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The Basement.

von

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5. Die Deduktion

„Eine Katze!“, offenbarte John und verspürte jäh eine derartige Erleichterung dass ihm noch mehr Tränen über die Wangen liefen, „Sherlock, es ist eine Katze!“

Er watete auf das Lebewesen zu und hob es auf die Arme. Das erschöpfte Tier heftete sich in seine Hände und hinterließ blutige Kratzer, doch das war John egal. Er musste das Geschöpf einfach anfassen, Trost und Erleichterung aus der ihm völlig bekannten Gestalt schöpfen.

Dann setzte er die Katze auf den treibenden Tisch. Wie ein seekranker Passagier krallte sie sich in das Holz des ihr dargebotenen Schiffes und atmete schwach vor sich hin.

Am Handy konnte er Sherlock erleichtert und zittrig ausatmen hören.

„Jetzt nicht aufhören, John. Klären Sie diesen Mordfall auf. Die Katze spielt offenkundig eine Rolle. Ist irgendwas besonderes mit ihr? Ich höre sie nicht miauen.“

„Sie wirkt schwach. Erschöpft. Ich glaube, sie hat viel Wasser geschluckt. Sie sieht sehr mager aus.“

„Sehr gut, weiter, weiter!“

„Ich glaube, sie hat ein paar kahle Stellen. Vielleicht… wurde sie für dieses Experiment …“

Sherlock unterbrach ihn.

„Keine Vermutungen anstellen wenn Sie noch nicht genügend Fakten haben, John! Und vergessen Sie, dass Sie sich in einer gestellten Szenerie befinden. Ihre Entführer haben alles daran gelegt diesen Mordfall so realistisch wie möglich zu halten.“

John richtete den Blick auf die Katze.

„Ich … sie… sie bewegt sich irgendwie eigenartig. Vielleicht hat man ihr etwas gespritzt, Drogen?“

Plötzlich verstummte das Handy.

„Sherlock?!“, schrie John.

„Ja.“, antwortete Sherlock.

„Gott sei Dank, es war plötzlich so leise –”

„Ich bin hier.“

„Wie bitte?“

„Ich bin hier. Ich bin bei Ihnen. Ich stehe vor einer Art … Hügel. Ein Bunker, wie es scheint. Darin müssen Sie sich befinden.“

Sofort stürmte John, so schnell es das Wasser zuließ, zur Tür. Mit Schrecken musste er feststellen dass sich die Klinke mittlerweile unter Wasser befand. Er griff danach, rüttelte.

„Sherlock!!“, rief er.

„Ich habe die Tür gefunden. Massives Metall, wie es bei Atombunkern aus den 80ern verwendet wurde. Sonderanfertigung. Sie hat keinen Griff.“

„Sherlock!! Schnell! Das Wasser!“, rief John erneut.

„Sie wird elektronisch gesteuert. Ich sehe kein Bedienungsfeld. Die Elektronik muss sich in dem Mauerwerk befinden.“

„Sherlock!“

„John, ich …“, er machte eine Pause und John fürchtete er würde ihn nun vertrösten, sagen dass es keine Möglichkeit für ihn gab hineinzukommen, ihn allein lassen. Aber er fuhr fort: „Ich suche weiter. Aber hören Sie nicht auf. Erfüllen Sie Ihre Aufgabe. Finden Sie die Fakten. Schlussfolgern Sie. Klären Sie den Mordfall auf.“

„Nicht einmal Sie konnten das!“, schrie John nun hoffnungslos, denn mit dem steigenden Wasser verstärkte sich sowohl der Luftdruck als auch abermals die Panik.

Das Handy blieb still.

Dann hörte er Sherlock sagen: „Das stimmt. Aber Sie können das. Ich weiß es. Nun konzentrieren Sie sich, Captain. Ein letztes Mal. Reißen Sie sich zusammen und deduzieren sie.“

John atmete tief durch. Fasste seinen Mut zusammen. Drehte sich um.

Lies seinen Blick über alle sichtbaren Einzelheiten im Raum gleiten.

„Also gut“, erwiderte er dann hektisch, aber bestimmt. „Ein Raum. Abgeschlossen.“

„Nicht relevant, weiter.“

„Alt. Sieht aus wie ein Keller.“

„Gut, weiter.“

„Hier ein Tisch. Dort eine Leiche. Eine Katze. Blut an den Wänden. Da hinten ein Regal.“

„Was ist in dem Regal?“

John kämpfte sich durch das Wasser und zu dem Gestell hin.

„Alte Einmachgläser. Verstaubt. Sieht aus wie eingelegte Kirschen. Eine Zange. Kann nicht die Mordwaffe gewesen sein. Hier oben ist etwas … etwas matschiges.”

„Etwas matschiges?“

John stellte sich auf die unterste Stufe im Regal und stemmte sich ein Stück aus dem Wasser hervor. Er berührte mit den mittlerweilen vom Wasser geschrumpelten Fingern den Matsch, führte ihn dann zur Nase.

„Das ist… das ist ein alter Kürbis.“

„Fermentiert?“

„Ja, eindeutig. Aber weshalb ist das von –„

Ein Gedanke kam ihm. Drehte sich dann zur Katze um, die sich immer noch benommen und mit allen vieren von sich gestreckt am Tisch festkrallte.

„Ah“, machte er.

Dann hörte er mit Schrecken etwas aus den verdunkelten Fenstern schaben.

„Keine Angst, das bin ich“, erklärte Sherlocks Stimme aus dem Mobilfunkgerät.

Ein schnelles und für seinen Freund eindeutig typisches Klopfen verriet seine Anwesenheit hinter den Abdunklungen. Johns Herz pochte sofort schneller, und er konnte einen grenzfemininen Schrei der Freude nicht rechtzeitig unterdrücken.

Dann dröhnten zwei Pistolenschüsse sowohl aus den Lautsprecher des Handys als auch aus den Fensterkanälen.

„Keine Chance.“, sagte Sherlock, während er John Watsons fragwürdigen Laut höflich ignorierte, „Ich kriege die Platte nicht auf. Vielleicht finde ich im Streifenwagen etwas mit mehr Schusskraft, oder vielleicht sogar etwas dass eine Explosion auslöst. Aber hören Sie nicht auf! Was ist mit dem Wasser?“

Sherlocks stoßartige Atemzüge verrieten dass er sich hastig bewegte. Wahrscheinlich läuft er gerade zum Wagen, dachte John und spürte den Trost des Wissens dass sein Freund sich in unmittelbarer Nähe befand und John sich ausmalen konnte, was da draußen vor sich ging.

„Wie meinen Sie das?“

„Na, wo kommt es her?“

„Das weiß ich nicht.“, erwiderte John und begriff noch während er die Worte aussprach seine Torheit.

„Wie bitte?!“, rief Sherlock ungläubig, „Sie haben noch nicht einmal versucht die Quelle zu finden, sie abzudichten?!“

John drückte sich an der Wand entlang und versuchte mit den Füßen ein Rohr, einen Hahn oder etwas ähnliches zu erspüren.

„Ich hatten den Kopf mit anderen Dingen voll, Sherlock“, brachte er nervös hervor.

Unter normalen Umständen hätte ihm sein perfektionistischer Freund nun wohl einen Vortrag gehalten, doch die Lage reduzierte seine Aufgebrachtheit auf ein verächtliches Schnauben. John war dankbar dass er es dabei beließ.

Er hörte das knacken eines Funkgeräts, dann Sherlocks Stimme.

„Hier Holmes, bin bereits am Zielort. Ich brauche dringendst einen Bunsenbrenner, den stärksten den Sie innerhalb kürzester Zeit auftreiben können. Und einen Presslufthammer. Es geht um Minuten“

„Wie konnten Sie so schnell dort sein, Holmes?“ erklang Lestrades verzerrte Stimme. Das Decrescendo verriet dass Sherlock sich bereits wieder vom Wagen entfernte.

„Der Wasserstand?“, fragte Sherlock.

John hatte nun bereits drei Wände abgetastet.

„Schulterblatt“, gab er knapp von sich. Sein Atem ging stark und schnell.

Sherlock schwieg.

Dann ertönten abermals zwei Schüsse aus Lautsprecher und Fensterkanal.

„Ich dachte das kann nicht funktionieren“, meinte John.

Wieder zwei Schüsse.

„Sherlock!“

„Suchen Sie weiter, verdammt!“, schrie Sherlock. Seine Stimme brach.

Bevor John darauf reagieren konnte traf sein Fuß auf etwas Hartes. Ohne sich Gedanken über eventuelle Konsequenzen zu machen tauchte er sofort unter und griff blind mit den Fingern danach. Sie trafen auf Metall, tasteten es ab. Ein Wasserhahn!, dachte John glücklich. Er griff nach dem Gewinde, doch stattdessen fand er nur ein Loch vor.

Er tauchte auf und schnappte nach Luft.

„Was haben Sie gefunden?“, fragte Sherlock. Die Schüsse schien er nun eingestellt zu haben.

„Einen Wasserhahn, direkt gegenüber der Tür. Aber der Griff ist weg. Vielleicht wurde er aus Versehen entfernt, ich suche noch mal danach“, stieß John aus. Seine Worte überschlugen sich fast. Der Zeitdruck machte ihm zu schaffen.

Er presste die Luft aus seinen Lungen und tauchte wieder ab, tastete mit den Händen am Boden entlang. Das eiskalte Wasser stach ihm in Ohren, Nase, Hände. Dann glitt ihm etwas Scharfes zwischen seine Finger und durchtrennte seine Haut und sein Fleisch. Sofort tauchte John wieder auf, schnappte wieder nach Luft und stieß einen zischenden Schmerzenslaut aus. Die Umgebung begann sich wieder zu verändern, zu pochen.

“Nein, nein, nein!”, rief John der Angst entgegen. Er musste bei Sinnen bleiben. Die Zeit drängte. Es war überlebenswichtig.

Streng dröhnte es aus dem Handy: „Was ist passiert? Was ist passiert, John? Bleiben Sie bei mir, atmen Sie tief durch, nicht hyperventilieren! Bleiben Sie in der Realität! Ich bin hier, hören Sie?“

Ein Klopfen an der Abdunkelung.

“Hören Sie?”

„J-ja“, brachte John knapp hervor. Er durfte jetzt auf keinen Fall schwach werden.

Er hielt seine Finger mehr ins fahle Licht und betrachtete die tiefe Wunde. Eine saubere, gerade Einkerbung. Das konnte kein Monster gewesen sein. Selbstverständlich konnte es kein Monster gewesen sein. Nicht einmal ein Tier. Ein Messer vielleicht. War das wichtig? Spielte das eine Rolle? Er musste es nachprüfen.

„Ich schaffe das“, sagte John, diesmal mehr zu Sherlock als zu sich selbst, bevor er wieder in die schmerzhafte Kälte abtauchte.

Ein Teil des Deckenlichts brach sich im schmutzigen Wasser und lies schwach weiße Umrisse erkennen. Vorsichtig griff er nach dem scharfen Gegenstand, nahm es in die Hände. Diesmal ohne sich zu schneiden. Dann stellte er die Füße auf den Boden, streckte sich und presste sich somit aus dem Wasser hevor.

„…keine Zeit!“, hörte er Sherlock einen Satz beenden.

„Was haben Sie gesagt?“, fragte John nervös während er den Gegenstand in seiner Hand betrachtete. Es war eine bemalte Porzellanscherbe, leicht gewölbt.

„Sie haben keine Zeit mehr nach dem Gewinde zu suchen, konzentrieren Sie sich auf die Lösung des Mordes, John, jetzt!“

„Aber – ” setzte John an.

„Los! Was ist hier passiert?“

Der Schmerz in Johns Schläfe pochte, verstärkt durch den Luft- und wohlmöglich auch Zeitdruck. Seine Gedanken drehten sich im Kreis. „Ich weiß nicht“, brachte er hervor.

„John, es muss, verstehen Sie, muss einfach möglich sein den Mordfall aufzuklären. Ansonsten wäre das – … es muss. Ich weiß es.“

„Und wenn Sie sich irren?“

„Los!“, schrie Sherlock und fast im selben Augenblick knallte wieder ein Pistolenschuss aus Richtung der Fenster.

„Ja, ich – “, setzte John an. Er schluckte. Sah sich um. Sah sich alles noch mal an. Versuchte angestrengt seinen Kopf klar zu kriegen und aus den Puzzlestücken ein Gesamtbild zu legen.

„Die Katze… hat … der Mörder …“, setzte er zerstreut an. Doch es war vergebens. Das alles machte keinen Sinn. Er hatte auch keinen Hinweis des Mörders, weder eine Tatwaffe noch ein Motiv noch irgendwelche Anzeichen darauf dass es überhaupt einen Mörder gab. Wie sollte er da, um Himmels Willen, fähig sein –

Halt.

Keine Hinweise des Mörders?

Keine Anzeichen eines Mordes?

Die Erkenntnis traf ihn wie einen Schlag.

„Sherlock, ich – ich glaub ich weiß es jetzt“, sagte John langsam, denn er kombinierte noch die Bruchstücke in seinem Kopf. Sie passten. Alle.

Das schaben und Klopfen an den Abdunkelungen hörte sofort auf.

„Sprechen Sie es aus“, sagte Sherlock. Er klang angespannt. „Laut. Ihre Entführer werden irgendwo ein Abhörgerät installiert haben.“

John holte Luft.

„Die Frau hat den Keller betreten um Wasser zu holen. In einer Porzellanschüssel. Vielleicht weil oben der Hahn besetzt war, oder weil sie sowieso in der Nähe war oder warum auch immer. Sie ging also zum Wasserhahn, kniete sich hin. Bemerkte jedoch nicht die Streunerkatze die sich ins Gewölbe geschlichen hatte und nicht wieder herausgekommen war. Vor Hunger hatte die Katze die fermentierten Überreste des Kürbisses verspeist und hat dann alkoholisiert und wahrscheinlich auch noch dehydriert die Frau als Bedrohung gesehen und attackiert. Noch während der Wasserhahn lief ließ die Frau die Schüssel fallen, riss schockiert das Gewinde, das sowieso instabil war, ab, stand schockiert auf und fiel wohlmöglich mit der Katze noch im Gesicht rückwärts auf die Kellerstufe vor der Tür. Die Blutungen oder eine Fraktur führten dann zum Tod. Ich kann den Mordfall nicht aufklären, denn es war kein Mord, Sherlock! Es war ein Unfall! Es gibt keinen Mörder!”
 

Beide, Sherlock Holmes und er selbst, John Watson, hielten inne. Verarbeiteten das Gesagte. Überlegten. Lauschten.

War das wirklich des Rätsels Lösung? War das wirklich das, was seine Entführer von ihm verlangten? Sein Leben hing nun einzig und allein von ihrem Wohlwollen ab. Aber was, wenn sie gar kein Abhörgerät installiert haben? Wenn er sie auf andere Art und Weise kontaktieren sollte?

John spürte dass Sherlock wohl ähnliche Gedanken haben musste. Er griff nach dem Handy, schaltete den Lautsprecher ab und wollte es gerade zum Ohr führen als ein völlig neues Geräusch den Raum erfüllte.

Ein Knacken.

„Was?“, rief John verblüfft.

Ein starker Wassersog zog ihn Richtung Tür.

Dann zeichnete sich ein dünner Spalt grelles Sonnenlicht sich zwischen Tür und Rahmen ab.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Kupoviech
2014-10-08T17:31:47+00:00 08.10.2014 19:31
Das war wirklich wunderbar geschrieben.
Spannend und mit Charakterstärke.

Ich werde die FF bestimmt noch zwanzig mal lesen und jedes mal wieder die Luft bei besonders spannenden Stellen anhalten.
Besonders gefallen hat mir, wie du die Halluzinationen und Panikattacken beschrieben hast. Mein Herz hat förmlich schneller geschlagen. =)


Antwort von:  Glasmond
27.10.2014 13:56
Wow, wie schön!! Danke dir <3 <3
Von:  KMelion
2012-07-27T15:39:20+00:00 27.07.2012 17:39
Schon zu Ende?
Schade, denn diese FF ist genial!
Gott, jetzt kann ich 'ne Woche nicht mehr schlafen...
Von:  Puschi
2012-03-20T17:51:45+00:00 20.03.2012 18:51
Hallöchen :)
Ich hab deine FF in einem Rutsch durchgelesen und genossen.
Dein Schreibstil gefällt mir und es ist sehr sehr spannend geschrieben, an manchen Stellen dachte ich, dass ich gleich losflennen würde. ^^"
Einfach weil man sich so super rein versetzen kann! Die Dialoge sind gut in Szene gesetzt, man kann sich die Tonfälle richtig gut vorstellen.
Großes Lob an dich!
lg Puschi


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