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Eragon - Kind des Mondes

Murtagh x OC
von

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Glaube

Sobald Murtagh sie in den Drachenhort zurückgeführt hatte - es war zu ihrem Erstaunen bereits Nachmittag -, verließ er sie wieder ohne ein Wort des Abschiedes. Araya fragte sich, ob sie ihn irgendwie verärgert hatte, konnte dafür jedoch keine Anzeichen in seiner Mimik erkennen. Im Gegenteil, seine Gesichtszüge waren starr und ausdruckslos, als wäre er gar nicht recht bei ihr …

Schließlich entschied sie sich, die Sache ruhen zu lassen und legte sich mit dem Gesicht zur Decke auf den erdigen Boden von Dorns Reich. Sie schloss die Augen und stellte sich vor, das künstliche Licht, das durch ihre Lider schien, wäre das der Sonne. Sie konnte die Wärme auf ihrem Gesicht spüren, ein wenig abgekühlt durch den unregelmäßig wehenden, leichten Wind. Und nach einer Weile meinte sie sogar, das Gras Drakon-Ryuus riechen zu können.

Seufzend öffnete Araya wieder die Augen und erblickte die hellerleuchtete Decke aus Höhlengestein. Zu gern hätte sie sich mit Saliha darüber unterhalten, ob diese auch so ein Heimweh hatte. Und wenn nicht, hätte sie gern gewusst, wie sie ihre Heimat leichter vergessen und den Schmerz austreiben konnte.

Wo sie so über das Gefühl des Vermissens nachdachte, fielen ihr die Kräuter in der Tasche ihres schlichten Kleides wieder ein. Sie griff mit ihrer Hand vorsichtig nach ihnen und brachte sie so zum Vorschein. Die Kräuter hatten sich bei der vielen Bewegung vermischt. Araya setzte sich auf und fing an, sie zu sortieren. Nach ein paar Minuten lagen vier Büschel Kräuter vor ihr.

Sie zupfte sowohl vom Rosmarin als auch vom Wermut die Blätter ab. Das waren die Bestandteile, die sie brauche würde. Die Zweige des Rosmarins könnte sie allerdings auch noch verwenden. Die Arnika würde sie trocknen. Dumm nur, dass es weder Sonne noch Wärme gab, womit sie das bewerkstelligen könnte. Vielleicht würde sie Murtagh um Hilfe bitten.

Ganz davon abgesehen, dass sie hochwertiges Speiseöl brauchte, um aus den Blättern des Rosmarin ein wohlriechendes Öl zu machen, dessen Verbrennung am Vollmond essentiell war. Dann würde sie die getrockneten Arnikapflanzen über das kleine Feuer geben, dass sie entzünden würde, und schließlich die Wermutblätter und die kleinen Sprossspitzen zerdrücken, um den aromatischen Duft zu verbreiten.

Wenn sie denn das Speiseöl bekam. Sie hätte gleich in der Küche daran denken sollen. Aber sie war so erpicht darauf gewesen, die Namen der anderen Kräuter zu erfahren, dass sie das völlig verdrängt hatte. Und dann war auch noch Saliha dazugekommen.

Araya verzog das Gesicht. Sie machte es sich wirklich nicht gerade leichter. Es missfiel ihr, Murtagh um Öl bitten zu müssen. Aber es blieb ihr ja nichts anderes übrig. Ein schabendes Geräusch, das aus dem Gang kam, ließ sie hoffnungsvoll aufsehen. Sie wurde jedoch enttäuscht, als schließlich Dorn die Höhle betrat.

Als sie seufzte, wandte Dorn ihr seine Aufmerksamkeit zu. Ein Grollen erfüllte den Raum, während seine Stimme in Arayas Kopf mürrisch widerhallte. Was ist? Araya verstand das als eine Aufforderung, ihm ihre Sorgen mitzuteilen, trotzdem antwortete sie: „Es ist nichts. Ich dachte nur, vielleicht kommt Murtagh noch einmal zurück. Ich habe etwas vergessen.“

Der Drache kam näher, wie, um ihr zu bedeuten, dass er ihr zuhörte und sie weiterreden sollte. „Nichts Weltbewegendes!“, fügte Araya deswegen an. Das letzte, was sie wollte, war, dass sie Dorn verstimmte, weil sie ihn mit für ihn unwichtigen Details und Problemen überhäufte. Sie stellte sich einen wütenden und genervten Drachen nicht angenehm vor.

Als Dorn sie nur weiterhin ansah, begab sich Araya unbewusst in eine Abwehrhaltung. „Was interessiert dich das überhaupt so sehr? Du kannst mich ja nicht mal gut leiden!“, fauchte sie, bereute es jedoch gleich wieder, als Dorn seine Lefzen hochzog und ihr seine scharfen Fänge untermalt mit einem bedrohlichen Knurren zeigte.

Nimm dir nicht zu viel heraus, Menschenkind!, erhob er abermals seine tiefe und mächtige Stimme. Er klang schon jetzt ungehalten. Hätte sie ihm von ihren unbedeutenden, für sie aber weitreichenden Problemen erzählt, wollte sie sich nicht vorstellen, wie er jetzt klingen würde. Innerlich beglückwünschte sie sich schon für ihre Weitsicht, als Dorn ungeduldig schnaubte und fortfuhr: Spuck es schon aus!

Jetzt wurde Araya misstrauisch. „Warum willst du das so unbedingt wissen?“, erwiderte sie nur und musterte den rubinroten Drachen mit einem scharfen Blick. Was führte er in Schilde? Dorn hatte sich in den letzten zwei Tagen - diesen mit eingeschlossen - reichlich wenig um sie gekümmert. Im Gegenteil, er hatte sie gemieden, wo es nur ging, und sich über sie lustig gemacht. Er hatte sie mehrfach mit Drohgebärden einzuschüchtern versucht und sie nur missmutig in seinem Reich aufgenommen.

Unter ihrem forschenden Blick knurrte Dorn jedoch nur ungehalten und scharrte mit den Krallen auf dem Erdboden, anstatt ihr eine Antwort zu geben. Und als sie sich dieses Verhalten weiterhin ansah, das immer mehr danach aussah, als würde Dorn sich unter ihren Fragen und Blicken unangenehm fühlen, und sie das mit dem Verhalten eines Menschen, der grimmig auf den Boden starrend und mit dem Fuß scharrend vor ihr stehen würde, wäre Dorn kein Drache gewesen, ging ihr langsam ein Licht auf.

Ungläubig starrte sie das große Geschöpf vor sich an. „Hat Murtagh dir etwa gesagt, du sollst ein bisschen netter zu mir sein?!“, fragte sie erschüttert und fühlte sich in ihrer Vermutung nur noch mehr bestätigt, als Dorn sich abrupt abwandte und sie anfuhr. Natürlich nicht! Was für ein dummer Gedanke! So was kann auch nur von dir kommen! Mit diesen Worten machte Dorn sich in eine Ecke des Hortes auf und wandte ihr demonstrativ den Rücken zu, während er weiterredete: Aber wie du meinst. Die Probleme eines kleinen Mädchens wie dir interessieren mich auch gar nicht, also bilde dir ja nichts darauf ein!!

„Das wäre mir auch nie in den Sinn gekommen!“, rief Araya entrüstet aus und ließ den Drachen beleidigt abziehen. Sie konnte es immer noch nicht glauben. Da überwand sich ein Drache, mit einer Person zu reden, die er absolut nicht leiden konnte, nur weil ein Mensch dies von ihm verlangt hatte? Andererseits, wenn die Bindung zwischen den beiden wirklich so stark war, wie sie durch Murtaghs Erzählungen und ihren Beobachtungen vermutete, blieb Dorn wahrscheinlich kaum eine andere Wahl. Es sei denn, er wollte Streit riskieren …

Um dies im Keim zu ersticken, rief sie Dorn, der bereit auf der anderen Seite des Horts auf einem schattigen Flecken Erde saß, zu: „Und richte Murtagh aus, er brauch sich keine Sorgen zu machen, dass ich einsam bin.“ Sie erwartete gar keine Antwort von Dorn.

Für sie war das Thema erledigt. Araya legte sich wieder mit dem Rücken auf den Boden und starrte abermals auf die Höhlendecke, da sie nichts mit ihrer Zeit anzufangen musste. Die Langeweile war fast so schlimm, wie die Dunkelheit in ihrer alten Zelle oder die grauenhaften Träume, die sie hin und wieder immer noch verfolgten.

Sie wusste nicht, wie lange sie nun schon die Decke anstarrte und auf ihr imaginäre Bilder zeichnete, doch es mussten wohl schon ein paar Stunden sein, da vernahm sie abermals das Knirschen der Felswand, die den Eingang zum Drachenhort öffnete. Araya machte sich nicht einmal die Mühe, sich aufzusetzen. Wer, außer Murtagh, sollte schon hier herunterkommen?

Doch als sie einen Blick in Richtung Eingang warf, erschien dort nicht der junge Mann, den sie erwartet hatte, sondern die Dienerin, die ihr gestern das Kleid gebracht hatte. Dieses Mal hatte sie allerdings weder einen Korb noch Kleidung auf dem Arm. Was sie wohl hier unten will?, ging es Araya durch den Kopf, doch als das junge Mädchen weiterhin unbeirrt auf sie zuhielt, setzte sie sich auf. Anscheinend wollte sie mit ihr reden.

Das Mädchen blieb vor ihr stehen und starrte auf Araya hinab, die ja immer noch auf dem erdigen Boden saß. Dann musterte sie sie. Als ihr Blick auf das Baumwollkleid fiel, das sie trug, verzog sich ihr Gesicht zu einer verächtlichen Fratze. „Das Kleid, das Argetlam Murtagh heute von mir zu bekommen verlangte, war also für dich bestimmt“, stieß die Dienerin in ihrem wahrscheinlich unfreundlichsten Ton aus. Aber Araya war anderes gewohnt. Das sollte sie noch einmal üben, wenn das Mädchen sie verletzen wollte.

„Nun, meine Kleidung aus meiner Heimat ist rettungslos verloren und ich wollte das wunderbare Kleid von dem Tyrannen Galbatorix doch nicht verschmutzen!“, erwiderte Araya sarkastisch und verzog das Gesicht. Was war das Problem dieses Mädchens? Das sie Kleidung bekam und sie nicht? Sie konnte das Kleid des Tyrannen-Königs ruhig haben, sie wollte es jedenfalls nicht mehr sehen.

Das Mädchen wurde kalkweiß und biss offensichtlich die Zähne zusammen, um keine unfreundliche Bemerkung fallenzulassen. Warum sie sich zurückhielt, war Araya jedoch ein Rätsel. Außer Dorn würde hier niemand von ihrer Eifersuchtsattacke etwas erfahren. Und der Drache würde ja wohl kaum mit dem Dienstpersonal oder dem König plaudern, oder?

Als sie eine Weile weiter nichts sagte, stand Araya nun doch auf. „Wenn das alles war, was du herausfinden wolltest, dann würde ich dich bitten, jetzt zu gehen. Ich würde diesen Tag gerne ohne vernichtende Blicke im Nacken ausklingen lassen, auch wenn deine niemanden in Grund und Boden starren würden“, teilte sie dem Mädchen mit, das daraufhin noch bleicher wurde. Doch ihre Ansprache schien keine Wirkung zu entfalten.

Als Araya schließlich genervt seufzend zum Ausgang schielte und überlegte, wie sie die junge Dame so schnell wie möglich dort hinausbefördern könnte, vernahm sie auf einmal ein zischenden Geräusch und fühlte dann einen Schmerz in ihrer rechten Wange, als ihr Kopf nach links geworfen wurde. Araya brauchte eine Weile, um zu verstehen, dass das Mädchen ihr eine Ohrfeige gegeben hatte.

Als sie sich der Dienerin wieder zuwandte, konnte sie deutlich Dorns interessierten Blick auf sich spüren. Ihr Gegenüber hatte die Hand immer noch erhoben und starrte sie hasserfüllt an. Sie biss sich auf die Lippe, anscheinend, um eine Salve von Beschimpfungen aufzuhalten, und Araya fragte sich einmal mehr, was diese Göre eigentlich von ihr wollte!

Sie rieb sich über die brennende Wange und starrte jetzt ihrerseits der Dienerin in den Augen. Gut, eine Schelle würde sie ihr durchgehen lassen, weil sie noch so jung war. Trotzdem, wenn sie nach dieser Aufforderung ihr Glück nicht in der Flucht suchen würde, würde Araya sie persönlich aus dem Drachenhort werfen, und wenn sie dieses Mädchen zwingen musste, die Worte auszuspucken, die die Tür öffneten … selbst, wenn sie aus einer Auseinandersetzung sicher als Verliererin hervorgehen würde, wenn sie die Dienerin so musterte. Die körperliche Arbeit, die ihr Beruf mit sich brachte, hatte ihr wahrscheinlich mehr Muskeln beschert, als die Hausarbeit, die Araya von Zuhause gewohnt war.

„Ich schlage vor, du gehst jetzt besser. Und wenn du das nächste Mal hierherkommst, trinkst du vorher einen Tee mit Baldrian oder ähnlichem, ja? Deine Narrenfreiheit hast du gerade aufgebraucht“, erklärte sie ihr so ruhig es ging, doch man hörte die versteckte Drohung deutlich heraus. Das Mädchen schaute ihr erschrocken in die Augen, anscheinend hatte sie erst gar nicht mit Gegenwehr gerechnet. Dann drehte sie auf dem Absatz um und stolzierte aus dem Drachenhort, allerdings verriet ihr erhöhtes Schritttempo ihre Nervosität.

Als Araya heute zum dritten Mal das Geräusch der sich öffnenden und schließenden Pforte hörte, entschloss sie sich, den Tag für heute zu beenden und die verlorene Nachtruhe durch das frühe Aufstehen nachzuholen. Mit diesem Entschluss im Hinterkopf drehte sie sich auf dem Absatz um und verschwand in der dunkleren Nische des Drachenhortes, die sie sich schon gestern als Schlafstätte auserkoren hatte. Im Rücken immer noch Dorns forschenden Blick.
 

Araya driftete am nächsten Morgen durch den wärmenden Geruch von frischen Broten und ihren protestierenden Magen aus ihrem kalten Traum. Es verwunderte sie nicht, dass sie großen Hunger hatte, schließlich hatte sie am Abend nichts mehr gegessen. Doch sie bezweifelte, dass man ihr noch etwas gebracht hätte, nach dem Streit mit der Dienerin, die ihr offenbar zugeteilt wurde.

Sie öffnete die Augen und sah Murtagh im Schneidersitz auf dem Boden hocken. Er hatte einen großen Korb mitgebracht und holte daraus gerade alle möglichen Leckereien, die Araya sich im Moment vorstellen konnte. Langsam erhob sie sich, schritt schon zum dritten Mal zu dem kleinen Bach, der durch den Hort floss, wusch sich das Gesicht und die Arme, bevor sie aus den Schatten trat und Murtagh den Kopf hoch.

Araya klopfte sich die Erde vom Kleid, während der junge Mann sie mit einem freundlichen Lächeln begrüßte. „Gut geschlafen?“, fragte er und erinnerte sie unwillkürlich an ihren wiederkehrenden Traum. War es normal, dass man immer den gleichen Traum hatte? Das schlimmste daran war ja eigentlich, dass sie nie das Gesicht des Unbekannten sah. Was sie langsam aber sicher in den Wahnsinn trieb. Trotzdem antwortete sie Murtagh etwas gequält lächelnd: „Ja. Auch, wenn der Boden nicht der bequemste ist.“

„Ich habe dir Frühstück mitgebracht“, fuhr Murtagh fort, während er weiterhin Köstlichkeiten aus dem großen Korb hervorzauberte und Araya auf ihn zuging. „Hab gehört, du hattest gestern kein Abendmahl. Also dachte ich, ich komme mit meiner Verpflegung zu dir und Dorn und wir essen zusammen.“

Sie staunte nicht schlecht. So viel Essen war für Murtagh allein gedacht? Wo steckte er das alles nur Tag für Tag hin? „Das alles isst du jeden Morgen?“, platzte es schließlich aus ihr heraus. Doch Murtagh lachte nur. „Nein, natürlich nicht. Ich habe eben eine große Auswahl!“ Araya konnte es nicht glauben. Selbst Zuhause, als sie noch selbst entscheiden konnte, was sie anbauten, wurde nur soviel geerntet, wie man auch verzehren konnte. Und das Angebot war streng saisonbestimmt.

„Und was passiert mit dem Rest?“, fragte sie weiter, während sie sich Murtagh gegenüberhockte und stellte sich vor, wie viele Vorräte man anlegen konnte, wenn man das Übriggebliebene einlegte. Oder wie viele Mittel- und Heimatlose man ernähren konnte.

Murtagh sah überrascht auf. Diese Frage hatte man ihm anscheinend noch nie gestellt. „Ich glaube, es wird weggeworfen“, antwortete er schließlich zögernd. Er wusste es nicht einmal! Hatte er sich nie Gedanken darüber gemacht?! „Das wäre aber eine schreckliche Verschwendung! Denk doch nur daran, was man mit dem ganzen Essen machen könnte! Vorräte für lange Winter anlegen oder Arme ernähren!“, erwiderte Araya schließlich. Murtagh starrte sie nur an.

Araya ging erst ein Licht auf, als Murtagh sie fragte: „Du kommst aus einer Bauernfamilie?“ Natürlich. Murtagh war so viel Auswahl und Reichtum wahrscheinlich von klein auf gewohnt. So, wie er immer gekleidet war, hätte sie schon eher darauf kommen sollen. Und Reiche dachten nie daran, wie sie mit ihrem Reichtum helfen konnten. Sie waren egoistisch genug, um ihn für sich allein zu horten. Auf Murtaghs Frage brauchte sie nicht zu antworten. Sie sah in seinem Blick, dass es eher rhetorisch gemeint war.

Schließlich entschloss sie sich, der Göttin zu danken, dass wenigstens sie von diesem Reichtum als Mittellose profitieren konnte und nicht alles weggeworfen wurde. Sie griff nach einem Brot und nahm sich eine der Schüsseln, die Murtagh gerade auspackte. Er reichte ihr schließlich noch ein Messer, mit dem sie das Essen zuschneiden konnte. Araya zögerte kurz, ein wenig von dem Fleisch oder dem Joghurt zu nehmen, doch Murtagh schien es zu bemerken und bedeutete ihr mit einer Handbewegung, dass sie zugreifen sollte. Schließlich griff auch er zu.

Araya führte gerade ein Stück des Brotes zu ihrem Mund, als sie aus dem Augenwinkel einen Glaskrug entdeckte. Sie ließ das Brot sinken und starrte nun ganz offen auf das Gefäß, das mit einer gelblichen, durchsichtigen Flüssigkeit gefüllt war.

„Ist das Speiseöl?!“, fragte sie ungläubig und wusste die Antwort doch schon vorher. Sie konnte ihr Glück gar nicht fassen. Noch gestern hatte sie sich den Kopf darüber zerbrochen, wie sie Murtagh darum bitten sollte, ihr Speiseöl zu beschaffen, und da spazierte er in den Drachenhort mit einem gefüllten Krug davon. Murtaghs Nicken zauberte nur das glückliche Lächeln auf ihr Gesicht, das sich in ihrem Geist schon längst ausgebreitet hatte. „Ich bekomme es immer zum Brot mitgebracht. Um es schmackhafter zu machen.“

„Kann ich etwas davon haben?!“, fragte Araya übereifrig und griff schon nach einer weiteren Schüssel. Wieder nickte Murtagh nur, dieses Mal überrascht über ihre Freude. Sofort goss sie etwas von dem Öl in die Schüssel, brachte sie schnell zu ihren Rosmarinblättern und legte sie darin ein. Diese Mischung musste jetzt noch etwas stehen bleiben, dann würde sie hochwertiges Rosmarinöl erhalten.

Araya wollte sich gerade wieder umdrehen und zu Murtagh zurückkehren, da hörte sie ein knirschendes Geräusch in der Dunkelheit vor sich. Bevor sie ergründen konnte, was sich da bewegte und dabei solch ein Geräusch verursachte, kam ein schwarzer Drachenkopf mit blutroten Augen aus dem Schatten hervor, die sie anstarrten.

Aufschreiend wich Araya zurück und keine Sekunde später stand schon Murtagh hinter ihr. Mit weit aufgerissenen Augen, die nur auf Shruikan gerichtet waren, stolperte sie weiter von dem Drachen fort, bis sie auf Murtagh traf, der nur die Hände um ihre Oberarme schloss, was einen stechenden Schmerz durch ihren Körper schickte, und sie hinter sich zog.

„Ehrenwerter Shruikan, es freut mich, Euch hier im Drachenhort zu sehen“, sprach Murtagh den schwarzen Drachen an, doch Araya spürte, dass er seine Worte nicht annähernd so meinte, wie er sie sagte. Und erst jetzt begann sie sich zu wundern, dass sie Dorn heute noch nicht gesehen hatte. Der jüngere Drache musste sich zurückgezogen haben, um dem ranghöheren Tier seinen Platz zu lassen.

Der große Drache knurrte Murtagh mit hochgezogenen Lefzen an. Als Murtagh auf etwas antwortete, dass Araya nicht gehört hatte, ging ihr auf, dass dies nur die Untermalung der Worte war, die nur er gehört hatte. „Der König hat dies veranlasst. Wenn ihre Anwesenheit Euch missfällt, müsst Ihr dies mit Eurem Herren ausdiskutieren“, erwiderte Murtagh mit erstaunlich diplomatischem Ton. Anscheinend nahm auch Shruikan Anstoß an ihrem Hiersein. In den letzten Monaten schien sich aller Ärger um sie zu drehen …

Araya konnte einen wütenden und bitteren Blick nicht unterdrücken. Sie selbst wollte doch auch nicht hier sein! Sie wollte viel lieber daheim auf dem Hof ihrer Eltern sein und ihr altes Leben wiederhaben. Was dachten sich diese Drachen nur, dass sie Anstoß an ihrer Anwesenheit in ihrem Revier nahmen und dabei nicht bedachten, dass Araya selbst aus ihrem »Revier« vertrieben und entführt wurde?!

Doch Shruikan schien sich Murtaghs Vorschlag zu Herzen zu nehmen, denn kaum hatte er beide Menschen vor sich noch einmal mit einem abschätzigen Blick bedacht, drehte er sich um und verschwand in der Dunkelheit. Araya hörte nur noch das Flügelschlagen des riesigen Tieres, dann war auch das Geräusch verschwunden.

Murtagh atmete hörbar auf und drehte sich dann lächelnd nach Araya um. „Also, man kann sagen, was man will, aber gute Lungen hast du!“, lachte er, doch er verstummte sofort, als er ihren Blick bemerkte. „Gibt es hier noch einen Ausgang?“, fragte Araya, anstatt auf seinen fragenden Blick oder seine Bemerkung einzugehen. Der junge Mann nickte und Araya wollte sich schon zu der Stelle aufmachen, an der Shruikan verschwunden war, doch er hielt sie davon ab.

„Das brauchst du nicht zu versuchen. Der Ausgang ist mit einem Zauber belegt, der nur Wesen mit einem lebenden Drachen als Begleiter den Durchgang gewährt.“ Er warf ihr einen bedauernden Blick zu. „Tut mir leid.“ Dann drehte er sich um und ging ohne ein weiteres Wort zurück zu ihrem Frühstück. Nach kurzem Zögern folgte Araya ihm.

Sie nahm das Stück Brot, das sie hatte essen wollen, bevor sie das Speiseöl entdeckt hatte, wieder auf und führte es sich lustlos zum Mund. Ihr war über den Schreck mit Shruikan der Hunger vergangen. Doch ein paar Bissen des wirklich köstlichen und weichen Brotes und ihr Hunger kehrte mit vollem Eifer zurück. Als sie das Gebäck vertilgt hatte, griff Araya nach dem Joghurt, der wunderbar weiß und rein anmutete, und tat davon etwas in ihre Schüssel. Dann nahm sie sich einen der Äpfel und das Messer, das Murtagh ihr gereicht hatte, schnitt ihn in angenehm große Stücke und gab diese dann in den Joghurt. Murtagh beobachtete sie dabei verdutzt.

Araya starrte noch eine Weile auf diese Mischung, bevor sie endgültig beschloss, dass zu wenig Abwechslung vorhanden war und es eine Schande wäre, mehr von dem Obst verkommen zu lassen. Also nahm sie sich eine Handvoll Erdbeeren, die sie ebenfalls zerkleinerte und in den Joghurt gab, und drei Handvoll Waldbeeren. Diese waren ein gemischtes Einerlei aus Brombeeren, Wilderdbeeren, Johannesbeeren, Himbeeren und Heidelbeeren. Zum Abschluss schüttete sie noch nach Augenmaß Haferflocken hinein und gab zum Verflüssigung ein wenig Milch hinzu.

Als sie mit einem Löffel das ganze vermischte und schließlich einen Bissen von ihrem improvisierten Frühstück nach Art ihrer Mutter nehmen wollte, konnte Murtagh, der sie nun offen anstarrte, nicht mehr an sich halten: „Was tust du da?!“ Araya sah überrascht auf und folgte seinem Blick zu ihrer Schüssel.

„Das … Das hat meine Mutter uns immer gemacht. Damit wir gestärkt in den Tag gehen können. Dieser Joghurt macht satt und gibt dir Energie bis zum Mittag hin. Und er macht wach!“, grinste sie schließlich, doch Murtagh schien ihr nicht so recht zu glauben. „Und das soll schmecken?“, fragte er ungläubig nach, als Araya den ersten Löffel mit einem seligen Ausdruck auf dem Gesicht genoss.

„Natürlich!“, rief sie gekränkt aus. Und wie zum Beweis stand sie auf, ging zu Murtagh hinüber, ließ sich neben ihm nieder und hielt ihm einen gefüllten Löffel des Joghurts vor die Nase. Der Drachenreiter sah sie verdutzt an. „Mund auf!“, befahl Araya, als er keinerlei Anstalten dazu machte. Sie meinte, einen roten Schimmer sich auf seiner Nase ausbreiten zu sehen, bevor er ihrer Aufforderung folgte und den Mund gerade weitgenug öffnete, dass sie ihm den Löffel zwischen die Lippen schieben konnte.

Mit einem misstrauischen Ausdruck kaute er die Mischung in seinem Mund, während auf Araya wieder etwas davon nahm und ihr Morgenmahl fortsetzte. Als er schließlich schluckte, traf ihn ein auffordernder Blick von dem Mädchen ihm gegenüber. „Ich bin deftigeres morgens gewohnt. Nicht so mein Geschmack“, antwortete er schließlich und verzog etwas das Gesicht. Araya zog einen Schmollmund, nahm die Antwort aber kommentarlos hin. Über Geschmack ließ sich eben nicht streiten, das hatte schon ihr Vater gesagt.

Dafür konnte jemand anderes mit seiner Meinung nicht hinter den Berg halten: Aber füttern lässt du dich von ihr wie ein kleines Kind! Dorns Lachen hallte durch ihrer beiden Köpfe und im Gegensatz zu Murtagh, der weder aufsah noch sich wirklich umsehen musste, um Dorn zu entdecken, warf Araya den Kopf von einer Seite auf die andere, ehe sie den rubinroten Drachen in der Nähe ihrer Kräuter entdeckte.

Was hast du da gemacht?!, fragte er nach einem kurzen witternden Geräusch unfreundlich. Das stinkt ja bestialisch! Araya wusste erst nicht, was er meinte, immerhin hatte sie nur ein paar Kräuter dorthin getan. Wermut hatte zwar einen sehr aromatischen Duft, ebenso wie das langsam entstehende Rosmarinöl, doch selbst Arnika stank nicht. Erst, als Araya in den Sinn kam, dass Dorns Nase viel empfindlicher war als ihre eigene, ging ihr ein Licht auf.

„Kräuter!“, antwortete sie etwas verspätet. „Der Rosmarin gibt seine Öle und Inhaltsstoffe gerade an das Speiseöl ab und der Wermut hat einen starkaromatischen Duft. Tut mir leid, wenn deine Nase darunter leidet!“

„Komm einfach her, dann riecht es auch nicht mehr so stark!“, schlug Murtagh Dorn vor und der Drache folgte tatsächlich murrend. Einmal mehr wurde Araya vor Augen geführt, dass er eine gewisse Autorität dem Drachen gegenüber hatte. Mit einem knirschenden Geräusch, das durch die Steine entstand, die Dorn unter sich zermalmte, ließ sich der Drache nieder und schnaubte noch einmal abfällig.

Araya konnte gar nicht anders, als sich abermals zu fragen, warum Dorn so unfreundlich zu ihr war. Allerdings war sie sich nicht sicher, ob diese Grobheit nicht einfach zu seinem Charakter gehörte. Wenn man allerdings an Murtaghs zwar etwas egoistische, aber doch unterbewusst sanfte Art dachte, wären die beiden schon ein ziemlich unterschiedliches Paar, wenn Dorn tatsächlich eher ungehobelt veranlagt war.

Abermals drehte sich Araya zu den am Fluss liegenden Kräutern, während Murtagh Brot und Fleischstreifen kaute. Dann sah sie wieder den Drachenreiter an. Warum hatte sie nur das Gefühl, etwas vergessen zu haben? Sie war doch sonst nicht so vergesslich … Vielleicht lag es daran, dass sie Murtagh nicht nach dem Speiseöl hatte fragen müssen? Das Rosmarinöl war ja nun gesichert.

Dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Die Arnika! Natürlich, sie musste ja noch die Arnika trocknen. Besser gesagt, sie musste Murtagh noch darum bitten, das Kraut magisch zu trocknen. Ungeduldig wartete Araya, bis auch Murtagh aufgegessen hatte, während sie den Rest des Joghurts vor Tatendrang nahezu herunter schlang. Als sie fertig war, wusste Araya nichts mit sich anzufangen und verlagerte sich darauf, Murtagh beim Essen zuzusehen.

Den Drachenreiter schien dies aber so zu nerven, dass er das halbgegessene Brot beiseitelegte. „Was ist?“, fragte er mürrisch. Araya schüttelte den Kopf. „Nichts, iss ruhig erst auf!“ Murtagh verdrehte die Augen. „Weißt du, ich bin es nicht gerade gewohnt, dass man mir beim Speisen zusieht, als hätte man mir Gift hineingetan und würde nun sehen, wie viel ich von der fraglichen Substanz zu mir nehme!“, erwiderte er und Araya konnte gar nicht anders: Sie wurde purpurrot.

„Entschuldige …“, murmelte sie und senkte den Kopf, nachdem sie gesehen hatte, wie Murtagh sie nun erst recht seinerseits anstarrte. Um nicht noch mal in Verlegenheit zu kommen oder bringen, je nachdem, aus welcher Perspektive man es betrachtete, starrte sie lieber den Erdboden an, auf dem sie saß. Und war dankbar dafür, dass Dorn seinen Kommentar diesmal zurückhielt. Sie war sich sicher, hätte er noch seine Meinung kundgetan, hätte sie vollends die Fassung verloren.

Nachdem Murtagh mit dem Essen fertig war, begann er das Gespräch: „Also, was war los?“ Araya sah unsicher auf und bemerkte, dass er bereits alles wieder in den Korb gepackt hatte. Sie wusste nicht, wie spät es war, aber sie war sich sicher, dass das Frühstück durch die Unterbrechungen länger als geplant gedauert hatte und es bestimmt schon später Vormittag war.

Sie seufzte. „Ich habe ein Problem. Ich habe dich zwar darum gebeten, mir bei der Beschaffung der Kräuter zu helfen, die ich brauche, aber nicht daran, dass ich auch gewisse Hilfsmittel brauche, um sie weiterzuverarbeiten. Es war eine Fügung des Schicksals, dass du Speiseöl mitgebracht hast, aber ich kann ohne Hilfe keine Pflanze schonend trocknen“, erklärte sie Murtagh ihre verzwickte Lage und er bewies einmal mehr, dass er nicht auf den Kopf gefallen war. „Und du brauchst meine Hilfe dafür, weil ich mit einem Zauber nachhelfen kann.“

Es war eher eine Feststellung denn eine Frage, aber trotzdem fühlte Araya sich genötigt, zu nicken. „Gut, dann bring sie her!“, forderte Murtagh sie auf, und Araya konnte nicht anders, als ihn anzustrahlen und aufzuspringen. Es war wirklich ein Glück, dass sie ihn kennengelernt hatte. Sie wollte gar nicht wissen, wo sie jetzt stünde, hätte der Drachenreiter sich nicht für sie eingesetzt, oder wie unglücklich sie ohne seine Gesellschaft wäre.

Das eigentliche Trocknen des Krautes ging viel schneller voran, als Araya es sich vorgestellt hätte. Auf natürlichem Wege musste man drei Tage warten, bis man den richtigen Grad erreicht hatte, und sie hatte erwartet, dass Murtagh mindestens drei Stunden brauchen würde. In Wirklichkeit murmelte er ein paar unverständliche Worte – Araya vermutete, dass er sie absichtlich so leise sprach, dass sie ihn nicht verstehen konnte, damit sie ihn nicht wieder löcherte – und saß gerade einmal zehn Minuten still, in denen Araya den gesamten Prozess des Trocknens im Schnelldurchlauf mit verfolgen konnte.

Als Murtagh fertig war und ihr die Arnika wiedergeben wollte, hatte sie vor Staunen große Augen und bekam wortwörtlich den Mund nicht mehr zu. Ihn schien ihre Bewunderung eher verlegen zu machen, und so forderte er sie unwirsch auf, ihm endlich dieses verdammte Kraut aus der Hand zu nehmen. Araya folgte diesem Befehl hastig und brachte die getrocknete Pflanze zurück an ihren alten Platz.

Murtagh folgte ihr in einigem Abstand, während Dorn gemütlich auf der Stelle liegenblieb. Araya bemerkte ihn erst, als sie sich umdrehen wollte. Er musterte die Schüssel mit dem Öl und dem Rosmarin darin, die Wermutblätter, die völlig unverändert danebenlagen und die getrocknete Arnika. Dann machte er seiner Neugier Luft.

„Wozu brauchst du die eigentlich?“, fragte er und ließ abermals seinen Blick über die Pflanzen streifen. Araya sah ihn an und lächelte. „Für eine Zeremonie an Vollmond. Für unsere Göttin“, fügte sie auf seinen verständnislosen Blick an. Murtagh wirkte überrascht.

„Eigentlich ist es verständlich, dass ihr einen Glauben habt, aber eine Göttin?! Ihr zelebriert eine richtige Religion?“, fragte er weiter und Araya nickte nur. „Erzählst du mir davon?“ Mit einem weiteren Nicken begann Araya, von ihrem eigenen Glauben zu erzählen.



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