Aber da wusste ich noch nicht, was du mir sagen willst!“ Miku war verzweifelt. „Außerdem wäre ich ein richtig schlechter Bandkollege und erst recht ein schlechter Freund, wenn ich das nicht versuchen würde! Mensch, Bou! Du kannst das doch nicht machen!“ Mikus Augen brannten. „Wenn du nicht mehr dabei bist, macht es mir keinen Spaß mehr. Dann trete ich auch aus!“

„Das kannst du nicht machen!“ Bou sah ihn flehend an. „Wenn du die Band verlässt, geht dein Traum kaputt! Akiharu. Gitarristen wie mich findet ihr wie Sand am Meer; aber so emotionale Sänger wie dich gibt es so gut wie nie! Wirf dein Talent nicht weg, Akiharu! Gerade du bist es doch, der AnCafé das gibt, was es ausmacht. Wer hat denn die Wörter Nyappy, Popo und Tiramisu und deren Bedeutung erfunden und heitert Menschen mit seinem unwiderstehlichen Grinsen auf? Ich ganz bestimmt nicht!

Deine Songtexte geben die Botschaft wider, die AnCafé verkörpert! Das Line Up ist da doch völlig egal! Und gerade du strotzt nur so vor Oshare Kei!“

„Bou, was redest du da? ICH sollte es doch sein, der so was jetzt zu dir sagt! Außerdem sind wir nicht umsonst eine Oshare Kei - Band. Jeder hat einen bestimmten Teil von sich in AnCafé reingesteckt. Da bin ich bestimmt nicht der Einzige!“

„Akiharu! Weißt du, was wirklich Oshare Kei ist? Dass man sich, auch wenn man nur ein bischen Mut aufweisen kann, alles gibt und sich niemals unterkriegen lässt, wenn man hart genug an sich arbeitet, dass man sich dann zum Positiven verändern und stärker werden kann – und das nicht allein, sondern mit Menschen, die man wirklich liebt. Dass man alles, was man investiert, tausendfach zurückbekommt und mit Phantasie der Welt Farbe geben kann und alles dadurch erträglicher machen kann, um sich selbst zu verwirklichen – DAS ist Oshare Kei! Und das ist auch die Botschaft von AnCafé! Und das bist du!“

„Du bist genau so wertvoll für AnCafé wie ich, Saitou!“ Um Miku herum drehte sich alles; wieso war Bou nur so darauf besessen, auszutreten? „Du bist ein wichtiges Mitglied für AnCafé und das Line Up ist mir nicht egal! Wir sind so gute Freunde geworden und wenn du jetzt austrittst, werden wir uns kaum noch sehen können! In gut zwei Monaten ist unsere nächste Nippon-Tour! Wie stellst du dir das denn bitte schön vor? Wir können jetzt doch nicht zum Manager gehen und sagen: `Hallo, wir müssen die Tour absagen, weil wir einen Gitarristen verlieren und wir auch so schnell keinen finden’? Wer weiß, ob AnCafé überhaupt bestehen bleibt! Und bevor du austrittst, werde ich austreten!“

Hinter sich hörte er, wie dir Tür aufging und Kanon und Teruki eintraten. Da Bou und Miku nicht gerade leise geredet hatten, war ihnen das Gespräch auch nicht entgangen. Zunächst hatten sie die beiden in Ruhe lassen wollen. Doch als sie merkten, wie sehr Miku nun auch austreten wollte – offenbar aus Protest Bou gegenüber – hatten sie sich nicht mehr länger beherrschen können.

„Du wirst unseren Traum auch zerstören, wenn du ebenfalls austrittst, Akiharu“, sagte Teruki ruhig. „Denn Kanon und ich wollen weitermachen, wir wollen nicht, dass die letzten Jahre umsonst waren. Du hast es doch selbst gesagt, Miku. Das ist es einfach nicht wert. Und es heißt doch auch nicht, dass du die Freundschaft zu Bou verlieren wirst.“

„Ich will auch nicht, dass du gehst.“ Kanon sah ihn traurig an. „Du machst dich damit nur selbst kaputt, Miku. Denk doch mal nach, was du den Cafekos damit antun würdest. Es wird, denke ich, wohl unvermeidlich sein, dass wir erst einmal nur Protestschreie hören werden, wenn wir Bous Austritt bekannt geben. Aber es wird uns stärker machen; sowohl jeden Einzelnen als auch die Gemeinschaft.“

„Leute, ich...“ Miku konnte nicht weitersprechen; er merkte, dass Teruki und Kanon es wohl aufgegeben haben mussten, Bou umzustimmen. Und er allein würde da auch nicht viel ändern können. Es war einfach nur zum heulen.

Bou kam auf ihn zu und nahm ihn in die Arme.

„Bitte, Akiharu“, sagte er leise. „Mach es mir nicht noch schwerer, als es ohnehin ist. Ihr werdet bestimmt auf musikalischer Ebene aufsteigen und in den Oricon-Charts weiterhin für mächtigen Wirbel sorgen. AnCafé hat Zukunft, Miku. Zerstöre sie bitte nicht, indem du auch noch gehst.“

Miku spürte seine warme Hand, die ihm beruhigend über den Rücken fuhr.

//Bou wirkt so stark...//, schoss es ihm traurig durch den Kopf. //Wieso bin ich nicht genau so stark? Muss ich es nicht eigentlich sein, der ihn tröstet und wieder aufbaut? Schließlich will er doch austreten...nur, weil er meine Nähe nicht mehr ertragen kann und sich wegen mir nicht mehr so gut mit Kanon versteht...verdammt!!//

Miku hielt es nicht mehr länger aus.

Er riss sich von dem Blondschopf los, ließ sich auch nicht von Kanon und Teruki aufhalten und rannte davon.



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2008-12-04T14:00:57+00:00 04.12.2008 15:00
das.. ist traurig ;____;
ich kämpfe mit den tränen. weiß nicht wieso ._.
Von:  VL
2008-10-24T22:31:32+00:00 25.10.2008 00:31
OMG das du es soweit mit Kanon kommen lässt ey neee ;____;
*fiebz*
niich~ QQ
*dropz* ach menno~ hm hai das mit Bous autritt ist sehr schön emotional geschrieben <33
bin gespannt wies weitergeht <3
*knuddl*
mach weiter sou super und sorry das mein kommi erst sou verspätet kommt <33
Von: abgemeldet
2008-10-20T18:59:16+00:00 20.10.2008 20:59
Oh man ich muss mich jez erstmal sammeln..
Ich heule hier gerade weils so emotional is =/
Ich will nicht das Bou geht T___T
aber es muss ja sein =((
Ich will trotzdem nich.. <'3
-tränen wegwisch-
Wah tat es gerade gut zu heuln =(
Ach maaannnoo.. aber wieso musste sich Kanon auch noch von Miku trennen?
Ich fühle mit ihm richtig mit.. erst Kanon und jez auch noch Bou weg :(

Aber ich warte aufs nächste Kapi.. <33
hdgdl -knuffZ-
Von:  Naka
2008-10-20T16:02:18+00:00 20.10.2008 18:02
Das Kanon sich von Miku trennt war wohl nur eine Frage der Zeit... ._.
aber das mit Bou ist genauso hart wie ichs dachte
...man fühlt so richtig mit Miku mit. T_T
ich könnte mir auch vorstellen das der echte Miku schon so reagieren könnte, auch wenn da (vllt) keine Liebesgeschichte war~
Ich warte auf jeden Fall schon sehnsüchtig aufs nächste Kapi ^_~

chu~
Na
Von:  Anini
2008-10-19T19:38:15+00:00 19.10.2008 21:38
*heul*
Man erst trennt Kanon sich von Miku
dann steigt Bou aus....
>___<
Das is nicht fair...ich wusste zwar das das bald
kommen würde...aber es trifft einen dann doch.
Ich freu mich aufs nächste kapitel

Liebe Grüße
Aki-chan


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