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Ta Sho

Wiedergeboren
von

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Evil Plan

Sie saß auf der Wiese vor dem großen Friedenswächter, den Laptop auf ihre Beine, die sie im Schneidersitz verschränkt hielt, gelegt. Unter ihr lag eine Decke und die Blondine brütete über der Anomalie. Nun schon seit Wochen und bisher war sie zu keinem stimmigen oder schlüssigen Ergebnis gekommen. Auch Sabers Auswertungen und sein Datenmaterial hatten ihr nicht dabei helfen können. An diesem Nachmittag war sie allerdings nur halbherzig bei der Sache. Ihr spukten andere Dinge durch den Kopf. Und diese Dinge lagen ihr schwer auf dem Herzen. Bedrückt seufzte April zum wiederholten Male.

Warum war es nur so schwer? April hatte sich verliebt. An sich war die Tatsache zwar eine wunderschöne und sie hätte sich auch darüber gefreut. Aber im Augenblick hätte es nichts Schlechteres geben können, als verliebt zu sein. April hatte sich schon vor einiger Zeit in Fireball verliebt, das hatte sie sich mittlerweile eingestanden. Ihre Kollegen sollten davon allerdings nichts mitbekommen. Aber diese Gefühle waren verboten. Auch, wenn Fireball dieselben Gefühle für sie hegen würde, die für ihn in ihr schlummerten, so würde es ihnen dennoch nicht erlaubt sein, zusammen zu sein. Und das war gleichzeitig schon der zweite Punkt, der April Kopfzerbrechen bereitete. Fireball selbst. Sie könnte darauf wetten, dass er sie mochte, aber ob er sie liebte, konnte sie nicht sagen. Und dann waren da auch noch all die seltsamen Ereignisse der letzten Zeit. Kurz nach ihrer Ankunft in der Vergangenheit musste sich schon etwas getan und verändert haben, denn April war aufgefallen, dass Fireball sich verändert hatte. Er verhielt sich ganz anders als sonst und zu allem Unglück echoten immer wieder auch die Worte, die in Tokio bezüglich Beziehung und Frauen gefallen waren, in ihrem Kopf. Traurig strich sich April die Haare hinter die Schultern. Sie glaubte allmählich, er hätte wirklich ein Beuteschema, das sie nicht beinhaltete. Das seltsame Ereignis in der Küche war für sie der beste Beweis dafür gewesen. Seither mied er sie, als ob sie eine Aussätzige wäre. Er war ein Rennfahrer, ein typischer Rennfahrer. Medien hätten das nicht besser beschreiben können, als er es ihr gezeigt hatte.

„Hey, Prinzessin! Versteckst du dich vor unserem Boss?“, Colt setzte sich mit einem neckischen Lächeln zu April auf die Decke. Mann, wie ihm das vielleicht stank, dass Fireball im Yuma der Vergangenheit tun und lassen konnte, was er wollte und die anderen hier bleiben mussten und Ramrod nicht weiter verlassen durften. Aber er musste sich mit den Begebenheiten anfreunden und es hinnehmen. Von so was hatte sich der Cowboy noch nie die Laune verderben lassen. Allerdings, und das hatte Colt schon einige Zeit beobachten können, schlug ihrer Navigatorin etwas ziemlich auf den Magen. Und dem wollte er bei der günstigen Gelegenheit mal auf den Grund gehen. Saber saß im Gemeinschaftsraum und stellte Berechnungen an, Fireball war arbeiten und April saß ganz alleine hier.

Verwirrt sah April vom Laptop auf. Colt hatte sie völlig aus ihren Gedanken gerissen und nun kannte sie sich nicht ganz aus. Was war denn los? Sie blinzelte in Colts freundlich lächelndes Gesicht und fragte irritiert nach: „Was gibt’s denn?“

Colt schob April den Blechtrottel von den Beinen und legte ihr einen Arm um die Schultern. Geheimnisvoll lehnte er sich zu ihr hinüber und flüsterte halb: „Das wollte ich dich fragen, Prinzessin. Was hast du denn in letzter Zeit?“

April zog die Augenbrauen hoch. War das sein Ernst? Skeptisch rückte sie ein Stück von ihm ab und gab nichtssagende Auskunft zu diesem Fall ab: „Du meinst, außer der klitzekleinen Tatsache, dass wir uns zwanzig Jahre vor unserer eigentlichen Zeit aufhalten? Alles in bester Ordnung, Colt.“

„Und ich bin der Osterhase, der mit dem Weihnachtsmann unter einer Decke steckt.“, schoss Colt augenblicklich zurück. Das Mädchen war ungeschickt beim Lügen. Klar, es machte ihnen allen zu schaffen, dass sie hier feststeckten und es seit Wochen den Anschein hatte, als gäbe es keinen Ausweg mehr aus der Situation. Aber das alleine konnte es nicht sein. Er kannte April. Da war mehr im Busch als sie zugeben wollte. Bei allem, was ihm heilig war, er glaubte auch zu wissen, woran es lag: „Das ist es nicht. Du kannst Saber für blöd verkaufen, Matchbox notgedrungen auch noch, aber mich doch nicht, April.“, er reckte den Kopf in Richtung der tiefstehenden Sonne: „Was ist vorgefallen, Kleines?“

Unbehaglich rutschte April auf der Decke umher. Sie wollte mit Colt nicht darüber reden, auch wenn es ihr sicherlich gut getan hätte. Der Cowboy zog doch so gut wie alles ins Lächerliche und hätte sie ihm erzählt, was ihr wirklich auf dem Herzen lag, er würde keine Sekunde zögern und sich darüber lustig machen. Nein, darauf hatte April keine Lust. Da heulte sie sich schon lieber alle paar Tage mal die Augen wegen dem klischeetreuen Piloten aus dem Kopf. April schloss die Programme auf dem Laptop und fuhr das Schmuckstück herunter. Für heute hatte sie keine Lust mehr. Dann wandte sie sich an Colt: „Was soll vorgefallen sein? Ich hab keinen blassen Dunst, wovon du redest.“

Colt sah sich kurz aufmerksam und verschwörerisch um, bevor er endlich ein ernstes Gesicht aufzog. Es war ihm wichtig, mit April zu reden, vor allem im Vertrauen zu reden, denn er wollte nicht, dass die Blondine ihren Kummer mit sich herumtrug. Seine blauen Augen musterten die Freundin von oben bis unten und stellten dann nüchtern fest, dass es nur einen Grund für Aprils traurige Augen geben konnte. Er riet treffsicher ins Blaue: „Was ist mit dir und unserem Turbofreak? Stimmt irgendetwas nicht?“

„Was?!“, entsetzt riss April die Augen auf und rückte von Colt ab. Wie hatte er das nur so schnell herausfinden können? Völlig erschrocken suchte sie den Abstand zu Colt, der war in letzter Zeit ja gemein gefährlich. Stand ihr das alles so offensichtlich ins Gesicht geschrieben? Die Blondine wartete nur noch auf sein scheinheiliges Grinsen und einen saublöden Spruch zu dem Thema.

Aber Colts Lächeln verschwand, als er Aprils Reaktion mitbekommen hatte. Sein Instinkt verriet ihm, dass da einiges in die Brüche gegangen war. Der Grund dafür war für den Scharfschützen und Spurenleser momentan eher zweitrangig. Fakt war, dass es der Blondine damit schlecht ging und sie das schon die ganze Zeit über mit sich herumtrug. Dem Piloten schien das alles eher hinten rum zu gehen, der war in letzter Zeit doch wieder besser drauf gewesen, zwar schien er zu glauben, er wäre der Boss, aber gut gelaunt war er dennoch dieser Tage oft gewesen.

Colt legte ihr wieder einen Arm um die Schultern und zog sie zu sich heran. Seine Hand strich über ihre Schulter, er wollte nicht, dass sie sich unwohl fühlte. Doch genau das schien sie im Moment zu tun. Colt setzte mit der anderen Hand seinen Hut ab und warf ihn achtlos hinter sich ins Gras. Er schob die Blondine sachte näher zu sich heran und ließ ihren Kopf an seiner Schulter legen. Das war etwas, was Frauen nie schaden konnte. April sollte sich geborgen bei Colt fühlen, sie brauchte es jetzt. Leise begann er von Neuem: „Ist etwas vorgefallen, von dem Saber und ich nichts mitbekommen haben, Prinzessin? Du siehst so traurig aus, jeden Tag ein bisschen mehr.“

Dabei streichelte er ihr immer wieder sanft über den Kopf. Colt machte sich wirklich Sorgen. So bedrückt war April an Bord noch nie gewesen und schon gar nicht so lange. Der Cowboy versuchte der Blondine Wärme und Geborgenheit zu vermitteln, das half bei Robin auch immer, wenn sie sich schlecht fühlte. Und so unterschiedlich konnten die Frauen in der Hinsicht nicht sein.

April sträubte sich anfangs gegen die Umarmung, nahm sich gleich darauf jedoch dankbar an. Plötzlich fühlte sie sich nicht mehr so alleine und missverstanden. Gleichzeitig aber brachen auch alle Dämme bei der Blondine. Sie versuchte noch, die Tränen hinunterzuschlucken, aber es gelang ihr nicht mehr wirklich. Beschämt versteckte sie ihr Gesicht an Colts Brust und schloss ganz fest die Augen. Ihre Hände schlangen sich um Colt. Es war ihr peinlich, aber im selben Moment fühlte sie sich bei Colt so gut aufgehoben und beschützt. Ganz leise schluchzte sie und wollte immer noch nicht wahr haben, dass sie tatsächlich weinte.

Der Cowboy war verblüfft, wie schnell er April zum Weinen gebracht hatte. Er schloss die Blondine in eine innige Umarmung und versuchte, ihr Halt zu geben. Sie zitterte leicht, das spürte er ganz deutlich. Das arme Ding. Colt empfand in diesem Augenblick größtes Mitleid für die Navigatorin, auch wenn er nicht wusste, was los war. Beruhigend streichelte er von ihren Schultern über ihren Rücken hinab und legte behutsam sein Kinn auf ihren Scheitel. Er wiegte sie leicht, so wie er es mit Robin immer machte, wenn sie weinte. Hoffentlich half das auch dieser Blondine, nicht nur seiner zuhause. Colt murmelte leise: „Scht… Ist schon gut, April. Lass es raus, es wird dir gut tun. Glaub mir, danach ist alles besser.“

Colt fragte sich, was die kleine Kröte von Fireball bloß angestellt hatte. April konnte kaum aufhören zu weinen. Der Cowboy hauchte ihr einen Kuss auf den Scheitel. Es wurde kaum besser und sprechen tat das hübsche Dingens auch nicht. Colt allerdings glaubte fest daran, dass Fireball ihr was getan hatte. Egal, was er getan hatte, er hatte April furchtbar verletzt. Das grämte Colt. Wie konnte man den blonden Engel bloß derart zum Weinen bringen? April beruhigte sich überhaupt nicht mehr.

„Ich kann’s dir nicht sagen.“, das konnte die Blondine wirklich nicht. Sie schämte sich unendlich für das, was vorgefallen war. April vergrub ihr Gesicht nur noch mehr und schüttelte frustriert den Kopf.

Da war für Colt klar, dass er nicht mehr weiter nachhaken durfte. Aber ihm war auch klar, dass es nur der Rennfahrer gewesen sein konnte. Etwas ganz abwegiges musste da gelaufen sein, denn Colt war davor schon aufgefallen, dass sich die beiden aus dem Weg gingen, obwohl sie früher beinahe jede freie Minute zusammen verbracht hatten. So beschränkte sich Colt auf das Trösten und April im Arm zu halten. Mehr konnte er im Augenblick nicht für die Freundin tun. Aber er würde sich den Reiskocher bei nächster Gelegenheit vorknöpfen.
 

Bei nächster Gelegenheit war bei Colt immer wörtlich zu nehmen und so hatte er es sich an diesem Tag nicht nehmen lassen, sich mal über Sabers Befehl hinwegzusetzen und die Lichtung ohne Erlaubnis zu verlassen. Er hatte mit April den Nachmittag verbracht und sie wieder aufgeheitert, sie war dankbar für die Ablenkung und den Seelentrost gewesen. Nun stapfte der Cowboy Richtung Stadtmitte. Er wollte das am liebsten ohne Zuhörer klären, was er zu klären hatte. Deswegen holte er Fireball an diesem Abend einfach vom Oberkommando ab.

Colt sah den Grund für seinen Besuch bereits von Weitem. Sofort heizte sich der Zorn auf den Krümel wieder an. Der Flachmeier tat ihrer April einfach weh und dachte sich ganz offensichtlich noch nicht einmal etwas dabei. Über den halben Hof rief er ihn zu sich: „Hey! Fireball! Komm mal her, du kleine Rennsemmel!“
 

Der Cowboy war so laut dabei gewesen, dass sich das ganze Personal nach ihm umgedreht hatte. Darunter war auch Shinji gewesen. Er erkannte den Freund von Shinichi sofort, der Hut war im Oberkommando einzigartig. Als er Colt zugeordnet hatte, flog sein Kopf förmlich in die Richtung seines Piloten. Hatte der darauf reagiert? Shinji zog sich bei dem Gedanken alles zusammen, und als er auch noch eine Bestätigung dafür bekam, blieb ihm das Herz stehen. Shinichi hatte sofort in seiner Bewegung inne gehalten und nach demjenigen gesucht, der gerufen hatte. Shinji schluckte schwer. In welcher Hinsicht hatte der Kurze ihn noch belogen? Der Captain spürte, wie ihm dabei ganz anders wurde. Welches Spiel wurde hier gespielt? Er wusste im Augenblick nicht, was er davon halten sollte, wusste nicht, wer auf welcher Seite stand. Der erfahrene Pilot zwang sich dazu, seine Gefühle in dieser Situation nicht überhand nehmen zu lassen. Verwirrt und auch schwer enttäuscht, warf er Fireball noch einen Blick zu und suchte dann das Weite. Für diesen Tag hatte er genug gesehen und in Erfahrung gebracht. Shinichi hatte ihn angelogen. Eine bittere Erkenntnis, wo er mehr als einen guten Piloten in ihm gesehen hatte. Shinji zog den Kopf ein und verschwand.
 

„Mal’s das nächste Mal bitte gleich mit Leuchtfarbe an die Hangartore!“, der junge Hikari schnaubte wie ein Dampfross. Als er Colts Stimme vernommen hatte, war ihm das Herz in die Hose gerutscht. Es war ihm nichts anderes übrig geblieben, als zu hoffen, dass sein Vater das nicht gehört hatte. Der Armleuchter, auf den er gerade zukam, hatte es geschafft, in einer einzigen Begrüßung alle Kosenamen hineinzubringen, die der Rennfahrer noch vor einer guten viertel Stunde zu leugnen versucht hatte. Als er endlich bei Colt angekommen war, zog er den Cowboy unwirsch mit sich und fauchte ihn an: „Solltest du nicht bei Saber und April sein, verdammt?“

„Ein Hallo ist wohl schon zu viel verlangt!“, Colt boxte Fireball gegen die Schulter. Mensch, die Laune war abartig. Der Cowboy funkelte seinen Freund an. Wenn er dabei auch noch an April dachte, bekam er alle Zustände. Irgendwas hatte der Jetpilot für Zwischendurch angerichtet, aber hundertprozentig!

Kopfschüttelnd wandte sich Fireball von Colt ab. Er wollte sofort zu Ramrod zurück. Aufmerksamkeit hatte er für diesen Tag eindeutig genug erregt. Zuerst der mittelschwere Weltuntergang im Hangar und jetzt noch das Tüpfelchen auf dem I. Garantiert ging’s auf Ramrod gleich so weiter, wie er nun von Colt empfangen worden war. Fireball schnaubte. Manche Tage waren zum Vergessen. Zielstrebig zog er den Cowboy mit sich Richtung Ausgang und würgte jede Diskussion ab: „Wir reden zuhause.“

Der Wuschelkopf vermied es tunlichst, auch noch Ramrod namentlich zu erwähnen. Wenn sein Vater noch irgendwo in der Nähe war, was für Fireball eigentlich außer Frage stand, dann sollte der doch bitte nicht mehr als das ohnehin schon Erwähnte zu Ohren bekommen.

Jetzt schlug es aber gleich dreizehn! Colt ließ sich vom Buggyfahrer doch nicht einfach so mitschleifen. Wer war er denn? Colt riss seinen Arm los und stieß gleich darauf wieder den Rennfahrer an: „Ich glaub, dir geht’s zu gut, geht’s dir doch! Seit wann nimmt der Rotzlöffel den Großen bei der Hand und bringt ihn heim?!“

Colt sprang gleich in die Höhe, und das nicht zu knapp. Er packte nun seinerseits Fireball an Arm und zwang ihn zum Stehenbleiben. Mit ordentlich Schmackes dahinter drehte er sich den handlichen Piloten zu sich um und giftete ihn an: „Langsam wird’s Zeit, dass du dir das Zeug nicht mehr einwirfst, das deinen sagenhaften Höhenflug verursacht! Himmel, Kreuzbirnbaum und Franziskanerbier! Matchbox, krieg dich endlich wieder ein!“

Der Sturkopf ließ sich hier im Oberkommando bestimmt auf keine Diskussion mit Colt ein. Da konnte der Cowboy fluchen und zetern, so viel er wollte. Nein, niemals würde er privates oder etwas, das Ramrod betraf, im Umkreis von hundert Metern vom Oberkommando besprechen! Fireball nahm Colts Hand und deutete mit einem vielsagenden Blick auf die Umgebung, in der sie sich befanden. Er zischte: „Pst! Ich wär‘ dir dankbar, wenn das warten könnte, bis wir zuhause sind, verdammt!“

Wieder versuchte er, Colt aus dem Oberkommando zu führen, hoffentlich folgte ihm der Starrsinn in Person dieses Mal. Fireball schnürte sich der Hals zu, wenn er daran dachte, dass sein Vater Colts Begrüßung vielleicht gehört haben könnte. Er sollte sein Testament schon mal zu Protokoll geben, wie er sarkastisch feststellte. Fireball konnte sich am nächsten Morgen lebendig begraben lassen, das stand für den jungen Hikari fest.

Widerwillig, aber immerhin dieses Mal schweigend, folgte Colt ihrem Piloten aus dem Gelände. Sobald aber von dem Gebäudekomplex nichts mehr zu sehen war, stieß Colt dem Rennfahrer den Ellbogen in die Rippen. Nun explodierte er vollends: „Wenn du nicht willst, dass du zukünftig aus einer Schnabeltasse ernährt werden musst, schlag ich vor, du kommst von deinem Trip jetzt mal endlich runter! Verdammt und zugenäht, du führst dich wie ein Mustang im Reitstall auf.“

Unbeirrt, aber dennoch genervt, ging Fireball weiter voraus. Colt war ganz eindeutig schlecht drauf, so viele Flüche fanden ansonsten nur über seine Lippen, wenn jemand seine Freunde beleidigte. Der Pilot schlug schließlich einen scharfen Haken in eine kleine Gasse. Seit er täglich zum Dienst antreten musste, hatte er sich einige Schleichwege und Abkürzungen herausgesucht, um in möglichst kurzer Zeit entweder von oder zu Ramrod zu gehen. Der Kuhtreiber folgte ihm hoffentlich.

Dass Fireball auf seinen wortgewaltigen Ausbruch nicht reagierte, brachte Colt gleich noch ein bisschen mehr in die Höhe. Und dann trabte die halbe Portion auch noch vor ihm her, als gehörten sie nicht zusammen! Außer sich legte Colt einen Zahn zu. Er packte den schmächtigen Rennfahrer mit ganzer Kraft am Arm und schrie: „Bleib gefälligst stehen, wenn ich mit dir rede! Ist bei dir irgendwas durcheinander geraten?“

In letzter Zeit zogen und rissen alle an ihm. Was war denn nur los? Fireball blieb stehen und funkelte Colt dieses Mal an. Verdächtig leise zischte er: „Mir ist gar nichts durcheinander gekommen.“, mit dem freien Arm wies er auf den Gebäudekomplex hinter ihnen: „Aber dir ganz offensichtlich. Colt, du kannst da drinnen nicht so einen Wirbel schlagen. Was ist denn bloß passiert?“

„Das fragst du mich?!“, entrüstet und noch wütender stierte Colt seinen Freund an. Langsam aber sicher wurde Fireball ein rotes Tuch für den Cowboy. Er platzte schier und riss Fireball aus der Gasse heraus: „Das muss ich dich fragen. Was hast du mit April gemacht, du triebgesteuerte Turbopfeife?“

Jetzt fiel Fireball aus allen Wolken. Wovon sprach denn der da? Hatte April ihm am Ende erzählt, was in der Küche passiert war? Zuerst wollte Fireball lospoltern, doch dann zog er den Kopf ein und schwieg. Er zog es vor, Colt nun endgültig stehen zu lassen. Wenn April mit Colt gesprochen hatte, dann musste er doch auch wissen, dass er aufgehört hatte, als April nicht weiter gehen wollte. Stoisch ging er voraus, alles ignorierend, was Colt noch von sich gab.
 

So kam das Gespann die Rampe hoch. Fireball voraus und Colt schimpfend und zeternd hinter ihm her. Den Cowboy hatte Saber schon von ganz unten gehört. Also war er vom Gemeinschaftsraum rausgegangen und in den Hangar hinunter. Was war denn schon wieder los? Immer dieses Affentheater. Seit sie hier waren, war dauernd irgendwas. Jeden Tag drehte jemand anderer völlig durch. Irgendwann würde es auch ihn erwischen, ganz sicher. Mit hochgezogenen Augenbrauen und verschränkten Armen lehnte er neben Steed und beobachtete, wie die beiden hochtrabten.

Fireball rauschte an ihm vorbei. Ein knappes: „Hi. Ist noch was zu essen für mich übrig?“ und weg war der Rennfahrer.

Colt hingegen kam wesentlich wortgewaltiger an Saber vorbei. Er polterte lautstark: „Oh! Kurzer, du machst mich wahnsinnig! Bleib endlich stehen und benimm dich wie ein erwachsener Kerl. Gleich setzt es was, zum Henker!“

Beide hatten ihn ignoriert. Saber war baff. Ganz eindeutig. Was er von der kleinen Szene so mitbekommen hatte, lag Fireball nun auch ganz offenbar mit Colt volle Wäsche im Clinch. Aber weshalb genau, das wusste der Anführer der Einheit nicht. Weil Fireball mitgenommen und fertig aussah, entschied sich Saber, den Rennfahrer in die Küche gehen zu lassen. Dafür knöpfte er sich Colt vor. Er stellte sich Colt in den Weg und hob beschwichtigend die Hände: „Colt, bitte. Was ist denn vorgefallen?“

Es störte den Säbelschwinger gerade nicht, dass Colt ausgebüchst war. Da war etwas viel Gravierenderes passiert. Als der Cowboy an ihm vorbei wollte, schüttelte Saber streng den Kopf und versperrte ihm ein weiteres Mal den Weg. Er musste Colt beruhigen, der war direkt außer sich und das erkannte der Säbelschwinger nicht nur an der roten Farbe im Gesicht. Da war auch noch die groß hervortretende Schlagader. Wenn er Colt und Fireball nicht voneinander fern hielt, gab’s womöglich Verletzte.

Unbemerkt war auch April zur Szene bekommen. Sie warf Fireball einen unsicheren Blick zu und sah dann zu Colt. Er hatte es sich zu Herzen genommen. Colt hatte Fireball darauf angesprochen, deswegen war die Stimmung unter den Männern so hochgekocht. Ängstlich schlug April die Augen nieder.

„Frag den faulen Rennfahrer!“, brauste Colt auf. Er hatte April in seiner Rage gar nicht bemerkt, deswegen war der folgende Kommentar auch vorprogrammiert: „Frag ihn, was er mit unserer armen April gemacht hat! Los, Saber! Lass ihn erzählen, wie weh er April getan hat, dieser verdammte Pilot!“

April zuckte zusammen. Sie hob die Hand, trat einen Schritt auf Colt und Saber zu, mit flehendem Blick wollte sie dazwischen treten, doch sie brachte keinen Ton hervor. Ihre Lippen bebten, denn der große Knall stand bevor.

Sabers Augen wurden groß. Was war? Verdattert und alarmiert sah er zwischen seinen Freunden hin und her. Fireball bog gerade in die Küche ab, April standen die Tränen in den Augen und Colt platzte gleich. Was wurde hier gespielt? Was auch immer los war, er hatte es nicht mitbekommen. Zwischen April und dem Rennfahrer war etwas geschehen, etwas schwerwiegendes. Und Colt wusste davon. Nur er wieder nicht. Ehe er sich versah, rief er in die Küche: „Fireball!“

„Was?!“, rief der zurück. Fireball verlor die Nerven, sofern er noch welche hatte. Er drehte sich noch einmal kurz um und gab sanfter zurück: „Kann das bis später warten, Leute?“

Wieder hetzte es Colts Gemüt auf. Er schrie dieses Mal: „Kann es nicht, verdammt!“

Saber drehte sich von Colt weg, blieb jedoch vor ihm stehen. Der Cowboy sollte nicht auf dumme Gedanken kommen und hinter dem Rennfahrer her hetzen. Fireballs knurrende Antwort hatte den Schwertschwinger hellhörig gemacht. Er hob die Hand, sein Zeigefinger deutete in seine Richtung und einsilbig ordnete er an: „Sofort!“

Fireball fuhr aus der Haut. Haare raufend grollte er und fuhr seine Freunde an: „Kann ich grad noch fünf Minuten haben? Ist das zu viel verlangt?!“, es platzte aus ihm heraus: „Jesse Blue wollte meinen Vater abknallen, verdammt. Er hat eine erste Ahnung von den Geschehnissen hier. Also seid mir nicht böse, wenn ich für die Peanuts auf Ramrod grad keine Nerven hab!“

Wenigstens waren nun alle leise. Erschrocken starrten sie auf den Rennfahrer, der gerade wenige lobende Worte gefunden hatte. Erschüttert schluchzte April: „Peanuts?“

Mehr war das für ihn nicht gewesen? Die Blondine fiel in ein tiefes Loch. Nun hatte sie eine Bestätigung für ihr Gefühl. Fireball hatte es nicht das Geringste bedeutet! Eine Träne huschte von ihren Lidern. Die blonde Navigatorin musste weg, doch sie konnte sich nicht bewegen. Sie waren hier noch nicht fertig. Sie hatte das Gefühl, dass da noch was kam.

Und es kam noch was. Colt brüllte über Saber hinweg. Er riss die Fäuste in die Höhe und hopste hinter Saber hoch, um endlich größer zu werden: „Hör zu, Kurzer! Die einzige Erdnuss hier bist du. Es ist mir scheißegal was mit deinem Vater ist. Hier spielt die Musik, dein alter Herr kann sich alleine helfen.“

Fireball zog düster die Augenbrauen zusammen und starrte auf Colt und Saber. Mit fester Stimme ermahnte er: „Sehr schön. Dann lass Jesse ihn vom Himmel holen, bevor seine Zeit gekommen ist. Verändert ja gar nichts in unserer Zeit. Sehen wir also tatenlos zu und hoffen, dass Jesse uns danach wieder mit nachhause nimmt.“

Saber wunderte sich noch über den seltsam anmutenden Blick, bis er auf die Idee kam, dass immer noch Colt hinter ihm stand. Er drehte leicht den Kopf nach hinten und bemerkte das hopsende Etwas hinter ihm. Mit Colts wilden Gesten und der kochenden Mimik wirkte es schon fast komisch. Allerdings war die Situation viel zu ernst. Sie eskalierte gleich. Colt kochte über, April löste sich in Wasser auf und Fireball verpuffte im nächsten Augenblick. Wieder hatte ihnen Fireball einen indirekten Befehl gegeben. Das war das Zeichen für den Schotten nun endlich andere Saiten aufzuziehen. Er warf Colt einen mahnenden Blick zu, der den Lockenkopf zum Innehalten brachte und widmete sich dann Fireball. Saber ging einige Schritte auf ihn zu. Ruhig, aber bestimmt wies er ihn an: „Schalt einen Gang runter, Fireball. Lass uns erst sehen, was dein Vater wirklich alles weiß und dann haben wir noch genug Zeit zu handeln.“

Fireball hob die Augenbrauen, verschränkte die Arme vor der Brust und knurrte Colt an: „Dank Colt, der sich nicht an Befehle halten kann und einfach von Ramrod verschwindet, wie es ihm grad passt, bestimmt alles. Würde mich nicht wundern, wenn uns der Captain hier her gefolgt wäre.“

„Er ist nicht der einzige, der sich nicht an Befehle hält.“, stellte Saber klar. Der junge Pilot war in der Hinsicht nicht besser als der Cowboy. Denn wäre der Pilot am ersten Abend nachhause gegangen, anstatt mit seinem Vater zu Abend zu essen, würde die Situation heute eine andere sein.

Fireball seufzte: „Offensichtlich nicht.“ Er trat von einem Bein auf das andere und widersprach Saber nun ganz offen: „Wir können nicht warten, Saber. Jesse wird es sich nicht nehmen lassen, in die Vergangenheit einzugreifen und wir können nicht zulassen, dass er den herannahenden Krieg für die falsche Seite entscheidet.“

„Wir werden nichts unternehmen!“, wies der Schotte den jungen Rennfahrer nun energisch an. Er stieß Colt an und nahm April an der Hand. Fireball nickte er lediglich zu: „Hol dir was zu essen und dann sehen wir, wie heikel die Situation wirklich ist.“

Fireball fiel aus allen Wolken, schon wieder an diesem Tag. Hatte Saber ihm befohlen? Er wippte kurz nach vor und nach hinten, ehe er wieder festen Stand hatte. Mit forschem Blick erwiderte er: „Das ist nicht dein Ernst.“

Der Schotte nickte lediglich stumm. Es war sein Ernst. Es schien der richtige Moment für den Schritt zu sein. Immer wieder war ihm in der letzten Zeit aufgefallen, dass Fireball sich in die Position des Anführers geschoben hatte. Aber nun sah Saber nicht länger dabei zu. Er wies Fireball wieder an: „In fünf Minuten im Kontrollraum, Fireball.“

Der Japaner biss sich auf die Lippen und knurrte wie ein Tiger: „Es gibt nichts zu besprechen.“

„Gut.“, Saber ging voraus und warf Colt und April einen bedeutungsvollen Blick zu. Sie sollten ihm folgen. Vor Fireball blieb er noch einen Moment stehen. Er sah dem Querulanten fest in die Augen. In Fireballs Fall gab es nur einen Ausweg: „Für dich gibt es nichts zu besprechen. Für uns aber sehr wohl. Dann bleib, wo du bist. Wir gehen in den Kontrollraum.“

Fireball blieb die Luft weg. Aber es gab nur eine Antwort darauf. Er fischte aus seiner Uniform den Schlüsselbund heraus und ging zu seinem Wagen. Es gab nichts mehr zu sagen. Nicht für ihn.

Saber war sich nicht sicher, ob seine Therapie geholfen hatte, jedenfalls aber hatte sie Wirkung. Der Rennfahrer blieb außen vor. Hoffentlich lernte er dazu. Hoffentlich lernte Fireball daraus, nicht weiter Befehle zu geben. Er war nicht in der Position dazu.
 

Für manches brauchte Ai nicht zu fragen, das erkannte sie bereits, wenn ihr Mann abends nachhause kam. Shinji war in letzter Zeit angespannt gewesen, oft sehr unruhig und wortkarg. All das waren Dinge, die Ai ganz deutlich zeigten, dass ihren Mann etwas belastete. Müsste sie raten, würde sie auf den jungen Piloten tippen, der erst seit wenigen Wochen in Shinjis Staffel flog. Anfangs hatte Shinji oft über ihn beim Abendessen gesprochen, hatte nur lobende und bewundernde Worte für den jungen Spund übrig gehabt, aber irgendetwas musste passiert sein, was diese Meinung über ihn zum Einsturz gebracht hatte. Denn seit einigen Tagen ließ sich Shinji zu keiner Aussage über Shinichi mehr hinreißen. Ai war sich ganz sicher, ihr Mann machte sich unentwegt Gedanken, wenn nicht sogar Sorgen. An diesem Abend war es besonders schlimm. Er hatte kaum ein „Hi, Süße!“ für sie übrig gehabt.

Oh, Ai hasste es, wenn Shinji ihr etwas verschwieg. Noch dazu, wo es ihn so offensichtlich wie an diesem Abend belastete. Nach dem Abendessen und dem üblichen Glas Wein verließ die Japanerin kurze Zeit das gemeinsame Wohnzimmer, um sich frisch zu machen.

Shinji blieb am Tisch sitzen, sank aber merklich zusammen, als Ai aus dem Raum gegangen war. Er seufzte bedrückt und stützte seinen Kopf auf die rechte Hand. Freund oder Feind? Was war der kleine Hüpfer? Shinji hatte Angst vor der Antwort, denn es sah ganz danach aus, als wäre Shinichi eindeutig auf der falschen Seite. Der Angriff vor wenigen Tagen. Dieser seltsame Angreifer hatte Dinge ausgesprochen, die unglaublich und fantastisch zugleich klangen. Shinji hatte keine Ahnung, wie er das zu deuten hatte, keimte doch jedes Mal, wenn er daran dachte, ein väterliches Gefühl in ihm auf. ‚Papa Hikari‘. Traurig biss er sich auf die Lippen. Es wäre zu schön um wirklich wahr zu werden. Daran konnte der erfahrene Pilot nicht mehr glauben. Niemals würde Ai und ihm dieses Glück vergönnt sein. Sonst hätten sie doch schon längst einen ganzen Stall voller kleiner Hikaris. Sie versuchten es schon so lange, jedes Monat wieder war die Enttäuschung darüber groß, dass es wieder nicht geklappt hatte. Nein, dieser Angreifer musste sich geirrt haben. Aber weshalb hatte er den Spitznamen und die Passion seines Piloten gekannt? Woher hatte er gewusst, wo er nach ihm suchen musste? Und warum zum Teufel hatte der ihn auch gekannt, obwohl der Captain sich ganz sicher war, den arroganten Angreifer noch niemals gesehen zu haben. Und dann war da noch die hauptbeteiligte Person des ganzen Spektakels gewesen. Shinichi. Der Wuschelkopf war von Anfang an ein kleiner, seltsamer, aber sehr liebenswerter Kauz gewesen. Shinji hatte ihm vertraut. Blind vertraut, wie er sich niedergeschlagen eingestand. Er hätte dem jungen Piloten sein Leben im Kampf anvertraut. Nicht nur, weil er ein hervorragender Pilot war und bereits genug Kampferfahrung zu haben schien, sondern auch, weil er sich sicher war, dass Shinichi nichts unversucht lassen würde, um für seinen Glauben einzustehen. Seit dem verunglückten Frühstücksgespräch hatte Shinji das Gefühl gehabt, auch Shinichi würde ihm blind vertrauen. Er hatte geglaubt, er würde dem Kurzen ein Vater und Freund sein. Hatte ihn sein Eindruck derart betrogen? Hatte Shinji nur gesehen, was er sehen wollte? Und wenn es so war, weshalb hatte er gerade in Shinichi das gesehen?

Ai stand seit geraumer Zeit im Nachthemd im Türrahmen und beobachtete ihren Mann. Er wirkte so traurig, aber auch angespannt. Ai zerriss es das Herz in der Brust, ihn so zu sehen. Immerhin war er ihr Mann, sie hatte ihn geheiratet, weil sie ihn liebte und weil sie ihr Leben mit ihm verbringen wollte. Und natürlich auch, weil sie eine Familie mit ihm gründen wollte. Beide waren darüber einer Meinung gewesen. Sie wollten Kinder. Doch bisher hatte es nicht sein sollen. Ai verzog das Gesicht. Bisher. Es wollte seit nunmehr zehn Jahren nicht sein. Seit zehn Jahren quälten sie jedes Monat die Angst und die bange Hoffnung. Das Loch, in das sie beide fielen, war jedes Mal tief, wenn ihre Hoffnungen wieder zerschlagen wurden.

Sie strich sich ihr glattes, schwarzes Haar nach hinten. Ai stieß sich vom Türrahmen ab und ging auf ihren Liebsten zu. Sie spürte, dass sie mit ihm sprechen musste. Egal, was es war, es belastete ihn und somit auch sie. Ai wollte ihm helfen, es gemeinsam mit ihm durchstehen. Die Asiatin nahm den Eheschwur ‚in guten wie in schlechten Zeiten‘ wortwörtlich. Zärtlich lächelnd fuhr sie ihm durch das wirre Haar: „Shinji.“

Zuerst sah er nur verwundert auf. Ai hatte ihn aus seinen Gedanken gerissen. Als er endlich die Information verarbeitet hatte, zog er Ai zu sich auf den Schoß. Sie musste ihn nicht fragen, was los war, ihre Frage war in der Stimme gelegen. Shinji ließ sie auf seinem Schoß Platz nehmen und schlang die Arme um sie. Leise und mit einem bedrückten Lächeln gestand er: „Ich sollte mir abgewöhnen, die Arbeit mit nachhause zu nehmen.“

„Du nimmst die Arbeit sogar zum Essen mit nachhause.“, neckte sie ihn leicht. Ai hoffte, er würde so etwas gesprächiger werden. Und sie ahnte bereits, dass es der junge Shinichi war, der ihrem Mann Sorgen bereitete. Auch Ai hatte den Wirbelwind sofort in ihr Herz geschlossen. Sie hatte sowohl sein Benehmen, als auch seine Gesten als sehr angenehm empfunden. Manchmal hatte sie beim Essen sogar das Gefühl gehabt, ein junger Shinji saß mit ihnen am Esstisch. Ai war die Ähnlichkeit zwischen den beiden nicht entgangen und als sie beim Aufräumen zufällig über eines der alten Fotos gestolpert war, hatte sie sich bestätigt gefühlt. Shinji hatte im Alter des jungen Piloten beinahe so ausgesehen. Sie glichen sich beinahe bis aufs Haar. Immer wieder hatte sie sich seitdem nach Shinichi erkundigt und bisher auch immer Auskunft bekommen. Shinji hatte ihr auch erzählt, dass der Wuschelkopf seinen Vater verloren hatte. Bestimmt hatte er ihr nicht alle Einzelheiten des Gespräches wieder gegeben, aber die wichtigsten Fakten sicher.

Der Pilot seufzte wieder schwer. Ai kannte ihn viel zu gut. Sie las in seinen Gedanken, wie in einem offenen Buch. Es war fürchterlich. Mit einem etwas traurigen Blick nickte er: „Ja. Auch das sollte ich mir abgewöhnen.“

Nichts würde er. Shinji kannte sich doch selbst. Er würde nicht aufhören, darüber nachzudenken, was mit Shinichi los war und wo er wirklich hin gehörte. Shinji würde wachsam bleiben. Um die Augen vor der ganzen Angelegenheit zu verschließen war es bereits zu spät.

Ohne konkrete Frage würde Shinji ihr nichts erzählen. Ai blinzelte. Das war absolut kein gutes Zeichen, wenn Shinji nicht von alleine zu reden anfing. Entweder durfte er nicht, weil es wirklich den Dienst betraf, oder aber er wollte nicht. Ai tendierte eher zu letzterem, denn auch wenn ihr geliebter Mann nicht durfte, im Normalfall plauderte er alles aus. Ihre Fingerspitzen fuhren seinen Nacken entlang den Hinterkopf hinauf. Mit einem süßlichen Lächeln wickelte sie ihn um den Finger: „Was ist denn passiert, Shinji? Ist in deiner Staffel etwas vorgefallen?“

Ai steckte sich nur kleine Ziele. Würde sie sofort mit der großen Frage raus platzen, hätte sie sofort verloren. Dann würde er ihr gar nichts erzählen. Also tastete sie sich behutsam und mit Alltagsfragen vor.

Sie wusste, was er brauchte. Genießerisch schloss Shinji die Augen und legte den Kopf in ihre zierlichen Hände. Das war seine Frau. Murmelnd und gurrend antwortete er: „In der Staffel ist alles in Ordnung. Der übliche Wahnsinn halt.“

„Soso, der übliche Wahnsinn.“, Ai schmunzelte und fuhr unbeirrt mit ihrer Kopfmassage fort. Sie wusste, dass ihn das entspannte und je entspannter Shinji war, desto gesprächiger wurde er in der Regel auch. Um ihm zu helfen, kämpfte Ai mit allen Mitteln und Waffen. Vor allem mit denen einer Frau. „Mit Familie Eagle ist auch alles in Ordnung?“

Zehn Fingerspitzen glitten über seine Kopfhaut. Kreisend und beruhigend. Er liebte es. Shinji nickte kaum merklich und erklärte: „Den dreien geht’s bestens. April ruiniert alles, was technisches Gerät ist und May muss es abends erklären.“, dabei schmunzelte Shinji. Die kleine April war ein Goldschatz. Sie war ein aufgewecktes, intelligentes Mädchen, denn immer wieder erzählte Charles von allerhand Meisterstücken, die die kleine Blondine so angerichtet hatte. May und Charles konnten sich glücklich schätzen.

Ai lächelte. Ja, das wusste sie auch. Sie traf sich oft mit May zum Kaffeeklatsch, wenn es die Zeit zuließ. Da konnte man gut beobachten, was Shinji gerade beschrieben hatte. Am liebsten spielte April mit der Fernbedienung vom Fernseher oder mit Mobiltelefonen. Sie kannte keine Scheu vor fremden Leuten, lächelte jeden an. Langsam jedoch verschwand Ais Lächeln aus ihrem Gesicht. Weshalb hatten sie nicht dieses Glück, das May und Charles zuteil geworden war? Ais Mundwinkel zeigten traurig nach unten. Sie sollte keinen Neid empfinden, ihre Freunde konnten nichts dafür, dass es bei ihnen nicht klappte. Aber jedes Mal schwang Wehmut mit, wenn sie die kleine Familie besuchten.

Hatte sie sich von ihrer eigenen Frage ablenken lassen. Ai schüttelte gedanklich den Kopf. Da wollte sie etwas aus ihrem Mann herausbekommen und sie versank in dumpfes Grübeln über etwas, das im Augenblick nebensächlich sein sollte. Die Frau mit den dunklen Augen stand kurz auf, stellte dabei die Kopfmassage ein und setzte sich anschließend mit gespreizten Beinen wieder auf den Schoß ihres Mannes. Sie rutschte so nahe an ihn heran, wie sie konnte. Anschließend vergrub sie wieder ihre Hände in seinen Haaren und machte dort weiter, wo sie aufgehört hatte. Bei ihren weiblichen Foltermethoden. Ai fischte eine weitere Frage aus ihrem unerschöpflichen Fundus: „Wie geht’s deinem Patenkind?“

„Wem?“, Shinji öffnete zögerlich die Augen und sah Ai fragend an. Er hatte doch kein Patenkind! Zumindest wüsste er nichts davon und hätte auch noch nie etwas für es getan. Unwillig richtete sich der Pilot wieder etwas auf. Seine Frau sprach neuerdings in Rätseln.

Ais Hände glitten vom Hinterkopf nach vorne und massierten die Schläfen mit zärtlichen, kreisenden Bewegungen. Sanftmütig erklärte sie: „Nennt ihr das nicht Patenschaft, wenn einer von den älteren Piloten einem neuen den Start ins Oberkommando etwas erleichtert?“, sie wartete Shinjis Nicken ab und fuhr dann fort: „Na, also. Ich dachte nur, weil du für Shinichi diese Patenschaft übernommen hast, vielleicht ist etwas mit ihm.“

Drei Fragen. Ai brauchte nur drei klitzekleine Fragen um dort zu landen, wo ihm der Schuh drückte. Immer wieder schaffte sie es im Handumdrehen. Shinji schloss die Augen. Still wünschte er sich, den Kurzen niemals kennen gelernt zu haben. All die seltsamen Ereignisse, die in letzter Zeit geschehen waren, sie hingen bestimmt alle mit Shinichi zusammen. Dessen war sich der Captain mittlerweile sicher. Er konzentrierte sich auf die Berührungen seiner Frau. Sie hatte den Bengel sein Patenkind genannt. Wäre er doch nur mehr als das. Shinji sank etwas zusammen. Er wusste nicht, was er glauben sollte. War Shinichi böse oder gut? Sein Herz sagte ihm, dass der Kurze von seinem Schlag war, doch der Verstand widersprach kategorisch.

Schließlich rang sich Shinji zu einer Antwort durch. Er formulierte sie möglichst unverfänglich, er wollte Ai nicht beunruhigen: „Nein. Dem Kurzen geht’s gut. Er braucht nur ab und an eine kleine Lektion, die ihn wieder auf den Boden der Tatsachen zurückbringt.“

Ais Verdacht hatte sich also bestätigt. Auch, wenn Shinji nicht auf ihre Frage geantwortet hätte, wäre sie hinter das Geheimnis gekommen. Seine Antwort war ohnehin wertlos, weil er sie belog. Ai hatte nicht auf die Worte geachtet, sondern nur auf Shinjis Gesten und Bewegungen. Als sie den Namen des jungen Piloten erwähnt hatte, hatte Shinji bereits zum ersten Mal den Atem angehalten. Unbewusst, aber Ai hatte es gefühlt. Gleich darauf hatte er die Augen geschlossen und lange überlegt. Sie war sich sicher, er hatte nicht gewusst, ob er ihr überhaupt etwas sagen sollte. Allerdings traute sich Ai nun nicht mehr zu fragen, was genau vorgefallen war. Sie hatte erkannt, dass Shinji es nicht erzählen wollte. Fest stand nun aber für die zierliche Japanerin, dass das gute, freundschaftliche Verhältnis zwischen ihrem Mann und dem Jungen einen ordentlichen Knacks bekommen hatte. Mit liebkosenden Berührungen brachte sie ihren Mann auf andere Gedanken.
 

„Deine Lieblingsplätze ändern sich in keiner Zeit.“, der Besucher kniete sich auf den Boden und beugte den Kopf unter den Wagen. Kalt lächelnd stellte er weiter fest: „Unten gefällt’s dir, wie mir scheint.“

Erstaunt wandte Fireball seinen Kopf in die Richtung der Stimme. Er war in der Abenddämmerung, nachdem ihm seine Mannschaft deutlich gemacht hatte, dass sie mit ihm nicht reden wollten, hinaus gefahren, hatte sich die Umgebung angesehen. Gerade hatte er auf einem Wald- und Wiesenweg einen außerplanmäßigen Zwischenstopp einlegen müssen, weil er mit vollem Speed über einen zu großen Stein gefahren war. Nun hatte er schnell sehen wollen, ob er sich den Unterboden dabei ruiniert hatte. Fireball war in letzter Zeit unaufmerksam, zu viele Dinge schwirrten ihm durch den Kopf und vom Autofahren wurde es nicht mehr besser. Immer wieder dachte er an April, der Disput mit seinem Vater von diesem Tag hing wie eine düstere Wolke über ihm und die Schwierigkeiten, auf die er im Team zusteuerte, drehten ihm den Magen um.

Und nun auch noch das. Die Stimme gehörte einem alten Bekannten mit blauen Haaren und dem einzigen Gesicht, in das Fireball zu gerne schlagen würde, wenn er es auch nur zu sehen bekam. Schnell wie selten fand er unter dem Wagen hervor und stand auf. Er funkelte Jesse bitterböse an: „Mein Tag war so schon perfekt genug, was zum Teufel treibst du hier?!“

Auch Jesse richtete sich wieder auf. Amüsiert beobachtete er, wie der Heißsporn gleich explodierte. Den Sarkasmus von Fireball kannte er nur zu gut. Das war immer der Fixpunkt, an dem man ausmachen konnte, wann die Schmerzgrenze bei dem guten Rennfahrer erreicht war. Dieses Mal schien das außerordentlich schnell zu gehen. Jesse glaubte auch zu wissen, weshalb. Er spekulierte auf den wunden Punkt von Fireball: „Streit mit Miss Eagle?“

„Selbst, wenn es so wäre, ist es nicht mehr deine Angelegenheit, Jesse!“, dabei versuchte Fireball so ruhig wie möglich zu bleiben. Er hatte seine Gefühle schlecht unter Kontrolle, an diesem Tag ganz besonders. Er hatte Colt schon wegen nichts und wieder nichts angefahren, war mit Saber zusammen gekracht und hätte sich am liebsten einfach nur noch in Luft aufgelöst. Alle Schwierigkeiten, denen sie momentan ausgesetzt waren, oder die gerade auftraten, hingen zwangsläufig irgendwie an ihm. Er schien an allem Schuld zu sein.

Da sich die beiden gegenüber standen und der Wagen ihre natürliche Barriere bildete, entschied sich Jesse einige Schritte um den Wagen herum zu machen. Dabei betrachtete er das Modell gespielt aufmerksam. Unbemerkt blinzelte er dabei auch immer wieder zu seinem ärgsten Widersacher. Er war seinem Ziel so unendlich nahe und er würde es auch auskosten. Die letzten Wochen hatte er ausgespäht und ausgekundschaftet, nachdem sie in der fremden Zeit gelandet waren. Jesse hatte bald vermutet, dass die Star Sheriffs etwas glücklicher gelandet waren als die Outrider. Die waren mit all ihren Schiffen in der Phantomzone gelandet. Oh, es hatte ewig gedauert, Nemesis davon zu überzeugen, dass er ein Sympathisant war und kein böser Mensch. Nachdem diese Hürde aus dem Weg geschafft gewesen war, hatte sich Jesse auf Ramrod gestürzt und versucht heraus zu finden, wo sie sich rumtrieben und wie sie sich tarnten. Der Zufall hatte ihm einmal mehr in die Hände gespielt, als er bei einem Spaziergang durch die Stadt ein Gespräch zweier Soldaten aufgeschnappt hatte. Es war um Captain Hikari und den Neuen in der Air Strike Base 1 gegangen. Niemals hätte Jesse gedacht, dass Fireball so frech sein würde, und bei seinem Vater mitarbeiten würde. Aber, er tat es tatsächlich und Jesse hatte sich damit einen wunderschönen, grausamen Plan zurecht schmieden können.

Süffisant lächelnd trat er neben Fireball: „Ich sagte doch. Irgendwann langweilt sie sich mit dir.“

Sein herablassender Tonfall und seine missbilligende Haltung unterstrichen diesen bissigen Kommentar zusätzlich. Jesse liebte es förmlich, Fireball bei dem heiklen Thema zu packen und ihn zu unüberlegten Aussagen zu reizen.

Fireball wich automatisch einen Schritt nach hinten, obwohl das taktisch nicht unklüger hätte sein können. So signalisierte er Jesse eindeutig, dass er flüchten wollte, auch wenn dies gar nicht der Fall war. Der Rennfahrer tat es aus dem einfachen Grund, weil Jesse ihm verbal schon zu nahe trat, zumindest der räumliche Abstand sollte dabei gewährleistet bleiben, damit ihn das alles nicht zu sehr treffen konnte. Angriffsfläche bot er im Moment ja genug, das wusste er selbst auch. Fireball fragte sich, wie Jesse ihn hatte finden können. Wie genau wusste der Blauhaarige über die Lage Bescheid? Fireball legte die Hand auf die Motorhaube, als er wie selbstverständlich fragte: „Wie kommt es eigentlich, dass du mich in der einsamen Gegend beehrst, Kumpel? Hattest du Sehnsucht?“

Jesse trat einen Schritt nach vor. Es würde ihm Spaß bereiten. Ganz sicher. Sein Lächeln wuchs zu einem unverschämten Grinsen heran. Fireball würde es bereuen, alleine hier raus gefahren zu sein. Jesse lehnte sich gegen die Wagentür, den Ellbogen auf dem Dach abgestützt: „Wenn du mich so fragst, ja.“

Wieder wich Fireball einen Schritt nach hinten aus. Jesse bereitete ihm ein unangenehmes Gefühl. Sein Grinsen war falsch, seine Freundlichkeit nur gespielt. Das war einmal anders gewesen. Der junge Pilot rang sich zu einer Frage durch: „Was willst du hier?“

„Rate mal.“, das Grinsen verschwand nicht aus seinem Gesicht. Fireball ließ sich so herrlich gut verunsichern. Man musste ihn nur am richtigen Punkt erwischen. Und Jesse hatte da schon gute Vorarbeit geleistet. Die Blondine war ein erheblich empfindliches Thema beim Rennfahrer, wenn er damit anfing, konnte er Fireball in jede x-beliebige Richtung schieben, wie er ihn gerade brauchte. Im Moment sorgte es für die nötige Unaufmerksamkeit.

Der Rennfahrer biss sich auf die Lippen, ehe er hauchte: „April…“

Na bitte, das lief wie am Schnürchen. Vor lauter Sorge um die hübsche Navigatorin vergaß der Spund alles andere. Jesse strich sich die Haare nach hinten: „Dieses Mal nicht. Nachher gehört sie mir ohnehin.“

Fireball schluckte schwer. Was hatte Jesse nur vor? Er erkannte den blauhaarigen, ehemaligen Kadetten nicht wieder. Immer noch war er schwer enttäuscht, wenn er ihn sah. Dementsprechend fielen die nächsten Worte aus: „Warum hörst du nicht endlich auf damit? Seit du die Akademie geschmissen hast, richtest du nichts als Schaden an.“

Für einen Moment war der Anführer der Outrider sprachlos. Was war denn mit dem Reiskocher los? Ungläubig wiederholte er: „Schaden?!“, der Rennfahrer musste mit dem Kopf wo gegen gelaufen sein, so war es. Schnell fing sich Jesse deswegen wieder. Seine Augen funkelten hinterhältig: „Den wirst du bald haben, mein Freund.“

Unbemerkt zog Jesse aus seinem Gürtel eine Waffe hervor, während er kleine Schritte auf Fireball zu machte. Es würde ein Kinderspiel werden, ihm zu schaden. Nur noch wenige Zentimeter und er war in guter Reichweite.

„Das waren wir, Jesse.“, die Enttäuschung darüber stand ihm ins Gesicht geschrieben. Sie hatten zusammen die Akademie auf Alamo besucht, hatten sich dort kennen gelernt und ihren Spaß gehabt. Bis Jesse gedacht hatte, ein Mädchen besitzen zu wollen. Daran war die Freundschaft zerbrochen. An April, denn Fireball hatte sich zwischen sie und Jesse gestellt, als der Blauhaarige ihr seine Zärtlichkeiten aufdrängen wollte. Die braunen Augen musterten ihn: „Du wirst nichts von alledem bekommen, was du willst.“

„Oh, doch, das werde ich.“, Jesse nützte die Gelegenheit gnadenlos aus. Er griff Fireball mit festem Druck an der Schulter, ging den letzten Schritt auf ihn zu und holte die andere Hand hervor. Als er Fireball das Messer in den Bauch rammte, flüsterte er kalt: „Mit dir fange ich an, Shinji-kun.“

Er hatte keine Gegenwehr gehabt, Jesse war darüber selbst mehr als erstaunt. Das war schon keine richtige Herausforderung mehr gewesen. Aber der Zweck seines Besuches war getan, das Ziel erfüllt. Jesse war zufrieden. Langsam und qualvoll zog er das Messer heraus, warf es achtlos hinter sich in die Wiese und entfernte sich von Fireball.

Schmerzerfüllt keuchte Fireball auf, als Jesse ihm das Messer hinein gestoßen hatte. Fassungslos hatte er ihn mit großen Augen angesehen, das war nicht wirklich passiert. Es brannte wie Feuer unter der letzten linken Rippe, der Schmerz nahm ihm für einen Moment alle Kraft. Fireball sank mit dem Oberkörper auf die Motorhaube, seine Knie schienen das Gewicht nicht mehr tragen zu können. Er keuchte: „Verdammter Mistkerl…“

„Wie verdammt Recht du hast.“, Jesse hob die Hand und ging. Er sah sich nicht einmal mehr um. Er würde den Japaner seinem Schicksal überlassen. Hier in den Hügeln Yumas, würde niemand nach ihm suchen, sollte ihn jemand vermissen. Jesse verschwand in der Nacht.
 

Mit letzter Kraft hatte er sich zu Ramrod zurückgeschleppt. Irgendwie war er noch über die Rampe ins Innere des Friedenswächters gekommen. Nun stand er in dem dunklen Zimmer, konnte sich kaum noch aufrecht halten und spürte das klebrige Blut, das durch seine Finger tropfte. Sie schlief. Er brauchte ihre Hilfe. Fireball wankte auf ihr Bett zu und flüsterte: „Süße. Bitte wach auf.“

Nichts. April lag in ihrem Bett und rührte sich nicht. Sie schlief tief und fest. Fireball nahm noch einmal alle Kraft zusammen. Etwas lauter als zuvor versuchte er wieder, sie zu wecken: „April. Bitte wach auf. Ich brauche deine Hilfe, Süße, bitte.“

Fireball flehte fast. Als er schon mit gequältem Gesichtsausdruck fester auf die Wunde drückte und sich ohne die Blondine auf den Weg ins Badezimmer machen wollte, regte sich doch noch was im Bett.

Hatte sie tatsächlich jemanden gehört? Unwillig wurde April aus ihrem Traum gerissen, sie wollte noch gar nicht aufwachen. Aber irgendjemand war hier. Sie spürte die Nähe des Besuchers. Die Navigatorin drehte sich auf den Rücken. Sie hatte schlecht geschlafen. Das lag alleine daran, dass sie spät ins Bett gegangen war und dann ewig nicht hatte einschlafen können, weil sie sich dermaßen über Fireball geärgert hatte. Der Bengel hatte das Steuer an sich gerissen, als wäre es eine Selbstverständlichkeit. April wunderte sich immer mehr über den Japaner, der ihr von Tag zu Tag fremder wurde. Als Colt, Saber und sie beschlossen hatten, die Besprechung ohne Fireball zu Ende zu führen und den Rennfahrer schmoren ließen, war die Unvernunft in Person von Bord gegangen. Er hatte niemanden gesagt, wohin und wann er wieder kommen würde. Über all den Zorn hatte sich April aber auch Sorgen um Fireball gemacht. Sie hatte ihm angesehen, wie sehr ihm der Streit mit seinem Vater zugesetzt hatte.

Sie schlug die Decke ein Stück zurück und setzte sich auf. Richtig wach war sie noch nicht, deswegen gähnte sie und streckte die Arme kurz über den Kopf, ehe sie die Augen richtig öffnete und in die Dunkelheit fragte: „Fireball?“

Sie hoffte, dass er nachhause gekommen war.

Der Rennfahrer hatte sofort in seiner Bewegung inne gehalten, als er gehört hatte, wie sich im Bett hinter ihm etwas regte. Sie war seine letzte Chance. Hastig drehte er sich wieder ihr zu und flüsterte: „Ja, Süße. Ich bin’s. Du musst mir bitte helfen.“

Mürrisch verzog April die Mundwinkel. Der Kerl hatte vielleicht Nerven, das war schon beinahe unheimlich. Weil sie nicht ausgeschlafen war, war ihr ohne Decke um die Schultern sofort zu kalt geworden. Sie griff nach ihr und warf sie sich über die nackten Schultern. Irrsinnig viel konnte sie von ihrer Umgebung noch nicht ausmachen, deshalb fiel ihr auch der Ernst der Lage nicht auf. Ein bisschen ließ sie es Fireball nun spüren, dass er einfach abgehauen war: „Was brauchst du denn? Ein wenig Vernunft?“

Fireball biss sich auf die Lippen. Er hatte Schmerzen, er verlor Blut und hatte obendrein wirklich ein schlechtes Gewissen. Deswegen konnte er nicht wirklich kontern. Er wich einen Schritt nach hinten und fragte im Flüstern: „Wo ist der Verbandskasten?“

„Im Bad, wo soll er sonst sein?“, bekam er die nicht ganz so leise Antwort von April. Sie rieb sich die Augen und schaute angestrengt in die Richtung, aus der die Stimme kam. Aber im Dunkeln konnte sie nur seine Konturen ausnehmen. Schnippisch versetzte sie ihm noch: „Pflaster sind zu Hauf im Verbandskasten, solltest du dir wieder mal in den Finger geschnitten haben.“

Das Glückstrefferprinzip musste wohl im Team abfärben. Neuerdings waren nicht nur Fireball und Colt unsagbar präzise darin mit dummen Sprüchen ins Schwarze zu treffen, sondern auch Saber und April begannen damit. Nur, dass Fireball im Augenblick nicht darüber lachen konnte. Das warme Blut an seiner Hand erinnerte ihn qualvoll daran, weshalb er bei April im Zimmer stand. Gut, sie war sauer, aber das wäre er auch an ihrer Stelle gewesen. Vielleicht hätte er sie doch nicht wecken sollen. Er presste unter zusammengebissenen Zähnen hervor: „Nadel und Faden auch?“

April horchte auf. Nadel und Faden? Blitzschnell fuhr ihre Hand zum Lichtschalter. Augenblicklich war sie hellwach. Zuerst blendete sie das grelle Licht, es war ihren Augen viel zu hell. Doch als sie endlich klar sah und auch Fireball an ihrer Bettkante lebensgroß und in Farbe ausmachen konnte, stockte ihr der Atem. April sah direkt auf die blutverschmierte Hand, die sich der Japaner mit aller Kraft auf die Wunde drückte. Es war ihr zu viel. Sie lief kreidebleich an, musste sich die Hand vor den Mund halten und sprang an Fireball vorbei aus dem Schlafzimmer. Mit der anderen Hand deutete sie auf das Badezimmer. Es hatte ihr nicht nur den Atem verschlagen, es war ihr auch übel geworden. April war kein abgebrühter Star Sheriff. Sie war eine zart besaitete Frau und bei Fireballs Anblick hatte sich ihr der Magen umgedreht. Das war ihr um diese Uhrzeit einfach zu viel des Guten gewesen. Gerade noch rechtzeitig erreichte sie die Toilette, um sich zu übergeben.

Wie konnte er ihr bloß einen solchen Schrecken einjagen? Ihr spärlicher Mageninhalt entleerte sich und es dauerte eine ganze Weile, bis sich April im Griff hatte. Sie spülte sich den Mund mit kaltem Wasser aus, um den ätzenden Geschmack los zu werden. Nur ganz langsam wurde sie klar im Kopf und konnte das Ausmaß dieses Vorfalls erkennen. Sie musste ihm helfen! So schnell als möglich. Hektisch eilte April ins Badezimmer und hoffte, dass es Fireball noch bis dahin alleine geschafft hatte.
 

Tatsächlich stand der Wuschelkopf im Bad. Als sie an ihm vorbeiging, erkannte sie auch in seinem Gesicht eine ungesunde Farbe. Es war offensichtlich Eile geboten. April ging an den Verbandskasten, holte allerhand Utensilien heraus und kniete sich anschließend vor Fireball. Mit professioneller Miene drückte sie die Hand von der Wunde weg und schnitt sein T-Shirt auf. Es klebte an der Wunde und April hatte Mühe, den Stoff von der Haut abzuziehen, ohne ihm noch mehr Schmerzen zu bereiten. Die Blondine erschrak zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit, als sie die Wunde zu Gesicht bekam. Lautlos forderte sie Fireball auf, sich das Shirt auszuziehen. Sie beobachtete, wie er sich mit langsamen, bedächtigen Bewegungen den blutverschmierten Stoff über den Kopf zog.

„Das sieht übel aus, Fire. Du solltest zu einem Arzt.“, ihre blauen Augen hingen an der Schnittverletzung. Sie war nicht allzu lang, dafür aber tief. Behutsam wischte sie zuerst das meiste Blut von seiner Haut, danach holte sie Desinfektionsmittel und einen Lappen, worauf sie die Flüssigkeit träufeln konnte.

Im ersten Moment, als April mit dem Desinfektionsmittel über die Wunde strich, zuckte Fireball gleich zurück. Das tat höllisch weh! Wollte sie ihn umbringen?! Er wollte laut schreien, konnte sich im letzten Moment aber noch auf die Lippen beißen. Er hätte das ganze Schiff zusammen getrommelt, genau das, was er nicht hatte wollen. Er hielt sich mit einer Hand am Waschbecken fest und atmete tief aus, durch den Schmerz. Angesichts seiner Reaktion, waren seine Worte leicht als Lüge zu enttarnen, als er April leise versicherte: „Das sieht schlimmer aus, als es ist.“

„Klar.“, April zog augenblicklich die Hand zurück und sah zu Fireball hinauf. Eine Leiche hätte mehr Farbe im Gesicht gehabt, als der Rennfahrer gerade. Sie sah ihm an, dass er sich kaum auf den Beinen halten konnte und dann log er sie auch noch an. Oh, der Sturkopf lernte niemals dazu. Egal, ob er nun vor dem brennenden Desinfektionsmittel zurückgewichen wäre, oder nicht, sie sah ihm das Lügen allemal an. In jeder Situation. Mit sanftem Druck auf den Oberschenkel dirigierte April den Rennfahrer vor das Waschbecken. Da konnte er sich dagegen drücken, soviel er wollte, aber nach hinten kam er ihr dann nicht mehr davon. Gründlich reinigte sie seine Wunde, immer darauf bedacht, ihre Gefühle nicht überhand nehmen zu lassen.

Fireball hatte sie geweckt, mitten in der Nacht. Das alleine hatte die Blondine maßlos aufgeregt und seine schwere Verwundung hatte nur dafür gesorgt, dass sie diesen Frust zur Seite geschoben hatte. Nun aber stieg die Wut wieder in ihr auf. Während sie nach der Nadel und dem Faden fürs Nähen suchte, giftete sie ihn an: „Wie ist das überhaupt passiert? Soweit ich mich erinnere, hat dein Red Fury keine so scharfen und schmalen Kanten.“

Weshalb war sie nur so feindselig? Mit zusammengebissenen Zähnen lehnte er sein Becken gegen das Waschbecken, hielt sich mit beiden Händen daran fest. Aufmerksam sah er zu April hinab, wie sie zu nähen begann. Gegen seinen Willen musste der junge Rennfahrer schmunzeln. Er konnte sich vorstellen, was Colt wohl denken würde, wenn er ins Bad kommen würde und die beiden in dieser Position vorfand. Der erste Stich brachte ihn allerdings wieder in die Realität zurück. Ohne Betäubung war das noch schlimmer als das Desinfizieren. Heiser, vor Schmerz versagte ihm die Stimme, erklärte er April, während er den Kopf in den Nacken legte und die Augen schloss: „Jesse. Ich bin ihm leider über den Weg gelaufen.“

Gleich darauf biss er sich auf die Unterlippe. Sein Gesichtsausdruck zeigte all das, was er April nicht zeigen wollte. Ihm trat der Schweiß auf die Stirn und bald würde er sich nicht mehr auf seinen Beinen halten können. Hoffentlich war sie bald fertig.

Die Blondine achtete nicht darauf, sie konzentrierte sich darauf, Fireballs Wunde zu versorgen und dass ihr nicht wieder übel wurde. Und das ging am leichtesten, in dem sie die Sorge gegen ihren Zorn austauschte. Mit zittrigen Fingern stach sie die Nadel in seine Haut. Sie durfte nicht zurückzucken. Sie durfte Fireball nicht zeigen, wie schwer es ihr fiel und wie seltsam es war. Noch nie zuvor hatte sie einen Menschen wirklich nähen müssen. Kleinere Wunden hatte sie im Laufe des Krieges schon oft versorgt, noch nie allerdings so etwas. Das überließ sie ansonsten den Ärzten. April zwang sich zur Ruhe. Aber es gelang ihr nicht wirklich. Mit belegter Stimme brummte sie: „Ich bin Navigatorin und keine Sanitäterin, falls du das vergessen haben solltest. Warum lässt du dich von Jesse einfach so eiskalt erwischen?“

Er spürte Aprils kalte Finger auf seiner Haut. Und er fühlte, wie sie zitterte. Sie hatte Angst, ganz klar. Aber das sollte sie nicht. Vielleicht half ihr ein kleiner Scherz. Gequält schmunzelte er deswegen: „Das weiß ich. Aber du hast einen der besten Sanitätskurse gemacht. Ich will doch bloß nicht, dass du das verlernst, Süße.“

„Ich find das überhaupt nicht lustig, Fireball!“, grollte April. Dann spürte sie, wie er die Luft anhielt und seine Muskeln spannte. Seine Wunde zu versorgen, musste ihm starke Schmerzen bereiten. Als sie beim nächsten Stich unterdrücktes Stöhnen vernahm, hielt April inne. Vorbei war es mit den bitterbösen Gedanken. Vorsichtig strich April mit ihrer linken Hand über seine Seite. Ihre Finger ruhten auf seinen Hüften, übte sanften Druck darauf aus und sprach ihm gut zu: „Ich bin gleich fertig, Fire. Zwei Stiche noch, dann ist es auch schon vorbei.“

Fireball nickte, bevor er seine Hände fester in die Keramik drückte und den Kopf wieder in den Nacken legte. Ein weiteres Mal hielt er die Luft an und spannte die Muskeln. April sollte sich beeilen. Die letzten Stiche ließ er schweigend über sich ergehen, indem er sich auf die Lippen biss und darauf konzentrierte, nicht zu schreien. Es fiel ihm schwer. Als April von ihm ab ließ, sank er keuchend auf den Boden und fuhr sich mit den blutigen Händen über die Stirn und durch die Haare. Er brachte kaum einen Ton hervor: „Haben wir noch Schmerzmittel da, Süße?“

April ließ die Nadel augenblicklich auf den Fliesenboden fallen und rutschte auf den Knien von Fireball weg. Sie starrte auf ihre blutverschmierten Hände. Obwohl sie wusste, dass sie eine Verletzung behandelt hatte, kam sie sich beim Blick auf ihre Hände vor, als hätte sie gerade jemanden verwundet. Sie begann wieder zu zittern, stärker als vorhin noch und in ihr kroch Übelkeit empor. Die Blondine schüttelte den Kopf. Sie durfte jetzt nicht schwach werden. Noch nicht. April kämpfte den Brechreiz wieder zurück. Nachdem sie mehrmals tief durchgeatmet hatte, stand sie auf. Sie drängte sich zum Waschbecken und wusch sich zu allererst die Hände. Automatisch zog sie ein Handtuch aus dem Schrank und hielt es unter den kalten Wasserstrahl. Sie durfte nur nicht daran denken, wen sie gerade behandelt hatte. Krampfhaft redete sie sich ein, dass das eben das Gesicht des Krieges war und es jederzeit passieren konnte. Aber gerade dieser Gedanke half ihr ganz und gar nicht. Es machte ihr Angst. Denn April fürchtete diese Früchte des Krieges. Es verdeutlichte ihr, dass auch ihnen jederzeit etwas passieren konnte, dass sie ihre Freunde verlieren konnte. Ohne zu Fireball hinunter zu sehen, reichte sie ihm das Handtuch und erklärte: „Wisch dir das Blut von der Wunde und deinen Händen. Ich seh zu, dass ich etwas für dich auftreiben kann.“

Damit verschwand April aus dem Bad. Fireball fiel das Handtuch genau in die Hände. Verdammt, war das kalt. Im Nu breitete sich eine Gänsehaut über seinen gesamten Körper aus. Der Rennfahrer stieß sich mit den Beinen nach hinten, bis sein Rücken die Wand spürte. Keuchend lehnte sich Fireball gegen die Wand, er konnte eine Stütze gut gebrauchen. Er kniff die Augen zusammen, ehe er den Blick nach unten senkte, und begann, seine versorgte Wunde noch abzutupfen. Mit dem Kopf war er bei April. Sie war wohl ordentlich verstimmt. So kalt und herzlos war sie selten zu ihm gewesen. Hoffentlich brachte sie ihm noch die versprochenen Schmerzmittel, bevor sie wieder ins Bett ging.
 

Hm, nein, das waren sie auch nicht. April legte schon die vierte Schachtel wieder in die Schublade zurück. Wo waren bloß die starken Schmerzmittel, die sie für den Notfall besorgt hatte? Im Bad saß immerhin gerade so ein Notfall und April fand die Tabletten nicht. Langsam wurde sie hektisch. Panik stieg in ihr auf. Ah, da waren sie! April umklammerte die Packung fester und hastete aus dem Zimmer.

Sie lief an den Quartieren vorbei und wieder zu Fireball. Vor Sabers Zimmer blieb sie plötzlich stehen. In dem Moment wurde der Blondine alles zu viel. Die möglichen Folgen seiner Verletzung schossen ihr durch den Kopf und ihre Augen füllten sich mit Tränen. April brach vor Sabers Tür auf den Boden. Sie zitterte wie Espenlaub und ließ die Schachtel mit den Medikamenten auf den Boden fallen. April schlug die Hände vors Gesicht und kauerte sich zusammen. Unglaubliche Angst umschloss ihr Herz. Die Blondine wimmerte in ihre Hände hinein. Was war nur geschehen? April verstand nicht, wie Jesse es geschafft hatte, Fireball derart zu schaden. Der Rennfahrer ließ den Verräter doch sonst niemals in eine derart gute Position gelangen, um ihm ein Messer unter die Rippen zu jagen.

April versuchte sich zu einzureden, stark zu sein. Sie dürfe sich nicht so gehen lassen, es würde nichts helfen. Doch ohne Erfolg. Sie begann nur noch mehr zu weinen und zu schluchzen. Die Verzweiflung und die Angst um Fireball zerfraßen sie beinahe. Warum nur?
 

Angestrengt hörte er in die Dunkelheit hinein. Seit geraumer Zeit schon hatte Saber das Gefühl, im Gang draußen würde jemand umher schleichen. Sein leichter Schlaf machte ihm momentan jede Nacht einen Strich durch die Rechnung. Es verging keine Nacht, in der er nicht aus seinem traumlosen Schlaf hochfuhr und glaubte, es sei etwas geschehen. Saber wartete nur noch auf den großen Knall, der mit Sicherheit bald kam.

Da war es wieder. Mit Luchsohren setzte sich Saber im Bett auf und schlug die Decke zurück. Da war etwas vor seiner Tür. Das konnte er sich nicht eingebildet haben. Ob der Rennfahrer wohl endlich zurück an Bord gefunden hatte? Saber haderte mit sich selbst. Er hatte einerseits absolut keine Lust aufzustehen und nachzusehen, andererseits würde es ihm aber doch keine Ruhe lassen. Er kannte sich selbst zu gut. Wenn er nicht nachsehen gehen würde, könnte er erst recht kein Auge mehr zu machen. Und auch, wenn er wegen Fireball immer noch einen dicken Hals hatte, so gehörte der Hitzkopf zu seinem Team. Saber musste nachsehen gehen.

Er schwang die Beine aus dem Bett, schlüpfte in seine Pantoffel und machte sich Licht, damit er nirgends drüber fallen konnte. Leise öffnete er die Tür und sah sich im Flur um. Hm, alles ruhig.

Doch da war es wieder. Saber riss den Kopf nach unten. Es war nicht Fireball gewesen, es war April! Saber sah auf die Blondine hinab, die dort vor seiner Tür kauerte und ängstlich am ganzen Körper zitterte. Sie saß dort, nur mit einem knappen Nachthemd bekleidet, mit nackten Füßen, auf dem kalten Boden und weinte in ihre Hände. Der Schotte erschrak bei dem Anblick zu Tode. Was um Himmels Willen war los?

Er kniete sich zu April hinunter, legte ihr seine warmen Hände um die Schultern und zog sie in eine schützende Umarmung. Behutsam zog er ihre Hände von ihrem Gesicht und wischte ihr die Tränen von den Wangen. Besorgt fragte er: „April. Was ist geschehen?“

Erschrocken riss April die Augen auf. Sie zitterte noch heftiger: „Saber!“

Der Schotte konnte nur auf eine Weise darauf reagieren. Er zog die Blondine noch fester in die Umarmung. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass noch jemand wach war. Auch, wenn er nicht wusste, weshalb die Blondine so herzzerreißend weinte, bestimmt gab es einen guten Grund dafür, so hinderte es ihn nicht daran, sich unendliche Sorgen um April zu machen. Er strich ihr über die kalte Haut ihrer Schultern, rieb sie, damit sich April wieder aufwärmte. Noch einmal erkundigte er sich: „April? Was ist mit dir?“

Die Navigatorin starrte Saber sekundenlang an, unfähig eine Reaktion zu zeigen. In ihrem Kopf lief gerade ein Film ab, wie sich die nächsten Minuten abspielen würden. Und weder Variante a noch die Variante b gefielen April. Der Rennfahrer, der immer noch im Bad saß, kam ihr wieder in den Sinn. Sie konnte Saber nicht beichten, was geschehen war. Niemals! Heftig schüttelte April deshalb ihre blonde Mähne und schälte sich aus Sabers Umarmung. Sie stand wieder auf und blickte auf Saber hinab. Flüsternd verneinte sie: „Es ist nichts, Saber. Danke, trotzdem.“

‚Ist aber ein verdammt nasses Nichts!‘, Saber blinzelte verwirrt zu April hinauf. Nie im Leben war da nichts, sonst hätte sie sich nicht vor seiner Zimmertür die Augen aus dem Kopf geheult. Als er sich mit der Hand auf dem Boden abstützte, um aufzustehen, stieß er gegen eine Schachtel. Sofort nahm er sie in seine Hände und in Augenschein. Zweimal musste Saber den Namen der Tabletten auf der Packung lesen, ehe er die Mittel zuordnen konnte. Dann entfuhr es ihm allerdings aufgeregt: „Um Himmels Willen, April! Wofür sind die Schmerzmittel? Was ist mit dir?“

„Die sind nicht für mich.“, gestand die junge Frau kleinlaut. Sie konnte Saber nicht ins Gesicht lügen. Wären es nur leichte Schmerzmittel gewesen, hätte sie ihn angeschwindelt und gesagt, sie hätte Krämpfe gehabt. So zog sie nun ihren hübschen Kopf ein und hoffte auf ein gnädiges Donnerwetter.

Mittlerweile stand Saber wieder. Der Schotte wurde langsam nervös. Aprils Verhalten behagte ihm ganz und gar nicht. Er kannte die Blondine. Sie log immer schon schlecht und ihre Gefühle konnte man an ihrer Art und ihrem Verhalten schon ablesen. Es musste einfach etwas Schlimmes passiert sein. Sabers Herz pumpte auf Hochtouren Blut durch seine Adern, ordentlich versetzt mit Adrenalin, er war so klar bei Verstand wie selten um diese Uhrzeit. Er hielt ihr die Packung vor die Augen und forderte ungeduldig: „Wenn sie nicht für dich sind, für wen dann? April, Himmel noch eins, was ist los?!“

Tränen sammelten sich abermals in Aprils Augen, als sie den Kopf senkte und murmelte: „Fireball.“

Saber rutschte das Herz in die Hose. Mit großen, erschrockenen Augen sah er auf die Blondine: „Was ist mit ihm? Wo ist er?“

April traute sich in diesem Augenblick nicht, Saber ins Gesicht zu sehen. Stattdessen senkte sie schuldbewusst den Kopf, kämpfte tapfer ihre Tränen hinunter und schlich voraus. Sie brauchte Saber nicht mehr zu sagen, als das, was sie ohnehin schon ausgeplaudert hatte. Alleine wegen der Tabletten hätte Saber sofort alles in Betracht gezogen, was übel ausgehen könnte. Sie kannte den Schwertschwinger doch. Er war ständig um das Wohl seiner Mannschaft besorgt. Seit sie hier gelandet waren, noch mehr als sonst schon. Im nächsten Augenblick flackerte allerdings der Gedanke an Fireball in ihr auf. Der Rennfahrer hatte ihr gar nicht richtig erzählt, was passiert war. Aber auch ohne eine Erklärung hätte sie schreckliche Angst um ihn gehabt. Zitternd griff sie im Vorbeigehen nach Sabers Hand und umklammerte sie ängstlich.

Der Schotte ließ sich führen. Er spürte Aprils eiskalte Finger, die sich um seine schlossen. Entweder war der Blondine irrsinnig kalt, was aufgrund ihres Aufzugs kein Wunder war, oder sie hatte schreckliche Angst und der Rennfahrer hatte ihr vor Schrecken das Blut in den Adern gefrieren lassen. Hand in Hand gingen die beiden Richtung Bad. Saber ging leicht hinter April versetzt, aufmerksam beobachtete er jede noch so kleine Bewegung der Blondine. Nein, sie sah ganz und gar nicht gut aus. Er war gespannt, was auf ihn zukommen würde. Eine Mischung aus Besorgnis und Wut stieg in Saber empor. Besorgnis, weil offensichtlich einiges in die Brüche gegangen sein dürfte und Wut, weil es ausgerechnet schon wieder Fireball war, den das alles betraf. Saber kam nicht umhin, allmählich die Geduld mit ihm zu verlieren. Jeden Tag wurde es schlimmer mit Fireball, er sah einfach nicht, worauf Saber ihn schon seit Wochen mit Leuchtschriftzeichen und Gebärdensprache hinzuweisen versuchte. Das ein oder andere Mal hatte er es ihm auch schon deutlich gesagt, was nicht in Ordnung war, aber Fireball hatte ihn dann immer nur verständnislos und mit tausenden Fragezeichen auf der Stirn angesehen. Die Situation war schon bedenklich genug, und nun schien es ernste Auswüchse daraus zu geben. Saber merkte gar nicht, wie April im Badezimmer plötzlich anhielt. Er rempelte sie leicht an, weil er nicht abgebremst hatte und entschuldigte sich murmelnd bei ihr. Der Schotte war selten so sehr in Gedanken versunken. Nun schienen sie am Ziel ihrer kurzen Reise zu sein und Saber sah sich erst einmal um.

Auf dem Boden lag der offene Verbandskasten, der hastig nach den geeigneten Utensilien durchsucht worden war, die blutverschmierte Nadel lag ebenfalls auf dem Fliesenboden. Das blutige T-Shirt von Fireball hing halb über der Badewanne, ein rot gefärbtes, ehemals rein weißes Handtuch gleich daneben. Und neben dem Waschbecken hockte der schwer atmende Rennfahrer. Er war blass um die Nase, ganz klar am Ende seiner Kräfte und schwer verwundet. Sabers Augen wurden groß und entsetzt stieß er hervor: „Oh, mein Gott!“

Fireball hatte die Augen geschlossen gehalten und während Aprils Abwesenheit versucht, durch den Schmerz hindurch zu atmen. Es hatte nur mäßig Früchte getragen, denn immer noch fühlte er, wie Blut aus der Wund trat, wie wild sie pochte und bei jeder Bewegung, sei sie auch noch so klein gewesen, auf sich aufmerksam machte. Jede Sekunde, die er länger auf April hatte warten müssen, desto verzweifelter war er tief in sich geworden. April hatte ihn nie hängen lassen, doch in dieser Nacht hatte er das Gefühl gehabt, sie würde es ohne mit der Wimper zu zucken tun. Und dann kam seine ersehnte Rettung doch noch und brachte ausgerechnet Saber im Schlepptau mit!

Verblüfft schlug Fireball die Augen auf und sah direkt in Sabers düsteres Gesicht. Er stammelte: „Saber? Was…?“

Dem Schotten war der Schrecken bis vor Kurzem noch ins Gesicht geschrieben gestanden, schnell allerdings hatte er seine hochprofessionelle Miene aufgezogen und versucht, alles daran abprallen zu lassen, was im Augenblick nur hinderlich war. Blöd nur, dass es sich dabei um Mitgefühl und Sorge handelte, die Saber weggesperrt hatte. Augenblicklich dachte er wieder als Anführer an seine Mannschaft und die Mission. Und Fakt war, dass der Pilot verletzt war, eben weil er sich ohne Erlaubnis vom Schiff entfernt hatte. Saber brummte: „Wie ist das passiert, Fireball?“

Ungefähr die selbe Reaktion konnte April sekundenbruchteile später bei Fireball ablesen. Der erste Schrecken war verpufft, das erstaunte Gesicht verfinsterte sich. Fireball rappelte sich irgendwie aus seiner Position auf, er musste Saber zumindest annähernd auf Augenhöhe entgegensehen können. Er konnte es nicht ausstehen, wenn der Schotte auf ihn hinab sah, als wäre er ein kleines Kind. Mit einer Hand musste er sich wieder am Waschbeckenrand festhalten, sonst hätte er es nicht geschafft aufzustehen. Auch so war es ein unglaublicher Kraftakt für den ausgezehrten Rennfahrer gewesen. Er blickte Saber kurz in die Augen, dann entschloss er sich, das Thema einfach auf ein andermal zu verschieben. Der kurzgeratene Japaner wollte an Saber vorbei und streckte die offene Hand nach April aus. Er bat sie: „Süße, hast du wenigstens die Schmerzmittel auch mitgebracht?“

Seine Stimme verriet deutlich, dass er Saber im Augenblick weder sehen noch sprechen wollte. Die beiden waren im Augenblick nicht gut aufeinander zu sprechen. Sie gerieten die letzten Tage ständig aneinander, an diesem Abend war alles soweit gegipfelt, dass der Rennfahrer von seinen Freunden einfach stehen gelassen worden war. Und nun hatte er schlicht und ergreifend keine Lust, mit Saber zu diskutieren. Und das würde er ohne Zweifel müssen.

Sein Pech war allerdings, dass der Schotte die Schmerzmittel hatte und nicht April. Die Blondine hob entschuldigend die Hände, während Saber Fireball die Schachtel unter die Nase hielt. Er war geweckt worden, hatte schlecht geschlafen und der Ton in Fireballs Stimme ließ den Blutdruck wieder deutlich nach oben schnellen. Was glaubte der Rotzlöffel eigentlich? Saber wollte die nächsten Augenblicke keine ungebetenen Zuhörer haben, deswegen schickte er April unter einem Vorwand aus dem Bad: „Hol unserem Bruchpiloten bitte ein Glas Wasser zu seiner Tablette, April.“

Klar, Fireball hätte auch einfach von der Wasserleitung trinken können, aber dann hätte April nicht gehen müssen. War zwar eine platte Ausrede, aber für die Uhrzeit ausgefuchst genug. Man konnte schließlich keine Genialität von Saber verlangen, er war doch erst knappe fünf Minuten wach, hatte schon einen Schrecken nach dem anderen erlebt und auch sein Nervenkostüm war mal angekratzt.

Gut erzogen verließ April das Bad. Sie würde sich Zeit lassen, mit dem Glas Wasser, denn auf gar keinen Fall wollte sie Zeuge eines Streits zwischen Fireball und Saber werden. Die Blondine hatte das Gefühl, dass beide von Freunden zu Rivalen geworden waren. Sie boten sich die Stirn, vor allem Fireball schien keinerlei Respekt mehr vor der Position Sabers zu haben.

Der Rennfahrer griff nach der Schachtel, bekam sie aber nicht zu fassen, weil Saber die Hand blitzschnell mit der Schachtel hinter seinem Rücken verschwinden ließ. Er funkelte Fireball an: „Zuerst will ich mal hören, wo du warst, warum du erst jetzt wieder kommst und wie das da passiert ist.“, dabei senkte Saber seinen Blick auf die Wunde.

„Das klären wir morgen beim Frühstück. Es ist spät und ich muss morgen wieder früh raus. Also wirst du mich bitte entschuldigen.“, es kostete Fireball viel Mühe, ruhig und schmerzfrei zu klingen. Er ließ sich von Saber doch nicht erpressen! Das waren bestimmt nicht die einzigen Schmerzmittel, die an Bord rumlagen. Er nahm Saber an der Schulter und versuchte, den Schotten zur Seite zu schieben.

Der Blonde allerdings hielt dagegen. Er machte sogar noch einen Schritt in die andere Richtung, damit Fireball auch ja nicht an ihm vorbei kam. Ihr Pilot hatte nicht die Kraft, Saber zur Seite zu schieben. Das verriet Saber, dass es eine schwere Verletzung sein musste, an der großen Klappe hätte man das nämlich nicht festmachen können. Mit etwas mehr Druck hielt nun Saber den Japaner an der Schulter. Er drückte ihm die Finger fest in die kalte Haut. Sein Blick verfinsterte sich noch mehr als zuvor schon. Saber blaffte Fireball an: „Ich werde gar nichts! Du wirst mir vorher meine Fragen beantworten, Fireball. Haben wir uns verstanden?“

Fireball blieb stehen und schluckte kaum merklich. Der Highlander hatte beinahe zu viel Kraft aufgewendet. Der ausgezehrte Rennfahrer hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten und seine Schmerzen zu verstecken, nun auch noch den festen Griff von Saber zu ignorieren, war fast schon zu viel für heute. Er hob seine rechte Hand und versuchte, Sabers Hand von seiner linken Schulter zu schlagen. Seine Haltung hatte sich augenblicklich versteift und sein Blick war entschlossen. Er war der Captain und hatte entschieden! Fireballs braune Augen blitzten auf: „Wenn du zugehört hast, dann haben wir uns verstanden, Saber. Wir werden morgen früh darüber reden.“

Der bestimmte Tonfall machte Saber rasend. Er drückte die Hand an Fireballs Schulter automatisch fest zusammen. Es war ihm im Moment herzlich egal, ob dem Rennfahrer das weh tat, oder er es kaum spürte. Saber brodelte. So deutlich wie nie hatte Saber nun das Gefühl, Fireball würde ihm den Rang streitig machen. Den Befehlston wollte er dem Rennfahrer sofort wieder austreiben. Ruhig, aber scharf, gab er zurück: „Gar nichts werden wir morgen früh. Jetzt sofort wirst du mir erklären, was passiert ist.“

Aber der sture Bock dachte nicht daran. Ihm wurde vor Schmerz schon schlecht, er konnte sich keinen Augenblick länger mehr auf seinen Beinen halten. Er durfte Saber das allerdings nicht sehen lassen. Mit wütenden Augen fixierte er Saber und keifte ihn nun an: „Jetzt sofort geht schon mal gar nichts! Du wirst wohl über übel auf morgen warten müssen. Leg dich endlich wieder schlafen!“

Das war der Punkt, an dem Saber die Nerven verlor. Hatte er ihm einen Befehl gegeben?! Das war nicht Fireballs Ernst. Aber er erkannte auch, dass es keinen Sinn machte, das auf Biegen und Brechen augenblicklich klären zu wollen. Grollend stieß er Fireball nach hinten: „Das war’s! Mir reicht’s, Fireball! Wir zwei sind fertig.“

Stinksauer stapfte Saber aus dem Bad und wieder zurück in sein Zimmer. Dabei warf er die Schmerzmittel mit Schwung auf den Flur im Gang. Das war einfach nicht zu fassen. Die halbe Portion versuchte, ihm Befehle zu geben als wär es eine Selbstverständlichkeit! Das war doch ein Witz!

Hinter ihm ging besagte halbe Portion auf die Knie und stützte sich mit den Händen auf dem Boden ab. Er keuchte und Schweiß trat ihm auf die Stirn. Das war mehr gewesen, als er noch hatte bewältigen können. Saber, sein engster Vertrauter kündigte ihm die Freundschaft.

April hatte die beiden Männer bis in die Küche gehört. Sie hatte Fireball kein Wasser mit gebracht, war allerdings in den Flur gegangen, als sie Saber gehört hatte. Mit einem unbehaglichen Gefühl sah sie dem Schotten nach. Um Himmels Willen, der kochte schlimmer als ein Dampfkessel. April blieb stehen und hob die Tabletten auf, die Saber beinahe zielgenau gegen Colts Zimmertür gepfeffert hatte. Sie warf dem Schotten noch einen Blick zu und machte sich dann auf den Weg zu Fireball. Der Rennfahrer kniete auf dem Boden. April bückte sich zu ihm hinab und langte nach seinem Arm. Als sie ihn vorsichtig auf die Beine ziehen wollte, machte er sich wieder los.

„Lass mich bitte in Ruhe, April. Alles in Ordnung.“, flüsterte der Rennfahrer mit schmerzerfüllter Stimme. Dabei rappelte er sich ohne Aprils Hilfe mühsam auf.

Wütend schüttelte April den Kopf und stand auf. Sie ließ ihm die Tabletten auf dem Waschbeckenrand liegen und ging ebenfalls aus dem Bad. Sie verteufelte den jungen Japaner missbilligend: „Elender Trotzkopf!“
 

Die restliche Nacht war er in der Küche am Tisch gesessen und hatte nachgedacht. Alles lief aus dem Ruder. Seine Freunde ignorierten seine Entscheidungen, taten sich gegen ihn zusammen. Sein Vater hatte die Spürnase und den Argwohn ausgepackt und alles nur wegen Jesse Blue. Fireball hatte sich aus seinem Zimmer einen Pulli geholt, ihm war kalt gewesen. Zuvor hatte er sich großzügig ein Pflaster über die Wunde geklebt und zwei Tabletten auf einmal genommen. An Schlaf war für den Piloten nicht mehr zu denken gewesen. Bis in den frühen Morgen war er vor einer Tasse Tee gesessen und hatte sich Gedanken gemacht. Ernüchternd war er zu dem Schluss gekommen, dass er als Captain völlig versagt hatte. Immerhin stellte sich seine Mannschaft kollektiv gegen ihn. Auch die Beziehung zu April ging in die Brüche. Sie war distanziert und enthielt ihm Zärtlichkeiten vor, die er sich gerne bei ihr geholt hätte. Die Geschichte war mittlerweile mehr als nur frustrierend. Sie stellte alles auf den Kopf, vor allem das Leben der vier Freunde.

Fireball machte sich pünktlich auf den Weg ins Oberkommando. Wie nicht anders zu erwarten gewesen war, hatte es keiner geschafft, aus dem Bett zu krabbeln, bevor er das Schiff wieder verließ. Colt war immer schon der geborene Langschläfer gewesen und April und Saber mussten ein paar Stunden Defizit aufholen.

Er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, während er in der Flugstaffel seinen Dienst tat. Die nächsten beiden Tage hatte er zumindest insoweit Glück, als dass er nicht fliegen hatte müssen. Aber das hieß gar nichts.
 

Captain Hikari trug seine Schwierigkeiten ebenfalls mit sich herum. Es war klar gewesen, dass er mit niemanden darüber reden konnte. Weder wollte er seine Mannschaft verunsichern, noch hätte er seiner Frau von seinen Erlebnissen erzählen können. Ai hatte auch so gemerkt, dass etwas nicht stimmte und mit ihrem guten Instinkt hatte sie gleich in die richtige Richtung geraten. Shinji hatte den Fehler gemacht und war, aufgebracht, wie er nach dem Gespräch mit Fireball gewesen war, gleich nachhause gefahren. Er hätte mit Charles lieber noch eine Runde Tennis spielen sollen, aber ihm war nicht danach gewesen. So war er noch gar nicht richtig zur Tür hinein gegangen gewesen, hatte Ai ihm schon angesehen, was die Uhr geschlagen hatte. Auch, wenn er ihr nichts erzählt hatte und alles als Einbildung abgetan hatte, so hatte er doch ihre Besorgnis geweckt.

Seit dieser Jesse versucht hatte, ihn abzuschießen und ihm den Gedanken in den Kopf gesetzt hatte, der junge Hüpfer könnte sein Kind sein, widmete er seine gesamte Aufmerksamkeit dem Frechdachs. Und dieser gab ihm noch mehr Rätsel auf. Ihre Auseinandersetzung hatte nichts gebracht, es hatte das Gefühl in Shinji nur noch verstärkt, der Angreifer hätte mit seinem blöden Spruch Recht gehabt. Aber das konnte nicht sein. Das war absolut unmöglich.

Unbemerkt beobachtete der Captain das Jungtalent in beinahe jeder Situation. Und es beunruhigte ihn zusehends. Nach dem Streit musste noch etwas vorgefallen sein. Bereits am nächsten Tag war ihm aufgefallen, dass der Spund blass um die Nase war und er mit aller Macht versuchte, sich in Luft aufzulösen. So zumindest kam es dem erfahrenen Captain vor. Tunlichst vermied der junge Pilot, mit jemanden zu sprechen oder sonst irgendwie aufzufallen. Aber gerade das verriet ihn beim Captain. Zuvor war er aufgeweckt und zu Späßen jeder Art aufgelegt gewesen. Mit jedem Tag wurde es schlimmer. Da war mehr faul und Shinji begann sich Sorgen zu machen.
 

Alles war ruhig im Hangar, als Shinji an diesem späten Vormittag einen Rundgang machte. Seine Piloten waren alle irgendwo unterwegs oder erledigten in den ruhigen Stunden mal ihren Papierkram. Der junge Japaner aber nicht. Er war da, wo Shinji ihn erwartet hatte. Er stand im Hangar und schraubte an seinem Jet herum. Das kleine Multitalent verstand nicht nur was vom Fliegen, sondern kannte sich mit der Mechanik der kleinen Gleiter auch blendend aus. Aber er war dieser Tage langsam und auch unkonzentriert. Fireball bewegte sich für Captain Hikaris Geschmack fahrig und ein Blick ins Gesicht ließ es nicht besser werden. Entweder war der Bengel krank, oder es fehlte ihm etwas anderes.

„Warst du schon beim Arzt, Kurzer?“, mit diesen Worten drehte er Fireball vom Gleiter zu sich herum.

„Was?“, verdattert sah Fireball in das Gesicht seines Vaters. Die letzten Tage hatte er ihn erfolgreich gemieden und sich vor ihm versteckt. Nun aber stand er ihm wieder gegenüber. Seine Augen spiegelten die Unsicherheit wieder, die in diesem Augenblick in ihm hochgekommen war. Sein Vater hatte nach einem Arztbesuch gefragt. Was hatte er mitbekommen oder gesehen?

Von Nahem sah er noch schlimmer aus. Shinji wäre beinahe erschrocken einen Schritt nach hinten gewichen. Definitiv brauchte der junge Spund einen Arzt. Blass war gar kein Ausdruck für die Gesichtsfarbe. Sorge breitete sich in Shinji rasend aus. Warum, das konnte er sich selbst nicht erklären. Aber er durfte persönliche Gefühle ohnehin gerade nicht zulassen, es ging um die Sicherheit seiner Staffel. Um nichts anderes, das redete sich der ältere Hikari sofort ein. Er strich Fireball über die Schulter. Besorgnis schwang trotzdem in seiner Stimme mit: „Ob du schon beim Arzt warst, hab ich dich gefragt, Kurzer.“

Fireball versuchte, seinem Captain den Wind aus den Segeln zu nehmen, ihn gar nicht erst auf die Idee kommen zu lassen, dass etwas im Busch sein könnte. Er strich die Hand seines Vorgesetzten von seiner Schulter und sah ihm fest in die Augen: „Weshalb sollte ich? Mir fehlt nichts, Sir.“

Lügen hatten kurze Beine und in Fireballs Fall auch noch zittrige Knie. Wie viel wusste sein Vater bereits? Eines war sicher, dass er ihn angelogen hatte, hatte Shinji in seinem Gesicht schon ablesen können. Fireball wusste in der momentanen Lage nicht recht vor und zurück. Er war verletzt und ihm war auch klar, dass er es nicht verbergen hatte können. Sein Vater stand als Captain vor ihm, weniger als Freund, das hatte er beim ersten Blick schon sagen können. So gut das Verhältnis zwischen den beiden zwischenzeitlich auch gewesen war, Jesse Blue hatte mit diesem Angriff auf seinen Vater alles wieder zunichte gemacht. Shinji hatte ihn beobachtet, ständig im Auge behalten und nur darauf gewartet, dass der Rennfahrer einen Fehler beging.

Es war offensichtlich, dass der kleine Hitzkopf ihm ins Gesicht gelogen hatte. Hatte sich Shinji so sehr in ihm getäuscht? Er hatte vom ersten Augenblick an gedacht, Fireball und ihn würde etwas verbinden, sie würden sich gut verstehen. Hatte er sich das alles nur eingebildet? Der Captain stemmte die Hände in die Hüften. Bestimmt belehrte er ihn eines Besseren: „Willst du mich verkohlen?“, er wies auf die Gestalt seines Piloten: „Du kannst dich kaum auf den Beinen halten und machst selbst dem Tod noch Konkurrenz. Und dir will nichts fehlen?“, Shinjis Augen verengten sich. Es war für jedermann zu sehen, dass ihm der Junge was vormachen wollte. Und es machte den Captain ungehalten.

Fireball schluckte. Anstatt zu antworten, senkte er den Blick zu Boden. Er würde innerhalb kurzer Zeit ein weiteres Mal mit ihm aneinander geraten. Eine unbehagliche Vorstellung und Fireball zog vorsorglich schon mal den Kopf ein. Bereits beim ersten Mal hatte er den Kürzeren gezogen, gegen den Sturschädel seines Vaters hatte er nicht viel entgegenzusetzen. Er konnte ihm ja schlecht die Wahrheit erzählen.

Shinji schob Fireball zur Tür und befahl ihm: „Sieh zu, dass du zum Arzt kommst, Kurzer. Ohne sein Einverständnis fliegst du nicht.“

Fireball setzte bedächtig einen Fuß vor den anderen und ging aus dem Hangar. Er würde nicht zum Arzt gehen. Wie denn auch? Ohne gültige Versicherungskarte und einem Geburtsdatum, das erst in einem guten Jahr aktuell wurde? Leise brummte er, während er auf die Tür zusteuerte: „Ich brauche keinen Arzt.“

„Das war keine Bitte, sondern ein Befehl!“, unzählige Male hallten die Worte in der Fliegergarage wider. Der verfluchte Sturkopf hörte nicht. Shinji hopste gleich im Dreieck, wenn der Wuschelkopf nicht sofort das tat, was er ihm anordnete.

Abrupt blieb Fireball stehen. Das war zu ruckartig gewesen, wie er gleich darauf feststellte. Seine Stichwunde vermeldete sofort, dass er besser nicht stehen geblieben wäre. Nun half nur noch eines. Zähne zusammen beißen und bloß nicht zu seinem Vater umdrehen. Denn dann hätte der gesehen, welche Schmerzen ihm ins Gesicht geschrieben standen.

Aber dazu hätte er sich auch nicht umdrehen müssen. Shinji hatte auch so gesehen, dass Fireball beinahe umgefallen wäre. Weshalb log der Junge ihn an? Die Enttäuschung brüllte Shinji in die Welt hinaus: „Verflucht und zugenäht, Shinichi! Weshalb lügst du mir so rotzfrech ins Gesicht? Du brichst gleich zusammen und willst trotzdem nicht zum Arzt gehen.“

Der Captain stapfte auf Fireball zu und riss ihn zu sich herum. Er nahm ihn mit beiden Händen an den Schultern und schüttelte ihn. Seine Enttäuschung schlug in Wut um. Er hätte seine Hand für den Rotzjungen ins Feuer gelegt, hätte ihm bei allem geholfen! Abermals schrie er ihn an: „Du kriegst von mir keine Extraeinladung. Verdammt, geh zum Stützpunktarzt und lass dich ansehen!“

Die großen Augen eines erschrockenen Kindes sahen ihn einen Augenblick lang an, ehe Fireball ebenfalls auf stur schaltete. Unbehaglich befreite er sich von der Schüttelattacke und brummte: „Das ist Zeitverschwendung. Mir fehlt nichts, Sir.“

Das war zu viel gewesen. Der Captain rief zwei MPs ran, die zufällig des Weges kamen. Er ließ Fireball von den beiden zum Arzt bringen. Die Hitze des Zorns war dem Oberhaupt der besten Kampfjeteinheit anzusehen. Er zischte Fireball noch zu: „Danach sprechen wir uns in meinem Büro, Gefreiter Hikaro! Die Befehlsverweigerung hat Konsequenzen.“

Er sah dem ungleichen Dreiergespann hinterher, wie sie zum Arzt gingen. Shinji biss sich auf die Lippen und stemmte die Arme in die Hüften. Er konnte es nicht glauben. Wut, Enttäuschung und Verwirrung tobten in ihm. Verdammt, was hatte er bei dem Jungen übersehen? Der Captain wandte schließlich den Blick von der Hangartür ab und ging in sein Büro hinauf. Er musste seine Gedanken ordnen. Aber das war schwierig. Shinji hatte gedacht, der Kurze ließe sich führen, würde ihm vertrauen, aber er war schmerzlich eines Besseren belehrt worden. Unglaublich aber wahr. Shinji hätte alles für das Naturtalent getan. Er fühlte sich verraten und verkauft. Die Zweifel schürten wieder die Gedanken, die ihm sein Angreifer in den Kopf gesetzt hatte. Aber wie konnte das eine zum anderen passen? Es war unmöglich. Ihm war gleichzeitig bewusst, dass er mit seinem Ausbruch keine gute Basis dafür geschaffen hatte, an Antworten zu kommen. Aber notfalls würde er sie anders bekommen. Der Tag würde wohl wieder länger dauern, als ihm lieb war. Dabei würde er heute mal gerne mit seiner Frau in Ruhe zu Abend essen.
 

Es schien ewig zu dauern, bis man den jungen Japaner direkt vom Arzt zu ihm ins Büro brachte. Zwischendurch war Shinji immer wieder von seinem Stuhl aufgestanden und durch den Raum gegangen. Sorge und Unbehagen hatten sich nach der ersten Wut über sein Gemüt gelegt. Er tigerte vor seinem Schreibtisch auf und ab, nichts rührte sich in seinem Büro. Es behagte Shinji nicht. Ganz und gar nicht. Niemand brauchte so ewig lange beim Arzt, wenn ihm nichts fehlte.

Die Tür ging auf und die beiden MPs traten mit Shinichi und einem Attest ein. Das Papier wurde Shinji auf den Tisch gelegt. Er bedankte sich bei den MPs und bedeutete Fireball, sich zu setzen. Der wäre nämlich am liebsten gleich wieder rückwärts aus dem Zimmer geschlichen.

Auch der Captain setzte sich wieder. Er musste die Ruhe bewahren. Shinji warf seinem Gegenüber einen kurzen Blick zu. Wie er da saß, mit einer fahlen Gesichtsfarbe, einem betretenen Blick und angezogenen Schultern. Der junge Spund saß vor Shinji wie ein Kind, das etwas angestellt hatte. Wie sein Kind. Shinji lief ein eiskalter Schauer über den Rücken, als ihm dieser Gedanke durch den Kopf schoss. Der Kurze war nicht sein Kind, das konnte er nicht. Shinji senkte die Augen auf das ärztliche Attest. Er konnte ihn nicht länger ansehen, sonst wäre er weich geworden. Shinji überflog den Arztbericht. Erschrocken, aber auch über den Leichtsinn entsetzt, schob er den Zettel wieder von sich weg.

Shinji stand wieder auf, er musste sich bewegen. Herrisch fuhr er Fireball an, er beugte sich weit zu ihm hinunter: „Verdammt und zugenäht! Was hast du dir dabei gedacht?“, er richtete sich auf und schrie ungehalten: „Eine Stichwunde! Verflucht, Shinichi! Und dann lügst du mich auch noch an.“

Fireball schloss die Augen und steckte den Kopf noch weiter zwischen die Schultern. Leise murmelte er: „Sie wurde bereits vor dem Arzt gut versorgt.“

„Das ist mir egal. Du verrichtest Dienst, obwohl du dich nicht auf den Beinen halten kannst“, Shinji lehnte sich gegen seinen Schreibtisch. Die Antwort seines Neuzugangs missfiel ihm. Er saß da und rückte mit der Sprache nicht raus. Was verbarg der kleine Japaner nur? Und vor allem, weshalb konnte er es ihm nicht erzählen? Der Kurze schien doch von Anfang an Vertrauen zu ihm gehabt zu haben und sich gut mit ihm verstanden zu haben. Warum ging das auf einmal nicht mehr? Shinji beobachtete Fireball bei jedem Atemzug. Insgeheim hoffte er, dass der junge Hüpfer zu reden anfing, bevor er zu fragen anfangen musste. Doch wieder wurde er von Fireball enttäuscht. Die braunen Augen seines Gegenübers waren stur zu Boden gerichtet, der Mund verschlossen und versiegelt. Wieder stieß sich Shinji vom Schreibtisch ab. Er konnte den Jungen nicht ansehen. Er war ein Mitglied seiner Staffel, als solches musste er ihn auch behandeln. Und jeden anderen hätte er deswegen schon fünfmal durch den Fleischwolf gedreht. Shinji schluckte. Er konnte es nicht. Etwas, tief in seinem Inneren, hielt ihn davon ab. Doch er musste. Shinji straffte seine Haltung und erhob abermals die Stimme: „Wo bist du rein geraten, Shinichi? Verdammt noch mal, was hast du ausgefressen und wer trachtet dir nach dem Leben? Und ich warne dich. Lüg mich ja nicht an!“

Fireball hatte den scharfen Blick seines Vaters im Rücken ganz deutlich gespürt. Wie ein Pfeil stieß er ins Fleisch. ‚Lüg mich nicht an!‘, hallte es in seinen Gedanken wieder. Wie gern hätte er ihm die Wahrheit gesagt, aber das konnte er nicht. Fireball sank in sich zusammen, verbarg das Gesicht minutenlang in seinen Händen und schloss die Augen. Er hoffte, dass alles nur ein schlechter Traum war. Wenn er seine Augen wieder öffnen würde, dann saß er mit seinen Freunden an Bord von Ramrod bei einer Tasse Kaffee und sie unterhielten sich über ihre nächsten Urlaubsziele. Fireball versuchte mit aller Macht, jeglichen Gedanken aus seinem Kopf zu verbannen. Die letzten Tage waren ohnehin schon die Hölle auf Erden gewesen. Saber und Colt, aber auch April gingen ihm aus dem Weg. Der Cowboy betitelte ihn nur noch mit ‚der Krümel, der zum Keks mutieren wollte‘, Saber hatte nicht einmal mehr ein ‚Guten Morgen‘ für ihn übrig. Jedes Mal, wenn Fireball dieser Tage Aprils Nähe gesucht hatte, hatte sie ihn von sich gestoßen, wollte sie ihn nicht sehen. An was auch immer ihre Freundschaft zu Grunde gegangen war, es hatte funktioniert. Fireball hatte als Captain versagt und offenbar auch als Freund. Und als Sohn würde er es in den nächsten Minuten, wenn es nicht schon längst geschehen war. Er öffnete die Augen und hob den Kopf. Er war immer noch im Büro seines Vaters. Es war zum Heulen! Fireball seufzte bedrückt und log mit zusammengekniffenen Augen: „Niemand trachtet mir nach dem Leben und ich hab auch nichts ausgefressen, Sir. Ich war einfach nur tollpatschig, das ist alles.“

Mit einem Satz war Shinji wieder bei seinem Gesprächspartner am Tisch. Er stieß mit seiner flachen, rechten Hand gegen die Schulter seines jungen Piloten und drückte ihn unwirsch in die Lehne des Sessels. Wutentbrannt schrie er: „Sieh mir in die Augen und sag das noch mal! Hör verdammt noch mal auf, mich anzulügen und so zu tun, als ginge es hier nur um einen kleinen Nadelstich.“

Der Captain kochte und brodelte schon ordentlich vor sich hin. Ein falsches Wort noch von Shinichi und Shinji schoss durch die Decke. Garantiert. Als er sah, wie sich Fireball auf die Lippen biss und den Blick senkte, ließ er ihn schlagartig wieder los. Er war richtig vor sich selbst erschrocken. Warum nur ließ dieser Junge ihn alles vergessen, was man für einen sachlichen Umgang im Dienst miteinander benötigte? Er wurde persönlich. Zumindest empfand es Shinji so. Als würde er diese groben Worte gegen sich selbst richten. Lange ruhten seine Blicke auf Fireball. Jeder Augenblick, den er ihn länger betrachtete, kroch das Gefühl mehr in ihm hoch, das sein Angreifer mit seinen Worten in seinem Herzen gesät hatte. Sein Sohn sollte der laufende Meter vor ihm sein. Das hatte dieser Jesse Blue doch mit seinen Worten sagen wollen.

Die Alarmsirene riss Shinji schließlich aus seinen Gedanken. Gleich darauf klingelte sein Telefon und der Anrufer teilte ihm mit, dass die Flugstaffel vollzählig ausrücken sollte. Ein Schwarm unbekannter Jets käme direkt auf den Planeten Yuma zu. Shinji hastete aus dem Zimmer. Aus den Augenwinkeln konnte er noch sehen, wie auch Fireball aufstand und hinterher wollte. Bestimmt pfiff er ihn zurück: „Vergiss es, Hikaro! Du gehst nachhause.“

Diese Worte duldeten keinen Widerspruch. Nachdem sich Shinji noch einmal vergewissert hatte, dass der Bengel keine weiteren Dummheiten begehen würde, lief er so schnell er konnte, in den Hangar hinunter. Das Abendessen mit Ai fiel definitiv ins Wasser. Schade, dabei hatte er sich auf einen ruhigen, beschaulichen Abend mit seiner Frau gefreut.

Fireball ließ sich wieder auf den Stuhl sinken. Missmutig hörte er den Alarm. Er durfte nicht mit! Ein Angriff, den es nicht geben dürfte, und Fireball musste tatenlos dabei zusehen, wie sein Vater mit seiner Staffel vielleicht zu einem Harakiri aufbrach. Der Rennfahrer biss sich auf die Lippen. Er verfluchte Jesse. Im nächsten Moment galt sein stummes Fluchen allerdings sich selbst. Fireball durfte aufgrund seiner Verletzung nicht mit ihnen starten. Hätte Jesse ihn nicht erwischt, dann wäre er jetzt ebenfalls in der Luft und könnte seinem Vater notfalls unter die Arme greifen. Es war furchtbar und an alle dem war er selbst Schuld. Fireball fuhr sich zuerst mit beiden Händen übers Gesicht, ehe er mit der linken nach seiner Wunde tastete. Nun war sie zwar medizinisch korrekt versorgt worden, die Schmerzen waren deswegen dennoch nicht besser geworden. Bevor er das Büro seines Vaters verließ, umrundete der Heißsporn den Tisch des Captains. Ein Foto stand dort. Eines von Ai und seinem Vater. Schmerzlich hauchte er: „Tu es Ai nicht an.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Misano
2009-05-25T15:58:05+00:00 25.05.2009 17:58
Datt jibb et nich, hab ich doch noch gar nich datt letzte Kappi von meiner Schwägerin kommentiert?!!!

Hasse toll jemacht!

*lol* Jetzt im Ernst, es ist emotional wie nichts anderes, spannend bis zum Ende und ich hab's runterlesen müssen, ohne es weglegen zu können.
Allerdings würde mich doch jetzt mal interessieren, welche FF-Autorin meine 2. Schwägerin da in ihrem letzten Kommi meinte... *ggg*
Von:  Sannyerd
2009-05-12T21:35:59+00:00 12.05.2009 23:35
habe es gerade gelesen...

ich muss sagen, es kommt mir vor als ob ich mir einen Film anschaue, nein ch bin live dabei..

alle gefühle erlebe ich während des lesens mit..

und nun?
Ich möchte wissen wie es weitergeht.

Ja un der gute alte jesse..hach ohne ihn wer es nur HALB so schön ^^

bin wieder tief beeindruckt!!!!
Von:  Kittykate
2009-05-12T20:55:06+00:00 12.05.2009 22:55
Hallöchen ^^

hab das Kapitel gelesen und ich bin wieder mal begeistert *g*
Einfach toll, emotionsgeladen und traurig, da man ja quasi live miterlebt wie die Freundschaft in tausend Scherben zerbricht.

Verstehe ich das richtig, dass Fireball der einzige ist, der sich bereits verändert hat?
April, Colt und Saber scheinen normal geblieben zu sein und kämpfen, in Sabers Beispiel, noch gegen die Veränderung, oder?

Außerdem find ich es total süß, dass Fireball nicht versteht, warum April ihn zurückweist. Und April ist enttäuscht über seine Ignoranz.
Herrlich, dieser Eiertanz ^^

Ach ja und wieder dieser böse Jesse (Hach, was wären wir nur ohne Jesse... *g*)

Bin gespannt wie es weitergeht und ob Fire vielleicht doch in ein Flugzeug steigt um seinen Daddy zu retten. :)

Weiter so!


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