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Ta Sho

erste Schritte
von

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Busenfreunde

Was genau an diesem Abend begonnen hatte, wusste niemand, auch die beiden Hauptbeteiligten nicht. Es war passiert und war das gewesen, was beide gewollt hatten. Ihre Freundschaft hatte eine neue Phase beschritten.

Allmählich, endlich, wurde der Tagesablauf für Shinji etwas mehr Routine. Alles lief mittlerweile in Bahnen, die annehmbar waren. Zwischen seiner Crew und ihm gab es kaum noch Schwierigkeiten, mit den Kollegen der anderen Bases kam er hervorragend aus und auch mit seinem Vorgesetzten war alles in Ordnung. Gut, was hätte zwischen ihm und Commander Eagle schon schief laufen sollen? Beruflich war zwischen den beiden alles geklärt.

Fireball hatte dennoch nicht viel Zeit für sich selbst. Der administrative Kram hielt ihn leider immer etwas zu lange auf und so kam es nicht selten vor, dass eine gewisse Rothaarige bei ihm anrief und lachend verkündete, er solle seinen Hintern endlich zu ihnen bewegen. Alessa kümmerte sich nicht nur um Martins leibliches Wohl, sondern auch um Fireballs und avancierte von Zeit zu Zeit eher zu einer Mutterfigur als zur Freundin eines Bekannten. Diese Frau hatte ein übertrieben großes Herz und gab sich wirklich alle Mühe, den Captain ihres Liebsten gnädig zu stimmen. Zumindest warf Fireball ihr das manchmal augenzwinkernd vor, wenn sie ihm und Martin wieder irgendeine Köstlichkeit in die Arbeit brachte.

Wenn Martin das Gefühl hatte, dem humorvollen Captain bliebe wieder einmal das Lachen im Hals stecken, dann entführte der Brasilianer ihn einfach. Er musste mittlerweile nicht mal mehr besonders darauf achten, er richtete sich einfach nach Ramrod. Ja, es klang böse und auch hart, aber Martin hatte schnell gemerkt, dass der Kummer des Captains am größten war, wenn Ramrod abhob. War die Crew des Friedenswächters im Lande, brauchte er keine Ablenkung. Es gefiel Martin nicht, aber so war es. Martin nahm es zwar hin, das hieß aber nicht, dass er sich keine Gedanken darüber machte. Immerhin hatte ihm sein Vater viel erzählen können und beinahe alles konnte er eins zu eins auf Fireball ummünzen. Das war zwar seltsam und irgendwie auch unheimlich, aber Martin war dankbar für die guten Tipps.
 

An diesem Abend saß eine große Runde am Tisch in einem netten kleinen Lokal. Ein Blick in die kleine Gaststätte genügte, es saßen nur Piloten mit ihren Mädels dort. Es wurde gelacht, nach dem Essen auch getanzt und getrunken.

„Das nächste Mal bringst du aber auch eine Begleitung mit, Babyboy“, Stan legte demonstrativ den Arm um eine hübsche Blondine und drückte ihr einen Schmatzer auf die Wange. Der Blonde kannte in dieser Hinsicht nicht viel Schamgefühl und wer jetzt dachte, das wäre seine Freundin, der hatte sich getäuscht. Stan hatte das süße Ding vor einer guten halben Stunde erst aufgetan und versuchte nun auszuloten, was an diesem Abend noch drin war.

Fireball grinste und schüttelte amüsiert den Kopf. Er warf einen Blick in die Runde. Da hatte er schon so eine Mannschaft ausgefasst. Aber wahrscheinlich stimmte auch hier nur wieder das alte Sprichwort: jeder bekam das, was er verdiente. In dem Fall musste der Haufen, der sich mit ihm abgab, zwangsläufig so disziplinlos sein, wie er selbst. Der Japaner nahm einen Schluck von seinem Bier und konterte dann verhältnismäßig trocken auf Stans Spruch: „Ich brauch keine Begleitung, die mich optisch aufputzt. Bin nämlich selber hübsch genug.“

Dabei zwinkerte er die Blondine in Stans Arm schelmisch an, die daraufhin geschmeichelt zu kichern begann. Sie hatte dieses Kompliment schon richtig verstanden.

Gott, wie naiv waren die Frauen in Stans Umgebung eigentlich alle? Alessa, die es sich an diesem Abend auch nicht hatte nehmen lassen, die Piloten mal wieder zu begleiten, schüttelte den Kopf und hob resignierend die Schultern. Aber zumindest amüsierte sich auch Fireball und das war der zierlichen Rothaarigen gerade wichtig. Sie hatte immer wieder bemerkt, dass Martins Captain nicht so war, wie es auf den ersten Blick den Anschein hatte. Dies bestätigten ihr auch Martins Erzählungen. Humorvoll und ein kleiner Schelm mochte er sein, wem das nicht auffiel, der achtete einfach zu wenig auf dieses umwerfende Lächeln und die sprühenden Augen, die Fireball durchaus hatte. Aber der Japaner hatte auch eine andere Seite. Manchmal schien er vor Kummer den Glanz seiner Augen vollkommen einzubüßen.

Aber heute war nicht so ein Tag. Alle waren gut drauf und hatten ihren Spaß. Ausnahmslos alle. Martin entführte seine Alessa irgendwann auf die Tanzfläche. Er hatte in den letzten Wochen und Monaten nicht viel von seiner Herzdame gehabt, die wenige Zeit wollte er mit ihr in vollen Zügen genießen. Schwungvoll drehte er seine Freundin und tanzte mit ihr einen Song nach dem anderen. Die beiden waren in ihrem Element.

„Yeha! Ich wusste, die Piloten feiern die besten Feste, feiern sie doch!“, mit diesen Worten machte Colt auf sich aufmerksam, als er mit seinen Freunden mitsamt Partnerinnen durch die Tür der Gaststätte trat. Sie waren am späten Nachmittag bereits gelandet, aber von der Air Strike Base 1 war da schon niemand mehr auf dem Stützpunkt zu sehen gewesen. Wie er von der Vertretung erfahren hatte, war es wohl so etwas wie zwei Mal im Jahr eine Pflichtkür der Piloten, miteinander auszugehen. Nun stand der Cowboy an vorderster Front, seine Herzallerliebste Robin an der Hand und den blonden Recken zur Stärkung im Rücken. Colt hob seine freie Hand und deutete der ganzen Bande zum Gruß. Er lachte übers ganze Gesicht. Ihren Feuerball fand man neuerdings immer öfter bei einem Feierabendbier, wie es schien.

Oliver hob ebenfalls seine Hand und grüßte die sechs Neuankömmlinge auf seine Weise: „Hey, Schmalspurhaubentaucher! Wir können auch noch andere Sachen besser als die Spezialeinheit. Lass mich fünf Minuten mit deiner Herzdame alleine und sie wird dir das bestätigen können.“

Währenddessen konnten Alessa und Martin beobachten, wie sich Fireballs Mimik stetig veränderte. Grade hatte er noch gelacht, dann hatte er offenbar gedacht, sich verhört zu haben, als er Colts Stimme gehört hatte. Selten aber doch kam es schon mal vor, dass der Captain der Air Strike Base nicht wusste, wann Ramrod wieder nach Yuma kam, so wie Martin das bemerkte. Dann stellte der junge Spund sein Bier ab linste doch in die Richtung, aus der seine Freunde kamen. Überrascht sprang er auf und begrüßte sie mit einer herzlichen Umarmung, natürlich Ladies first. Obwohl sowohl June als auch Robin auf Yuma wohnten, sah Fireball die beiden auch nicht wirklich oft. Umso mehr freute er sich, alle auf einen Haufen wieder um sich zu haben. Es bedeutete Balsam für die Seele, das konnte er immer noch brauchen.

Als Fireball April umarmte, fiel sein Blick auf Alex, der wie ein Schatten hinter April stand und den Piloten mit finsteren Augen beobachtete. Bisher hatte sich Fireball gut mit dem neuen Piloten für Ramrod verstanden, auf so manchen Trainingsflügen hatten sie viel Spaß zusammen gehabt. Nur jetzt, das bemerkte Fireball an dessen griesgrämigen Blick, schien sich das bei Alex geändert zu haben. Davon etwas irritiert streckte er dem Italiener schließlich die Hand hin, ehe er Colt und auch Saber freundschaftlich empfing: „Dann kommt mal richtig rein in die gute Stube. Und beeilt euch mit den Getränkebestellungen. Die durstige Meute säuft euch sonst alles weg.“

„Das seh ich“, grinsend schob sich Colt in die Bank und schaffte noch Platz für Robin, June und Saber. Sogar für April und Alex war noch Platz an dem gemütlichen großen Tisch, der Hobbyrennfahrer allerdings musste sich von irgendwoher noch einen Stuhl holen.

Als der Cowboy sah, wie Fireball sich über den Tisch beugte und seine Bierflasche, die an seinem alten Platz zurückgeblieben war, an sich nahm, gab es für Colt beinahe kein Halten mehr. Er wollte mal sehen, wie viel Humor das Pack der Air Strike Base 1 wirklich hatte. Sie kannten sich zwar nicht gut, aber das hielt den Kuhhirten im Normalfall nicht davon ab, einen lockeren Spruch raus zu lassen. Er nickte zu Fireball hinüber und stellte offen in die Runde fest: „Jetzt ist unser Kleiner immer noch ein Flaschenkind! Wir haben ihn doch zu euch abgegeben, damit aus ihm mal ein Mann wird.“

Schallendes Gelächter erfüllte die Bar. Ausnahmslos alle grinsten und bogen sich vor Lachen. Wenn das mal kein guter Spruch gewesen war. Sogar Alessa lachte lauthals auf. Ihr wurde klar, dass Fireball lediglich eine kleine Gruppe vorlauter Freunde gegen eine große Gruppe ebenso vorlauter Piloten eingetauscht hatte. Demnach hätte er sich schneller in der Einheit einleben müssen, als er es schlussendlich getan hatte.

Colt brauchte nicht lange auf eine Antwort zu warten. Stan langte nach dem Hut des Cowboys und nahm ihm diesen ab. Steiles Teil, das gefiel auch dem Skandinavier. Colt war für die Kopfbedeckung im Oberkommando bekannt wie ein bunter Hund, außer ihm trug in Yuma keiner einen solchen Hut. Stan setzte sich Colts liebstes Stück probeweise auf und kommentierte dessen Feststellung: „Ihr kriegt ja wirklich nichts mit. Was glaubst du wohl, weshalb er unser Babyboy ist und bleibt? Wir haben gar nicht erst versucht, ihm die Flasche abzugewöhnen, nur den Inhalt haben wir modifiziert“, ernst fügte er hinzu: „An der Trinkfestigkeit allerdings arbeiten wir noch. Vertragen tut er nicht viel.“

Martin schaltete sich da sofort ein, mit einem neckischen Augenzwinkern auf seinen Captain: „Wir sollten es nicht herausfordern. Shinji ist ein ganzes Stück jünger als wir hier, in einem halben Jahr hat er das Defizit auch aufgeholt. So wie alles andere.“

„Ich bezweifle ja, dass er in sein Offiziersdress irgendwann noch mal reinwächst, aber bitte“, Oliver verschränkte die Arme vor der Brust. Wieder einmal ließ der Kroate keine Gelegenheit aus, alle unterschwellig darüber zu informieren, dass er ihren Captain immer noch für zu jung hielt. Aber zumindest war er seit geraumer Zeit soweit, Fireball als Rudelführer akzeptiert zu haben. Jung mochte der Kleine ja sein, aber verdammt, er hatte es faustdick hinter den Ohren. Oliver zwinkerte ebenfalls.

Colt wollte gerade noch ein bisschen weiter rein sticheln und versuchen, so etwas aus den neuen Bekannten raus zu bekommen, da meldete sich auch der Angesprochene selbst zu Wort. Er deutete Oliver, seine Bewegungen einen Augenblick mal aufmerksam zu verfolgen. Mit dem hart erkämpften Selbstbewusstsein eines Captains ließ er den Stänkerer wissen: „Hier“, er zeigte auf den Bizeps: „muss man’s nicht unbedingt haben, Großer. Aber hier“, Fireball zeigte auf den Kopf: „Köpfchen muss man haben, dann klappt’s auch mit dem Überleben in so einem wilden Rudel Wölfe, wie ihr eins seid.“

Wie zum Beweis reckte Stan den Kopf in die Höhe und begann zu jaulen. Sofort stimmten auch die anderen Piloten und Pilotinnen seiner Staffel mit ein. Fireball nahm kopfschüttelnd noch einen Schluck vom Bier, zwinkerte April kurz unauffällig zu und bemerkte dann trocken: „Sie denken, sie wären große böse Wölfe. Aber eigentlich sind sie kleine, ganz niedliche Welpen. Und der Welpe mit den größten Kulleraugen ist eindeutig unser Martin“, der japanische Wirbelwind lachte Alessa und Martin entgegen, stupste seine rechte Hand sogar an und verkündete verschwörerisch: „Nicht wahr, Marty?“

Der wollte schon zu Protest ansetzen, als Alessa ihm ins Wort fiel. Sie nahm Martins Hand in ihre und verkündete ungerührt: „Du lenk mal nicht vom Thema ab, Babyboy. Der Welpe mit dem treuesten Hundeblick sitzt mit Vorliebe nachts über Berichten und brütet an irgendwelchen Taktiken.“

Ertappt wich Shinji etwas nach hinten. Was hatte Alessa jetzt nur vor? Nach Mitleid brauchte sie in dieser Einheit nicht zu suchen, die hatte keines. Und seine Freunde wussten, wie arm er tatsächlich war. Nämlich gar nicht. Diese These bestätigte postwendend auch April. Als der Spruch mit den treuesten Augen kam, senkte April kurz den Blick. Diese unheimlich braunen Augen blieben wohl keiner Frau verschlossen. Dann zwinkerte sie Fireball schüchtern an: „Moment mal. Das kann nicht unser Fireball sein. Unser Captain hat mit Brüten nicht viel am Hut gehabt.“

Ehe Fireball diese Worte als Unwahrheit zerschlagen konnte, meldete sich Saber zu Wort. Der Schotte war bisher ruhig geblieben, hatte vor allem Robin und June niveauvoll unterhalten und ein Glas Weißwein getrunken. Er hatte eine Weile zugehört, was die neuen Freunde da zusammen faselten, und nun schlug der Highlander gnadenlos zu: „Da muss ich dir leider widersprechen, liebe April. Auch losstürmen ist eine Form von Taktik und will ausgebrütet werden.“

Da hatten sie wieder was angefangen. Im Nu entbrannte eine wenig ernsthafte Debatte darüber, was alles als Taktik durchging. Alex beobachtete das alles aufmerksam wie argwöhnisch. Vor allem den ehemaligen Captain von Ramrod hatte er im Auge. Jeden von Aprils unauffälligen Annährungsversuchen hatte Fireball bisher ignoriert und augenscheinlich wichtigeres zu tun gehabt, als ihr einmal in die traurigen Augen zu schauen. Der falsche Fünfziger hielt April hin, wahrscheinlich würde er sich erst mit der Blondine befassen, wenn niemand mehr in der Nähe war oder ihm gerade danach war. Das regte den Italiener maßlos auf. So ein gleichgültiger, verwöhnter Fratz! Da hatten die Jungs nach ihrem ersten Eindruck schon recht gehabt. Fireball besaß keinen Anstand, ansonsten würde er mit April keines dieser Spielchen spielen. Wahrscheinlich hatte der kurzgeratene Japaner während Ramrods Abwesenheit eine andere hübsche Frau in seinem Bett. Kein Captain saß nächtelang über Berichten, der kleine Tunichtgut wälzte eher etwas anderes über dem Schreibtisch.
 

Irgendwann war es mit Alex‘ Ruhe dann vorbei. Er schob sich mit einem charmanten Lächeln neben April aus der Bank, bekundete seine Unpässlichkeit und dass er gleich wieder da wäre. Im Vorbeigehen stieß er Fireball unauffällig an und flüsterte ihm zu: „Auf ein Wort, Tiefflieger.“

Kaum war Alex verschwunden, schob auch Fireball seinen Stuhl zurück und stand auf. Er entschuldigte sich, denn auch Flaschenkinder müssten mal das stille Örtchen aufsuchen und versprach, bald wieder mit am Tisch zu sitzen.

Fireball war sich nicht sicher, was Alex mit ihm zu besprechen haben könnte, allerdings waren ihm die teils missbilligenden Blicke des Italieners nicht entgangen. Was auch immer los war, es war Alex ein Anliegen, es sofort zu klären.

Alex wartete bereits draußen auf dem Gehsteig vor der Kneipe auf Fireball und war sich sicher, dass sich kein Pilot oder Colt hier raus verirren würde, solange es genug flüssige Nahrung drinnen geben würde. Bitterböse funkelten Alessandros Augen, während er die Arme vor der Brust verschränkte.

Fireball blieb dieser eisige Empfang nicht verborgen. Das bedeutete nichts Gutes. Der Wuschelkopf beobachtete, wie die Tür hinter ihm ins Schloss fiel und die beiden Piloten vom Rest der Gesellschaft trennten. Er ging mit einem Lächeln auf Alex zu: „Du wolltest ein Wort, du kriegst eins.“

Alex biss die Zähne aufeinander. Bei der Selbstverständlichkeit von Fireball würde er bald laut werden. Was bildete sich der junge Scheißer eigentlich ein? Alessandro glaubte nicht, dass Fireball nicht merkte, weshalb er ihn raus zitiert hatte. Ramrods neuer Pilot trat auf den jüngeren zu und gab gereizt zurück: „Ich habe hoffentlich mehr als nur ein Wort von dir zu erwarten. Einsilbig bist du ja nicht, oder Kurzer? Was fällt dir alles zu April ein?“

„Kommt ganz drauf an, was du wissen willst, Alex“, er lehnte sich gegen einen Stuhl des Gastgartens und versuchte sich nicht in die Karten schauen zu lassen. Fireball konnte sich gut vorstellen, dass Alex etwas über ihn und April wissen wollte. Ramrod war klein und eng, man konnte kaum ausweichen und jemandem aus dem Weg gehen. Bestimmt, und das war für Fireball selbstverständlich, hatte Alex April das ein oder andere Mal weinen gesehen. Er kannte die Blondine, wusste, mit welchen Gefühlen sie ihn immer wieder verließ. Darauf war er nicht stolz, aber andererseits ließ April ihn mit ebenso schlechten Gefühlen hier zurück.

Der Italiener stieß einen knurrenden Laut aus. Der fing jetzt schon mit Ausweichmanövern an, wo sollte das dann enden, wenn Alex wirklich was wissen wollte? Oh man, würde er in April nicht ein so nettes Mädchen sehen und sie so sehr mögen, wäre ihm das alles wahrscheinlich genauso egal, wie bei Stan. Der hatte doch auch alle Tage eine andere und das hatte Alex nie wirklich gekümmert. Aber nun war das anders. April hatte den Beschützer in Alex geweckt, das hatte sie auch bei Colt und Saber, ohne Zweifel, aber in der Hinsicht waren die beiden älteren Kollegen einfach betriebsblind. Die hätten wahrscheinlich noch nicht einmal gemerkt, was zwischen dem Piloten und der Navigatorin lief, wenn der Japaner weiterhin auf Ramrod geblieben wäre. Aber Alex hatte es bemerkt, weil er mit fremden und frischen Augen in diese Einheit gekommen war und weil er sich Aprils Vertrauen hart erarbeitet hatte. Und jetzt war es für den neuen Piloten an der Zeit, dem jungen Womanizer die Leviten zu lesen und ihm Anstand beizubringen.

„Ich denke, du weißt sehr genau, was ich wissen will, Shinji. Nämlich das, was offiziell nicht ist“, forderte Alessandro ihn ein weiteres Mal auf, dieses Mal mit einem noch grimmigeren Gesichtsausdruck.

„Das ist auch inoffiziell nicht“, parierte Fireball augenblicklich. Er wusste selbst, dass das nicht so war, aber das brauchte man einem eigentlich fremden Menschen nicht unbedingt mitzuteilen. Die Gefahr, dass das im Oberkommando Wellen schlagen könnte, war einfach viel zu groß, sonst hätte Fireball schon längst selbst eine Lösung für April und ihn gefunden, mit der sie leben konnten. Doch für keinen kam eine Kündigung in Frage.

Nun pumpte sich massenweise Blut durch Alessandros Adern und er wurde sicherlich fünf Zentimeter breiter und furchteinflößender. Er baute sich bedrohlich vor dem Kleineren auf und wollte mit Nachdruck wissen: „Klar doch! Sie weint ja auch wegen Nichts und wieder Nichts grad immer dann, wenn sie von dir kommt. Erzähl doch keinen Scheiß!“

„Wir waren lange gute Freunde“, versuchte der Japaner zu erklären. Er wusste, so wie er es gesagt hatte, war es nicht einmal gelogen, und doch. Es war auch nicht die Wahrheit. Während er sich durch die Wuschelmähne fuhr, suchte er nach anderen Worten: „Ich meine, das sind wir auch jetzt noch. Nur sehen wir uns kaum noch. Das war früher anders. Sie hatte mich immer um sich, dass sie damit jetzt zu kämpfen hat und traurig deswegen ist, müsste sogar dir klar sein.“

Oh Man, Fireball sah sich schon in Teufels Küche deswegen. Er konnte Alex dabei nicht in die Augen sehen. Dafür würde Fireball im nächsten Leben als Wurm das Rad der Inkarnation über sich ergehen lassen müssen. Aber er sah keinen anderen Weg. April und er durften nicht, was sie taten, also gab es dieses seltsame Schauspiel auch nicht. Schon gar nicht vor Alex. Fireball erzählte es nicht einmal Colt oder Saber, dann würde er erst recht nicht auf die Idee kommen, zu Alex oder gar zu Martin zu gehen.

„Den Blödsinn von wegen gute Freunde kannst du jemand anderen aufschwatzen. Ich bin doch nicht blöd, Mann!“, nun war Alex der Kragen geplatzt. Er schoss nach vorne zu Fireball und stieß ihm die Faust gegen die Schulter. Das war ja wohl der Oberhammer! Er wusste zwar, dass es ihn im Grunde nichts anging und ihn schon gar nicht persönlich betraf, aber trotzdem regte es ihn maßlos auf. Wie sollte er dem Amateurliebhaber eintrichtern, dass man so etwas nicht machte, schon gar nicht mit einer Kollegin und guten Freundin? Eigentlich sollte er dem Hampelmann einfach gepflegt ein wenig Verstand einprügeln, aber das war nicht Alex‘ Art. Auch, wenn er es gerade gern getan hätte. Also mussten mal wieder Worte genügen. Eloquent genug dafür war Alessandro schließlich: „Ist schon klar, dass du mir jetzt diese Geschichte auftischt. Wir sind immer noch gute Freunde. Das mag auch bis zu einem gewissen Grad stimmen, aber ich wette mit dir, spätestens seit deiner Versetzung ist das nicht mehr so. Sogar ein Grünschnabel wie du sollte wissen, wie man eine Lady in keinem Fall behandelt.“

Der Rempler hatte sein Ziel nicht verfehlt. Alex hatte Fireball mit den Knöcheln genau an der Stelle des Oberarms erwischt, wo’s immer herrlich schön zog. Ganz klar, April hatte dem Piloten ein paar Selbstverteidigungskniffe beigebracht. Aber so, wie sich das anhörte, nicht nur das. April schien sich Alex anvertraut zu haben, und das auch noch in allen Details. Es war Zeit, in den Angriff über zu gehen. Wer war er denn, dass er sich von einem Freunden so was bieten lassen musste? Fireball stieß sich vom Stuhl ab und trat Alex erhobenen Hauptes gegenüber. Für ihn war klar: „Mir ist ziemlich egal, was du von mir hältst, oder auch nicht. Das, was du mir unterstellst, ist – wenn überhaupt – eine Sache zwischen mir und April. Ich wüsste also nicht, wieso ich irgendwas auf deine Anschuldigungen antworten sollte. Du kannst von mir aus ein Freund von April sein, aber das gibt dir noch lange nicht das Recht, mich hier anzugreifen. Wir beide kennen uns nicht.“

Ein gutes hatten die Auseinandersetzungen mit der Base wohl gehabt. Fireball ließ sich noch weniger als zuvor unterbuttern. Und, zugegeben, auch dem Spruch „Was einen nicht umbringt, macht einen nur härter“ konnte Fireball inzwischen einiges abgewinnen. Bei Colts Sticheleien war er nie so cool geblieben. Vielleicht aber auch nur deswegen, weil ihm der Viehtreiber einfach viel zu nahe stand.

Allerdings brauste Alex nun auf. Er fragte sich, wie der Eiszapfen da vor ihm zu dem Spitznamen Fireball gekommen war. Das musste doch wohl ein Versehen gewesen sein. Alessandro fauchte aufgebracht: „Die Sache geht mich sehr wohl etwas an, du Tiefflieger! Mir ist nicht egal, was du mit April machst. Fakt ist, dass du ihr weh tust und sie unglücklich damit machst. Deswegen kriegst du von mir den Rat, den ich dir als Freund von April gebe. Lass es sein, sonst werde ich ungemütlich.“

„Dann wär das also geklärt“, Fireball wollte sich schon abwenden, doch dann überkam es den Vulkan doch noch. Da war ein Funke namens Eifersucht hochgelodert. Für Fireball klang Alex ein Quäntchen zu energisch, was den Verdacht in ihm schürte, er könnte mehr von April wollen, als Freundschaft. Nun kam der Feuerball doch noch zum Vorschein, als er Alex erklärte: „Ich hab auch noch einen Tipp für dich. Als guter Freund von April sozusagen. Behalt deine Griffel auf Ramrod dort, wo sie hingehören. Nämlich an der Steuerung.“

Also doch! Hatte Alex richtig gelegen. Obwohl, das war auch keine Kunst gewesen, nachdem April doch mit der Sprache heraus gerückt war und ihm alles erzählt hatte. Und die letzte Reaktion von Aprils heimlicher Beziehung hatte zumindest eines bewiesen. Ganz egal schien Fireball April nicht zu sein. Alex allerdings war dadurch auch nicht mehr gnädig zu stimmen. Er stichelte nun noch nach: „Achso… Hm... Schon schade, dass du das nicht mehr kontrollieren kannst. Und als guter Freund von April wirst du sicher auch verstehen, dass sich April selbst aussucht, mit wem sie sich umgibt.“

„Du vergisst, dass du nicht von ihr ausgesucht worden bist“, knurrte Fireball in Alex‘ Richtung zurück. Er konnte diesen Kommentar nicht einfach schlucken. Nur war die Antwort nicht wirklich sachlich gewesen. Der neue Captain hatte mit Alex auf einen Schlag zwei Probleme bekommen. Und beide waren sie ihm erst jetzt aufgefallen und hingen mit April zusammen. Fireball sah nicht nur seine Felle davon schwimmen, was seine gute Freundschaft mit der Blondine betraf, sondern auch die Beziehung mit ihr. Der Pilot war bisher nie auf die Idee gekommen, dass Alex eine Bedrohung für ihn darstellen könnte. Tatsächlich hatte ihm das Auf-die-Finger-Klopfen von Alex gerade die Augen geöffnet und das gefiel ihm überhaupt nicht. Der nächste Kurzschluss war damit vorprogrammiert.

Alessandro konterte fies grinsend. Er wusste, dass er Fireball richtig angepackt hatte: „Ganz im Gegensatz zu dir. Ich vermute, das beweist, dass sich auch ein Genie wie April mal irren kann.“

Egal, was er gerade angestachelt hatte, Alex freute sich diebisch über den Erfolg. Er hatte etwas bewirkt, jetzt konnte der Italiener nur noch hoffen, dass der Captain der Air Strike Base seinen Kopf auch mal zum Nachdenken benutzte.

Der Rennfahrer entschied nun, das Gespräch zu beenden, sonst gab er vielleicht mehr Preis, als er wollte. Fireball wandte sich nun endgültig zum Eingang, die Laune merklich im Keller: „Das wird sich zeigen, Alex. Du solltest dich auf deine Arbeit mehr konzentrieren, sonst schrottest du Ramrod und gefährdest meine Freunde unnötig“, er atmete tief durch und wechselte das Thema. Fireball hatte so gerade noch die Kurve bekommen und nichts über April und sich verraten, hatte sich grade noch dienstlich zu einem Abschluss bewegen können und nun wollte er weder vom Einen noch vom Anderen noch was hören. Er nickte zur Bar hinein und wollte von Alex wissen: „Und jetzt ist Freizeit. Auch für dich. …Noch ein Bierchen mit deinen alten Kumpels?“

Eine Antwort wartete er allerdings nicht mehr ab. Fireball sah zu, dass er Land gewann. Den anderen dürfte ihre Abwesenheit ohnehin schon spanisch vorkommen. Noch mehr Zeit zu vergeuden war deswegen vor allem in Fireballs Interesse nicht angebracht. Martin würde ohnehin sofort sehen, dass etwas nicht stimmte. Der Brasilianer hatte diesbezüglich sogar so etwas wie einen siebten Sinn. Und der hieß nicht immer zwangsläufig Alessa.

Alex blieb noch kurz stehen, ehe er Fireball wieder zurück in die Bar folgte. Das war ungewöhnlich gewesen. Alex schüttelte ungläubig den Kopf und zuckte dann mit den Schultern. Das war nun wirklich nicht mehr sein Problem. Er hatte getan, was er für richtig und wichtig gehalten hatte und damit sollte sich sein Einsatz erledigt haben. Alex hatte sich für April stark gemacht, der verwöhnte Captain ging ihn nichts an.
 

Drinnen hatte der Spaß währenddessen die nächste Stufe erreicht. Colt hatte seine Zukünftige dazu überreden können, mit ihm das Tanzbein zu schwingen. Und Colt wäre nicht er selbst gewesen, wenn er nicht in guter alter Wildwestmanier mit ihr tanzte. Es hatte nicht lange gedauert, da hatten sich auch andere zum Square Dance auf der Tanzfläche eingefunden. Sie hatten definitiv Spaß an diesem eigenwilligen Tanz, denn alle trugen ein ausgelassenes Lächeln zur Schau.

Saber war lieber sitzen geblieben, obwohl June gerne das Tanzbein geschwungen hätte. Er hatte sie mit einem aufrichtigen Lächeln auf einen Walzer vertröstet. Ihm wären nicht alle Volkstänze geläufig. June hatte daraufhin ungläubig den Kopf geschüttelt. Ganz klar, Saber wollte sich nur nicht zum Affen machen. Nach all den Jahren musste er Colts Gebräuche und Sitten dann doch mal kennen, er hatte nur nach einer höflichen Ausrede gesucht.

April war ebenfalls sitzen geblieben, ihr war nicht nach Tanzen zumute. Sie unterhielt sich lieber mit Saber und June oder hie und da auch mal mit Alessa und Martin, die sich auch geweigert hatten, sich dem Gehopse anzuschließen. Hauptsächlich sprachen sie über die Arbeit, bisher waren sich Ramrod und die Air Strike Base selten in Einsatzbesprechungen begegnet und beide Seiten nutzten die Gelegenheit, die andere kennen zu lernen.

Martin allerdings nützte die Gelegenheit auch noch für etwas anderes. Der Brasilianer war aufmerksam und seit er nun wusste, dass da bei seinem Captain auch noch immer wieder mal Gefühle mit im Spiel waren, wollte er sehen, was er von April eigentlich zu halten hatte. Er konnte den Hitzkopf schon irgendwie verstehen. April war hübsch und klug, das bemerkte man spätestens dann, wenn man sich mit ihr unterhielt. Aber April war auch schlagfertig und bot jeden die Stirn. Sie hatte eine starke Persönlichkeit. Sie würde auch in der Air Strike Base überleben. Als Martin gerade noch etwas mehr Verständnis für Fireballs privates Fiasko aufbringen konnte, setzte sich jener wieder an den Tisch. Dem Schwung konnte man entnehmen, dass die Laune nicht mehr ganz so gut war. Fireball warf April einen flüchtigen Blick zu, dann griff er nach seinem Bier. Martin konnte den Blick zwar nicht deuten, April aber sehr wohl. Sie senkte sofort betroffen den Kopf. Kommunikation ohne Worte, die auch noch funktionierte und in dem Fall sagte ein Blick mehr als tausend Worte.

Kurz nach dem Wuschelkopf zwängte sich auch Alex wieder auf seinen Platz. Alessandro warf einen Blick in die Runde, ehe er grinsend kommentierte: „Hat der Rinderwahn da zugeschlagen?“

Saber nickte schmunzelnd: „Scheint, als wär ihm das Bier zu Kopf gestiegen.“

Und auch April konnte dem etwas hinzufügen: „Keine Angst. Solange er nicht mit Tequila anrückt, ist noch alles im grünen Bereich.“

Sie lächelte ebenfalls, doch Alex fiel sofort der traurige Hauch auf. Es war erstaunlich wie schnell der neue Captain Ärger machen konnte. Der war beinahe schneller als ein Outrider. Vielleicht konnte Alex seine Kollegin doch noch etwas aufheitern und ablenken. Er wollte gerade noch etwas zum Thema Tequila loswerden, da stand auch schon Colt am Tisch. Als ob man nach ihm gerufen hätte. Colt hielt grinsend ein Tablett voll mit Gläsern in Händen. Der Cowboy stellte es ab und begann unter vollem Körpereinsatz zu singen und im Takt mit den Fingern auf den Tisch zu trommeln: „Babap Babababapap… Babap Babababapap… Babaaabap… Babaaapap… Tequila!“

Colt klopfte zwar zu seinen Lauten auf den Tisch, mit Takt hatte das allerding nicht viel zu tun. Aber es sorgte für gute Laune. Alle am Tisch grinsten, so manch einer schüttelte ungläubig den Kopf. Robin kommentierte das Verhalten ihres Liebsten: „Eigentlich schlimm, wenn man ihn so sieht. Noch dazu, wo er fast nüchtern ist.“

Saber schmunzelte und zerschlug alle Hoffnungen auf Besserung: „Dann sei froh, dass du ihn nie auf Ramrod und stocknüchtern erlebst.“

„Da ist er noch wesentlich schlimmer“, das hatte sogar Alex schon gelernt. Wenn der Cowboy seine wahnsinnigen fünf Minuten hatte, dann stellte er das von eben noch locker in den Schatten. Aber, zugegeben, es war jedes Mal wieder irre komisch. Es war eine Wohltat aus dem straff organisierten Alltag für eine Weile zu entfliehen.

April schielte auf das Tablett, das sich langsam aber sicher schon leerte. Wollte sie so widerliches Zeug trinken müssen? April grauste bei dem Gedanken daran. Noch ein schneller Blick zu Colt, der schon ein Schnapsglas in der Hand hielt und auf sie zusteuerte. Nö, bevor sie sich das Zeug geben musste, kratzte sie doch lieber die Kurve. Aber wenn sie das schon tat, dann ladylike. April mogelte sich aus ihrem Platz und entschuldigte sich mit einem zuckersüßen Lächeln: „Ihr verzeiht mir, wenn ich mir schnell das Näschen pudern gehe?“

Widerworte wären unhöflich gewesen, deswegen beschwerte sich auch niemand, als April aufstand und nach draußen verschwand. Nur schien April nicht die Einzige zu sein, die da gleich die Flucht ergriff, wenn es um Tequila und dessen Genuss ging. Colt schob nun Fireball ein Glas hin, dieser hob allerdings sofort die Hände und verzog angewidert das Gesicht. Während er den Stuhl nach hinten schob, erklärte er entschuldigend: „Sorry, alter Kuhtreiber, ich werde jetzt den Heimweg antreten. Ich hab morgen wieder einen vollen Terminkalender, der keinen Platz für einen Tequilakater lässt.“

„Jaja“, beinahe empört grummelte Colt vor sich hin. Er zog die Augenbrauen nach oben und stellte eine andere Hypothese auf, weshalb der kleine Wuschelkopf nicht Mittrinken wollte: „Du kriegst doch bloß nichts runter, was nicht aus Reis gebrannt worden ist.“

Fireball schmunzelte, während er sich wegdrehte: „Deswegen flutscht das Bierchen auch immer so gut runter, ja“, er wünschte allen einen schönen Abend und verabschiedete sich.
 

Hatte er vorhin doch richtig gesehen. April war nicht zur Toilette gegangen, sie hatte unauffällig den Weg an die frische Luft angetreten. Sie hatte nur keinen Tequila trinken wollen. Die Blondine stand auf dem Gehweg und sah sich um. Yuma war bei Nacht immer noch stark belebt, das konnte nicht jede Stadt von sich behaupten. Aber Yuma war ja auch das blühende Leben, der Leitstern des Neuen Grenzlandes.

Wohin sollte sie nun gehen? Oder blieb sie einfach nur ein paar Minuten hier draußen stehen und ging dann wieder zu den anderen hinein? April war sich nicht ganz sicher, was sie tun sollte. Einerseits hatte sie keine Lust mehr auf die Feierlaune dieser doch bedenklich großen Menschenansammlung, andererseits sah es auch merkwürdig aus, wenn sie von einem simplen Toilettenbesuch nicht wieder kommen würde. Und so, wie sie ihre drei Gefährten kannte, würde letzteres wohl zu einer unangenehmen Suchaktion und vielen Sorgen führen. April verschränkte die Arme vor der Brust und wippte etwas vor und zurück. Irgendwie wurde es herbstlich kühl.

Fireball stand noch in der Tür und beobachtete April. Er wusste nicht, was er gerade empfinden sollte. Der Pilot freute sich, April endlich wieder für eine zeitlang bei sich zu haben, aber andererseits brodelte da immer noch der Groll, den Alex kurz zuvor heraufbeschworen hatte. Der Japaner fasste sich ein Herz und ging auf April zu. Er blieb halb hinter ihr stehen und murmelte in einem angespannten Tonfall: „Die Toilette ist eigentlich im Keller der Kneipe.“

Er wagte es nicht, sie zu berühren, etwas schien seit ihrem letzten Aufeinandertreffen zwischen ihnen zu stehen. Zuerst hatte sie ihn in seiner Wohnung einfach stehen lassen und nun ließ sie ihn links liegen. Irgendwas war. Sie verhielt sich ihm gegenüber nicht wie sonst. Ja, ihre Situation war angesichts ihrer Heimlichtuerei eine unangenehme, aber der Wuschelkopf wurde das Gefühl einfach nicht los, dass Alex auch etwas mit Aprils unterkühlter Art zu tun hatte. Und das schürte nicht nur seinen Argwohn, sondern auch die Eifersucht.

Überrascht fuhr April zu ihm herum. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass ihr jemand folgen würde. Aber eigentlich hätte sie es wissen müssen. Niemand hatte Fireball vorgewarnt, dass Ramrod nachhause kam, sie hatten alle damit überrascht und bisher hatte er noch keine Gelegenheit gehabt, sich mit ihr ungestört zu unterhalten. Obwohl, so schoss es der Blondine verbittert durch den Kopf, sie kannte sein ‚unterhalten‘. Drei Sätze, wenn überhaupt so viele, und sie würden in der Kiste landen. April verzog das Gesicht. Das war nicht der Sinn einer Beziehung. Das war gar nichts. Sie sah in seine funkelnden Augen und antwortete: „Ich weiß. Ich hab mich doch für die frische Luft entschieden. Und was treibt dich raus?“

Sie war unglaublich kühl zu ihm gewesen. Fireball konnte nur einen Schluss daraus ziehen. Er sah an seinen Militärklamotten hinab und ballte die Hände zu Fäusten. Fireball brauchte nicht mit April um den heißen Brei zu reden, oder sich behutsam an das Thema herantasten. Es brach knurrend und wieder einmal ohne Vorwarnung aus ihm hervor: „Was ist das mit Alex?“

„Wie bitte?!“, April hätte beinahe das Gleichgewicht verloren. Hatte er das so gemeint, wie er es gesagt hatte? Die Navigatorin hatte ihre Gesichtszüge in diesem Augenblick absolut nicht im Griff. Das war doch absurd. Mehr als das. Für April war es unvorstellbar.

Für Fireball allerdings nicht. Ihre Reaktion hatte ihn lediglich in seiner Vermutung bestätigt. Alles, was er im Moment vertragen hätte, aber das nicht. Hitzköpfig und völlig in Rage griff Fireball um Aprils Handgelenk. Er sah gerade rot, blutrot wenn er es genauer definieren müsste. Er war ersetzt worden. Nicht nur auf Ramrod, sondern so wie er die Situation gerade interpretieren konnte, auch und vor allem bei April. Er wusste nicht, welches Gefühl gerade mehr in ihm dominierte. Fireball war derjenige gewesen, der zurückbleiben hatte müssen. Er war es gewesen, der sich mit einer völlig neuen Situation vertraut hatte machen müssen und er hatte immer gedacht, April wäre seine Kraftquelle. Sie war der Fixstern an seinem Firmament nach dem er sich orientiert hatte. Wieso nur hatte er das mit Alessandro nicht bemerkt? Immer noch hielt er Aprils Handgelenk fest umschlossen, er wollte sie nicht loslassen. Fireball wollte seine Gefährtin, die ihm immer wieder Kraft und Zuversicht gegeben hatte, nach alledem nicht verlieren. Weder jetzt noch später. Er hatte bereits seinen Vater verloren, das war noch nicht lange genug her.

„Er ersetzt euch nicht nur den Piloten, oder?“

April spürte den Druck um ihr Handgelenk ganz deutlich. Sie hatte zu langsam reagiert, als er nach ihr gegriffen hatte und nun würde sie von seiner Umklammerung so schnell nicht mehr frei kommen. Aber wenigstens war ihr nun nicht mehr kalt. Sie konnte Fireballs Hitze förmlich spüren. Nur mit einem tat sich die Blondine schwer. Sie verstand ganz einfach kein Wort. Sie fühlte nur diese Wut, wusste aber den Grund dafür nicht. April schüttelte den Kopf und zog sich vor Fireball zurück, zumindest so weit das möglich war. Irgendwie sah sie gerade alles bestätigt, was ihr Alex prophezeit hatte. Das hier würde nicht gut ausgehen. Sie sah entschlossen zu Fireball hinüber: „Dir tut das Rumsitzen im Büro einfach nicht gut. Du hast zu viel Zeit dir über irgendwelche Dinge Gedanken zu machen. Und anscheinend denkst du nur über Blödsinn nach, nicht aber über wirklich wichtige Dinge.“

Es war Aprils völliger Ernst. Fireball hatte mit Sicherheit zu viel Zeit um sich über irgendetwas den Kopf zu zerbrechen. Mit Arbeit deckte er sich doch nur ein, wenn sie bei ihm war. Wenn er nicht gerade schlief, hockte er über beknackten Berichten, nur um sich nicht mit ihr abgeben zu müssen. Wie oft war er danach gleich eingeschlafen, hatte sich weggedreht und sie mit ihren Worten und Ängsten doch wieder nur alleine gelassen? Aprils Gesicht verfinsterte sich kurzfristig. Was war, wenn Alex mit allem Recht gehabt hatte, was Fireball und sie betraf? Im Moment jedenfalls schien alles darauf hinzudeuten.

Ehe es die beiden selbst bemerkten, entbrannte zwischen ihnen ein heftiger Streit. Beide redeten aneinander vorbei, das dafür aber engagiert und voller Eifer. Höhepunkt war Aprils Befreiungsschlag. Sie machte sich geschickt von Fireball los und stieß ihn von sich, begleitet von eindeutigen Worten: „Es macht keinen Sinn mit dir zu reden. Sogar eine Felswand würde mich eher verstehen als du. Komm erst mal wieder runter und leg dir eine gesunde Gesprächskultur zu, dann rede ich gerne noch mal mit dir. Ich bin nicht die Base, dass ich so mit mir reden lasse, Fireball!“

Wieder griff Fireball nach April, versuchte sie zu erwischen. Dieses Mal aber ohne Erfolg. Er bekam sie nicht mehr zu fassen. Fireball stieß einen frustrierten Laut aus und knurrte: „Ich will es verdammt noch mal jetzt geklärt haben! Wer weiß schon, wann du das nächste Mal wieder im Lande bist.“

Im Normalfall hätte April bemerkt, was Fireball da so ungeschickt zusammen formulierte. Nur klang es im Augenblick alles für sie nach Revier abstecken und auf Rechte pochen, die er für selbstverständlich hielt. Aber in Aprils Augen war sie weder Teil seines Reviers noch hatte er ihr gegenüber irgendwelche Rechte. Fireballs Verhalten entpuppte sich genauso, wie es Ramrods neuer Pilot angedeutet hatte. Offenbar war sie nur ein netter Zeitvertreib für eine oder maximal zwei Nächte im Monat, wie schön! Stinksauer wandte April Fireball nun endgültig den Rücken zu und verschwand: „Du willst es geklärt haben. Na schön, dann spitz deine Lauscherchen. Ich hab es satt, wie du mich behandelst. Das hört ab jetzt auf, weil ich es nicht mehr zulassen werde“, nein, sie war eine Frau und wollte begehrt werden. Bei Fireball allerdings hatte sie eher das Gefühl gehabt, benutzt worden zu sein. Es war an der Zeit, das lächerliche Versteckspiel zu lassen, auch, wenn sie dem Wuschelkopf dabei nicht in die braunen Augen sehen konnte: „Zu dieser Debatte gibt es nichts mehr zu sagen. Du bist und bleibst eben so, wie du bist. Ein Pilot mit zuviel Benzin und Leidenschaft im Blut, aber keiner Liebe im Herzen.“

Ehe er etwas erwidern konnte, hatte ihm April schon den Rücken zugekehrt. Fireball sah nur noch ihre blonde Mähne und ihre Rückansicht. Einen Moment lang wollte alles in ihm ihr hinterher, doch dann verstand er Aprils letzte Worte. Es hatte keinen Sinn ihr hinterher zu laufen und weiter zu streiten. Fireball verfluchte in dieser Sekunde alles und jeden. Und am liebsten hätte er Alex auf den Mond geschossen. Der war seines Erachtens Schuld an diesem wenig erfreulichen Wiedersehen zwischen April und ihm. Er könnte den Italiener dafür erwürgen!

Seine Augen funkelten düster und voller Zorn, aber im Augenblick hatte er keine Möglichkeit, sich bei demjenigen Luft zu verschaffen, der ihm das Chaos eingebrockt hatte. Alex saß schon längst wieder bei seinen Freunden. Würde Fireball jetzt noch einmal in die Bar hinein rauschen, wäre das sein sicherer Tod. Er kannte seinen Hitzkopf. Fireball hätte im Nu nicht nur eine an Alex ausgeteilt, er hätte auch keine Sekunde später von der gesamten Air Strike Base 1 eine einstecken dürfen. Fireball ballte die Hände zu Fäusten und streckte sie mit aller Kraft Richtung Boden. Sie lagen eng am Körper, den Kopf reckte er krampfhaft in die Höhe, während er die Augen schloss und schrie: „Verdammter Mist, elendiger!“

Er wirkte wie ein Dampfkessel, der jeden Moment dem Druck nicht mehr stand hielt und dem der Deckel in die Luft flog. Dass er innerlich genauso kochte, wie eben jener Dampfkessel, wäre wohl jedem klar gewesen, der den jungen Piloten so gesehen hätte. Für Fireball war der Abend gelaufen und es blieb nur noch eine Ausflucht. Das hatte er ewig schon nicht mehr getan, weil ihm die Zeit und das Vehikel dazu gefehlt hatten. Der Japaner machte sich auf den Weg zu Ramrod, er musste seinen Red Fury wieder mal ausführen.
 

Die letzte Nacht war kurz gewesen, aber es hatte Spaß gemacht. Auf Ramrod saßen Colt und Saber beim zweiten Frühstück. Sie hatten zuhause geschlafen und waren nun pünktlich im Oberkommando eingetroffen. Da für sie aber kein Arbeitstag auf dem Plan stand, hatten sie genügend Zeit, noch miteinander zu frühstücken. Sie hatten sich kaum gesetzt, öffnete sich die Rampe ein weiteres Mal und kurz darauf erschien ein alter Bekannter in der Küche. Fireball hatte bereits seinen Kampfanzug an und war für den Dienstantritt gerüstet, aber er hatte eine Tüte Brötchen dabei. Er begrüßte Saber und Colt: „Morgen. Ich hab was mitgebracht.“

„Seh ich“, lachte Colt und konnte sich nicht verkneifen, ihn auf was anderes hinzuweisen: „Und so leid es mir tut, Fire, aber musst dich doch grad verlaufen haben, oder?“

Colt wollte jedoch auf keinen Fall, dass sich Fireball wieder vom Acker machte, sie hatten am Vorabend kaum Gelegenheit zum Reden gehabt. Der Cowboy würde sich freuen, wenn er mit ihnen noch einen Kaffee trinken würde. Sie sollten die gemeinsame Zeit nutzen, die sie ohnehin nicht hatten. Neuerdings war der Lockenkopf da etwas mehr dahinter, was allerdings durchaus an seiner geliebten Robin liegen konnte. Hätte er kein solches Pflichtgefühl, er wäre schon längst bei ihr geblieben.

Saber nickte Fireball kurz zu und lud ihn ein: „Nimm dir eine Tasse und setz dich. Ein bisschen Zeit wirst du doch sicherlich noch haben.“

Auch der Schotte freute sich sichtlich über den unangemeldeten Besuch. Die Probleme in der Air Strike Base wurden zwar sukzessive weniger, dennoch behagte es auch Saber nicht unbedingt, Fireball kaum noch zu sehen. Gerade seit ihrem letzten vertraulichen Gespräch hatte sich viel verändert und sie hatten noch keine Zeit gefunden, sich mal wieder in Ruhe zu unterhalten. Da konnte die morgendliche Zeitung getrost warten.

Die Tüte mit Brötchen landete währenddessen auf dem Frühstückstisch, ebenso die Handschuhe von Fireballs Kampfanzug. Lächelnd ging er zum Küchenschrank. Während er sich eine Tasse nahm, witzelte er: „Ich hoffe doch schwer, dass noch alles an seinem alten Platz steht.“

Kurz darauf setzte er sich an den Platz, an dem er zuvor über Jahre jeden Morgen gesessen hatte. Es fühlte sich an, als hätte sich nie was geändert. Die drei Jungs genossen ihr Zusammensein und machten jede Menge blöde Witze. Zwischendurch gestand Fireball auch den Grund für seinen Besuch. Immerhin hatte er den Red Fury ohne Erlaubnis genommen.

Während Colt nichts anderes zu tun hatte, als den jungen Captain dafür lachend und neckisch zu tadeln, war Saber nicht wirklich erstaunt über diesen Umstand. Fireball hatte schon lange keine Gelegenheit mehr für solchen Unsinn gehabt. Der Papierkram forderte dem lesefaulen Piloten allerhand Zeit ab und irgendwann musste man den Kopf auch mal ausrauchen lassen.

Der Cowboy genoss dieses Frühstück. Sie hatten sich lange schon nicht mehr gesehen und die Zeit für ein kleines Schwätzchen gehabt. Der Grund, wie sie zu dieser Ehre gekommen waren, war ihm egal. Da erzählte er lieber, wie sehr er sich jedes Mal wieder schreckte, wenn er zu seiner Robin nachhause kam. Das hatte nach ihrer schrecklichen Reise in die Vergangenheit schon angefangen und wurde nicht besser. Er witzelte mit strahlenden Augen, dass mittlerweile vorher Bauch und lange nichts kam, ehe man Robin erblicken konnte. Bald war es so weit und wenn Colt es nicht besser wüsste, hätte er auf Zwillinge gewettet. Aber der Lockenkopf war froh, dass sie zunächst nur ein Familienmitglied Zuwachs bekamen. Solange kein wirklicher Frieden in der Welt herrschte, war Colt nur wenig zuhause. Und er wollte doch seine Kinder aufwachsen sehen. Er wollte ihnen eine kleine Kathrin kaufen und ihnen das Reiten beibringen. Das musste allerdings noch warten und deshalb trug der Cowboy seinem kleinen Bruder auf: „Du pass mir ja auf unsere Ladies hier auf. Wozu haben wir dich sonst hier ausgesetzt?“

Saber stützte den Kopf auf eine Hand und seufzte gedehnt: „Geht der Hundewitz von Neuem los? Ach, Colt…“

„Ach was?“, verteidigte sich der Scharfschütze grinsend. Er deutete auf Fireball: „Solange er den Welpenblick drauf hat, bleibt er auch einer. Und nebenbei bemerkt, edler Schwerteschänder, wie wir gestern gelernt haben, ist er ja kein Hund. Unser Fireball ist ein Wolf“, noch einmal machte Colt eine Kunstpause, in der er Fireball musterte, ehe er sich verbesserte: „Naja, okay… Maximal ein Schaf im Wolfspelz, aber er hat ein Wolfsfell über.“

Fireball schüttelte schmunzelnd den Kopf, das war Colt wie er leibte und lebte. Er kommentierte das nicht weiter, eine Diskussion wäre sonst vorprogrammiert. Da kannte Fireball den Cowboy einfach zu gut. Er zog den Wuschelkopf nur allzu gerne mit solchen Metaphern auf, hin und wieder war auch das berühmt berüchtigte Naivchen dabei. Oder er meinte wieder, Fireball sei mehr blau- als braunäugig. In sich hinein grinsend nahm der jüngere Freund einen Schluck vom Kaffee.

Auch Saber hielt sich mit Worten zurück. Er widmete sich lieber seinem Frühstück. Eigentlich fehlte nur noch April und die alte Crew saß wieder beisammen. Der Schotte war an diesem Tag entspannt, er genoss die Ruhe und den Spaß, den auch er durchaus hatte. Manchmal reichte es schon, wenn man den beiden Hitzköpfen nur zuhörte.

Just in diesem Moment setzte sich die Blondine gähnend an den Frühstückstisch. Automatisch wünschten die drei Jungs einen guten Morgen, Colt schmierte ihr ein Brötchen und Fireball schob ihr eine Tasse Kaffee vor die Nase. Diesen Luxus gab es nur hier auf Ramrod, kein Hotel der Welt würde diesen Service bieten können. Sie vergaß, was sie Fireball am Vorabend an den Kopf geknallt hatte und auch den anderen Piloten vergaß sie. Es waren Momente wie dieser, der einem einen netten Alltag vorgaukelte und außergewöhnliche Schwierigkeiten vergessen ließ.

April strich sich noch die Haare nach hinten und gähnte noch einmal verstohlen, ehe sie dankbar den Kaffee entgegennahm und das Brötchen anbiss. Sie blinzelte noch ein wenig verschlafen aus ihren blauen Augen, aber der Kopf war schon ziemlich klar. Nun saßen sie zu viert am Tisch und es gab keinen Unterschied zu früher. Gut, Fireball war noch nicht so lange von Ramrod weg, dass man sagen konnte, es war schon nicht mehr wahr. Nun saßen sie also zusammen und witzelten, begrüßten den Spätherbsttag mit einem gut gelaunten Geplänkel.

Erst, als der Wuschelkopf einen Blick zur Uhr riskierte, holte sie der veränderte Alltag wieder ein. Fireball seufzte ausgiebig und machte Anstalten zu gehen: „Leute, ich muss los.“

„Da fragt man sich, weshalb du überhaupt hier warst“, Alex stand in der Tür und blickte skeptisch auf die Szene vor ihm. Die vier Freunde saßen zusammen und unterhielten sich gut. Daran war im Grunde zwar nichts auszusetzen, wenn er nicht wüsste, dass zumindest zwei ein gut gehütetes Geheimnis mit sich herum trugen. Er ließ den passionierten Rennfahrer passieren und deutete mit einem grimmigen Lächeln, wo es lang ging: „In die Richtung geht’s raus, Babyboy.“

Colt und Saber fiel der kalte Unterton sofort auf und auch der Blick ihres ehemaligen Kollegen blieb ihnen nicht verborgen. Fireball funkelte den neuen Piloten an und konterte so ruhig wie möglich: „Keine Bange. Ich weiß, dass der Kontrollraum in die andere Richtung liegt“, er wandte sich mit einem kurzen Handzeichen an seine Freunde: „Wir sehen uns. Passt beim Rumgurken im All auf euch auf, ja?“

Entgegen seiner Natur salutierte Saber und lächelte: „Aye, Captain. Selbiges gilt für dich und deine Fliegerasse.“
 

Er sah, wie ihr Captain Ramrods Rampe runter kam. Die Marschrichtung von Fireball war klar gewesen, allerdings hielt ihn noch einmal jemand auf. Martin konnte beobachten, wie Ramrods Navigatorin den jungen Captain anhielt und offenbar kurz unter vier Augen mit ihm reden wollte. Sie gestikulierte, fand ganz offensichtlich keine netten Worte und Fireball hob aufgebracht den Arm und streckte ihn Richtung Ramrod aus. Der Sohn von Emilio konnte sich vorstellen, dass es um die Besatzung des Friedenswächters ging, vielleicht auch zum Teil um Fireball, aber fix war zumindest, dass es entweder eine energische Diskussion war oder sogar ein Streit. Martin war sich nicht zu hundert Prozent sicher, immerhin kannte er die Umgangsformen zwischen den Freunden nicht.

Als Fireball dann aber näher kam, konnte Martin auf den Fifty-Fifty-Joker verzichten. Man sah ihm die Spannung förmlich an. Konnte Martin die Stimmung eventuell auflockern? Der Brasilianer empfing Fireball mit einem leichten Lächeln: „Hey, wieso solche Gewitterwolken im Paradies?“

„Ich kann dir Paradeiser geben, aber Paradies seh‘ ich hier weit und breit keins“, grummelte Fireball seinen Kollegen an und ging an ihm vorbei. Er hatte keine Lust auf Blödeleien. Und zu allem Überfluss fühlte er sich von Martin auch noch ertappt. Mal wieder. Irgendwann, wenn Fireball nicht vorsichtig war, würde Martin ihn überführen. Aber gab es überhaupt noch etwas, dessen er ihn überführen konnte? April war ihm zwar nachgegangen, aber im Prinzip hatten sie nur ihren Streit vom Vorabend noch einmal aufgewärmt. Fireball war leise dabei geblieben, aber es stellte sich die Frage, ob ihre Beziehung den ganzen Ärger überhaupt noch wert war. Fireball war sich da nicht mehr sicher. April hatte sich schon anderwärtig umgesehen.

Der Brasilianer ließ sich allerdings nicht abschütteln. Nicht jetzt und auch in Zukunft nicht. Da konnte der kleine Captain hüpfen, soviel er wollte. Martin glaubte auch zu wissen, weshalb ihr Befehlshaber wirklich so schlechte Laune hatte. Er folgte Fireball in sein Büro hoch und beobachtete, wie er sich vor das Fenster stellte.

Wieder einmal schloss Martin die Tür, zuvor hatte er der netten Empfangsdame allerdings noch aufgetragen, niemanden zu Fireball durch zu lassen. Prüfend sah er an dem Japaner hinab und war froh, Beruf und Freunde bisher strikt getrennt zu haben. Fireball war ein Musterbeispiel für das Theater, das daraus entstehen konnte, wenn man nicht sauber trennte. Kein Wunder also gab es die Regel im Oberkommando. Martin sah, wie Fireball auf das Rollfeld hinunter blickte, direkt auf Ramrod. Der Brasilianer zog Fireball entschlossen da weg: „Ich lass das verdammte Fenster zumauern.“

Seine Worte waren energisch gewesen. Jedes Mal, wenn der schwarze Vogel im Lande war, hing sein Captain irgendwelchen Gedanken nach, schien regelrecht in der Vergangenheit zu stecken. Er wollte Fireball helfen. Nur wie, das hatte Martin bis heute nicht heraus gefunden. Etwas ratlos wollte er wissen: „Hast du Heimweh, Babyboy?“

„Heimweh?“, irritiert zog Fireball die Augenbrauen nach oben. Er blinzelte: „Wieso soll ich Heimweh haben?“

Da Fireball keine Anstalten machte, nicht mehr aus dem Fenster zu sehen, schob Martin ihn kurzerhand einfach zu seinem Schreibtisch hinüber. Dabei erklärte er schon fast mehr besorgt als neugierig: „Hast du Heimweh nach Ramrod? Hör mal, ich weiß, du hattest einen nicht ganz so netten Start hier in der Base, aber ich dachte eigentlich, dass du dich mittlerweile bei uns wohl fühlst. Trotzdem hab ich das Gefühl, du wünschst dich alle heiligen Zeiten ganz weit weg von hier. Ich wüsste mal gerne, wohin genau und weshalb.“

Fireball spürte deutlich, dieses Mal würde er Martin nicht so leicht los werden, wie an anderen Tagen. Ob der Brasilianer mehr wusste, als er kund tat, das konnte Fireball nicht einschätzen. Aber der Tonfall und die Mimik seines Adjutanten sprachen dabei Bände. Die Nummer mit dem Heim- oder in seinem Fall Fernweh wäre zu einfach gewesen und Fireball war sich ziemlich sicher, dass Martin nur einen Gesprächsstart damit hatte bezwecken wollen. Etwas widerwillig setzte sich der Japaner in seinen Stuhl und biss sich auf die Lippen. An seinem Pokerface musste er eindeutig noch besser arbeiten, er ließ seine Emotionen leider zu leicht an die Oberfläche. Sein Blick fiel auf das Bild neben dem Bildschirm, direkt auf das Lächeln besagter Blondine, die ihn so sehr durcheinander brachte. Auf Ramrod waren manche Dinge einfacher gewesen, er hatte seine Gefühle eher zuordnen können. Die Regeln und vor allem die Entfernung machten es schlimmer, mit jedem Besuch der Freunde ein bisschen mehr. Er hatte schon bei den letzten Besuchen manchmal das Gefühl gehabt, April ergreife ziemlich schnell die Flucht, nachdem sie sich gesehen hatten. Nun, nach dem netten Gespräch am Vorabend und ihren mahnenden Worten von gerade eben war Fireball zu der Ansicht gelangt, dass ihre gemeinsame Zukunft eben keine gemeinsame sein würde. April hatte keine Nerven, sich mit einem viel beschäftigten Captain zu befassen. Seine Augen senkten sich traurig. Na klasse einfach! Diese Gedanken hatten ihm gerade noch gefehlt. Fireball stieß einen Seufzer aus und wandte den Blick lieber Martin zu. Aber eine Antwort blieb er ihm schuldig.

Aufmerksam hatte Martin die Gesten und Bewegungen seines Captains verfolgt. Ihm war nicht verborgen geblieben, wohin der Japaner geschaut hatte, als sein Gesichtsausdruck unendlich traurig geworden war. Wieder waren da Alessas Worte, die besagten, dass es manchmal nur geübter Augen bedurfte, um die Misere anderer erkennen zu können. Auch der beste Schauspieler konnte nicht immer verbergen, was er niemanden sehen lassen wollte. Martin sah an Fireball hinab und rief sich die Situation vor einigen Minuten noch einmal vor Augen. Fireball war da gestanden, mit der Navigatorin von Ramrod. Sie hatten leise miteinander gesprochen, sonst hätte Martin sie bestimmt gehört, aber sicher hatten sie gestritten. Martin dachte auch an die letzten Starts von Ramrod und an die erste Begegnung, die er selbst mit April hatte. Und nun war Martin eines klar: „Liebeskummer?“

Er fragte das nur noch aus Anstand und um endlich eine Bestätigung zu bekommen. Dem Brasilianer wurde allerdings gerade etwas unwohl in seiner Haut. Sein Captain hielt sich nicht an die Regeln, so schien es jedenfalls.

Fireball vergrub den Kopf hinter einer Akte. Ihm kam in den Sinn, dass Martin so eine Mischung aus Saber und Colt war, und zwar eine schreckliche Mischung. Seine rechte Hand hatte die Kombinationsgabe und das Pflichtbewusstsein, die auch Saber besaß, und eine unwahrscheinliche Trefferquote, die Colt sein Eigen nennen durfte. Mit Martin hatte er sich ganz schön was eingefangen. Gleichzeitig jedoch war ihm hundeelend zumute. Er mochte Martin irgendwie, der junge Rubario war seinem Vater ähnlich, der auch eine wohltuende Rückendeckung gewesen war. Allerdings sah sich Fireball nicht in der Lage, das nötige Vertrauen aufzubringen, das er gebraucht hätte, um Martin zumindest ein bestätigendes Nicken zu zeigen. Es war ohnehin klar, dass er Martin wieder einmal etwas vorgaukeln musste. Er krächzte heiser: „Nö.“

‚Ein Teenager und noch dazu ein schlechter Lügner‘, schoss es Martin augenblicklich durch den Kopf. Offenbar hatte er richtig geschlussfolgert. Mit den Anzeichen, die Alessa immer wieder für ihn gedeutet hatte, war er auf des Rätsels Lösung gekommen. Martin sah sich nun in der Zwickmühle. Er mochte den jungen Captain und obwohl es seltsam klang, Fireball hatte für ihn etwas von einem kleinen Bruder. Allerdings war dieser kleine Bruder starrsinnig und wollte sich nicht helfen lassen. Martin sah, wie sich Fireball förmlich vor seinem Blick versteckte. Ob er überhaupt etwas erfahren würde? Martin langte über den Tisch und zog Fireball die Akte aus der Hand. Er wollte ihn ansehen können, wenn er mit ihm sprach. Die dunklen Augen des Brasilianers stachen fordernd auf Fireball hinab: „Sag mal, Babyboy. Kannst du mich nicht ansehen, weil ich Recht habe oder weil du mich anlügst?“

„Weder das eine, noch das andere“, versuchte Fireball die aufkeimenden Zweifel bei Martin zu zerschlagen. Er konnte ihm jedoch nicht lange in die Augen blicken. Getroffen senkte er gleich darauf wieder den Blick. Es ging ihm grad schlecht. April hatte in ihrer neu aufkeimenden Wut einen schmerzlichen Vergleich gemacht. Genauer gesagt hatte sie ihm vorgehalten, nichts aus der Geschichte gelernt zu haben. Er würde lieber alles andere machen, als sich mit ihr zu beschäftigen. Er hätte aus dem Schicksal seines Vaters nichts mitgenommen. Das tat dem Piloten doppelt weh, weil es ausgerechnet aus Aprils Mund gekommen war. Sie hatte miterlebt, was geschehen war und er wusste, sie hatte auch gespürt, wie er beim Tod seines Vaters selbst gestorben war.

Martin schüttelte missbilligend den Kopf. Irgendwann würde er noch einmal die Geduld mit seinem Captain verlieren. Ja, ihm war klar, dass Fireball ihm egal sein könnte, aber aus irgendeinem Grund war er das nicht. Martin konnte selbst nicht sagen, was es war, aber er konnte den Japaner einfach nicht hängen lassen. Wahrscheinlich hatte er schon damals verspielt, als Fireball in ihre Einheit gespült worden war. Nicht zuletzt durch die Gespräche mit seinem Vater war Martin sich dessen bewusst, dass Freundschaften gerade anfangs nicht immer auf Gegenseitigkeit beruhten. Das bemerkte er gerade jetzt wieder. Martin konnte die Wand, die Fireball ziemlich schnell hochgezimmert hatte, förmlich zwischen sich und dem Captain sehen. Irgendwo musste doch eine Lücke sein, durch die Martin durch passte. Hatte er das Schlupfloch erst gefunden, und so endlich das Vertrauen des jungen Mannes, würde es einfacher mit ihm werden. Martin wusste nur nicht, wo er dieses Loch suchen sollte. Er wusste, dass Fireball ihn anlog. Zum Teil tat er das bestimmt, weil er nicht darüber reden wollte, andererseits aber garantiert auch, weil es privat war. Martins Standpauke am Anfang ihrer Zusammenarbeit hatte Früchte getragen. Nur gerade eben verfluchte Martin diese Wassermelonengroßen Früchte.

„Du lügst schon wieder“, stellte er trocken fest und verschränkte die Arme vor der Brust. Martin konnte es nicht besonders leiden, wenn er jemanden beim Flunkern überführte. Und das machte er jetzt temperamentvoll deutlich: „Wenn du nicht darüber reden willst, schön. Das ist deine Sache. Aber das kannst du mir sagen. Ich verrat dir was, Babyboy. Wer dich kennt, der merkt, wann du lügst. Mag sein, dass die restlichen 38 Mann deiner Staffel das nicht erkennen, aber ich bekomm das mit. Und ich schätze es überhaupt nicht, wenn mir mein Captain was vorgaukelt. Wie soll ich dir im Kampf mein Leben anvertrauen können, wenn du mir dauernd das Blaue vom Himmel lügst?“

Der Wuschelkopf sah wieder zu Martin auf. Mit einer Mischung von Verzweiflung und einem Anflug von Verwunderung zog er bei Martins Worten die Augenbrauen hoch. Wieder entfloh ihm ein bedrücktes Seufzen über die Lippen. Er hatte den Streit mit April noch nicht mal richtig geschluckt, da stand schon die nächste Diskussion vor ihm. Geknickt, weil er durchaus einsah, dass er Martin nicht weiter anlügen konnte, räumte er ein: „Es ist kein Heimweh, Marty.“

Die beiden hatten in den letzten Wochen nicht nur viel Zeit auf dem Stützpunkt zusammen verbracht, sie waren oft auch nach Feierabend noch miteinander um die Häuser gezogen. Fireball hatte Martin irgendwann dazu überreden können, sein Trainingspartner beim Judo zu sein, ein paar Selbstverteidigungskniffe konnten dem Brasilianer nicht schaden und sie hatten auch noch etwas für den Körper getan. Die Gespräche waren meistens von fröhlicher Natur, Martin hatte Fireball jedoch bald schon in den Kreis der Familie aufgenommen und erzählte immer wieder und mehr ohne Scheu von privaten Hobbies und Erlebnissen. Fireball hatte sich bis dato immer bedeckt gehalten. Nun aber schien Martin mit seinem Verständnis am Ende zu sein.

„Okay“, Martin lehnte sich gegen den Stuhl und zählte gedanklich noch einmal alles zusammen. Dann faltete er seine Hände und beugte sich noch weiter nach vor: „Dann ist es April Eagle, Chefingenieurin von Ramrod, Navigatorin von Ramrod, nebenbei noch Tochter von Commander Eagle und immer noch Mitglied der selben Einheit, weshalb du die Sache am Besten noch nicht einmal in Erwägung ziehst. Oder, solltest du es tatsächlich gewagt haben, die Sache sofort wieder beendest. Du kannst mich gerne korrigieren, wenn ich falsch liege.“

Martin hatte es die ganze Zeit über geahnt, Fireball hatte schon einige Male mahnende Worte diesbezüglich von Martin zu hören bekommen. Es blieb dem Captain dieses Mal allerdings nichts anderes mehr übrig, als ergeben zu nicken und zu murmeln: „Das kommt ganz gut hin, ja.“

Oh, am liebsten hätte er sich gerade die Kugel gegeben. Martin war beinahe ein eben solcher Paragraphenreiter wie der werte Säbelschwinger und nichts ging ihm über das Oberkommando. Fireball schloss einen Moment die Augen, er sah Martin schon bei Commander Eagle stehen und es melden. Bald hatten sich all seine Probleme und Kummer in Luft aufgelöst. Zumindest die schwerwiegenden Sachen.

Tatsächlich konnte Martin gerade noch verhindern, dass sein Oberkörper wieder nach hinten fuhr und er kritisch eine Augenbraue nach oben zog. Allerdings wechselte er nun das Standbein und prüfte Fireball: „Und was ist es? Gar nicht erst anfangen oder sofort beenden?“

Martin hatte schon den Unterton ‚Ich warne dich, lüg mich ja nicht an!‘ in der Stimme, so dass Fireball sich gar nicht mehr anders traute. Seine Augen richteten sich auf den Boden neben Martin. Gedanklich betete er, dass er ohne großes Aufsehen entlassen wurde. Wenn sich eine Katastrophe zeigte, dann neigte das Schicksal in Fireballs Fall meistens dazu, noch ein paar nach zu schicken. Die Misere hatte am Vorabend angefangen und nahm nun Anlauf für den ultimativen Weltuntergang. Fireball brachte den Mund kaum auf: „Sofort beenden.“

Augenblicklich zog er den Kopf zwischen die Schultern, es kam bestimmt gleich ein Donnerwetter auf ihn zu. Wie oft hatte ihm Martin gesagt, er sollte sich auf nichts mit einem Mitglied der selben Einheit einlassen? Bestimmt jedes Mal, wenn der Brasilianer ihn wieder am Fenster hatte stehen sehen, war der gute Rat nicht weit gewesen. Und was hatte Fireball getan? Er hatte Martin jedes Mal matt zugenickt mit dem Wissen, dass er diesbezüglich schon mehr als nur einmal die Regeln gebrochen hatte. Und nun fürchtete er sich zu Recht vor den Konsequenzen.

Tatsächlich kam die nächste gefürchtete Katastrophe in Form von Martin. Der Brasilianer war eigentlich ein geselliger, aber auch ruhiger Zeitgenosse. Aber wenn ihm mal der Kragen platzte, hieß es Deckung suchen. Martin war nicht auf den Kopf gefallen, er wusste, was das zu bedeuten hatte. Da lief schon länger was und müsste er einen Tipp abgeben, dann würde er sagen, dass schon vor der Versetzung etwas gelaufen sein musste. Verächtlich und auch dementsprechend laut ließ Martin seinen Unmut darüber heraus: „Du bist doch total wahnsinnig geworden! Es gibt Regeln im Oberkommando, an die wir uns alle zu halten haben. Sieht doch wohl so aus, dass diese zu Recht bestehen und es begründeter Weise wirklich meine Pflicht ist, das zu melden. Man braucht dich doch nur anzugucken und weiß, warum das besser wäre.“

Martin hatte weniger damit Probleme, dass Fireball die Regeln gebrochen hatte, vielmehr sah er sich darin bestätigt, dass diese Regeln begründet waren. Er hatte Fireball vor Augen, wenn er an Tagen, wie an diesem, bedrückt in seinem Büro saß und zumindest einen Tag überhaupt nichts auf die Reihe bekam. Martin war das lange schon aufgefallen. Immer, wenn Ramrod sich wieder der Pflicht gewidmet hatte, hatte Fireball sich ins Büro zurückgezogen, meist nur mit vagen Arbeitsanweisungen an seine Crew, und hatte trotzdem kaum bis gar nichts an Papierkram aufarbeiten können. Es bliebe Fireball viel erspart, wenn er nur etwas vernünftiger handeln würde. Kein Zweifel, der Japaner litt unter der Situation, die nach wenigen Monaten offenbar schon zur Belastungsprobe für ihn geworden war, und gerade deswegen hatte man diese Regeln vor Jahren im Oberkommando eingeführt.

Martin war in erster Linie zwar besorgt, aber was ihm gerade doch erheblich sauer aufstieß war das mangelnde Vertrauen von Fireballs Seite. Er hatte Fireball immer wieder seine Hilfe angeboten, ihm den Rücken frei gehalten und alles, was er als Dank dafür bekam, waren Ausflüchte und Misstrauen. Martin hatte doch vom ersten Tag an seine Qualitäten als Freund unter Beweis gestellt! Es regte ihn gerade mehr auf, als er sich selbst eingestehen wollte.

Das hatte gesessen. Fireball kniff die Augen zu und war wirklich kurz davor, sich wie ein kleines Kind erschrocken die Ohren zu zuhalten. Wieso bekam er ausgerechnet immer in diesem Büro eine Standpauke gehalten? Vor zwanzig Jahren war es sein Vater gewesen, der ihm mangelndes Vertrauen vorgehalten hatte. Nun war es Martin, der ihm diplomatischer erklärt hatte, dass er ihm zu viel vertraut hatte. Fireballs Verdacht mit Martins Pflichtgefühl hatte sich schnell bestätigt. Er sah einen winzigen Moment Saber vor sich stehen, der jedes Anzeichen von Freundschaft ausschloss und ihn tadelte, aber letzten Endes doch versuchen würde, gemeinsam eine Lösung zu finden. Aber da stand Martin. Ein Pilot der Air Strike Base, den er zu wenig kannte. Hätte er mit dem jungen Rubario ein halbes Jahr Dienst auf Ramrod geschoben, hätte sich Fireball vorstellen können, dass auch Martin letztlich zu ihm half und auf die Regeln pfiff. Er blinzelte hinüber und bat: „Bitte nicht so laut, Martin. Ich steck so schon tief genug in der Tinte, da muss es nicht auch noch der halbe Hangar unter uns hören.“

Das war Martin im Augenblick herzlich egal. Er zeigte mit ausgestreckter Hand auf die Gestalt hinter dem Schreibtisch und fluchte ungehalten weiter: „Du würdest bei weitem nicht so tief drinstecken, wenn du mal nachdenken würdest! Stattdessen ziehst du mich da auch noch mit rein, weil ich dir von Anfang an den Rücken frei gehalten hab. Nur weil du mit…“, Martin hielt kurz inne, beinahe hätte er Aprils Namen gefaucht, in letzter Sekunde konnte er sich noch anders entscheiden: „…Nur weil du dann nicht fähig bist, jemanden unter die Augen zu treten.“

Martin wusste sehr wohl, dass sich Fireball nicht im Hangar blicken ließ, weil es ihm nach Aprils Besuchen nicht besonders gut ging, aber irgendwann würden auch andere auf die Idee kommen, dass da ein nicht unerheblicher Zusammenhang zwischen Ramrod und Fireballs Gesichtsausdruck bestand. Und spätestens dann war noch mehr Feuer am Dach als ohnehin schon. Der Brasilianer schnaubte vor Entrüstung. Den Ärger hätte sich Fireball nach Martins Meinung sparen können, wenn er ihm das eher mal mitgeteilt hätte. Fireball hätte sich den Kummer von der Seele reden können und es hätte sich vielleicht weniger auf die Arbeit ausgewirkt, aber der werte Herr von und zu hatte lieber geschwiegen!

Wieder schluckte Fireball. Bisher war Martin immer ein besonnener Gesprächspartner gewesen, manchmal etwas schärfer im Tonfall, aber niemals laut. Entmutigt, weil er sich schon ausmalen konnte, was als nächstes kam, fuhr sich Fireball mit dem Handrücken über die Stirn und versuchte, seine Haare daraus zu verbannen. Er sah Martin dabei zu, wie dieser sich aufregte und wild mit den Händen herum fuchtelte. Hätte Fireball gewusst, was er nun los trat, weil er sich schlecht ausdrückte, er hätte lieber gar nichts gesagt. So aber vernahm Martin plötzlich: „Du musst mir den Rücken nicht frei halten. Ich habe dich nie darum gebeten.“

Eigentlich hatte es ein Dankeschön sein sollen, doch Martin fasste das alles anders auf. Martin, tief in seinem Ehrgefühl gekränkt und stinksauer, blieb daraufhin wie angewurzelt stehen und starrte Fireball fassungslos an. Seine Augen funkelten und schließlich ging Martin zur Tür. Bitte, wenn das Fireballs Meinung dazu war, dann sollte er selbst zusehen, wo er blieb. Martin griff beherzt nach der Türklinke und zischte Fireball entgegen: „Bitte. Von nun an stehst du alleine da. Geh an der Mannschaft zugrunde, zerbrich an deiner Liebschaft. Es ist mir egal.“
 

Martin öffnete die Tür und machte einen Schritt aus dem Büro hinaus. Wer war er denn?! Selten war sich der Brasilianer bisher so veräppelt vorgekommen, wie in diesem Moment. Da wurde man auch noch dafür bestraft, weil man helfen wollte und einem immer mit Rat und Tat zur Seite gestanden war. Recht viel undankbarer als Fireball konnte in seinen Augen niemand mehr sein. Martin war stinksauer. Sein Vater hatte Unrecht gehabt. Nicht hinter jeder professionellen Miene steckte ein sehr weicher Kern. Sogar Alessa war dieses Mal falsch gelegen. Die Frau, die jeden Menschen nach einem einzigen Blick durchschaut hatte, war an der Kaltschnäuzigkeit des Japaners gegen eine Glaswand geprallt. Martin könnte sich grad vor Ärger überschlagen. Toll, weshalb hatte er sich den Tag schon am Morgen total verderben müssen?

Fireball sprang von seinem Platz auf und hastete Martin hinterher. Doch als er die Tür erreichte, hatte sie Martin schon mehr als nur lautstark zugeschlagen. Verdattert blieb Fireball hinter der geschlossenen Tür stehen. Das war gehörig schief gegangen. Auch das noch. Er hatte nicht nur Zoff mit April. Nein, er hatte sich auch noch Alex auf den Hals hetzen müssen und seinen einzigen Freund in Yuma gegen sich aufhetzen! Fireball fuhr sich keuchend durch die Haare. Wieso sprang er nicht gleich aus dem Fenster? Auf diese bescheuerte Frage gab er sich selbst keine Antwort, allerdings riss er beherzt die Tür wieder auf und folgte Martin in den Hangar. Zumindest eine Katastrophe musste er ausbremsen, wenn das überhaupt noch möglich war.

Martin war an seinen Kollegen vorbeigezischt und hatte nur einen Rat für seine Kumpels: „Macht einen Bogen um Babyboy!“

Erstaunt guckten ihm die Piloten hinterher, nur um kurz darauf den Kopf in die entgegengesetzte Richtung herumzureißen und besagten Captain halb im Laufen zu erblicken. Als dann auch noch die kurze Frage nach Martins Verbleib aus Fireballs Mund kam, zog Stan die Augenbrauen zusammen. Etwas irritiert gab er Fireball Auskunft, in diesem Fall wagte er es kaum, etwas Freches zu erwidern, dafür hatte die Stimme von ihrem Captain viel zu gereizt geklungen. Als Fireball verschwunden war, blinzelte Stan mehrere Male verwundert und sah Oliver an: „Du hast das doch auch gerade gesehen, oder?“

Der Kroate nickte und verschränkte die Arme vor der Brust. Auch ihm war das alles nicht geheuer gewesen. So was hatte er noch nie gesehen.

Als Stanley das bestätigende Nicken erhalten hatte, fuhr er fort. Er deutete in die Richtung, in die Martin und Fireball abgedampft waren und schluckte. Verhalten murmelte er: „Ich glaub, ich spar mir heute die Frage, ob er mich nicht doch zu den Wettbewerben angemeldet hat.“
 

Etwas Lauftraining hätte ihm nicht geschadet, denn als er Martin endlich eingeholt hatte, war Fireball doch außer Atem. Er griff fest um dessen Schulter und protestierte: „Du weißt schon, dass ich das nicht so gemeint hab, wie du es aufgefasst hast?“

„Was gibt’s da denn falsch zu verstehen, Shinji?!“, energisch schlug er Fireballs Hand von seiner Schulter. Auch der gutmütige Brasilianer konnte anders. Zornig funkelte er Fireball an: „Wenn du mit deinen Freunden von Ramrod auch so umspringst, wundert es mich, dass die überhaupt noch mit dir reden. Deine Mutter hat dir kein bisschen Respekt beigebracht!“

Fireball verzog das Gesicht, als er verneinte: „Glaub nicht, Ai hätte es nicht versucht.“

Auch, wenn er seiner Mutter manchmal nicht viel zu sagen hatte, sie war seine Mutter, alles an Familie, was den Hikaris geblieben war und niemand durfte sich das Recht heraus nehmen, über sie zu urteilen. Auch jemand wie Martin nicht. Das hätte nicht einmal Colt dürfen.

Er schüttelte den Kopf und sah Martin mit ehrlichen Augen an. Fireball musste diese Misere so schnell wie möglich gerade biegen. Der kleingeratene Japaner hatte sich im Büro noch eingestanden, dass er in Martin eigentlich einen Freund hatte, wie es Colt und Saber auch waren. Der große Brasilianer und seine Freundin waren von Anfang an zu ihm gestanden und wäre Martin nicht gewesen, hätte er die Air Strike Base noch schneller wieder verlassen, als er dahin versetzt worden war.

„Ist das etwa auch ein Geburtsfehler?!“, damit versetzte Martin dem jungen Captain einen Tiefschlag. Der Brasilianer war sauer. Es langte ihm. Er hatte so viel Zeit und Mühe investiert und alles umsonst! Er war wütend auf sich selbst, dass er sich derart in eine Sache hinein gesteigert hatte, die nichts brachte und er sich so hatte an der Nase herumführen lassen. Aber weil er sich selbst schlecht anschreien konnte, tat er das mit Fireball. Egal, ob Captain oder nicht, er schrie ihn als Privatmann an.

Fireball schluckte schwer. Und noch so ein Thema, das stach. Fireball ließ die Schultern hängen und setzte ruhig zu seinem persönlichen Seelenstriptease an: „Okay, offensichtlich kennst du mich nicht. Du siehst zwar, wie ich mich grad fühle, aber verstehen tust du das nicht. Ich“

Martin unterbrach Fireball gleich wieder barsch: „Ja, wie denn auch, du Haubentaucher?! Ich kann das nicht riechen und jetzt hab ich die Schnauze voll vom Rumstochern im Dunkeln. Aus und vorbei. Du kannst mir den Buckel runterrutschen.“

„Lass mich doch ausreden!“, es war fraglich, ob die Wogen da noch zu glätten waren. Fireball senkte die Lautstärke und hoffte, dass Martin das ebenfalls machte. Er begann noch einmal: „Ich schätze deine Fürsorge, Marty. Auch die von Alessa. Ihr beide seid gute Freunde, auch für mich. …Naja, eigentlich seid ihr beide für mich eher so was wie Eltern“, er lächelte unsicher: „Du nimmst mich ja regelmäßig bei der Hand und zeigst mir, wo’s langgeht. Aber Marty, ich tu mir schwer mit Vertraulichkeiten, vor allem, was diese Sache betrifft. Nicht einmal Colt oder Saber wissen es.“

„Spar’s dir!“, knurrte Martin. Nun hatte er absolut keine Lust mehr, ihm zuzuhören. Denn, das brauchte Martin gar nicht mehr schön zu reden, es machte ihn nur noch wütender. Es gab nicht nur die Tatsache, dass Fireball ihm nichts von der Liebschaft mit April erzählt hatte, es gab auch noch ganz andere Defizite: „Das ist ja nur die Spitze des Eisbergs. Du gibst überhaupt nichts von dir Preis, egal wie gut man sich mit dir stellt! Ich reiß mir den Arsch auf, damit du nicht alleine hier versumpfst. Das hab ich von mir aus getan, und nicht, weil Mandy oder Saber mich darum gebeten haben! Ich dachte, du brauchst hier einen Freund.“

Das dachte Martin auch nach wie vor noch, aber in seiner grenzenlosen Wut zählte sich der Brasilianer nicht mehr dazu. Er brodelte gerade auf großer Flamme.

Fireball zog mit jedem Wort den Kopf noch etwas mehr zwischen die Schultern. Martin konnte wirklich ganz anders, wenn man ihn zu sehr reizte. Bisher hatte der Japaner das nicht wahr haben wollen. Er stand vor Martin und sah den Brasilianer überrumpelt an. Fireball schluckte wieder merklich. Er hatte viel in den letzten Monaten nicht wahr haben wollen. Er hatte sich viel eingeredet, sich vor vielen Dingen verschlossen. Laut wie nie zuvor war die Stimme der Vernunft in ihm gewesen. Sie hatte sein Herz und seinen Verstand übertönt. Und nun stand er hier, mitten auf dem Rollfeld, eine Horde neugieriger Piloten im Rücken, Martin direkt vor sich und Ramrod in weiter Ferne. Erschöpft stemmte Fireball die Arme in die Hüften und ließ den Kopf nun endgültig hängen. Er gestand: „Ich… liebe sie…“
 

Stan und Oliver standen in den geöffneten Hangartüren, die Schar Piloten hinter ihnen, und starrten irritiert auf Martin und Fireball. Bis Oliver den Kopf schüttelte, und im Umdrehen die Tore zuzog: „Ich will davon gar nichts hören.“

Stanley nickte: „Ich will auch nichts davon wissen. Ist die gesündere Variante.“

Zwangsläufig hieß das auch für alle anderen Piloten, dass sie nichts hören und mitbekommen würden. Wenn Stan und Oliver sich darin einig waren, dann war es für den Rest der Crew besser, sich dieser Meinung anzuschließen. Der Kroate stupste Stan an, als sie zu ihren Maschinen zurück gingen: „Unser Captain zieht den Kürzeren.“

Der hochgewachsene Blonde lachte kurz auf: „Er ist schon der Kürzere!“

Sie versuchten das Schauspiel nicht zu ernst zu nehmen. Es ging sie schließlich nichts an. Beide wussten, welche Strafe sie erwarten würde, wenn einer der beiden Streithähne mitbekam, dass jemand sie belauscht hatte. Da war es ungefährlicher, sich der Arbeit zu widmen.
 

Martin hatte Fireball durchaus gehört, auch verstanden hatte er ihn, aber er weigerte sich, darauf etwas zu erwidern. Ganz im Gegenteil. Der Brasilianer schnaubte: „Soll mich nichts mehr angehen! Behalt’s weiterhin für dich.“

Es machte wenig Sinn es noch weiter zu versuchen. Aber Fireball wäre nicht er gewesen und er hätte wenig von seinem Vater gehabt, wenn er nun einfach gegangen war. Der kleine Captain seufzte: „Freunde sind auch da, wenn man sie nicht darum gebeten hat. So wie du.“

Das nahm Martin schlagartig den Wind aus den Segeln. Hatte der verwöhnte kleine Hikari doch etwas gelernt? Er musterte den Japaner. Wie hatte sein Vater gesagt? Einen störrischen Captain musste man aus der Reserve locken. Notfalls mit einem lautstarken Ausbruch und der Drohung, nichts mehr davon hören zu wollen. Anscheinend war da der Vater wie der Sohn. Also doch! Martin wusste in diesem Augenblick nicht, ob er lachen oder schreien sollte. Sicher war, dass er sich demnächst in die Klapse einweisen ließ, wenn das hier so weiter ging. Er erschrak einmal mehr davor, wie treffend sein Vater Emilio auch Ratschläge betreffend Fireball geben konnte. Klar, Vater und Sohn mochten sich ähnlich sein, aber die Ähnlichkeit zwischen Captain Shinji Hikari und seinem Sohn war schon beängstigend. Das war nicht mehr normal.

Als sich Martin bei diesen Gedanken ertappte, erstarrte er in seiner Bewegung. Er murmelte: „Du könntest deinem Vater nicht ähnlicher sein.“

Sein Tonfall war zwar immer noch gereizt und voller Hitze, aber seine Fassungslosigkeit konnte man ebenfalls heraushören.

Wenn er schon ehrlich war, konnte er auch gleich schonungslos ehrlich sein. Fireball nickte: „Du weißt gar nicht, wie Recht du hast.“

Fireball atmete tief durch und strich sich den Pony aus der Stirn. Das hier war einfach nicht gut. Es war nicht gut für seine Nerven. Aber er steckte in einer Sackgasse, im mehrfachen Sinn. Wieder sah er zu Martin auf: „Lass uns heute Abend beim Essen drüber reden. Ich zeig dir meine Wohnung.“

Martin zuckte mit den Schultern. Es sollte ihm gleichgültig sein. Er befand sich gerade in der Phase, dass alles egal war. Also war auch die Einladung egal. Martin ließ den Captain nun stehen. Er ging wieder zum Hangar zurück. Bevor er die Tür erreichte, wandte er sich noch einmal zu Fireball um: „Nach Dienstschluss im Hangar. Und wehe, du bist nicht pünktlich.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Miss
2011-02-27T01:22:16+00:00 27.02.2011 02:22
Oh Mann, ich liebe zwar Drama, aber das wird doch langsam zu viel für Fireball. Ich kann April ja auch verstehen, aber trotzdem sie hat nun eine neue Schulter zum ausheulen gefunden, doch der arme Fireball ist einsam :(

Ich hoffe die finden wieder zu einander bevor es zuspät wird :)

LG, Miss
Von:  Sannyerd
2011-01-03T11:46:04+00:00 03.01.2011 12:46
ohhh schöööön es geht weiter :) Ich liebe diese FF <3
Von: abgemeldet
2011-01-02T18:19:06+00:00 02.01.2011 19:19
Es geht endlich weiter :-) *freu freu*

Ich hoffe auf mehr


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