Wozu die Ewigkeit? (Original, Satz 15)
Ständig wurde er von Minuten, Stunden, Tagen, Monaten, Jahren, Jahrhunderten und Äonen verfolgt.
Die Zeit jagte ihm, folgte ihm auf den Fersen wie ein Bluthund, der seine nahe Beute witterte.
Doch auch diesmal würde er entkommen. Zufrieden sah er zu dem hellhäutigen Körper, welcher in der Mitte der Hütte auf dem Tisch lag.
Diesmal hatte er einen jungen Mann gewählt, mit braunen kurzen Haaren und grünen Augen. Er wusste nicht, wie diese Person hieß, als was sie lebte, oder gar wie alt sie war. Aber das war auch unwichtig.
Er wollte schließlich kein Schwätzchen mit dem Kerl halten.
Sorgfältig wog er noch ein wenig fein gehackte Alraunenwurzel ab und gab sie in den blubbernden Topf. Es zischte leise und die Farbe der enthaltenen Flüssigkeit änderte sich von pechschwarz zu tiefgrün.
Er füllte eine Kelle damit und ließ ihren Inhalt langsam wieder zurücktropfen. Wunderbar, die Konsistenz war fast schon richtig. Er musste das Ganze nur noch etwas köcheln lassen.
Gedankenversunken wandte er sich wieder der Person auf dem Tisch zu. Deren Augen waren in Bewusstlosigkeit geschlossen – und wenn sie sich wieder öffneten, würde der Körper ihm gehören.
Er lächelte, als er daran dachte, wie er den jungen Mann hierher gelockt hatte. Es war so einfach gewesen, so furchtbar leicht.
Kaum war man ein guter Heiler, schon glaubten die Leute man hätte Großmut und Herzlichkeit praktisch gepachtet. Medizin für seine arme kleine Schwester hatte er haben wollen. Alles würde er dafür tun hatte er gesagt.
Sofort waren die beiden ins Geschäft gekommen. Der junge Mann musste einfach nur einen Trank des Heilers trinken – ein Rezept, was dieser ausprobieren wollte wurde ihm erklärt – und dafür verpflichtete sich der Greis die kleine Schwester zu kurieren.
Kaum dass der letzte Tropfen seine Speiseröhre hinunter rann, war der Selbstlose in ein Koma verfallen, aus dem er nicht mehr erwachen würde.
Und das hatte er selbst zu verschulden, denn der Trank wirkte nur, wenn man ihn freiwillig zu sich nahm.
Die Aufopferungsbereitschaft der Menschen war ihr Untergang. Das hatte der alte Kräuterkundler schon vor langer Zeit festgestellt. Wann genau, daran konnte er sich nicht mehr erinnern.
Allgemein verblassten und verwischten seine Erinnerungen zunehmend. Hätte ihn jemand nach dem Jahr seiner Geburt gefragt, er hätte nicht mehr antworten können.
War es vor neunhundert Jahren gewesen? Tausend? Oder noch mehr?
Nun, auf jeden Fall war es schon sehr lange her.
Vage erinnerte er sich an ein Dorf aus schiefen Lehmhütten, an eine Frau, die ihm etwas zu essen gab, an Kinder, mit denen er spielte.
Es waren keine unglücklichen Erinnerungen, aber auch diese Leute waren zu schwach gewesen, zu schwach um zu erkennen, dass das Altern kein freudiges Ereignis war, dass jedes neu durchlebte Jahr den frischgeborenen Menschen dem Tode näher brachte.
Er hatte versucht ihnen zu helfen, ihnen Vernunft einzubläuen, aber sie hatten abgelehnt. Als er nach dem Grund dafür gefragt hatte, sie förmlich angeschrien hatte ihr Leben nicht einfach davon zuwerfen, hatte nur einer von ihnen ihm geantwortet.
Er wusste nicht mehr, wer es gewesen war, aber das einzelne Wort hatte sich fest in sein Gedächtnis geprägt.
‚Wozu?‘
Er hatte damals nicht verstanden, was mit dieser kurzen Frage gemeint war, und er verstand es auch heute nicht.
Warum waren sie so klaglos gestorben? Wieso hatten sie stattdessen nicht das Leben gewählt? Es war doch so einfach, so einfach, wenn man wusste wie.
Inzwischen hatte sich die Färbung des Gebräus auf dem Ofen in ein sattes Azurblau verwandelt.
Zufrieden nahm er es aus der Hitze und roch noch einmal zur Kontrolle. Genau richtig.
Er nahm sich zwei der Teeschalen, die er bereit gestellt hatte und füllte sie mit dem Trank. Dann stellte er sie zum Auskühlen beiseite.
Die restliche Flüssigkeit verteilte er auf dem Körper, der schon bald der seine sein würde. Nicht willkürlich, sondern in exakt fest gelegten Mustern und Symbolen fuhr er mit einem angefeuchteten Finger über die nackte Haut.
Anschließend hob er leicht den Kopf des jungen Mannes und flößte ihm den Inhalt einer der Teeschalen ein.
Zum Abschluss nahm er sich die verbliebene Schale, sah noch einmal an seinem alten, faltigen und schwachen Körper herunter und stürzte das Gebräu in einem Zug hinunter. Kurz erlebte er das übliche Gefühl der Losgelöstheit, bevor er die Augen seines neuen Körpers öffnete.
Ausgiebig streckte er sich, spürte wie die starken Muskeln arbeiteten, fühlte die Kraft und Jugend. Schwungvoll setzte er sich auf und zog sich die Sachen wieder an, die der junge Mann vorher getragen hatte.
Sein Blick fiel auf seine alte Hülle, welche – nun leer und leblos – am Boden lag. Vergnügt, dass er damit nichts mehr zu tun hatte, versetzte er ihr einen Tritt und trat federnden Schrittes aus der Tür.
Als erstes würde er wohl dieses Mädchen heilen müssen.
Der Vorbesitzer dieses Organismus hatte den Trank nur unter jener Voraussetzung getrunken. Würde er das Abkommen brechen, so würde er das Recht auf diesen Leib verlieren.
Sorglos schritt er in die Richtung, welche ihm sein Klient vorher gegeben hatte und genoss das Gefühl mal wieder jung zu sein.
Ohne anzuklopfen trat er in die schäbige und schiefe Hütte. Seine Patientin sah er sofort.
Sie lag, zu einem Ball zusammen gerollt und hustend im Bett, eingewickelt in eine ebenso löchrige wie verwanzte Decke.
„Wer ist da?“ Leise und zittrig verließen die Worte ihren Mund und er bemerkte den heiseren Tonfall.
„Ich bin ein Heiler, den dein Bruder schickt.“ Er hatte nicht vor sich als ihr Bruder auszugeben. Früher, da hatte er so etwas manchmal getan, aber inzwischen wusste er all zu gut, dass es zumeist sinnlos war eine Person zu imitieren – vor allem wenn der andere diese Person sehr gut gekannt hatte.
„Wo ist mein Bruder?“
„Er weilt nicht mehr unter den Lebenden.“
Er konnte ihr erschrockenes Luftschnappen hören, aber es interessierte ihn nicht wirklich. Er würde sie heilen und dann wieder seiner Wege gehen. Was ging es ihn an, ob sie trauerte oder nicht.
„Nenn mir deine Beschwerden.“
Sie schluchzte leise, begann aber mit brüchiger Stimme alles aufzuzählen. „Ich friere oft, obwohl mein Bruder sagt, dass ich förmlich glühe. Das Atmen fällt mir oft schwer, und ich muss andauernd husten. Außerdem tut meine Brust weh.“
„Zieh dein Hemd aus.“
Sie tat wie ihr geheißen, auch wenn man ihr ansah, wie unangenehm ihr das war. Er legte sein Ohr an ihren Rücken und klopfte mit den Fingerknöcheln immer wieder auf verschiedenen ihrer Rippen.
Erst als er damit fertig war, fiel ihm auf dass sie ihn die ganze Zeit nicht angesehen hatte. Außerdem war sie erstaunlich gefasst für jemanden, dessen einzig lebender Verwandter gerade gestorben war.
„Ich bin seit Geburt an blind“, beantwortete sie bereitwillig seine Frage. „Und… nun ja. Mein Bruder hat mir immer erklärt, dass jeder irgendwann einmal stirbt. Es wäre nichts Schlimmes deswegen zu weinen, aber es sei sinnlos Ewigkeiten darüber zu trauen. Der Mensch ist sterblich – und wer weiß, bestimmt geht es ihm im Paradies jetzt besser als hier.“
Nachdenklich wiegte sie ihren Kopf hin und her.
„Außerdem hat er dafür gesorgt, dass ich auch wenn er plötzlich verstirbt nicht alleine bin. Es gibt viele Leute im Dorf, die mich aufnehmen würden. Ich mag blind sein, aber ich bin nicht nutzlos. Übrigens, wisst ihr dass ihr meinem Bruder sehr ähnlich seid? Nur eure Bewegungen sind anders.“
Das letzte hörte er gar nicht mehr. Vielmehr dachte er über ihre Worte bezüglich des Todes nach.
„Aber dein Bruder hat doch versucht die unbedingt heilen zu lassen. Wozu, wenn es doch nichts bringt über Tote zu trauern?“
„Weil ich noch lebe. Auch ich hätte meinen Bruder retten wollen, wenn mir das möglich gewesen wäre. Doch nun ist es zu spät. Man kann die Toten nicht wieder zurückholen. Was bringt es also, über vergossenen Wein zu klagen?“
„Aber wünscht nicht jeder sich, ewig zu leben?“
Ihr Gesichtsausdruck zeigte Erstaunen. „Du meinst, dass kein Mensch je stirbt?“
Er überlegte. Nun, das wäre wohl unmöglich. Schließlich starben die Menschen, deren Körper er übernahm – jedenfalls war er ziemlich sicher, dass sie starben.
„Nein. Nur einige könnten ewig leben. Nur du zum Beispiel.“
Sie schauderte. „Nein.“
„Warum nicht?“ Dieses Mädchen verwirrte ihn. Wer würde ablehnen, wenn er solch eine Möglichkeit bekam?
„Wozu?“
Wieder diese kurze Frage, die er nicht verstand. „Was meinst du damit?“
„Wozu sollte ich ewig leben, während meine Familie, meine Freunde, während sie alle sterben? So lange ich ein frommes und glückliches Leben führe, werde ich sie im Himmel wieder sehen. Aber ewig auf Erden wandeln, ganz allein? Darin sehe ich keine Freude.“
„Aber du könntest so viel machen, so viel lernen!“ Aufgewühlt wanderte er durch den Raum, während er nebenbei ihre Medizin zubereitete.
„Aber warum? Was bringt es mir, alles Wissen dieser Welt anzuhäufen, wenn ich dafür zur Einsamkeit verbannt bin? Denn egal wie viele Freunde ich im Laufe der Ewigkeit machen werde, sie werden immer wieder vor mir sterben, nicht wahr?“
Darauf wusste er keine Antwort. Schon lange hatte er keine Freunde mehr gemacht, denn auch er wusste, wie sinnlos ein solches Unterfangen war. Stattdessen waren Menschen für ihn inzwischen kaum mehr als ein Werkzeug um entweder an Geld oder an einen neuen Körper zu gelangen.
Mit ein paar Anweisungen zur Einnahme versehen gab er ihr ihre Medizin – sie hatte eine Lungenentzündung – und verließ nachdenklich die Hütte.
Wan hatte er eigentlich das letzte Mal richtige Freude verspürt? Er versuchte sich zu entsinnen, doch es gelang ihm nicht. Viel zu lange war es her, dass er das letzte Mal einfach nur fröhlich gelacht oder zu mindestens gelächelt hatte.
Er zog sich zurück in die Wildnis, um eine Antwort zu erhalten.
Doch auch ein Jahr später, war er nicht weiter als zuvor. Nun ja, vielleicht doch ein kleines bisschen.
Er schwenkte die Flüssigkeit in dem Becher und lehnte sich an den rauen Stein hinter ihm.
Im Himmel würde man also alle wiedersehen?
Mit dem ersten Anflug eines Lächelns seit hunderten von Jahren sah er auf das Gefäß in seiner Hand.
Nun einen Versuch war es Wert. Und mit einem letzten Zuprosten zur leeren Luft, stürzte er den mit Mohn versetzten Schierlingsbecher hinunter.
Gesprächsrunde der Hybie-sans, die von den Hybie-sans für diese Fanfic abgehalten wird
Hybie-san3: *starrt intensiv auf das Kapitel*
Hybie-san2: *tut es ihm gleich*
Hybie-san1: „Auch wenn ich weiß, dass ich diese Frage wahrscheinlich bereuen werde… Was zum Teufel tut ihr da?“
Hybie-san3: *schreckt hoch und fuchtelt mit dem Finger anklagend in Richtung Hybie-san1* „Mama, Mama, Hybie-san1 hat geflucht!“
Hybie-san2: „Bitte sag mir, dass du da eben nicht mit mir gesprochen hast…“ *schaudert angesichts der Vorstellung Hybie-san3 sei sein Kind*
Hybie-san3: „Wie kommst du darauf? Wenn überhaupt wärst du doch Papa – oder?“ *mustert Hybie-san2 von oben bis unten*
Hybie-san2: „Natürlich! Aber dir trau ich zu alles möglich Mutter zu nennen…“
Hybie-san1: „Wen hast du denn jetzt gemeint? Und außerdem hab ich nicht geflucht.“
Hybie-san3: „Hast du wohl, hast du wohl. Und Mama ist natürlich die Autorin.“
Hybie-san2: *grummelt* „Na da wissen wir wenigstens, wem wir die Erziehungsfehler bei dir in die Schuhe schieben können…“
Hybie-san1: *murmelt* „Bei so einem Kind hab ich fast schon Mitleid mit ihr…“ *normal weiter* „Aber bleiben wir beim Thema, was habt ihr da gerade getan?“
Hybie-san3: *hüpft aufgeregt mit erhobenem Finger durch umher*
Hybie-san1: *stirnrunzelnd* „Falls das ein Melden sein soll – du bist dran.“
Hybie-san3: „Wir suchen das Pairing!“
Hybie-san1: „Was für ein Pairing?“
Hybie-san3: „Aha!“
Hybie-san1: „Nur zu eurer Information – es gibt keins. Und wo wir gerade dabei sind, wir sollen gleich Werbung für ein anderes Original von ihr machen.“
Hybie-san2: „Warum eigentlich immer wir?“
Hybie-san1: „Darum.“
Hybie-san2: „Warum darum?“
Hybie-san1: „Darum darum.“
Hybie-san3: *versteht nur Bahnhof*
Hybie-san1: „Also, wer will werben – und es reicht es zu sagen, kein Hüpfen! Du stichst noch mal jemandem das Auge aus Hybie-san3!“
Hybie-san3: „Okay, dann: ICH, ICH, ICH!“
Hybie-san2: *murmelt zu Hybie-san1* „Woran hängst du eigentlich mehr? Deine Augen oder deine Trommelfelle?“
Hybie-san1: „Eigentlich an beiden… Okay, du darfst – und übernimm auch gleich die Danksagungen.“
Hybie-san3: Also gut. Ladies and Gentleman, wenn Ihnen diese Geschichte gefallen hat, empfehlen wir Ihnen ‚Die zwei Seelen‘. Fühlen Sie sich frei in ihren anderen Geschichten rumzustöbern. Außerdem danken wir natürlich Ito-chan, Kyoko_16 und Kyoko-Hizuri für ihre Kommentare zu ‚Bergseen‘, unserem kleinen Assoziativ-Bilder-Special, sowie nochmal Ito-chan und Kyoko-Hizuri, zusätzlich zu Angel-of-innocence für ihre Kommentare zu unserem letzten regulären Kapitel.“ *die guten Sarotti-Pralinen austeil*
Hybie-sans: „Kommentare wie immer an uns, Drohungen an die Autorin. Bis dann.“